Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Erstes Kapitel.
An Bord

D Der Ostindienfahrer war eingelaufen; reges Leben herrschte am Hafen. Hunderte waren beschäftigt, die Fracht zu löschen, während andere als müßige Gaffer umherstanden, von denen es vielen allerdings darum zu thun war, durch irgend einen Dienst eine Kleinigkeit zu erwerben. Aber auch alte wettergebräunte Gestalten, denen man das Seewasser auf hundert Schritt anmerkt, finden sich bei solcher Gelegenheit am Hafen ein. Knorrige Figuren, in deren durchfurchten Gesichtern gleichsam die langjährigen Gefahren und Abenteuer eingeprägt sind, deren Zeugen und Teilnehmer sie im Laufe vieler Jahre waren. Es sind das jene alten Seemenschen, die von ihrem Rheder pensioniert, in irgend einem Winkel der Hafenstadt Anker geworfen haben, um sich in aller Gemütlichkeit für die letzte Fahrt vorzubereiten, von der es keine Rückkehr giebt.

Diese alten Burschen haben deshalb aber noch nicht die Lust am Seeleben verloren, nur mürrisch ertragen sie das harte Los, den Rest ihres Lebens unthätig sein zu müssen; sie werden erst wieder heiter, wenn sie, von lustigem Seemannsvolk umgeben, ihre Abenteuer erzählen und sich so noch einmal in die herrliche Zeit der Jugend und Thatkraft zurückversetzen können.

Auch tief ergreifende Szenen spielen sich bei der Ankunft eines Schiffes, nach jahrelangem Fernbleiben von der Heimat, ab. Da begrüßen Mütter ihre Söhne, Frauen ihre Männer und mancher Matrose kann sich nicht satt sehen an dem kleinen Flachskopf, den er verließ, als er noch an der Brust der Mutter lag und der ihm jetzt, halb freundlich, halb scheu, die kleinen Händchen entgegenstreckt, weil er hörte, daß der fremde Mann der Vater ist, von dem die Mutter ihm täglich erzählte und für den der kleine Mann an jedem Abend noch besonders ein klein Gebet verrichten mußte.

Unter all den Szenen der Freude des Wiedersehens und dem wogenden Treiben, das kreischende Geräusch der Schiffswinden, die immer wieder neue Ballen aus dem Rumpf des mächtigen Kolosses hervorzaubern, dazu ein Sprachengewirr in den verschiedensten Idiomen, das Schimpfen und Fluchen der Gepäckträger und Kärrner, und man hat so ungefähr ein schwaches Bild von dem Treiben am Hafen nach dem Einlaufen eines großen Fahrzeuges.

Die Matrosen des Ostindienfahrers hatten zum größten Theil das Schiff bereits verlassen, ebenso die meisten Passagiere, die an Bord des stolzen Fahrzeuges die Reise von dem fernen Weltteil nach Europa zurückgelegt hatten. Nur wenige Mann waren zurückgeblieben, bestimmt, das Löschen der Ladung zu überwachen.

Da plötzlich entwickelte sich auf dem Schiffskoloß ein eigenes Treiben. Der Kapitän stand mit den Offizieren mehrere Minuten im ernsten Gespräch, dann wurde ein Matrose ans Land geschickt, der kurz darauf in Begleitung mehrerer Beamten der Hafenpolizei zurückkehrte, in deren Mienen sich ebenfalls tiefster Ernst ausprägte.

An Bord angekommen, begaben sich die Beamten in Begleitung des Kapitäns nach einer Kabine der ersten Kajüte.

Hier bot sich ihnen ein schauriger Anblick dar. Der Bewohner derselben lag mit durchschnittenem Halse am Boden. Um ihn zeigten ganzen Pfützen geronnenen Blutes, welche indessen kaum über die eigentliche Umgebung des Leichnams hinausgedrungen waren, daß der Schnitt, den sich der Entseelte selbst beibrachte oder der ihm von einem Andern zugefügt, von sofort tätlicher Wirkung gewesen war.

Man stand hier vor einem eigentümlichen Rätsel. Sollte der Verstorbene ein Selbstmörder gewesen sein oder war er einem Verbrechen zum Opfer gefallen?

Bei oberflächlicher Betrachtung konnte man leicht das Erstere annehmen.

