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8. Kapitel. An der Waterkant.

Vor dem grauen, von wilden Rosen umkletterten Herrenhaus zu Lüttgenheide ging es recht lebhaft zu. Laute Jungenstimmen mischten sich mit Hammerschlag, übertönten den Schwalbensang am altersgrauen Schloßturm. Kräftige Schlingel, wie die Orgelpfeifen anzusehen, schmückten das Hausportal, das die Inschrift »Ilsenheim« trug, mit hellgrünen Maien. Einer stand oben auf der Leiter und befestigte die maigrünen Birken, die ihm sein um zwei Jahre jüngerer Bruder Werner zureichte. Günther, ein siebenjähriger Flachskopf mit den lustigen Braunaugen seines Vaters, mühte sich vergeblich, die Birkenbäumchen, die größer waren als er selbst, von dem Handwagen, mit dem die Buben sie eigenhändig aus dem Walde geholt hatten, abzuladen. Und das Kakelnest, Klein-Horst, ein dralles Bübchen von noch nicht einem Jahr, kugelte sich, selig an seinem großen Zeh lutschend, daneben auf den sonnenbeschienenen Rasen. Es hatte Schuh und Strümpfchen, Jäckchen und Röckchen energisch abgestreift und strampelte nun, nur von seinem Hemdchen und dem goldenen Strahlengespinst gewärmt, helljauchzend in der Nachmittagssonne. Aber die Lüttgenheider Buben waren abgehärtet und wetterfest. Eine Erkältung kannte man nicht an der Waterkant bei dem stämmigen blonden Geschlecht.

Es war dem Gutsherrn, der aus dem Wirtschaftshof quer über den Gartenplatz auf das Haus zuschritt, nicht zu verdenken, daß er mit stolzfreudigen Augen sein Quartett betrachtete.

Hop – da saß Horst, das Kleinchen auch schon auf Vaters Schulter und bearbeitete mit seinen winzigen Fäusten respektlos das blonde Kraushaar des Vaters, in das sich noch kein graues Haar verirrt.

»Jungs, habt ihr mir auch nicht meine Birkenschonung geplündert?« fragte er, auf die Pfingstmaien weisend.

»Nee, Vating, man bloß ein paar vom Waldrand, der schon zu Grotgenheide gehört«, beruhigte ihn sein Ältester.

»Slingel!« Klaus Braun packte seinen Sprößling, der gerade von der Leiter herabgerutscht war, am Ohr. »Stibitzt dem Onkel Peter seine Birken weg und entschuldigt sich dann noch, sie wären man bloß aus Grotgenheide. Du hast ja einen hoffnungsvollen Sohn«, wandte er sich lachend an seine Frau, die aus dem Souterrain, in dem die Wirtschaftsräume lagen, auftauchte.

»Lehne jede Verantwortung ab«, gab diese lustig zurück. »Nur für mein Lüttes fühle ich mich verantwortlich. Sobald sie erst selbständig herumlaufen und unnütz werden, kommen sie auf dein Konto, Klaus.«

»Merkwürdige Vererbungstheorie, die du da aufstellst, Ilse. Aber Logik ist ja ein Feld, das bei euch Frauen wie Brachacker zu behandeln ist«, neckte der Landwirt. »Jung, gib Ruh. Die Mutter nimmt dich gleich. Da hast du den Strick.«

Das Bübchen war nicht mehr zu halten. Mit seinen sämtlichen Gliedmaßen angelte es von Vaters Schultern herab zur Mutter hin.

»Ja doch, ich nehm dich ja gleich, mein Lüttes. Klaus, setz mir den Jung man bloß nicht auf den Pfingstkuchen, laß mich doch erst abstellen. Ich bring euch eine Kostprobe zur Vesper herauf.«

Die Jungen umdrängten die Kuchenschüssel. Sie war als Kostprobe recht umfangreich, auf hungrige Jungenmagen berechnet. Der Kleinste griff als erster hinein und biß mit den paar Mausezähnchen, über die er vorläufig nur zu verfügen hatte, unternehmungslustig in das große Stück.

»Nun sieh dir diesen Frechdachs an, Klaus. Und seine ganze Kledasche wächst mal wieder unten auf der Wiese. Werner, bring mir mal die Sachen vom Kleinen.« Sie ließ das jauchzende Kind auf ihrem Arm tanzen.

Frau Ilse war das Landleben gut bekommen. Sie war eine kräftige, ja, sogar etwas rundliche Gutsherrin geworden.

»Mutting, du blühst ja wie eine Pfingstpäonie, freilich schon eine etwas stark erblühte.« Klaus Braun konnte es noch immer nicht lassen, seine Ilse zu foppen und aufzuziehen.

»Dein Glück, daß du nicht verblühte gesagt hast, du ungalanter Mann. Sonst hätte ich dir den Brotkorb, beziehungsweise die Kuchenschüssel höher gehängt«, drohte Frau Ilse.

»Dann geb' ich Vating meinen Kuchen.« Werner war Vaters Liebling. Er war der Ilse aus dem Gesicht geschnitten. Sogar ihre etwas vorstehenden Zähne verleugnete er nicht.

Die Ehe zu Lüttgenheide war die lustigste, die man an der Waterkant kannte. Klaus Braun stellte, trotz seiner Gutsherrenwürde, noch heute mit seinen vier Jungen das Haus auf den Kopf. Ihren größten »Slingel«, nannte ihn Ilse unter vier Augen. Ein höchst vergnügliches, arbeitsfreudiges Zusammenleben war es auf Lüttgenheide, was aber nicht hinderte, daß auch ab und zu mal ein luftreinigendes Donnerwetter dazwischen schlug.

