Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20. Kapitel. »Unser erster November«

Sommerfäden waren zerflattert. Herbstwind hatte die bunten Astern zerzupft. Welkes Laub sank daseinsmüde zur Erde. Gegen die Fensterscheiben schlug Oktoberregen.

Professors Lene war recht ungehalten über das schlechte Wetter. Sie hatte große Wäsche. Die sollte schnell noch im Freien trocknen. Und nun machte Petrus ihr einen Strich durch die Rechnung. Wirklich, es war ärgerlich, wenn man alle Hände voll zu tun hatte.

Frau Professor war heute nicht in ihrer Fürsorge tätig, sondern half der Lene beim Spülen und Blauen der Wäsche. Bald würden die Kinder nach Hause kommen. An den kurzen, dunklen Oktobertagen schloß man die Waldschule früher. Dann hatte die Mutter nicht mehr die rechte Ruhe zur Arbeit.

Bubi schlug an. Der hörte seine kleinen Freunde stets als erster, noch bevor sie an der Klingel Sturm läuteten. Und da waren sie auch schon, naß zum Auswringen, wie Lenes Wäsche.

»Tag, Muttichen – Tag, Lene!« Herbert war bereits an der Wringmaschine. Suse umarmte die Mutter, die sich vergeblich aus der ungemütlich feuchten Umarmung frei zu machen trachtete.

»Kinder, zieht euch bloß erst um, trockene Strümpfe, andere Schuhe. Ihr trieft ja!«

»Wir machen ganz schnell und dann kommen wir helfen.« Große Wäsche war stets ein Freudenfest für Professors Zwillinge.

»Nee, laßt man, wir machen's schneller alleine«, rief Lene ihnen undankbar nach.

Aber Herbert nahm nicht so leicht was übel. Fünf Minuten später drehte er, ein Leierkastenlied pfeifend, lustig seine Wringmaschine. »Das verstehen Sie gar nicht so, Lene. Das ist Männerarbeit«, sagte er.

Suse machte es ungeheuren Spaß, Taschentücher zwischen die Gummilippen der Wringmaschine zu schieben, die diese verschluckte.

»Vorsichtig, Suschen, daß du dir nicht die Finger klemmst«, warnte die Mutter.

»Ach, ich bin ja schon groß. Nächste Woche werden wir doch schon zehn. Da ist unser erster November«, rief Suse wichtig.

»Weißt du, Suse, wenn die Kinder nachher kommen, können sie alle helfen. Das macht Spaß«, überlegte Herbert.

»Welche Kinder?« fragte Mutti, nichts Gutes ahnend.

»Wir bekommen wahrscheinlich noch Besuch, Muttichen. Ein paar Freundinnen und Freunde aus der Waldschule. Wir haben sie zu uns zum Tischkrocketspielen eingeladen, weil wir des schlechten Wetters wegen heute früher nach Hause gekommen sind. Hoffentlich erlauben es ihre Eltern«, fügte Suse hinzu.

»Und ob ich es erlaube, fragt ihr gar nicht? Gerade heute bei der Wäsche – das ist ausgeschlossen!« sagte Mutti höchst energisch.

»Aber du hast doch mal gesagt, Mutti, du freust dich, wenn wir Besuch bekommen!« wandte Suse weinerlich ein.

»Und nun haben wir sie eingeladen, jetzt müssen sie auch kommen«, begehrte der Wringmaschinendreher auf. »Die helfen alle gern. Lene kann sich freuen.«

Lene aber sah ganz und gar nicht aus, als ob sie sich freute.

»Heute bei der Wäsche können wir keinen Besuch nich jebrauchen«, sagte sie kurz.

»Wieviel Kinder habt ihr denn aufgefordert, zwei?« erkundigte sich die gute Mutter, die sich besann, daß sie wirklich vor einiger Zeit zu ihren Zwillingen gesagt hatte, sie dürften mal ein oder zwei Schulfreunde zu sich bitten.

»Ach, gar nicht viel, Muttichen. Ich habe fünf Stück eingeladen – – –«

»Und ich sieben«, fiel Suse dem Bruder ins Wort. »Die Alma auch, weil wir doch jetzt gut Freund miteinander sind.«

»Was – zwölf Kinder – ein ganzes Dutzend Kinder heute bei der Wäsche? Ja, seid ihr denn ganz und gar nicht gescheit!« Mutti stand wie vom Donner gerührt.

