Edgar Wallace
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Edgar Wallace

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7

Der Morgen fand Margaret Leferre ratlos und verzweifelt. Dreimal war sie an das Telephon gegangen, um Luke anzurufen; dreimal hatte sie den Hörer wieder niedergelegt. Und dann kam Mr. Danty Morell. Zuerst wollte sie ihn nicht empfangen. In dem Wirbel ihrer Gedanken ließ sein Erscheinen die grauenhafte Wirklichkeit noch abstoßender erscheinen, eine Wirklichkeit, die sie am liebsten von sich abgewehrt hätte.

Der Tag graute, nach einer Nacht voller Träume, entsetzlicher Träume, in denen der tote Rex, Luke und Anwälte sich in wildem Reigen über die Abfassung des Heiratsvertrages stritten. Und aus all diesen Traumgestalten hatte sich eine Tatsache klar hervorgehoben: sie haßte Luke – haßte ihn mit einem Nachdruck, der alle Vernunftsgründe erstickte. Sie versuchte, die Zeit zurückzurufen, in der er alles in der Welt für sie bedeutete, die Zeit, wo ihr Herz bei dem Ton seiner Stimme schneller schlug, die Zeit, wo ein Tag ohne seine Gegenwart ihr dunkel erschienen war. Verzweiflungsvoll kämpfte ihr eigener, schwindender Selbstrespekt, verzweifelt suchte sie die Stunden zurückzurufen, wo er Alles für sie bedeutete. Sie versuchte, Entschuldigungen für ihn zu finden – und der Versuch schürte die Flamme des Hasses noch mehr. Sie begann sich selbst zu hassen – wegen des unerhörten Verrates, den sie vorhatte. Und daß sie mit einem Mann ein Komplott eingegangen war, der noch wenige Monate vorher ihr völlig fremd war, machte die Sachlage nur noch schwieriger für sie.

In dieser Stimmung fand Danton Margaret Leferre. Er war in düsterem Schwarz, und selbst in seiner Kopfbedeckung lag mehr eine Anspielung auf eine Trauerfeierlichkeit als auf eine Hochzeit.

Ohne irgendwelche Vorrede – sie hatte sich schon so weit mit ihm eingelassen, daß Verstellung unnötig war – begann sie:

»Ich kann es nicht durchführen, Danton –« niemals hatte sie sich an das familiäre ›Danty‹ gewöhnen können – »ich habe mich entschlossen, Luke anzurufen und ihm alles zu erzählen. Es ist furchtbar – ich kann es nicht.«

Er war viel zu geschickt, um gegen ihren Entschluß anzukämpfen, hatte auch in der elften Stunde etwas Derartiges erwartet.

»Um genau zu sein, was ist denn eigentlich furchtbar?« fragte er. »Es gibt verschiedene furchtbare Seiten dieser ganzen Angelegenheit, die mir sehr zu Herzen gehen. Aber . . . ich kann über diese nicht mit Ihnen sprechen – selbstverständlich, es ist mehr als furchtbar, daß Sie ihn hassen und sich doch selbst zum Opfer bringen müssen. Als Luke mir erzählte, daß er seine Flitterwochen in Paris verbringen wollte . . . angenehm war mir der Gedanke wirklich nicht. Warum Sie überhaupt auf eine Hochzeitsreise gehen müssen, ist mir völlig unverständlich. – Erinnern Sie sich an das junge Mädchen, ich glaube eine Miß Fletcher, die ihr Bein brach, als sie in den Wagen stieg . . . selbstverständlich ist es abscheulich, derartige Dinge vorzuschlagen, aber – ich kenne einen Doktor, der Ihnen ohne weiteres ein Attest über einen verrenkten Knöchel ausstellen . . .«

Sie schüttelte den Kopf, dachte aber augenscheinlich über diesen Vorschlag nach. Sie mußte den Höhepunkt des Dramas sofort zu erreichen versuchen. Mußte vor der Tür des Standesamts die ganze Wahrheit erzählen – oder die Heirat durfte überhaupt nicht stattfinden. Die Tinte auf dem Heiratskontrakt war noch frisch, und sie mußte ihm erzählen, daß sie vorsätzlich darauf ausgegangen war, ihn zu ruinieren. Sie durfte nicht mehr zaudern. Ein schnelles Ende, solange der Haß noch in ihr loderte, bevor vielleicht eine sentimentale Regung, ein Gefühl von Mitleid in ihr aufkam und sie an einen Mann fesselte, den sie im Innersten verabscheute.

