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Neuntes Kapitel.
Vor dem Richter

Der Schwurgerichtssaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Lautlose Stille erfüllte den weiten Raum, denn alles blickte gespannt bald auf den Angeklagten, bald auf den Staatsanwalt, der sich eben erhob, das Plaidoyer zu beginnen.

Der Fragebogen war bereits ausgefüllt. Die Frage lautete, kurz gefaßt:

»Ist der Angeklagte, Buchhalter Reinhold Thümler, schuldig, in der Nacht vom 3. zum 4. April 18.. an Bord des auf der Rückkehr von Kalkutta begriffenen Schiffes »Poseidon« den Großkaufherrn Jansen vorsätzlich und mit Ueberlegung getötet und beraubt zu haben?«

Der Angeklagte hatte während der zweitägigen Verhandlung eine geradezu frappierende Ruhe zur Schau getragen, nie, auch nur die kleinste Verlegenheit gezeigt. Aber er stand eben auf der Anklagebank und war des denkbar schwersten Verbrechens angeklagt; wer rechnet einem Angeklagten gegenüber mit Gefühlsäußerungen?

Ist er sich seiner Unschuld bewußt und trägt infolge dessen ein freies, ungezwungenes Wesen zur Schau, gilt es als Frechheit, Verstocktheit; erpreßt ihm sein Unglück Thränen, sind es eben Thränen der Heuchelei.

Wehe demjenigen, der eines schweren Verbrechens angeklagt, vor Gericht erscheint; doppelt wehe demjenigen, den das Vorurteil zum Verbrecher stempelt! Nur ein Gott wäre imstande, ihn im letzten Augenblick zu retten.

Der Staatsanwalt hatte sich erhoben.

Ein Murmeln der Erwartung lief durch den dichtgefüllten Saal, das erst dann verstummte, als der Vorsitzende mit ernsten Blicken Achtung vor dem Gesetz verlangte.

Der Vorsitzende eines Gerichtshofes bedarf dazu kaum erst der Worte, er wirkt durch die ihm verliehene Autorität.

Aller Blicke waren auf den Staatsanwalt gerichtet, dem ersten Staatsanwalt beim dortigen Gericht, der schon oft Proben seiner glänzenden Beredsamkeit gegeben hatte.

Auch die Blicke des Angeklagten waren dem Manne zugewandt, der jetzt im Begriff stand, die schwerste Anklage gegen ihn zu erheben, die ihm das Leben kosten muhte, wenn sie durch den Spruch der Geschworenen bestätigt wurde.

»Meine Herren Geschworenen,« begann der Staatsanwalt, »gewissermaßen mit Bangen habe ich den Verlauf der Untersuchung verfolgt, über deren Endresultat Sie heute durch Ihren Wahrspruch entscheiden sollen. Würden Sie, woran ich nicht zweifle, den Angeklagten schuldig sprechen, dann wäre wieder einmal der Beweis dafür gegeben, daß selbst Liebe und Wohlthat die bösen Leidenschaften, die nur zu oft im Menschenherzen wohnen, nicht zu töten vermögen.

Der Angeklagte ist vor Jahren als Waise in das Haus des Kaufherrn Jansen gekommen; Menschenliebe und Wohlthätigkeitssinn halten ihm hier ein neues Elternhaus geschaffen, und unzählige Beweise aufopfernder Sorgfalt wurden ihm gegeben, bevor, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Versucher an ihn herantrat und ihn aufforderte, nunmehr auch seine Hand nach dem schönsten Besitz seines Wohlthäters, nach dem Besitz dessen einziger Tochter, auszustrecken.

Die Gelegenheit war ihm günstig.

Der Kaufherr Jansen, durch das Fallissement der Firma Moellner & Komp, in schwere, wenn auch nur augenblickliche, kaufmännische Verlegenheit geraten, ließ sich verleiten, eine Tratte auf die Firma Richter & Sohn in Amsterdam zu fälschen, oder was eigentlich noch schlimmer war, durch den Angeklagten fälschen zu lassen.