Lene aber lachte laut heraus. »Na, das wär ja 'ne feine Sache, wenn die alle kommen möchten und helfen tun.«

»Zwölf Kinder, das ist gar nicht viel, wir haben viel mehr in der Waldschule; das sind überhaupt nur ganz wenige«, verteidigte sich Herbert.

»Mir aber heute wirklich zu viel, mein Sohn. Das ist ja eine ganze Kindergesellschaft. Die dürft ihr zu eurem ersten November zu uns bitten. Heute nicht, ohne mein Wissen«, erklärte die Mutter.

»Na, wir können sie doch nicht wieder an die Luft setzen, wenn wir sie erst eingeladen haben«, rief Herbert aufgeregt.

Suse heulte bereits. »Alma ist dann bestimmt wieder böse mit mir. Und das arme Paulchen hat sich schon so gefreut!« jammerte sie.

Da klingelte es bereits. Sicher die unwillkommenen kleinen Gäste.

»Sagt den Kindern, daß es eurer Mutter heute nicht paßt. Bittet sie zu eurem Geburtstag, oder besser noch an dem Sonntag darauf zur Geburtstagsschokolade«, schlug die Mutter vor.

Herbert mußte sich allein dieser unangenehmen Aufgabe unterziehen. Suse hatte in ihrem Schmerz nicht aufgepaßt und war mit den Fingern der Wringmaschine zu nahe gekommen. Nun weinte sie aus doppeltem Schmerz.

»Drei sind bereits wieder abgezogen«, meldete Herbert zurückkehrend. »Ich habe ihnen gesagt, daß wir heute bei der Wäsche keine Zeit zum Spielen haben. Nun fehlen bloß noch dreiviertel Dutzend.«

Aber zum Glück waren acht so vernünftig, gar nicht erst zu erscheinen. Sicher hatten sie nicht die Erlaubnis der Eltern erhalten. Nur Paul durfte auf Bitten der Zwillinge dableiben. Er hatte doch einen schlimmen Fuß gehabt und mußte sich nach dem Wege ausruhen. Und Frau Professor hatte den braven Jungen besonders gern. So spielte man zu dreien Tischkrocket, und das war viel schöner, als wenn noch ein halbes Dutzend mitgespielt hätte. –

»Unser erster November« war der wichtigste Tag im Jahr für Professors Zwillinge. Beinahe noch ersehnter als Weihnachten. Auf Weihnachten freuten sich alle Kinder. Der erste November gehörte ihnen beiden nur allein. Und außerdem wurde man da ein Jahr älter.

Zehn Jahre – die beiden Geburtstagskinder sahen sich am Geburtstagsmorgen, nachdem sie sich gegenseitig Glück gewünscht hatten, prüfend an, ob sie noch ebenso aussahen wie gestern.

»Ich glaube wirklich, du bist gewachsen, Suse«, stellte Herbert fest.

»Nee, du bist kleiner geworden, Herbert.«

Mutti aber schlang die Arme um ihre Zwillinge und drückte sie miteinander an ihr Herz. »Bleibt uns gesund, froh und brav, meine guten Kinder. Wie wird unser Vater heute zu uns herdenken.«

»Hoffentlich kommt das Geburtstagspaket pünktlich an«, stellte Herbert sachlich fest.

»Und auch das aus Freiburg von der großen Omama«, pflichtete Suse bei.

Im Wohnzimmer standen zwei Geburtstagstische nebeneinander. Auf jedem brannten zehn Lichtlein um ein dickes Lebenslicht in einem blauen und in einem roten Geburtstagsring. Lene hatte ein wunderhübsches Primeltöpfchen auf jeden Geburtstagstisch gesetzt. Für jeden der Zwillinge lag ein neuer Wintermantel da und eine Mütze dazu.

»Fein, da kann Herbert seinen alten Wintermantel Paul schenken, der ist seinen ausgewachsen«, rief Suse erfreut.

»Mutti, schickt dein Fürsorgeverein Pauls Mutter wieder die Miete zum Ersten?« erkundigte sich Herbert angelegentlich. »Sonst muß der arme Junge wieder morgens Frühstück austragen. Und Kohlen haben sie auch nicht für den Winter.«

Aber die Mutter konnte darüber leider keine befriedigende Auskunft geben. Der Verein hatte sich nur zu einer einmaligen Beihilfe verstanden. Es gab gar so viel Bedürftige und Erwerbslose in der Großstadt, für die gesorgt werden mußte.

