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5. Kapitel. Freundinnen.

Idyllische Ruhe herrschte in dem Doktornest. Bis draußen auf der Straße ein bekannter Pfiff, Wagners Siegfriedmotiv, ertönte und die faulenzende Ursel im Nu auf die Füße brachte. Ihr Freimaurerzeichen – das waren die Freundinnen Edith und Ruth. Mit heller Stimme gab sie Antwort: »Winterstürme wichen dem Wonnemond«, erklang es jubelnd von ihren jungen Lippen.

Und da waren sie auch schon, die Edith und die Ruth, die Braune und die Helle. In leichten Sommerkleidern, strahlend wie der Maitag hielten sie ihren Einzug.

»Ach, habt ihr's schön hier draußen – beneidenswert bist du wirklich, Ursel.« Ruths Auge hing begeistert an den blühenden Bäumen und Frühlingssträuchern.

»Ja, die Ursel hat's wirklich gut«, pflichtete auch Edith bei.

»Was nützet mir der schöne Garten,
Wenn andere drin spazieren gehn«,

gab Ursel singend zur Antwort.

»Na, erlaube mal, mein Herzchen. Das stimmt doch nicht. Du gehst doch täglich hier spazieren«, ereiferte sich Ruth.

»Wochentags sitze ich hinter vergitterten Fenstern. Nur Sonntags bin ich frei von der Fronarbeit«, protestierte Ursel.

»Wir nicht minder, liebes Kind. Meinst du, es sitzt sich besser im Patentanwaltsbureau meines Onkels an der Schreibmaschine? Und wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin, erwartet mich nicht mal ein so schönes Heim wie dich.«

»Hast recht, Ruthchen. Darin habe ich's besser als du.« Zärtlich umfaßte Ursel die Freundin. Dieselbe war Waise und lebte irgendwo in einer Pension. »Aber auch dein Leben hat seine Lichtseiten. Du kannst tun und lassen, was du willst, hast keinem Rechenschaft abzulegen – – – –«

»Wie gern würde ich mich nach den Wünschen meiner Mutter oder meines Vaters richten, wenn sie lebten«, meinte Ruth leise. »Und besonders nach denen einer so entzückenden Mutter, wie die deinige.« Ruth war eine begeisterte Verehrerin von Frau Annemarie. »Wenn ich Anlage zu einem Neidhammel hätte, um dein schönes Heim und vor allem um deine liebevollen Eltern könnte ich dich beneiden, Ursel.«

»Um den Bruder etwa nicht?« erklang es da hinter der Rotdornhecke.

Die Mädel quiekten erschreckt auf. Hans hatte sie, wie früher bei den Indianerspielen, beschlichen. Es war ihnen peinlich, daß er Zeuge ihres intimen Gesprächs geworden war.

»Nee, um den Bruder ganz gewiß nicht«, rief Edith. »Habe allein ein Vierteldutzend von solchen Prachtexemplaren aufzuweisen.«

»Ruth wird mich besser zu würdigen wissen, nicht wahr?« wandte Hans sich an die kleine zierliche Brünette.

»Ja, ich wäre selbst mit solchem Bruder wie du es bist, schon zufrieden«, war die nicht gerade schmeichelhafte Antwort.

Unter der blühenden Rotdornhecke machte man sich's in den weißen Gartensesseln bequem.

»Nun erzähle mal erst von deiner Bankkarriere, Ursel. Ich platze vor Neugier. Ist es wirklich so grauenhaft, wie du es dir ausgemalt hast? Schieß los«, drängte Edith.

»Noch grauenhafter. ›Stumpfsinn, Stumpfsinn, du mein Vergnügen, Stumpfsinn, Stumpfsinn, du meine Lust‹«, begann Ursel wieder zu trällern.

»Ach, hör' doch bloß mit dem Gedudel auf und erzähle der Reihe nach. Hast du einen strengen Vorgesetzten?«

»Vorgesetzten?« Ursel überlegte. »Ja, wer ist denn eigentlich mein Vorgesetzter? Etwa Herr Müller? Der bittet um Entschuldigung für die Luft, die er einzuatmen wagt. Oder Herr Rumpler mit dem Leberfleck? Der nimmt sich meiner sehr freundlich an und bessert die Dummheiten aus, die ich mache. Aber ein Vorgesetzter ist er nicht. Allenfalls Herr Bankdirektor Hildebrandt, freilich, den habe ich seit meinem Eintritt gar nicht mehr zu sehen bekommen. Für Vorgesetzte bin ich überhaupt nicht sehr. Wir leben doch in einem republikanischen Staat.«

»Trotzdem wird es überall Vorgesetzte und Untergebene geben, sonst würde ja jede Ordnung aufhören«, gab Edith Rosen zu bedenken.

