Edgar Wallace
Der leuchtende Schlüssel
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9

Dick Allenby sagte niemals, daß er verlobt sei, und auch an Mary Lanes Hand war kein Verlobungsring zu sehen. Er erwähnte dies beiläufig, als er zwischen den beiden letzten Akten in ihrer Garderobe saß. Sie sprachen miteinander durch einen Wandschirm, hinter dem sie sich umkleidete.

»Ich werde noch einen schlechten Ruf bekommen«, meinte er. »Nichts schädigt das Ansehen eines Erfinders mehr, als wenn ihn der Portier am Bühneneingang eines Theaters genau kennt. Er läßt mich jetzt schon ohne Frage durch und nickt nur freundlich, wenn ich auftauche.«

»Dann solltest du eben nicht so oft kommen!«

»Ich will nicht gerade sagen, daß es eine Sache auf Leben und Tod mit uns beiden ist, aber du bist mir doch wichtiger und teurer als irgend etwas auf der Welt.«

»Einschließlich deiner letzten Erfindung?«

»Ach, du meinst die Luftpistole?« fragte er verächtlich. »Übrigens hat ein deutscher Ingenieur mir heute im Namen seiner Essener Firma zehntausend Pfund für das Patent geboten.« –

»Was hatte denn der gute Mann?« fragte sie belustigt.

»Ja, ich war auch verwundert.« Dick steckte sich verbotenerweise eine Zigarette an. »Du mußt aber nicht denken, daß der Mensch irgendwie betrunken oder nicht bei Verstand war. Er ist ein sehr tüchtiger Mann, der weiß, was er will. Er sagte, daß er mich für einen der größten Erfinder unserer Zeit hielte.«

»Das bist du auch, Liebling.«

»Das weiß ich«, erklärte Dick befriedigt. »Aber es klang so nett, als mir der Deutsche das sagte. In allem Ernst, Mary, ich hatte keine Ahnung, daß meine Erfindung soviel wert ist.«

»Wirst du das Patent verkaufen?«

Er zögerte.

»Ich bin noch nicht ganz sicher. Aber die Aussicht, soviel Geld auf einmal zu verdienen, hat mich auf die Idee gebracht, daß wir beide uns doch verloben und heiraten könnten.«

Mary nahm die Puderquaste.

»Ich werde noch eine sehr erfolgreiche Schauspielerin werden.«

»Du bist es schon. Du hast es fertiggebracht, daß dir ein großes Genie einen Heiratsantrag macht.«

»Weißt du, wovor ich mich fürchte?«

»Ich wüßte nicht, wovor du dich fürchten solltest, wenn es nicht die Hochzeit ist.«

»In der letzten Zeit ist mir öfters der Gedanke gekommen«, entgegnete sie ernst, »daß dein Onkel mir all sein Geld hinterlassen könnte.«

Er lachte leise.

»Deshalb lasse ich mir keine grauen Haare wachsen. Aber warum kommst du gerade jetzt darauf?«

Sie war mit ihrer Garderobe fertig und schob den Wandschirm beiseite.

»Einmal hat er so etwas Ähnliches gesagt«, entgegnete sie nachdenklich und biß sich auf die Unterlippe. »Und als ich das letzte Mal bei ihm war, hatte ich den Eindruck, daß er dich ungeheuer haßt. Schon allein um dich zu ärgern, wird er mir sein Vermögen hinterlassen, und das wäre entsetzlich.«

Er starrte sie verwundert an.

»Aber um Himmels willen, warum denn?«

»Dann wäre ich gezwungen, dich zu heiraten.«

»Du meinst, nur um dem Alten ein Schnippchen zu schlagen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein. Aber es wäre schrecklich.«

»Ich glaube, du machst dir unnötige Sorgen. Der Alte wird wahrscheinlich sein Geld eher einem Hundeheim als mir oder dir vermachen. Hast du ihn in letzter Zeit öfters gesehen?«

Sie erzählte ihm von ihrem letzten Besuch, aber das wußte er schon alles.

