Alexander von Ungern-Sternberg
Tutu
Alexander von Ungern-Sternberg

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Zwölftes Kapitel

Der Leser wird an den Hof Neros geführt

 

Apropos, Tyrannen!« fuhr der Graf auf. »Warum haben wir keine Tyrannen mehr?«

»Ohne Zweifel aus dem nämlichen Grunde«, entgegnete Don Zerburo, »weshalb wir keine leichtfertigen Primadonnen und keine im Mansardenstübchen verhungernden Poeten mehr haben. Es sind drei untergegangene Spezies unsres sozialen Lebens.«

»Ich werde als ein vorsichtiger Mann, der für die Zukunft sorgt«, rief der Graf, »diese drei Altertümer in Essig legen und aufbewahren: den letzten Tyrannen, die letzte leichtfertige Primadonna, den letzten verhungerten Dichter. Es scheint mir, daß dies nötig ist, um der Nachwelt zu zeigen, wie wir milde und leutselig beherrscht worden, wie wir die Tugend und Keuschheit da suchten, wo sie kein anderes Jahrhundert gesucht hatte, nämlich hinter den Lampen des Proszeniums, und wie endlich unsere Dichter es verstanden haben, ihre schlechten Verse sich besser bezahlen zu lassen, als irgendeine Zeit die guten Verse bezahlte.«

»Ich wünsche nun, daß man weiter erzähle«, rief Iduna.

»In der Umgegend von Rom«, hub Tutu an, »nach den Albanergebirgen hin, lebte ein Gemüse- und Blumenhändler, Pätus mit Namen, der drei schöne Töchter hatte, die er wöchentlich einmal in die Stadt schickte, um auf irgendeinem kleinen, den Blumen und den Gartenfrüchten geweihten Marktplatz ihre Ware feil zu bieten. Auf diesem Platze stand eine Bildsäule des Vertumnus, nicht gerade schlecht gearbeitet, aber auch nicht von einem griechischen Meißel ins Dasein gerufen. Um das Bild des Gottes herum gruppierten sich die Verkäufer und Verkäuferinnen, und zwar so, daß die schönsten Mädchen und die schönsten Blumen am sichtbarsten ihren Platz auf dem Fußgestell der Bildsäule fanden. Dazu gehörte aber Dreistigkeit oder einflußreiche Gönnerschaft; die drei Töchter des Pätus besaßen weder das eine noch das andere Mittel der Beförderung, und somit sah man weder Glycerion, die älteste, noch Elope, die mittlere, noch Metella, die jüngste Schwester, auf den Stufen des Piedestals des Vertumnus: sie hätten alle drei dahin gehört. Glycerion zeigte in ihren ländlichen Formen und verhüllt in dürftige Gewänder die stolze Gliederpracht einer Juno, Elope machte ein Bild des Krates wahr, welcher die Muse Urania in die keusche aber ärmliche Hülle einer Schäferin auf dem Berge Athos gekleidet und sie so dem Blicke Apolls freigestellt hatte. Ihr schönes, in wellenförmige Locken gewundenes Haar entbehrte auch des Kranzes nicht; es war gewöhnlich ein dichtes Gewinde von Efeu und Myrte, das die junge Stirn beschattete und die Stelle eines Fächers vertrat und Kühlung und Schatten gewährte, wenn die junge Blumenhändlerin sich dem Vertrieb ihrer Waren oft noch in der sengenden Mittagshitze widmete. Metella war nicht so stolz wie Glycerion, nicht so schön wie Elope, aber sie war lieblicher und gewinnender wie beide. Über ihr Haupt, das sechzehn Lenze mit dem frischesten Reiz geschmückt hatten, war von Dianen der reinste und süßeste jungfräuliche Segen ausgesprochen worden. Die holdeste Schüchternheit paarte sich in ihr mit der anmutigsten Keckheit. Ihr Körper war zierlich, aber zugleich kräftig gebaut; ewig beweglich, verloren ihre Züge doch nie den Charakter der Schönheit; ihre kühnsten Stellungen, ihre wildesten Sprünge ordnete die Anmut. Sie wurde mit der flüchtigen jungen Ziege, die dem Pan geweiht ist, verglichen, so aller Gefahr spottend sah man sie die Abhänge und Schluchten im Gebirge durchklettern und ihrem Vater folgen, wenn er Kräuter suchte oder jungen Vögeln nachstellte.

