Edgar Wallace
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Edgar Wallace

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11

Es war der dreizehnte Tag nach dem Verschwinden Luke Maddisons und ein bedeutungsvoller für seine Frau, da an diesem Tage die langen und qualvollen Stunden voller Zweifel und Ungewißheit, voller Selbstanklagen, die zuweilen zu Haß gegen sich selbst wurden, ein Ende fanden. Zweimal schon war sie nahe daran gewesen, die Polizei zu benachrichtigen, und zweimal hatte Danty sie daran verhindert.

Diese Zeit war auch voller Sorgen für Danty gewesen, aber aus einem ganz anderen Grunde. Daß Mr. Steele, der Prokurist der Maddison-Bank, nicht übermäßig besorgt zu sein schien, hatte Margaret zuerst erstaunt, dann aber in gewisser Weise getröstet. Sie vermutete oder war überzeugt, daß Luke ihm ihre Handlungsweise mitgeteilt hatte, denn als sie dem alten Steele den Scheck aushändigen wollte, wies dieser ihn mit großem Nachdruck zurück. Sie wußte ja nicht, daß in den Tagen, bevor sie die Hauptperson in Luke Maddisons Leben wurde, Luke die Angewohnheit hatte, von Zeit zu Zeit zu verschwinden, ohne jemand zu benachrichtigen. Unweigerlich kam dann eine Postkarte von Spanien, auf der er Steele mitteilte, wo er wäre und wann er zurückkommen würde. Dieses Land hatte einen besonderen Reiz für Luke Maddison. Er beherrschte seine Sprache wie ein Eingeborener. Er war einer der wenigen Engländer, die die Feinheiten des Stiergefechtes verstanden und schätzten, und er liebte nichts mehr, als sich in irgendeine kleine Wohnung in Cordoba oder Ronda zurückzuziehen und von dort aus das Land nach allen Richtungen zu durchstreifen.

Steele war unruhig – sicherlich – aber er hatte die Hoffnung, daß in dieser großen Krisis seines Lebens Luke Maddison dorthin geflüchtet war, wo er so viele glückliche Tage verbracht hatte.

Während dieser ganzen Wartezeit hatte sich Margaret Maddison zu Haus gehalten. Sie erschien nicht mehr in den Restaurants, in denen sie gewöhnlich zu finden war, und ihre wenigen Freunde zweifelten nicht daran, daß sie sich auf der Hochzeitsreise befand. Danty hatte ihr den Rat gegeben, sich im Auto nach einem der entfernten Dörfchen in Cornwall zu begeben und dort zu bleiben, bis der »Skandal«, wie er es nannte, vergessen wäre; aber sie machte sich zu viele Sorgen um Luke, um seinem Rate Folge leisten zu können.

An diesem dreizehnten Morgen war ein Telegramm für sie gekommen, und sie hatte gerade Danton Morell telephonisch gebeten, bei ihr vorzusprechen, als der Diener hereinkam und ihr eine Karte überreichte. Margaret las den Namen und runzelte die Stirn.

»Miß Mary Bolford?« Wer war denn das? »Sagen Sie, ich wäre nicht zu Haus.«

»Das habe ich bereits gesagt, gnädige Frau«, sagte der Diener, »aber sie nahm das ziemlich kühl auf und sagte, sie wüßte, Sie wären zu Haus, und bestand darauf, Sie zu sprechen.«

Margaret blickte von neuem auf die Karte. Auf der linken Seite, wo gewöhnlich die Adresse zu stehen pflegt, befanden sich die Worte »Daily Post Herald«. Sie sah die Nutzlosigkeit ein, das Interview vermeiden zu wollen, und hatte – unbekannt mit der Ethik des Journalismus – die Sorge, daß ihre Weigerung, den interessanten Reporter Miß Mary Bolford zu empfangen, vielleicht peinliche Konsequenzen für sie haben könnte.

»Ich lasse Miß Bolford bitten«, sagte sie schließlich.

Sie erwartete eigentlich eine Art Mannweib zu sehen oder zum mindesten ein weibliches Wesen, dessen intellektuelle Entwicklung auf Kosten ihrer äußeren Erscheinung stattgefunden hatte. Aber nicht im geringsten war sie auf das hübsche, junge Mädchen in elegantem Kostüm vorbereitet, das ohne jedes Anzeichen von Nervosität ihren Salon betrat.

»Sind Sie Miß Bolford?« fragte Margaret überrascht.

Das junge Mädchen bejahte lächelnd.

»Ich bin Reporter: ich nehme an, Mrs. Maddison, Sie haben das schon aus meiner Karte erraten!«

Mrs. Maddison! Es war das erstemal, daß man sie mit diesem Namen anredete, und irgendwie schien ihr dies die Tragödie der letzten vergangenen 12 Tage noch näherzubringen.

