Alexander von Ungern-Sternberg
Tutu
Alexander von Ungern-Sternberg

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Sechzehntes Kapitel

Tutu entschließt sich, die Gesellschaft der Gräfin zu meiden, und begibt sich mit Don Zerburo von neuem auf die Wanderschaft.

 

»Berenice, Herzogin von Tarent, die schönste Frau ihrer Zeit und die treueste Gattin, unterlag den Fallstricken, die die Liebe den allzu kühnen und allzu unbesorgten Herzen legt, indem sie den Erzählungen ihres Pagen lauschte und sich durch diese die langen Winterabende in ihrem Schlosse verkürzen ließ.« – Diese Bemerkung machte Don Zerburo, als er mit Tutu sich zufällig einmal allein befand.

»Weshalb sagst du mir das?« fragte der Engel bestürzt.

»Um dir anzudeuten, wie gefährlich die Erzählungen sind, und wie die unsrigen hier in diesem Hause schon viel zu lange gewährt haben.«

»Du hast recht« – bemerkte Tutu zögernd. »Aber man erzählt hier in der Tat sehr hübsch.«

»Ich finde, daß man noch artiger und aufmerksamer zuhört. Ich glaube nicht, Tutu, daß du auch nur ein Wort von dem, was gesprochen worden, verloren hast.«

Der Engel schwieg und errötete. Nach einer Pause sagte er, indem ein tiefer Seufzer sich seiner Brust entrang: »Laß uns unsern Wanderstab weiter fortsetzen. Ich fühle, daß dies nötig wird.«

»Wie, Tutu, also Iduna hätte über dich gesiegt?«

»Sie hat es noch nicht; denn du weißt, daß dazu nötig, daß ein Kuß uns vereint. Aber, o welch leeres Zeichen – unsre Seelen sind es schon, und ich fühle, daß der Himmel immer weiter von mir entweicht, je tiefer ich in ihre Augen schaue. Ich fühle bereits keine Sehnsucht mehr, meine Heimat wiederzusehen.«

»Ist's möglich? Ja, dann laß uns reisen.«

»Aber wohin? Wird ihr Bild mich nicht überallhin verfolgen? Überdies hatte ich einen Traum, der für mich eine beängstigende Deutung zuläßt. Ich fürchte, meine Zeit hier auf Erden ist bald ihrem Ende nahe. Ich sah mich von dem Himmel zur Erde niederfliegen, wie ich damals flog, als ich auf deinen Ruf erschien. Mir zur Seite aber sah ich das Antlitz eines Engels, der mich mit Hohn und Stolz betrachtete. Es war keiner von den mir befreundeten und wohlwollenden Engeln. Es wehte eine Flamme über seinem Haupte, von dem dunkle Haare, wie Schlangen, flatterten. Ich muß auf meiner Hut sein.«

»Fürs erste laß uns denn gehen und einige Zerstreuung suchen«, rief Zerburo.

Diesem Rat folgte der Engel. Sie verließen beide das gastfreundliche Haus, in welches sie bald wiederzukommen versprachen. Tutu entging nur mit großer Mühe einem Abschiedskuß, den die schöne Melanie ihm gutwillig bot, als sie auf einem Maskenball, wo sie als Bäuerin, er als Gärtner kostümiert waren, sich zum letzten Male sahen. Zerburo sah diese Szene von ferne und lächelte.

Er hatte seinem Gefährten versprochen, ihm einige belustigende Schaustellungen zu zeigen, und er benutzte hierzu lebende Bilder, die er sich von seinen Freunden zusammenstellen ließ. Das erste stellte ein trübes Gewässer dar, an dem einige seltsame Gestalten saßen und fischten. Tutu hatte mit Iduna an einem der Abende vom Theater gesprochen, und Zerburo sagte jetzt: »Hier siehst du, welche Mühe sich unsre dramatischen Dichter geben, heutzutage dem Publikum der Bühne noch irgendwie aufreizende und anziehende Stoffe zu bieten. Es ist dies eine unbeschreiblich schwierige Sache; denn niemand interessiert sich mehr fürs Theater, und keine Seele fragt darnach, was und wie auf den Brettern, die ehemals die Welt bedeuteten, jetzt aber nichts mehr bedeuten, hantiert und gewirtschaftet wird. Die Polizei der Regierungen, die mit der Poesie nie, und höchstens nur ein sehr gezwungenes Verhältnis gehabt hat, macht sich ein Vergnügen daraus, wenn ein unglücklicher dramatischer Fischer endlich einmal einen dankbaren Stoff gefischt hat, ihm höhnend zuzurufen: ›der ist verboten!‹ Grade die größten, die schmackhaftesten Fische, nach denen das Publikum am meisten lüstern ist, grade die sind am ärgsten verpönt, und der jammervolle Entdecker und Fänger muß sie wieder ins Wasser zurückgleiten lassen. Wir sehen hier einen bekannten Bühnendichter im Vordergründe in dieser unheilbringenden Situation; ein anderer, schon älterer und von der Wirksamkeit abgeschiedener Dichter sieht mit Schadenfreude, seinen Korb Fische in Sicherheit bringend, dem Mißgeschick des jungen zu. Eine handfeste Fischersfrau, die sich nicht um die Qualität, sondern einzig um die Quantität ihrer Ware kümmert, hat bei aller Ungunst der Zeit und des Orts doch einen leidlichen Vorrat zu sammeln verstanden. Einige unfähige Dramendichter greifen Geschöpfe auf, die die Sümpfe bewohnen, fest überzeugt, vortreffliche Fische gefangen zu haben.«

