Alexander von Ungern-Sternberg
Tutu
Alexander von Ungern-Sternberg

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Schreiben eines Romantikers an den Freiherrn Berzelius in Stockholm

Jöns Jakob Berzelius (1779-1848), schwedischer Chemiker und Mineraloge. Goethe bestieg mit ihm 1822 den Kammerberg in Böhmen.

Mein lieber Baron! Wie weit werden Sie es mit Ihrer verzweifelten und verteufelten Chemie noch treiben? Ich, meinerseits muß Ihnen offen erklären, daß ich müde bin, Ihre weitern Erfolge in diesem diabolischen Fache mit einem Triumphgeschrei zu begleiten, das ganz und gar nicht zu dem Elend paßt, welches Sie durch Ihre sogenannten Entdeckungen über die Welt gebracht haben. Ich bitte Sie, schauen Sie nur ein wenig um sich. Bemerken Sie jene Trümmerhaufen? Sie bezeichnen die Straße, die Sie gezogen sind. Erkennen Sie jene Krüppel, die Ihnen nachschleichen? Es sind die einst glücklichen Menschen, die in einer Welt voll Täuschung zufrieden lebten, und durchaus nicht begehrten, aufgeklärt und belehrt zu werden. Und vollends wir armen Dichter! Ach, mein Herr, welch eine Last von Versündigung haben Sie auf sich geladen, indem Sie uns, die wir für das Publikum dichten und erfinden, allen Stoff, aus dem wir unsre Figuren schaffen, geraubt haben. Wer glaubt nun noch an die Zaubersagen, an die Feen, Elfen und Kobolde, mit denen wir die Erde bevölkerten? Ein jeder Schulknabe weiß jetzt, daß ein Irrlicht nichts anderes ist, als ein Phosphor-Flämmchen; und doch sind grade diese geheimen Schrecken der Natur die süßesten Reizmittel, die wir unter unsre Gerichte streuen, welche wir Frauen und Kindern und allen, die diesen gleichen, vorsetzen. Was fangen wir mit einer Welt an, die nicht durch Wunder, sondern durch Chlorkalk und Säure regiert wird? Welch ein verwünschtes Ding ist Ihre Voltaische SäuleAlessandro Volta (1745-1827) entdeckte 1800 die Voltasche Säule, die elektrische Ströme aus der Berührung verschiedener Metalle entwickelt.! Oh, ich wünschte, ich wäre Simson, um diese Säule zu zerbrechen; aber Sie hätten in dem Fall noch eine Menge anderer Apparate, mit denen Sie manövrierten, und die arme Natur bis aufs Blut quälten. Ja, mein Herr, bis aufs Blut! Die arme Kreatur, unter Ihren Destillierkolben gebracht, schwitzt Blut, und die armen kleinen Geschöpfe, indem sie Ihnen ihre Geheimnisse gezwungen ausplaudern, sind in Verzweiflung über Sie und Ihre Dreistigkeit. Kann es Ihnen Freude machen, auf diese Weise zu Ihren Resultaten zu gelangen? wegen ein paar lumpichter Entdeckungen sich die Seufzer der guten alten Mutter Erde aufs Gewissen zu laden? Aber ich spreche vergebens zu Ihrem Herzen; die Chemiker haben kein Herz. Nun denn, so fahren Sie fort, Ihre gottlosen Prozesse zu führen, Prozesse, die Sie immer gewinnen. Ich meinerseits hätte nicht übel Lust, Ihnen den Prozeß zu machen, und zwar keinen chemischen, und den würden Sie also auch nicht gewinnen.

 

Seitdem Sie sich die uralte Phosphor-Krone des Pluto aufs Haupt gesetzt und auf dem schwarzen Basaltthron Platz genommen haben, sind Sie auf eine Weise übermütig, die kaum mehr zu ertragen ist. Ich sehe, wie Sie an der Spitze des unabsehbaren Heeres der Chemiker dastehen und ausrufen: »Wir sind es, die euch die Eisenbahnen geschenkt haben!« – Oh, eine traurige Erfindung! Eine Erfindung zum Erbarmen! Also darauf sind Sie und Ihresgleichen stolz, daß Sie uns arme Reisende auf graden Linien dahinschleifen! Wissen Sie, welch eine Welt von Poesie durch Ihre vertrackten Maschinen zerstört worden ist? Es ist die Poesie des Reisens; eine erhabne, eine uranfängliche, eine patriarchalische Poesie. Wer gibt uns die rauschenden Wälder wieder, die stillen mondbeglänzten Kirchhöfe, die reizenden klaren Seen, die heimlichen Winkelchen in der Schöpfung, durch die, oder an welchen vorüber früher unser Reisewagen lenkte? Wer gibt uns das heimliche Geflüster der Quellen, den Duft der Blumen, die Frische und Kühle der Gebüsche wieder, die unsre ermatteten Nerven einsogen, während unser Wagen sich langsam talabwärts bewegte? Ach, wir haben statt dessen nichts als einen dampfenden Ofen vor uns und einen pestilenzialischen Gestank hinter uns, wir hören nichts als den gellenden Laut einer Spitzbubenpfeife und sehen nichts als eine öde Fläche, auf die der Kalkül seine kaufmännischen Zahlen schreibt! Und nun gar die Poesie einer Landkutsche, wie sie unsre glücklichen Väter kannten! Diese Kutsche fiel um und leerte ihren Inhalt auf die Straße und in den Graben aus. Welche Gruppen! Welche Verwickelung! Welch herrlicher Roman-Knäuel, den dann die geschickte Hand des Dichters langsam und zu großer Freude des Publikums entwickelte. Alles ist vorbei, und gestehen Sie nur offen, es ist vorbei, weil Sie und Ihresgleichen sich der Welt bemächtigt haben. Es bleibt nur noch zu fragen, was werden soll, wenn diese Erfolge bis zu einem gewissen Grade gediehen sind. Wenn Sie unsre alte Erde, wie einen Küchentopf, rundum mit dem Drahtgitter ihrer Eisenbahnen umsponnen haben werden, schenken Sie ihr dann endlich Ruhe? Wenn überall, in allen bisher dunkeln Winkeln der Schöpfung, Ihre Gaslichter brennen, werden Sie dann keine neuen mehr anzünden? Wird die gequälte Materie dann in Ruhe kommen und endlich einmal wieder Staub, Schimmel und Moos ansetzen? Nein, nein! Ich seh' es kommen, wenn Sie nichts mehr zu analysieren haben werden, so fallen Sie als moderne Kannibalen der Wissenschaft über das Gehirn und das Herz Ihrer Nebenmenschen her, um die Blutkügelchen des einen und die zitternden Fasern des andern zu Ihren Experimenten zu verwenden. Aber dann, mein Herr, nehmen Sie sich in acht! Wir Poeten werden in Masse gegen Sie aufstehn; es wird ein Krieg entbrennen, wie ihn die Erde noch nicht geschaut: ein Krieg der Poeten gegen die Chemiker, ein Krieg der Priester jeglicher Größe und Tugend gegen eine Rotte kleiner giftiger Zerstörungsmänner.

