Edgar Wallace
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Edgar Wallace

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6

Welchem Ziele trieb Luke Maddison entgegen? In seinen rosigen Träumen sah er nur den glatten, geraden Weg seines Lebens vor sich liegen. Für ihn kamen in angenehmer Regelmäßigkeit Jahre, verbracht im Strudel des Vergnügens, in Ascot, in Deauville, auf dem Lido. Er würde von St. Moritz nach Cannes wandern, von Cannes nach London; er würde so tun, als ob er sich mit seinen Geschäften befaßte, aber die Bank würde unter der Leitung Mr. Steeles weitergehen, ob er da war oder nicht.

Er hatte schon vorher die gleichen Wege durchwandert – aber allein. Jetzt sollte seines Herzens sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen. Der Gedanke schien ihm beinahe unfaßbar, daß sie bei ihm sein sollte – alle Zeit, in all den Plätzen, überall. Margaret Leferre war für ihn die Frau aller Frauen, die Erfüllung seiner Träume. Sie war nicht die schwache Frau, die so oft von den Dichtern besungen wurde. Nein, sie war mehr für ihn als nur die Frau. Hier war ein Kamerad, dem er vertrauen konnte. Ihr gegenüber empfand er eine Zärtlichkeit, die durch den Schatten von Kummer und Gram, der auf ihr lag, nur noch verstärkt wurde. Sie war jetzt endlich unter seinem Schutz.

Am Morgen der Hochzeit ging er auf die dringende Bitte seines Prokuristen nach dem Büro, wo verschiedene Angelegenheiten von ihm persönlich erledigt werden mußten. Sein Anwalt war schon vorher bei ihm gewesen und hatte noch einmal vergeblich – vergeblich, denn der Kontrakt war schon am vorhergehenden Tage unterzeichnet worden – gegen diesen Heiratsvertrag protestiert.

»Luke, ich muß annehmen, daß du der größte Narr bist, den ich jemals in meiner ganzen geschäftlichen Tätigkeit gesehen habe . . . ja, ja, ich weiß, daß Margaret das liebste, beste Mädel in der ganzen Welt ist, daß sie das vertrauenswerteste ist. Alle die guten Eigenschaften der Leferre-Familie scheinen sich bei ihr vereinigt zu haben – aber ist es dir denn nicht klar, was für eine unglaubliche Torheit du begangen hast? Angenommen, sie stirbt ohne Testament – ja, ich weiß, es ist eine erschreckende Annahme – aber nimm doch mal an . . .«

»Ich will nicht so etwas Furchtbares annehmen, Jack!« unterbrach Luke hitzig. Sie waren Freunde von Jugend auf, er und der kluge junge Rechtsanwalt, der Lukes geschäftliche und private Angelegenheiten in Händen hatte.

»Ich bin der Meinung, daß die Frau einen Anteil am Vermögen ihres Mannes haben müßte –«

»Einen Anteil!« schnarrte Jack Hulbert. »Du verdammter Narr. Sie hat doch alles bekommen!«

Und es fehlte nicht viel, daß sie sich beide zum ersten Male ernstlich gezankt hätten.

Luke war sehr gereizt, und der Pessimismus seines Mr. Steele trug nicht dazu bei, ihn in bessere Laune zu bringen.

»Wir können unsere Verluste tragen, aber das wird Sie eine Masse Geld kosten«, sagte dieser sorgenvoll; »und dann, Mr. Maddison, hoffe ich, daß Sie Spekulationen aus dem Wege gehen. Das ist ganz gut für –«

»Ich weiß schon!« Lukes Geduld war beinah erschöpft. »Ich stimme völlig mit Ihnen überein, daß wir nicht spekulieren sollten – um die Wahrheit zu sagen, war ich ganz gegen meinen Willen gezwungen worden, die Aktien zu übernehmen.«

Er konnte und wollte nicht zugeben, daß dieser Fehler, den er begangen hatte, direkt durch Rex Leferres Schuld entstanden war. Mr. Steele würde kaum geglaubt haben, daß sein so erfahrener junger Chef sich durch einen jungen Menschen zu Geschäften hätte verleiten lassen, die mit der Bank gar nichts zu tun hatten. Und doch war dies die reine Wahrheit.