So saßen denn die Schwestern eines Morgens ziemlich weit ab von der Bildsäule des Vertumnus auf einem bescheidnen Plätzchen, lange Zeit völlig unbeachtet und von keinem Käufer angesprochen. Glycerion, indem sie ihr großes Auge mit einem Feuer und einer Majestät, die niemand unter dem alten vergilbten Strohhut gesucht hätte, umhergehen ließ, begann das Gespräch, indem sie zu ihrer Schwester sagte: »Der Markt ist heute ungewöhnlich leer. Mir scheint, als wenn er alle Tage unbesuchter würde. Was mag hiervon die Ursache sein?«

»Du findest ihn unbesucht«, entgegnete die Schwester, »weil Clöon ihn nicht mehr besucht. Gesteh' es nur, daß nach dem jungen Hirten allein deine Blicke ausgehen.«

»Wenn ich's auch leugnen wollte«, sagte Glycerion mit einem leichten Erröten des Unwillens, »du würdest doch glauben, recht zu haben.«

»LucinaUnter dem Namen Lucina wurde Juno von den Römerinnen als Geburtsgöttin verehrt. bessere dich, du armes Mädchen!« rief Elope, seufzend. »Ich fand noch kein Herz, das so schwer sich zu Bekenntnissen hergegeben hätte als das deine. Warum nur nicht der Schwester gestehen, daß du liebst? Welch eine Verstocktheit ist das! Welch ein Mißtrauen! Ich begreife es nicht. Metella, höre, Kind, würdest du mir verschweigen, wenn du liebtest?«

»Sicherlich nicht!« rief die Kleine lachend. »Verlaß dich darauf, wenn ich mich in den Kaiser verliebe, da sollst du die erste sein, die es erfährt.«

Die drei Mädchen lachten.

»Du bist in der Tat nicht bescheiden«, sagte Glycerion.

»Und weshalb sollt' ich's sein?« sagte das Mädchen. »Wenn es dann doch einmal geliebt sein soll, so muß man nur geschwind das Allergrößte und Allerschönste wählen. Das kleine miserable Mannsvolk, das keine Krone trägt und nicht über eine Welt gebietet, überlaß ich euch. Metella und Nero – Nero und Metella! Oh, wie das schön klingt!«

»Schweig, Unbesonnene! Willst du durch dein Geschwätz die Vorübergehenden stutzig machen? Der Marktaufseher ist uns ohnedies nicht günstig, weil wir die Miete für die Bank, auf der wir sitzen, schuldig blieben.«

»Pfui! der alte schmutzige Petron!«

»Und wie gerne würde ich diesen alten schmutzigen Geizhals heiraten«, seufzte Elope, »wenn ich durch ihn dazu gelangen könnte, dem Vater ein sorgenfreies Alter zu bereiten. Aber wem Diana zürnt, dem gibt sie ein Haus voll Töchter und versagt seinen greisen Tagen den mutvollen Sohn, der ihn mit kräftiger Schulter stützt, wenn er in der Morgenfrühe zum Gebet dem Altar der Götter naht.«

»Oh, ich stütze den Vater!« rief Metella. »Daß mir niemand sage, meine Schulter und mein Arm seien weniger kräftig als die eines Jünglings.«

Bei diesen Worten näherte sich Cléon, und Glycerions Antlitz wurde über und über von einer lieblichen Purpurröte übergossen. Der Hirte handelte um einige Fruchtbündel, um unter diesem Vorwand unbemerkt mit seinem Mädchen plaudern zu können. Ein Soldat der Leibwache trat auf Elope zu, lüftete ihren Kranz, schaute ihr ins Antlitz und lächelte ihr zu. Auch sie plauderten bald vertraulich miteinander; Metella saß allein und müßig. Sie blickte ihre Schwestern an und seufzte lächelnd, indem sie vor sich hinmurmelte: »Nun, nun, laßt nur erst meinen Schatz kommen; der schlägt euch alle in die Flucht!« –

»Heute hat Nero drei fremde Feldherren, die ihn seine Schlachten haben verlieren machen, vor den versammelten Legionen niederstechen lassen«, sagte der Soldat; »unter diesen dreien war auch ein griechischer Prinz, der von einer uralten Königsfamilie abstammt. Aber was fragt unser Herr nach den andern Herren der Erde, gegen ihn sind sie alle klein.«

»Es bleibt dabei: Nero oder keiner!« rief Metella.

