Edgar Wallace
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Edgar Wallace

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15

Die letzte Person in der ganzen Welt, die Danton Morell zu sehen wünschte, war Inspektor Bird. Die einzige Entschädigung, die dies zufällige Zusammentreffen im Greenpark für ihn brachte, war die Begleiterin Mr. Birds, ein hübsches, junges Mädchen, dessen frisches Gesicht diesem Kenner weiblicher Schönheiten nicht ganz unbekannt zu sein schien. Danton schlenderte ziellos um den Teich herum, sah den Enten zu, und seine Gedanken waren eifrig mit einem Plan beschäftigt, den er an diesem Morgen gefaßt hatte. Als er sah, daß der Spatz in Begleitung war, hatte er die Hoffnung, der Detektiv würde genügend Taktgefühl besitzen und an ihm vorbeigehen; aber augenscheinlich fehlte Mr. Bird diese Eigenschaft. Er blieb auf dem Wege stehen, eine große, behäbige Gestalt, seine Augen blinzelten und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Freude, als ob er einen lang verlorenen Freund wiederfände.

»Morgen, Morell – darf ich Sie mit diesem Herrn bekannt machen, Miß Bolford?«

Sein Ton war so freundlich, daß Danty einen Augenblick seine Vorsicht vergaß. Er lächelte höflich.

»Ich glaube, wir haben uns schon früher gesehen –« begann er.

»Und das wird noch öfter der Fall sein«, fuhr der Spatz dazwischen. »Diese junge Dame ist Reporter – sind Sie jemals in Old Bailey gewesen, Miß Bolford?«

Sie lachte. »Zweimal, und ich möchte nicht wieder hingehen.«

»Sie können auch einmal zu oft dort hingehen«, gab der Spatz zu. »Bei manchen Leuten kann es wirklich einmal zu oft werden, stimmt's nicht, Morell?«

Bevor der erboste Mann antworten konnte:

»Keine Nachrichten von Mr. Maddison?«

»Er ist in Paris«, antwortete Danty kurz.

»Dacht ich mir's doch.« Der Spatz nickte. »Als ich Ihren Diener aus dem Dampferzug aussteigen sah, habe ich mir gleich gesagt: Ich möchte wetten, Maddison ist in Paris; ich möchte wetten, er schickt zärtliche Telegramme an seine Frau – die ganze Zeit über, in der Ihr Diener dort ist. Kennen Sie Mr. Steele?« Er hielt seinen Kopf geneigt und sah mit seinen blinzelnden Augen einem Spatz so ähnlich, daß Mary Bolford sich nur mit Mühe das Lachen verbeißen konnte. »Den Prokuristen der Maddison-Bank?«

»Ich habe von ihm gehört, habe ihn, glaube ich, auch schon mal getroffen«, sagte der andere kurz.

»Netter Mensch, aber furchtbar zugeknöpft«, sagte Bird. »Je mehr man mit ihm spricht, desto weniger sagt er. Er kommt mir so vor wie zehn Austern, die Halleluja singen – es können auch elf sein. Was er über Mr. Maddisons Aufenthalt nicht weiß, sagt er auch nicht.«

»Soweit ich weiß«, sagte Danty nachdrücklich, »ist Maddison in Paris und scheint sich sehr gut zu amüsieren.«

»Nicht so laut vor dem Kind hier«, murmelte der Spatz und schloß seine Augen angstvoll. »Ich nehme an, das hat er ihr in seinem Telegramm mitgeteilt! Ich möchte zehn Millionen Pfund wetten, daß er keinen Brief geschickt hat.«

»Es ist besser, Sie fragen Mrs. Maddison danach«, sagte Danty und wäre weitergegangen, wenn die Hand des Detektivs ihn nicht aufgehalten hätte.

»Etwas möchte ich gerne wissen – haben Sie den Gunner gesehen?«

Er sah, wie der Mann zusammenfuhr.

»Den Gunner?« stotterte Danty. »Meinen Sie Haynes – den Menschen, der neulich unter Anklage stand? Soweit ich weiß, sitzt er im Gefängnis.«

»Sie lesen wohl keine Zeitung?« Der Spatz schüttelte bedauernd den Kopf. »Da werden nun in der Fleet-Street jährlich Millionen ausgegeben, Tausende von eifrigen, ehrlichen Reportern arbeiten wie der Teufel, um so viel Gutes und Wahres zusammenzubringen, daß das Lesen wirklich angenehm ist, und Sie lesen keine Zeitung! Die Anklage gegen Gunner wurde niedergeschlagen – er treibt sich jetzt in London herum.«

Danty hatte seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen, und sein Gesicht glich einer starren Maske.

»Ich habe wirklich keinerlei Interesse an solchen Verbrechern«, sagte er.

