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10. Kapitel. Ein ereignisreicher Tag.

Unerträglich war es jetzt an der Bank. Ein Teil der Beamten war auf Sommerurlaub. Das zurückbleibende Personal durch Vertretung der Davongedampften besonders stark mit Arbeit überhäuft. Selbst ein kleiner Banklehrling, der doch nur das winzigste Schräubchen in der großen Maschine bildete, mußte seine Kräfte verdoppeln und verdreifachen, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Das war recht wenig nach Ursel Hartensteins Geschmack. Für anstrengende Arbeit hatte sie noch nie viel übrig gehabt. Und nun noch gar in bezug auf Banktätigkeit, wo sie sowieso schon jeden schönen Sommertag, den sie dort zubringen mußte, als einen verlorenen ihres Lebens betrachtete. Ursel dachte gar nicht daran, ihre Kräfte auch nur zu verdoppeln. Sie ließ sich mehr gehen als je, leistete sich noch mehr Faseleien als im Anfang. Herr Müller, reif für die Sommererholung, nervös und überarbeitet, unterließ sein verbindliches »Wenn ich bitten darf«, und machte den unbrauchbaren Banklehrling in höchst unverbindlicher Weise auf seine Fehler aufmerksam, Ursel mit ihrem Hitzkopf ließ sich Abkanzeleien nicht gefallen, besonders nicht vor dem ganzen Publikum der Kollegen. Es gab unerquickliche Szenen, die nicht dazu angetan waren, Ursel ihren Aufenthalt in dem großen Bureau angenehmer zu machen. Herr Rumpler mit dem Leberfleck, der ihr über manche Klippe hinweggeholfen, war auf Urlaub. Und die andern hatten alle mit sich selbst und ihren Vertretungen genug zu tun, um auch noch Ursels Dummheiten auszubessern.

Heute war es wieder recht scharf zwischen Herrn Müller und dem blonden Banklehrling zugegangen. Der Vorgesetzte machte mit Recht Ausstellungen an einigen Briefen, die Ursel zu erledigen gehabt hatte. Diese verteidigte sich in ungehörigem Ton. Die Unterhaltung verschärfte sich. Herr Müller wollte sich nicht länger mit einem aussichtslosen Banklehrling herumquälen und mit dem Direktor Rücksprache nehmen, daß es ein Ende haben müsse. Worauf Ursel ihre Bücher impulsiv zuklappte und zum Entsetzen der Kollegen mit den Worten: »Sie können mich gleich los werden – je eher, um so lieber!« den Bankraum, der ihr so unsympathisch war, verließ.

Und nun stand sie draußen und atmete tief auf. So – dieser Abschnitt ihres Lebens lag hinter ihr.

»Zehn Pferde bringen mich hier nicht wieder hinein!« murmelte sie in wütend energischem Ton vor sich hin. »Und auch nicht Vaters Wort oder Muttis Bitten«, setzte sie noch hinzu. Diese Gedankenrichtung gab ihr doch einen kleinen Stich ins Herz. Zu Hause würde es einen Tanz setzen. Zweifelsohne. Na, das mußte durchgekämpft werden. Das Ziel lohnte es ja. Frei sein – wieder ganz frei sein von dem verhaßten Frondienst! Wie war es nur möglich, daß die meisten der jungen Kolleginnen mit Lust und Liebe die ihnen obliegenden Pflichten an der Bank erfüllten? »Lebendige Rechenmaschinen« nannte Ursel sie. Freilich, der Vater würde ihre Handlungsweise unerhört finden, der würde ihr derbe Vorwürfe machen. Na ja, peinlich mochte es ihm ja auch dem Bankdirektor Hildebrandt gegenüber sein. Aber wozu hatte er sie denn erst zum Bankberuf gezwungen. Sie hatte ja damals gleich, wenn auch halb im Scherz, gedroht, daß sie eines schönen Tages durchbrennen oder sich rausschmeißen lassen würde. Nun hatte man den Salat. Guten Appetit dazu!