»Wie hoch belaufen sich unsere Verluste?« fragte Luke. Mr. Steele gab ihm die genaue Zahl an.

»Neunundsiebzigtausendsechshundertvierzig Pfund«, sagte er nachdrücklich, aber Luke lächelte.

»Zufällig weiß ich, daß ich einen großen Teil mehr wert bin als diese Summe.« Er lachte. »Tatsächlich, Steele, ich bin ja viel reicher, als ich überhaupt angenommen habe.«

Er wußte dies ›zufällig‹, weil es nötig gewesen war, für den Vertrag eine genaue Aufstellung seiner sämtlichen Guthaben zu machen.

»Es ist gut – lassen Sie einen Scheck ausschreiben, und ich will ihn gleich unterzeichnen.«

Mr. Steele ging hinaus, und Luke durchflog die Papiere, die noch unterschrieben werden mußten.

Er sollte Margaret um zwei Uhr im Standesamt treffen. Danty war gleichfalls dort – der Gedanke an diesen Mann war ihm unangenehm, aber er hatte nichts dagegen geäußert. Danty hatte es auf eine besondere Weise verstanden, Margarets Vertrauen zu erwerben; vielleicht, so dachte Luke, war es die enge Freundschaft mit Rex, die dies nicht nur ermöglicht, sondern vielleicht sogar unvermeidlich gemacht hatte.

Der zweite Zeuge sollte Mr. Steele sein.

Er war im Begriff, seinen Prokuristen zu rufen, um ihn noch einmal an diese wichtige Funktion zu erinnern, als dieser schon das Zimmer betrat.

»Wollen Sie einen Mann namens Lewing sprechen?«

»Lewing? Wer ist das?«

Mr. Steeles Gesichtsausdruck sagte ihm deutlich, daß Lewing nichts Besonderes sein konnte.

»Ein merkwürdiger Kerl«, sagte Steele. »Ich würde ihn schon weggeschickt haben, wenn er nicht gesagt hätte, er käme von Gunner, der Sie ja zu kennen scheint.«

Einen Augenblick war Luke unschlüssig. »Gunner?« Er kannte einen Mann, der bei der Artillerie gestanden hatte . . .

Dann plötzlich erinnerte er sich an Gunner Haynes. Er hatte alles vergessen, was mit dem unglücklichen Hoteldieb zusammenhing, den er zu retten versucht hatte – hatte nicht einmal in der Zeitung gelesen, was mit ihm geschehen war.

»Lassen Sie ihn hereinkommen.«

Der Mann, der hinter Steele das Zimmer betrat, war lang und mager. Seine tiefliegenden Augen hatten in ihrer Unruhe beinahe etwas Tierisches. Er blickte schnell in dem Zimmer umher, und es schien Luke, als ob er jeden Gegenstand abschätzte – in Hinsicht auf einen eventuellen, nächtlichen Besuch, bei dem er die wertvollsten Gegenstände davontragen könnte.

»Morgen, Sir.« Er hielt seinen Kopf gesenkt und blickte unter seinen dichten, struppigen Augenbrauen hervor auf Luke.

»Möchte Sie gern privatim sprechen, Sir«, sagte er mit heiserer Stimme.

Luke gab dem Prokuristen einen Wink, das Zimmer zu verlassen, dem dieser mit großem Widerstreben folgte.

»Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Ohne seine Augen von Luke zu lassen, streckte der Besucher seine Hand aus und zog sich einen Stuhl heran.

»Nun?«

Der Besucher setzte sich.

»Der Gunner hat drei Monate gekriegt«, begann er.

»Der Spatz hat sich für ihn verwendet, aber der Richter hat ihm doch drei Monate gegeben. Der Gunner hat Einspruch erhoben.«

Luke nickte. »Er ist zu drei Monaten Zuchthaus verurteilt worden und hat Revision beantragt. Ich hoffe, er kommt damit durch. Hat er Sie zu mir geschickt?«

Lewing nickte langsam. Er erweckte den Anschein eines Mannes, der log und erwartete, daß man ihn durchschaute.