»Ich hatte dem Diener gesagt, daß ich für niemand zu sprechen wäre. Ich fühle mich nicht besonders wohl und bin in der Stadt geblieben –«

»Aus dem Grunde möchte ich ja mit Ihnen sprechen – darf ich mich setzen?«

Margaret wies auf einen Stuhl, und der junge, weibliche Reporter machte es sich bequem.

»Ich begreife völlig, daß Sie uns für entsetzliche Leute halten, wenn wir versuchen, in Ihre Privatangelegenheiten hineinzublicken, aber das ist nun mal unser Beruf«, begann sie mit beinahe beleidigender Offenheit. »Alle Zeitungsleser sind wild auf Romanzen, gleichgültig, ob es sich um traurige oder fröhliche handelt, und wir haben nun erfahren, daß Ihre Flitterwochen unterbrochen wurden und Ihr Gatte nach dem Ausland gegangen ist – hat er das überhaupt getan? – Mr. Steele, der Prokurist der Bank, ließ dies durchblicken, ohne es jedoch zugeben zu wollen.«

Für einen Augenblick antwortete Margaret nicht und sagte dann:

»Mein Mann ist im Ausland.«

»Wissen Sie, wo er ist?«

Margaret war auf einen so direkten Angriff nicht vorbereitet und wußte im Augenblick nicht, was antworten.

»Ja«, sagte sie zögernd. »Aber ich bezweifle, daß dies irgendwie Interesse für die Öffentlichkeit haben könnte.«

Mary Bolford sah Margaret prüfend mit ihren sprechenden, grauen Augen an.

»Entschuldigen Sie, bitte, Mrs. Maddison, aber ich glaube, ich kann Ihnen am besten helfen und mir selbst auch, wenn ich Ihnen gegenüber völlig offen bin. Wir haben gehört, daß Sie an Ihrem Hochzeitstage eine Meinungsverschiedenheit mit Ihrem Manne gehabt hätten und daß er –«

»Seiner Wege ging?« schlug Margaret kühl vor.

»Nein, nicht ganz so. Die Wahrheit ist, ich habe einen guten Freund in Scotland Yard, der heute bei mir war, um mich zu fragen, ob wir von der Zeitung etwas über Mr. Maddisons Aufenthalt wüßten. Und wir wissen natürlich nichts. Mr. Bird war etwas zurückhaltend –«

»Wer ist denn Mr. Bird«, fragte Margaret mechanisch. Sie wollte Zeit gewinnen. Schon allein die Erwähnung von Scotland Yard erschreckte sie.

Die junge Reporterin erklärte ihr, wer Mr. Bird war, und von neuem dachte Margaret schnell nach.

»Gesetzt den Fall, ich gebe zu, daß wir uns gestritten haben? Glauben Sie, daß dies das Publikum interessieren würde?«

Zu ihrer eigenen Überraschung fand sie, daß sie ganz zufällig eine Erklärung für das Verschwinden Lukes gefunden hatte, die man ohne weiteres annehmen konnte.

»Selbstverständlich nicht! Sie müssen ja denken, daß es eine große Unverfrorenheit von mir ist, überhaupt hierher zu kommen. Es liegt uns ja gar nichts daran, unsere Nase – wenn ich mich so ausdrücken darf – in rein persönliche Angelegenheiten zu stecken. Wenn eine Meinungsverschiedenheit die Erklärung ist, so kann ich nur um Entschuldigung bitten und versuchen, einen möglichst vorteilhaften Abgang zu finden!«

Sie stand rasch auf, aber in ihren lachenden, grauen Augen konnte Margaret Sympathie für sich selbst lesen.

»Sehen Sie«, fuhr sie fort, »wenn Mr. Maddison an seinem Hochzeitstage abgerufen worden wäre, um eine große finanzielle Operation durchzuführen, oder aus einem anderen Grunde als den – nun, den Sie mir eben angegeben haben, dann würde es eine wirklich interessante Geschichte gewesen sein. Ich bitte nochmals um Entschuldigung, Mrs. Maddison.« Sie streckte impulsiv ihre Hand aus, und Margaret ergriff sie.

»Ich bedauere es, für Sie – aber für mich auch«, sagte sie seufzend. Und dann sah Mary Bolford, wie ihre Züge hart wurden. »Ich habe es gestern bedauert – vielleicht heute nicht mehr. Das klingt ziemlich rätselhaft, und ich hoffe, Sie werden nicht versuchen, das zu ergründen.«

Sie begleitete das junge Mädchen bis an die Treppe und wartete, bis sie die Haustür hinter ihr ins Schloß fallen hörte.

Danty war in der Zwischenzeit gekommen, und sie hatte gehört, wie der Diener ihn in ein kleines Vorzimmer geführt hatte, das neben ihrem Salon lag. Sie öffnete die Tür.

»Kommen Sie, bitte, herein«, sagte sie.