Danty sah, wie sie schwankte. Jetzt war der Moment gekommen, ihren Widerwillen gegen Luke zu verstärken. Eine Waffe hatte er in der Hand, und diese hatte er sorgfältig bis zum letzten Augenblick aufbewahrt.

»Ich nehme an, Sie wundern sich, warum ich gegen Maddison bin?« sagte er.

Es lag kein Grund für diese Frage vor. Er hatte ihr keinen Zweifel gelassen, daß er Luke aus mehr Gründen haßte, als sie sich denken konnte, aber Danton war ein viel zu guter Taktiker, um den Gedanken in ihr aufkommen zu lassen, er betrachtete Luke Maddison als einen Rivalen. Das würde ihn aus der Atmosphäre der uneigennützigen Freundschaft herausgebracht haben, würde jede Handlung, jedes Wort in einem anderen Licht erscheinen lassen. Und doch, mit jedem Tag, der vorüberging, fand er es schwieriger und immer schwieriger, seine Leidenschaft für sie zu verbergen. Sie war so ganz anders als all die Frauen, die er gekannt hatte, so unendlich verschieden von der Art der Millie Haynes . . . eine Dame, eine große Dame . . . eine Angehörige der Klasse, gegen die er unaufhörlich gekämpft hatte. Er mußte sich im Zaum halten, um nicht aus der Rolle des platonischen Freundes zu fallen. Ein einziger falscher Schachzug, und er war verloren.

»Ich hasse ihn, weil ich Rex gern hatte, ihn liebte – und er wird Rex niemals in Ruhe lassen. Der arme Junge ist kaum unter der Erde, und schon erhebt er eine der unglaublichsten Anklagen gegen ihn –«

»Was?« fuhr sie hoch.

»Fälschung! Sie würden es nicht für möglich halten, aber Luke erzählte mir wenige Tage nach Rex' Tode im Vertrauen, daß der arme Junge einen Scheck über achtzehntausend Pfund gefälscht hätte. Eine törichte Anklage, wie ich ihm auch sagte – denn ich war ja mit Rex zusammen, als Luke Maddison ihm den Scheck aushändigte.«

Sie saß bewegungslos, mit zusammengepreßten Lippen, und ihre Augen funkelten empört.

»Das hat er gesagt?«

Sie sprach so leise, daß man kaum ihre Worte verstehen konnte. »Daß Rex gefälscht hat . . . aber so etwas kann er nicht getan haben . . . wie gemein!«

Morell sah, wie ihre Lippen zuckten, wußte, sein Augenblick war gekommen. Er beugte sich zu ihr und sprach . . . sprach . . . schnell, nachdrücklich. Er sprach von Dingen, die zu anderer Zeit ihre Empörung entfacht hätten – sie lauschte unbewegt – Wut, Empörung kämpften allein in ihr – aber noch sprach in ihrem Innern eine schwache, protestierende Stimme, sagte ihr, daß sie nicht lauschen dürfte, aber diese Stimme wurde schwächer und schwächer und verlosch.

Um zwei Uhr stieg sie vor der Tür des Standesamtes in Marylebone aus dem Wagen, und Luke, der sie in dem Vorraum erwartete, begrüßte die blasseste Braut, die jemals dieses Tor durchschritten hatte.

Sie sprach kein Wort, beantwortete nur die Fragen, die an sie gerichtet wurden. Schaudernd fühlte sie den Ehering auf ihren Finger gleiten . . .

Alles war so schnell vorübergegangen, daß sie kaum glauben konnte, der erste Akt ihrer Rache war vorüber. Man reichte ihr einen Federhalter, ein dicker Zeigefinger wies ihr die Stelle, wo sie ihren Namen hinzusetzen hatte. Lange Zeit hielt sie regungslos den Halter in der Hand, und als sie schließlich schrieb, schwankte er in ihren Fingern, und die gekritzelte Unterschrift starrte ihr fremd und unbekannt entgegen.