Herr Jansen hat aber bereits wenige Tage nach diesem Vorfall das verfängliche Papier eingelöst, und deshalb hätten wir hier mit diesem Fall nichts zu schaffen, wenn die Fälschung, zu der ja der Angeklagte, wie ich nach Lage der Sache annehmen muß, unter moralischem Druck verleitet worden ist, nicht zugleich mit dem hier dem Richterspruch unterstellten Verbrechen im engsten Zusammenhänge stände.

Also der Angeklagte liebte die einzige Tochter seines Herrn und Wohlthäters.

Die Stellung, die er in dem Hause Jansen & Sohn einnahm, zog eine natürliche Schranke zwischen ihm und der von ihm Geliebten.

Er, der arme, unbemittelte Buchhalter, der selbst diese bescheidene Stellung nur dem Bildungsgrade verdankte, den er sich durch die Unterstützung Jansens angeeignet hatte; sie, die hübsche, vielumworbene Tochter eines der reichsten Einwohner unserer Stadt, da war an eine Realisierung seiner kühnsten Hoffnungen nicht im entferntesten zu denken.

Plötzlich bedurfte Jansen seiner Dienste.

Er mußte sich ihm gegenüber decouvrieren, und der Angeklagte kam den Wünschen seines Chefs auch entgegen, – er behauptet, aus Dankbarkeit.

Ich will auch das annehmen; denn ohne irgend welche zwingenden moralischen Gründe wird schwerlich ein bis dahin unbescholtener Mensch seine Hand zu einem schweren Verbrechen leihen.

Vielleicht in demselben Augenblick, vielleicht erst später erwachte in ihm der erbärmliche Trieb einer niederen Seele.

Und er beschloß, eine Gelegenheit, die ihm nur einmal im Leben geboten wurde, zu benutzen, um sich den Besitz der schönen und reichen Erbin zu sichern.

Der Angeklagte behauptet zwar, daß er in dem Augenblick, wo er um die Hand der Tochter anhielt, der Ueberzeugung war, daß das Haus Jansen & Sohn vor dem ehrlosen Bankerott stand; er also nicht die reiche Erbin, sondern nur das Mädchen seiner Wahl erringen wollte.

Das, meine Herren Geschworenen, bestreite ich entschieden. Denn unter diesen Umständen hätte seine Verlobung mit der Tochter Jansens keinerlei Wert gehabt, da ihm sowohl als seinem Herrn im Falle einer Entdeckung der Fälschung, die bei einem Bankerott unausbleiblich war, das Zuchthaus offen stand.

Jansen wies ihn ab, und als er auf das verhängnisvolle Geheimnis pochend, seinen Chef mit unliebsamen Enthüllungen drohte, da konnte jener nachweisen, daß die bewußte Tratte bereits eingelöst, jeder Beweis für ein Verbrechen also vernichtet war.

Das, meine Herren Geschworenen, haben Sie aus dem Munde des alten Disponenten Jordan vernommen, dem es der Verstorbene kurz vor der Abreise nach einem fernen Weltteil gelegentlich anvertraut hatte. Und der Angeklagte hat die Aussage des Jordan, wenngleich zögernd, bestätigt.

Was Sie aber nicht vernommen haben, was kein Mensch vernommen hat, sind die Qualen der zurückgewiesenen Liebe, der Groll über verletzten Stolz.

Der Angeklagte hatte eine auskömmliche Stellung verloren und mußte nun unter kümmerlichen Verhältnissen für den notwendigen Lebenserwerb sorgen. Durch zweideutige Mitteilungen, die er über seinen bisherigen Wohlthäter verbreitete und die deutlich genug für den tödlichen Haß sprechen, mit dem er ihn verfolgte, hatte er sich jedes anständige Haus verschlossen.

Jahre hindurch war sein Leben nur ein Vegetieren, bis er endlich nach Liverpool reiste, um sich dort um eine Stellung zu bewerben. Aber auch der Chef des dortigen Hauses wies ihn, nachdem er kaum seinen Namen gehört, ab; und durch einen Zufall erfuhr der Angeklagte auch den Grund für diese Zurücksetzung, die wiederum mit dem Benehmen gegen Jansen im Zusammenhang stand.

Da ist es erklärlich, daß der längst gehegte Groll von neuem in ihm erwachte. Elend, mittellos, trat er die Rückreise wieder an, und ein unglücklicher Zufall wollte es, daß er auf dem Deck des »Poseidon« plötzlich den Mann erblickte, den er in echt egoistischer Art für sein Unglück verantwortlich machte.