Der Kaufherr Jansen, das war der Name des Entseelten, hatte die Reise nach Ostindien mitgemacht, um dort in den Faktoreien persönlich Verbindungen anzuknüpfen, die für ihn von Vorteil waren. Er hatte seinen Zweck auch vollkommen erreicht und Ankäufe abgeschlossen, die einen ganz bedeutenden Verdienst in Aussicht stellten. Dennoch war er auf der Rückfahrt stets unruhig, zog sich von allem zurück, so daß er sich auf dem Schiff den Beinamen »der Menschenscheue« erworben hatte. Außerdem verfiel er oft in deutlich sichtbaren Schwermut, der sich Zeitweise bis zum Phantasieren steigerte. Dann sprach er regelmäßig von seiner Tochter, die trotz aller Reichtümer einst unglücklich werden dürfte, und deren Hochzeit er wohl kaum noch erleben werde. Je näher das Schiff der Heimat kam, um so unruhiger wurde er, und in den letzten Tagen hatte er sich direkt in seiner Kabine eingeschlossen, dessen Betreten selbst dem Schiffskoch oder dessen Jungen untersagt war, die doch sonst den Tag über wiederholt bei den übrigen Passagieren nach etwaigen Bedürfnissen anfragen durften.

So nur war es erklärlich, daß der Tod des Unglücklichen erst jetzt entdeckt wurde, trotzdem der Schiffsarzt seine Ansicht dahin abgab, daß Jansen bereits vor etwa drei Tagen verstorben war.

So befand man sich denn hinsichtlich der Untersuchung in einer sehr schwierigen Situation. Dem Polizeibeamten blieb nur übrig, anzuordnen, daß die Leiche in der Stellung belassen werde, in der man sie gefunden, bis über den Thatbestand ein Protokoll aufgenommen sei.

Eine Stunde später bereits traf der Untersuchungsrichter, ein im Dienst ergrauter Beamter, dem viele und schwere Fälle in seiner Praxis vorgekommen waren, an Bord des Ostindienfahrers ein.

Er mußte sich zunächst an die Aussagen des Kapitäns halten und untersuchte dann jeden Winkel der Kabine; von der Hängematte beginnend, ließ er auch kein Stück an seinem Platz, kein Winkelchen unerforscht. Für die Annahme des Kapitäns, daß der Verstorbene einen Selbstmord begangen, hatte er jedoch nur ein Lächeln des Mitleids und als ihn der Kapitän ersuchte, seine Meinung zu äußern, sagte der Beamte im Tone fast überraschender Gewißheit:

»Der Kaufherr Jansen war kein Selbstmörder; er ist einem reiflich geplanten Verbrechen zum Opfer gefallen.«

Fast sprachlos vor Schrecken starrte der Seemann den Untersuchungsrichter an; denn ihm war der Gedanke äußerst peinlich, daß ein so schweres Verbrechen auf dem ihm anvertrauten Fahrzeug geschehen konnte, ohne rechtzeitig entdeckt zu werden.

Der Umstand war leicht geeignet, den Ruf der Umsichtigkeit, den er sich seit Jahren erworben, arg zu gefährden.

»Woraus schließen Sie das, Herr Untersuchungsrichter?«, fragte der sonst so derbe Seemann fast schüchtern.

»Aus dem einfachsten Grunde von der Welt,« gab der Beamte lächelnd zurück; »ein Grund, so auffallend, daß es dazu nicht erst des Verständnisses eines Richters bedarf.«

»Sie meinen?«

»Ich meine nur, daß sich kein Mensch mit dem Finger den Hals durchschneiden kann, daß dazu doch mindestens ein Instrument gehören muß, welches der Ermordete nach seinem Tode unmöglich bei Seite schaffen kann. Ist Ihnen denn das nicht aufgefallen, lieber Kapitän?«

Der Gefragte kam sich in diesem Augenblick so dumm vor, daß er fast wie ein auf einem bösen Streich ertappter Bube errötete und kaum zu dem Richter aufzublicken wagte.

