Theodor Volbehr
König Bob, der Elefant
Theodor Volbehr

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Der Überfall

Als der Morgen sein erstes Licht über die Lichtung goß, stieg Bob in den Fluß hinein, um sich für große Dinge zu stärken. Dann schritt er einige Male neben dem Flusse auf und ab. Hin und wieder blickten seine Augen aufmerksam auf den Waldrand; dann wieder sah er hinauf zum Himmel, der sich lichter und lichter färbte.

Da krachte es in den Zweigen der Bäume, und Rackertüg, der Affe, flog in weitem Bogen ins freie Feld und rannte auf Bob zu. Mit einem Satz saß er hinter den großen Ohren und erzählte flüsternd, daß er die Raubtiere schon beisammen gefunden habe. Ihr Stelldichein liege gerade in der Mitte zwischen dem schwarzen Strom und der Lichtung. Er habe Grotschnut, dem Häuptling der Flußpferde, schon alles Nötige mitgeteilt.

Während Rackertüg noch sprach, rauschte es über ihnen in der Luft. Knieptang kam herangeflogen, setzte sich auf den einsamen Baum und bestätigte Rackertügs Nachricht. Der Weg nach dem Versammlungsort der Raubtiere sei gar nicht zu verfehlen. Er gehe dicht an dem Affenbrotbaum vorbei, der im letzten Sturm umgestürzt sei. Und nirgends sei der Wald auf diesem Wege so dicht, daß es unmöglich sei, hindurchzukommen.

Als Bob das gehört, schmetterte er dreimal einen machtvollen Trompetenton seines Rüssels in die Morgenstille. Kurze Zeit blieb es noch ruhig im Walde, dann brach es von allen Seiten ins Freie. In hellen Haufen kamen die Meerkatzen und die Büffel, die Rindböcke und die Pinselschweine, die Papageien und Hornvögel. Es war ein unglaubliches Gewimmel auf der Lichtung. Unermeßlich groß wirkte darin die massige Gestalt Bobs, und alle Augen hingen an der ungewohnten Erscheinung.

Da hob Bob seinen Rüssel senkrecht in die Luft. Rackertüg flog von seinem hohen Sitz herunter und jagte zu den Seinen. Knieptang rauschte mit den Flügeln, und im Nu war der ganze Baum von dem Volk der Hornvögel bedeckt.

Es dauerte nicht lange, da stand jede Gattung der Tiere in sauberer Ordnung gesondert auf dem weiten Felde.

Und nun geschah etwas Wunderbares.

Wie zwei feindliche Heerhaufen schritten die Gruppen der Meerkatzen und der Pinselschweine aufeinander zu. Langsam und bedächtig voran die beiden Häuptlinge. Dann sprach Rackertüg ein paar kurze Worte zu Kruskopp, dem Häuptling der Pinselschweine, drehte sich um zu den Seinen, klappte in die Hände, und – eins, zwei, drei! – saßen die Meerkatzen auf dem Rücken der Schweine.

Und wieder hob Bob den Rüssel und stieß einen Trompetenstoß aus. Mit kurzen Worten ermahnte er seine Krieger, ihre Pflicht zu tun. Die Flußpferde ständen schon an ihrem Platze. Alles käme nun darauf an, niemand entschlüpfen zu lassen. Er bäte die Büffel und Rindböcke, in breiter Schlachtreihe ihm zu folgen. Die Pinselschweine mit den Meerkatzen müßten in zwei Heerhaufen zur Linken und zur Rechten vorrücken und den Feind umklammern. Die Vögel aber sollten sich im rechten Augenblick zwischen das Gehörn der Büffel und der Rindböcke setzen.

»Und nun los!« schrie Bob und setzte sich an die Spitze der Heerhaufen. Knieptang flatterte als Wegweiser voraus. In breiten Massen folgten die Büffel und hinter ihnen das leichtere Volk der Rindböcke. Kruskopp hatte die Masse der Pinselschweine in zwei gleiche Teile geteilt, und eilig stürzten sie nun zur Rechten und zur Linken des gehörnten Haufens in den Wald hinein.