Ob er Reue fühlte, als er Jansen plötzlich vor sich sah und ihm Gruß und Hand bot? Es ist möglich. Vielleicht war diese zur Schau getragene Reue aber auch von Egoismus diktiert; er kannte die Gutherzigkeit des Kaufherrn sehr wohl, und in dessen Macht stand es, ihn aller Verlegenheit zu entreißen.

Wäre Jansen im Augenblick der unseligen Begegnung seinem guten Genius gefolgt; hätte er dem Angeklagten verziehen, ihn wohl gar wieder in sein Geschäft aufgenommen, dann, meine Herren Geschworenen, es ist dies meine tiefinnerste Ueberzeugung, wäre er heute noch am Leben.

Er that es nicht; er wies den Undankbaren schroff zurück; er erinnerte ihn an die letzten Worte, die er ihm vor Jahren zugerufen hatte, und deren Wortlaut, soviel mir berichtet etwa lautete: In Ihrem Interesse wünsche ich Ihnen nicht mehr zu begegnen.

Nun, meine Herren Geschworenen, ich darf es Ihnen getrost überlassen, sich ein Bild von der Gemütsstimmung des Angeklagten in diesem Augenblick zu machen.

Von Sorgen um seine Existenz gequält, erblickt er plötzlich den, der ihn aller Verlegenheiten entreißen kann, dem es nur ein Wort kostet, seine ganzen Verhältnisse vorteilhaft umzugestalten. Zwar haßte er diesen Menschen; doch er bezwingt seinen Haß; er bezwingt seinen Stolz; er reicht demjenigen, den er, wenn auch mit Unrecht, für den Urheber seiner Leiden hält, die Hand zur Versöhnung und wird in unzweideutiger Weise zurückgestoßen.

Nun, meine Herren, ein Mensch wie der Angeklagte, der, wie wir aus der Verhandlung wissen, nie prüde war, wenn es sich um einen zu erlangenden Vorteil handelte; der kleinlich genug sein konnte, schon vor Jahren an demselben Manne eine Erpressung zu versuchen, ein solcher Mensch erträgt eine derartige schimpfliche Behandlung nicht ruhig.

Was er begonnen, wir wissen es nicht; was auf dem Schiff in jener verhängnisvollen Nacht vom 3. zum 4. April sich zugetragen, ist für uns gleichfalls ein Geheimnis; wenn Ihr Spruch, meine Herren Geschworenen, nicht den Schleier lüftet, der über jene unselige That bis heute gebreitet ist.

»In Ihrem Interesse wünsche ich Ihnen nie mehr zu begegnen,« lauteten die letzten Worte des Kaufherrn Jansen, und er sollte dem Angeklagten nicht mehr begegnen:

Als der »Poseidon« in L. in den Hafen eingelaufen war, fand man die Leiche des Kaufherrn Jansen in der Kajüte mit durchschnittenem Halse.

Die Leichenschau an Ort und Stelle hat bis zur Evidenz festgestellt, daß der Mord, denn ein solcher lag unzweifelhaft vor, drei Tage vorher, also in der Nacht vom 3. zum 4. April verübt worden war.

Am 3. April hatte die Begegnung Jansens mit dem Angeklagten stattgefunden, und vom Augenblick derselben an hat kein Mensch auf dem Schiff den Kaufherrn mehr lebend gesehen.

Ueber die Thäterschaft des Angeklagten kann, meiner Ueberzeugung nach, kein Zweifel herrschen; und nur ein Umstand ist es, der gewissermaßen bedenklich erscheinen könnte, der aber bei näherer Betrachtung der Sachlage den Halt verliert.

Der Verstorbene führte, wie erwiesen, ein bedeutendes Vermögen in Wechseln und Kassenanweisungen bei sich.

Dasselbe war unbegreiflicher Weise weder bei dem Kapitän deponiert, noch in seinen Effekten untergebracht. Ob der Kaufherr Jansen zu mißtrauisch hierzu war, ob er fürchtete, bestohlen zu werden?

Genug, – er trug das Geld, wie durch glaubwürdige Zeugen bestätigt wird, in der inneren Brust- oder Seitentasche seines Oberrockes bei sich.