Der jüngste Sprößling war wieder bestrumpft und behost; die Vespermahlzeit auf dem runden Tisch unter dem lenzgrünen Nußbaum hergerichtet, wobei Peter, der Älteste, der Mutter zur Hand ging. »Meine Haustochter«, pflegte Ilse scherzhaft zu sagen.

»Fix, Mutting – mach man fixing, der Zug wird bald kommen«, drängte Günther.

»Ihr habt noch eine volle Stunde Zeit, Kinder«, beruhigte die Mutter.

Klaus Braun hatte seine kurze Pfeife in Brand gesetzt – denn eine Pip Toback, das gehörte nun mal zur Waterkant. Die Vesperstunde, das war seine schönste Stunde am Tage. Da hatte er sowohl als »Minister des Äußeren« seine Tagesarbeit erledigt, wie auch seine Ilse, der »Minister des Innern«, ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten absolviert. Da saß sie strümpfestopfend oder hosenflickend, singend, mit den Kindern scherzend, beschaulich neben ihm. Da waren die beiden Großen aus dem nicht allzu entfernten Greifswald, wo sie das Gymnasium besuchten, wieder per Rad daheim. Da hatte Günther, der Abcschütze, der von der Mutter unterrichtet wurde – »denn etwas muß ich doch davon haben, daß ich einen weiblichen Oberlehrer geheiratet habe,« sagte Klaus – ja, der Günther hatte sein Einmaleins, seine Krakelfüße und die dazugehörigen mütterlichen Ohrfeigen längst vergessen. Da kroch Klein-Hansi, das Spielzeug der Großen, mit Hunden, Katzen, Gänsen, Enten und Hühnern in traulicher Gemeinschaft im Sande herum. Das war so recht die Stunde, wo sich ihm sein häusliches Glück offenbarte.

Auch heute ließ der Gutsherr in zufriedenem Behagen den Blick in die Runde schweifen. Lüttgenheide hatte sich in den etwa fünfzehn Jahren, seitdem er es übernommen, gut herausgemausert; den Ertrag der Äcker hatte emsige, unermüdliche Arbeit beinahe verdoppelt. Die Waldungen waren frisch aufgeforstet worden. Neue Stallungen und Scheunen waren emporgewachsen. Unter Ilses fleißiger Hand, unter ihrer verständigen Aufsicht gedieh Obst- und Gemüsezucht. Die Kälberkinderstube hatte sie ebenso am Bändel wie die eigene. Seine vier Jungen! Das war doch das Beste an dem ganzen Besitztum. Er hatte keine Enttäuschung empfunden, so oft statt des erwarteten Mädels wieder solch ein Prachtkerl seinen Einzug auf Lüttgenheide gehalten. Im Gegenteil, er hatte seiner Frau versichert, daß sie überhaupt die geborene Jungenmutter sei, und daß er sie sich gar nicht wie Marlene Frenssen drüben auf Grotgenheide, als Mutter von drei Grazien vorstellen könnte. Ja, die Ilse! In ihr verkörperte sich sein Glück. Sie gab ihm Freude zur Arbeit, sie machte ihm sein Heim zum Mittelpunkt der Welt. Sie teilte mit ihm Sorgen, die im Landmannsstand nicht ausbleiben. Sie stand ihm als treuer Kamerad zur Seite, was immer auch kam.

Die kunstgerecht einen Flicken in den Hosenboden Peters einsetzende Ilse mußte wohl, obgleich sie nicht aufschaute, den warmen Blick, mit dem ihr Mann sie umfaßte, fühlen.

»Nanu?« fragte sie und hob die Augen von dem zerlöcherten Hosenboden. »Du schaust mich ja an wie ein verliebter Kater, Klaus. Wir sind nicht mehr auf der Bergruine bei blühendem Holunder.« Dort hatten sie sich einst vor Jahren gefunden.

»Meine Alte«, sagte er und reichte ihr die Hand herüber.

Ilse legte ihre trotz der Arbeit gut gepflegte Rechte belustigt hinein. »Soll ich das etwa für eine Liebkosung ansehen, du unhöflicher Gesell? Aber im Ernst, was ist mit dir los, daß du so zärtlich« Anwandlungen bekommst? Ist der Pfingstkuchen etwa besonders gut geraten?«

»Materielles Weib!« schalt Klaus. »Sind dir all deine Ideale in den Backtrog gefallen?«

»Daß die Liebe bei euch Männern durch den Magen geht, das war schon zu Adam und Evas Zeiten bekannt. Sonst hätte sie ihm nicht den Apfel gereicht«, wehrte sich Ilse.

»Und dazu mußte ich eine Studierte heiraten. O Gott, was hab' ich mich in die Brennesseln gesetzt.« Klaus verbarg sein Schmunzeln hinter dicken Dampfwolken.

Die Jungen, die sich inzwischen damit beschäftigt hatten, sämtliche Hunde und Katzen des Gutes mit Pfingstmaien zu schmücken, erschienen wieder auf der Bildfläche.

»Vating – Vating, nu müssen wir aber los. Kann Krischan den Jagdwagen anspannen? Ich möchte selbst kutschieren«, umdrängten sie den Vater.

»Der Jagdwagen ist zu klein. Ich soll euch doch sicher alle drei zur feierlichen Einholung mitnehmen? Laß Krischan man den Landauer nehmen«, bestimmte der Vater.

»Nee, Vating, nee! Du sollst überhaupt nicht mitkommen. Bleib' man bei Mutting. Es sind doch unsere Vettern, die wir abholen. Man bloß Jungs. Da will ich allein kutschieren«, bestürmte ihn Peter.

