Theodor Volbehr
König Bob, der Elefant
Theodor Volbehr

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Das Inselreich

Und wieder brach unter Bobs Tritten das Unterholz. Die Äste der Bäume krachten und splitterten, und die Ketten der Schlinggewächse zerrissen. Neben ihm aber rauschte der Fluß, hüpfte über Steine und riesige Baumwurzeln und staute sich bisweilen zum Strudel, wenn ein mächtiger Waldbaum in ihn hineingestürzt war.

Aber heute war es nicht das wilde, atemlose Jagen wie in der letzten Nacht. Bob hatte das Gefühl, als sei er eigentlich schon geborgen, da er jetzt dem sichern Zufluchtsorte entgegenlief. Und sein Traben war ruhig, fast gemächlich. Bisweilen blieb er auch stehen, streifte mit dem Rüssel junge Blätter von den Zweigen und schob sie sich ins Maul. Oder er trat an den Fluß heran, wenn das Ufer flach war, und trank von dem köstlichen Naß. Ach, das schmeckte besser als das Wasser aus Bumbos Pfütze!

Wie schön überhaupt die Welt war! Bob hatte Augen für alles und konnte sich nicht satt sehen an all dem Leben der Wildnis. Er freute sich über die Graupapageien in den Baumwipfeln und über die langschwänzigen Meerkatzen, die von Ast zu Ast jagten und lustig miteinander spielten. Und er ärgerte sich nicht einmal über all die Fliegen, die ihn umschwirrten und sich auf die zerschundene Haut setzten. Er schlug nicht einmal mit seiner Schwanzquaste nach ihnen. Denn auch sie schienen ihm wie ein lieber Gruß der Freiheit.

Als es Abend wurde, kreuzte Bob einen Elefantenpfad, der zu einer Tränke am Flußbett führte. Voller Genuß folgte er den vertrauten Spuren hinab ans Wasser. Dann warf er sich hinein in die Flut, daß das Wasser hoch hinaufspritzte, und dehnte und reckte sich. Wie das wohltat! In langen Zügen sog der Rüssel das kühle Wasser auf. Und als der Durst gelöscht war, ließ Bob das Wasser in dickem Strahl auf den Rücken herunterplatschen.

Er konnte sich gar nicht trennen von dem köstlichen Bad. Und er horchte bisweilen hinauf in den Wald, ob er das Trampeln der Elefantenherde nicht höre, die zur Tränke wolle.

Aber schließlich stieg er doch aus dem Wasser heraus und suchte sich einen Schlafplatz am Rande des Pfades. Und ehe er noch recht lag, war er eingeschlafen. War das ein Schlaf! Kein Traum beunruhigte seine Seele. Er hörte nicht einmal die Elefantenherde, die an ihm vorbeitrabte, als er sich kaum niedergelegt hatte; und er hörte nicht den Schrei einer Meerkatze über seinem Haupte, als um Mitternacht die Tatze eines Leoparden nach ihr griff.

Als Bob aufwachte, sah er sich erstaunt nach allen Seiten um und wunderte sich, daß er nicht in seinem Bambusstall lag. Dann aber schmetterte er einen jubelnden Trompetenstoß durch den Urwaldsmorgen und erhob sich. Er reckte und streckte sich und freute sich, wie aus der Ferne die Antwort anderer Elefanten zu ihm herüberklang.

Sehr erstaunt war er, als er an der Tränke die unverkennbaren Spuren fand, daß in der Nacht eine große Herde seiner Volksgenossen am Wasser gewesen war; und einen Augenblick packte ihn die Lust, dem Elefantenpfad zu folgen und die Herde zu suchen. Aber da fiel ihm ein, daß er damals von Bumbo und dessen Gefährten aus einer großen Herde heraus gefangen worden war. Das war also kein Schutz, wie er ihn jetzt brauchte, um wieder zum Genusse seines Daseins zu kommen. So nahm er seinen Lauf wieder auf, am Flusse entlang und dann weiter an dem großmächtigen Strom entlang. Und er lief drei lange Tage unermüdlich. Wie der Schuhschnabel es gesagt hatte, so geschah es. Die Stromschnellen kamen und dann der große Felsen mitten im Flußbett und die Spaltung des Stromes. Es war Bob ganz feierlich zu Mut, als er gegenüber der Insel stand, die ihn aufnehmen sollte. Riesige Bäume grüßten zu ihm herüber. Und von ihnen herab hingen endlose Kletterpalmen bis zu den Wellen des Stromes. Ein dichtes Gewirr von Schlingpflanzen spann sich von Baum zu Baum und hing wie ein undurchdringliches Netz vor dem geheimnisvollen Innern der Insel.