»Ja. Ein paar Pfund würden ihm viel Gutes tun. Er braucht nämlich einen Rechtsanwalt. Der Spatz sagt, er würde mit durchkommen – und der Spatz weiß Bescheid.«

»Wer ist denn eigentlich der Spatz?«

Ein langsames Lächeln verbreitete sich über Mr. Lewings Gesicht.

»Er ist 'n Greifer – ein Detektiv. Bird heißt er –«

Luke nickte. Er erinnerte sich Mr. Spatz', dessen Tätigkeit sich augenscheinlich nicht nur auf Untersuchungen beschränkte.

»Ich habe selbst gesessen – wegen Einbruch«, vertraute ihm Lewing an. »Aber man konnte mir nichts beweisen, und so bin ich wieder losgekommen. Aber ich und der Gunner sind wie Brüder. Er saß in Brixton in der nächsten Zelle und sagte mir, ich sollte mal vorbeikommen und mit Ihnen sprechen – ein paar Pfund würden ihm sehr viel helfen.«

Luke war unschlüssig. Seine Bekanntschaft mit dem Mann, der sich selbst Haynes nannte, war recht oberflächlich, aber während der kurzen Unterhaltung im Ritz Carlton war es ihm aufgefallen, daß der »Gunner« die Manieren und ganz sicher die Ausdrucksweise eines gebildeten Mannes hatte. Dieser Mensch hier, dieser verächtliche Dieb, der ihn von der anderen Seite des Tisches aus so hinterlistig betrachtete, gehörte wohl kaum zu der Art Menschen, die von dem Gunner mit Aufträgen betraut werden dürften.

Luke faßte in seine Tasche und zog ein paar Pfundnoten heraus.

»Ich nehme an, Sie kennen Mr. Bird sehr gut«, fragte er, als er das Geld zählte.

Der Mann grinste.

»Den Spatz? Und ob! Er spricht immer nur über die Kinder der Armen – aber er ist immer hinter ihnen her! Er behauptet, es gibt eine Masse armer Leute, die nur leiden, weil es Leute gibt wie –« er war im Begriff, »mich« zu sagen, aber verbesserte sich schnell – »weil es Gauner gibt. Das ist Unsinn, wenn man nicht arbeiten kann, muß man doch irgendwas tun: man kann doch nicht verhungern. Das letztemal, als der Spatz anfing, mit mir darüber zu reden, habe ich gesagt: ›Passen Sie mal auf, Mr. Bird, warum sind Sie nicht mal hinter den Kindern der Reichen her und lassen die mal was von ihrem Überfluß an die Kinder der Armen abgeben?‹ Er konnte mir keine Antwort geben. Er war einfach platt. Wenn es sich um Beweisführung handelt, schlage ich alle Leute.«

Er schien ziemlich stolz auf diese Fähigkeit zu sein, auch wenn seine Triumphe meistens erlogen waren.

»Hier sind zehn Pfund, geben Sie das Ihrem Freunde . . . ich kann nicht mehr für ihn tun. Ich würde aber ganz gern wissen, wie es ihm geht; er kann mir hierher schreiben.«

Eine schmutzige Hand, wie eine Geierkralle, schoß über den Tisch hinweg und packte das Geld.

»Wenn Sie Dicky sehen, sagen Sie nicht, daß ich hier war . . . den Spatz meine ich. Manche nennen ihn so und manche wieder anders. Und, Sir, wenn Sie jemals was von unserem Leben sehen wollen, Sie oder andere feine Leute, kommen Sie mal eine Nacht 'runter nach Rotherhithe. Fragen Sie mal nach Harry Sibler – warten Sie, ich muß irgendwo meine Adresse haben.«

Er suchte in seiner Westentasche und brachte eine schmutzige Karte hervor. Luke nahm sie und las belustigt:

Harry Sibler
neben »The Cap and Bells«

und darunter war geschrieben:

Höchste Preise für Alteisen.

Lewing starrte ihn an und zeigte seine Zähne in einem breiten Grinsen.

»Altes Eisen!« kicherte er heiser. »Nicht schlecht, was? Wenn Sie wirklich einmal die Kinder der Armen sehen wollen – das ist der Platz, wo Sie hingehen müssen!«

Er stand auf und verschwand mit einem Kopfnicken durch die halbgeöffnete Tür. Er verschwand aus seinem Leben, so dachte Luke, aber hierin sollte er sich irren.


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