»Davon bin ich fest überzeugt!« sagte Mr. Bird bewundernd. »Ich will Ihnen mal einen Tipp geben, Morell – vermeiden Sie weite, offene Flächen, wo Männer bei Tage Männer sind und manchmal bei Nacht das Leben verlieren können. Ich habe niemals den berühmten Revolver des Gunner gesehen, aber vielleicht weiß er besser, wo er zu finden ist – wenn er ihn nötig hat! Auf Wiedersehen!«

Er sah hinter Danton her, der wütend den Weg hinunterschritt, und wandte sich dann mit einem breiten Lächeln an seine Begleiterin.

»Der Mann da ist mehr Gauner als ich Detektiv.«

»Das ist derselbe Mann, der mich mal eingeladen hat, nach dem Essen in seine Wohnung zu kommen und Wein mit ihm zu trinken«, lächelte Mary.

»Selbstverständlich ist er das!« sagte Bird. »Die kleine Episode vor der Bank hatte ich ja ganz vergessen.« Er kratzte sich gedankenvoll das Kinn. »Wer war denn damals bei ihm?« fragte er mit plötzlichem Interesse.

»Ein junger Mann, den ich vorher niemals gesehen hatte, aber Sie sagten, er wäre ein Spekulant und Spieler oder so etwas Ähnliches.«

Der Spatz pfiff überrascht vor sich hin.

»Sie waren zusammen in der Bank«, sagte er leise, »so gegen drei Uhr nachmittags, als ein Scheck über . . . neunzehntausend Pfund ausgezahlt wurde! Das ist alles sehr merkwürdig und schleierhaft.«

Als sie aber versuchte, ihre eigene Neugierde zu befriedigen und selbst das Rätsel zu lösen, war er ebenso zugeknöpft wie Mr. Steele.

Danty ging eilig davon, sein gewöhnlicher Gleichmut war aufs tiefste gestört. Er hatte damit gerechnet, daß der Gunner wenigstens drei Monate Gefängnis bekommen würde. Und innerhalb dreier Monate konnte man viel erledigen. Sein Plan hätte in dieser Zeit ausgearbeitet und ausgeführt werden und er hätte mit genügend Geld, um Jahre hindurch zu leben, verschwinden können, bevor Gunner Haynes imstande war, ihm auf die Spur zu kommen.

Als er Pall Mall erreichte, blieb er plötzlich betroffen stehen. Warum hatte ihn der Spatz gewarnt? Nichts hätte ihn mit der Verhaftung des Gunners in Verbindung bringen können, falls nicht – die Polizei ihn verraten hätte! Der Gunner wußte also Bescheid . . . merkwürdig wäre es aber doch, daß Haynes in der Zeit, wo er frei herumlief, keinen Versuch gemacht haben sollte, ihn zu sehen. Dieser Gedanke beruhigte Danton Morell etwas, und er machte sich auf den Weg zu Margaret.

Sie war ausgegangen, und er mußte in ihrem Salon über eine Stunde warten, bevor sie zurückkehrte. Dies allein war schon ein schlechtes Vorzeichen. Er hatte die Verabredung festgesetzt und nicht im Traum daran gedacht, daß sie diese nicht einhalten würde. Als sie hereinkam, machte er eine kleine Anspielung, fühlte aber sofort, daß er einen Fehler begangen hatte.

In diesen Tagen war Margaret niemals auch nur zehn Minuten hintereinander in derselben Stimmung, sie, die einst so leicht zu beeinflussen war, die so schnell bereit war, die furchtbarsten Anklagen gegen den Mann, den sie liebte, zu glauben, die niemals einen Versuch gemacht hatte, unabhängige, persönliche Untersuchungen anzustellen, diese Frau war jetzt außerordentlich schwierig zu überzeugen. Ständig fand er auf seinem Wege neue Hindernisse, neue Einwände; er hatte, wie es schien, jetzt gegen einen ganz anderen Menschen zu kämpfen, dessen Bestehen er nicht einmal vermutet hatte. An diesem Vormittag war sie in einer äußerst zurückhaltenden Stimmung.

»Sie haben sich wohl in der Zeit geirrt«, begann er. »Ich sagte doch, ich würde um elf Uhr –«

»Ich weiß es, aber ich bin aufgehalten worden.«

Er schluckte hart.

»Haben Sie Besorgungen gemacht?«

Sie schüttelte den Kopf und schien mehr Interesse für das Buch zu haben, das sie durchblätterte, als für Danton und seine Verabredung mit ihr. Er sah, es war ein Kursbuch.

»Ich dachte, Sie hätten keine Lust mehr, nach Madeira zu gehen? Wollen Sie doch verreisen?«

Sie antwortete nicht sofort.

Endlich hatte sie gefunden, was sie suchte, und ihr Finger lief an einer Zahlenreihe entlang.

»Ich verreise nicht«, sagte sie schließlich, »aber ich will jemand nach Spanien schicken – Mr. Steele glaubt, daß Luke, falls er ins Ausland gegangen ist, in Ronda sein wird, obgleich er jetzt noch nicht dort sein kann.«

Er starrte sie erstaunt an.

»Steele? Haben Sie ihn denn gesehen?«

»Ja«, sagte sie kurz.