Bob stand und schaute. So war er also am Ziel! Da drüben lag das gelobte Land der Wildnis, das Reich des Friedens, vor den Negern war er nun sicher. Ob auch vor allem sonstigen Leid des Daseins? – O, dem wollte er sich schon entgegenstemmen aus eigener Kraft! Was scherten ihn alle Schrecken des Urwalds, wenn er die Tücken der schwarzen Teufel nicht mehr zu fürchten brauchte!

Bob ließ sich am steilen Ufer des Stromes nieder, schob vorsichtig ein Vorderbein nach dem andern den Abhang hinunter, bis er festen Fuß fassen konnte, dann zog er die Hinterbeine nach. So rutschte er langsam bis zum Wasser hinab. Einen Augenblick schlug das Wasser über ihm zusammen, dann tauchte Bob wieder aus den quirlenden Fluten empor und durchquerte mit hochgehobenem Rüssel schnell und sicher den Strom. – Als Bob das jenseitige Ufer erklettert hatte, zwängte er sich vorsichtig durch das Gewirr der Schlingpflanzen hindurch. Und langsam und behutsam schritt er weiter, als täte es ihm um jeden Halm leid, den er zu Boden treten könnte.

Mit seinem Rüssel tastete er links und rechts an den Bäumen hinauf, als wollte er die Äste freundlich begrüßen, und mit dem schweren Körper streifte er zärtlich die dicken Stämme. Es war wie ein leises Besitzergreifen. – Lange ging er in stillen Träumen durch den dichten Wald. Dann wurde es licht und immer lichter. Durch eine tiefe, sonnige Talmulde floß ein stilles Wasser, umstanden von hohem Schilfgras. Schlanke Bäume rahmten die Lichtung ein, und von Baum zu Baum schlangen sich bunte Schlingpflanzen und schaukelten knarrend hin und her. Denn auf ihnen turnte ein ganzes Volk von Meerkatzen. Das kicherte und schwatzte und tollte durcheinander, als sei hier der Kinderspielplatz des Waldes.

Bob blieb im Schatten der Bäume stehen und sah dem lustigen Durcheinander zu.

Da drang ein schriller Vogelschrei an sein Ohr. Und gleich darauf flatterte ein Hornvogel über ihm und schrie jämmerlich um Hilfe. Die Meerkatzen waren wie weggeblasen. Bob aber hob das Haupt und fragte, was denn los sei.

Der Hornvogel schrie nur: »Sieh dort! Sieh dort!« und flog gegen einen hohlen Baum. Bob sah, daß aus dem Baum der lange, gefleckte Schwanz einer Zibetkatze heraushing, Schnell trat er an den Baum heran und packte mit seinem Rüssel den buschigen Schwanz. Ein Ruck, und die Zibetkatze flog aus dem Baum heraus, einen Bündel von Federn im spitzen Maul. Da schrie der Hornvogel noch einmal gellend auf. Bob aber schwang zornig den Rüssel und ließ den Kopf der Zibetkatze so hart gegen den Baumstamm schlagen, daß der böse Räuber nur noch einmal aufzuckte, als Bob ihn zur Erde fallen ließ.

Der Hornvogel war inzwischen in das Nest des hohlen Baumstammes hineingeflogen. Die Lehmwand des tiefen Loches war eingerissen von den scharfen Krallen der Zibetkatze, und Bob fürchtete das Schlimmste. Da drang ein Freudenschrei aus der Tiefe, und dann drängte sich der Hornvogel wieder ans Licht. Jubelnd rief er: »Sie lebt, sie lebt!« Und mit klappernden Flügelschlägen umflog er Bob und rief einmal über das andere: »Dank dir, daß du mir mein Weib gerettet hast!«

Bob sagte, daß er ja nur getan, was selbstverständlich gewesen sei. Aber es freute ihn doch tief im Herzen, daß er sein Leben auf der Insel mit einer guten Tat begonnen hatte. Und er dachte an den weisen Schuhschnabel. Ob der wohl zufrieden sein würde? War's auch nicht weise, was er getan, so war's doch jedenfalls nicht töricht. Und er hatte es gern getan.

Er hörte kaum auf die Worte des guten Hornvogels und schritt langsam hinaus auf die Waldwiese. Als aber der Hornvogel ihm nachrief, er werde ihm ewig dankbar sein und werde es auch beweisen, da drehte er sich noch einmal um und sagte: »Guter Kerl! Das ist wirklich nicht nötig. Aber damit ich dich unter deinen Freunden und verwandten herausfinde, wenn wir uns einmal wiedersehen, sag mir, wie du heißt.«

»Ich heiße Knieptang,« sagte der Vogel, »und bin der Häuptling der Hornvögel dieser Insel. Und wie heißt du?«