»Du hast gut reden, du hast einen künstlerischen Beruf. Aber wir armen kaufmännischen Opfer – – –«

»Ursel, du stellst dir die freien Berufe entschieden angenehmer vor, als sie in Wirklichkeit sind. Es herrscht auch dabei wie überall ein Zwang. Wenn ich in meiner Malklasse beim Plakatzeichnen sitze, das ist schließlich auch nichts anderes, als wenn du an deinem Bankpult arbeitest.«

»Ja, aber auf die Arbeit selbst kommt es an, daß einem dieselbe Freude macht. Wenn ich in die Opernschule hätte gehen dürfen, jeden Zwang würde ich in den Kauf nehmen«, rief Ursel blitzenden Auges.

»Hättest sicherlich auch manche bittere Pille dabei zu schlucken, Ursel. Ein jeder Stand hat seine Freuden, ein jeder Stand hat seine Last«, sprach ihr die verständige Ruth zu.

So saßen die drei Freundinnen unter dem korallenfarbenen Rotdorn – Hans hatte sich diskret zurückgezogen – und debattierten eifrig, bis von der Terrasse her Frau Annemaries helle Stimme zum Kaffee rief.

Wirklich, das Dutzend an der gemütlichen Kaffeetafel wurde noch voll. Der Amtsgerichtsrat Hans Braun erschien mit seinen langaufgeschossenen Söhnen, beide Gymnasiasten, die sich ziemlich linkisch den jungen Damen gegenüber benahmen und sich möglichst rasch zu ihrem Vetter Hans Hartenstein und zu dem vollgetürmten Kuchenkorb retteten. Dann kam Tante Margot Thielen. Sie brachte noch eine Überraschung für ihre Freundin Annemarie mit, ihren lieben Logierbesuch, Frau Vera Töpfer, die seit acht Jahren in Königsberg verheiratet war.

»Verachen, bist du es oder ist es dein Geist?« Leichtfüßig wie als junges Mädel sprang Frau Annemarie den Freundinnen freudestrahlend entgegen.

»In höchsteigener Person – ist der Überfall gelungen, Annemarie?«

»Glänzend – und glänzend schaust du aus, Vera.« Herzlich begrüßte Frau Annemarie die lange nicht Gesehene.

»Bis auf die grauen Haare, aber das macht nix, wenn das Herz nur jung bleibt.«

»Das ist doch bei dir sicher der Fall, dein Eheglück ist noch nicht so verrostet wie das unsrige. Hast deinen Tyrannen nicht mitgebracht?«

»Nein, ich wollte mal wieder Junggeselle spielen. Er muß inzwischen die Kleinen hüten und das Reisegeld verdienen«, lachte Vera.

»Ja, kommt's, Kinderle, oder kommt's nicht? Wir andern möchten halt auch etwas von der Überraschung abkriegen«, rief der Professor den immer noch auf der Terrasse schwatzenden Damen zu. »Grüß Gott, Frau Regierungsrat. Gut schaust halt aus. Grüß dich Gott, Margot. Wenn ihr euch nicht beeilt, macht die Jugend unbarmherzig dem Kuchen den Garaus.«

Die Jugend sah mit großen Augen auf die Wiedersehensfreude der älteren Generation. Wie drollig, daß Ursels Mutter noch ebenso innige Freundschaft hielt, wie sie selbst untereinander.

»Guten Tag, Frau Doktor Braun, das freut mich, daß ich die ganze liebe Familie hier beisammen erwische«, begrüßte Frau Vera inzwischen die alte Dame.

»Ja, soweit sie noch beisammen ist, Vera. Es hat sich manches in den Jahren, wo wir uns nicht gesehen haben, verändert«, meinte Frau Doktor Braun wehmütig.

»Freilich –.« Veras Auge flog von dem schicksalsgezeichneten Gesicht der Mutter zu dem Sohne, der sein Lebensglück so früh hatte hingeben müssen. Vollständig grau war er geworden, der Amtsgerichtsrat Braun.

»Guten Tag, Hans, wie geht es denn dir?« fragte die Jugendfreundin teilnehmend.

»Wie soll es mir gehen, Vera? Schlecht. In meinem Haus geht es drüber und drunter. Man versucht, mit dem Leben, so gut es geht, fertig zu werden.«

»Nun, du hast doch deine Sprößlinge, für die du lebst. Die zwei sind es – stimmt's? Der Jüngere sieht der Mutter ähnlich. Und das hier sind die Hartensteinschen Küken? Himmel – Annemie, sind wir denn wirklich so alt geworden? Der Junge kriegt ja schon ein richtiges Bärtchen. Er schaut dem Klaus lächerlich ähnlich. Und die Ursel, die hätte ich unter Tausenden heraus erkannt. Komm, Ursel, du mußt einen Kuß haben. Grad so hat deine Mutter ausgeschaut damals in seligen Backfischtagen.«

»Aus den Backfischtagen bin ich denn doch schon heraus«, erhob Ursel, welche die Zärtlichkeit der fremden Dame, auf die sie sich kaum mehr entsinnen konnte, mit gemischten Gefühlen über sich ergehen ließ, Einspruch.