»Paul hat gesagt, wenn es kalt wird und sie können nicht heizen, dann legt er sich gleich ins Bett, wenn er aus der Waldschule nach Hause kommt. Das arme Paulchen!« erzählte Suse mitleidig.

Auch Frau Professor Winter sah nachdenklich auf ihre beiden Zwillinge, auf die hübschen Geburtstagsgaben, die sie für ihre Kinder liebevoll vorbereitet hatte. Und dort konnte eine Mutter nicht mal Kohlen kaufen, um ihrem Kinde eine warme Stube zu bereiten – traurig!

Man sah doch gleich, welcher Tisch der Suse gehörte und welcher dem Herbert.

Auf Suses Tisch stand ein Nähkästchen mit bunten Seidenröllchen, einem niedlichen Scherchen und einem süßen, kleinen Fingerhut. Denn wenn man zehn Jahre alt ist, muß man sich schon selbst einen Knopf annähen.

»Wenn ich mal wieder beim Klettern einen Riß in die Hose kriege, kannst du ihn mir gleich zunähen, Suse.« Herbert freute sich über den Nähkasten beinahe noch mehr als die Besitzerin.

»Doll viele Bucker und Stahler, Suse – famos!« Am meisten liebäugelte er mit einem Goldfischglas, in dem fünf allerliebste Goldfischchen herumschwammen. Mutti hatte damit einen seiner größten Wünsche erfüllt. Suse hatte ein Herbarium bekommen.

»Was ist denn das, ein Herbarium? Ist das eine Ordnungsmappe?« Sie wußte mit dem Geschenk, das aus einem schönen, leuchtend blauen Deckel, auf dem in Silberbuchstaben »Herbarium« zu lesen war, bestand, und das sonst nur Löschpapierseiten zeigte, nichts anzufangen. »Herbert, weißt du, was ein Herbarium ist?«

»Nee, vielleicht soll es für mich sein, weil ich doch Herbert heiße«, überlegte er. Diesmal aber irrte er sich. Wenn er auch zwei Stunden älter war als die Suse.

Mutter lachte. »Nein, Herbert, mit deinem Namen hat das Wort ›Herbarium‹ nichts zu tun. Das kommt aus dem Lateinischen und heißt Kräutersammlung. Ihr habt ja neulich in Französisch gelernt l'herbe das Gras, das Kraut. Das ist dasselbe Wort. Zwischen den Löschpapieren sollst du Pflanzen pressen, Suschen, und sie dann hübsch ordentlich, mit Namensschildern versehen, einkleben. Das wird dir doch viel Spaß machen, nicht?«

»Nee, gar nicht«, antwortete das Töchterchen zum größten Staunen der Mutter, die geglaubt hatte, ihm mit dem Geschenk eine Freude zu bereiten. »Ich presse keine Pflanzen. Das tut ihnen weh. Blumen sind lebendig. Die haben eine Seele wie wir. Man muß sie ins Wasser stellen.«

Frau Professor Winter wußte im ersten Augenblick nicht, wie sie dem Kinde klar machen sollte, daß man bei botanischen Sammlungen Pflanzen zu wissenschaftlichen Zwecken pressen darf.

Aber Suse schüttelte den Kopf. Nein, das würde sie nie tun. Sie kannte ja all die Blümchen persönlich, sie hatten sie ja zur Lindenblütenhochzeit eingeladen.

»Na, dann dürfte ich auch keine Schmetterlingssammlung haben, Suse«, meinte Herbert. »Schmetterlinge find noch viel doller lebendig als Blumen.«

»Deine Schmetterlingssammlung ist auch abscheulich. Denke mal, wenn man dich so auf eine Nadel spießen würde.« Daran hatte er niemals gedacht, daß er die Schmetterlinge damit tötete.

Man trennte sich heute nur schwer von den Geburtstagstischen.

»Schade, daß unser erster November nicht auf den Sonntag fällt.« Zum erstenmal gingen die Zwillinge nicht gern in die Waldschule. Sie wollten durchaus noch den Briefträger, der das Paket aus Italien bringen würde, abwarten. Aber Mutti drängte zum Aufbruch. Seine Pflicht darf man auch über den Geburtstag nicht vernachlässigen.