»Erschrecken Sie nur nicht, Herr Kapitän,« half dieser ihm aus der Verlegenheit, »dergleichen passiert Ihnen nicht allein. Bei traurigen Vorfällen entsetzen sich die meisten harmlosen Menschen so sehr, daß sie in der Regel das Naheliegende vergessen. Sie dürfen also beruhigt sein und sich aus dem vermeintlichen Mangel an Umsicht keinerlei Vorwurf machen, denn es ist noch vollkommen Zeit, das Versäumte nachzuholen.«

»Wie wäre das möglich, Herr Untersuchungsrichter, da ja die Passagiere das Schiff bereits verlassen haben und auch die Matrosen –«

»Lassen wir die Matrosen aus dem Spiel, mit denen haben wir hier nichts zu schaffen.«

»Ja, wäre es denn nicht möglich, daß einer von ihnen –«

»Nein, das ist ganz ausgeschlossen! Lieber Kapitän, Sie mögen ja der tüchtigste Seemann sein, aber den eigentlichen Charakter der Theerjacken kennen Sie doch nicht, sonst wären Sie nie imstande, einem Matrosen dieses Verbrechen zuzumuten.«

»Und doch,« fiel der in seiner Ehre gekränkte Kapitän dem Richter ins Wort, »war ich selbst schon Zeuge einer Meuterei auf hoher See –«

»Auf hoher See, ganz richtig,« fiel der gewiegte Beamte dem Kapitän ins Wort; »glauben Sie nicht etwa, daß ich dem Schiffsvolk im allgemeinen eine Tugendbescheinigung ausstellen will. Hier bei diesem Verbrechen sprechen aber Umstände mit, welche die Thäterschaft oder auch nur die Teilnahme eines Ihrer Untergebenen direkt ausschließen. Der Unglückliche, an dessen Leiche wir stehen, ist zweifellos ermordet und nach Aussage des Schiffsarztes vor ungefähr drei Tagen. Elf Monate währte, nach Ihrer Mitteilung, die Ueberfahrt nach Europa, und hätten einer oder mehrere von Ihren Leuten die Absicht gehabt, diesen Menschen zu töten, so fand sich dazu oft und bessere Gelegenheit. Was kann denn beispielsweise die Mannschaft dafür, wenn ein Passagier Nachts den Sternenhimmel bewundert und dabei zufällig über Bord fällt? Dergleichen ist häufig dagewesen und nicht immer war das Schiffsvolk vom Verdacht freizusprechen. Aber in der Nähe des Hafens und angesichts der rächenden Nemesis begeht der Matrose kein Verbrechen, das ihm den Hals kostet; da denkt er nur an die reiche Löhnung und berechnet heitern Sinnes, wo und wie er das erworbene Geld auf die beste Weise wieder an den Mann bringen kann. In solcher Stimmung aber begeht kein Mensch einen Mord, auch der roheste nicht. Bleiben wir also bei den Passagieren. Ist Ihnen, Herr Kapitän, im Verkehr derselben mit dem Verstorbenen nicht irgend etwas aufgefallen? Hatte er gegen irgend einen der Passagiere eine Antipathie oder war er einem Mitreisenden besonders zugethan?«

Der Kapitän ging wohl mehrere Minuten sinnend auf und nieder; er ließ im Geist die wenigen Passagiere, die der Kauffahrer mitgebracht hatte, Revue passieren, soweit sie ihm eben noch in Erinnerung waren.

Plötzlich blieb er stehen, führte die Hand zur Stirn, wie jemand, der seinem Gedankengang zu Hilfe kommen will, und rief aus:

»Ja, ja, das könnte es sein!«

»Und?« fragte der Untersuchungsrichter gespannt.

»Herr Untersuchungsrichter,« erwiderte der Kapitän, »mir kommt da eben eine Erinnerung, doch ich fürchte fast, sie auszusprechen, da man unter solchen Umständen doppelt vorsichtig sein muß, um nicht durch irgend ein unüberlegtes Wort einen Menschen zu verdächtigen.«

