Edgar Wallace
Die seltsame Gräfin
Edgar Wallace

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9

»Ein Detektiv?« fragte Lady Moron. »Ich wüßte wirklich nicht, warum Sie sich über Detektive zu ärgern brauchten, Chesney. Sie sind hoffentlich kein Verbrecher?«

»Natürlich bin ich das nicht«, erwiderte er schroff, fast grob, »aber ich hasse diesen Burschen. Er heißt Dorn – Michael Dorn. Er ist der einzige Privatdetektiv in England, der etwas taugt. Sie ziehen ihn sogar in Scotland Yard zu Beratungen hinzu, sie halten dort sehr viel von ihm. Er war der Mann, der die Razzia im Limbo-Klub organisierte, und er versuchte mich, als einen der Besitzer, für schuldig zu erklären. Aber da hatte er sich getäuscht.«

Michael Dorn war jetzt außer Sehweite gekommen, und das Mädchen war dankbar, daß sich das Interesse dieser Menschen so auf ihn konzentrierte, daß man sie nicht beachtete, sonst hätte sie ihre Bekanntschaft mit ihm verraten.

Ein Detektiv!

»Dieser Kerl ist frech wie der Teufel«, fuhr Chesney Praye fort und wiederholte dabei unbewußt Lizzys Worte. »Er ist skrupellos und würde seine eigene Tante einbuchten, um sie zu überführen. Er war Polizeikommissar in Indien, gab aber diesen Posten auf und nahm sich eines afrikanischen Millionärs an, der einige Dokumente verloren hatte und ihm für die Wiederbeschaffung ein Vermögen bezahlte – das ist wenigstens das, was ich über ihn weiß.«

Was für ein Mann war Chesney Praye, daß er eine solche Sprache in Gegenwart der vornehmen Gräfin führen durfte? Lois hatte von Männern und Frauen gehört, die eine so gefestigte Stellung im Haushalt des hohen Adels einnahmen, daß sie familiär mit den Leuten sprechen durften, die sie bezahlten. Sie nahm an, daß dies ein solcher Fall war.

Aber Lord Moron protestierte.

»Ich liebe das Wort ›einbuchten‹ nicht«, sagte er aufgeregt. »So gemeine Ausdrücke gebraucht man in Gegenwart einer Dame nicht! Haben Sie verstanden?«

Wieder schüchterten ihn die drohenden Augen seiner Mutter ein.

»Es verletzt mich nicht, Selwyn, und du hast auch keinen Grund, anzunehmen, daß sich meine Sekretärin beleidigt fühlen könnte.«

Er senkte den Blick, murmelte etwas Zusammenhangloses und schlich sich schuldbewußt aus dem Raum. Lois wäre ihm gern gefolgt, aber sie fand keine Entschuldigung. Gleich darauf verabschiedete die Gräfin Chesney Praye.

»Sie müssen jetzt gehen, Chesney. Ich möchte mit Miss Reddle ein wenig sprechen.«

Chesney verneigte sich mit seinem stets bereiten Lächeln formvollendet vor ihr. Er beugte sich nieder, um ihre große, weiße Hand zu küssen, die mit so vielen Juwelen geschmückt war, daß Lois neugierig war, ob er sich nicht die Lippen daran schneiden würde.

»Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen, gnädiges Fräulein«, sagte er lebhaft, als er Lois' Hand mit unnötigem Druck schüttelte und seinen strahlenden Blick nicht von ihr wandte. »Ich darf ihr London ein wenig zeigen, nicht wahr, Gräfin? Ist sie vom Lande?«

»Miss Reddle lebt schon einige Jahre in der Stadt«, sagte Lady Moron, und ihr tadelnder Ton würde die meisten Menschen entmutigt haben weiterzusprechen. Aber Mr. Chesney gehörte nicht zu ihnen.

»Wahrscheinlich hat sie aber noch nicht die interessanten Dinge gesehen, die ich ihr zeigen werde. Vielleicht erlaubt Mylady, daß Sie einmal abends ausgehen und im Klub speisen. Tanzen Sie?«

»Wenn es mir gestattet ist, mir meine Partner selbst zu wählen, tanze ich sehr gern«, sagte Lois.

»Sie werden mich wählen«, erwiderte er, »ich bin ein ausgezeichneter Tänzer!« Und damit empfahl er sich.

Erst einige Zeit nachdem sie allein waren, sprach Lady Moron. Sie stand noch am Fenster und hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt.

Sie blickte auf den Platz hinunter, und Lois dachte, sie hätte ihre Angelegenheiten vergessen.