»Fort von der Bank, Gesindel!« schrie Petron, der sich mit einer Geißel bewaffnet herbeidrängte. »Sitzen die drei Bettlerinnen wieder da! Fort, sag ich!«

Die Mädchen sprangen auf, um dem wütenden Unholde auszuweichen, Metella allein hatte den Mut, ihm eine kleine geballte Faust entgegenzuhalten, wodurch sie seinen Zorn jedoch nur noch vermehrte, und schon schwebte die geschwungene Geißel über ihrem Haupte, als sich ein Marktbesucher, von stattlichem Ansehen und gehüllt in einen blauen kostbaren Mantel, der Gruppe näherte. Er beabsichtigte, Blumen zu kaufen, und schritt auf Metella zu, die ihm, noch mit der Röte des Zorns in ihrem hübschen Gesichtchen, rasch den Blumenkorb hinhielt. »Hier, Gebieter, hier hast du für deine Frau oder deine Geliebte einen Strauß von Anemonen, oder gefällt dir dieses Kränzchen besser, in welches meine Hand die ungefügige Nelke mit der duldsamen, gefälligen Rose zusammengeschlungen? Sprich, Väterchen, welches meiner Kunstwerke hat deinen aufrichtigen Beifall? denn Kunstwerke sind sie alle. Die gewöhnlichen Kranzwinderinnen dürfen sich vor mir nicht sehen lassen.«

So plauderte sie, während der Philosoph sein dunkles, forschendes Auge auf der lieblichen Gestalt weilen ließ. Endlich warf er den Zipfel seines Mantels über die linke Schulter und sagte mürrisch: »Zu welchem Zwecke brauch' ich Kränze? Hab' ich ein geliebtes Haupt, das ich mit ihnen schmücken möchte? Ich habe keins. Ich bin alt, ich bin Philosoph – ich habe meine Bücher. Kind, mich trieb nur die Neugier zu dir heran: vor wenigen Minuten hörte ich den Namen des Kaisers ausrufen. Bedarfst du seiner? Wirst du verfolgt und fühlst du, daß deine Stimme zu machtlos ist, um bis zu dem erhabenen Beschützer zu dringen? Vertraue dich mir an. Du bist jung, du bist schuldlos – zu was sind wir alte Männer mit den grauen Bärten da, wenn wir nicht die Jugend und Unschuld beschirmen wollen.«

Der berühmte Seneca konnte sehr liebenswürdig sein, und er war es auch in diesem Augenblicke. Das Herz der jungen Blumenverkäuferin gab sich ihm ganz zu eigen. Der Philosoph versäumte die Versammlung der Gelehrten im Tempel der Minerva; er versäumte eine pomphafte Anrede der Senatoren, die sich in diesem Moment in seiner Wohnung einfanden, um dem Liebling des Kaisers ihre Huldigung darzubringen; er versäumte endlich sogar die Stunde, wo er bei der großen Versammlung des Hofes beim Lever des Kaisers seinen Platz zwischen der sechsten und siebenten Säule des Portikus einzunehmen pflegte – er plauderte mit Metella. Er ließ sich von ihr alle die kleinen Vorfälle, die ein Landmädchen im Kreise ihrer geringen Erfahrung erlebt, erzählen, das Zerbrechen eines Eimers, die unbegreifliche Erblindung einer Lieblingsziege und das Baufälligwerden des Hüttendachs. Alle diese Dinge, mit dem Akzent der Natur vorgetragen, über die blühendsten Lippen quellend, mit dem Lächeln zweier großen Augensterne begleitet, welche die Tiefe des nächtlichen Himmels mit der Alabasterfrische einer eben aufbrechenden Lilienknospe vereinigten, machten, daß der Weltweise auf wenige Stunden vergaß, daß er in der Nähe eines Throns lebte, der die Welt beherrschte, aber sie zugleich zum Schauplatz von Verbrechen machte. Der edle Philosoph hatte nicht aufgehört, Mensch zu sein, und während er die Weisheit verehrte, liebte er die Tugend.

