Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13. Kapitel. Pfingstferien

Pfingsten stand vor der Tür. Lustiggrüne Festkleider hatte es den Birken übergestreift. In der Waldschule hatte man schon im voraus alles mit grünen Maien geschmückt; alle Baracken, alle Klassen, Hallen und Pavillons. Sogar das Bienenhaus, ja selbst Türko trug seinen Pfingstschmuck. Die meisten Kinder waren traurig, daß sie die Ferien über zu Hause bleiben mußten.

Auch Professors Zwillinge sahen den Ferien mit geteilten Gefühlen entgegen. Na ja, mal keinen Unterricht zu haben, das war ja ganz fein. Aber auch ziemlich langweilig. Sie waren jetzt so an den Verkehr mit den fröhlichen Kameraden den ganzen Tag über im Freien gewöhnt, daß sie sich das gar nicht mehr anders vorstellen konnten. Zwar meinte Suse, daß es not tat, auch mal wieder in ihrem Puppenwinkel nach dem Rechten zu sehen. Denn die Lene hatte beim Aufräumen nicht die rechte Liebe und das nötige Verständnis für die Puppengesellschaft. Auch Herbert plante allerlei für die Pfingstferien. Seine Schmetterlingssammlung, die draußen in der Waldschule erfreulich angewachsen war, mußte eingeordnet werden. Auch das Terrarium in der Käseglocke sollte ausgebaut werden, da es um eine Spinne und um eine Grille bereichert worden war. Dann hatte die kleine Omama schon im voraus für die Pfingstferien ihre Kinderchen für sich mit Beschlag belegt. Sie sah sie ja gar nicht mehr, den Bubi und die Mädi. Allenfalls mal des Sonntags. Aber die Hauptsache, was sonst immer die Ferien für die Kinder besonders verlockend gemacht hatte, das fehlte diesmal: Zu Hause bleiben zu können bei Vater und Mutter. Ja, auch Mutti war diesmal in den Ferien nicht daheim. Wenigstens nicht an den Vormittagen. Frau Professor Winter war eine zu fleißige und tatkräftige Frau, um in der Abwesenheit von Mann und Kindern durch ihre Tätigkeit in der Wirtschaft genügend ausgefüllt zu werden. Es warf keiner mehr etwas herum, es gab nichts nachzuräumen, es wollte keiner etwas von ihr. Lene war eingearbeitet und schaffte den Haushalt allein. Da hatte sich Frau Professor für soziale Fürsorgearbeit gemeldet. Schon vor ihrer Verheiratung hatte sie diese Tätigkeit ausgeübt. Nun arbeitete sie jeden Tag von neun Uhr morgens bis mittags um drei in der Säuglingsfürsorge. Da hatte sie keine Zeit, Mann und Kinder schmerzlich zu entbehren. Ihre Zwillinge aber waren gar nicht damit einverstanden.

»Die Ferien sind diesmal doof, wenn Mutti nicht da ist«, äußerte sich Herbert in seiner derben Jungensprache.

»Meine Mutter ist auch immer weg«, sagte Paul, mit dem sie den Heimweg gemeinsam machten. »Die muß arbeiten gehen.«

»Was arbeitet sie denn?« erkundigte sich Suse.

»Sie näht in einer Wäschefabrik.«

»Unsere Mutti arbeitet in einer Säuglingsfabrik.«

»Quatsch, Suse. Säuglingsfürsorge heißt es doch«, verbesserte sie ihr Zwilling.

»Ihr könnt ja in den Ferien zu uns rüberkommen, wenn eure Mutter nicht da ist«, meinte Lisa Licht.

»Au ja, das wäre fein!« Suse machte einen Freudenhops.

»Und spazierengehen könnt ihr auch mit uns«, fügte die große Schwester Eva hinzu. »Unser Fräulein nimmt euch sicher mit.«

»Paulchen auch«, sagte Suse gutherzig. Denn es tat ihr leid, daß ihr Freund von den gemeinsamen Ferienplänen ausgeschlossen sein sollte.

Eva warf einen sprechenden Blick auf Pauls geflickten Anzug, sagte aber nichts. Lisa zuckte die Achseln: »Mit einem halben Dutzend Kindern wird Fräulein nicht gehen wollen. Das ist ihr sicher zuviel.«

»Dann sind wir ihr gewiß auch zuviel«, rief Herbert lebhaft. Er ärgerte sich darüber, daß man Paul zurücksetzte.

»Ich habe ja gar keine Zeit zum Spazierengehen«, sagte Paul ruhig.

»Es sind doch Ferien«, verwunderte sich Suse.

»In den Ferien helfe ich meiner Mutter. Da mache ich unser Zimmer rein, hole ein und sehe auch manchmal nach dem Essen. Ich habe sogar schon mal Wäsche gewaschen.«

»Hahaha, der Paul als Waschfrau – hahaha, ist das zum Piepen«, lachten die Lichtschen Kinder los.