Dabei war es heute so hübsch in der Waldschule. Die Lehrer und Schüler gratulierten dem Geburtstagspärchen. Paul hatte sogar noch eine lila Aster auf seinem Beet entdeckt, die er seiner Freundin Suse verehrte. Beim Mittagbrot aber wurde eine Rede auf die Geburtstagskinder gehalten. Gerhard klopfte an seinen Teller und rief mit lauter Stimme: »Unsere Geburtstagszwillinge, Herbert und Suse Winter, sie leben hoch!«

»Hoch – hoch – hoch – – –!« schrien alle Kinder.

Herr Fürst stimmte an: »Hoch sollen sie leben, hoch sollen sie leben, dreimal hoch!« Alle Waldschulkinder fielen mit ein. Sogar Türko blaffte mit im Chor.

Es war sehr feierlich. Wenn auch Alma sang: »Hoch sollen sie leben – an der Decke sollen sie kleben!«

So schnell hatten sich Professors Zwillinge noch nie beim Nachhausewege von ihren Freunden getrennt wie heute. Winkte zu Hause doch Vaters Paket aus Italien. Wenn es bloß angekommen war!

Ja, es war da. Ziemlich umfangreich lag es mitten auf dem Tisch. Aber noch jemand war da, die kleine Omama und Frau Annchen. Die wollten ihren lieben Kinderchen doch vor allem gratulieren. Das war eine schwere Geduldsprobe für die beiden. Dabei hatte die liebe Omama für den Bubi und für die Mädi wunderhübsche Rodelsweater selbst gestrickt. Und Frau Annchen Schal und Rodelmütze dazu. Wirklich, sie freuten sich sehr darüber – wenn nur nicht das Paket aus Italien auf sie gewartet hätte.

Endlich gab die Omama ihre Lieblinge frei und nun stürzten sie sich auf Vaters Paket, das die Mutter den beiden unausgepackt hingesetzt hatte. Trotzdem sie gern den Brief ihres Mannes gelesen hätte, sollten die Kinder selbst die Freude haben, auszupacken.

»Langsam, Herbert, es kann was entzweigehen«, ermahnte die Mutter die Aufgeregten.

Obenauf lag der Brief, ein Orangen- und ein Zitronenzweig mit Früchten.

»Ach, seht doch mal, richtige Apfelsinen an einem Zweig angewachsen«, staunte Suse, die bisher Apfelsinen nur in Geschäften und auf der Obstschale gesehen hatte.

»Von den Zitronen kannst du Zitronencreme machen, Mutti«, schlug der praktische Herbert vor. »Aber nun weiter, Suse!«

Das Paket enthielt zwei Kartons, auf einem stand »Herbert«, auf dem anderen »Suse«. Die Zwillinge wetteiferten, wer zuerst seinen Bindfaden gelöst hatte.

»Wie süß!« Suse war fixer als Herbert. Ein winzig kleines Kaktustöpfchen hielt sie empor. Noch elf solcher kleinen stachligen Liliputpflänzchen kamen aus dem Paket zum Vorschein. Eins sah immer drolliger und merkwürdiger aus, als das andere. »Der gute Vati! Ist das ein feines Geschenk!« jubelte sie.

»Eine Kakteensammlung nennt man das, Suschen. Sie wachsen in Italien. Die dürfen nur sehr wenig begossen werden«, erklärte die Mutter.

Herbert fand in seinem Paket wundervolle, farbenprächtige Schmetterlinge und Käfer, seltsam fremdartig, die der Vater in Italien für seinen Jungen gesammelt und präpariert hatte. Auch schwarze Lava und gelbe Schwefelsteine vom Vesuv enthielt sein Paket. Dann aber lag noch etwas Merkwürdiges darin. Ein vielfach Verästeltes Bäumchen mit eigenartigen roten Steinchen als Früchte. Dazu hatte der Vater einen Zettel geschrieben: »Das ist keine Pflanze, sondern ein Tier, das hier auf dem Meeresgrund lebt. Es heißt Koralle. Die Kette in Suschens Geburtstagspaket ist aus diesen Steinen, die geschliffen werden, gearbeitet.«