»Wer war denn das?« fragte Danton Morell etwas unruhig. »Fenning sagte, es wäre ein Reporter. Was wollte er denn?«

Margaret lächelte müde.

»Sie versuchte, in meiner Trauung etwas Romantisches zu finden«, antwortete sie. »Ich befürchte, sogar sie wird damit kein Glück haben – lesen Sie das bitte.«

Sie öffnete ein Schubfach ihres Schreibtisches und nahm einen zusammengefalteten Bogen Papier heraus: ein Telegramm, gerichtet an Margaret Maddison:

»Du kannst kaum erwarten, daß ich zu Dir zurückkehre. In einigen Monaten werde ich Dir genügend Material verschaffen, um eine Scheidungsklage gegen mich einzureichen. Ich bin nicht völlig mittellos, daher auch nicht gänzlich ohne angenehme Tröstung.«

Es trug die Unterschrift »Luke« und war am gleichen Morgen um acht Uhr dreißig in Paris aufgegeben worden.

»Nun weiß ich ja Bescheid«, sagte sie. Ihr Ton war leicht, aber in ihrem Herzen war ein Aufruhr, den sie nicht für möglich gehalten hätte.

Tröstung! Und das war Luke Maddison, der Idealist! – ein ganz gewöhnlicher Schürzenjäger, der zu – Tröstungen geflohen war!

»Ich wundere mich eigentlich, daß Sie überhaupt Nachricht erhalten haben«, sagte Danton ernst. »Ich hätte gar nicht angenommen, daß er sich die Mühe geben würde, zu telegraphieren.«

Sie zuckte die Schultern.

»Steele kennt wahrscheinlich seine Adresse und hat ihm telegraphiert, daß die Polizei Recherchen anstellt –«

»Die Polizei?« Dantys Stimme war scharf. »Von wem wissen Sie denn, daß die Polizei sich damit befaßt?«

Sie wiederholte ihm, was Mary Bolford ihr erzählt hatte, und sah, wie sein Gesicht unruhig wurde.

»Der Spatz – das ist der Beiname, den man Bird gegeben hat. Ist er denn hier gewesen?«

Sie schüttelte verneinend den Kopf. Er dachte tief nach, seine Haltung war einige Augenblicke gespannt, seine Augen halb geschlossen, und seine Gedanken waren weit weg.

»Was werden Sie nun tun?« fragte er sie endlich.

»Jetzt? Ich reise am Sonnabend nach Madeira. Die Seereise wird mir sehr gut tun, und es wird mir erspart bleiben, über – über Paris zu reisen.« Ihre Lippen verzogen sich verächtlich.

Sie bemerkte, daß er etwas verstört war, und erfuhr auch sofort den Grund.

»Ich glaube nicht, daß ich am Sonnabend reisen kann –« begann er hastig, und sie lächelte.

»Es liegt doch auch gar keine Notwendigkeit für Sie vor, zu verreisen. Ich fahre allein. Ich möchte über so vieles nachdenken, und eine Insel ist ein wundervoller, der einzig richtige Platz dafür.«

Er war enttäuscht, ließ es aber nicht merken.

»Wie lange werden Sie fortbleiben?«

»Vielleicht einen Monat«, antwortete sie.

»Ich habe die Absicht, einen großen Dienst von Ihnen zu erbitten, und zwar, sich meiner Angelegenheiten anzunehmen – wahrscheinlich werde ich Ihnen eine Generalvollmacht geben; sicherlich werden Sie einen besseren Gebrauch davon machen als ich mit Lukes!«

Hätte sie ihn angesehen, wäre ihr sicherlich die Erleichterung in seinen Zügen aufgefallen.

»Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht«, war Dantys Antwort.

Der Rest ihrer Unterhaltung bewegte sich in allgemeinen Bahnen, und kurz darauf verließ er sie.

Als er gegangen war, blickte sie in die Morgenzeitung und hatte mehr Interesse für Wetterberichte als für alles andere. Auf einer der Hauptseiten des Post Herald sah sie die Photographie eines hageren, unrasierten Mannes. Die Aufnahme hatte augenscheinlich im Hospital stattgefunden. Seine Augen waren geschlossen, und unterhalb des Kinnes sah man noch einen Teil der Bettdecke.

»KENNEN SIE DIESEN MANN?«

war die Unterschrift des Bildes.

Sie durchflog den dazugehörigen Artikel und fand, daß es sich um einen Mord handelte, der im südlichen London begangen war, daß der Mann auf der Photographie dabei beteiligt gewesen und dem Tode nur wie durch ein Wunder entgangen war. Nicht einmal sein nächster Freund würde Luke Maddison erkannt haben, denn die Aufnahme war erst am elften Tage seines Aufenthaltes im Hospital und noch dazu bei sehr trübem Licht gemacht worden.


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