»Na, nu seh' einer die Slingel an. Setzen ihren Vater heut schon auf den Altenteil. Na meinetwegen. Da haben Mutting und ich wenigstens noch eine ruhige Stunde. Krach genug wird's ohnedies geben, wenn drei Banditen mehr hier hausen«, meinte der Vater gutgelaunt.

»Hans Hartenstein ist doch überhaupt schon Primaner. Und Herbert und Waldemar sind auch keine Banditen mehr.« Werner imponierten die großen Vettern, die fast alle Schulferien auf Lüttgenheide zubrachten, ungeheuer.

»Füchse oder Schimmel, Vating? Was soll eingeschirrt werden?« Peter war heute schon der geborene Landwirt.

»Nehmt man lieber die Schimmel, wenn ich nicht dabei bin. Die gehen ruhiger. Aber nicht etwa mit ihnen jagen. Ihr kommt noch reichlich zur Zeit. Und daß du mir die Pferde beileibe nicht alleinstehen läßt, Peter. Festhalten, wenn der Zug einfährt, verstanden?«

»Aber, Vating, ich weiß doch mit Pferden umzugehen.« Peter fühlte sich in seiner zwölfjährigen Ehre gekränkt.

Zehn Minuten später ratterte der Schimmelwagen mit den Lüttgenheider Blondköpfen aus dem Hoftor. Alle drei thronten sie stolz auf dem Bock. Keiner mochte im Wagen sitzen.

Frau Ilse sah dem Gefährt nach. »Weißt du, Klaus, ich habe heute nicht die richtige Festtagsstimmung. Zum erstenmal sind wir Pfingsten ohne liebe Einquartierung. Denn das Jungvieh rechnet doch nicht. Das ist doch man bloß für die Kinder.«

»Ja, mir tut es auch leid, daß sich keiner aus Berlin fort rühren mag. Meinem Bruder Hans hätte es ganz gewiß gut getan, aus seiner traurig öden Häuslichkeit herauszukommen. Warum er seine Jungs bloß nicht begleitet? Und Mutter brauchte auch nicht wegen irgendwelcher schwarzen Kaffern, die sie jetzt in Pension hat, zu Hause zu hocken. Wofür ist denn Hanne da! Hartensteins kriechen natürlich wieder nicht aus ihrem Nest heraus, die finden es ja nirgends schöner als in Lichterfelde. Und Urselchen, das arme Ding, muß Devisen umrechnen, anstatt sich hier am Meer zu erholen. Blödsinn! Wenn ich eine Tochter hätte – – –«

»Gut, daß du keine hast, Klaus. Die würdest du wild wie ein junges Fohlen aufwachsen lassen nach deinen Prinzipien, daß Mädels überhaupt nichts zu lernen brauchen. Möchte bloß wissen, warum du denn gerade auf ein Fräulein Oberlehrer reingeplumpst bist«, lachte ihn Ilse aus.

»Ja, das ist ja eben mein Unglück. Deine Gelehrsamkeit hat den Grund zu der Abschreckungstheorie gelegt.« Das war eine ewige Katzbalgerei zwischen Klaus und seiner Frau.

Ilse hatte ihr Kleinchen, das auf allen vieren zur Mutter herangekrochen kam, auf den Schoß genommen. »Du bist doch mein Bestes.« Zärtlich schmiegte sie ihr Gesicht an das flaumweiche Bäckchen des Kindes.

»Oho!« Klaus war noch heute eifersüchtig. Sogar auf seine Kinder. »Komm her, Ilse, wenn du auch ein studiertes Frauenzimmer gewesen bist.« Er schlang den Arm um Frau und Kind.

»Anmeiern ist nicht.« Ungeachtet ihrer Worte sah Ilse zärtlich zu ihm auf. »Du, was sollen denn Krischan, Mining und Dörting von uns altem Ehepaar denken. Selbst die beiden Inseparables finden, daß wir bereits aus den Flitterwochen heraus sind.« Sie wies auf die beiden Hunde, die fliegenschnappend in der Sonne lagen. Es waren Brüder des nach Lichterfelde ausgewanderten Cäsar und glichen ihm, wie ein Ei dem andern. Da sie unzertrennlich waren, hatte Klaus sie, Ilse und Marlene zu Ehren, Inseparables genannt.

Unbemerkt von den beiden, war eine dunkelgescheitelte Dame im hellen Sommerkleid vom Erlengrund her über den Schritte dämpfenden Rasen hinter ihnen näher gekommen. An dem einen Arm hing ihr weißer Strohhut, am andern ein Mädelchen von etwa sechs Jahren.

»So muß ich euch für das Familienblatt im Pommerschen Boten knipsen«, klang es plötzlich lachend hinter dem umschlungenen Braunschen Ehepaar. »Ein glückliches Heim oder heimliches Glück, ganz wie ihr es benennen wollt. Tag, Ilse – Tag, Klaus.« Lachend reichte sie den beiden die Hand.

»Eine Gemeinheit, unser heimliches Glück derart zu belauschen, Marlenchen«, rief Ilse. Während Klaus den freien Arm auch noch um Marlene Frenssen und um die kleine Vera schlang. »Seid umschlungen Millionen – diesen Kuß der ganzen Welt.« Er begnügte sich aber, ihn als guter Onkel nur der kleinen Vera, einem weißblonden Dingelchen mit den tiefblauen Augen der Mutter, zu verabfolgen. »Wo bleibt der Schwanz?« fragte er, vergeblich nach dem Erlengrund zu spähend.

