Alexander von Ungern-Sternberg
Tutu
Alexander von Ungern-Sternberg

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Zweites Kapitel

Ein Mittel, sich in den Besitz einer Erbschaft zu setzen. Das Juwelenkästchen einer alten Jungfrau. Ein Schreiben des heiligen Dominikus

 

Das reiche und mächtige Katalonien, von dem es heißt, daß, wenn dem lieben Herrgott die Erzengel aussterben, er nur einen katalonisch . . . Edelmann zu nehmen braucht, um die vakante Stelle vollgenügend wieder besetzt zu sehn, besaß kein edleres und mächtigeres Geschlecht als das der Don Zerburo. Der Ursprung dieses Namens ist dunkel. Während einige Genealogen, die unfehlbar die Absicht hatten, der Familie zu schmeicheln, ihn direkt vom Höllenhund Zerburus ableiteten, der, wie die ganze Mythologie ihre Namen und ihren Wohnort veränderte, ebenfalls in den Privatstand überging und ein Grande von Spanien wurde und zwar mit Beibehaltung seiner drei KöpfeDie drei Köpfe sind Adel, Geistlichkeit und Bürgerstand., welche ihm in drei nacheinander folgenden Revolutionen, immer einer zur Zeit, abgeschlagen wurden – Ich sehe in dieser abenteuerlichen Sage eine passende Allegorie. Dieser Don Zerburo mit den drei Köpfen stellte das Feudalsystem des Mittelalters vor und gab im Bilde den Staatskörper wieder, der drei sich bekämpfende Köpfe auf einem Schulterpaar tragen mußte, und dieses politische Ungeheuer mußte notwendig untergehn. Aber abgesehn von dieser schwärmerischen Ausgeburt der Phantasie eines genealogischen Zeichendeuters sind die ältesten Familienschicksale unsres Stammes sehr in Dunkel gehüllt. Unter Philipp dem Zweiten gelangte ein Don Zerburo zu der Würde eines Großinquisitors, doch er verlor sie wieder, als man unter den Papieren seiner Nichte ein Schreiben an die Heilige Jungfrau fand, wo diese eine petite bourgeoise de Nazareth tituliert wurde. Der Stolz meiner Ahnen hat unsrer Familie überhaupt großen Schaden gebracht. Selbst als sie ihre Reichtümer und Würden verloren, hörten sie nicht auf, sich für die ersten und einzigen Edelleute der Welt zu halten. Ich habe vor allen Dingen von Donna Alonza de Zerburo zu erzählen, einer Dame von untadelhaften Sitten, die unvermählt blieb, weil sie keinen ihrer Bewerber für würdig genug hielt, um ihn mit ihrer Hand zu beglücken und ihm einen Platz in einem so berühmten Stammbaume anzuweisen. Donna Alonza lebte auf ihrem Schlosse allein und teilte von ihren Reichtümern niemandem etwas mit, selbst nicht ihrem einzigen Brudersohne, meinem Urgroßvater, der Kapitän in der Garde des Königs war, aber nicht einen Maravedi im Vermögen hatte.

