Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.
Verrechnet

Etwa vier Wochen waren vergangen; aber sie hatten in dem Hause des Kaufherrn Jansen eine angenehme Veränderung hervorgerufen, und namentlich in den prächtigen Räumen der ersten Etage führten wieder heiterer Sinn und Jugendübermut die Zügel.

Jansen hatte endlich den Bitten der Tochter nachgegeben und sie nicht zu der projektierten Ehe gezwungen, aber auch der junge Helwig war vernünftig genug, auf die Hand eines Mädchens zu verzichten, das ihm nur gezwungen zum Altar folgen würde.

Das war es, was Ella den vollen Jugendmut wieder zurückgab. Jetzt glich sie nicht mehr dem gefangenen Vöglein im goldenen Käfig, nein, jetzt war sie selbst ein Vöglein, das mit seinen lustigen Weisen das ganze Haus belebte. Lustig und hell klangen diese Weisen hinaus, denn sie spiegelten das Bild wieder, das einzig ihrer Seele vorschwebte, das Bild desjenigen, an dem sie mit allen Fasern ihres jugendlichen Herzens, mit aller Glut der ersten, reinen Liebe hing.

Zwar hatte sie es noch nicht gewagt, dem Vater von ihrer Liebe zu sprechen; aber sie fühlte es, daß er ihren Wünschen nicht entgegenstehen würde. Obgleich Eduard nicht reich und nicht Kaufmann war, und obwohl der Vater am liebsten einem solchen die Hand seiner Tochter gegeben hätte, durfte er doch nach Ellas Ueberzeugung mit ihrer Wahl zufrieden sein; denn Eduard war ein junger strebsamer Künstler, der sich bereits durch einige Arbeiten einen Namen gemacht und gerechte Aussicht auf eine glänzende Zukunft hatte.

Deshalb war Ella glücklich, und wer sie jetzt im heiteren Gedankenaustausch mit der schwesterlichen Freundin sah, konnte kaum glauben, daß noch vor wenigen Wochen Wolken des Kummers diese schöne Stirn verdunkelten.

Die beiden jungen Mädchen mußten wohl über närrische Dinge plaudern, Ideen austauschen, wie sie aber nur in ausgelassenen Mädchenköpfen entstehen können; denn oft erfüllte ihr heiteres Gelächter die prächtigen Räume.

Plötzlich aber murrte Ella ernst, das Lachen verstummte und ihre heitern Züge zeigten den lebhaftesten Ausdruck des Mitleids.

»Anna,« sprach sie, die Hand der Freundin ergreifend und ihr treuherzig in die Augen blickend, »ist es nicht eigentlich Unrecht, daß ich Reinhold in dieser Weise geantwortet habe? Sicherlich wird er nun bei Papa sein Anliegen vorbringen und sich dadurch, ich weiß es, Unannehmlichkeiten zuziehen. Es war eigentlich recht garstig von Dir, daß Du mir noch zugeredet, den thörichten Brief zu schreiben, denn mir thut es in der Seele noch weh, den jungen Mann vielleicht Kränkungen auszusetzen.«

»Geh doch, Ella, Du bist eine kleine Thörin,« erwiderte Anna heiter lächelnd; »Du nimmst jedes Ding gleich zu ernst. Warum muß er auch so mit der Thür ins Haus fallen, als ob es sich um seinesgleichen handelt. Da ist es ihm ganz recht, daß er in seine Schranken zurückgewiesen wird.«

»Anna, ich glaube, Du verstehst mich nicht,« entgegnete Ella fast beleidigt, »erstens ist Reinhold so gut wie zu unserer Familie gehörig; und dann, glaube ich, kennst Du mich lange genug, um zu wissen, daß ich einen Menschen nicht nach äußeren Verhältnissen beurteile. Wäre mein Herz nicht schon vergeben und würde ich Reinhold lieben, könnte mich der Umstand, daß er sich im Dienste meines Vaters befindet und arm ist, wahrhaftig nicht zurückhalten. Ich mache mir auch keine Vorwürfe darüber, daß ich ihn abgewiesen, denn das war recht. Unrecht aber that ich daran, durchblicken zu lassen, daß ich mich dem Wunsch des Vaters fügen würde, wenn es sein müßte. Durch diese Thorheit habe ich vielleicht unnütze Hoffnung in ihm erregt, und mit Herzen darf man nicht spielen. Ich habe ja erst vor wenigen Wochen erfahren, daß ein solches Spiel ein gar trauriges Ende nehmen kann.«