»Peter ist mit Illa und Margot zur Bahn gefahren, die Großeltern abzuholen. Wir wollen dem Wagen entgegengehen. Und da der Weg über Lüttgenheide führt – – –«

»Konntest du der Versuchung, mich zu sehen, nicht widerstehen«, vollendete Klaus Braun. »Wollen wir auch ein Stückchen mitgehen, Ilse?«

»Meinetwegen. Ich bin zwar nicht in Promenadentoilette, bin eben erst mit Kuchenbacken fertig geworden. Aber Onkel Heinrich und Tante Käthchen sind ja selbst vom Bau, die wissen, daß eine Gutsfrau vor dem Fest noch alle Hände voll zu tun hat. Und die Kühe und Ochsen werden es ja wohl nicht übel nehmen, wenn ich in meinem Hauskleide spazieren gehe.« Sie band die Wirtschaftsschürze ab. Darunter trug sie ein blauweißgewürfeltes, kleidsames Kattunkleid, ähnlich wie die Dirndlkleider, die sie als Mädel bevorzugt hatte.

»Du, Marlene, hast du den Stich gefühlt? Das ging auf deine elegante Sommertoilette«, stichelte Klaus. »Die gnädige Frau hat natürlich heute den ganzen Tag die Hände in den Schoß gelegt, allenfalls den Fräulein Töchtern französischen Unterricht erteilt«, zog er sie auf.

»Ja, du hast 'ne Ahnung! Bis vor einer halben Stunde war ich noch beim Spargel- und Stachelbeereneinkochen. Aber wenn man lieben Besuch erwartet, macht man sich doch möglichst schön.« Marlene schob ihren Arm in den der Cousine, während Klaus den jüngsten filius auf seinem Arm postierte und das kleine Mädchen an die Hand nahm.

»Ich wünschte, ich hätte mich auch für Pfingstbesuch fein machen können. Für die Jungs lohnt es mir nicht«, seufzte Ilse.

»Und für deinen Mann, he? Der sieht dich auch lieber in einem hübschen Kleide als in Wirtschaftsuniform«, warf Klaus dazwischen. »Vogelscheuchen stehen drüben in den Saatfeldern genug.«

»Ein gräßlicher Mensch! Ilse, du bist eine Märtyrerin, daß du es an seiner Seite aushältst. Ich habe doch das bessere Teil erwählt. Mein Peter ist noch heute ebenso ritterlich zu mir wie –«

»Vor hundert Jahren«, vollendete der unverbesserliche Klaus, »übrigens, ihr könnt uns wegen Waldfrevel belangen. Euer zu den schönsten Hoffnungen berechtigender Pate hat euren Birkenwald zu Pfingstmaien geräubert. Weil es auf Lüttgenheider Gebiet streng verboten ist.«

»Peter wird seinen kleinen Namensvetter schon bei den Ohren nehmen. Wie hoch bei euch bereits das Korn steht. Man merkt doch, daß wir ein Stück näher am Meer sind. Bei uns ist's noch nicht so weit.«

»Liegt weder am Meer, noch am Boden, sondern an der Tüchtigkeit des Gutsherrn«, warf sich Klaus in die Brust. »Vera, Dirn, willst du woll aus der Saat raus. Ich binde dich mit deinem Haarschwänzchen hier oben am Kirschbaum fest«, drohte der Onkel dem blumenpflückenden Kinde.

»Au ja, Onkel Klaus. Man zu! Die Kirschen sind schon beinahe reif, das wäre fein!« Einen anderen Eindruck machte des Onkels Drohung nicht.

Die vierbeinigen Inseparables sprangen mit Vera voraus, während die zweibeinigen Arm in Arm langsam die Kirschchaussee entlang schlenderten. Durch Lupinenfelder und fettes Weideland, das mit Roggen- und Gerstenschlag wechselte, zog sich die Landstraße wie eine graue Schnur in die blaue Unendlichkeit hinein. Heimchen geigten irgendwo im Grasrain. In den Telegraphendrähten summte es. Und von fern hörte man dumpfes Rauschen, den Atem des nie rastenden Meeres.

»Ist es nicht merkwürdig«, begann Marlene nach sekundenlangem Schweigen, »daß wir drei, die wir den größten Teil unseres Lebens von dem Großstadtungeheuer Berlin zermalmt wurden, hier in dieses ländliche Idyll verpflanzt worden sind? Wir sind doch nun schon vierzehn Jahre hier bodenständig, aber manchmal ist es mir noch heute, als träumte ich bloß. Als lebte ich noch mein früheres Leben und müßte wieder in der Steinwüste erwachen. Oder gar in meiner Schulklasse.«

»Möchtest du zurücktauschen, Marlene?« neckte Klaus.

»Nein – auch abgesehen von Mann und Kindern, von meinem ganzen häuslichen Glück nicht. Es ist mir unfaßbar, daß ich es solange überhaupt im Großstadtgetriebe aushielt, daß ich die dicke Autoluft geatmet habe, an Stelle von würzigem Heuduft und von salzigem Meereshauch. Daß man auf gleichgültiger Allerweltsstraße daher getrottet ist, anstatt auf seinem eigenen Grund und Boden zu wandern. Hier lebt jeder Baum, jeder Grashalm mit einem. Der Schmetterling, der dich umgaukelt, gehört ebenso zu dir, wie die Frösche, die drüben im Grassumpf quaken.«

»Still, Ilse – Marlene dichtet«, bedeutete Klaus Braun im Flüstertone seiner Frau, die Marlene scherzhaft unterbrechen wollte. »Man darf sie nicht anrufen. Wie einen Mondsüchtigen mußt du sie behandeln. Dann enthüllt sie uns noch weiter ihre holde poetische Seele.«

Marlene lachte. »Ich werde mich ja hüten, meine Perlen vor die Säue zu werfen. Aber sag, Ilschen, hab' ich nicht recht?«

»Ja und nein. Es gibt im Menschenleben Augenblicke – wie kann ich meinen Wallenstein heute noch? – wo ich denke, meine ganze Klasse mit fünfzig Mädeln hat mir nicht so viel zu schaffen gemacht, wie meine fünf Slingel – Klaus mit eingerechnet – hier auf Lüttgenheide.«

»Warte, du undankbares Weib, das kostet Buße. Was für eine Schlange habe ich an meinem Busen genährt.« Er packte Ilse, wie er es mit seinen Hunden zu tun pflegte, mit kräftigem Nackengriff.

