Theodor Volbehr
König Bob, der Elefant
Theodor Volbehr

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Ein schrecklicher Traum

Der kleine Bob wurde jeden Tag stärker und größer. Zwischen den vier Beinen seiner Mutter war bald kein Platz mehr für den großen Jungen, und Mutter Bob dachte schon mit Seufzen daran, daß es schwer sein werde, ihn noch länger festzuhalten, wenn es ihn einmal gelüsten sollte, sich allein im Walde umherzutreiben.

Da kam eines Tages Bußemann zu Bobs, zum erstenmal in ihrem Leben.

Vater Bob war sehr erstaunt und begriff nicht recht, was den Schimpansen zu einem so ungewöhnlichen Tun veranlassen konnte. Es war auch nichts Rechtes aus Bußemann herauszubringen. Er führte krause Reden, die Bob nicht verstand und die Frau Bob unheimlich waren. Er meinte, es sei gut, zusammenzuhalten, wenn man doch nicht allein bleiben könnte, und es sei ein Unsinn, sich gegen die Dinge aufzulehnen, die nun doch einmal kommen müßten, und was der wunderlichen Worte mehr waren.

Bob schüttelte einmal über das andere den Kopf. Und als Bußemann ging, da sagte er zu seiner Frau: es sei doch merkwürdig, daß kein Tier auf die Dauer das Alleinsein vertrage; der Schimpanse sei doch wirklich drauf und dran, überzuschnappen.

Mutter Bob meinte, der häßliche Affe habe ihr nie gefallen, jetzt aber sei er ihr entsetzlich. Er führe gewiß etwas Böses im Schilde. Denn für nichts und wieder nichts komme der alte Eigenbrödler gewiß nicht zu ihnen. Und dann fragte sie leise, damit es der kleine Bob nicht höre, ob Bob bemerkt habe, wie Bußemann immerfort den Jungen betrachtet habe. Da lachte Bob nun wieder in sich hinein und sagte, das wäre doch nichts Schlimmes; das müsse doch jeder tun, der Augen im Kopfe habe.

Aber Mutter Bob blieb der Besuch sehr unheimlich, und sie mußte noch lange an die merkwürdigen Augen denken, mit denen Bußemann ihren Jungen betrachtet hatte.

Inzwischen kam wieder einmal die Regenzeit, und sie ging langsam zu Ende. Der ganze Urwald lag wie in einem Dampfbad. Dichte, nasse Schleier hüllten die Kronen der Bäume ein und stiegen von den Tiefen auf, und von allen Ästen und Schlingketten tropfte es leise zum Boden herunter.

Und dann kamen wieder die ersten heißen Tage. Der kleine Bob war nicht mehr zurückzuhalten und machte seine eigenen Entdeckungsreisen durch den Wald. Die Mutter kam in der ersten Zeit gar nicht aus der Angst heraus, wenn er schon frühmorgens auf und davon war und den ganzen Tag nicht nach Hause kam. Bob aber sagte, daß sei nun mal so. Der Junge sei doch auch groß genug, um allein gehen zu können. Und es gebe doch auch auf der ganzen Insel kein Tier, das ihm etwas tun würde.

Frau Bob schwieg, aber sie mußte immer an den greulichen Schimpansen denken.

Der aber saß oft tagelang mit dem jungen Bob zusammen und erzählte ihm die wunderschönsten Geschichten von einem Negerdorf und von der List und Tücke der schwarzen Bewohner, von wilden Kämpfen und seltsamen Abenteuern. Und der junge Bob bekam bisweilen Lust, auch einmal hinauszuziehen zu Kampf und Streit mit den Negern; dann aber freute er sich wieder, daß sie so behaglich allein auf der friedlichen Insel seien.

Wenn er aber so etwas laut sagte, dann lachte Bußemann höhnisch auf. Und einmal sagte der alte Schimpanse sogar: »Kommen werden sie doch! Es kann noch lange dauern, aber kommen werden sie sicher. Und wenn sie kommen, dann werden sie mich und die meisten andern in Frieden lassen. Aber dich werden sie mitnehmen!«

Da erschrak der junge Bob sehr, und er beschloß, das Wort seinem Vater zu erzählen. Aber als er daheim angekommen war und eben gesagt hatte, daß er beim Schimpansen gewesen sei, da hagelte ein solcher Zornausbruch der Mutter auf den Jungen herab, daß er gar nicht wagte, noch ein Wort zu sagen.