»Ich glaube gar. Du wirst sentimental!« rief Anna fröhlich in die Hände klatschend. »Denn anders kann ich es doch kaum nennen, wenn die Tochter des reichsten Kaufmannes sich eines armen Buchhalters wegen die gute Laune verderben läßt. Sprechen wir lieber von Eduard, oder richtiger, lies wenigstens seinen letzten Brief, den Du Ungetreue noch nicht einmal geöffnet hast.«

»Hat er geschrieben?« fragte Ella, während ihr schönes Antlitz von einem Freudenschimmer übergossen wurde.

»Freilich,« erwiderte Anna in gut angenommenem Hofmeisterton, »er hat, wie immer, dem Brief meiner Tante den seinigen beigefügt. Nicht wahr, es ist doch zu gut, daß Deine kleine Freundin zugleich auch das Talent einer vollendeten Kammerkatze besitzt, sonst wäre es um Deine Korrespondenz mit Eduard schlimm bestellt.«

»Pfui! Es ist garstig von Dir, daß Du mich so lange warten lassen kannst,« erwiderte Ella, freundlich schmollend. »Du willst meine Freundin sein und entziehst mir die einzige Freude.«

»Dein Vorwurf trifft mich mit Unrecht, Ella, denn es war ja möglich, daß Du im stillen Herrn Reinhold Thümler den Vorzug gabst. In diesem Falle hätte ich allerdings Herrn Eduard den Brief in einem Couvert mit Trauerrand zurückgesandt und ihm geraten, dem Gott Merkur, dessen Jünger ihm Dein Herz entfremdet, Sühnopfer zu bringen.

Da Du aber, wie ich sehe, reuig zu ihm zurückkehrst und den Versuchungen des Herrn Reinhold Thümler widerstehst, so will ich Dir auch Eduards Brief nicht länger vorenthalten und ihn sofort herbeiholen.«

Mit diesen Worten sprang das junge Mädchen leicht und flink wie eine Gazelle davon.

»Sie bleibt doch ein gutes, herziges Mädchen,« sprach Ella für sich, während sie der Freundin nachblickte; »ein kleiner ausgelassener Kobold, dem man trotz aller losen Streiche nicht zürnen kann.« – – – – – – – – – –

Der Kaufherr Jansen war nicht wenig erstaunt, als sich an demselben Tage, er war eben von der Börse zurückgekehrt, Reinhold zum Zweck eines Privatgespräches bei ihm melden ließ.

Sein Staunen wuchs noch, als der junge Mann wenige Minuten später in komplettem Gesellschaftsanzug das Privatcomptoir betrat.

»Ei, ei, lieber Reinhold,« rief Jansen überrascht; »was haben Sie denn heute vor, daß Sie in Gala erscheinen? Haben Sie irgend eine Festlichkeit in Aussicht und wollen Sie dispensiert sein, so will ich Ihnen gerne einen oder zwei Tage Urlaub bewilligen.«

»Das nicht, Herr Jansen,« erwiderte Reinhold, einen lauernden Blick auf den Chef werfend, den dieser indeß kaum bemerkte; »ich wollte Sie, verehrter Herr Jansen nur um eine Unterredung bitten, von deren Erfolg das Glück meines Lebens abhängt.«

Ueberrascht blickte Jansen auf seinen Schützling; dann aber bat er ihn, Platz zu nehmen.

