Edgar Wallace
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Edgar Wallace

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20

Mit klopfendem Herzen ging Margaret die Treppe hinab und fand vor der Tür ein Taxi, das einer der Beamten für sie herangerufen hatte.

»Hat man was gefunden?« fragte er.

»Ich glaube, es ist jemand in der Wohnung«, antwortete sie atemlos. »Der Inspektor nimmt es wenigstens an.«

»Ich glaube, es ist besser, Sie warten im Wagen«, setzte der Beamte hinzu. »Ich vermute, daß Mr. Gorton Widerstand erwartet.«

»Haben Sie öfter derartige Fälle?«

»Beinahe täglich«, war die vergnügte Antwort. »Wir gehören zum Überfallkommando.«

Augenscheinlich war es eine ganz gewöhnliche Sache für das Überfallkommando, zu Häusern gerufen zu werden, in denen man Einbrecher vermutete. Es erschien mit der Geschwindigkeit der Feuerwehr auf der Bildfläche und stand dieser in Behendigkeit keineswegs nach.

Inspektor Gorton wartete, bis Margaret die Wohnung verlassen hatte und klopfte von neuem an die Tür.

»Mach auf, mein Junge!«

Der Riegel wurde zurückgeschoben, und die Tür öffnete sich. Der Inspektor sah einen Mann mit schmutzigem Gesicht und unordentlicher Kleidung in der Tür stehen und warf sich sofort auf ihn.

Für Luke kam dieser Angriff zu unerwartet. Er hatte auf die Möglichkeit gehofft, mit dem Beamten sprechen, vielleicht sogar den Inspektor in sein Vertrauen ziehen zu können. Er versuchte die Hände abzuschütteln und wurde im nächsten Augenblick zu Boden geworfen. Jemand durchsuchte ihn in wissenschaftlicher Weise.

»Hat ein Schießeisen«, sagte eine Stimme.

Der Revolver wurde Inspektor Gorton ausgehändigt.

»Ich kann den Besitz des Revolvers erklären«, rief Luke.

»Sicher kannst du das.« Gorton zog das Magazin heraus. »Geladen – das wird dir zehn Jahre einbringen, mein Junge. Durchsucht ihn genau: vielleicht hat er noch einen.« In wenigen Minuten war Luke gründlich durchsucht worden.

»Wo hast du das Geld her?« fragte der Inspektor.

»Ich habe es bekommen –« begann Luke und wurde durch ein allgemeines Gelächter unterbrochen.

»Was ist das?« sagte Gorton und untersuchte ein kleines, blau eingebundenes Buch, das Luke am Morgen, bevor er seinem Abenteuer entgegenging, von Mrs. Fraser erhalten hatte.

»Führerschein? Hast du vielleicht zufällig ein Auto in der Bond Street gesteuert?«

Luke fühlte sein Herz sinken. Und dann hörte er einen der Detektive ausrufen:

»Das ist der Kerl! Heute nachmittag hat er noch einen Vollbart gehabt. Ich habe ihn mit einer Frau durch den Park fahren sehen.«

Er flüsterte Gorton etwas zu, und der Inspektor nickte. Die ganze Zeit dachte Luke in rasender Hast nach. Die einfache Aufklärung über sich selbst war nicht mehr möglich; erklärte er, Luke Maddison zu sein, würde er auch erzählen müssen, was er seit seinem Verschwinden getan hatte – diese Möglichkeit kam ihm erschreckend zum Bewußtsein. Und er wußte, unten auf der Straße stand Margaret, die ihn sofort trotz Schnurrbart erkennen würde.

Gerade vor ihm lag die Tür, die zu der Vorhalle führte, rechts das kleine Zimmer, das er als Ankleideraum gebrauchte. Sein Fenster lag direkt über dem ersten Absatz der Feuerleiter. Der Gedanke an eine Feuersbrunst hatte Luke schon häufig beschäftigt, und oftmals hatte er sich überlegt, auf welche Weise er am besten aus einem brennenden Hause flüchten könnte. Wenn er doch nur in das Zimmer gelangen . . . aber es schien ganz unmöglich.

Jemand sprach auf dem Treppenabsatz. Es war der Pförtner, der erfahren wollte, was der Lärm zu bedeuten hatte. Die beiden Detektive, die in der Tür standen, drehten sich einen Augenblick um, und in diesem Augenblick sprang Luke vorwärts. Er war immer ein wenig Athlet gewesen, hatte in seiner Schulzeit zum Auswahl-Team gehört und sehr gut gelernt, einem Gedränge auszuweichen und zu entwischen. Er flog durch die Tür des Ankleidezimmers, warf sie zu und schob im gleichen Augenblick den Riegel vor, als das Gewicht der beiden Männer dagegenprallte.