Der Mann mit der Kiepe, in der ein Fisch mit der Aufschrift »Hohenstaufen« liegt, ist Ernst Raupach (vgl. Anm. zu S. 51). Die handfeste Fischersfrau im Hintergrunde ist Charlotte Birch-Pfeiffer. Der erschreckte Fischer im Vordergrunde ist Heinrich Laube. Er hatte die Haft, zu der er als Burschenschaftler verurteilt war, in Muskau verbüßt, wo er die Strafe »auf einem Sofa des Salons absaß«. Fürst Pückler, durch den Sternberg Laube kennenlernte, war freilich entsetzt darüber, daß sein Schützling auf der Jagd stets vorbeischoß. Vom Aussehen des jungdeutschen Dichters behauptet Sternberg: »Laube ist ein Schlesier mit einer Physiognomie, die halb an die Kosaken des Don erinnert, halb an die Mulattenbildung.« Das Entsetzen Laubes, der den Fisch mit der Inschrift »Friedrich II.« herauszieht, erklärt sich aus den Zensurvorschriften. Als man unter Friedrich Wilhelm IV. zur Einweihung des neuen Opernhauses ein Festspiel »Das Feldlager in Schlesien« gab, ließ man Friedrich II. nicht auf die Bühne kommen, weil kein Hohenzoller auf sie gebracht werden durfte, sondern nur hinter den Kulissen die Flöte blasen. Man hörte ihn, aber man sah ihn nicht. Darauf sagten die Berliner Witzbolde: »Der alte Fritz ist flötengegangen.« Laube kann also mit diesem Stoffe nichts anfangen. Neben ihm liegt ein Fisch mit der Inschrift »Bernsteinhexe«. Diese Erzählung des Predigers Wilhelm Meinhold war 1843 erschienen. Meinhold gab den Roman für eine Chronik des 17. Jahrhunderts aus. Laube hielt sie für echt und dramatisierte sie. Mit Meinhold hat Sternberg später verkehrt, als er nach seiner Verheiratung einige Zeit in Charlottenburg lebte. (»Erinnerungsblätter«. Teil III. S. 11-15, 110. Teil VI. S. 134-137.)

Ein zweites Bild stellte eine moderne Circe dar, die sich belustigt, ihrem verwandelten Liebhaber Audienz zu geben.

Tutu erfreute sich an diesen Darstellungen, allein kaum war es der Freude gelungen, in seiner Seele Raum zu gewinnen, so machten die Sehnsucht und der Schmerz verdoppelte Anstrengungen, die Herrschaft, die ihnen auf einen Moment entgangen, wieder an sich zu reißen. Der schöne, auf der Erde eingebürgerte Engel war in der Tat verliebt, und Zerburo mochte tun, was er wollte, er konnte seinen Gefährten nicht zu dem Zustande von Heiterkeit und Unbefangenheit zurückführen, in welchem er sich ehemals befunden.

Ludwig I. und Lola Montez, die 1846 nach München kam. In den »Erinnerungsblättern« (Teil IV. S. 32) sagt Sternberg: »Ludwig I. schenkte seinem Lande eine ungeheure Bavaria und sich selbst eine allerliebste kleine Straßennymphe, die man aus Berlin verwiesen hatte, weil sie in einem Zerwürfnis mit der Polizei von der Reitgerte Gebrauch gemacht.« Auf dem Bilde hat sie die Gerte in der Hand.


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