»Sie wissen, lieber Reinhold,« fügte er hinzu, »daß ich Ihnen gern und soweit es in meinen Kräften steht, jeden Wunsch erfülle. Also sprechen Sie zu mir, wie Sie zu einem Vater sprechen würden, ohne Mißtrauen, denn das ist unter uns nicht am Platze.«

»Nun wohl, Herr Jansen,« erwiderte Reinhold, sichtlich erleichtert; »bevor ich Ihnen mein Anliegen mitteile, muß ich sagen, daß nur das Bewußtsein, wie wir zu einander stehen –« er betonte die letzten Worte merklich – »mir den Mut gab, mich Ihnen mit der folgenden Bitte zu nahen.«

Sichtlich unangenehm berührt, blickte Jansen auf den Bittsteller.

»Sprechen Sie,« sagte er dann kurz.

»Verehrter Herr Jansen,« begann jener, »ich weiß sehr wohl, was ich Ihnen von Jugend auf danke, und ich habe nie aufgehört, die Gelegenheit herbeizusehnen, diesen Dank zum Teil abzutragen.

Aus diesem Grunde kannte ich auch kein Bedenken, noch vor wenigen Wochen meine Hand einer Handlung zu leihen, die mir, wenn sie entdeckt würde, entehrende Zuchthausstrafe einbrächte. Gleichwohl that ich gern, was Sie von mir verlangten, wußte ich doch, daß ich dadurch den Mann rette, den ich mit recht wie einen Vater verehre.

Damals, verehrter Herr Jansen, sagten Sie mir, ich solle denken, wie ein Sohn, der seinen Vater retten will. Und ich dachte und handelte so. Heute aber bitte ich Sie, Herr Jansen, an mir zu handeln, wie ein Vater an dem Sohn, oder, um mich kurz zu fassen, mich als Sohn anzunehmen; denn ich liebe Ihr Fräulein Tochter mit der ganzen Glut der ersten Liebe; ich vermag nicht zu leben ohne sie, und die Verweigerung meiner Bitte Ihrerseits würde für mich gleichbedeutend mit einem Todesurteil sein.

Noch bis vor wenigen Wochen wagte ich es nicht, mich Ihnen mit dieser Bitte zu nahen, denn Sie hatten die Hand Ihrer Tochter so gut wie vergeben, und ich mochte Ihrem Herzen keinen Schmerz bereiten. Jetzt aber, wo dieses Band gelöst, wo Sie durch kein Versprechen gebunden sind, darf ich getrost vor meinen Wohlthäter hintreten und erwarten, daß er sein mir entgegengebrachtes Wohlwollen durch eine Zusage krönt, die geeignet ist, mein Leben dauernd zu verschönern?«

»Und meine Tochter?« fragte Jansen, Reinhold scharf fixierend.

»Ihr Fräulein Tochter,« erwiderte dieser zögernd, »hat mich zwar abgewiesen, spricht aber in ihrem Briefe davon, daß sie sich in den Wunsch ihres Vaters fügen würde, wenn es sein müßte.«

»Dann, lieber Herr Reinhold, thut es mir leid, meine Einwilligung versagen zu müssen,« erwiderte Jansen gedehnt. »Ich erkenne sehr wohl an, daß Sie mir erst vor kurzem aus Dankbarkeit ein großes, für Sie mit schwerer Gefahr verbundenes Opfer brachten, und Sie werden mich stets zur Erkenntlichkeit dafür bereit finden.

Sie können von meinem Vermögen verlangen, was Sie brauchen, und Sie werden keine Fehlbitte thun; aber dem Herzen meines Kindes darf ich keinen Zwang auferlegen, denn ich habe leider erfahren, wie leicht es ist, mir dieses Herz, welches allein treu für mich schlägt, zu entfremden. Ich möchte diese Probe nicht noch einmal machen, denn sie könnte leicht mißglücken.«

»Herr Jansen,« erwiderte Reinhold, die Maske fallen lassend, in vollkommen verändertem, fast herausforderndem Ton, »gestatten Sie mir wenigstens, daß ich nunmehr unser gegenseitiges Verhältnis etwas näher beleuchte, da ich nach Ihrer Erklärung keine Stunde länger in diesem Hause zu bleiben beabsichtige.