Über ihnen aber folgten mit vielem Geschrei die Hornvögel und die Papageien.

*

Die Raubtiere hatten die Vorwahl für den Königstag beendigt. Scharpetän, der Leopard, war von ihnen gewählt worden. Er hatte gerade mit Dank die Wahl angenommen und sah sich triumphierend in dem weiten Kreise seiner Anhänger um, da ertönte im Rücken der Versammlung ein Stampfen und Knacken und Brechen. Und plötzlich sahen die Raubtiere hinter sich eine dichte Mauer von gesenkten Büffelköpfen und mitten darunter ein gewaltiges graues Untier mit blitzenden Hauern. Da duckten sie sich und spähten umher, wo der Weg noch frei sei. Nur Scharpetän wandte sich zähnefletschend und blickte hinauf zu dem entsetzlichen grauen Koloß. Aber als er zwischen Bobs Ohren einen Vogel sah, der gewaltig mit den Flügeln schlug und fürchterlich schrie, und zwischen den Büffelhörnern krächzende, schreiende, flatternde Federmassen, da packte ihn das Entsetzen, und er sprang mit einem ungeheuren Satze zurück und jagte besinnungslos hinein in den Wald. Und alle seine Mannen folgten ihm.

Und nun gab es eine tolle Jagd. Die Raubtiere voraus und in weitem Halbkreis Bob und die Büffel und Rindböcke hinter ihnen drein. Es ging geradeswegs auf den großen Strom zu.

Der Urwald schien zu ächzen und zu stöhnen unter dem gewaltigen Getrampel der Tiere, und die Luft war erfüllt von dem Krachen der Äste und dem Schreien der Tiere.

Auf einmal fuhr es Scharpetän durch den Sinn, daß der Weg, den er genommen, direkt in den Strom führen müsse, und er bog scharf nach links ab. Und die Völker der Leoparden und Zibetkatzen flogen dichtgedrängt hinter ihm drein.

Schon glaubte Scharpetan, sie seien gerettet, denn er hörte, daß die Büffel die Schwenkung nicht mitmachten; aber plötzlich erblickte er dicht vor sich eine breite Masse von Pinselschweinen, und auf dem Nacken der Schweine saßen Meerkatzen und schrien aus Leibeskräften.

Da hörte der Wald einen Schrei aus Scharpetans Rachen, wie er ihn noch nie von einem Leoparden gehört hatte. Scharpetän hatte sich auf die Hinterbeine gestellt und schlug mit den Vordertatzen wie besessen in die Luft. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen!

Und nun sahen auch die vordersten Reihen der nachdrängenden Tiere die reitenden Affen. Und ein wilder Schrecken packte sie. Einen Augenblick staute sich die Masse der Raubtiere, dann aber sprangen die ersten in hohem Bogen nach rückwärts und stürmten über die Rücken der Kommenden dahin. Allen voran Scharpetän.

In tollem Jagen ging es an der vorwärtstrabenden Schlachtreihe der Büffel vorbei nach der andern Seite. Und noch einmal wiederholte sich der tolle Spuk.

Gut denn, so mochte das Wasser ihnen gnädig sein! Besser ertrinken, als mit bösen Geistern kämpfen!

Sausend flog Scharpetän wieder geradeaus, vor Bob und seinen Büffeln her; wie eine Schlange wand er sich durch das immer dichter werdende Gestrüpp und die Schlinggewächse. Und hinter ihm her raste der ganze Haufen des Raubzeuges, Todesangst in den Gliedern.

Ah! der Strom! – Scharpetän hatte sich durch die Maschen des Waldrandes hindurchgedrängt. Vor ihm glitzerte im Sonnenschein das fließende Wasser.

Aber was war denn das? Führte da nicht ein trockner Pfad über das schwarze Wasser?