Zur Überlegung, zur Vorsicht war keine Zeit. Er schob das Fenster hoch, war in der nächsten Sekunde über das Fensterbrett hinweg und fiel in die dunkle Tiefe. Er hatte richtig kalkuliert. Die Stahlplattform der Feuerleiter erklang unter dem Aufprall seiner Füße. Mit zitternden Händen schwang er sich die Stufen hinab und war schon über die Mauer hinweg, bevor noch der erste der Verfolger am Kopfe der Feuerleiter erschien. Ein Mann schlenderte durch das Gäßchen und fuhr mit einem Aufschrei herum, als Luke von der Mauer herabsprang. Aber wie der Wind fegte Luke an ihm vorbei. Sein langer Aufenthalt im Hospital hatte ihn etwas geschwächt, aber die Technik des Schnelläufers war ihm geblieben. Als er aus der schmalen Straße heraus kam, sah er ein vorbeifahrendes Taxi und sprang auf das Trittbrett.

»Paddington!« rief er und schwang sich geschickt in das Innere. Augenscheinlich hatte der Chauffeur aber einige Zweifel, ob er seinen Weg fortsetzen sollte, denn an der zweiten Querstraße hielt er seinen Wagen an.

»Wo sind Sie denn hergekommen?« fragte er. »Ich möchte Sie lieber nicht fahren. Sie sehen aus, als ob Sie vor jemand ausgerissen sind.«

»Stimmt«, war Lukes Antwort. Es war keine Zeit, um lange zu verhandeln. Er drückte dem Mann ein Zweischillingstück in die Hand, lief in eine enge Seitenstraße hinein, die gerade vor ihm lag, um die nächste Ecke zurück und erreichte von neuem die Hauptstraße. Hier fand er ein anderes Taxi mit einem Führer, der seine bona nicht bezweifelte.

»Scotland Yard!«

Er war zu einem plötzlichen Entschluß gekommen. Er würde den Spatz aufsuchen und ihm die Wahrheit erzählen . . . in der Hoffnung, daß dieser gerissene Mann ihm durchhelfen würde.

Der Wagen hielt am Eingang des Polizeipräsidiums, und Luke betrat die düstere Vorhalle. Ein Schutzmann rief ihn an und fragte nach seinen Wünschen.

»Mr. Bird ist vor zwei Stunden weggegangen, Sir. Ich glaube nach außerhalb. Können Sie nicht mit jemand anderem sprechen?«

Luke stöhnte innerlich und schüttelte den Kopf.

»Nein, danke bestens. Ich glaube nicht, daß ein anderer mir behilflich sein kann.«

»Vielleicht Mr. Gorton? Er muß jeden Augenblick zurückkommen«, schlug der Beamte vor, der nicht ahnen konnte, daß gerade Mr. Gorton der Mann war, den Luke am wenigsten zu sehen wünschte.

Er verließ das Präsidium durch die Tür, die nach dem Embankment führt, und im gleichen Augenblick kamen Gorton und das Überfallkommando auf der anderen Seite hineingefahren. Er wandte sich nach links und ging der Waterloobrücke zu. An der Untergrundstation von Charing Cross machte er einen zweiten Versuch, mit dem Spatz in Verbindung zu kommen. Es gab immer noch die Möglichkeit, daß der Schutzmann sich getäuscht hatte und daß Bird doch in der Stadt war. Aber im Telephonadreßbuch fand er so viele Birds, daß es ihm unmöglich schien, den richtigen herauszufinden. Schließlich fiel ihm ein, daß einer seiner Anfangsbuchstaben das ganz ungebräuchliche »Z« war (Mr. Birds Vorname war Zacharia). Er las die Namen noch einmal durch, fand eine Nummer und ließ sich verbinden.

Zuerst glaubte er Glück zu haben.

»Ja, hier ist Mr. Birds Wohnung«, erklang eine Stimme, »aber er ist nicht in der Stadt. Wer ist denn am Apparat?«

»Es ist dringend nötig, daß ich Mr. Bird so schnell wie möglich erreiche«, sagte Luke eindringlich. »Können Sie mir nicht sagen, wo ich ihn finden kann?«

»Wer ist denn dort?«

»Wollen Sie ihm, bitte, mitteilen, daß Mr. Maddison angerufen hat. Ich bin in Scotland Yard gewesen . . .«

Ein kühler Zug traf seinen Nacken. Die Tür der Telephonzelle hatte sich geöffnet; ein Mann stand in der Nähe, hatte aber scheinbar weder Interesse an ihm selbst, noch an seiner Unterhaltung. Luke schloß die Tür und fand zu seinem Ärger, daß, wer auch immer am Apparat gewesen war, die Verbindung unterbrochen hatte. Der Anfang war auf jeden Fall gemacht. Er fühlte beinahe eine Art Erleichterung, als er wieder das kalte Embankment entlang der Waterloobrücke zuging.