»Herr Kapitän, diese Vorsicht in Ihren Aeußerungen zeigt, daß Sie ein Ehrenmann sind, und flößt mir hohe Achtung ein. Trotzdem muß ich bitten, ja darauf bestehen, mir rücksichtslos jede, auch die kleinste Wahrnehmung mitzuteilen, die vielleicht auf die Spur des Verbrechers leiten kann. Ich habe vorher gesagt, als Sie mir klagten, daß die Passagiere bereits das Schiff verlassen, es wäre noch nichts verloren. Ich sprach das indessen nur in der Ueberzeugung aus, daß uns die Schiffsliste über deren Nationale und Sie, soweit es in Ihrer Macht steht, über die Personen selbst Auskunft geben können. Ich muß Sie also nochmals in Ihrem eigenen Interesse um möglichst genaue Auskunft ersuchen; denn ich wäre sonst gezwungen, ohne Rücksicht auf Ihren persönlichen Schaden oder Vorteil während des Laufes der Untersuchung Sie hier in der Hafenstadt zurückzubehalten.«

Der Kapitän sah wohl ein, daß eine Weigerung dem Beamten gegenüber nutzlos sei und erzählte deshalb:

»Wir hatten unsere, dieses Mal mit vielen Fährlichkeiten verbundene Reise schon ziemlich zurückgelegt. Es war am letzten Sonnabend Morgen, als Liverpool in Sicht gemeldet wurde.

Nun müssen Sie wissen, Herr Untersuchungsrichter, was der Seemann empfindet, wenn er Jahre lang von der Heimat fern, endlich wieder sein Vaterland oder wenigstens die Gestade des Erdteils erblickt, in dem es belegen.

Darüber können ja diejenigen nicht urteilen, die alle Monat einmal die Fahrt nach Amerika über den Atlantischen Ozean zurücklegen, wo sie mit wenigen Abweichungen Menschen und Sitten finden wie in der Heimat. Anders geht es uns.

Wir brauchen längere Zeit, ehe wir die beschwerliche Reise zurücklegen und dann befinden wir uns in einem Erdteil, dessen Vegetation, dessen Bewohner jede Erinnerung an die liebe Heimat verwischen oder, richtiger gesagt, in Form einer verzehrenden Sehnsucht in uns wach halten. Farbe, Sprache und Kleidung der Menschen mit denen wir umgehen, sind uns fremd, ja selbst ihre Religion weicht derart von den in Europa bekannten Kulten ab, daß wir uns, wenigstens so lange wir Neulinge sind, namenlos unglücklich und verlassen fühlen und die Zeit kaum erwarten können, wo wir wieder die Segel hissen, um der Heimat entgegen zu eilen.

Dann geht es dem Seemann mit der Heimreise wie dem Kinde mit dem Christabend. Je näher der Weihnachtsabend mit seinem strahlenden Lichtschimmer, seinen ersehnten Geschenken rückt, um so ungeduldiger werden die Kleinen, und je näher der Seemann nach langer Fahrt dem heimatlichen Gestade, um so größer wird auch seine Sehnsucht danach, die sich selbst bei abgehärteten Naturen noch oft in kindischer Ausgelassenheit, oder, was wett schlimmer und gefährlicher, in nervöser Unruhe äußert.

In diesem Zustande erblickt der Matrose in einem Wölkchen, was er sonst kaum beachten würde, den Vorboten eines nahenden Sturmes, und es ist ihm, als ob er die liebe Heimat und die Seinen nie Wiedersehen sollte.

Um die Leute nun bei gutem Mut zu erhalten oder ihnen doch wenigstens eine unverhoffte Freude zu bereiten, läuft man dann wohl, wenn es Zeit und Umstände gestatten, schon vor Beendigung der Reise in einen Hafen ein, giebt den Leuten dort einige freie Stunden, erwirbt sich so ihren Dank und macht sie für die noch bevorstehende kurze Fahrt um so brauchbarer.

So erfüllte ich denn auch die Bitten meiner Offiziere, mein Schiff Liverpool anlaufen zu lassen, ging dort vor Anker und gab der Mannschaft einen freien Tag.

Freilich hatten sie davon nicht besonders Vorteil, denn am Sonnabend Abend liefen wir ein und die Sonntagsheiligung wird in Liverpool so streng überwacht, daß für die Art seemännischen Vergnügens kein Raum bleibt.

Jedenfalls aber waren meine Leute glücklich, sich wieder einmal unter Europäern zu bewegen.

Und als wir am Sonntag Abend aufs Neue in See stachen, zeigte mir die Lust und Liebe, mit der jeder Einzelne den Dienst versah, daß ich das Richtige getroffen hatte.

Doch nun komme ich zur Hauptsache.