Während sie sich noch unterhielten, klopfte es an die Tür. Mary erhob sich schon halb, weil sie dachte, ihr Auftritt wäre gekommen. Als aber noch einmal geklopft wurde, rief sie: »Herein!«

Leo Moran erschien in der Tür. Er warf Dick einen verschmitzten Blick zu.

»Sie hätten sich lieber meine Rede im Radio anhören sollen, als Ihre Zeit im Theater zuzubringen«, sagte er.

»Haben Sie schon wieder einen Vortrag gehalten?« fragte Dick lächelnd. »Muß man sich so elegant anziehen, wenn man vor dem Mikrophon steht?«

»Ich gehe zu einem Souper.«

Es klopfte wieder, und sie hörten die helle Stimme des Pagen, der Miss Lane zur Bühne rief. Mary eilte hinaus. Sie war froh, daß sie sich entfernen konnte, denn in Morans Gegenwart fühlte sie sich nie behaglich.

»Haben Sie das Stück schon gesehen?« fragte Dick.

Moran nickte.

»Ja. Es ist eine Strafe, das entsetzlichste Stück in ganz London. Ich wundere mich nur, daß der alte Mike es nicht endlich vom Spielplan absetzt. Er muß einen sehr kapitalkräftigen Hintermann haben, daß er das durchhalten kann.«

»Haben Sie schon einmal von Washington Wirth gehört?«

Leo Morans Gesicht war ausdruckslos.

»Nein. Wer ist das – ein Amerikaner?«

»Jedenfalls ein ungewöhnlicher Mann. Ich habe neulich einmal nachgerechnet, daß er allein bei diesem Stück mindestens zehntausend Pfund verloren haben muß. Und ich kann nicht einsehen, warum er darauf versessen ist, es weiterzuspielen. Mary ist die einzige Schauspielerin in der ganzen Truppe, die etwas taugt, und sie ist noch nicht einmal mit ihm befreundet.«

»Washington Wirth? Der Name kommt mir doch bekannt vor.« Moran sah auf die Wand. »Ich muß von ihm gehört oder in der Zeitung über ihn gelesen haben. Übrigens habe ich heute einen alten Freund von Ihnen gesehen, Surefoot Smith. Sie waren doch dabei, als der ermordete Tickler aufgefunden wurde?«

Dick nickte.

»Der Chefinspektor behandelte mich, als ob ich ein Mittäter wäre.«

»Nun, da können Sie sich trösten. Mich hat er neulich behandelt, als ob ich der Mörder selbst wäre. Haben Sie ihm auch Bier zu trinken gegeben?«

Leo Moran ging zur Tür, öffnete sie, sah den Korridor entlang und schloß sie dann wieder.

»Dick, ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.«

Dick grinste.

»Nichts würde mir größeren Spaß machen, als einem Bankdirektor etwas abzuschlagen.«

»Reden Sie keinen Unsinn. Es hat nichts mit Geld zu tun. Nur –«

Er hielt plötzlich inne, als ob er seine nächsten Worte sorgfältig wählen müßte.

»Es ist möglich, daß ich eine oder zwei Wochen nicht in London bin. Mein Urlaub ist fällig; und ich möchte aufs Land gehen. Würden Sie so freundlich sein, die Post aus meiner Wohnung abzuholen und aufzuheben, bis ich wiederkomme?«

»Warum lassen Sie sich denn die Post nicht nachschicken?« fragte Dick erstaunt.

Leo Moran schüttelte ungeduldig den Kopf.