»Eine Kette – eine Korallenkette?« Suse, die bisher nur Auge für ihre süßen, kleinen Töpfchen gehabt hatte, begann die Papiere zu durchstöbern. Eine wunderschöne, blaßrosa Korallenkette kam zum Vorschein. Suse konnte sich gar nicht denken, daß diese Kette aus dem kleinen, merkwürdigen Bäumchen entstanden sein sollte. Und daß dies gar kein Bäumchen, sondern ein Tier war – nein, das wollte ihr nicht in den Kopf. Noch mehr kam aus Vaters Paket zum Vorschein. Zwei niedliche Geldtäschchen, auf denen man den Vesuv rauchen sah. »Napoli« stand darauf. Das hieß auf deutsch Neapel. In jedem Geldtäschchen lag ein Zwanzig-Lire-Schein. Indem Brief schrieb der Vater, davon sollten sich Herbert und Suse etwas kaufen, was ihnen Freude mache. Vaters Geburtstagsbrief war diesmal nur kurz. Er war im Begriff, nach Rom zu fahren, wo er in der Vatikan-Sternwarte Vorträge halten sollte. Aber mit seinen Gedanken wäre er trotzdem am ersten November bei seinen Zwillingen.

»Eigentlich ist es wunderschön, wenn ein Vater am Geburtstag nicht da ist, da bekommt man ein feines Paket geschickt«, überlegte Herbert.

Suse aber wollte das nicht zugeben. Sie hätte gern auf die süßen Kaktustöpfchen und auf die Korallenkette verzichtet, wenn nur ihr liebes Vatichen heute an ihrem ersten November daheim gewesen wäre.

Nun hatten die Kinder auch endlich Zeit, an das Paket aus Freiburg, das sie vor Aufregung über das Italienpaket noch gar nicht beachtet hatten, zu denken. Da gab es noch ein Blumenquartettspiel für Suse und für Herbert ein dickes Tierbilderbuch vom Großpapa, in dem alle Tiere der Welt abgebildet waren. Famos! Onkel Ernst aber schickte den Kindern zu ihrem »zwanzigsten Geburtstag« – denn zwei mal zehn ist doch zwanzig – Schneeschuhe für den Winter.

»Können wir fein gebrauchen, Suse. Herr Fürst will uns Schneeschuhlaufen beibringen«, rief Herbert erfreut.

»Auf diesen langen Dingern? Da könnt ihr euch ja Hals und Bein brechen.« Die kleine Omama betrachtete mißtrauisch die Schneeschuhe. »Schlittschuhlaufen ist schon gefährlich genug. Zu meiner Zeit fuhr man allenfalls im Pferdeschlitten.«

»Die heutige Jugend ist sportgeübt, Mutterchen«, mischte sich Frau Professor lächelnd hinein. »Sport macht gewandt und gesund.«

Aber die kleine Omama schüttelte den weißhaarigen Kopf. Sie konnte sich mit diesen gefährlichen Dingern nicht einverstanden erklären.

»Omama, zum nächsten Sonntag laden wir dich feierlich zur Kindergesellschaft ein. Mit dir und Frau Annchen sind wir fünfzehn Kinder«, sagte Suse zärtlich beim Abschied.

»Herreje, ich werde auch eingeladen, Mädichen?« Frau Annchen strahlte über das breite, gutmütige Gesicht. »Da werde ich der Lene bei der Geburtstagsschokolade helfen.«

»Ich bin sicher das jüngste Kind von der Geburtstagsgesellschaft«, scherzte die kleine Omama, ihre Lieblinge noch einmal zärtlich umarmend.

Die Zwillinge standen vor ihren Geburtstagstischen in stummer Bewunderung versunken. Hatten sie viel geschenkt bekommen! Herbert betrachtete den rauchenden Vesuv auf dem Geldtäschchen, Suse den Zwanzig-Lire-Schein. Da schlang sie plötzlich den Arm um den Bruder und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Der machte zuerst ein bestürztes Gesicht. Dann aber nickte er einverstanden. Er wandte sich an die eintretende Mutter.

»Mutti, ist vierzig Lire viel Geld?« erkundigte er sich.

»O ja, mein Junge, das ist eine ganze Menge. Dafür könnt ihr euch schon was Schönes kaufen.«

»Muttichen,« begann jetzt Suse, »wir haben doch so viel geschenkt bekommen. Wir brauchen wirklich nicht noch mehr. Und der arme Paul muß im Winter frieren. Erlaubst du, daß wir für Vaters Geld Kohlen kaufen, damit Paulchen und seine Mutter nicht zu frieren brauchen?«

Da zog die Mutter ihre opferfreudigen Kinder an ihr Herz.


 << zurück weiter >>