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Viertes Kapitel.
In fremdem Lande

Das Haus Jansen & Sohn war gerettet; die drohende Krise überwunden. Frisch und freudig gab sich sein Chef aufs neue den schweren Pflichten hin, um durch rastlosen Eifer den Verlust auszugleichen, der ihn durch das Fallissement des amerikanischen Hauses getroffen.

Jansen glaubte, daß niemand in der kaufmännischen Welt eine Ahnung davon hatte, wie es noch vor wenigen Wochen mit der stolzen Firma bestellt war. Und doch begegnete er häufig an Stelle des früheren freundlichen Entgegenkommens eine gewisse Reserve, die er sich erst nicht erklären konnte. Daß er seinen Schützling plötzlich entlassen hatte, mußte allerdings Aufsehen erregen, aber Jansen wich allen an ihn deshalb gerichteten Anfragen konsequent aus; ob Reinhold ebenso verschwiegen, – wer wußte es? Man erfuhr nur nach wenigen Tagen, daß Herr Thümler L. verlassen; zu welchem Zweck und wohin er sich begeben hatte, konnte niemand sagen.

Von dem Augenblick seiner Abreise an datierten nun gewisse dunkle Gerüchte, die über das Haus Jansen & Sohn auftauchten und um so festeren Halt gewannen, da sie von dem einzigen, der dazu berechtigt und imstande war, also von Jansen selbst, nicht widerlegt wurden.

Niemand ahnte, daß er gewissen Andeutungen gegenüber vollständig ohne Waffen war.

Die Tratte auf Richter & Sohn in Amsterdam existierte allerdings nicht mehr, aber sie war vorhanden, und wenn ihn deshalb auch keine gesetzliche Strafe treffen konnte, so machte er sich doch als Kaufmann unmöglich von dem Augenblicke an, wo seine unglückliche Manipulation offenkundig wurde.

Darum mußte denn der bis dahin stolze Mann alle Kränkungen geduldig ertragen. Trost und Entschädigung dafür fand er zwar in der Verehrung, die ihm Ella entgegenbrachte, aber die Freude und Ruhe des Gemüts vermochte ihm selbst die Liebe seiner Tochter nicht wiederzugeben. Er fühlte, daß er unfehlbar einer bedrückenden Schwermut anheimfallen mußte, wenn sich nicht etwas Außergewöhnliches ereignete.

Und ein solches Ereignis trat ein. Sein Korrespondent in Kalkutta machte ihm die Meldung, daß eine günstige Gelegenheit gegeben wäre, wertvolle Besitzungen zu erwerben, daß indessen die Anwesenheit Jansens selbst notwendig sei, um dieses bedeutende Geschäft abzuschließen.

Der Antrag konnte ihn zu keiner gelegeneren Zeit kommen. Einundeinhalb bis zwei Jahre nahm eine solche Reise sicherlich in Anspruch und in dieser Zeit mußten alle unlautern Gerüchte verstummen, die über ihn und sein Haus verbreitet waren. Er sah sich im Geiste bereits mit Schätzen beladen auf der Rückkehr nach der Heimat und vernahm die Lobpreisungen, die man seinem Eifer und seiner Energie zollte.

Bald war er entschlossen, die gefahrvolle und lange Reise zu unternehmen, denn sie sollte seinem Hause neuen Glanz, seinem Innern neuen Frieden bringen, obzwar er sich, selbst um diesen Preis, mir ungern von seinem Kinde trennte.

Die Vorbereitungen wären schnell getroffen und bereits nach wenigen Tagen schiffte er sich ein.

Die Fahrt war vom Glück begünstigt: das herrlichste Wetter führte den stolzen Ostindienfahrer über ferne Meere und schneller als er glaubte, war das Ziel seiner Reise, Kalkutta, erreicht.

Das Außergewöhnliche der neuen Umgebung, die rege geschäftliche Thätigkeit übten auf das kranke Gemüt Jansens den wohlthätigsten Einfluß. Es war ihm, als ob er von einem lästigen Alp befreit sei, denn hier, fern der Heimat, durste er wieder frei jedem unter die Augen treten; hier vernahm er kein zweideutiges, kränkendes Wort.