Nach Haus zu fahren hatte sie eigentlich noch gar keine Lust. Zu der elterlichen Standpauke kam sie immer noch früh genug. Zur Großmama ihre Zuflucht nehmen mochte sie auch nicht. Dort kam ihr jetzt alles verödet vor, seitdem die Tavares nach Pyrmont gereist waren. Marga war ein wenig bleichsüchtig, da hatte Professor Hartenstein ihr den Aufenthalt in einem Stahlbad verordnet. Und der Bruder war als ihr Dolmetscher und Beschützer mitgereist. Eigentlich wäre Milton Tavares viel lieber in Berlin geblieben, was auch Ursel ungleich netter gefunden hätte. Aber Frau Annemarie hatte ihm vorgestellt, daß er die junge, unselbständige Schwester, die noch nicht einmal der deutschen Sprache mächtig war, nicht allein in die Welt hinausfahren lassen könne. So waren sie nun beide fort, schon seit vierzehn Tagen. Eine Ewigkeit erschienen sie Ursel. Man hätte es gar nicht glauben sollen, wie ihr die gemeinsamen Musikabende fehlten. Ganz vereinsamt kam sie sich vor. Und doch hatte es noch vor kurzem eine Zeit gegeben, wo sie noch gar nichts von den Tavares gewußt hatte. Wie sollte das erst werden, wenn die Freunde mal endgültig Deutschland verließen und in ihre Heimat zurückkehrten? Ursel mochte gar nicht daran denken. Ihre beiden Schulfreundinnen Edith und Ruth hatte sie um der neuen Freundschaft willen arg vernachlässigt. Die beiden waren schon ganz eifersüchtig auf die junge Brasilianerin, die Ursel Hartenstein jetzt immer mit Beschlag belegte. Na, nun hatte sie ja wieder mehr Zeit, sich ihnen zu widmen, wenn sie nicht mehr jeden Morgen in ihren Käfig mußte. Am Tage freilich waren die beiden Freundinnen beruflich beschäftigt. Nun, sie würde auch nicht zu Hause rumsitzen. Jetzt würde sie ernstlich Musik studieren. Alle Kraft einsetzen, etwas zu erreichen. Des Vaters Versuch, sie in einen kaufmännischen Beruf zu pressen, war jämmerlich gescheitert. Nun trat die Musik in ihre Rechte. Hurra! Eigentlich mußte sie doch dem Zufall oder vielmehr Herrn Müller von Herzen dankbar sein, daß er sie an die Luft gesetzt hatte. Wenn nur nicht das beklommene Gefühl gewesen wäre, da irgendwo in der Kehle, als ob einem dieselbe plötzlich zu eng geworden sei. Feigheit – Angst – nein, das paßte doch gar nicht zu ihrer sonstigen Unverfrorenheit.

Nichtsdestoweniger wurden die Schritte des entlaufenen Banklehrlings langsam und immer langsamer, je mehr sich Ursel der elterlichen Villa näherte.

Den mit Männertreu eingefaßten Rabattenweg kam ihr Cäsar, sie freudig anbellend, bewillkommend entgegen.

»Du hast's gut, Cäsar, dir bleiben solche unangenehmen Situationen erspart«, sagte Ursel neidisch. »Ich wollte, die nächste Viertelstunde wäre erst vorüber!«

In dem Biedermeierzimmer mit den hübschen Möbeln hatte Frau Annemarie Teebesuch von Ihrer Freundin Margot Thielen. Die beiden Damen hatten sich heiße Backen geredet. Ihre lebhafte Unterhaltung brach jäh ab, als Ursel die Tür öffnete.