»Komm, folge mir, Mädchen«, sagte er zu Metella. »Vielleicht gelingt es mir, für deinen Vater, für dich und deine Schwestern ein besseres Los zu ziehen. Schon manchen Undankbaren hab' ich zum Glücke verholfen; es soll mich freuen, wenn ich diesmal ein Herz mir verbinde, das, wie das deine, des Undanks nicht fähig zu sein scheint. Komm, meine alte Haushälterin Livia wird dir eine Kammer einräumen, dir und deinen Schwestern. Ihr sollt das goldne Haus Neros sehen, die Wunder der Stadt, und sollt dann heimkehren, wann und wie es euch gefällt.«

Glycerion und Elope waren freudig lauschend näher getreten und erklärten sich willig, sogleich mitzugehen, doch Metella rief: »Ei, wie könnt ihr doch so leichtfertig sein. Beim Gürtel der Diana, wer soll denn beim Vater bleiben, wenn wir alle drei die Einladung dieses guten Alten annehmen? Habt ihr das nicht bedacht? Nun, macht keine bösen Mienen; ich sehe schon, es schwebt euch auf der Zunge, zu rufen: Metella, du bist die jüngste, du bleibst zu Hause! Gut denn, Metella bleibt.« Sie nahm ihren Korb, winkte Seneca lächelnd, aber unter Tränen, und sagte: »Ein andermal, Alterchen! ein andermal!« Wie sie weggehen wollte, hielt sie der Philosoph; nach langem Hinundherstreiten ging Elope nach Hause, und Glycerion und Metella folgten ihrem neuen Freunde.

Er führte sie durch mehrere Straßen, bis sie endlich an einem Platze anlangten, der mit einer unabsehbaren Menschenmenge angefüllt war. Alle richteten ihre Blicke auf eine hochgelegene offene Galerie, die ihre kolossalen Säulen in der Morgensonne glänzen ließ. »Was gibt's hier?« sagten die Mädchen, »auf wen wartet man?« »Auf den Kaiser«, entgegnete Seneca, »er wird die Galerie hinabkommen, um sich aus den Gemächern der Kaiserin Poppäa in den Tempel des Jupiter zu begeben. Kommt her; besteigt hier den Sockel der Statue des Äskulap, ihr könnt dann über die Köpfe der Menge hinwegsehen.«

Ein tausendstimmiger Schrei durchschnitt jetzt die Lüfte; es war halb Fluch, halb Bewunderung, halb Gruß. »Der Kaiser kommt!« schrien die Wachen, und siebenzig Musikchöre machten mit ihren Blechen und Pfeifen einen Lärm, als wollte der Schoß der Erde auseinanderklaffen. Dann plötzlich Grabesstille: man sah eine Flucht weißer Tauben hoch oben durch die wolkenlose Bläue schiffen – dann wieder ohrenzerreißender Schrei. Aus dem Tempel der Vesta stürzte sich der Chor der Vestalinnen in ihren weißen Schleiern; ähnlich einem Gießbach, der von dunkeln Felsen sich in die Tiefe stürzt, so verloren sich die weißen Frauen in dem tobenden Gewühle. Neue Stille, neuer Schrei und Tumult der Instrumente. »Da kommt er!« rief Glycerion. Eine in einen Goldpanzer gekleidete Gestalt wurde oben sichtbar.

»Alterchen, ich sehe nichts«, rief Metella, »erlaube, daß ich mich auf deine Schulter setze.« Und sie schwang sich auf den Nacken des Philosophen, der sich an der Bildsäule des Äskulap angeklammert hielt, um seine schöne Bürde nicht herabstürzen zu sehen. Nie war die Apotheose der Philosophie lieblicher und treffender bezeichnet worden als hier, wo sie sich darstellte als Stütze und Trägerin der Reinheit, Schönheit und Jugend.