»Wenn du dies noch betonst, zeigst du am besten, daß du noch mit beiden Füßen drin stehst, Urselchen«, neckte Tante Margot sie.

»Ursel, hole heißen Kaffee für Tante Margot und Tante Vera«, ordnete die Mutter an.

»Hansi, ach, klingele doch mal«, gab Ursel den Befehl an den Bruder weiter.

»Das hätte ich dem Hansi auch selber sagen können, Ursel.« Die Wiedersehensfreude bewahrte Ursel vor einem mütterlichen Verweis. »Mein Fräulein Tochter braucht Bedienung hinten und vorn. Seid ihr auch solche arge Faulpelze, Ruth und Edith?«

»Ich habe leider kaum Zeit, mich zu betätigen, Frau Professor«, meinte Ruth. »In einer fremden Pension ist das auch nicht angebracht.«

»Und ich drücke mich auch ganz gern von Hausarbeit«, gab Edith zu. »Es gelingt mir nur leider nicht in unserm großen Haushalt.«

»Nun, ich glaube, die Tochter von Annemarie ist sicher mit wirtschaftlicher Tüchtigkeit von ihrer Mutter erblich belastet.« Frau Vera zwinkerte über ihre Kaffeetasse hinweg der Freundin vergnüglich zu. »Was warst du als junges Mädchen tüchtig!«

»Ist ja gar nicht wahr, Tante Vera«, rief Ursel lachend. »Mutti hat es mir selbst erzählt, wieviel Lehrgeld sie später in der eigenen Häuslichkeit hat zahlen müssen. Sie stellt sich mir selbst stets als warnendes Beispiel auf. Aber bange machen gilt nicht – ich heirate überhaupt nicht!«

»Das haben schon andere Mädels in deinem Alter gesagt, Ursel – – –«

»Du auch, Tante Vera?« Mit neugierigen Augen musterte Ursel die noch heute schöne Frau mit dem regelmäßigen Profil und dem schwarzen Haar, durch das sich hier und da wie Silberlametta lichte Fäden zogen. »Du mußt doch schon schrecklich alt gewesen sein, wie du geheiratet hast – –«

Alles lachte, Frau Regierungsrat Töpfer am meisten.

»Aber Ursel, von der Kultur bist halt noch recht wenig beleckt.« Der Vater klopfte belustigt seiner Jüngsten die rosige Wange.

»Na, es stimmt doch«, verteidigte sich Ursel. »Tante Vera muß doch mindestens schon« – – – sie begann zu rechnen.

»Das muß mathematisch ausgerechnet werden, Ursel, dabei leidest du doch wieder Schiffbruch«, unterbrach sie der Bruder.

»Kinder, laßt mir meine Ruh«, rief Frau Vera, sich lachend die Ohren zuhaltend. »Wenn ich meinem Mann nicht zu alt gewesen bin, werdet ihr es ja auch in den Kauf nehmen können. Die Ursel ist noch derselbe drollige Frechdachs, der sie als winziger Punkt gewesen ist.«

»Ja, ich weiß wirklich gar nicht, wo das Mädel herkommt«, seufzte Frau Annemarie in komischer Verzweiflung.

»Aber ich!« Wie aus einem Munde sagten es Margot und Vera, was natürlich wieder allgemeine Heiterkeit auslöste.

»So arg habe ich es nie getrieben –« widersprach Annemarie.

»Na – na!« Allgemeine Ungläubigkeit.

»Wie die Alten sungen – zwitschern die Jungen –, das ist nun mal eine unumstößliche Wahrheit, Annemarie.« Der Amtsgerichtsrat war heut zum erstenmal, seit dem Heimgang seiner Frau, weniger ernst und wortkarg.

»Deine Jungen zwitschern überhaupt nicht. Die machen den Schnabel nur zum Futtern auf«, gab Annemarie schlagfertig zurück. »Wie wär's denn, wenn die Jugend sich jetzt in den Garten zurückzöge? Oder wollt ihr lieber einen Spaziergang machen?«

»Ruth und Edith haben ihren Spaziergang schon hinter sich. Die werden müde sein.« Ursel wäre für ihr Leben gern bei der Mutter und den netten Freundinnen geblieben. Es war so interessant, aus Muttis Jugendzeit manches zu hören, was diese selbst ihr doch nicht erzählte. Aber leider zeigte die Mutter dafür gar kein Verständnis.

»Nun, so könnt ihr ja Krocket oder Gesellschaftsspiele spielen. Jetzt wollen wir uns auch mal ein bißchen ungestört unterhalten«, sagte sie in bestimmtem Ton.

Ursel hätte wohl fertig gebracht, sich möglichenfalls taub gegen denselben zu stellen. Aber Ruth und Edith hatten sich bereits taktvoll erhoben. Die drei Jungen waren froh, dem Zwang der Unterhaltung zu entgehen. Bald klang Hammerschlag, Kugelrollen, Lachen und Hundegebell herauf.