»Ich finde es sehr nett von dem Paul, daß er seiner Mutter hilft«, nahm sich Suse wieder des verlegenen Kameraden an. »Das ist doch viel besser als faulenzen.«

»Na, Wäsche zu waschen braucht er ja nicht gerade«, ließ sich Herbert hören, dem das gegen seine Jungenehre ging.

Dann trennten sich die Waldschulkinder. –

Es war doch recht schön, Ferien zu haben, auch wenn Mutti nicht daheim war. Was konnte man nicht alles unternehmen! Da war erst mal Bubi, der seine Ansprüche an »Herrchen und Frauchen« stellte. Der arme Kerl hatte sich die ganze Zeit über recht vereinsamt gefühlt. Fast noch mehr als die Mutti. Jetzt konnte er sich nicht vor Freude lassen, daß seine kleinen Spielgefährten wieder tagsüber da waren. Dabei war er recht verwildert in ihrer Abwesenheit, fand Herbert, hatte alle seine guten Manieren vergessen. Er sprang ganz ungeniert auf die Polster und Ledermöbel, wartete nicht wohlerzogen bei den Mahlzeiten, bis man aufgegessen hatte und er dran war, sondern miefte, wedelte und bettelte herzzerbrechend. Er schoß auf der Straße wie ein Pfeil davon. Alles Pfeifen und Rufen half nichts. Er kam nicht eher zurück, als bis er selbst Lust dazu verspürte. Herbert ließ sich Bubis Erziehung während der Pfingstferien ganz besonders angelegen sein. Allerdings ging es nicht immer ohne Kämpfe dabei ab.

Da waren Suses Puppen doch ganz anders. Deren Zelluloidgesichter strahlten nur so, daß ihre kleine Puppenmutter jetzt wieder Zeit für sie hatte, daß wieder Ordnung in die Puppenwirtschaft kam. Die waren nicht verwildert, sondern brav und gehorsam wie stets. Sie machten Suse nur Freude.

Auch die Petunien auf dem Balkon und die bunten Winden in den grünen Kästen am Kinderzimmerfenster merkten es, daß die Suse daheim war. Sie wurden jetzt morgens und abends abgebraust, jedes verdorrte Blütchen wurde abgenommen, alle Ranken hochgebunden, jedes Unkrautgräschen sorgsam entfernt. Sie gediehen während der Pfingstferien noch mal so gut.

Gleich am ersten Ferientage waren Herbert und Suse zu der Omama eingeladen. Mit der Untergrundbahn durften beide allein fahren. Gibt es wohl noch was Schöneres? Stolz saßen Professors Zwillinge auf ihren Plätzen und sahen die Mitfahrenden erwartungsvoll an: Was sagt ihr nur dazu?

Am liebsten wären sie am Bahnhof Zoo gar nicht ausgestiegen. Dort erwartete sie die kleine Omama in dem schwarzen Seidenumhang und dem »ulkigen Kompotthut« mit Bändern. So nannte ihn Suse. Er hieß aber Kapotthut. Da gab's außer der zärtlichen Begrüßung gleich noch eine Überraschung. Die Omama ging mit ihren Lieblingen nicht in den Tiergarten, wie verabredet, sondern – o Freude! – in den Zoo. »Der Elefant kennt uns überhaupt nicht mehr, so lange sind wir schon nicht dagewesen«, stimmte Herbert erfreut zu.

Er schien Professors Zwillinge aber doch noch zu kennen, denn er streckte seinen Rüssel immer gerade über das Gitter, wo sie standen.

»Er will euch sicher einen Kuß geben«, scherzte die Omama.

Herbert interessierte sich brennend für alles, was da auf vier und zwei Beinen in den Käfigen einherspazierte. Suse blieb in respektvoller Entfernung, fand es sogar geraten, die kleine Omama lieber unterzufassen. Sie hatte mit Löwen, Bären, Tigern und Wölfen, selbst wenn sie im Käfig saßen, nicht viel im Sinn. Das Erdbeereis, das Omama ihren Kinderchen spendierte, war entschieden angenehmer als die Eisbären.

»Sieh mal, das Kamel dort, Suse«, machte Herbert die Schwester aufmerksam.

»Schrei doch nicht so, Herbert. Wenn es hört, daß du es Kamel schimpfst, beißt es sicherlich«, wandte Suse ein, in scheuer Ehrfurcht das merkwürdige Tier betrachtend. Die Großmama hatte ihren Spaß an den beiden.

Von den Seehunden war Herbert nicht fortzubekommen. Er wollte so schrecklich gern ein Seehundbaby für das Waldschulaquarium geschenkt bekommen. Es waren ja so viele da. Aber der Aufseher hatte merkwürdigerweise kein Verständnis für die Wünsche eines kleinen Jungen.