»Es ist heute nichts für Sie zu tun«, sagte die Gräfin, ohne den Kopf zu wenden. »Ich habe alle meine Briefe schon beantwortet. Wir speisen um halb zwei, und Sie nehmen die Mahlzeiten natürlich mit uns zusammen ein. Um acht Uhr wird zu Abend gegessen. Es ist Ihnen gestattet, jeweils am Nachmittag zwischen fünf und zehn Uhr auszugehen, und die Weekends, die ich auf dem Lande verbringe, gehören Ihnen. Das ist zunächst alles. Ich danke Ihnen, Miss Reddle.«

Nach dieser Verabschiedung ging Lois in ihr Zimmer. Sie wußte aber nicht, was sie während der kurzen Zeit bis zum Essen noch beginnen sollte.

 

Als Chesney Praye das Haus am Chester Square verließ, sah er sich nach rechts und links um und entdeckte sofort den Gesuchten. Nachlässig stand er an der Ecke der Straße und wandte ihm den Rücken zu. Chesney zögerte einen Augenblick, dann ging er entschlossen auf den scheinbar nichtsahnenden Michael Dorn zu.

»Sehen Sie mal an, Dorn!«

Der Detektiv wandte sich langsam um

»Guten Morgen«, sagte er und hob die Augenbrauen, als ob Praye der letzte gewesen wäre, den er zu dieser Zeit hier erwartet hätte.

»Warum sind Sie hinter mir her?«

»Hinter Ihnen her? Ach, Sie meinen, daß ich Ihnen folge?«

»Was wollen Sie von mir?« fragte der andere grob.

Dorn schaute ihn nachdenklich an.

»Haben Sie den Eindruck, daß ich hinter Ihnen her bin?«

»Ich habe nicht den Eindruck – ich weiß es!« Chesneys Gesicht färbte sich dunkler. »Ich sah Sie heute morgen ganz genau, als ich aus meiner Wohnung in der St. James' Street kam, und dachte, Sie seien zufällig dort. Einer Ihrer Spürhunde war im Limbo-Klub und hat die Kellner ausgehorcht. Was wollen Sie von mir?«

»Ich bin neugierig«, murmelte Michael, »ich bin nur neugierig. Ich bin dabei, ein Buch über ungewöhnliche Verbrechen zu schreiben, und darin sind natürlich ein paar Seiten für Sie reserviert.«

Chesney Prayes Augen waren nur noch Schlitze, als er Michael an der Weste faßte.

»Ich will Ihnen einen guten Rat geben, Dorn«, sagte er. »Lassen Sie die Finger davon – oder Sie werden sich verbrennen!«

»Ein guter Rat ist des andern wert«, entgegnete der Detektiv. »Nehmen Sie Ihre Hand von meiner Weste, oder Sie bekommen einen Fußtritt!«

Er sagte das in der höflichsten Art, aber der aufgeregte Mann wußte, daß jedes Wort so gemeint war, wie es gesagt wurde, und zog seine Hand zurück. Bevor er sich wieder in der Gewalt hatte, sprach Dorn weiter.

»Sie haben einen guten Posten, Praye – verlieren Sie ihn nicht. Ich weiß, daß Sie eine sehr vornehme Dame in finanziellen Angelegenheiten beraten. Wenn ich zufällig höre, daß Sie ihr raten, Geld in Ihren wilden Unternehmungen anzulegen oder einen der kleinen Spielklubs zu finanzieren, mit denen Sie in der letzten Zeit so einträgliche Geschäfte machen, werde ich Sie von der Polizei verhaften lassen.«

»Sie verdammter Schnüffler!» fuhr der andere heftig auf.

»Ich habe Sie gewarnt«, sagte Dorn.

»Sie sind hier nicht in Indien –« begann Chesney wieder. Zu spät erkannte er seinen Fehler.

»Das stimmt – ich bin nicht in Indien, Sie aber auch nicht.« Michaels Stimme war sanft, fast weich. »Vor sieben Jahren war ich dort – in Delhi –, da gab es auch einen smarten jungen Regierungsbeamten, Finanzberater einiger indischer Fürsten, dessen Abrechnungen recht sonderbar waren. Bei der Nachprüfung fehlten zwanzigtausend Pfund. Man wußte nicht, wo das Geld geblieben war. Allgemein nahm man an, daß der Beamte schwachsinnig sei und keine Straftat vorliege. Er wurde aus dem Staatsdienst entlassen, aber man erhob keine Anklage gegen ihn.«

Chesney Praye wurde unruhig.

»Ich gab damals den Rat, die Anklage und den Prozeß gegen ihn streng durchzuführen«, fuhr Dorn fort. »Denn ich wußte, daß das fehlende Geld in Wirklichkeit bei der Bank in Bombay auf den Namen einer Freundin deponiert war. Die hohen Beamten in Simla fürchteten aber einen Skandal, und so kam es, daß der Dieb« – er machte eine Pause und sah, daß Chesney zusammenzuckte – »sein auf unredliche Weise erworbenes Geld nach Europa verschieben konnte. Jetzt begegne ich demselben Mann hier, und zwar wieder in der Rolle eines Finanzberaters!«

Chesney räusperte sich, er fand seine Stimme wieder.