»Ich bitte Sie aus einem ganz bestimmten Grund um die Gefälligkeit. Ich lasse mir überhaupt nichts nachschicken. Mein Diener hat auch Urlaub. Würden Sie ein wenig auf die Wohnung aufpassen, wenn ich Ihnen die Schlüssel schicke?«

»Wann reisen Sie ab?«

Moran machte keine bestimmten Angaben hierüber. Er sagte, es sei noch ungewiß, ob sein Urlaub überhaupt bewilligt werde. Die Direktion mache Schwierigkeiten, obwohl er einen sehr tüchtigen Assistenten besäße, dem er die Führung seiner Bankfiliale jeden Augenblick übergeben könne.

»Ich möchte so bald als möglich abfahren, aber dieser Aufsichtsrat ist eine furchtbar schwerfällige Gesellschaft. Der läßt sich in seiner Gottähnlichkeit überhaupt nicht stören, wenn Sie von dem etwas haben wollen, müssen Sie erst dreimal vor ihm niederknien. Also, wollen Sie meine Bitte erfüllen?«

»Gewiß«, erwiderte Dick. »Sie wissen ja, wohin Sie den Schlüssel zu schicken haben. Nun möchte ich Sie aber in einer anderen Angelegenheit um Ihren Rat bitten.«

Er erzählte ihm von seiner patentierten Luftpistole und dem Angebot, das ihm der Deutsche gemacht hatte. Die Waffe selbst brauchte er nicht zu erklären, denn Moran hatte sie schon gesehen und geprüft.

»Ich würde an Ihrer Stelle eine einmalige Zahlung ablehnen. Nehmen Sie die Hälfte der Summe als Anzahlung auf eine Beteiligung. Gehen Sie bald nach Hause?«

»Ja, gleich. Mary ist zum Souper eingeladen.«

»Von Mr. Wirth?« fragte Moran lächelnd.

»Ich dachte, Sie hätten niemals von ihm gehört?«

»Doch, inzwischen ist es mir wieder eingefallen. Er ist doch der Mann, der wegen seiner Einladungen und Feste bekannt ist. Früher habe ich das auch gemacht. Wenn Sie nach Hause gehen, komme ich mit vorbei und sehe mir Ihre Erfindung noch einmal an.«

Obgleich der Abend warm war, hatte sich Nebel gebildet, der immer dichter wurde, je mehr sie sich dem Park näherten. Als sie nach Knightsbridge kamen, lichtete er sich etwas.

»Ich wollte schon den ganzen Abend nach Hause gehen und mich nach der Luftpistole umschauen«, sagte Dick. »Im Unterbewußtsein hat mich das dauernd gequält. Es war dumm von mir, daß ich damit experimentiert und sie geladen habe, bevor ich ausging.«

Der Nebel hatte sich wieder verdichtet, und der Chauffeur konnte nur langsam am Rinnstein entlangfahren, bis sie zu Dick Allenbys Haus kamen. Der Fahrstuhl war dunkel, und selbst als Dick den Schalter andrehte, flammte das elektrische Licht nicht auf. Er ging einen Schritt weiter und trat dabei auf etwas, das unter seinen Füßen krachend zerbrach.

»Zum Teufel, was war denn das?« fragte Moran.

Dick steckte ein Streichholz an und sah auf dem Boden die Glassplitter einer elektrischen Birne, die offensichtlich aus der Decke der Kabine herausgeschraubt worden war.

»Unser Hausmeister wird nachlässig«, meinte er.

Er drückte auf den Knopf, und der Fahrstuhl glitt nach oben. Vor seiner Wohnungstür entdeckte er zu seinem Erstaunen, daß schon ein Schlüssel im Schloß steckte, und zwar so fest, daß er ihn weder nach rechts noch nach links herumdrehen konnte.

Als er die Klinke niederdrückte, gab die Tür nach.

»Hier hat jemand Dummheiten gemacht«, sagte Dick sehr bestimmt.

Er schaltete das Licht ein und blieb wie versteinert stehen. Der Platz, an dem der Stahlkasten mit der Luftpistole gestanden hatte, war leer. Die Waffe war verschwunden, keine Spur davon zu sehen.


 << zurück weiter >>