Hier war es jedem leicht erreichbar, der den Willen hatte, es sich auf gewaltsame Weise anzueignen und die Kraft wie den Mut, den gefährlichen Vorsatz auszuführen.

Das in Rede stehende Vermögen des Kaufherrn Jansen ist, wie Ihnen bekannt, entwendet, oder richtiger, geraubt worden!

Bei dem Angeklagten indessen ist weder das Geld noch ein Teil desselben vorgefunden worden; er hat nach wie vor eine kümmerliche Existenz gefristet, bis es ihm kurz vor seiner Verhaftung gelang, Unterkommen in einem Handlungshause zu finden.

Meine Herren Geschworenen, es steht fest, daß an dem Kaufherrn Jansen ein Raubmord verübt wurde, und daß ein Passagier diese grausige That vollführt haben muß.

Daß der Angeklagte dieser Thäter war, darüber herrscht bei mir kein Zweifel; ich glaube jedoch nicht, daß er die That begangen hat, um sich das Vermögen seines Opfers anzueignen, dazu fehlte ihm, in seinem fanatischen Hasse, die Ueberlegung.

Er hat aber das Geld gefunden und es an sich genommen, um es den Meereswogen anzuvertrauen, denn der Meeresgrund ist verschwiegen.

Und handelte er hierbei ganz planlos? Ich behaupte, nein! Er wollte sich nicht nur an dem rächen, der ihn vermeintlich ins Elend gestürzt, sondern auch an dessen Tochter, die seine Liebe verschmäht hatte.

Arm sollte sie werden, arm und elend, so daß sie es vielleicht noch als eine große Gnade ansehen konnte, wenn er sich herbeiließ, ihr seine Hand anzubieten. Und dann konnte ja auch jeder Augenblick die Entdeckung der That herbeiführen, und auf wen anders konnte der Verdacht fallen, als einzig auf ihn, auf den Menschen, von dem der Ermordete noch am letzten Tage gesagt, daß er ihm nicht mehr begegnen wolle.

Hätte man dann das Geld bei ihm gefunden, so konnte keine Macht der Erde ihn dem Henkersbeil entreißen.

Thatsächlich hatte er es nur einem blinden Zufall zu verdanken, daß das Verbrechen erst entdeckt wurde, nachdem er das Schiff verlassen.

Aus diesem Grunde zog er es vor, sich mit der Rache zu begnügen, ohne sich den Besitz des Kaufherrn dauernd anzueignen. – – – –

Meine Herren Geschworenen, ich habe Ihnen in Kürze einen vollen Einblick in die Ereignisse der Schreckensnacht vom 3. zum 4. April gewährt. Ich bitte Sie, noch einmal zu bedenken, daß der Angeklagte die einzige Person ist, welche überhaupt verdächtigt werden konnte, und daß der Verdacht gegen ihn durch das Verhältnis, in welchem er zu dem Ermordeten stand, ein geradezu erdrückender wurde.

Erwägen Sie das, meine Herren Geschwornen, und Sie werden dann zu der Ueberzeugung gelangen, von welcher die Behörde ausging, als sie die Anklage erhob, und durch Ihr Verdikt den Angeklagten schuldig sprechen.«

Der Staatsanwalt hatte sein Plaidoyer beendet; noch immer herrschte lautlose Stille in dem weiten Raum. Aller Blicke waren auf den Angeklagten gerichtet, welcher auch nicht eine Spur innerer Erregung verriet; so jung er war, er mußte ein verstockter Sünder sein.

Jetzt nahm der Verteidiger das Wort. In langer, ergreifender Rede suchte er Punkt für Punkt der Anklage zu entkräften.

Seine Worte trafen die Herzen der auf der Tribüne in dichten Reihen versammelten Zuhörer; sie entlockten selbst Männern unter diesen Thränen. Und dennoch stand es um die Sache des Angeklagten bedenklich. War er doch der einzige, auf dem ein begründeter Verdacht ruhte.

Eben wollten sich die Geschworenen in das Beratungszimmer zurückziehen, als ein Gerichtsdiener den Schwurgerichtssaal betrat. Eilig, aber leise, auf den Zehen schleichend, um die Würde des Gerichtshofes nicht zu verletzen, näherte er sich dem Präsidenten und machte diesem im Flüsterton eine Mitteilung.