Und sein Korrespondent hatte sich wie schon seit Jahren, wieder einmal als tüchtiger, umsichtiger Kaufmann gezeigt. Der Landerwerb, den Jansen abschloß, war für ihn von bedeutendem Gewinn; er konnte bei richtiger Bewirtschaftung seinen jährlichen Verdienst, namentlich an Zucker und Indigo, nach Hunderttausenden berechnen. Und dieses Bewußtsein ließ ihn die Unannehmlichkeit des Aufenthalts, wie die von der Heimat vollständig abweichenden Sitten und Gebräuche gern ertragen.

Wohl saß er oft stundenlang sinnend und grübelnd in dem kleinen, behaglich eingerichteten Zimmer der Faktorei und gedachte seines Kindes. Aber immer wieder sagte er sich, daß Ella wohl geborgen sei. Er hatte sie dem Schutz der Familie des alten Jordan anvertraut, und so durste er um ihr Ergehen unbesorgt sein.

Eins allein beunruhigte ihn oft lebhaft. Es war das Verhältnis Ellas zu Eduard.

Ella hatte ihm kurze Zeit vor seinem Scheiden gestanden, was sie für den jungen Künstler empfand. Sie bat ihn um seinen Segen.

Jansen war durch diese Mitteilung seiner Tochter aufs Schmerzlichste überrascht, denn sein einziger Wunsch war von je her, sein Geschäft einst einem soliden, kaufmännisch erfahrenen Schwiegersohn übergeben zu können. Nur so war der Fortbestand seiner alten Firma gesichert.

Mit der Erklärung Ellas waren seine schönsten Illusionen vernichtet, und dennoch besaß er nicht den Mut, dem geliebten Kinde aufs neue einen herben Schmerz zu bereiten, sich ihr Herz vielleicht zu entfremden, gerade in dem Augenblick, wo er ihrer Liebe als einzige Begleiterin auf der gefährlichen Reise so sehr bedurfte.

Nur für Ella sorgte er ja, nur ihretwegen hatte er die Kränkungen in Ruhe ertragen; sie war es, welche die Wolken des Grams durch heiteres Geplauder von seiner Stirn scheuchte; ihr wollte er, was ihn der ferne Erdteil an Gaben schenkte, freudig darbringen, um ihre Zukunft glänzend zu gestalten.

Sollte er nun jetzt, im Begriff, auf längere Zeit von ihr zu scheiden, ihre süßesten Träume zerstören? Das vermochte er nicht; deshalb willigte er ein in die von ihr heißersehnte Verbindung, unter der Bedingung, daß erst nach seiner Rückkehr die Vereinigung der jungen Leute stattfinde.

Eduard lebte in der Residenz; sie hatte also kaum Gelegenheit, mit ihm zusammenzutreffen. Außerdem war Ella noch jung, und zwei Jahre konnten in ihren Gefühlen eine Aenderung Hervorrufen und das Gebäude ihrer Phantasie gleich einem Kartenhause wie durch einen Windstoß umstürzen.

Auf diesen Umstand rechnete Jansen, er war ein umsichtiger Charakter, der in seinem Leben viel erfahren, viel kennen gelernt hatte; eins aber war ihm fremd geblieben, eins vermochte er nicht zu durchschauen, daß süße, geheimnisvolle Wesen der Liebe.

Mit jedem Postdampfer, der von der Heimat kam, erhielt er einen Brief von Ella, aber alle diese Schreiben bestätigten, daß er sich in seiner Annahme verrechnet hatte. Die Liebe ist aber kein Spekulationsgeschäft, und wehe denjenigen, die sie, wie das häufig genug der Fall, dazu erniedrigen wollen, sie sehen meist erst zu spät ein, daß sie die vermeintliche gute Spekulation mit ihrem Lebensglück bezahlen.

In jedem Brief entwarf Ella ein neues, reizvolleres Bild von dem Glück ihrer Zukunft, der sie als Gattin Eduards entgegensah.

Mit Schrecken sah Jansen ein, daß er sich in dem Jugendsinn seiner Tochter geirrt, daß diese Neigung der ersten Liebe, die er für flüchtig, vorübergehend gehalten, einen tiefen, ernsten Grund hatte.