»Nanu? Heute schon so früh, mein Herzchen? Auguste kann dir noch eine Tasse Kakao kochen. Hier hast du Kuchen dazu. Und dann laß uns noch ein Weilchen allein, Kind. Tante Margot hat etwas Wichtiges mit mir zu besprechen.«

»Nanu?« dachte jetzt Ursel. Auch hier wurde sie rausgeworfen – heute nun schon zum zweiten Male. Die Mutter ließ ihr kaum Zeit, ihren Gast zu begrüßen. Nein, wie Tante Margots sonst so blasse Wangen brannten! Ging es der am Ende so wie ihr, war sie etwa auch an die Luft gesetzt worden? Onkel Hans hatte es ja schon mit verschiedenen Wirtschafterinnen und Hausdamen so gemacht. Jedenfalls war es ganz gut, daß Mutti von Tante Margot so stark in Anspruch genommen war, daß sie gar kein Interesse dafür hatte, warum ihre Tochter heute zu so ungewohnt zeitiger Stunde aus dem Bureau heimkehrte.

Erleichtert machte Ursel die Tür hinter sich zu. Für eine Weile war die peinliche Angelegenheit aufgeschoben.

Neugierig war Ursel nicht. O nein. Wenn sie auch gar zu gern gewußt hätte, ob Tante Margot in der Tat rausgeflogen sei.

Das junge Mädchen konnte nichts dafür, daß das Tischchen, an dem sie sich mit Cäsar und ihrem Kakao und Kuchen auf der Terrasse niederließ, gerade unweit des geöffneten Fensters, das zu dem Biedermeierzimmer führte, stand. Sie konnte sich doch auch unmöglich die Ohren verstopfen, um nichts von dem Gespräch der beiden Damen zu erlauschen. Im Gegenteil, Ursel spitzte ihre rosigen kleinen Ohren angestrengt und fand es rücksichtslos, daß man drinnen im Biedermeierzimmer so leise sprach. Trotzdem drangen Bruchstücke der Unterhaltung bis auf die Terrasse hinaus.

»Siehst du, Annemarie, deshalb bin ich zu dir gekommen«, hörte Ursel Tante Margot mit gedämpfter Stimme sagen. »Ich weiß, du bist immer ehrlich. Gib mir auch heute deinen ehrlichen Rat. Sag, ist es nicht besser, ich verlasse das Haus?«

Na also! Die schlaue Ursel hatte es ja gewußt, daß es darauf hinauslief.

»Du bist ja ganz und gar nicht gescheit, Margot«, hörte Ursel jetzt ihre Mutter laut und lebhaft sagen. »Deshalb willst du Hans und seine Jungen im Stich lassen? Wo du ihnen nun endlich wieder ihr Heim und ihr Leben freudig gestaltet hast? Hältst du meinen Mann wirklich für so grausam?«

Ursel biß nachdenklich in ihre Brezel. Was hatte denn ihr Vater mit der Angelegenheit zu tun? Vielleicht hatte sich Mutti nur versprochen und wollte »mein Bruder« sagen. Ja, so war es sicher. Schade, daß man nicht verstand, was Tante Margot entgegnete. Sie sprach wirklich unerhört leise.

»Still, Cäsar, kusch dich!« Ursel klopfte beruhigend das Fell des ob einer ihm um die Nase surrenden Fliege unruhig werdenden Gefährten.

Mutters Stimme klang laut und hell. »Nein, Margot, Rudi –« also doch der Vater – »wird ebenso glücklich sein wie ich, daß er Hans und die Jungen bei dir so gut aufgehoben weiß. Keine bessere, keine würdigere könnte er an die Stelle seiner Schwester Ola sehen.«

Ursel zuckte die Achsel. Das war doch schon was Altes, daß Tante Margot an Stelle der verstorbenen Tante Ola Hausdame bei Onkel Hans war. Deshalb lohnte es sich wirklich nicht, sein Gehör so anzustrengen.

»Ja, meinst du wirklich, Annemie? Wird es deinem Manne nicht weh tun? Handle ich nicht treulos gegen Ola? Du glaubst es gar nicht, in welchem seelischen Zwiespalt ich seit gestern abend bin, wo dein Bruder Hans mit mir gesprochen hat. Ich habe ihm eine ausweichende Antwort gegeben. Denn mein Entschluß stand fest: Ich mußte nach Lichterfelde und eure Ansicht hören. Das war meine erste Pflicht. Ich wollte nicht treulos gegen euch handeln.« Tante Margots sonst so ruhige Stimme klang erregt.