Auch der Professor holte sein geliebtes Schachbrett herbei und vertiefte sich mit dem Schwager in eine besonders interessante Partie. Frau Doktor griff zu ihrer Schiffchenarbeit. Die drei Freundinnen rückten näher zusammen.

»Daß es dir gut geht, noch besser als früher, das braucht man nicht erst zu fragen, Annemie.« Vera griff liebevoll nach der Hand der Jugendfreundin.

»Besser – nein, Vera. Ebensogut. Mein Familienglück ist Gott sei Dank ungetrübt geblieben, wenn auch hin und wieder mal eine kleine Wolke aufzieht. Die bleibt ja keinem erspart.«

»Ich hatte an die äußeren Verhältnisse gedacht. Du hast jetzt alles so schön hier, so komfortabel.« Vera schaute sich bewundernd in dem kleinen Paradies um.

»Ja, schön ist es hier draußen. Dafür bin ich auch jeden Tag aufs neue dankbar. Aber mit drei kleinen Zimmern wäre ich gerade so zufrieden und glücklich. Im Gegenteil, für mein Urselchen ist mir der jetzt etwas wohlhabendere Zuschnitt unserer Häuslichkeit gar nicht erwünscht. Die neigt leicht zu Größenwahnsinn.«

»Es ist ein entzückendes Mädelchen, der verkörperte Liebreiz. Ich glaube, sie ist beinahe noch hübscher, als du damals warst, Annemarie.«

»Dein Glück, daß du das Wort damals hinzugefügt hast Vera«, scherzte Annemarie.

»Über jetzt schweigt des Sängers Höflichkeit.« Ein impulsiver Klaps Annemaries lohnte diesen Ausspruch der Freundin. War es denn wirklich wahr, daß so viele Jahre über die gemeinsame Jugendzeit dahingegangen? Dachte und fühlte man denn nicht noch ganz wie einst? Ja – wenn die Stimmen der herangewachsenen Kinder nicht dazwischen geschallt hätten, wenn nicht Silberfunken hier und da in Veras dunklem Scheitel aufgeblitzt wären!

»Deine Älteste ist in München?« nahm Vera, nachdem man sekundenlang still vergangener Tage gedacht, wieder das Gespräch auf.

»Ja, leider. Du wirst es ja auch mal erleben, wie weh es tut, wenn solch ein Küken aus dem Nest fliegt. Vronli hat einen schweren, aufopferungsvollen Beruf erwählt – sie wird Säuglingsschwester.«

»Das erzählte mir Margot. Nun die Hauptsache ist, daß der Beruf sie befriedigt.«

»Vorläufig scheint dies der Fall zu sein. Aber ob es sich nicht mal rächt, wenn man sich selbst um seine Jugendzeit bestiehlt? Jeder Mensch hat doch eine gewisse Portion Lebenshunger in sich. Früher oder später verlangt derselbe nach seinem Recht.«

»Die Annemie spricht wie ein Professor. Das bringt wohl deine neue Würde so mit sich, Frau Professor? Wo ist deine Leichtlebigkeit, deine erquickende Sorglosigkeit hin, Annemie?«

»Die gewöhnen einem die Kinder allmählich ab.«

»Nun, deine drei haben dir bisher noch nicht allzuviel Sorgen gemacht«, mischte sich Margot, die bisher schweigend den wonnigen Maitag und das Beisammensein mit den Freundinnen genoß, jetzt in die Unterhaltung der beiden.

»Dafür kommen sie jetzt haufendick. Ursel, die eine recht niedliche Stimme besitzt, hat es sich in den Kopf gesetzt, zur Bühne zu gehen. Statt dessen hat mein Mann sie in eine Bank gesteckt. Das geht natürlich nicht ohne Kämpfe ab. Und der Hansi, sonst ein lieber Kerl, wenn er es in der Schule auch ein bißchen an sich kommen läßt, der will auch nicht, wie sein Vater will. Hat keine Neigung zur Medizin, möchte zur Landwirtschaft – ja, die Jungen zwitschern doch nicht immer so, wie die Alten sungen.«

»Freilich tun sie's, Annemie. Ich erinnere mich noch ganz genau deines neunzehnten Geburtstags, als du es bei deinen Eltern endlich durchgesetzt hattest, in Tübingen Medizin studieren zu dürfen«, meinte Margot lächelnd. »Da gab's auch Kämpfe, nicht wahr, Frau Doktor?«

»Ja doch, ja. Aber mein seliger Mann war so gut, der konnte seinem Nesthäkchen nun mal nichts abschlagen.« Frau Doktor ließ die schmalen Finger mit dem Schiffchen sinken. Aus Sonnenstrahlen und Blätterrauschen wob sich ihr das Bild vergangenen Glückes.