Am Sonntag Morgen erschien plötzlich ein Herr in meiner Kajüte, der mich bat, ihn gegen Entschädigung nach X. mitzunehmen.

Er gab vor, vor wenigen Tagen einen Geschäftsfreund auf einem Auswandererschiff bis hierher begleitet zu haben und nun hätte er den Reisepaß verloren, ein Umstand, der ihm allerdings viele Unannehmlichkeiten bereiten konnte.

Da der Fremde einen guten Eindruck machte und es mir als die beste, unverfänglichste Legitimation erschien, daß er, ein Deutscher, wieder nach Deutschland zurück wollte, so erklärte ich mich bereit, ihn mitzunehmen, lehnte indessen, mit Ausnahme der Zahlung für die Beköstigung, jede Entschädigung ab.

Jetzt freilich bedaure ich es, diesen Menschen an Bord genommen zu haben.«

»So vermuten Sie vielleicht, daß er der Mörder?«

»Das gerade nicht; indessen steht es bei mir fest, daß er zu dem Ermordeten in irgend einer Beziehung stand.«

»Woraus schließen Sie das?« fragte der Untersuchungsrichter gespannt; »haben Sie irgend einen bestimmten Anhalt dafür?«

»Ja oder nein, wie man's nehmen will. Etwa am Montag Morgen in der zehnten Stunde war's, als der fremde Passagier mit dem Ermordeten auf Deck zusammentraf. Der Letztere pflegte überhaupt täglich nur eine Stunde auf Deck zu bleiben, um dann den übrigen Teil des Tages in seiner Kabine zuzubringen.

Ich befand mich in unmittelbarer Nähe der beiden, als die Begegnung stattfand.

Der Fremde begrüßte Jansen freundlich, und schon war ich geneigt, ihn deshalb für vollständig legitimiert zu halten, da Jansen mir seit Jahren als wohlsituierter, ehrenhafter Kaufmann bekannt ist, als ich bemerkte, daß aus den freundlichen Blicken niederer Hohn sprach.

Jansen hatte den Gruß des Fremden kaum beachtet, und als sich ihm derselbe nach Verlauf weniger Minuten absichtlich noch einmal näherte, vernahm ich deutlich, wie Jansen ihm zwar leise, aber doch mit fester Stimme sagte:

Ich habe Ihnen schon früher deutlich genug zu verstehen gegeben, daß ich nicht wünsche, Ihnen noch einmal zu begegnen, und wenn Sie irgend eine Auseinandersetzung zwischen uns herbeiführen wollen, so bitte ich, zu bedenken, daß der Ort hierzu sehr schlecht gewählt ist.«

Der Fremde entfernte sich nach diesen Worten und ließ den Kaufherrn allein.

Ich aber empfand eine gewisse Unruhe und machte mir jetzt doch Vorwürfe darüber, den mir völlig Unbekannten ohne jede Legitimation ausgenommen zu haben.

Von Besorgnis getrieben, wandte ich mich kurz darauf an Jansen und fragte ihn, was er mit dem Fremden eigentlich vorhatte.

»Nichts,« erwiderte der Kaufherr, »doch so viel kann ich Ihnen sagen, hätte ich gewußt, daß Sie diesen Menschen aufnehmen, so würde ich mich entschlossen haben, Ihr Schiff in Liverpool zu verlassen und lieber den nächsten Postdampfer abzuwarten.

Jedenfalls zwingt mich diese Begegnung, meine Kajüte während der kurzen Fahrt nicht mehr zu verlassen, und ich bitte Sie, Herr Kapitän, selbst Ihren Leuten einzuschärfen, daß sie mich von jetzt ab nur dann stören, wenn ich danach verlange.«

In diesem Augenblick wurde ich dienstlich abberufen und habe Jansen nicht mehr lebend gesehen.«

»Das ist allerdings eine ganz verfängliche Geschichte, die Sie mir da erzählen, Herr Kapitän, und es wäre für mich, wie überhaupt für den Verlauf der Untersuchung, von höchstem Interesse, etwas mehr von dem seltsamen Passagier zu erfahren, mindestens aber, so weit Sie es imstande sind, eine Beschreibung seiner Person zu erhalten.«