Er war kaum zwanzig Meter gegangen, als zwei Männer ihn erreichten und in die Mitte nahmen.

»Hallo, Mr. Smith, Connor möchte Sie sprechen.«

Er hatte den Mann nie zuvor gesehen. Sein Ton war schroff und befehlend.

»Und wer ist Mr. Connor?« fragte Luke kühl. »Ich heiße nicht Smith, mein Name ist Maddison.«

»Das ist schon richtig, Sir«, sagte der andere respektvoll. »Aber Mr. Connor möchte Sie gern sprechen.«

»Wo ist er denn?« fragte Luke nach kurzer Überlegung.

»Auf der Höhe von Savoy Hill und . . . da fährt das Überfallkommando!«

Ein Auto sauste an ihnen vorbei, und das rote Schlußlicht verschwand in der Ferne.

Sie gingen nicht Savoy Hill hinauf, sondern bogen zur Seite ab, am Eingang vom Savoy Hotel vorbei und in eine enge schmale Straße hinein. Dann wandten sie sich wieder nach rechts.

»Wo ist denn Connor?«

»Werde ich Ihnen gleich erzählen, wenn ich mir meine Zigarette angesteckt habe«, sagte der kleinere der beiden.

Er entzündete ein Streichholz, und unwillkürlich richteten sich Lukes Blicke auf dasselbe. Und dann erinnerte er sich an nichts mehr. Er fühlte nicht den Schmerz des Schlages, sondern brach auf dem Bürgersteig zusammen. Der Gummiknüppel war von geschickten Händen geführt worden. Als er wieder zur Besinnung kam, schmerzte ihn sein Kopf zum Zerspringen. Er lag auf dem harten Boden eines ratternden Lastautos . . . später sah er, daß es ein schwankender Fordwagen war, der den Namen einer angesehenen Firma führte. Die beiden Männer saßen an seiner Seite; einer rauchte, und beide unterhielten sich leise.

». . . und das hat mir Connor erzählt«, sagte der eine.

»Aber Connor befürchtete, daß der hier uns verpfeifen würde.«

Luke lag bewegungslos; sein Kopf trug eine Beule, die seiner Meinung nach so groß wie ein Ei sein mußte, aber Blut schien er nicht verloren zu haben.

Der Wagen hielt an. Man hörte das Kreischen eines Gitters, und das Auto polterte über unebenen Boden vorwärts; dann hielt es an, und der Motor wurde abgestellt.

»Geht's jetzt wieder?« fragte eine Stimme.

»Einigermaßen«, war Lukes Antwort.

»Dann 'raus hier! Warum haben Sie solche Dummheiten gemacht, Smith?«

Eine eigenartige Frage von einem Mann, der ihn nur einige zehn Minuten vorher zu Boden geschlagen hatte.

Er stolperte aus dem Wagen heraus, und seine Füße traten auf weichen, feuchten Boden. Er schwankte in der kalten Nachtluft, und einer der Männer nahm seinen Arm und führte ihn in ein kleines Gebäude, das ein Landhäuschen zu sein schien. Zu seiner Rechten sah er den Fluß blitzen. Ein Schlepper fuhr vorbei, der Widerschein des grünen Steuerbordlichtes lag auf dem Wasser, und seine Fahrt war so schnell, daß er annahm, sie müsse stromabwärts führen. Er befand sich also auf der Surreyseite der Themse.

Luke konnte nichts weiter unterscheiden als einen hohen Wall und etwas weiter entfernt eine blutrote Reklametafel. Die Tür wurde hinter ihm zugeworfen. Es roch modrig, aber doch schien das Häuschen eine Art Ausstattung zu haben, denn er fühlte unter seinen Füßen einen Teppich. Eine andere Tür öffnete sich, und er wurde hineingeschoben.

An einem Tisch saß Connor und mischte ein Spiel Karten. Als Luke eintrat, blickte er auf.

»Mußtest du ernste Maßregeln ergreifen?« fragte er scherzend.

Der Mann, der Lukes Arm hielt, grinste.

»Er wollte ja nicht vernünftig sein!«

»Setzen Sie sich.« Connor wies auf ein Roßhaarsofa an der Wand, und Luke war für diese Einladung dankbar. »Sie haben also versucht, uns zu verpfeifen, Smith?«

Connors Stimme klang nicht unfreundlich, und er hörte nicht auf, seine Karten zu mischen, während er sprach.