Es blieb ihm keine Zeit, zu prüfen und zu überlegen. Von hinten drängte es gewaltig nach. So sprang denn Scharpetän hinunter auf die nassen schwarzen Blöcke, die dicht geschichtet im Strome lagen. Er wäre fast hinuntergeglitten, so feucht und glitscherig war die Brücke. Aber er streckte die Krallen ein wenig vor und rannte, so schnell er konnte, an das andere Ufer.

Und in langem Zuge folgten die gefleckten Katzen. Einige rutschten von der glatten Brücke hinunter ins Wasser und ertranken elendiglich, aber die meisten kamen hinüber und jagten, ohne sich umzusehen, hinein in den neuen Wald.

So hörten sie es nicht, wie Bob einen jubelnden Trompetenstoß tat, als er mit den Seinen am Ufer des Stromes stand und sah, daß die letzten Raubtiere da drüben verschwunden waren. Und sie sahen es auch nicht, wie plötzlich die Brücke auseinanderschwamm und die dicken Schädel der Flußpferde luftschnappend aus dem Wasser auftauchten.

Grotschnut, der Häuptling, schwamm ans Ufer heran und fragte zu Bob hinauf, ob seine Leute es gut gemacht hätten. Bob schwenkte aus Leibeskräften den Rüssel und rief: »Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet!« Und dann wandte er sich zu den Völkern der Pflanzenfresser, die dicht gedrängt am Ufer standen, und rief: »Der Feind ist geschlagen! Dank euch allen, ihr tapfern Befreier unserer Insel!« Und ein unbeschreiblicher Jubel brach los. In das Schreien und Jauchzen aber mischte sich der Ruf: »Heil Bob! Heil unserm König!«

Am Nachmittag desselben Tages fand auf der Lichtung die Königswahl statt. Grotschnut hielt eine kurze Rede; dann sprach Stiefnack, der Schwarzbüffel. Und ein Häuptling folgte dem andern. Und jeder sagte im Grunde dasselbe. Schließlich wurde Bob unter jubelndem Beifall zum König des Inselreichs erwählt. Bob dankte in tiefer Ergriffenheit und sagte, was an ihm liege, werde er tun, daß jeder im Reiche zu seinem Rechte komme. Und er erzählte, wie wunderbar er von einem armen bedrückten Gefangenen zum König eines köstlichen Landes geworden sei. »Das werde ich nie vergessen. Und ich glaube fast, daß es gut für einen Herrscher ist, wenn er aus Not und Bedrängnis zur Höhe hinaufsteigt. Es wird ihm dann doppelt weh tun, wenn er sieht, daß einer seiner Untertanen in Not ist.« Er schloß mit den Worten: »Ihr sollt niemals in mir den Tyrannen fühlen, sondern ich will mich bemühen, euch immer ein guter Freund zu sein.«

Die Begeisterung kannte keine Grenzen.

Die Meerkatzen schleppten Unmengen von Pisangfrüchten, von Nüssen und Beeren und feinen jungen Zweigen herbei. Und am Abend fand ein Königsmahl statt, wie es der Urwald noch nie erlebt hatte.

Als der Mond über den Akazienbäumen heraufstieg, machte er ein sehr erstauntes Gesicht; denn in der Lichtung war es noch so lebendig, als wäre heller, lichter Tag. Was ihn aber noch mehr erstaunte, war, daß alle möglichen Tierfamilien, die er nie zusammen gesehen hatte, in innigster Freundschaft miteinander verkehrten. – Was mochte hier nur passiert sein? Neugierig blickte er rings umher. Da sah er weit ab vom Getümmel einen riesigen Elefanten stehen und Zwiesprach halten mit einem Hornvogel, der aus einem zerrissenen Lehmneste herauslugte. Der Rüssel des Elefanten aber strich zärtlich über den Kopf einer Meerkatze, die im Gezweig des Baumes saß.

Was waren das nur für wunderliche Dinge!

Der Mond sah lange auf die seltsame Gruppe. Endlich schritt er weiter. Er liebte das Rätselraten nicht.


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