»Es gibt in England ein Gesetz gegen Beleidigungen –«

»Es gibt auch verschiedene andere Gesetze, vor allem die vorzüglichen Strafgesetze. Und die Bestimmung der Bewährungsfrist erstreckt sich nicht auf schwere Verbrechen. Ein einziger scharfer Artikel in einer unabhängigen Zeitung, und man muß Sie packen, ob die Regierung will oder nicht.«

Chesney Praye sah erst nach der einen, dann nach der anderen Seite, raffte sich dann zusammen und schaute dem Detektiv gerade in die Augen. Sein Gesicht war bleich.

»Ich habe Sie nicht mit diesem Geschäft belästigt«, sagte er. »Ich wußte, daß ich irgendwo im Hintergrund einen Feind hatte. Das waren Sie, nicht wahr?«

Dorn nickte.

»Das war ich. Übrigens – wo ist Ihr liederlicher Freund geblieben, dieser Dr. Tappatt? Ich dachte, er hätte sich zu Tode getrunken, aber wie ich hörte, ist er in London. Vor einem Jahr machten Sie ihn mit der Gräfin bekannt. Haben Sie ihr von seinem merkwürdigen Ruf erzählt? Er ist wahrscheinlich ihr medizinischer Berater geworden? Oder unterhält er vielleicht jetzt eins der berüchtigten nichtangemeldeten Irrenhäuser? Früher oder später kommt dieser Mann an den Galgen.«

Praye gab keine Antwort. Sein Gesicht zuckte nervös. Einen Augenblick lang hatte er den wahnwitzigen Wunsch, auf seinen Quäler loszuschlagen, aber er beherrschte sich.

»Ich sehe nicht ein, warum wir uns über die Vergangenheit streiten«, sagte er ruhig. »Sie irren, wenn Sie glauben, daß ich aus diesem Delhigeschäft Geld gezogen hätte. Tappatt habe ich schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Aber ich weiß, daß ich Sie nicht überzeugen kann. Wir wollen das Kriegsbeil begraben.«

Michael Dorn übersah die Hand, die ihm Praye hinhielt.

»Wenn ich das Kriegsbeil mit Ihnen begrabe, Praye, mache ich mir nur die Unkosten, ein neues kaufen zu müssen. Gehen Sie Ihren Weg und machen Sie keine Seitensprünge. Wenn Sie aber mit mir zusammenstoßen, werde ich Sie treffen, und zwar schwer.«

Er sah den flammenden Haß in den Augen des anderen, aber sein Blick blieb fest. Plötzlich drehte sich Praye um und ging fort.

Der Detektiv wartete, bis er außer Sehweite war, dann schlenderte er durch eine Seitenstraße, ging an der Rückseite der Hintergebäude von Chester Square 307 entlang und untersuchte sie sorgfältig. Die Ställe und Garagen auf der anderen Seite der engen Gasse interessierten ihn sehr, und es dauerte einige Zeit, bis er sich dort umgesehen hatte. Er traf dort den schweigsamen Mann, den er auf Erkundigungen geschickt hatte.

»Wills, hier in dieser Gasse ist eine Garage zu vermieten. Ich glaube, daß sie der Gräfin gehört, ihre eigenen Wagen stehen in der Belgrave-Garage. Gehen Sie zu den Agenten und sagen Sie ihnen, daß Sie sie mieten möchten. Bringen Sie den Schlüssel, wenn möglich noch heute abend, aber bestimmt morgen früh.«

Er händigte Wills eine Notiz mit der Adresse der Agenten aus, und der schweigsame Mann entfernte sich ohne ein Wort. Er fragte niemals etwas, und das war in Michael Dorns Augen sein größter Vorzug.

Michael kam von der entgegengesetzten Seite zum Chester Square zurück. Lady Morons großer Rolls Royce stand vor der Einfahrt, und gleich darauf sah er die Gräfin mit ihrem Sohn einsteigen und fortfahren. Sie würde wohl Einkäufe machen und zum Essen zurückkommen, dachte er und schlenderte den Gehsteig entlang. Er verlangsamte seinen Schritt, als er dem Haus gegenüber war. Von Lois war nichts zu sehen, aber Michael Dorn blieb trotzdem in der Nähe. Denn es war nicht Lois, die er zu sehen wünschte. Der Mann, auf den er wartete, kam zehn Minuten nach der Abfahrt der Gräfin aus dem Haus. Er war groß und breitschultrig und hatte ein etwas unangenehmes Gesicht. Michael erkannte den Butler der Lady Moron und folgte ihm in einiger Entfernung, und dies brachte ihm mancherlei Vorteil und Aufklärung.

 


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