»Ich habe Sie für einen Mann gehalten, als Sie in die Wohnung einbrachen – ja, einer meiner Leute hat gesehen, wie Sie eindrangen, und sah auch, wie Sie sich aus dem Staube machten. Aber Sie sind um nichts besser als ein ganz gewöhnlicher, schmieriger Verpfeifer. Nach Scotland Yard gehen und nach dem Spatz fragen, das haben Sie gemacht! Ist der vielleicht ein Freund von Ihnen?«

»Ich kenne ihn«, sagte Luke.

Mr. Connor nickte freundlich.

»Und dann haben Sie versucht, ihn telephonisch zu erreichen – was wollten Sie denn verpfeifen? Sie brauchen mir das nicht zu erzählen, Smith. Ich weiß es. Vom ersten Tage an habe ich Ihnen schon nicht getraut, ich traue überhaupt keinem Australier.«

Trotz seines schmerzenden Kopfes mußte Luke lächeln.

»Ich glaube auch nicht, daß man großes Vertrauen zu Ihnen hat!«

»Nicht viel«, gab Connor zu.

Er hob das Kartenspiel ab, mischte noch einmal geschickt – und die ganze Zeit hindurch lagen seine Augen auf Luke.

»Sie kennen also den Spatz? Sehr gut. Ich wette, Sie kennen Danty auch.«

Luke fuhr zusammen.

»Danty Morell?« fragte er.

Wie konnte er nur Danty vergessen? Wie konnte er vergessen, daß Danty der Vertraute seiner Frau war – daß sein einziger Wunsch, als er sich aus der finsteren Umgebung, in die er hineingeraten war, befreite, der war, diesen Hochstapler zu entlarven?

»Also Danty auch?« Connors Stimme klang beinahe bewundernd. »Und Pi Coles?«

Luke nickte.

»Ja, Coles – das ist sein Diener.«

Connor lächelte über das ganze Gesicht, und die beiden anderen Männer lachten.

»Stimmt schon: Pi ist sein Diener. Sie scheinen ja die ganze verwünschte Bande zu kennen! Das lassen Sie sich sagen, Smith: Ein Mann, der Danty und die Lewingbande kennt und dann nach Scotland Yard geht, um seinen Freund Spatz zu besuchen, ist keine wünschenswerte Gesellschaft für uns.«

Eine lange Pause, und dann:

»Und darum ziehen wir es vor, Sie nicht bei uns zu behalten.«

Er sah nachdenklich einen der Männer an.

»Wann beginnt die Flut?«

»Um vier Uhr.«

Connor nickte, und seine dunklen Augen wanderten zu Luke zurück.

»Sind Sie ein guter Schwimmer?«

»Es geht«, sagte Luke kühl.

»Wir wollen ihm heute nacht ein kleines Bad verschaffen«, sagte Connor. »Bring ihn in den ›Kühlraum‹, Harry.«

Der Mann, der ihn niedergeschlagen hatte, packte Luke beim Arm und half ihm auf die Füße. Der Schmerz im Kopf hatte etwas nachgelassen, er schwankte nicht mehr und war beinahe wieder im Besitze seiner vollen Kräfte. Aber er hielt es nicht für angebracht, dies merken zu lassen.

Augenscheinlich war das Gebäude nicht sehr groß. Es war der Wiegeraum einer Gesellschaft, die früher Besitzerin des Flußgrundstücks gewesen war. Connor hatte diesen und einen kleinen Speicher als ein zweites Hauptquartier für sich in Benutzung genommen. Nach außen hin hatte Connor einen richtigen, allerdings wenig einträglichen Beruf. Er war Baumaterialienhändler, und regelmäßig, aber in ziemlich großen Abständen, legten Frachtkähne an und wurden gelöscht. Er kaufte und verkaufte altes Eisen, Zement, jede Art Material, das einen sofortigen Verdienst bringen konnte. Den Ladeplatz hatte er für ein Trinkgeld gemietet.

Wenige Schritte hinter der Tür des Wohnzimmers lag eine andere. Luke fragte sich, ob der kleine Raum, in den man ihn hineinstieß, schon öfter für den gleichen Zweck benutzt worden war. Er hatte keine Fenster, glich aber sonst in überraschender Weise einer Gefängniszelle. Vielleicht hatte man sonst Kohlen dort aufbewahrt, aber jetzt war der Raum völlig kahl. Nicht einmal ein Bett oder ein Stuhl waren darin. Die Wände bestanden aus Ziegeln und waren getüncht. Dann wurde die Tür hinter ihm zugeworfen, ein Riegel vorgeschoben, und er war mit dem wenig angenehmen Bewußtsein allein, daß die Flut gegen 5 Uhr den Höchststand erreichen würde, und daß Mr. Connor in seiner liebenswürdigen Weise ein »Bad« für ihn vorgesehen hatte.


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