»Sieh!« rief ein Anhänger der Stoa zu einem Pythagoreer an seiner Seite, die beide unten in der Menge ihre Blicke auf die Gruppe oben richteten, »ist das nicht Seneca mit einem hübschen Mädchen auf den Schultern.«

»Er ist's«, entgegnete der finstre Schüler des Pythagoras. »Der Höfling und Geck blamiert die Würde der Philosophie. Er spielt den Sokrates, der mit Weibern und Kindern tändelt.«

»Häßlich genug ist er, um Sokrates zu sein«, entgegnete der Stoiker, und beide magere, von Neid und Bosheit verunstaltete Männer lachten. Seneca hörte, was sie sagten, doch es trübte nicht die Ruhe und das Glück, das in seiner ehrwürdigen Miene ausgeprägt lag. Er belehrte Glycerion, daß der Goldbepanzerte nicht der Kaiser, sondern nur der Führer der Leibwache sei.

Jetzt kam Nero. Ein weißer flatternder Mantel umgab seine Gestalt, die kräftig und gedrungen in ihren Formen den Eindruck des Kolossalen und Steinernen machte. Er erschien wie eine von ihrem Sockel herabgestiegene Statue Jupiters. Langsam schritt er vorüber, indem er einen kalten, satten Blick auf die Menge richtete und voll Überdruß mit der Hand winkte, wenn ein neuer Beifallsschrei mit fanatischem Lärm emporschallte. Er trug keine Krone, ein goldner schmaler Reif hielt die Schwere der braunen Locken zusammen, die einen Nacken beschatteten, der die Weiße, aber auch die starre Unbeugsamkeit des Marmors in sich vereinigte. Man sah diesem Nacken an, er hatte sich nie gebeugt, selbst nicht vor Göttern. Hinter Nero folgten in langer unabsehbarer Reihe die überwundenen Herrscher, deren Throne er gestürzt. Einigen dieser illustren Gefangenen hatte der hohnlächelnde Tyrann die goldnen Kronen und blitzenden Diademe gelassen, damit sie einen höhnenden Kontrast bildeten zu den Ketten, die Hand und Fuß beschwerten. Als Nero sich dem Tempel des Jupiter näherte, blieb er in affektierter Stellung stehen und warf der Bildsäule des Gottes einen vertrauten Gruß zu, wie etwa ein Bruder dem andern, dann verlor er sich hinter den Säulenhallen, während die überwundenen Herrscher im Vorhofe blieben und sich mit den Stirnen zur Erde auf den Marmorboden niederwarfen.

»Wie gefällt dir dein Liebster?« fragte der Philosoph lächelnd zu dem schönen Mädchen hinauf, das ihre Arme um sein Haupt geschlungen hatte, ein seltsamer aber nicht häßlicher Hauptschmuck.

»Ganz gut; ein wenig hochmütig«, entgegnete sie. »Wenn ich ihn in meine Schule nehme, soll er sich schon bessern.«

Nur wenige Monate waren vergangen, und die Kaiserin Poppäa war gestürzt und an ihren Platz – Metella erhoben. Wir übergehen, um unserer Erzählung keine zu große Ausdehnung zu geben, die Umstände, welche diesen Wechsel bewirkten, und fügen nur hinzu, daß Seneca, stets bemüht, seinen allmächtigen Zögling in bessere Umgebung zu bringen, dazu beigetragen hatte, das Kind der Natur, das tugendhafte und edle Mädchen aus der Hütte auf den mächtigsten Thron der Welt zu setzen. Aber er hatte das Glück der Armen nicht befördert. Metella verlor ihre gute Laune im goldnen Hause des Nero, sie wurde trübsinnig, und sie sehnte sich zurück in ihre niedere Hütte, wie sie ehemals bestand, aber die Hütte war in einen kostbaren Palast umgewandelt worden. Es geziemte sich nicht, daß der Schwiegervater des Kaisers eine so anspruchlose Wohnung innehatte. Glycerion und Elope waren Damen bei Hofe geworden, neugeschaffene Fürstinnen, die Königreiche ihren Bewerbern als Mitgift zubrachten. Metella war von allen Mitgliedern ihrer Familie die mindest Glückliche. Die heitersten Tage brachte sie zu, wenn der Kaiser abwesend war und ihr vergönnte, den Palast zu bewohnen, der auf dem Platz ihrer Geburtsstätte gebaut war, und den mit den reizendsten Symbolen der Schönheit, der Liebe und der Macht auszuschmücken, die berühmtesten Künstler Griechenlands und Roms gewetteifert hatten. Hier saß auf einem Altane die junge Frau träumerisch und einsam oft tagelang und schaute in die Schluchten des Gebirges, in die malerischen Abhänge und Talgründe, die sich ihrem Blicke aus den Nebeln der Ferne nach und nach beim Beginn des Tages entschleierten. Sie dachte dabei ihrer Kindheit, der schuldlosen und fröhlichen Tage, wo sie barfuß, auf den Hirtenstab gelehnt, an den kühlen Brunnen der Ebene stand oder mit dem Vater den Gebirgsabhang erkletterte.