Als Annemarie die lieben Augen der Mutter sich feuchten sah, unterdrückte sie gewaltsam die eigene Wehmut. »Nun wird es aber endlich Zeit, daß du von dir berichtest, Vera«, sagte sie in munterem Ton. »Mich quetschst du aus wie eine Zitrone und über euch schweigst du wie ein Buch mit sieben Siegeln. Daß du dich in der Stadt der reinen Vernunft gut eingelebt hast, habe ich ja zu meiner Freude aus den wenigen Briefen, zu denen du dich aufgeschwungen hast, ersehen. Aber nun weiter. Wie lebt ihr? Hast du neue Freunde dort? Ist dein Mann noch immer so verschossen in dich? Wie entwickeln sich deine Krabben?«

»Ein bißchen viel Fragen auf einmal. Mit der letzten werde ich beginnen. Die Kinder sind natürlich süß, die Sascha sieht zum Glück meiner Wenigkeit ähnlich, der Bubi ist der ganze Papa.«

»Na, an mangelndem Selbstbewußtsein leidest du gerade nicht«, schaltete Margot neckend ein.

»Es hätte doch auch umgekehrt sein können. Bei all seinen andern Vorzügen, die Schönheit drückt meinen Mann doch wirklich nicht. Aber sonst ist er ein lieber Kerl. Verwöhnt mich, wo er nur kann. Heute noch ist er mir dankbar dafür, daß ich ihn geheiratet habe.«

»Schwer genug hast du dich ja weiß Gott auch dazu entschlossen, – als ob es nach Sibirien ginge und nicht bloß nach Königsberg. Wenn dein Bruder Stanislaus nicht kurz zuvor geheiratet und euer Zusammenleben dadurch eine Veränderung erfahren hätte, ich glaube wirklich, der Herr Regierungsrat hätte ebenso mit einem Körbchen abziehen müssen, wie all seine Vorgänger.«

»Ach, Annemie, rede doch nicht. Die ferne Stadt, das war doch das Wenigste dabei. Wenn ich mich natürlich auch von euch allen schwer gelöst habe. Aber ist man erst mal über die dreißig, entschließt man sich nicht mehr so leicht zum Aufgeben seiner Selbständigkeit. Und an meiner Kunst oder meinem Handwerk, wie ihr es nennen wollt, hing ich auch. Was hat mir mein photographisches Kunstatelier für eine Freude gemacht.«

»Und mir redest du zu, meine Selbständigkeit noch heute aufzugeben. Vera bildet sich nämlich neuerdings zur Heiratsvermittlerin aus«, lachte Margot.

»Weil ich selbst eine glückliche Frau geworden bin und erkannt habe, daß ein eignes Heim, ein guter Mann und liebe Kinderchen doch besser sind als ein Atelier – sei es nun ein photographisches oder ein kunstgewerbliches. Du hast mir selbst gesagt, daß du dich nach der Verheiratung deiner jüngsten Schwester einsam fühlst, Margot, daß dir jemand fehlt, für den du sorgen kannst. Da wäre es doch die einfachste Lösung, du heiratest selbst. Wer so viel sanftes, weibliches Empfinden hat wie du, Margot, ist ganz besonders zur Ehe geeignet. Habe ich nicht recht, Annemie?«

»Vielleicht, aber ich habe noch einen anderen Vorschlag für sie. Gehe in eine Familie, wo die Mutter fehlt. Erziehe Kinder zu tüchtigen Menschen und gib den Vereinsamten wieder Behaglichkeit und Lebensfreude. Dann wirst du dich selbst nicht mehr vereinsamt fühlen, Margot.«

»Ich habe an Ähnliches schon gedacht. Aber auch da heißt es, seine Selbständigkeit aufgeben und sich fremden, vielleicht nicht mal sympathischen Menschen unterordnen. Wer weiß, in welch ein Haus man kommt. Ob die Kinder nicht verwahrlost sind, ob man die Dame in mir respektiert und mich nicht als besseren Dienstboten behandelt. Man kann dabei große Enttäuschungen erleben. Auch dürfte mich der Haushalt nicht mehr als früher mein eigener in Anspruch nehmen, denn meine kunstgewerblichen Arbeiten würde ich unbedingt weiter entwerfen. Wo findet man das alles beisammen?«

»Es ist bereits gefunden«, sagte Annemarie und machte dabei dasselbe verschmitzte Gesicht, über das sich am Mittag bereits ihre Tochter Ursel den Kopf zerbrochen hatte. »Alles in bester Ordnung – zum Ersten kannst du schon deine Hausdamenstellung antreten, Margot.«

Die blickte mit fragenden Augen auf die Freundin. »Was ist da nun wieder für ein Ulk dabei, Annemie?«

»Gar keiner – ich weiß einen Platz für dich, wo man dich unbedingt als Dame respektieren wird. Wo die Kinder nicht verwahrlost sind, und wo du wieder Freude und Wärme in das mutterlose Haus bringen kannst. Errätst du es nicht? Sieh, das Gute liegt so nah.« Annemarie blinzelte zu dem Schachtisch hin.

»Hans?« fragte Margot, und ihr zartes Gesicht färbte sich rosig. Es war fabelhaft, wie jung sie in diesem Augenblick aussah.