Sie erzählten mir wiederholt von den Wohlthaten, die Sie mir erwiesen haben. Es ist richtig, daß Sie mich während der Knabenjahre kleiden und erziehen ließen; was ich aber lernte, kann Ihnen, verehrter Herr Jansen, während der fünf Lehrjahre, die ich in Ihrem Comptoir ohne jede Entschädigung verleben mußte, reichlich zu gute. Und wenn noch etwas an Schuld für mich übrig blieb, so habe ich dieses Manko in jener verhängnisvollen Stunde, wie Sie wohl wissen, damit ausgeglichen.«

Nur mit Mühe vermochte Jansen bei diesen Worten seine Ruhe zu bewahren.

Nicht die Frechheit Reinholds allein war es, die ihn tief empörte, sondern mehr noch das Bewußtsein, einen Menschen seit Jahren mit Wohlthaten überhäuft zu haben, der sich nun als ein erbärmlicher Charakter entpuppte.

»Sie sprachen davon, verehrter Herr Jansen,« begann Reinhold aufs neue ironisch, »daß Sie mir zwar nicht die Hand Ihrer Tochter, wohl aber gern einen Teil Ihres Vermögens opfern würden, wenn ich es verlange.

Sie scheinen ein merkwürdig kurzes Gedächtnis zu haben, Herr Jansen, sonst müßten Sie wissen, daß Sie wenigstens in diesem Augenblick nicht über Vermögen, wohl aber über ein Defizit von beinahe einer halben Million Mark verfügen, und davon möchte ich mir denn doch keinen Teil erbitten.«

»Schweigen Sie erbärmlicher, undankbarer Wicht!« rief Jansen zornig. »Sie wollen mein Haus verlassen, nun wohl; ich habe nichts dagegen. Zu Ihrer Beruhigung darf ich Ihnen aber sagen, daß die gefährliche Krise überwunden, und der Ruf meines Hauses gottlob gewahrt ist. Gehen Sie meinetwegen, wohin Sie wollen, ich werde Ihnen kein Hindernis in den Weg legen.«

»Auch dann nicht, wenn es mir belieben sollte, zunächst nach der Bank zu gehen?«

»Auch dann nicht!« erwiderte Jansen, den elenden Buben mit verächtlichen Blicken messend.

»Nun wohl, ich könnte ja das Direktorium veranlassen, bei Richter & Sohn in Amsterdam telegraphisch anzufragen, ob sie eine Tratte in Höhe von 400,000 Mark, die auf Ihre Firma gezogen ist, anerkennen.«

»Das können Sie; auch dagegen habe ich nichts,« erwiderte Jansen, ohne Reinhold eines Blickes zu würdigen. »Ich fürchte nur, daß Sie sich bei der Gelegenheit entweder lächerlich machen oder gefährden.«

»Befürchten Sie nicht auch, verehrter Herr Jansen, daß sich für die Tochter des Betrügers und Wechselfälschers nie die Pforte eines anständigen Hauses öffnen wird, in dem man sie als Schwiegertochter willkommen heißt?«

»Für die Tochter des Betrügers und Wechselfälschers freilich nicht,« entgegnete Jansen mit eisiger Ruhe; »der Tochter des Großkaufherrn Jansen aber steht jedes Haus offen. Doch damit Sie über das Geschick meiner Tochter vollkommen beruhigt sind, will ich Ihnen mitteilen, daß das Papier, welches nur wenige Tage in Deposito gegeben war, längst eingelöst ist, die Bank also keinerlei Forderung an Richter & Sohn in Amsterdam aufzuweisen hat.«

Wie ein Blitz aus heiterm Himmel traf Reinhold diese Mitteilung.

Er glaubte den Chef in seiner Gewalt und hatte, darauf spekulierend, ein gewagtes Spiel riskiert. Das Spiel war verloren, er hatte sich verrechnet.

»Jetzt, Herr Thümler, verlassen Sie mich und mein Haus,« sprach Jansen, die nach dem Hausflur führende Thür des Privatcomptoirs öffnend, »und wenn ich noch einen Wunsch in Ihrem Interesse habe, so ist es der, daß Sie mir ferner nie mehr im Leben begegnen.«


 << zurück weiter >>