Der Präsident ersuchte die Geschworenen, noch einen Augenblick zu verweilen.

Hierauf flüsterte er den Beisitzern und auch dem Staatsanwalt einige für die Uebrigen unverständliche Mitteilungen zu und verkündete dann zum Staunen des Auditoriums:

»Der Gerichtshof wird sich auf wenige Minuten zur Beratung zurückziehen.«

Eine gewisse Unruhe machte sich im Zuhörerraum geltend. Das Drama, dem man seit zwei Tagen mit spannender Aufmerksamkeit gefolgt, war seinem Schluß nahe und sollte nun plötzlich, vielleicht durch einen nichtigen Zwischenfall abgebrochen werden. Das war eine harte Zumutung, die man an die Geduld des Auditoriums stellte.

Nach wenigen Minuten kehrte der Gerichtshof zurück und der Vorsitzende verkündete:

»Der Gerichtshof hat beschlossen, den Hochbootsmann Larsen zu vernehmen.«

Ein Zeichen mit der Glocke; der Gerichtsdiener verließ den Saal und kehrte gleich darauf mit dem unsern Lesern bereits bekannten Zeugen zurück.

Ruhig, fest und sicher trat dieser an den Zeugentisch. Man sah es ihm an, daß er sich der Würde des Ortes, an dem er sich befand, und der Bedeutung seiner Aussage wohl bewußt war.

Nachdem er die Generalfragen beantwortet, begann das Verhör. Dasselbe beschränkte sich auf seine Wahrnehmungen mit dem Polen, die unsern Lesern bekannt, und die auf den Gang der Untersuchung bis auf einen Punkt kaum von Einfluß waren.

Dieser eine Punkt aber war dazu angethan, der ganzen Untersuchung eine andere Wendung zu geben.

Larsen erklärte, daß er in jener Nacht, in welcher der Mord verübt sein sollte, den Polen aus der Kabine des Kaufherrn kommen sah. Wiederholt mußte er sich den Angeklagten betrachten; wiederholt mußte dieser die Anklagebank verlassen. Doch Larsen erklärte, daß dieser mit dem Polen keinerlei Aehnlichkeit habe und daß eine Verwechslung beider Personen direkt ausgeschlossen sei.

Der Pole trug einen Vollbart. Ein künstlicher Vollbart wurde herbeigeschafft; Reinhold mußte denselben anlegen. Larsen blieb nur immer bei der Erklärung:

»Das ist nicht der Mann, den ich auf der langen Ueberfahrt oft beobachtet und in jener Nacht aus der Kajüte kommen sah.«

Auf die Frage des Vorsitzenden, warum er denn nicht früher dem Untersuchungsrichter oder irgend einer Polizeibehörde Mitteilung von seiner Wahrnehmung gemacht habe, erklärte er:

»Als der Mord entdeckt wurde, befand ich mich nicht mehr an Bord; ich war nach der Rhederei gegangen, hatte dort meinen Sold und mit demselben zugleich auch meine Ablohnung erhalten und keinen Grund mehr, nach dem »Poseidon« zurückzukehren. Gewiß habe ich auch schon wenige Stunden darauf von der traurigen Geschichte gehört; aber ich hatte bereits auf einem Engländer Dienst genommen, der am nächsten Tage in See stechen sollte. Da fürchtete ich, daß ich vielleicht durch eine langwierige Untersuchung in X. aufgehalten werden dürfte und dadurch meine Stellung verlieren könnte. Auch glaubte ich, daß die Polizei den Thäter auch ohne mich erwischen würde.

Ob es der da ist,« er zeigte bei diesen Worten auf den Angeklagten, »weiß ich nicht. Das aber kann ich mit gutem Gewissen beschwören, daß er nicht der Pole ist, dem ich von Anfang an nichts gutes zugetraut habe.

Als ich gestern von England zurückkehrte, da wurde in der Wirtschaft von den Gerichtsverhandlungen gesprochen, und nun hatte ich nichts eiligeres zu thun, als bei dem Untersuchungsrichter meine Angaben zu machen. Das ist alles.«

Der Hochbootsmann Larsen wurde vereidigt; und unter diesen Umständen wurde die Verhandlung vertagt.


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