»Was ist mit mir?« Der in sein Schach vertiefte Amtsgerichtsrat ward aufmerksam.

»Ich wollte dir eben eine Hausdame engagieren, die dich nicht bemausen wird, und die du nicht wieder an die Luft zu setzen brauchst. Ich hoffe, du wirst mit meiner Wahl einverstanden sein, Hans.«

»Wen meinst du?« Der Amtsgerichtsrat zog die Augenbrauen hoch. Aber als er dem Blick seiner Schwester folgte, sprang er so ungestüm vom Schachtisch auf, daß ein Läufer ins Wackeln kam und ein Springer davonsprang.

»Margot – du? Wolltest du das wirklich tun?«

»Annemarie hat das eben nur angeregt. Sie hat mich mit ihrem Vorschlag vollständig überrumpelt. So etwas will natürlich reiflich überlegt sein.« Margot sprach wieder mit der ihr eigenen Ruhe.

Der Amtsgerichtsrat reichte ihr beide Hände hin. »Wenn du dich dazu entschließen könntest, Margot, dann tätest du ein gutes Werk. Dann würde mir mein Heim und mein Leben vielleicht noch einmal heller werden.«

Wieder ging eine Blutwelle über das zarte Frauenantlitz.

»Ich will, Hans«, sagte sie, und die reifliche Überlegung schien nicht mehr vonnöten zu sein. »Wenn es sich mit meiner Wohnung und mit meiner beruflichen Arbeit einrichten läßt – – –«

»Aber natürlich – natürlich«, unterbrach Hans Braun sie so lebhaft, wie schon lange nicht. »Die Wohnung wirst du tausendmal los bei der jetzigen starken Nachfrage. Und deiner kunstgewerblichen Arbeit sollst du dich ungestört widmen. Wir sind ja schon froh und dankbar, wenn wieder ein gebildetes weibliches Wesen im Hause ist, dort die Oberaufsicht führt und mit Interesse für unser Wohl bedacht ist. Meinen Jungen fehlt eine liebevolle Frauenhand sehr.«

»Eigentlich ist unsere Ursel der Urheber dieses guten Gedankens«, meinte der Professor ebenfalls erfreut, daß in das Haus seines Schwagers nun endlich wieder Ordnung kommen sollte. »Das neue Engagement müssen wir halt begießen, gelt, Annemie? Was meinst, Weible, wenn ich uns eine Maibowle zum Abend braue? Waldmeister hat der Hansi ja gestern grad' von seinem botanischen Streifzug mit heimgebracht.«

»Diese Idee ist beinahe ebensogut, Rudi, wie die von unsrer Ursel«, lobte Annemarie. Sie schien noch aufgeräumter als sonst. Während die Herren wieder zu ihrem Schach zurückkehrten, und Vera sich nach dem Ergehen der beiden Freundinnen Ilse und Marlene an der Waterkant erkundigte, gab Frau Annemarie so übermütig Auskunft, wie einstens, als man noch das Kränzchen miteinander hatte.

»An der Waterkant kribbelt's und krabbelt's wie in einem Ameisenhaufen. Weißt du denn überhaupt, Vera, daß bei Klaus und Ilse im vergangenen Jahr der vierte Junge einpassiert ist? Sollte natürlich endlich mal ein Mädel werden – ja, prosit Mahlzeit! Jetzt haben sie bald das halbe Dutzend voll, in Lütgenheide. Na, Platz zum Austoben gibt's ja dort genug.«

»Und in Grotgenheide, wie schaut's auf dem Zwillingsgut aus?« erkundigte sich Vera belustigt.

»Gerade entgegengesetzt. Die beiden Intima Ilse und Marlene haben sich ja immer ergänzt. In Grotgenheide bei Marlene und Peter blüht das Dreimäderlhaus. Wenn die Mädel auch halbe Buben sind.«

»Ich muß doch auf dem Rückweg über Stettin fahren, und mir das Kleinzeug an der Waterkant einmal anschauen. Von Marlenes Jüngster bin ich ja sogar Pate. Die kleine Vera muß ich unbedingt kennenlernen«, überlegte Frau Vera.

»Ich kenne mein Patchen Margot, die mittelste, auch noch nicht, trotzdem es doch von hier gar nicht weit ist. Man entschließt sich immer zu schwer«, meinte Margot.

»Schach!« rief der Professor dazwischen.

»Kinder, ich habe eine famose Idee: wir überfallen alle drei die Waterkant zu Pfingsten und feiern dort mal wieder Kränzchen«, rief Annemarie lebhaft. »Vielleicht können wir auch Marianne Kluge ins Schlepptau nehmen. Aber die kriecht schwer aus ihrem Bau heraus, das ist eine richtige Hauskatze geworden.«

»Famos, großartig!« pflichteten ihr die Freundinnen bei. »Das heißt, wenn mein neuer Prinzipal mir überhaupt Urlaub gibt«, setzte Margot mit einem schelmischen Blick auf Hans Braun hinzu.