»Bist du denn ganz und gar nicht gescheit, du Tyrann! Hör nur, wie die beiden Inseparables dich anknurren. Sieh bloß mal, was für große erschrockene Augen dein Jüngster macht. Der kriegt ja einen netten Begriff von der harmonischen Ehe seiner Herren Eltern. Und Vera – Verachen weint beinahe schon. Ist ja bloß Spaß, Herzchen, Onkel Klaus macht ja nur Scherz«, beruhigte Ilse das ängstlich zu den Großen aufsehende Kind.

In der Ferne ward eine graue Staubwolke sichtbar.

»Die Wagen – die Wagen kommen!« rief die Kleine aufgeregt.

Klaus zog die Uhr. »Müßten überhaupt schon hier sein. Unser Bimmelbähnchen muß natürlich die übliche Pfingstverspätung mitmachen.« Er äugte scharf die Landstraße hinab. »Die Grotgenheider sind voran. Wundert mich, daß unser Peter nicht die Tête genommen hat. Ist der Fuchs wieder in Ordnung, Marlene? Ja?«

Die Staubwolke kam näher. Die Grotgenheider Füchse tauchten daraus hervor. Dann ward auch der Wagen mit den Insassen sichtbar. Peter Frenssen kutschierte. Seine beiden Mädel saßen drinnen bei den Großeltern.

Die Damen winkten mit ihren Taschentüchern. Da hielt der Wagen. Der Großvater war ein rüstiger Siebziger, der noch heute mit Landmannsblick die Felder, die man durchfuhr, begutachtete.

»Willkommen, Onkel Heinrich, du wirst mit jedem Jahre jünger. Tag, Tante Käthchen« – ja, bei dieser ging dem wahrheitsliebenden Klaus doch ein derartiges Kompliment nicht über die Lippen. Tante Käthchen war im Laufe der Jahre eingeschrumpft und vertrocknet wie eine Backpflaume. Während Marlene und Ilse die alten Herrschaften begrüßten, spähte Klaus immer noch seinem Gefährt entgegen. »Du, Peter, was ist denn mit meinen Schimmeln heute los? Die zuckeln ja, als ginge es zu einer Beerdigung und nicht in den Stall. Wenn sie auch sonst nicht gerade Feuer haben, aber in diesem Schneckentempo sind sie doch noch nie geschlichen«, machte er seiner Verwunderung Luft.

»Werden wohl zu schwer geladen haben«, meinte Peter Frenssen mit verschmitztem Gesicht. Aber seinem Vetter Klaus fiel das nicht weiter auf. Der war unmutig, daß Lüttgenheider Gäule so schlecht abschnitten.

»Wie früher 'ne Berliner Droschke zweiter Jüte! Wenn wir noch lange hier stehen, können wir gleich Pfingstsonntag feiern. Ach, dacht' ich's mir doch: Der Hansi kutschiert. Und die Schimmel fühlen sicher die fremde Hand und wollen nicht vorwärts. Der dumme Bengel, der Peter, hätte sich doch wenigstens mit auf den Bock setzen können, um zuzugreifen. »Hansi, Junge, die Zügel fester – mehr Faust – hast doch alles wieder verlernt seit dem letzten – – –« da unterbrach er sich mit entstauntem: »Na, nu brat mir doch einer 'n Storch, aber die Beene recht knusprig! Annemarie, Schwesterseele, wo karrt dich denn der Deubel her? Eine famose Überraschung!«

»Annemie – Margot – Vera – – –« das schwirrte nur so durcheinander. Küsse durchknallten die Luft. Hände wurden beinahe aus dem Handgelenk geschüttelt. »Nein, ist das aber eine Freude! Den ganzen Tag war ich traurig, daß unser Pfingstbesuch uns dieses Jahr versetzt hat«, rief Ilse freudestrahlend. »Und nun werden wir dreifach entschädigt. Vera – seit deiner Hochzeit haben wir uns nicht gesehen.« Mit großen Augen blickten die drei Mädels von der Waterkant von der Mutter zu den beiden Fremden, die solche Freude verursachten. Tante Annemie die kannten sie, an der lustigen Tante hing jedes der Kinder besonders. Aber daß da plötzlich zwei ganz unbekannte Damen auftauchten und sie mir nichts, dir nichts als ihr Patchen in die Arme schlossen, das war merkwürdig. Beinahe wie im Märchen.

»Unser Kränzchen seligen Angedenkens fast vollzählig. Marianne Kluge hat wieder mal gestreikt, war nicht zum Mitkommen zu bewegen«, berichtete Annemarie.

»Also das Gänsekränzchen tagt diesmal auf grüner Weide. Aber Pfingstgänse sind's nicht mehr, schon eher Martinsgänse«, warf Klaus mit hochgezogenen Augenbrauen hinein.

Wie auf Verabredung gingen die Jugendfreundinnen auf den Spötter los, daß Ilse vor allem ihr Kleinchen in Sicherheit brachte. Da machten die Grotgenheider Mädel noch viel größere Augen. Niemals hatten sie Mutter und Tanten so ausgelassen, – ja, wenn es nicht respektlos gewesen wäre, so etwas zu denken – so görenhaft lustig gesehen.