Seit dem Tage ging er nicht mehr zu Bußemann; aber er wurde die Worte »dich werden sie mitnehmen« nicht mehr aus seinen Ohren los, und in seinem Herzen erwuchs eine ungewisse Angst.

Und es war doch die schönste Zeit im Jahre. Durch die ganze Insel ging es wie ein Jubilieren, sobald die Sonne aufstand. Es war wie ein stilles Jauchzen in der Luft. Auch die guten Knieptangs waren wieder einmal selig, und sie träumten von neuen fröhlichen Nachmittagen auf der Lichtung mit der Bobfamilie und mit den neuen kleinen Knieptangs.

Aber in einer schönen, milden Nacht hatte Knieptang einen schrecklichen Traum. Er hatte nicht fern von dem Neste der Knieptangs gesessen und war schon früh in einen tiefen Schlaf gefallen. Als er aber am Morgen erwachte, blickte er mit seinen roten Augen ängstlich auf den Fluß hinab und besonders auf die Stelle, wo die Bobfamilie jeden Abend zu baden pflegte. Seine Flügel rauschten so stark, daß seine Frau aufwachte und ganz erstaunt aus ihrem Lehmnest heraussah. Sie hatten es diesmal ganz nahe der Lichtung eingerichtet, und Frau Knieptang freute sich täglich, daß sie auf ihren Eiern liegen und doch wenigstens etwas von dem Leben und Treiben auf der Lichtung sehen konnte. Sie mußte aber heute den Kopf weit aus dem engen Futterloch der Lehmwand hinausrecken, um den Gatten sehen zu können.

Er mußte wirklich recht aufgeregt sein, denn er schlug mit seinen Flügeln gewaltig die Luft. Frau Knieptang fing schon an, unruhig zu werden. Da setzte er sich zum Glück auf einen Ast, den sie ganz gut von ihrem Guckloch aus sehen konnte. Aber wie er dasaß! Den Kopf hatte er so weit zwischen die Flügel gezogen, daß sein schöner, roter Schnabel nur wie eine Nachtmütze aus den Federn hervorlugte. Von seinen Augen sah man überhaupt nichts mehr. Was er nur haben mochte?

Frau Knieptang wurde es sehr unbehaglich in ihrem engen Nest. Sie rutschte auf ihren Eiern hin und her und vergaß ganz, daß sie selbst schon oft jüngeren Vögeln gesagt hatte, daß es für die junge Brut sehr nachteilig sei, wenn die Eier beim Brüten aus ihrer Lage kämen.

Was sollte sie nur tun? Da fiel ihr plötzlich ein, daß die Frühstücksstunde schon da sein müsse und daß ihr Knieptang noch keine Beeren gebracht habe. Schnell schob sie den Schnabel durch das Futterloch und rief: »Guhak! Guhak!« Der Federhaufen auf dem Aste begann sich zu bewegen, und Vater Knieptang reckte seinen Hals und rief zurück: »Guhak!« Er suchte mit den Augen das Nest, und als er sein Weib daraus hervorlugen sah, winkte er ihr zu, breitete die Flügel aus und flog auf die Beerensuche.

Frau Knieptang sah ihm noch einen Augenblick nach und lauschte; dann zog sie beruhigt den Kopf ins Nest hinein, denn Knieptangs Flügel machten jetzt nicht mehr Lärm als gewöhnlich. Und sie schalt sich, daß sie sich so habe aufregen lassen, und breitete die Flügel mit doppelter Sorgfalt über ihre fünf Eier.

Knieptang aber flog von einem Baum zum andern, bis er gefunden hatte, was er suchte. Auf dem Heimwege trug er eine ganze Traube der köstlichsten roten Beeren im Schnabel. Er flog sehr langsam und rastete mehr, als notwendig gewesen wäre, auf den Ästen; denn er dachte darüber nach, ob er seiner Frau den bösen Traum erzählen solle oder nicht. Es sprach ja vieles dagegen. Vor allem der Gedanke, daß seine Frau sehr erschrecken würde, und das durfte sie jetzt unter keinen Umständen. Jetzt, wo sie vor Aufregung gehütet werden mußte, solch ein Traum!