»Matt!« schrie der Professor triumphierend, »Hans, du hast deine Gedanken nicht beisammen.«

»Werde ich mir noch sehr überlegen«, ging dieser auf den Scherz Margots ein.

»Ich mir übrigens auch.« Der Professor schob die Schachfiguren zusammen. »Was soll das denn heißen, Weible, einfach auf und davon gehen zu wollen! Das ist bei uns nimmer Mode. Vorläufig bin halt ich noch Herr im Hause.«

»Nun seht diesen Tyrannen an. Ein Vierteljahrhundert halte ich es schon bald bei ihm aus – sagt, bin ich nicht eine Märtyrerin?« Annemarie umarmte ihren Tyrannen zärtlich, was Hans zu den ungalanten Worten: »Du, das schickt sich für solch eine alte Frau gar nicht mehr«, veranlaßte.

Der Professor stieg in den Weinkeller hinab, um seine Maibowle zu brauen. Vera ließ sich von Frau Doktor Braun in die Geheimnisse der Schiffchenarbeit einweihen. Hans Braun und Margot Thielen schritten die Gartenwege auf und nieder, um Näheres über Margots Übersiedlung zu besprechen. Annemarie blickte den beiden mit eigenem Blicke nach.

Flieder und Holunder dufteten intensiver. Gen Westen segelten goldumsäumte Wölkchen an zartgrünem Himmel. Leiser, lockender wurde das Flöten im grünen Gezweig.

Merkwürdige Gedanken kamen Frau Annemarie, als sie den beiden nachschaute. Sie hatten sich heute schon öfters gemeldet, diese Gedanken. Hatte Vera nicht recht, daß keine so zum Beglücken eines Mannes geschaffen war, wie gerade Margot in ihrer lieben, weiblichen Art? Nur sie wußte es, sie ganz allein, daß Margot Thielen vor Jahren eine geheime Neigung für ihren Bruder Hans gehegt hatte. In ihrer bescheidenen, stillen Art war Margot immer ein wenig Mauerblümchen im Leben gewesen. Sie hatte es am Ende nicht einmal verwunderlich gefunden, daß der Jugendfreund achtlos an ihr vorbeischritt, daß er sich eine andere Lebensgefährtin wählte. Annemarie wußte, daß Margot damals tiefinnerlich gelitten hatte, wenn sie auch niemals darüber zu sprechen vermochte. Nun waren Jahre vergangen. Viele Jahre. Margot hatte sich nicht entschließen können, einem andern die Hand zu reichen. Das Lebensglück von Hans war gescheitert. Alles blühte und erneute sich rings in der Natur – sollte kein neues Glück für die beiden mehr möglich sein?

Aus dem Wohnzimmer erklang es vom Flügel her: »Ihr, die ihr Triebe des Herzens kennt, sagt, ist es Liebe, was hier so brennt.« Ursel sang das Pagenlied aus dem »Figaro«.

Nachdem man sich genugsam am Krocketspiel ergötzt hatte, waren die jungen Mädchen in das Musikzimmer gezogen, während Hans seine Vettern zu seinen naturwissenschaftlichen Sammlungen schleppte.

»Was für eine prachtvolle Stimme eure Ursel hat.« Vera, die selbst sehr musikalisch war, horchte auf. »Weißt du, Annemie, es ist wirklich ein Jammer, daß ihr dieselbe nicht ausbilden laßt.«

»Pst, – laß du das nicht meinen Mann hören. Du ziehst dir seine ewige Feindschaft zu. Er will absolut keine Theaterprinzessin zur Tochter haben. Teilweise wird er ja auch im Recht sein. Die Ursel ist ohnedies schon ein bißchen leichtsinnig. Und die Bühne mag wirklich nicht der geeignete Boden für sie sein. Sie hat morgen ihre erste Gesangstunde. Da wird sich's ja zeigen, ob sie wirklich ein besonderes Talent hat. Wahre Kunst bricht sich überall Bahn.«

»Ich halte es für einen Fehler, Urselchen bei ihrer Begabung in einen ihr nicht zusagenden Beruf hineinzupressen«, meinte auch Frau Doktor Braun gedankenvoll. »Das rächt sich früher oder später.«

»Natürlich, die gute Omama nimmt sich ihres armen Lieblings, der von den eigenen Rabeneltern nicht genug gewürdigt und zur Fronarbeit ums tägliche Brot verdammt wird, an. Der Ursel schadet es gar nicht, wenn sie ihr eigenes Persönchen mal unterordnen und regelmäßige Pflichterfüllung lernt. Im Gegenteil, es ist für Ursel geradezu notwendig – – –«

»Was ist für mich notwendig?« Ein Blondkopf mit neugierig gespitzten Ohren erschien in dem offenen Fenster des Wohnzimmers.

»Daß du dich um das Abendbrot kümmerst, anstatt dich hier als Primadonna aufzuspielen«, lachte die Mutter sie aus.