»Unsere Überraschung habt ihr uns gründlich verdorben«, schalt Annemarie. »Wir wollten eure alte Raubritterburg hinterrücks überfallen. Und ihr kommt uns zur feierlichen Einholung entgegen.«

»So kann ich euch noch eine halbe Stunde früher genießen. Hat dich dein Mann wirklich vom Ehebändel gelassen, Annemie? Warum ist er nicht mitgekommen?«

»Schwere Patienten. Ursel wird ihm haushalten, wenigstens in den Festtagen, wo sie nicht zur Bank muß.«

»Eure Jungen sind ja Prachtkerle geworden, Ilse. Sie sind mit Herbert und Waldemar den Waldweg gegangen.« Margot Thielen schwang das jauchzende Bübchen durch die Luft.

»Das Dreimäderlhaus ist auch nicht zu verachten«, meinte Frau Vera, ihre Stimme etwas dämpfend. »Eins immer bezaubernder als das andere. Ich muß bestimmt eine Aufnahme von ihnen machen.«

»Erst gib du uns mal Gelegenheit zur Aufnahme. Vera – du mußt mit nach Grotgenheide. Ich will auch meinen Teil an den Kränzchenschwestern haben«, schlug Marlene Frenssen vor.

»Du hast doch Onkel Heinrich und Tante Käthchen« –

»Die heilige Dreizahl darf man doch nicht trennen«, pflichtete Klaus Braun seiner Frau bei, der sich nicht weniger über den hereingeschneiten Besuch freute, als sie.

»Na, ob eine olle Schwiegermutter für eine Jugendfreundin entschädigt, möchte ich doch dahingestellt sein lassen«, meinte Tante Käthchen humorvoll.

»Aber ich möchte jetzt endlich für meine Reiseanstrengungen mit einer anständigen Tasse Kaffee entschädigt werden«, polterte da der alte Herr los. »Das lange Weibergezottel macht ein andermal aus. So, Peter, fahr los!«

»Einen Augenblick verzeih noch, Vater. Ich habe nämlich noch eine Frau, die zu mir gehört. Steig ein, Marlene. Sie würden meiner Frau und mir eine große Freude machen, Frau Vera, wenn wir Sie als Gast auf Grotgenheide begrüßen dürften«, sagte Peter Frenssen in seiner schlichtwarmen Art.

Nur eine Sekunde zögerte Vera. Nein, den bittenden Augen Marlenes durfte sie es nicht abschlagen, wenn sie sich auch eigentlich das Zusammenhausen der Freundinnen zu vieren besonders reizvoll gedacht. Da schlang auch das kleinste der bildhübschen Mädchen die Arme um die neue Tante: »Du mußt mit uns fahren, Tante Vera. Ich bin ja dein Patchen und heiße nach dir.« Da gab's kein Überlegen mehr.

»Sonst kann ja auch ich wie er mit nach Grotgenheide gehen«, lachte Ilse schelmisch.

»Natürlich, die Inseparables immer noch unzertrennlich«, neckte Margot.

Ilses Blick begegnete im stillächelnden Einverständnis dem ihres Mannes. Sie gedachten beide des Tages, da Ilse zum ersten Male ihren Einzug hier auf dem Zwillingsgut gehalten und in einer unerklärlichen Regung sich dazu erboten hatte, auf Grotgenheide zu wohnen. Und es war doch, trotzalledem, alles so gekommen, wie es kommen sollte.

Endlich hatte man groß und klein in den Wagen verstaut. Endlich war der Abschied vor dem Ilsenheim mit einem kernigen »Zum Kuckuck – ihr seht euch noch früh genug wieder!« von Onkel Heinrich beendet worden. Endlich hatte auch der alte Herr die ersehnte Tasse Mokka – kein Blümchenkaffee, wie man ihn sonst auf Grotgenheide aus Gesundheitsrücksichten genoß, vor sich.

Auch in Lüttgenheide wurde noch einmal gemütliches Kaffeestündchen unter dem Nußbaum gehalten. Wenn auch Mamsell ein ungnädiges Gesicht machte, daß die Hausordnung heute auf den Kopf gestellt wurde. Die Jungen, die inzwischen auch erschienen waren, hatten sich kaum Zeit zur Begrüßung und zur Kuchenverproviantierung genommen. Die steckten bereits, sechs an der Zahl, in den Ställen. Vom Felde rollten die Wagen heim. Der Gutsherr stampfte in seinen hohen Schaftstiefeln in den Wirtschaftshof hinüber. Die drei Freundinnen blieben allein.

Ilse reichte den Nebenihrsitzenden beide Hände hin. »Habt Dank – von ganzem Herzen nochmals Dank, daß ihr gekommen seid! Ihr wißt nicht, was ihr mir Gutes damit getan habt. Gerade in unserer Einsamkeit hier an der Waterkant, in dem gleichmäßigen Pflichtenkreis sind die Feiertage für uns das Bindeglied mit der Welt da draußen, die ein kultivierter Mensch ja auf die Dauer doch nicht ganz entbehren kann. Und nun erzählt. Wie schaut's aus in eurem Sündenbabel Berlin?«

»Noch immer nicht schöner als vor fünfzehn Jahren, Ilse. So lange bist du ja nun wohl auch schon verheiratet. Die Welt ist inzwischen nicht besser geworden. Auch nicht schlechter. Denn die gute alte Zeit, von der die Alten immer erzählen – wie lange wird's dauern, dann sind wir selbst so weit – ja, die gute alte Zeit ist immer und nie – unbegrenzt im Zeitenraum – sie ist eben stets das Vergangene, auf das man mit Wehmut zurückblickt.« Annemarie sah bei ihren philosophischen Betrachtungen nachdenklich in das lichtgrüne Blätterdach, in dem ein Finklein, unbekümmert um alte und neue Zeiten, munter von Ast zu Ast hüpfte.