Und in Gedanken wiederholte er sich den Traum.

Es war gewesen wie damals im vorigen Jahre. Die Lehmwände des Nestes waren niedergerissen, und die ganze Höhle war zur Kinderstube geworden, und fünf niedliche Knieptangs wimmelten in ihr herum. Da kam wieder eines Tages die Bobfamilie, um die kleinen Knieptangs zum Spielen abzuholen. Und sie waren wieder einmal alle miteinander sehr lustig gewesen. Plötzlich stieß Vater Bob ein Geheul aus, wie man es noch niemals von ihm gehört hatte, und er hob die Vorderbeine, als wollte er einen Sprung tun. Aber er sank sofort auf die Knie. Denn seine beiden Hinterbeine waren durch ein mächtiges Schlinggewächs nach hinten gerissen. Im selben Augenblick blitzte es am Waldrande auf, als sei ein Gewitter zwischen den Stämmen der Bäume entstanden, und zwei von den Knieptangs wälzten sich in ihrem Blute. Auf die Lichtung aber rannten schwarze Affen heraus, die große Äste in den Händen trugen und ein wahnsinniges Geschrei ausstießen.

Da war Knieptang aus seinem Traum erwacht. Und nun preßte ihm die Angst das Herz zusammen. Er konnte sich gar nicht erinnern, jemals so deutlich geträumt zu haben, so unheimlich deutlich. Und das sollte er nun alles in seinem Herzen verschließen?

Ein Seufzer stieg aus seiner Brust, und unwillkürlich öffnete er den Schnabel. Da fiel die Beerentraube hinab und versank in eine Wildnis von Orchideen.

Erschreckt blickten die roten Augen in die Tiefe, und Knieptang setzte sich eilig auf einen Ast, um zu überlegen, was er nun tun solle. Da horte er in seiner Nähe laut und ängstlich rufen: »Guhak! Guhak!« Wie er sich umsah, bemerkte er, daß ein paar Bäume weiter der hohle Baum mit dem Neste der Knieptangs stand. Das Futterloch konnte er von hier aus nicht sehen, aber er sah noch die letzte rote Spitze des Schnabels seiner Frau auf- und zuschnappen.

Eilig flog er zum Neste hin und sagte seiner Frau, daß er eben die schönsten Beeren verloren habe, daß er aber sofort andere und noch viel schönere holen wolle. Aber davon wollte Frau Knieptang nichts wissen. Er solle jetzt mal dableiben. Zu essen habe sie noch genug. Vater Bob habe ihr erst gestern abend wundervolle Beeren durchs Futterloch hineingeworfen, von denen sei noch da. Jetzt wolle sie aber erst einmal wissen, was denn eigentlich los sei.

Knieptang sah, so gut es durch die schmale Öffnung des Futterloches ging, seine Frau an. Und als er sie da so auf den Eiern sitzen sah, in recht jämmerlicher Verfassung und fast ohne Federn, da packte ihn das Mitleid, und er beschloß, von seinem Traume nichts zu verraten. So antwortete er denn, er wisse von nichts. Da wurde Frau Knieptang ärgerlich und sagte, ob er vielleicht glaube, daß sie in ihrem Nest auch die Augen verloren habe. Es sei schon schlimm genug, daß man seine Federn in dem schrecklichen dumpfigen Nest lassen müsse. Aber ihre Augen seien noch gut und ihre Ohren auch. Und sie hätte es wohl gehört, wie Knieptangs Flügel geklappert hätten, als er über der Lichtung hin und her geflogen sei. – Und dann habe sie ihn da drüben auf dem Baume sitzen sehen. Ach, du lieber Gott! Man hätte ihm am liebsten etwas geschenkt, so erbärmlich habe er ausgesehen. Und das müsse doch einen Grund haben!

Knieptang versuchte zuerst, sich darauf herauszureden, daß ihr befinden und ihr Aussehen ihn besorgt gemacht habe: aber sie glaubte ihm nicht und bestand darauf, daß sie als seine rechtmäßige Ehefrau das Recht habe, zu wissen, was ihn so aufrege.