Und am gleichen Abend noch die Abreise nach Paris . . . war es Hotel Meurice oder war es das Bristol? Ihre Gedanken konnten sich über diese Einzelheiten nicht klar werden . . . was kam auch darauf an, wenn nur ihr Mut sie nicht verließ. Froh war sie, daß die Trauung um zwei Uhr stattgefunden hatte, sie konnte nach Haus zurückfahren – Luke kam zum Diner, und dann würden sie sofort abreisen, um das Nachtboot in Southampton zu erreichen.

»Mein Weib! Es ist wundervoll – unfaßbar!«

Lukes Stimme zitterte. Sie saßen allein in ihrem hübschen, kleinen Salon, er an ihrer Seite, sein Arm um ihre Schultern gelegt. Sehr still und gerade saß sie, aber er glaubte sie zu verstehen.

Luke war außer sich vor freudiger Erregung – wie ein Schuljunge, der ein neues und wundervolles Geschenk erhalten hat.

»Hast du übrigens den merkwürdigen Menschen gesehen, der auf dem Bürgersteig stand, als wir herauskamen? Er heißt Lewing – ein Dieb oder irgend so ein Gauner. Ich möchte wissen, ob er auf Taschendiebstahl aus war? Wetten, daß er aus diesem Grunde da war . . . hat mich sogar gegrüßt, als ich herauskam . . .«, erzählte er belustigt.

Sie hörte nicht zu, und als er sie verlassen hatte, konnte sie sich nur an einige Worte erinnern, die er über Rex gesprochen hatte. Wie hatte er nur den armen Jungen erwähnen können! Danty klingelte an, aber sie wollte ihn nicht sehen, nicht sprechen. Sie war jetzt auf sich allein angewiesen, mußte ohne fremde Hilfe durchkommen. Sie erwartete Luke um sieben Uhr. Gegen sechs rief sie ihn an und hatte einen Augenblick panischer Furcht, weil sie glaubte, er hätte schon seine Wohnung verlassen und wäre nicht zu erreichen. Dann hörte sie seine Stimme.

»Liebling . . . ist es nicht merkwürdig? Ich kann es immer noch nicht glauben – ich komme mir immer noch wie ein vertrockneter, alter Junggeselle vor und . . .«

»Luke, ich möchte dich um etwas bitten«, endlich fand sie ihre Stimme. »Nein . . . nein, bitte, unterbrich mich nicht . . . es ist so viel, was ich verlange. Ich möchte heute abend nicht abreisen . . . nicht morgen oder übermorgen . . . ich möchte allein sein. Möchte niemand sehen . . . auch dich nicht. Meine Nerven versagen . . . Ich befürchte, ich breche zusammen.«

Und sie fuhr fort, zusammenhangslos, zögernd, und er lauschte mit einem ständig größer werdenden Gefühl von Besorgnis und Enttäuschung. Und doch dachte er nicht an sich.

»Ich bin ein großer Egoist gewesen. Selbstverständlich, mein Liebling . . . ich kann alles begreifen.«

Die ganze Unterhaltung nahm kaum fünf Minuten in Anspruch; er konnte sich kaum darüber klarwerden, was eigentlich vorgegangen war, wozu er seine Zustimmung gegeben hatte, als er an seinem Schreibtisch saß und mit leeren Augen auf die Telegrammformulare starrte, die so viele geplante, verlockende Abmachungen aufheben sollten.

Danty stand an der Barriere des Waterloo-Bahnhofs und sah die Reisenden, die den Dampferzug benutzen wollten, an sich vorbeigehen. Er sah, wie der Zug sich in Bewegung setzte, wie das rote Schlußlicht in der Dunkelheit verschwand, und ging langsam nach Haus. Er summte ein kleines Liedchen vor sich hin. Mr. und Mrs. Luke Maddison waren nicht unter den Reisenden gewesen.


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