In den Stunden, wo die junge Kaiserin so melancholisch träumte, traf es sich, daß ein schöner, schlanker Jäger öfters dicht an den Stufen des Palastes vorbeiging. Sein Auge, dunkel und feurig, hatte bald hinter dem Gitter der blühenden Stauden den Weg gefunden zu der Bewohnerin des Altans. Er hielt sie für eine Kammerfrau irgendeiner vornehmen Römerin, und seine Kühnheit wurde darum immer herausfordernder, seine Blicke und zuletzt die Worte, die er ihr zurief, immer dreister und unverhüllter. Endlich ergriffen ihn die Wachen und er sollte in Fesseln geschlagen werden, als ein Wink Metellas ihn befreite. Metella blieb auf wenige Augenblicke mit ihrem Schützling allein.

»Wer bist du, schöne Frau«, fragte dieser dreist, indem er sich mit einem kecken Lächeln vor sie hinstellte. »Ich laß mich nicht gerne von Weibern befreien, und möchte niemandem, und auch dir nicht, Dank schuldig sein. Unbeugsam und trotzig stamm ich noch von den alten freien Republikanern her, die sich und ihre starre Selbstgenügsamkeit vor den neuen Tyrannen, die Rom beherrschen, in die Tiefe jenes Gebirges, dessen Zacken du ferne am Horizont schimmern siehst, zurückgezogen haben. Dort lebt mein Erzeuger und erzieht seine Söhne im strengen Dienste der Diana, fern von den Wollüsten der entarteten Stadt und fern von ihren Tyrannen. Wir, zwölf Brüder an der Zahl, sind sämtlich Söhne der Freiheit. Ich, der jüngste, heiße Germanus. Ohne Willen und Wissen der Meinigen hab ich mich so weit von unsern alten heimatlichen Felsenschlössern entfernt, und Diana straft mich auch sofort, indem sie mich in deine arglistigen Netze fallen läßt, schöne, buhlerische Hofnymphe. Nun sage mir, unter welchem Namen gebietest du hier? Bist du die Magd der Römerin, die dieses Haus bewohnt, oder die Geliebte ihres Mannes? Erröte nicht, du bist nicht schlimmer als deine Schwestern, ich weiß, daß ihr Weiber in Rom alle verderbt seid, daß Tugend und Unschuld nur in unsern Gebirgen wohnen. Also nenne mir deinen Namen, damit ich weiß, wem ich den Schimpf meiner Rettung zuzuschreiben habe.«

»Nenne mich Metella«, sagte die junge Kaiserin mit düsterm Ernste.

»Wer ich bin und mit welchem Rechte ich gebiete, was kümmert's dich? Entferne dich jetzt und laß dich nie wieder in dieser Gegend blicken; denn Gefahr ist verknüpft mit deinem Wiedererscheinen.«

Dieser Warnung spottete Germanus, der keine Furcht kannte. Er kam jetzt öfter als sonst, und einmal als gerade ein glänzendes Fest den kaiserlichen Hof und eine große Anzahl der Vornehmen Roms in dem Palaste versammelt hielt. Weithin in die Nacht des Gebirges leuchteten die Flammenkessel und kolossalen Feuerbecken, die, rund um den Palast gestellt, die Nacht zum Tage machten. Die große Vorhalle war geöffnet, und Tänzer und Sänger trieben hier ihr Wesen; man sah purpurne Gewänder flattern und hörte den dumpfen brüllenden Ton der tragischen Masken, vermischt mit dem gellenden komischen Schrei der Lustigmacher. Der Zug der Gladiatoren bewegte sich langsam vorwärts, und die ungeheuern ehernen Gestalten, mit einem Gliederbau, der in seiner stolzen Festigkeit dem Gesetze der Sterblichkeit Hohn zu sprechen schien, bildeten einen wirksamen Gegensatz zu den leichten biegsamen Körpern der Tänzer und Tänzerinnen, die wie vom Stiel gelöste Blumen in die Luft hinflatterten.