 

Ich bin nicht rachsüchtig, ich will daher nicht näher anführen, daß einige Erfindungen der Chemie mich persönlich beleidigt haben: so das Gaslicht. Früher brannte ich eine Öllampe in meinem Studierzimmer, die, wie das Herz einer Stiefmutter, nur grade so viel Licht mir gönnte, daß ich sehn konnte, wie ich nicht ganz im Dunkeln saß; jetzt brennt eine flackernde Flamme auf meinem Tische, die Tageshelle um sich verbreitet, und alle Mängel meiner Tischdecke und meines Armstuhls mir aufdeckt. Strebte ich früher über die Straße herüber, meine Nachbarin zu besuchen, so konnte ich mit Sicherheit darauf rechnen, daß die trübe Laterne an der Hausecke nichts dagegen haben würde, jetzt läßt in unserm ganzen Straßenbezirk eine Gasflamme ihr Licht über Gerechte und Ungerechte leuchten; und der Himmel weiß, wieviel mehr von der letztern Sorte als von der erster nachts auf den Straßen sich befinden. Ich bin daher schon seit Jahren unzufrieden mit meiner Studierstube und zerfallen mit meiner Nachbarin. Das Leben hat jeglichen Reiz für mich verloren, und dies alles ist unleugbar Ihre Schuld. Aber wie gesagt, ich bin nicht rachsüchtig und verzeihe gern, was Sie gegen meine Person verbrochen haben, wenn nur das allgemeine Wohl durch Ihre Erfindungen gewonnen hätte. Sie rufen mir zu, daß Sie neuerdings durch Ihre Anhänger und Schüler das DaguerreotypDie Erfindung Daguerres (1789-1851) war eine recht unvollkommene Vorstufe der Photographie. haben erfinden lassen. Es ist wahr, allein diese Erfindung ist in meinen Augen ebensowenig wert als die der Eisenbahnen. Sie haben den Lichtstrahl, den freiesten Sohn des Himmels, so lange mit Ihrer chemischen Zuchtrute geschlagen, bis er das Zeichnen lernte. Aber wie zeichnet er! Was macht er aus den Augen, Ohren, Nasen und Händen unsrer Angehörigen und Lieben? Sie haben die Sonne zur Porträtmalerin gemacht! Ach, das war ein unglücklicher Einfall. Wie malt sie jetzt? Man kann eine vortreffliche Sonne und dabei doch eine herzlich schlechte Porträtmalerin sein. Um diese unglücklichen Resultate Ihrer sogenannten Erfindung kümmern Sie sich aber weiter nicht.

Ich will Ihnen sagen, mein teurer Baron, wie Sie Ihre zahllosen Sünden wieder allenfalls gutmachen können: produzieren Sie Gold! Sie erwidern, daß Sie das nicht können. Ja, ich glaub's Ihnen wohl.

Noch Eins: Vermehren Sie das menschliche Geschlecht auf chemischem Wege. Lassen Sie eines schönen Morgens aus Ihrem Destillierkolben eine kleine allerliebste Pariserin steigen. Das verstehn Sie aber auch nicht. Es ist gut; Sie verstehn eben nichts, als uns Dichtern Verdruß und Langeweile zu bereiten.

Dafür, als ein bescheidener Versuch, Gleiches mit Gleichem zu erwidern, empfangen Sie diese kleine Geschichte, die ich kürzlich, ich weiß nicht in welchem alten vergessenen Manuskriptenkonvolut eines meiner Freunde auffand und Ihnen hiemit dediziere. Sie enthält noch, dem Himmel sei Dank, zahllose Wunder und Unwahrscheinlichkeiten, und strotzt von Tatsachen, die einem Manne wie Sie, der alles erklären will, einigen Verdruß zu machen, geeignet sind.

Mein Herr Baron ich bin

Ihr ganz gehorsamer Diener.

Tutu


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