»Nein, Muzichen, sag' doch«, bestürmte sie Ursel.

»Ich sag es ja: Ruth und Edith kommen jetzt zu uns heraus und du hilfst der Trude beim Brotzurechtmachen und den Abendtisch herzurichten. Wird es dir auch hier draußen auf der Terrasse nicht zu kühl werden, Muttchen?« wandte sich Annemarie an die alte Dame, »dann decken wir drin.«

»Ih bewahre, es ist ja glutheiß draußen«, rief Fräulein Naseweis dazwischen.

»Ursel, die Omama braucht keinen Vormund«, bedeutete ihr die Mutter.

Aber die Omama wollte natürlich kein Störenfried sein. Vorläufig war es ja auch wirklich noch ganz warm und später – nun, man würde ja sehen, die Siebzig braucht freilich mehr Wärme, als die Siebzehn. Das konnte sich Urselchen nicht vorstellen.

Das Urselchen saß bereits wieder an ihrem geliebten Flügel und spielte ein Potpourri aus allen möglichen Opern.

»Ursel, du sollst doch Stullen belegen«, fuhr Frau Annemarie gerade nicht sehr kunstverständig dazwischen.

»Santruzza, reize mich nicht, denn ich bin nicht dein Sklave«, – – erklang Ursels Antwort aus » Cavaleria rusticana« vom Flügel her.

Natürlich hatte sie die Lacher wieder auf ihrer Seite.

»Ein schreckliches Kind. Ursel, jetzt hörst du aber mit dem Unsinn auf. Willst du dich nun ums Abendbrot kümmern oder nicht?« Frau Annemarie markierte die strenge Mutter.

»Nicht sollst du mich befragen«, antwortete das »Lohengrin«-Motiv.

»Ursel, du wirst doch nicht wollen, daß ich selbst mich meinen Gästen entziehe?«

»Mit einer Mutter habt Erbarmen.« Jetzt hatte das lose Mädel den »Prophet« beim Wickel.

Frau Annemarie erhob sich resolut unter allgemeinem Gelächter. Man konnte sich von der Krabbe doch nicht auf der Nase herumtanzen lassen, noch dazu in Gegenwart der Freundinnen. Da aber war auch bereits Ursel mit einem schrillen Schlußakkord aufgesprungen.

»Ich gehe ja schon, Muzi. ›Auf in den Kampf, Torero‹!« Unter »Carmens« Klängen wollte sie abmarschieren.

»Ursel, nun sei doch bloß mal einen Augenblick verständig. Trude soll Teewasser für die Omama aufsetzen. Es wird sicher noch Feuer im Herd sein.«

»Lodernde Flammen schlagen zum Himmel empor.« Die Zigeunerin-Arie aus dem »Troubadour« war das letzte, was Ursel von ihrer Sangeskunst zum besten gab.

»Ein Teufelsmädel!« sagte der Professor hinter ihr her voller Vaterstolz.

»Ja, du bist schuld, Rudi, daß das Mädel vollgepfropft ist mit Opern. Du hast sie ja schon als Kind stets mitnehmen müssen. Nun hast du den Salat! – Ach richtig, den Heringssalat! Ursel soll ihn mit Essigkirschen garnieren. Vielleicht sagst du es ihr mal, Ruth.«

»Dürfen wir der Ursel nicht helfen, Frau Professor?«

»Meinetwegen, Mädels. Aber ich fürchte, es wird nicht viel bei eurem Triumvirat rauskommen. Laßt auch noch ein paar Kirschen für die Salatgarnierung übrig.«

»Ich träume als Kind mich zurücke«, sagte Frau Vera gedankenvoll. »Wenn ich deine Ursel mit ihren Freundinnen so sehe – Jahre versinken. Wir haben den Backfischzopf gerade erst stolz in die Höhe gesteckt und springen so frohgemut, so glückerwartend ins Leben, wie heute die Kinder. Ist das wirklich bald ein Menschenalter her?«

»Das ist ja das Schöne, Vera, daß wir uns in unsern Kindern wiederfinden, uns wieder in ihnen erneuern. Aber solch ein Frechdachs wie die Ursel war ich doch nie und nimmer, nicht wahr, Muttchen?«

»Na – na – der Apfel fällt nicht weit vom Stamme, Annemarie«, gab der Amtsrichter anstatt seiner Mutter die brüderliche Antwort.

Frau Annemarie hatte dem Triumvirat Unrecht getan. Es dauerte gar nicht lange, da stand ein leckeres Tischleindeckdich draußen auf der Terrasse. Wieviel freilich von den Vorbereitungen auf Ursels Teil kam, mag dahingestellt bleiben.

Zartlila verhangene Lampen glänzten wie seltsame Riesenschmetterlinge in den blütenschweren Abend hinaus. Silbern klangen die Gläser mit duftender Maibowle aneinander. Manch Vorübergehender wandte den Kopf zu der magisch beleuchteten Blumenterrasse zurück und dachte: Glückliche Menschen!


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