Eine plötzliche atemlose Stille gab kund, daß der Kaiser im Saal erschienen. Germanus drängte sich vor und heftete trotzige Blicke auf den Gebieter der Welt; aber mit welchem Erstaunen erblickte er zur Seite dieses Ungeheuers die schlanke Gestalt seiner unbekannten Geliebten.

»Also die Kaiserin!« zuckte es durch seinen Sinn, und eine wilde Röte überflog die gebräunten Wangen und färbte die stolze Stirn. »Nun, sei es! Ich sehe nicht ein, warum ich nicht die Kaiserin lieben soll; wenigstens hab ich mich jetzt meiner Befreierin nicht zu schämen.«

Das Ballett nahm seinen Anfang, aber der Kaiser war nicht gelaunt, eine Lustbarkeit, die sich schon viel zu oft vor seinen Blicken erneuert hatte, nochmals durch seine Aufmerksamkeit zu ehren. Verhaßt waren ihm die blühenden Gesichter der jungen Nymphen, ihre Blumenkränze, ihre enthüllten Schultern, ihre alabasternen Knie. Das Reizendste, was Italien und die Provinzen hatten beisteuern können, war hier versammelt, allein gerade das Reizende hatte für Neros Sinne einen unüberwindlichen Beigeschmack von Ekel. Er winkte, und die tanzenden Gruppen verschwanden hinter die Säulen des Portikus, wie Blumenblätter, die ein kalter Nachtsturm hinwegweht. Der Blick des Tyrannen war auf eine Anzahl auffallend gekleideter und mit Bizarrerie in Stellung und Miene sich kundgebender Männer gefallen.

Es waren Philosophen der verschiedenen Schulen.

Sie standen da und sahen mit hochmütigen Blicken auf die Schauspieler, Tänzer und Sänger herab. In der Tat waren sie selber komische Masken. Die Stoa hatte einen Repräsentanten aufgestellt in der pfahldünnen Figur eines schmächtigen, gallsüchtigen Hypochonders, dem der Groll über das mehr Glück machende System seines Mitbruders aus den tiefliegenden, feuersprühenden kleinen Augen leuchtete. Die Sekte Epikurs war durch einen tonnendicken kleinen übelgestalteten Bacchus vertreten, dessen schmutziger Mantel nur noch durch das fetttriefende schmutzige Antlitz an ekelerregendem Eindruck übertroffen wurde. An die Seite dieses Zynikers schmiegte sich der salbenduftende Priester von der Lehre des Aristipp; dieser unglückliche Zögling stellte in elender Affektation den Weltmann mit dem Denker zusammen, die Salbe jedoch, mit der er seine ergrauten Locken befeuchtet hatte, war ebenso übelduftend, als seine Manieren und Worte vom schlechtesten Geschmacke zeugten. Die erhabene Lehre Platos wurde entwürdigt, indem ein Lustigmacher im grauen Philosophenbarte mit den Insignien alter ägyptischer Priester sich mit der dreifachen Kopfbinde zierte und Platos philosophische Stichworte der Menge zurief.

Der Blick Neros weilte lange und mit einem höhnenden Lächeln auf dieser lächerlichen und ärgerlichen Gruppe, dann rief er sie hervor und befahl ihnen, statt der Tänzer einen Tanz aufzuführen. Man kann sich die Entrüstung und den Schrecken der hochmütigen Jünger der Weisheit denken, aber gewöhnt, sich vor der Macht tief in den Staub zu beugen, warfen sie sich auch hier, nachdem der Befehl ergangen, vor Nero nieder, küßten die Sohlen seiner Sandalen und stellten sich zum Tanze auf.

Nie sah die Welt einen groteskern Tanz!