Endlich erzählte er seinen Traum, seine Frau sah ihn mit gespanntester Aufmerksamkeit an, und als er zum Schlusse kam, da funkelten ihre roten Augen wie zwei geschliffene Rubine.

Lange hielt sie ihren Schnabel fest zusammengepreßt, dann aber öffnete sie ihn und stieß ein langes, unendlich trauriges »Guhak!« aus.

Knieptang nickte stumm und sah kummervoll auf sein armes Weib, das in rührender Zärtlichkeit die gerupften Flügel enger um die Eier legte.

Und in der Sorge für sie und die zukünftigen Kleinen kehrten ihm Mut und Selbstbewußtsein zurück. Schließlich war doch er das Familienoberhaupt, und somit hatte er die Pflicht, in allen Stürmen des Lebens den Kopf oben zu behalten.

Er versuchte den Hals zu recken und wieder ruhig und würdevoll auszusehen. Dann sagte er – aber seine Stimme zitterte noch ein wenig -, daß der Traum doch immerhin nur ein Traum sei und daß es vor allen Dingen noch gute Weile habe, bis die kleinen Knieptangs soweit seien. Deshalb sei eigentlich gar kein Grund zur Beunruhigung vorhanden. – Je länger er sprach, desto sicherer fühlte er sich, und schließlich begriff er gar nicht, daß so ein törichter Traum ihn überhaupt habe aufregen können. Er versuchte sogar, seine Angst lächerlich zu machen. Frau Knieptang aber war nicht so schnell zu beruhigen, sie meinte, daß mit solchen Träumen doch nicht zu spaßen sei, und sie bat ihren Gatten dringend, heute abend, wenn Vater Bob zum Bade käme, ihm alles zu erzählen. Vorsicht könne niemals schaden.

Das versprach Knieptang. Dann brachte er das Gespräch auf andere Dinge. Er erklärte seiner lieben Frau zum hundertsten Male, daß die Einkerkerung der Hornvogelmütter während der Brutzeit doch nur aus Vorsicht gegen die Schlangen geschehe, sie seien ja seltener geworden, aber ganz auszurotten sei das Gezücht doch wohl kaum. Auf alle Fälle schade die Vorsicht gewiß nicht. Und er sagte, es tue ihm unendlich leid, daß sie dabei ihre schönen Federn verlieren müsse, aber schließlich wäre die arge Zeit ja bald herum, und dann würde sie die schönsten neuen Federn erhalten, so daß er neben ihr ganz schäbig aussehen werde.

Endlich hatte Frau Knieptang den Kopf zwischen die Flügel geschoben und war eingeschlafen.

Knieptang erhob sich von dem Ast vor dem Guckloch und flog, so leise er nur konnte, auf den nächsten Baum und dann vorsichtig weiter auf seinen Ausguckplatz an der Lichtung.

Wie er da saß, sah er würdevoll und ruhig vor sich hin. Er freute sich, daß er nun doch gesprochen, und freute sich, daß sein Herz wieder ganz gemächlich schlug.

Tiefster Friede lag auf der Lichtung. Die Bäume am Rande knarrten leise wie im Schlafe, und die Schlinggewächse schlenkerten hin und her und knirschten gegen die Baumrinde, so oft eine Meerkatze auf ihnen herumsprang. Aus dem Urwald klangen einzelne Vogelrufe und hin und wieder das behagliche Grunzen von Pinselschweinen. sonst war es still wie in einem verzauberten Walde.

Knieptang saß Stunde um Stunde. Er dachte an die Zeit, wenn die kleinen Knieptangs aus den Eiern gekrochen sein würden. Dann wollte er wieder die Lehmwände des Nestes mit seinem starken Schnabel zerschlagen und – sobald seiner Frau die Federn wieder gewachsen waren – mit ihr zusammen ausziehen und die Kinder fliegen lehren, sollte das eine lustige Zeit werden! Mit keinem Gedanken dachte er noch an den Traum der letzten Nacht.

Allmählich sank sein Kopf tiefer und tiefer zwischen die hochgezogenen Flügel, und die Augen wurden kleiner und kleiner.

Knieptang schlief ein. Und bald schliefen um ihn her die Meerkatzen und die Papageien und die Pinselschweine und alles, was da im Urwald lebte. Denn es war Mittag, und die Hitze war groß.


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