Diese Erkenntnis verbitterte dem Kaufherrn alle Freude an seinem glänzenden Erfolge immer mehr. Was nützte es ihm denn auch, für den Ruf seines Hauses thätig zu sein, das mit ihm aufhörte zu existieren? Nach seinem Tode wirtschaftete vielleicht ein junger leichtlebiger Mann mit seinen Schätzen, der keinen Begriff davon hatte, wieviel Fleiß und Anstrengung dazu gehörten, ein so stolzes kaufmännisches Haus zu erhalten, ein Mann, der wohl gar hochmütig auf das Krämervolk herabblickte, aus dem seine Gattin hervorgegangen.

O, solche Gedanken konnten den Kaufherrn Jansen fast zur Verzweiflung treiben! Ihm war es nicht möglich, sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß Ella an der Seite eines solchen Mannes glücklich werden könnte.

Monate waren vergangen, und der Tag der Abreise nach der Heimat rückte näher und näher. Mit der Zeit wurde auch die Stimmung Jansens eine bessere, heiterere, trotz der Sorgen um das Wohl seiner Tochter, die ihn noch immer bedrückten. Die unerwartet reichen Erfolge seiner Thätigkeit waren es nicht allein, welche ihm seine gute Laune Wiedergaben, sondern auch der Umstand, daß er die Bekanntschaft eines jungen Mannes gemacht hatte, der so ganz zu seinem Wesen zu passen schien, daß er sich in Bezug auf ihn den weitgehendsten Hoffnungen hingab.

James Warren weilte erst seit wenigen Jahren in Kalkutta, und obgleich man über seine Herkunft im Unklaren war, glückte es ihm doch durch mannigfache Kenntnisse und gesellschaftliche Talente sowie durch sein liebenswürdiges Wesen, sich die Freundschaft und Achtung aller derjenigen zu erwerben und zu erhalten, die mit ihm in Berührung kamen.

Ein, dem Anschein nach, biederer und offener Charakter, bewahrte er doch eigentümlicherweise über seine Herkunft das tiefste Schweigen. Und wenn einmal in der Gesellschaft dieses Thema berührt wurde, so wich er demselben aus, nicht etwa wie jemand, der sich seiner Vergangenheit oder Herkunft zu schämen hat, sondern wie einer, der nicht durch schmerzliche Erinnerungen eine vielleicht kaum vernarbte Wunde tu seinem Herzen wieder aufreißen mochte.

So viel wußte man von Warren, daß er trotz seiner Jugend bereits viel gereist war. Daß Deutschland seine Heimat war, hatte er gesprächsweise wiederholt hingeworfen; er hätte es auch nicht verleugnen können, denn die Nationaleigentümlichkeiten erkennt man, namentlich unter Engländern und Franzosen – und sie bildeten den Hauptbestandteil unter den zivilisierten Einwohnern Kalkuttas – bald heraus.

Warren hatte, dafür sprach seine Kenntnis der Verhältnisse, in den Vereinigten Staaten vorübergehend gelebt; er wußte aber ebenso gut in allen größeren europäischen Plätzen Bescheid und verfügte über eine so seltene Sprachenkenntnis, daß er schon allem aus diesem Grunde den meisten Handelshäusern Kalkuttas unentbehrlich war, die seine Freundschaftsdienste als Dolmetsch häufig in Anspruch nahmen.

Um seine Herkunft hatte sich gewissermaßen ein Sagenkreis gewoben. Die einen vermuteten in ihm einen jungen ehemaligen Offizier, der wohl infolge eines unglücklich ausgefallenen Duells den Abschied genommen; andere einen politisch Verbannten; alle aber waren dann einig, daß er nur aus der besten Gesellschaft entstammen konnte.

Freilich, die Sage trifft selten das richtige, und ganz besonders die, welche einen Menschen, mit dem wir in stetem Verkehr leben, umgiebt. Sie ist häufig geeignet, uns von der Wahrheit gerade in dem Moment abzulenken, wo man derselben bereits auf der Spur ist.

Und so verhielt es sich auch in Bezug auf Warren; ein Umstand, der alle bisher gemachten Kombinationen betreffs seiner Herkunft vernichten mußte, entging gerade denen, die sich im täglichen Verkehr mit ihm befanden. Es war das seine seltene, kaufmännische Begabung.