»Du bleibst dir immer gleich, Margot, in deiner selbstlosen Pflichtauffassung, selbst wenn sie gegen dein Interesse ist. Aber du hast auch noch eine andere Pflicht. Die gegen Hans und gegen dich selbst. Glaubst du, ich habe es nicht gemerkt, daß du schon seit unserer Backfischzeit« – nein, solche Bosheit! Jetzt wurde Mutters Stimme ganz leise, gerade jetzt, wo es interessant wurde. »Ja doch, Margotchen, ich bin ja schon still, ich rede kein Wort mehr.« Laut und lachend klangen Mutters Worte jetzt wieder. »Eine schönere Nachricht hättest du uns gar nicht bringen können, mein Herz. Und wie ich, denkt auch ganz gewiß mein Mann.«

»Was denkt dein Mann?« hörte Ursel des Vaters Stimme dazwischen. Er mußte wohl inzwischen das Biedermeierzimmer betreten haben.

»Daß uns Margot keine bessere Nachricht bringen kann, als – – – hiergeblieben, Margot! Nicht ausgekniffen! Ich sage es Rudi ins Ohr, wenn es dir peinlich ist, es mit anzuhören.«

Ursel da draußen auf der Terrasse schüttelte den blonden Kopf. Da mochte ein anderer draus klug werden. Schöne Nachricht – wie stimmte das damit zusammen, daß es Tante Margot vor dem Vater so peinlich war? Das ließ doch wieder darauf schließen, daß es sich dennoch um ihre Entlassung handelte. Tante Margot hatte ja auch vorhin geäußert, sie wolle gehen.

»Gratuliere – gratuliere von ganzem Herzen!« Die lauschende Ursel fuhr bei des Vaters lebhafter Stimme so ungestüm empor, daß sie den sanft zu ihren Füßen träumenden Cäsar unsanft auf den Schwanz trat. Aber die drinnen achteten nicht auf Cäsars Wehklage. Die hatten Wichtigeres zu tun. Ursel, die sich vorsichtig zu dem Fenster gepirscht hatte, um etwas zu erspähen, sah mit Staunen, daß ihr Vater Tante Margot, die wieder knallrote Backen hatte, auf dieselben küßte. »Eine liebere Nachfolgerin meiner Ola hätte der Hans nimmer wählen können, Margot. Ich weiß es, die teure Verstorbene selbst wäre glücklich darüber. Nun wollen wir uns aber den merkwürdigen Bräutigam mal telephonisch langen, der seine Braut vorausschickt, um das Feld zu rekognoszieren. Und eine Bowle wird halt angestellt für den Abend, Fraule.« Der Professor sprach aufs innigste erfreut.

Braut – Bräutigam in – Ursels Hirn begann es zu dämmern. Sie stand starr.

»Aber Rudi, Hans weiß ja gar nichts davon, daß ich zu euch herausgefahren bin«, wandte Tante Margot lachend ein.

»Macht nix – her muß er. Ich werde ihm sagen, seine Braut vergehe vor Sehnsucht – – –«

»Nein – nein!« Tante Margot hielt dem Vater den Mund zu. »Das bin ich ja überhaupt noch gar nicht. Ich habe ihm noch keine bindende Antwort gegeben, ehe ich nicht mit euch gesprochen hatte. Davongelaufen bin ich, als er gestern gar so sehr in mich drang.«

»Um so besser – so feiern wir heute abend hier draußen Verlobung.«

»Verlobung – was – auf ihre alten Tage wird Tante Margot noch junge Frau?« entfuhr es der blonden Lauscherin an dem Fenster.

»Holla – ein neugieriger Spatz hat sich da gefangen.« Mit einem Griff hatte der Vater die Ursel am Ohr. »Aber Urselchen, schämst du dich denn gar nicht?« drohte die Mutter.