»Die kann ich Ihnen freilich geben,« erwiderte der Kapitän, »aber ich fürchte nur, daß sie nicht von großem Nutzen ist; denn, offen gesagt, habe ich an dem Menschen nichts Außergewöhnliches entdecken können. Er ist von mittlerer Größe, etwa 5 Fuß 4 Zoll, blond, mit kleinen, zierlich gepflegtem Schnurrbart, von feinem, distinguiertem Benehmen, so daß man leicht geneigt ist, ihn für einen jungen Offizier im Zivilanzuge zu hallen. Das ist alles, was ich von ihm weiß.«

»Freilich sehr wenig,« sprach der Untersuchungsrichter mehr für sich; »und seine Kleidung?«

»Auch diese zeigte nichts Besonderes; ein graumelierter Anzug von feinem Stoff, eine kleine Handtasche und ein buntkarriertes Plaid. Aber was will das sagen? Der Anzug läßt sich in einem Tage zehnmal wechseln, wenn man sonst nur die nötigen Mittel besitzt.«

»Die nötigen Mittel!« fuhr der Untersuchungsrichter fast erschreckt auf; »da sehen Sie, lieber Kapitän, wäre es mir beinahe ebenso ergangen, wie Ihnen. Ich hätte leicht die Hauptsache vergessen. Führt der Verstorbene sein Vermögen bei sich oder hatte er es Ihnen in Aufbewahrung gegeben?«

»Nein, er führte das Geld bei sich, und zwar eine ganz bedeutende Summe, die er, wie es schien, mit peinlicher Sorgfalt hütete.«

»Und woher wissen Sie, daß es eine große Summe war?«

»Ich mußte ihm einmal eine Hundertnote wechseln und da entdeckte ich, daß er Kassenanweisungen von ganz bedeutendem Wert in seinem Portefeuille führte.«

»Wo bewahrte er das Portefeuille?«

»In der innern Brusttasche seines Ueberrockes, desselben, mit dem er noch bekleidet ist.«

Der Untersuchungsrichter beugte sich hernieder, durchsuchte die Brusttasche, auch die übrigen an der Kleidung des Ermordeten befindlichen Taschen und öffnete schließlich die Kleider, um danach zu forschen, ob der Verstorbene das Geld vielleicht, wie viele vorsichtige Menschen, am Körper verborgen getragen – umsonst, es war keine Spur davon zu entdecken; das Geld war verschwunden.

Es stand fest, an dem Großkaufherrn Jansen war ein Raubmord verübt worden.

Der Untersuchungsrichter verließ das Schiff, auf welchem plötzlich alle Heiterkeit verstummt war.

Auch der Kapitän schien in gedrückter Stimmung.

Nicht mit Unrecht fürchtete er, daß es für die nächste Fahrt schwer für ihn sein würde, Mannschaften zu werben; denn Seeleute sind abergläubisch und die Leiche eines Ermordeten an Bord flößt ihnen Entsetzen ein.

Wenige Stunden später, es war bereits in der Abenddämmerung, wurde der Hafen wieder von Hunderten von Neugierigen umgeben.

Aber nicht das fröhliche Treiben eines nach langer Fahrt heimkehrenden Schiffes hatte sie herbeigelockt, sondern ein kurzes, einfaches und doch tief bedeutsames Schauspiel.

Die Leiche des Ermordeten Großkaufherrn wurde vom Bord geholt, um zunächst der Gerichtsbehörde übergeben zu werden.

Die Offiziere und Matrosen des Indienfahrers, soweit sie noch aufzutreiben waren, hatten sich eingefunden.

Stumm bildete die Menge der Neugierigen eine Gasse, durch welche sich der Leichenzug bewegte.

Der Anblick des Todes, die alltäglichste Erscheinung, übt eigentümlicher Weise auf jeden, auch den abgehärtetsten Menschen, immer einen gewissen ernsten Eindruck aus, der sich beim Anblick eines gewaltsam dem Leben Entrissenen unwillkürlich zur Teilnahme steigert, gleichviel ob uns der Ermordete nahe stand oder nicht.

So hatten sich denn auch hier Hunderte zusammengefunden, um der Leiche des Großkaufherrn Jansen das Geleite zu geben; war er doch dem schwersten Verbrechen zum Opfer gefallen, jenem schaurigen Verbrechen, von dem es heißt:

Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden. – – – – – – – – – – – – – –


 << zurück weiter >>