Alexander von Ungern-Sternberg
Tutu
Alexander von Ungern-Sternberg

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Viertes Kapitel

Bemerkungen über die Atmosphäre unserer Erde. Bilder aus einer Zauberlaterne. Der neumodische Name eines Engels

 

Tutu, dies war der Name des himmlischen Gastes Don Zerberos, hatte anfangs mit Teilnahme der Erzählung seines Wirtes zugehört, dann aber begann er die Augen zu senken, die das dunkle Feuer eines Edelsteines mit der schimmernden Farbe einer Blume verbanden, und schien ermüdet und gelangweilt, so daß der Student, der noch einige Worte über seinen Vater hinzufügen wollte, schnell abbrach und verlegen schwieg.

»Vergib«, sagte der Engel, den die Stille im Zimmer aus seinen Träumereien weckte, »deine Erzählung war nicht ohne Interesse, aber – die Atmosphäre liegt schwer auf mir. In dieser Luft, die ihr so sorglos einatmet, schwimmen die Schmerzen und die Herzqual von tausend armen geplagten Geschöpfen um euch her. Ihr merkt es nicht, ich aber leide darunter, meine Organisation ist diesen Einflüssen, von denen ihr nichts fühlt, auf das empfindlichste bloßgestellt. Oh, im Himmel war es so leicht atmen. Die Luft dort ist aufgelöste Musik; man zieht sie ein, wie man hier Wohllaut und Schönheit einschlürft. Jeder Atemzug erfüllt mit Licht das Innere. Eure Luft ist grau wie zerflossenes Spinngeweb, sie legt sich wie Staub auf die Seele, und die dünnen Sonnenstrahlen winden sich wie blasse Schlangen durch dieses trübe Meer wimmelnder Staubatome.«

»Was soll ich tun, um dein Leid zu enden?« fragte der junge Mann besorgt.

»Laß mich«, entgegnete Tutu, »nur etwas länger im irdischen Körper verweilen, nachher gibt's sich schon, und ich akklimatisiere mich.«

»Fandest du die Erde voll Reichtum und Glück, als du herabschwebtest?« fragte Don Zerbero.

Der Engel legte mit tiefer Erschütterung die Hände vor die Augen und rief: »Oh, ich sehe noch die gräßliche Gestalt vor mir, die mit mir zusammen den Flug auf die Erde zu nahm. Er kam aus der Tiefe, ich aus der Höhe. Es war ein schwarzer Dämon, der hohnlachend aus zahllosen Säcken, die er unterm Arme hielt, ganze Ströme von Goldmünzen über die Erde streute. Er schrie in die Hölle hinab: ›Meine Säcke sind leer – bringt neue, bringt neue!‹ Und immer mehr des höllischen Metalls wurde ihm zugeführt, und er verstreute es über die Erde. Wo die rotflimmernden Stücke hinfielen, erstarb die junge Saat, welkten der Lorbeer und die Myrte, verstummte der Hain, und die Hütte des Landmanns sank in Trümmer.

Trotz der Eile, zu der dein wiederholter Ruf mich zwang, konnte ich es doch nicht lassen, dem Unglück, das diese flimmernden Goldmünzen angerichtet, hier und da nachzuspüren. Die Verderbnis ging jedoch so schnell, daß selbst mein ätherischer Blick sie nicht verfolgen konnte. Die letzten Goldstücke prasselten auf das Dach einer Försterwohnung nieder, tief in einem unabsehbaren Walde, – und aus diesem Hause sah ich wenige Augenblicke darauf ein junges Mädchen hervortreten, blühend wie der junge Tag und schlank wie die Pappel, die dicht vor der Haustür ihr Haupt gen Himmel hob. Das Häuschen lag so tief im Tannendunkel versteckt, als wohnten hier der Friede und die Unschuld selbst, fern, fern von aller Welt. Einzelne Sonnenblicke glitten durch die Waldschatten und färbten mit flüchtigem rötlichem Schein den Giebel des Häuschens, den Tauben umflatterten. Die hellen Fensterscheiben umrankte Efeu, und durch die halb offen gebliebene Tür sah ich die wirtliche Flamme auf dem Herde brennen. Oh, wäre der Dämon an diesem Hause vorübergezogen! Mein Blick sah in die Zukunft dieses Mädchens. Ich sah sie rein und schuldlos ihre Tage endigen, erst spät im Kreise der Enkel, eine würdige, von allen geliebte und geehrte Matrone. Der von ihr Erwählte war der Geliebte ihrer Jugend, die kräftige Stütze ihrer reifen Jahre, der Trost und das Labsal ihres Alters. An seinem Blicke hing noch der ihrige, als schon der Tod ihn brechen machte. Oh, die Liebe ist ein Geheimnis der Herzen; immer geheimnisvoller, immer wunderbarer, je tiefer sie sich in die menschliche Brust eingräbt, je länger sie darin ausdauert! Dies wäre das Schicksal des Mädchens gewesen, wenn der Dämon über die Hütte weggeeilt wäre, ohne seine verderblichen Saaten darüber auszustreuen; er streute sie aber auch hier aus, und siehe da, der süße Friede, das Glück der Unschuld floh. Ich sah meine »Blume des Waldes« in die Arme des Reichtums geschleudert, der in der häßlichen Gestalt eines widerlichen Gnomen, genußlechzend, sein Opfer an sich zog. Ein Bild, das mir Tränen der Erbitterung und der Wut entlockte! Aber wie schnell hatte sich die Arme an ihr Schicksal gewöhnt. Oh, der Mensch ist ein verächtliches Geschöpf! Vergib, daß ich dies so offen vor dir ausspreche; aber wir Engel können nicht lügen. Es gehört das Erbarmen eines Gottes dazu, um sich mit euch zu beschäftigen, immer wieder euern Abfall zu sehen, immer wieder euer schnelles Trostschöpfen, wenn man euch für ewig erniedrigt und entwürdigt glaubte. Ihr habt das Paradies verloren und habt euch getröstet, wie kann euch also für alle eure künftigen Verluste der Trost mangeln. Wir Engel vergessen nie, für uns gibt es keinen Trost! Sind wir einmal elend, so sind wir es bodenlos und für immer.«