»Da hört man deutlich die Frau Professorin heraus«, lachte Ilse. »Seit wann bist du denn unter die Philosophen gegangen, Annemarie?«

»Wer das Leben um sich herum mit offenen Augen vorüberfluten sieht, wird schließlich dazu.«

»Ach, glaube nur ja nicht, Ilse, daß es der Annemarie Ernst mit dieser Abgeklärtheit ist«, unterbrach Margot die Freundin. »Sie kann manchmal noch rangenhafter sein als ihre drei.«

»Nun bei Vronli, dem Musterkinde, wird ihr dieser Wettbewerb nicht schwer. Das ist entschieden ein Versehen der Natur, daß du solch eine Tochter hast, Annemarie. Bei Hansi ist trotz seines bewunderungswürdigen Phlegmas die Konkurrenz ungleich gefährlicher; aber deiner Ursel, dem Mordsmädel, bist selbst du nicht gewachsen, Annemie. Sag, ist sie noch immer solch ein ruppiger Frechdachs wie früher?«

»Ursel ist eine junge Dame geworden, die jetzt anstatt unseres Hauses die Bank, an der man sie angestellt hat, auf den Kopf stellt. Außerdem schielt sie arg zur Opernbühne. Zum Glück oder auch zu ihrem Unglück – wer vermag das vorher zu sagen – hat mein Mann energisch einen Riegel vor diese für seine Begriffe unbürgerlichen Wünsche geschoben.«

»Schade um ihre entzückende Stimme«, schaltete Margot ein. »Ich sage dir, Ilse, das Mädel trillert wie eine Lerche. Auch das sprühende Temperament für die Bühne hätte sie.«

»Na, so muß es kommen. Margot, unser einstiger Tugendmoppel, verteidigt die Bühnenlaufbahn«, lachte Frau Ilse. »Hat sich die Ursel denn dem väterlichen Willen so brav gefügt? Das sieht ihr doch eigentlich gar nicht ähnlich.«

»Hat auch genug Kämpfe gekostet. Man kriegt nicht umsonst seine grauen Haare.« Annemarie fuhr sich mit drolligem Gesichtsausdruck durch ihr Goldhaar. »Vorläufig haben wir ein Kompromiß geschlossen: Sie nimmt Gesangstunde. Aber damit nicht genug – sie unterrichtet auch bereits. Die Brasilianer, die bei Mutter wohnen, haben in ganz Berlin keinen besseren Musiklehrer finden können, als unser Urselchen. Dazu mußten sie extra über den Ozean schwimmen. Auch deutschen Unterricht erteilt sie ihnen in ihrer freien Zeit, was ihr ungeheuren Spaß macht.«

»Nun, da wird die Ursel doch bald ein kleiner Krösus werden. Solche Stunden bei Ausländern werden doch glänzend bezahlt. Das ist selbst in unsere Weltabgeschiedenheit gedrungen«, überlegte die praktische Gutsfrau.

»Ja, da liegt der Hase im Pfeffer. Denkt ihr, das Mädel hat irgendein Honorar vereinbart? Paßt ihr nicht, Geld zu nehmen, zum größten Ärger von Hansi. Aber noch empörter darüber ist Mutters alte Hanne. Die macht jedesmal ein Gesicht wie eine Bulldogge, wenn Ursel zur Stunde kommt. Am liebsten möchte sie die ›Schwarzen‹ an die Luft setzen. Aber zum Glück ist Mutter ja auch noch da.«

»Hahaha – wenn Hanne ihren Koller kriegt, dann sieht sie aus wie unser Puter da drüben. Schon als Junge habe ich mich darüber amüsiert«, beteiligte sich der von seinem Rundgang durch die Stallungen zurückkehrende Gutsherr. »Schade, daß du sie nicht alle miteinander mitgebracht hast, Annemie. Vor allem den Hans, den ollen Jungen. Der muß nach all dem Unerfreulichen, das ihm die letzten Jahre gebracht haben, öfters mal von mir brüderlich aufgerüttelt werden.«

»Ja, da bin ich die Schuldige, Klaus, daß der Hans zu Hause bleiben mußte«, meldete sich Margot mit kaum merkbarem Erröten. »Das Mädchen hat an den Feiertagen Urlaub und allein wollte er das Haus nicht lassen.«

»Ja, was hast denn du in aller Welt mit Hansens Dienstbolzen zu tun, Margot?« lachte Klaus Braun.

»Wirkst du etwa so abschreckend, Margot, daß er nicht mitfahren wollte, wenn du dabei bist?« neckte auch Ilse die Freundin.

Die zarten Farben in Margots Gesicht vertieften sich. Ehe sie noch antworten konnte, hatte Annemarie Hartenstein bereits das Wort ergriffen.

»Margot ist doch seit vierzehn Tagen der gute Engel in Hansens Hause. Sie hat rührenderweise ihren Haushalt und ihre Selbständigkeit aufgegeben, um ihm und den Jungen das öde Heim wieder erfreulicher zu gestalten.«

Klaus Braun reichte der Jugendfreundin mit »bist 'n braver Kerl, Margot!« seine derbe Landmannshand hin, und drückte ihre schmale Rechte anerkennend. Seine Frau aber rief: »Aha – darum kamen mir Waldemar und Herbert auch diesmal gleich so wohlerzogen vor. Das ewig Weibliche zieht uns hinan – Margots Einfluß auf die Jungen ist bereits unverkennbar.«

In diesem Augenblick hörte man lautes Hallo. Lachende und johlende Jungenstimmen, dazwischen eine schimpfende. Werner kam im Trab zu dem Nußbaumtisch gejagt, schon von weitem rufend: »Vating – Mutting – der Waldemar hat den Herbert 'n büschen in'n Komposthaufen gestoßen – koppheister hat er ihn reingesmissen. Und nu sieht er all wie'n Mistbeet aus und stinken tut er – – –«

»Aber Werner!« unterbrach Ilse die ungeschminkte Ausdrucksweise ihres Sprößlings erzieherisch. Denn vor den Stadtfreundinnen mochte sie mit ihrer mütterlichen Pädagogik nicht allzu schlecht abschneiden.