Er war vierzig Jahr alt und noch immer gezwungen, ein abenteuerndes Leben zu führen. In Begleitung seines Dieners, einer Art von Sancho Pansa, sah man ihn auf die benachbarten Rittersitze hinziehen, wo er vom Spiel lebte und die Jagden und die Schmausereien seiner Genossen teilte, dafür zum Dank vor den Balkons alternder Damen die Zither spielte und mit ihnen den Fandango tanzte. Nach und nach, bei zunehmenden Jahren wurde ihm jedoch diese Liebedienerei äußerst lästig, und er wünschte sehnlichst, entweder eine reiche Erbin zu erobern oder recht bald den Tod seiner Tante zu erleben. Beides wurde ihm vom Schicksal nicht gewährt, und der ehrliche Ritter zählte nahe an fünfzig, ohne daß er wußte, wohin er sein Haupt in sichre Ruhe betten könne. Bei diesen Umständen blieb ihm nichts übrig, als sich bei der zu erobernden Festung in den Hinterhalt zu legen, um den günstigen Moment nicht zu verfehlen, wo über diese unzerstörbare Burg ein Vorteil zu erlangen war; das heißt, er gab seine spärliche Offiziersbesoldung auf, legte den Rock des Königs ab und brachte sich gänzlich in Quartier bei seiner Tante, der er jetzt systematisch und mit allen ihm noch zu Gebote stehenden, aus alter Zeit noch im Gedächtnis behaltenen Verführungs- und Eroberungskünsten den Hof zu machen beschloß. Es war dies eine schwierige Arbeit. Donna Alonza war ein Diamant von äußerster Härte, und sie trotzte jeder auch noch so scharfen Feile und jedem noch so unermüdlichen Poliersteine. Mein Urgroßvater verschwendete vergebens die allersüßesten und devotesten Handküsse, die demutvollsten und vom zärtlichsten Feuer glühenden schmerzensvollen Blicke. Er war alle Stunden des Tages um sie, und nachts, wenn die alte Jungfer ohne Schlaf in ihrem Kämmerlein weilte, stand er vor ihrer Tür und sang eine jener zärtlichen und hochtrabenden Romanzen, an denen die spanische Poesie so reich ist. Er ließ aus dem nächsten Städtchen Maler kommen, die Donna Alonzas Bild malen mußten in verschiedenen Größen und in den mannigfaltigsten Kostümen. Diese Gemälde hing er in seinem Zimmer auf, zündete geweihte Kerzen vor ihnen an und schmückte sie mit Blumenkränzen. Er ging noch weiter, er ließ eine schlechte Statue meißeln, die Donna Alonza als Flora zeigte, stellte sie dicht an der alten Fontäne im Schloßgarten auf und ließ von den Landleuten, wenn sie mit ihren Körben und Käseladungen zu Markte zogen, Tänze vor diesem Steinbilde aufführen. Er selbst nahm die Feder zur Hand und dichtete Madrigale und Sonette, die er dann selbst in Musik setzte und selbst auch absang. Alle diese heldenmäßigen Anstrengungen führten jedoch auch nicht das geringste Resultat herbei. Donna Alonza ließ ihren Neffen sich in den konvulsivischen Bemühungen um ihre Gunst abquälen und öffnete für ihn auch nicht den kleinsten von ihren Geldsäcken. Manchmal ging dem edlen Ritter die Geduld aus, besonders vermochte er es fast nicht länger, die schweigsamen, einförmigen Abend- und Mittagsmahlzeiten zu ertragen, wo nichts die Langeweile eines stundenlangen, steifen tête-à-têtes unterbrach. In solchen Momenten nagte Verzweiflung an seiner Seele, und er fürchtete im Ernst, daß seine jungfräuliche Tante ewig leben werde. Da er alle erlaubten Mittel fruchtlos erschöpft hatte, fiel er in seinem kleinmütigen und verzagenden Sinne endlich darauf, auch ein unerlaubtes anzuwenden. Donna Alonza machte alljährlich eine fromme Wallfahrtsreise zu St. Jago di Compostela. Es war dies das einzige Mal im Jahre, wo sie sich von ihrem alten Schlosse entfernte. Ihre Schätze brachte sie unterdessen, damit kein Raubanfall sie bedrohen könne, im nahegelegenen Kloster in Sicherheit.

In dem völlig ausgeräumten Schlosse ließ sie niemand als ihren Neffen zurück, den sie nicht für würdig hielt, die fromme Reise mit ihr zu unternehmen. Mein armer Urgroßvater empfand diese Kränkung eben nicht sehr tief. Von Wallfahrten war er nie ein Freund gewesen, und jede Unternehmung, die nicht lustiges Leben, Spiel, Weiber oder Trinkgelage verhieß, konnte sicher sein, ihn nicht zum Teilnehmer zu haben. Er ließ daher seine Tante ruhig reisen und suchte sich unterdessen mit den hübschen Bäuerinnen der nahen Dörfer für seine lange beschwerliche Knechtschaft schadlos zu halten. Nur weckte es seinen Groll, daß ihm Donna Alonza so karge Rationen während ihrer Abwesenheit zugemessen hatte; er kam daher auf den gottlosen Gedanken, seine hartherzige Gönnerin in aller Form, und zwar mit den Waffen in der Hand zu plündern. Er teilte diesen Plan seinem treuen Diener mit, und beide verkleideten sich an dem Tage der Abreise, um in einem vom Schloß ziemlich weit entfernten Gehölze dem Reisewagen aufzulauern. Der Streich gelang, die beiden Strauchdiebe stürzten aus ihrem Hinterhalt hervor, als die schwerfällige Kutsche eben sich dem Ausgange des Waldes näherte.

