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Elftes Kapitel.
Ein Heiratsantrag

Wochen waren vergangen seit jener Begegnung auf dem Friedhof. Noch immer beschäftigte Ella der fremde, teilnehmende Herr. Sie hatte ihn seit jenem Abend nicht wiedergesehen und dennoch wäre ihr eine nochmalige Begegnung mit ihm nicht unangenehm gewesen; nicht etwa, weil sie Eduard über dessen Erscheinung vergessen hätte. Nein, die Liebe zu ihm vermochte keine Macht der Erde aus ihrem Herzen zu reißen.

Aber jener fremde, schöne Mann schien, wie sie, unglücklich; in zu Herzen gehenden Worten hatte er ihr Trost zugesprochen, und da war es kein Wunder, daß sie ihm auch gern, ihre Teilnahme kundgeben mochte, umsomehr, als ihr bei der ersten Begegnung Ort und Umstände Schweigen auferlegten.

Wochen waren vergangen, da sollte sie plötzlich auf eigentümliche Art an den Fremden erinnert werden.

Es war am Morgen. Ella hatte eben ihre Toilette beendet und schickte sich an, eine am vorigen Tage begonnene Kunststickerei, ihre Lieblingsbeschäftigung, fortzusetzen, als Jordan, ihr Pflegevater, eintrat, der Einzige, der allein oder in Gemeinschaft mit seiner wackeren Gattin, Ella hier aufzusuchen pflegte, nachdem ihre Freundin das Haus verlassen hatte, um eine Stellung als Gesellschafterin anzutreten.

Nach kurzem, herzlichem Gruß überreichte Jordan dem überraschten Mädchen einen Brief, überrascht, – denn seit dem Tode des Vaters hatte Ella keinen Brief erhalten. Wer sollte denn auch der Unglücklichen schreiben? Das Unglück löst ja alle Bande, auch die der Freundschaft.

Ella betrachtete den Brief von allen Seiten, während die Hand in der sie ihn hielt, merklich zitterte; glaubte sie doch, er sei von Eduard. Denn wer anders hätte ihr schreiben können? Ein Blick auf die Adresse, auf die festen, fast energischen Schriftzüge belehrte sie eines andern.

Das war nicht die leichte, zierliche Handschrift des Künstlers, dessen Worte, von glühender Liebe diktiert, leicht und schnell zu Papier gebracht wurden. Sie konnte sich auch nicht entsinnen, jemals in ihrem Leben diese oder eine ähnliche Handschrift gesehen zu haben. Und von einer unerklärlichen Unruhe getrieben öffnete sie endlich das Couvert.

Wiederholt überflog sie den Inhalt des Briefes; aber immer wieder müßte sie von neuem staunen, so unerklärlich, so befremdlich schien ihr der Inhalt; derselbe lautete:

 

»Hochgeehrtes Fräulein!

Zürnen Sie mir nicht, wenn ich einen so tiefernsten Anlaß wie den unserer ersten Begegnung benütze, um Ihnen ein Geständnis zu machen, für das ich Sie wenigstens zur Mitwisserin haben muß, wenn mich die Last der Ungewißheit, die ich trage, nicht erdrücken soll.

Als ich an jenem Abend den Friedhof betrat, wie konnte ich ahnen, daß mir hier ein Engel des Friedens erscheinen würde, ein Engel des Trostes, dessen Bild nie wieder meinem Gedächtnis entschwindet. Vergebens kämpfte ich gegen das beseligende Gefühl an, das mich bei Ihrem Anblick überkam; denn wie durfte ich hoffen, als ein Ihnen bis dahin Fremder Ihr Herz zu gewinnen?

Doch wie ich auch kämpfte, zürnen Sie mir nicht, wenn ich hier gleich das richtige Wort gebrauche, die Liebe zu Ihnen wuchs mehr und mehr, bildete bald die Sonne, um die sich alle meine Gedanken bewegten.

Um Ihnen nahe zu sein, zog ich nach L., wo ich mich nun bereits seit mehreren Wochen befinde und auch wohl, allem Anschein nach, eine Existenz gegründet habe, die mir gestattet, meiner zukünftigen Lebensgefährtin eine sorglose, allen Ansprüchen genügende Zukunft zu bereiten.