»Das ewig Weibliche zieht uns hinan!« wiederholte Klaus die vor kurzem zitierten Worte seiner Frau belustigt. »Trotz Margots Hinanziehen ist der Herbert doch runter in den Misthaufen gesegelt – hahaha – das paßte, wie der Punkt auf dem i. Wo steckt er denn, der Mistkäfer?«

»Drüben an der Pumpe im Hof. Hansi spült ihn gleich unter der Pumpe ab, daß der Dreck man bloß nicht erst trocknet. Hansi sagt, denn kriegt er 'ne Kruste, die nie wieder abgeht.« Werner schien äußerst begeistert von den Heldentaten seiner großen Vettern.

»Das Bild muß ich sehen.« Lachend erhob sich der Vater.

Auch Margot fuhr erschreckt auf. »Himmel, der Herbert hat ja nur den einen Anzug mit. Was machen wir denn da bloß?« Sie fühlte sich als verantwortlicher Redakteur.

»Kann er Pfingsten im Bett feiern, der Slingel, wenn der Anzug nicht trocken ist«, meinte Klaus Braun gemütlich. »Was macht er so'ne Dummheiten!« –

»Geht ja gar nicht, Vating. Wir wollen ja morgen um neun all auf Grotgenheide zum Tennis sein. Die Dirns warten auf uns«, erhob Werner aufgeregt Einspruch.

»Also bereits ein Rendezvous mit dem Dreimäderlhaus verabredet – ja, ja, das ist die Jugend von heute!« Der Vater zwinkerte lustig den Damen zu und folgte seinem Jungen.

»Und der Herbert kann doch überhaupt gar nichts dafür, wenn der Waldemar ihn schubbst«, verteidigte Werner den armen Vetter, der um das Pfingstvergnügen kommen sollte, weiter.

»Bleiben sie alle beide im Bett, die Banditen«, ordnete der Vater an.

Das Johlen und Kreischen an der Pumpe wurde lauter und lauter. Es lockte auch die Damen aus ihrer Ruhe unter dem Nußbaum auf.

Himmel – wie schaute der Herbert aus! Er glich mehr einem Amphibium als einem Menschen. Aus seinem strähnigen Blondhaar ergossen sich Sturzbäche. Hansi und Waldemar hielten den sich Sträubenden und um Hilfe Schreienden mit vereinten Kräften unter die unermüdlich sprudelnde Pumpe, die Peters kräftige Arme in Bewegung setzte; Günther beteiligte sich durch einen wilden, indianermäßigen Freudentanz an der Situation.

»Lausbuben ihr – was habt ihr angestellt! Hansi, laß den Herbert los«, befahl Onkel Klaus, nachdem er vor Lachen wieder sprechen konnte. Wohin der glücklich den Händen seiner Peiniger entgangene Junge sich wandte, wich man schreiend vor ihm zurück. Von ihm und um ihn floß, flutete und sickerte es in unzähligen Bächlein.

»Junge, du siehst ja aus wie eine Wasserleiche! Willst du mir wohl nicht zu nahe kommen –« rief Tante Annemarie energisch.

»Blindekuh – Blindekuh –« johlten die Lüttgenheider Buben, denn der Vetter konnte die Augen vor Nässe nicht aufmachen.

»Der Wasserfall kommt – hu, der Wasserfall!« Das war ein Getöse, daß die Knechte und Mägde grinsend als Zuschauer herbeiliefen. Die Hunde begannen zu jaulen, die beiden Inseparables blafften wie toll, Klein-Horst fing an zu weinen. Ruhig pflegte es ja niemals auf dem Lüttgenheider Gutshof zuzugehen, aber solch ein Tumult hatte der Schwalben umzwitscherte Schloßturm denn doch noch nicht mitangeschaut.

»Jungs – gebt Ruh!« überdröhnte des Gutsherrn Stimme das Getobe.

»Gusting soll gleich ein Bad zurechtmachen, diese Reinigungsmethode ist wirksamer als die Pumpe«, ordnete Frau Ilse an.

Margot überwand ihre Scheu und griff nach dem ausgesetzten Herbert, ihn ins Haus zu führen. Sie hatte doch jetzt die Verantwortung für die zwei Jungen.

»Nicht ins Haus – meine schön gescheuerten Treppen! Stining ist eben erst fertig geworden«, entrüstete sich die Hausfrau.

»Ja, wo soll ich denn mit dem armen Jungen hin?«

»Häng ihn auf die Leine, bis er trocken ist, Margot«, rief Annemarie, mit dem lachenden Übermut ihrer Mädchentage.

»Er kann ja durch den Kellereingang gleich in die Badestube«, schlug der praktische Peter vor. Denn dieselbe lag im Souterrain.

Dieses kleinere von zwei Übeln wurde gewählt. Zwar knurrte Mamsell, daß die Scheuerei ja nun wieder von vorn losgehen könnte, zwar stieß Frau Ilse einen Stoßseufzer aus: »Na, das kann ja noch gut werden!« Zwar schwebte Herbert in tausend Ängsten, daß seine Hosen bis morgen nicht wieder trocken würden.

Aber die Pfingstsonne lachte am nächsten Tage all diese Wolken davon.


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