Sie rissen den Kutscher vom Bock, prügelten ihn weidlich durch, erschreckten Donna Alonza durch ein paar Pistolenschüsse, die sie dicht vor den Wagenfenstern abschossen, und zogen sich, als sie Reiter und Wagen kommen hörten, mit einem großen Koffer, der allem Vermuten nach die Schätze und kostbaren Kleider der Dame enthielt, in ihren Schlupfwinkel zurück. Hier gingen sie darüber zu Rate, wie sie ihren Fund in Sicherheit bringen sollten. Der Kasten war ziemlich leicht, und was noch mehr zu verwundern war, nur lose verschlossen; dabei drang ein Duft, der nicht Veilchen- und nicht Rosenduft war, aus seinen Spalten hervor. Mein Urgroßvater, der anfing ungeduldig zu werden, überhörte die weisen Ratschläge seines Dieners, der darauf drang, den Raub bis zum Anbruch der Nacht in die Erde zu verscharren, und riß den Deckel der geheimnisvollen Kiste mit Ungestüm auf. Wie versteinerte ihn der Schrecken, als er gewahrte, wieviel Mühe er sich gegeben, um ein gewisses sehr bequemes Möbel, ohne welches Donna Alonza nie zu reisen pflegte, ihr zu rauben. Er warf mit einem fürchterlichen Fluche den Deckel wieder zu und gab dem Juwelenkasten seiner Tante einen solchen Stoß mit dem Fuße, daß er in das Dickicht flog und seine morschen Fugen sich krachend lösten. Zu diesem Lärm gesellte sich das schallende Gelächter Sanchos, der sich den Bauch hielt und langsam den falschen Bart und die schwarze Perücke ablöste. Einsilbig und niedergeschlagen kehrten die beiden Abenteurer wieder ins Schloß zurück. Dieser Vorfall hat sich in unsern Familienpapieren ausgezeichnet erhalten. Mein Urgroßvater, als er später, bei dem endlich erfolgten Tode der unbeugsamen alten Jungfrau, zu Geld, zu Ansehn und endlich auch zu einer Frau gelangte, hat ihn zum Andenken an die sieben magern Jahre seiner Jugend in die Familienpapiere einzeichnen lassen. Er starb nah an hundert Jahre alt, und erlebte noch das Erdbeben zu LissabonDas Erdbeben von Lissabon (1755) spielt in Voltaires Satire gegen die Lehre von der besten aller Welten, im »Candide« (1758), eine große Rolle.; bei welcher Gelegenheit sich der erhabene und liebenswürdige Charakter seines Schutzheiligen, des heiligen Dominikus, recht augenfällig zeigte. In der Nacht, die jenem Schreckenstage vorausging, erwachte mein Urgroßvater und sah auf seinem Schreibtische eine Feder sich eifrig auf einem Bogen Papier bewegen, ohne daß eine Hand sie führte.

Er ging heran, um diese mirakulöse Schrift zu sehn, und gewahrte, daß es ein Aufruf war, sich zu retten, weil die Stadt untergehn werde. Die Feder, als sie ihre Sätze niedergeschrieben hatte, machte ganz anständig ihr Punktum und dann, wie es bei jemandem, der eilig und im Drang der Umstände schreibt, zu geschehen pflegt, entstand ein kleiner hingespritzter Klecks. Beides, Schrift und Klecks, wird noch in unsrer Familie aufbewahrt.


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