»Aber Sie sagten doch, er wäre das letztemal, als Sie mit ihm sprachen, so unhöflich gewesen?«

Ein leises Lächeln spielte um ihre feingeschnittenen Lippen.

»Er wollte es auch heute sein – aber ich habe mich nicht abschrecken lassen«, sagte sie ruhig.

»Aber, meine liebe Margaret, Sie werden doch sicherlich Ihre Würde nicht so weit verlieren und hinter Luke herlaufen? Nach seinem Telegramm und dem zynischen Zugeständnis über seine . . . Tröstungen –«

»Luke war nicht in Paris«, sagte sie gelassen. »Mr. Steele hat heut morgen eine Mitteilung von ihm erhalten, nach der er die ganze Zeit in London gewesen ist, aber höchstwahrscheinlich bald nach Spanien gehen wird. Er bat Mr. Steele, ihm sein spanisches Scheckbuch nach dem Carlton in Madrid zu schicken. Luke hat ein Konto in der Spanischen National-Bank, an das er sich, wie es scheint, erst jetzt erinnert hat.«

Ein langes Schweigen. Danty war zu schlau, um noch einmal das Pariser Telegramm zu erwähnen.

»Sie wollen jemand nach Ronda schicken?«

Sie nickte.

»Aber was kann er denn machen?«

»Er kann mir mitteilen, wann Luke dort ankommt – und dann werde ich zu ihm fahren.«

Danty blickte sie sprachlos an.

»Zu ihm fahren?« wiederholte er schließlich ungläubig. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie alles vergessen haben . . . Rex . . . Rex' letzten Brief?«

Sie stand vor ihrem kleinen Schreibtisch und blickte gedankenvoll auf diesen . . . Die schlanke, graziöse Figur eines bezaubernden, jungen Mädchens.

»Als Rex . . .«, sie zögerte, »sich selbst . . . erschoß, konnte er nicht bei Sinnen gewesen sein. Er muß etwas mißverstanden haben. Es war ganz unmöglich, daß Luke so gehandelt haben konnte. Tag und Nacht, unaufhörlich, habe ich darüber nachgedacht.«

Danty konnte sich allen Verhältnissen anpassen; wenn aber die Verhältnisse durch die Launen einer Frau beeinflußt wurden, ging diese Aufgabe beinahe über seine Kräfte.

»Sie glauben also Ihrem Bruder nicht?«

Langsam wandten sich ihre Augen ihm zu.

»Ich glaube nicht einmal mir selbst«, sagte sie.

»Und mir?« forderte er sie heraus.

Sie zögerte.

»Ich glaube, daß Sie sich sehr eifrig in meinem Interesse bemüht haben«, sagte sie. »Und höchstwahrscheinlich hat meine Denkweise auch Sie beeinflußt – und dann, Rex hatte Sie sehr gern.«

Er lächelte bitter.

»Und das ist alles?«

»Was erwarteten Sie denn?«

Ihre Stimme verriet wirkliche Überraschung. Danton Morell fühlte, daß dies nicht der Augenblick war, um sein Glück zu versuchen. Er machte eine kurze, vielsagende Handbewegung und lächelte.

»Es tut mir leid – man ist ja auch nur Mensch; hat menschlichen Ehrgeiz, menschliche Gedanken, menschliche Hoffnungen.« Und bevor sie ihn unterbrechen konnte, fuhr er fort: »Ich glaube, ich bin immer gegen Maddison gewesen, habe ihn stets für einen Schwächling gehalten. Und ich habe noch immer die gleiche Meinung. Wenn einer von uns den anderen beeinflußt hat, so bin ich dies sicherlich gewesen.«

Instinktiv fühlte er, daß er die richtigen Worte gefunden hatte und zum erstenmal seit langer Zeit mit ihr übereinstimmte. Aber er mußte auch an seine eigenen Geschäfte denken!

»Ich habe kürzlich mit Ihnen über die Argentinischen Wasserkraft-Anlagen, die ich gründen will, gesprochen – Sie erinnern sich, ich habe Ihnen die Berichte darüber vorgelegt. Sie sagten, Sie würden ganz gern einige tausend Anteilscheine übernehmen.«

»Darüber wollte ich gerade mit Ihnen sprechen –« begann sie, aber er fiel ihr ins Wort.

»Heute morgen erhielt ich ein Kabel. Ich hatte versucht, einen der größten Anhänger meines Planes zu veranlassen, zurückzutreten – ich hatte ihm einen großen Anteil an meinem Unternehmen zugesagt – und er ist mir endlich entgegengekommen und hat eingewilligt. Ich kann Ihnen jetzt Aktien im Betrage von ungefähr hunderttausend Pfund abgeben.«

»Es tut mir leid« – ihr Ton war so bestimmt, daß es ihn kalt überlief – »aber ich kann nicht einmal eine einzige Aktie übernehmen. Ich habe in die Hände Mr. Steeles und Lukes Anwälten jeden Pfennig, den ich von ihm erhalten habe, zurückgegeben – das ist der Grund, warum ich Mr. Steele aufgesucht habe.«


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