»Na, wenn ihr so laut redet, könnt ihr euch nicht wundern, wenn die Spatzen es von den Dächern pfeifen«, gab Ursel schlagfertig zur Antwort. Mit neugierigen Augen blickte sie auf Tante Margot. Alt sah die in der Tat noch nicht aus. Eigentlich ganz zart und jugendlich mit ihrem schmalen Gesicht und dem weichen, braungescheitelten Haar. Aber immerhin – eine Braut hatte sich Ursel doch ganz anders vorgestellt.

»Ei, und der Glückwunsch – wo bleibt denn der, Ursel?« erinnerte der Vater.

»Erst muß sie richtig verlobt sein, eher gratuliere ich nicht. Onkel Hans kann sich ja inzwischen anders besonnen haben. Wenn ich mal Braut bin, kriegt es zuerst überhaupt keiner zu erfahren, als ich und der betreffende Glückliche. Das denke ich mir viel interessanter«, meinte Ursel.

»Deine Mutter auch nicht, Ursel?« fragte Frau Annemarie lächelnd.

»Du, meine kleine Muzi. Ja, du sollst es wissen«, versprach Ursel. »Wir beide sind ja Freundinnen.«

»Erst die Nas, dann die Brille, du Klugschnack«, lachte sie der Vater aus. »Leiste du halt erst was Tüchtiges an der Bank.«

Die Bank – haach! – wie ein Dolchstoß durchfuhr das Wort Ursels Brust. Sie hatte es über Tante Margots interessante Neuigkeit total vergessen, was ihr vorher schwer auf der Seele gelastet hatte. O Gott – was nun? Sollte sie die gute Stimmung der Eltern ausnutzen? Das war sicher das Klügste. Ein Kopfsprung von oben herab wie beim Schwimmen, wenn das Wasser besonders kalt war.

»An der Bank bin ich heute zum letztenmal gewesen!« So – da war sie kopfüber drin.

»Was?!« fragten Vater und Mutter wie aus einem Munde. Und der Professor fügte stirnrunzelnd hinzu: »Soll das ein schlechter Witz sein, Ursel? Sonst muß ich halt bitten, dich deutlicher zu erklären.«

»Da ist weiter gar nichts zu erklären. Ich gehe nicht mehr zur Bank«, antwortete Ursel mit schuldbewußtem Trotz.

»Ja, Ursel, was soll denn das heißen?« rief die Mutter erschreckt. »Hat man dir etwa zu verstehen gegeben, daß du nicht wiederkommen sollst?« Nun schlug die Brandung über ihr zusammen.

»Halb zog sie ihn – halb sank er hin!« Unwillkürlich kamen der unverbesserlichen Ursel diese Worte aus Goethes Fischer. »Halb bin ich geflogen – halb bin ich gegangen. Und das ist auch gut so. Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Ich eigne mich nun mal nicht zur Bankbeamtin.«

»Und an die Schande, die du mir machst, wie peinlich mir das dem Bankdirektor gegenüber sein muß, scheinst du gar nicht zu denken!« Der Professor sprach immer noch ruhig, aber drohende Wolken hatten sich auf seiner Stirn geballt. »Kindisch, unüberlegt und unbeherrscht hast du gehandelt. Wenn du dir ein Versehen in deiner Tätigkeit hast zuschulden kommen lassen, so ist es an dir, um Entschuldigung zu bitten. Das verlang' ich von dir.«

»Ich, um Entschuldigung bitten? Dem Müller vielleicht noch Abbitte leisten? Eher gehe ich in die Spree!« rief Ursel hitzig.

»Da ist's halt kalt und naß. Obwohl eine kalte Dusche dir augenblicklich gar nichts schaden könnte.« Seltsam stach des Vaters Ruhe gegen seine temperamentvolle Tochter ab. »Ich werde mit Direktor Hildebrandt sprechen und die Sache wieder einzurenken suchen.«

»Gib dir bloß keine Mühe, Vater. Jedes Wort ist umsonst. Ich hab' dir den Gefallen getan und bin zur Bank gegangen. Was draus geworden ist, siehst du. Ein zweites Mal laß ich mich nicht wieder in den Kerker hineinsperren. Ich bin froh, daß die Bombe geplatzt ist. Jetzt studiere ich Musik.«

»Und wer gibt dir das Geld dazu? Ganz abgesehen von unsrer Erlaubnis, nach der du ja nicht mehr zu fragen scheinst.« Nur Annemarie, die ihren Mann so genau kannte, hörte den zurückgehaltenen Sturm aus seinen beherrschten Worten.