»Um's Himmels willen!« rief Don Zerburo mit Entsetzen; »so segne ich meine umnachtete und beschränkte Natur, daß sie vergessen und Trost finden kann.«

»Jenes Mädchen«, fuhr Tutu fort, »tröstete sich auch. Mein Blick sah in die Zukunft; nur wenige Jahre waren vergangen, und ich erblickte die schöne Frau wieder, in einem öffentlichen Garten, wo sie am Arm ihres Mannes lächelnd dahinging und hinter dem Rücken des Betrogenen ihren Geliebten begrüßte. Welch ein schmeichelndes Spiel der Verstellung, der Hinterlist! Wer hätte es in dieser wilden Taube des Waldes gesucht? Sie starb, frühzeitig verblüht, als eine jener unglücklichen reichen Frauen, welche ein glänzendes Elend bis ans Ende führen, und die einsam und verachtet untergehn.

Um mich von diesem Anblick zu erholen, eilte ich einem Manne nach, der gebückt und lächelnd dahinschlich. Auch ihm war ein Teil aus der Fülle der Geldsäcke im Arm des Dämons zugefallen. Er war ein berühmter dramatischer DichterDer alte Dramatiker ist Ernst Raupach (1784-1852), den auch Immermann im »Münchhausen« zur Zielscheibe seines Spottes gemacht hat. Seine einst berühmte Tragödienreihe »Die Hohenstaufen« ist rasch der verdienten Vergessenheit anheimgefallen. Von Raupachs 117 Dramen wird heute nur noch »Der Müller und sein Kind« bisweilen gegeben. Sternberg berichtet, daß Raupach beständig Tabak schnupfte – auf dem Bilde hält er die Tabaksdose in der linken Hand auf dem Rücken – und nie redete, ohne seine Zuhörer zu verhöhnen (Erinnerungsblätter. Teil I. S. 102).. Die Muse, die Geliebte und die Gespielin seiner Jugend, verließ ihn, als sein verknöchertes Herz nicht mehr der Begeisterung und der Tugend zugänglich war. Er war reich geworden. Es kümmerte ihn wenig, daß die Muse ihn verließ; dennoch fuhr er fort, seine Schöpfungen der Welt zu bieten. Wie kalt, wie frostig waren diese Schöpfungen; wie schön, wie blühend waren sie früher gewesen! Hätte der Dämon sein Haupt nicht berührt – er wäre als ein echter Priester der Muse in der Blüte seiner Wirksamkeit gestorben und hätte als Vermächtnis seinem Volke wenige, aber begeisterte, schönheitdurchglühte Werke hinterlassen. Das schönste Los der Dichter, jung zu sterben, wäre das seine gewesen. Jetzt stirbt er sehr reich an Jahren, sehr arm an Ruhm.

Ich wandte mich auch hier ab, und mein Blick fiel auf eine arme Hökerin, die auf der Treppe eines Palastes saß. Sie lächelte aus ihren Lumpen mit einem so unheimlichen wahnsinnigen Ausdruck mich an, daß ich zurückbebte. Ich raffte einige der magischen Goldstücke zusammen, die von neuem herabfielen, und streute sie in ihren Schoß. Ich hatte eine Glückliche gemacht. Einst war diese Alte eine berühmte Schauspielerin gewesen.


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