Alles, was Plumpheit Widriges, verfehlte Grazie Lächerliches, Ungeschicklichkeit Belustigendes und dummer Stolz, linkische Pedanterie Ergötzliches haben kann, war hier vereinigt, und zum ersten Male zuckte ein leises Lächeln über die Lippen Neros; doch auch selbst dieser grausame Scherz war, kaum aufgetaucht, auch schon wieder abgenutzt für den nie ruhenden, nie einem Genusse, sei er auch der seltenste und köstlichste, sich willig hingebenden Geist.

Neros Auge hatte den jungen Germanus bemerkt und zugleich das Einverständnis geahnt, das zwischen diesem kecken Eindringling in den Palast und der Frau an seiner Seite stattfand.

Seine Seele dürstete schon lange nach Blut.

Die Todeskämpfe und Zuckungen der Gladiatoren waren für ihn schon zu einem feigen und abgenutzten Schauspiel geworden, der Mord hatte nur noch einen Reiz für ihn, wenn er ihn begangen sah an demjenigen Leben, das seinem Throne oder seinem Herzen am nächsten stand, an Weib, Mutter, Bruder oder Schwester. Der Verwandtenmord war der einzige, der auf Nero noch einigen Kitzel hatte; das Blut seines Weibes, seiner Mutter fließen zu sehen, das Erstarren und Brechen eines Auges zu beobachten, in dem der Strahl der Liebe für ihn geglänzt, das allein machte den schläfrigen Wunsch in ihm wach und ließ ihn den müden Arm nach dem Dolche ausstrecken. Metella hatte schon zu lange Poppäas Stelle eingenommen; an diesem Abende, mitten unter dem Gewühl der Tänzer, unter dem Beifallsturm der Menge beschloß Nero den Tod der jungen Kaiserin.

Seneca, der dieses Geschick herannahn sah und den tötenden Strahl vom Haupt seines Lieblings abzuwenden nicht mächtig genug war, tat, was in seinen Kräften stand, die junge edle Seele seiner Schülerin auf ihr herbes Los vorzubereiten.

In stillen Nächten – so wie einst Sokrates die schöne Aspasia – so unterrichtete er Metella in der Kunst, irdische Größe um himmlische zu vertauschen, den Tod einem ehrlosen und schmachvollen Leben vorzuziehen. Metella erriet ihn; sie sog begierig die erhabenen Lehren von seinen Lippen, und ihr Herz, das noch vor wenig Augenblicken unter den Tigerklauen Neros gezittert hatte, wurde ruhig und stark, jetzt da der entscheidende Moment herannahte. Sie bekannte offen in dem kurzen Verhör, das man mit ihr anstellte, die von ihr begünstigte Annäherung des jungen Germanus. Auf dieses Geständnis hin ließ sie der Tyrann im Bade erwürgen. Er hielt ihre Leiche in den Armen, legte sie mit kaltem Lächeln hin, indem er sagte: »Eine schöne Statue! baut ihr einen Tempel; in Marmor gemeißelt werde ich sie wieder liebgewinnen.«

»Dies war das Ende der schönen Metella.«

»Entsetzlich!« rief Iduna, indem sie ihr Antlitz verhüllte, »hat es wohl jemals solche Ungeheuer gegeben wie diesen Nero! Und Sie wollen ihn selbst gekannt haben?«

»Allerdings«, entgegnete Tutu.

»Unbegreiflich, aber Ihre eigne Geschichte muß noch merkwürdiger sein als die Geschichte derer, von denen Sie erzählen. Darf ich nicht fragen, wer Sie sind, wo Sie herkommen, und was Sie unter uns wollen?«

»Zu viel der Fragen«, rief der Graf mit Lachen. »Unser Gast, meine Teure, mag her sein, wo er will, er ist uns immer willkommen, und wenn ihn auch direkt die Hölle zu uns emporgesendet.«

Tutu fuhr entsetzt zusammen: »O nein, nein!« rief er, »die Hölle nicht – die Hölle nicht!«

Zerburo und die Gräfin sahen sich mit einem bedeutungsvollen Blicke an. Melanie befragte Tutu genau um die Physiognomie Neros, und er zeichnete ihr dieselbe mit wenigen leichten Strichen aufs Papier.


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