»Omama – sag' mal, kleine Omama, gibt's im Zoo auch Fliegen?« erkundigte sich Suse.

Da lachte die Omama, daß sie nicht antworten konnte.

»Natürlich, auch Mücken«, brachte die alte Dame schließlich heraus. »Siehst du, Mädi, da fliegt ja eine.«

»Nee, ich meine ja Fliegen im Käfig«, verteidigte sich Suse.

»Die würden doch durch die Gitterstäbe rausfliegen«, rief Herbert.

Richtig – das sah Suse ein.

»Man könnte ja einen Käfig aus blauer Fliegengaze bauen, Bubi«, stellte ihm die Omama vor.

Herbert machte ein unzufriedenes Gesicht. Erstens, weil jemand etwas besser wußte als er, zweitens aber vor allem, weil die Omama ihn ganz laut vor allen Leuten »Bubi« genannt hatte. Das ging ihm gegen seine Sextanerwürde.

»Omama, ich habe eine Bitte. Sag' doch nicht immer Bubi zu mir. Ich bin doch schon Sextaner und kein Dreikäsehoch mehr.« Er warf sich in die Brust.

Die Großmama mußte sich auf die Lippen beißen, um ernst zu bleiben. Auch die Umstehenden schmunzelten. Sogar das Känguruh, vor dem sie gerade standen, hopste vor Vergnügen.

»Schön, ich will es mir jetzt aber ganz gewiß merken. Ich vergesse es immer wieder, weil ich schon alt bin, Bubichen.«

»Du hast es ja schon wieder gesagt – sogar Bubichen, das ist noch viel schlimmer«, beschwerte sich der Enkel.

Nun wollte die Omama aber auch ganz gewiß daran denken. Man machte sich auf den Heimweg. Frau Annchen, die ehemalige Kinderfrau von Professors Zwillingen, die jetzt wieder im Hause der Omama war, dachte aber gar nicht daran, daß »ihre Kinderchen« inzwischen Sextaner geworden waren. Die nannte sie gar nicht anders als Bubi und Mädi. Am liebsten hätte sie die lieben Kinderchen noch auf den Schoß genommen. Sie band ihnen Kinderlätze vor, die Herbert empört zurückwies.

»Sie müßten uns nur noch 'nen Lutschpropfen in den Mund stecken, Frau Annchen«, begehrte der Junge auf. »Wir sind doch schon ganz allein mit der Untergrundbahn gefahren.« Nicht mal ihr Leibgericht, Schokoladenpudding mit Schlagsahne, das Frau Annchen für ihre Kinderchen bereitet hatte, konnte diese Kränkung vergessen machen.

Am Nachmittag wurde mit Prinz, Großmamas gelbem Hündchen, gespielt. Aber Prinz war schon etwas altersschwach. Er war bequem und schnarchte lieber anstatt sich mit den lebhaften Spielkameraden einzulassen. Eigentlich wäre es nach Tisch immer ein bißchen mopsig bei der Omama gewesen, wenn man den Radio nicht gehabt hätte. Omama schlief, und man durfte daher keinen Radau machen. Aber der Rundfunk war natürlich, wie alles, bei der Omama viel schöner als zu Hause. Zum Glück war gerade Märchennachmittag. Die Zwillinge hörten mucksstill zu, bis – sie nichts mehr hörten. Herbert, der immer basteln mußte, wollte schärfer einstellen und verdarb natürlich dabei den Detektor. Aber das war die Omama schon von ihm gewöhnt.

Beim Kaffee mußten die Kinder alles Wissenswerte von der Waldschule berichten. Sie überschrien sich dabei, daß die Omama sich die Ohren zuhalten mußte. Einer wußte immer noch etwas Feineres als der andere von der Waldschule zu erzählen. Und die Großmama begann sich allmählich mit derselben anzufreunden, als sie hörte, wie wohl ihre Lieblinge sich dort fühlten. Auch von Vaters langem Brief mit dem Bericht über Neapel und den feurigen Höllenberg berichteten die Kinder. Herbert mit der dazugehörigen Begeisterung, Suse voll verhaltener Angst. Aber sie fand bei der Omama Verständnis. Auch die alte Frau Winter bangte um ihren fernen Sohn.

Ach, war das gemütlich bei der kleinen Omama. Die alten Nußbaummöbel, der knarrende Lehnstuhl, das geschweifte Glasschränkchen mit den feinen Blümchentassen und dazu die weißhaarige, zierliche Omama und die dicke Frau Annchen.

Die Mutter holte ihre Zwillinge ab. Und diese versprachen nur zu gern, sehr bald wieder zu kommen. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht.


 << zurück weiter >>