So frage ich denn an, ob Sie, hochverehrtes Fräulein, geneigt wären, einen Menschen, der einzig und allein in Ihrem Besitz das Ziel seines Lebens sieht, glücklich zu machen?

In diesem Falle sehe ich Ihrer geschätzten Antwort entgegen, die ich, der größten Freudenbotschaft gleich, ersehne.

Fern liegt es mir, das heilige Gefühl der Trauer in Ihrem edlen Herzen zu verletzen und auf eine Verbindung in Bälde zu dringen.

Ihr Wort, hochverehrtes Fräulein, würde mich schon zum glücklichsten Menschen machen, es würde genügen, meinem liebeglühenden Herzen lange schweigen zu gebieten, bis die Zeit, die Sie bestimmt haben, mich zum Glücklichsten der Sterblichen zu machen, herannaht.

Um Ihnen die Antwort zu erleichtern, habe ich mich gleichzeitig an Ihren väterlichen Freund und Berater gewandt, damit Ihnen durch seine Fürsprache die allerdings für eine junge Dame unter den gegebenen Umständen doppelt schwere Antwort nicht zu schwer fällt.

Ich bin mit der vorzüglichsten Hochachtung
Ihr ganz ergebenster

Franz Lorenz,
Agent und Makler,
R.straße 17.«

 

Schweigend, mit einem fast vorwurfsvollen Blick gab Ella den Brief an Jordan, gleichsam, als wolle sie von ihm Aufklärung den Inhalt desselben fordern.

Jordan schwieg mehrere Sekunden. Dann aber fragte er, freundlich drohend:

»Sie kennen den Briefsteller, Fräulein Ella?«

»Ich kenne ihn; doch in Bezug auf den Ort unserer ersten Begegnung hätte ich mehr Taktgefühl von ihm erwarten können. Zürnen Sie mir nicht,« fügte sie, wie um ein schwer begangenes Unrecht gut zu machen, hinzu, »wenn ich bis jetzt über diese Bekanntschaft geschwiegen habe. Ich glaubte ja nicht, das; ich diesem Menschen je wieder begegnen würde. Im andern Falle hätte ich nicht gesäumt. Ihnen, meinem zweiten Vater, sofort von der seltsamen Begegnung zu erzählen.«

Wieder schwieg Jordan mehrere Sekunden, während er Ella mit mild prüfenden Blick betrachtete.

»Sie sind dem Herrn, böse?« fragte er dann und es klang aus dem Ton dieser Frage fast wie ein gelinder Vorwurf.

»Ich zürne ihm nicht; doch ich habe auch keinen Grund, ein anderes Gefühl für ihn zu hegen,« erwiderte Ella; »der Herr ist mir vollständig fremd und hat durch diesen Antrag sogar das natürliche Gefühl der Teilnahme, die ich seiner, wie es schien, wahrhaften Trauer entgegenbrachte, verdrängt.«

»Ella, hat Sie denn der ernst gemeinte Antrag eines wackeren Mannes so tief verletzt?«

»Nicht der Antrag,« erwiderte das junge Mädchen, »wohl aber die Zeit, die er dazu wählte. Schon der Ort unserer Begegnung hätte ihn darüber belehren müssen, das mein Gemüt gegenwärtig nicht in der Verfassung ist, für dergleichen Empfindungen zugänglich zu sein.«

»Ella,« sprach Jordan, während er das weiche Haar des lieben Kindes zärtlich, wie ein Vater, streichelte; »Sie wissen, daß ich es stets gut mit Ihnen meinte, nicht?«

»Ich weiß es, lieber Herr Jordan,« antwortete Ella bewegt.

»Nun, dann werden Sie auch jetzt meinen Rat annehmen. Es ist der,« daß Sie sich in keine Verbindung mit diesen: Menschen einlassen, von dem man nicht weiß, wer er ist und von wo er stammt.«

»Ich hätte ihm ja auch ohnehin abgeschrieben,« gab Ella zurück.

»Auch das sollten Sie nicht thun,« bat Jordan. »Einem wildfremden Menschen dürfen Sie nicht schreiben. Nicht, Ella, Sie werden den Rat Ihres väterlichen Freundes befolgen?«

Er hatte diese Bitte so bewegt hervorgebracht, daß Ella tief ergriffen ihn mit thränenfeuchten Blicken dankerfüllt anschaute In der nächsten Minute bereits war der Brief dem Feuer übergeben.


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