Mit überraschendem Scharfblick wußte er den Wert einer Ware zu taxieren, den Nutzen oder Schaden eines kaufmännischen Unternehmens vorher zu bestimmen. Das aber waren Eigenschaften, über die weder ein gewesener Offizier, noch ein Revolutionär, also ein Phantast, verfügen konnte. Dergleichen kaufmännische Talente sind kaum angeboren, und wenn ja, verlangen sie doch bis zu ihrer nutzbringenden Anwendung jahrelanger Hebung.

Jansen hatte diese seltenen Fähigkeiten des jungen Mannes bald erkannt; er gewann ihn deshalb mit jedem Tage lieber und sein einziger Wunsch war es, ihn zu veranlassen, mit ihm nach Europa zurückzukehren. Seiner geradezu bestechenden Schönheit und Liebenswürdigkeit gelang es vielleicht, Ellas Herz zu gewinnen; und in bessere Hände hätte Jansen die Zukunft seines Hauses nicht legen mögen, als in die des von ihm geschätzten jungen Mannes.

Freilich war er vorsichtig genug, so weit als möglich, über Warren Erkundigungen einzuziehen, aber auch er konnte ebenso wenig wie jeder andere in der Hafenstadt Gründliches über ihn erfahren. Von allen Seiten wurde Warren das ausgiebigste Lob erteilt, nicht nur seines Fleißes, seiner Umsicht, sondern namentlich der persönlichen Liebenswürdigkeit halber, sowie der Opferwilligkeit, mit der er jedem ausnahmslos seine Dienste zur Verfügung stellte.

Das letztere könnte Jansen überdies an sich selbst erfahren; unzählige, oft geradezu unschätzbare Gefälligkeiten hatte er dem jungen Mann zu danken, und gerade deshalb scheute sich der sonst so verschlossene Geschäftsmann nicht, dem Fremden, den er nur wenige Monate kannte, sein Vertrauen voll und ganz entgegenzubringen.

Jansen fühlte, daß sein junger Freund berechtigt war, ein derartiges Entgegenkommen zu verlangen; denn er trug ihm und andern gegenüber eine so bewundernswerte Uneigennützigkeit zur Schau, daß der Glaube, Warren sei nicht nur von guter, sondern auch von reicher Herkunft, selbstverständlich Annahme fand. Dem Kaufherrn imponierte der junge Mann so sehr, daß er eine Gelegenheit förmlich herbeisehnte, ihn zur Uebersiedelung nach Deutschland zu bewegen. Als er diese endlich fand und Warren sein Ansinnen mitteilte, schlug es der junge Mann kurzweg aus.

Vergebens drang Jansen in ihn; vergebens schilderte er ihm das Leben in der Heimat und in seinem Hause in den glühendsten Farben, Warren blieb bei seiner Weigerung und hatte nur immer die gleiche Erklärung:

»Ich mag mein Vaterland nicht mehr sehen, nachdem es sich an einen seiner besten Söhne so undankbar benommen.«

Mit diesen Worten schied er von Jansen zwei Tage vor dessen Abreise.

Die Leute hatten wohl recht; Warren war einer jener Unglücklichen, die sich mit der ganzen glühenden Phantasie einer Feuerseele einem Phantom ergeben, die im blinden Freiheitsdrang die Wellordnung umstürzen möchten und schließlich, betrogen um ihre kühnsten Erwartungen, ungekannt und ungenannt, geächtet und verfolgt von dem strafenden Arm der Justiz, ihr Leben fern vom Vaterlande vertrauern müssen.

Warren hatte sich von Jansen verabschiedet für immer, da wichtige Geschäfte eine Reise ins Innere des Landes erforderten, von welcher er, wie er sagte, erst nach vielen Monaten zurückkehren könne.

Mit dem Verlust des liebgewordenen jugendlichen Freundes, an dessen Bekanntschaft sich so manche Hoffnung knüpfte, war auch die Gemütsruhe, die Jansen seit kurzer Zeit zur Schau trug, wieder geschwunden.

Jene Menschenscheu, die den reichen Kaufherrn veranlaßt hatte, die Gesellschaft zu fliehen und trotz seiner Reichtümer allein und abgeschlossen zu leben, beherrschte ihn wieder, er hatte in Warren, wie es schien, seinen guten Genius verloren. – – – –


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