»Tavares geben mir, soviel ich haben will«, stieß Ursel trotzig heraus.

»Aha – die Brasilianer. Von Fremden willst du Geld annehmen. Schämst du dich nicht, so wenig Stolz zu besitzen?«

»Tavares sind keine Fremden, sondern meine besten Freunde.« Um Ursels Lippen begann es zu zucken. Sie kämpfte tapfer gegen Tränen.

»Was sie für einen guten Einfluß auf dich ausgeübt haben, sehe ich halt heut' – – –«

»Tavares können nichts dafür, wenn ich von der Bank weglaufe«, begann Ursel die Freunde erregt zu verteidigen. »Milton Tavares hat mir oft genug gut zugeredet, sonst hätte ich den ganzen Krempel schon längst hingeschmissen. Er war es, der mir immer wieder gesagt hat, daß die Musik nur für Muße- und Feierstunden da sein soll. Nicht, um damit Geld zu verdienen. Der kann am allerwenigsten was dafür.«

»Ich freue mich, daß der junge Mann wenigstens darin vernünftige Ansichten zeigt. So – und nun wollen wir das unerquickliche Gespräch abbrechen. Wenn du zur Vernunft gekommen bist, kannst dich bei mir melden.« Der Professor verließ ärgerlich das Zimmer.

»Den Tag werden wir alle beide nicht erleben«, murmelte Ursel mit geballten Händen vor sich hin.

Kopfschüttelnd betrachtete Frau Annemarie ihr zorniges Nesthäkchen. »War es wirklich nötig, Ursel, daß du uns hier eine derartige Szene machst? Gerade heute, wo wir solch eine freudige Nachricht von Tante Margot erhielten. Nun hast du uns die frohe Stimmung gründlich verdorben. Sieh nur, wie blaß Tante Margot ausschaut. Mußte sie auch gerade Zeuge deines ungehörigen Wortwechsels mit dem Vater werden.« Ganz traurig sah die Mutter drein.

Ursel wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen und hätte sich dort alles Schwere von dem Herzen geweint. Aber das ließ ihr Stolz nicht zu. Solch ein Schauspiel mochte sie Tante Margot denn doch nicht geben.

So sagte sie nur schuldbewußt: »Ich kann nichts dafür, wenn die Sache derartig aufgebauscht wird.« Nur schnell hinaus aus dem Biedermeierzimmer. Höchste Zeit war es. Länger wollten sich die Tränen absolut nicht zurückhalten lassen.

Bei all ihrem Pech, das Ursel an diesem Tage verfolgt, war sie nun mal ein Glückskind. Das frohe Familienereignis ließ sowohl bei dem Professor, wie bei seiner Frau keine lange Ungehaltenheit aufkommen. Als Hans Braun mit frohen Augen erschien, um mit Margot Thielen ein neues Lebensglück zu begründen, als die Pfirsichbowle in den Römern funkelte, da meldete sich auch die gute Laune wieder bei dem Hausherrn. Frau Annemarie mit ihrem leichten Temperament pflegten derartige Szenen überhaupt nicht allzu lange nachzugehen. Sie war glücklich, daß sie den Bruder und die Freundin so glücklich sah. Mit Ursel würde die Sache schon wieder in Ordnung gebracht werden. Sie war ein verzogenes Mädel, das erst zur Vernunft kommen mußte.

Ursel selbst saß mit bitterbösem Gesicht vor ihrem Glas Pfirsichbowle. Weder die lustigen Scherze, die hin- und herflogen, weder Hansis Neckereien und Anzapfungen, wegen ihres Weltschmerzes, noch die Bowle selber wollte ihre Stimmung heben. Stumm starrte sie vor sich nieder und dachte immer nur das Eine: »Ich gehe bestimmt morgen nicht wieder zur Bank!«


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