»Ich heiße Bob und bin ein Fremdling auf dieser Insel.«

»Daß du ein Fremdling bist, das weiß ich wohl. Denn auf dieser Insel gibt es keine Elefanten. Aber über dem Strom drüben habe ich oft deinesgleichen gesehen. Niemals jedoch hörte ich, daß die Elefanten so edel seien, wie du es gewesen.«

Bob antwortete nicht. Die Nachricht, daß er auf der Insel der einzige Elefant sei, berührte ihn ganz eigen. Zuerst erschrak er fast, und es kam ihm vor, als sei er ausgestoßen aus seinem Volke. Dann aber war es ihm, als wüchse er innerlich. – Langsam schritt er ins Freie. Knieptang aber flog in das Lehmnest zurück und tröstete sein armes, gerupftes Weib und sprach mit einer wahren Begeisterung von dem großmütigen Bob. »Weißt du,« sagte er schließlich, »ich glaub', daß jetzt eine neue Zeit für uns anbrechen wird, und die wird besser sein als die alte.«

Auf der Lichtung war wieder ein Leben, als sei ewiger Friede. Die langschwänzigen Affen hingen von den Ästen herab und balgten sich lustig herum, und quer durch das Schilfgras trabte behaglich grunzend ein Trupp Pinselschweine.

Es begann dunkel zu werden, aber der Himmel war noch glasklar. Aus dem Urwald klangen die langgezogenen Töne eines Singvogels und dazwischen die kurzen Schreie der Papageien. Der Mond stieg über den dunklen Bäumen herauf und warf silberne Schleier über die leuchtenden Blumen der Schlinggewächse und über die grauen Stämme des Waldes.

Und dann wurde es ganz still. Die Affen suchten ihr Lager auf, und die Pinselschweine verschwanden im Dickicht.

Bob stand allein auf der Lichtung. Lange träumte er vor sich hin, dann reckte er seine Glieder und schritt zum Flusse. Er beschloß noch zu baden und dann auch zur Ruhe zu gehen.

Er ging durch das knackende Schilfgras und stellte sich in den fließenden Strom hinein. Einmal nach dem andern sog er den Rüssel voll Wasser und spritzte den scharfen Strahl auf den Rücken herab. – Plötzlich hörte er ein Krachen in den Bäumen und ein angstvolles Hilfeschreien. Und dann sah er eine Meerkatze in gewaltigen Sprüngen ins Freie brechen und am Fluß entlang jagen. Und in mächtigen Sätzen folgte ihr ein Leopard.

Bob hatte gerade den Rüssel voll Wasser geschlürft und stand unbeweglich. Da flog der gehetzte Affe vorbei. schnell wie ein Gedanke fuhr ein scharfer Wasserstrahl aus Bobs Rüssel und traf den Leoparden gegen den gierig vorgestreckten Kopf.

Fauchend und prustend blieb das Tier stehen und schlug wütend mit den Vorderpfoten gegen die triefende Schnauze. Dann wandte es sich zur Seite und sah mit glühenden Augen Bob an. Es fletschte die Zähne und kauerte sich zum Sprunge nieder.

Bob aber hatte den Rüssel wieder gefüllt und schleuderte dem Leoparden zum zweitenmal den Wasserstrahl ins Gesicht. Diesmal traf er gegen die bleckenden Zähne und hinein in die blitzenden Augen. Der Leopard warf sich zurück, als habe er einen fürchterlichen Schlag bekommen, und schnappte nach Luft. Dann drehte er sich um, klemmte den Schwanz zwischen die Beine und jagte in den Wald hinein. Bob sandte ihm aufs Geratewohl noch einige Wassergüsse nach, stieg befriedigt aus dem Wasser heraus und schlenderte dem Waldrande zu.

Dort aber, wo der Fluß in den Wald trat, hing im hellen Mondschein die Meerkatze an einem langen Ast und blickte Bob nach. Das Herz pochte ihr gewaltig vor Dankbarkeit und Bewunderung und vor einer ungewissen Furcht. Denn niemals hatte sie ein Tier von so unheimlicher Größe gesehen und von so merkwürdigen Gliedern.

Als Bob sich nahe der Lichtung niedergelegt hatte und eben im Begriffe war einzuschlafen, fühlte er ein leises Streicheln auf seinem Rücken, und als er zur Seite blickte, sah er im Lichte eines Mondstrahls die Meerkatze und hörte ihre feine, dünne Stimme einen überschwänglichen Dank stammeln.

Bob war müde und nicht gerade zu einer Unterhaltung aufgelegt; daher knurrte er nur: »Schon gut!« legte den Rüssel wieder zurecht und schlief ein.

Die Meerkatze aber suchte sich zu seinen Häupten einen Platz in den Zweigen und lugte unausgesetzt auf den gewaltigen Körper des Schlafenden hinab, bis auch ihr die Augen zufielen.


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