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Zehntes Kapitel
Das Leben der Einigung

Was ist das Leben der Einigung? Wir haben im Laufe dieser Untersuchung oft genug darauf hingewiesen. Nun sehen wir uns endlich vor die Notwendigkeit gestellt, eine Bestimmung seines Wesens zu versuchen. Da der normale Mensch wenig von seiner eigenen wahren Persönlichkeit und gar nichts von der der Gottheit weiß, so ist die orthodoxe Erklärung des Lebens der Einigung als »des Lebens, in welchem der Wille des Menschen mit Gott eins geworden ist«, nur eine Wiederholung der Frage in weiterer Fassung und gibt dem Forscher keinen weiteren Aufschluß.

Daß wir das Wesen dieses Lebens von innen heraus instinktiv erkennen, so wie wir das Wesen unseres eigenen normalen Menschenlebens erkennen, wenn wir es auch nicht auszudrücken vermögen, ist natürlich unmöglich. Wir haben es hier mit dem endgültigen Triumph des Geistes, der Blüte der Mystik, dem höchsten Gipfel des Menschentums zu tun; mit der letzten Vollendung, der das kontemplative Leben in seinem langen, mühevollen Aufstieg und seinen seelischen Stürmen von Anfang an zustrebte. Wir sehen eine kleine, aber stetig wachsende Schar heldenhafter Gestalten, die auf Ebenen der Wirklichkeit leben, deren Höhe wir in dem armseligen Leben der Täuschung Befangenen nicht erreichen können; die eine Luft atmen, von deren wahrer Beschaffenheit wir uns nicht einmal eine Vorstellung machen können. Wir müssen uns also hier wie in so vielen andern Punkten zum größten Teil auf das direkte Zeugnis der Mystiker verlassen, die allein sagen können, wie das reichere Leben, das sie genießen, beschaffen ist.

Aber wir sind dennoch nicht ganz auf diese eine Aufschlußquelle angewiesen. Es ist die Besonderheit des Lebens der Einigung, daß es oft in seiner höchsten und vollkommensten Form in der Welt gelebt wird und seine Werke den Augen der Menschen darbietet. Wie »Erde zu Erde« das Gesetz unseres Leibes ist, so ist es seltsamerweise auch das Gesetz unserer Seele. Der Mensch, der endlich zum vollen Bewußtsein der Wirklichkeit gelangt ist, vollendet den Kreis des Seins und kehrt wieder zurück, um jene Ebenen der Wirklichkeit, von denen er ausging, zu befruchten. Daher sehen die Feinde der Mystik, die aus dem »krankhaften und abgeschlossenen« Leben der Kontemplativen auf den früheren, vorbereitenden Stufen des mystischen Weges eine ihnen zusagende Moral ziehen konnten, sich hier sehr oft der unangenehmen Tatsache gegenüber, daß der Mystiker sich als Pionier der Menschheit zeigt, als Mensch von klarer Intuition und gewissenhafter praktischer Tätigkeit: als Künstler, als Entdecker, als religiöser oder sozialer Reformator, als nationaler Held, als »der große Tatmensch« unter den Heiligen. Die übermenschliche Art dessen, was die Menschen vollbringen, gibt uns einen Maßstab für die übernormale Lebenskraft, an der sie teilhaben. Was die hl. Jeanne d'Arc oder der hl. Bernhard oder die hl. Katharina von Siena, der hl. Ignaz von Loyola, die hl. Teresa oder George Fox vollbracht, die Siege, die sie über die Verhältnisse davongetragen haben, lassen sich nur dadurch erklären, daß diese großen Geister tatsächlich in näherer, innigerer, stärkenderer Berührung mit jenem Leben, »das das Licht der Menschen ist«, standen als ihre Mitmenschen.

Uns stehen also zwei Wege der Forschung offen: erstens die Vergleichung und Erläuterung dessen, was die Mystiker uns über ihre übersinnliche Erfahrung berichten, zweitens das Zeugnis, das ihr Leben für das Dasein übernatürlicher Antriebe in ihnen, für ihren Kontakt mit tieferen Schichten der Lebenskraft ablegt. An dritter Stelle haben wir dann den kritischen Apparat, den die Psychologie uns zur Verfügung stellt, doch müssen wir diesen bei solchen Riesen des Geistes mit Vorsicht und Bescheidenheit benutzen.

Wenn nun auch das Leben der Einigung oft in der Welt gelebt wird, so ist es doch nie von dieser Welt. Es gehört einer andern Daseinsstufe an, bewegt sich mit Sicherheit auf Ebenen, die unsere Sprache nicht kennt, und entzieht sich daher menschlichem Maß. Wir Bewohner des Tales können nur einen flüchtigen Blick auf das wahre Leben dieser erwählten Geister werfen, die auf dem Berge der Verklärung wohnen. Sie sind weit fort und atmen eine andere Luft; wir können sie nicht erreichen. Doch ist es unmöglich, ihre Bedeutung für die Menschheit zu überschätzen. Sie sind unsere Gesandten an das Absolute. Sie rechtfertigen den Anspruch der Menschheit auf die Möglichkeit eines dauernden Erreichens der Wirklichkeit, sie legen Zeugnis ab für die praktischen Eigenschaften des übersinnlichen Lebens. Sie bezeugen, wie Eucken sagt, »die Entfaltung einer überwindenden Geistigkeit im Unterschied von einer grundlegenden sowohl als einer kämpfenden Der Sinn und Wert des Lebens S. 140.«, die tatsächlich lebenerhöhende Kraft der Liebe Gottes, wenn einmal die menschliche Seele sich ganz geöffnet hat, sie zu empfangen.

Wenn wir zunächst das Zeugnis der Mystiker selbst betrachten, so sehen wir, daß sie bei ihren Versuchen, das Leben der Einigung zu schildern, sich zweier Hauptformen symbolischen Ausdrucks bedienen, die beide sehr gefährlich, sehr leicht mißzuverstehen sind, beide den Gegnern des mystischen Typus reichliche Gelegenheit zu scharfer Kritik geben. Wir sehen ebenfalls, wie wir es nach unsern bisherigen Erfahrungen mit den von den Kontemplativen und Ekstatikern verwandten Symbolen erwarten konnten, daß diese beiden Ausdrucksformen sich ihrer Art nach auf Mystiker des objektiv metaphysischen Typus einerseits und des intim persönlichen Typus andrerseits verteilen, und daß ihre Formulierungen, für sich genommen, einander zu widersprechen scheinen.

1. Der metaphysische Mystiker, für den das Absolute unpersönlich und transzendent ist, beschreibt sein endliches Erreichen dieses Absoluten als Vergottung oder gänzliche Umwandlung des Selbst in Gott. Der Mystiker, für den innige persönliche Gemeinschaft der Modus war, unter dem er die Wirklichkeit am besten wahrnahm, bezeichnet die Vollendung dieser Gemeinschaft, ihre vollkommene und dauernde Form, als die geistliche Hochzeit seiner Seele mit Gott. Offenbar sind diese beiden Ausdrücke nur Versuche, den inneren Charakter eines Zustandes anzudeuten, den das Selbst mehr in seiner Ganzheit empfunden als sich im einzelnen klargemacht hat, und beide haben dieselbe Beziehung zu der unaussprechlichen Wirklichkeit dieses Zustandes, die unsere klugen Theorien über die Natur und den Sinn des Lebens zu den Lebensprozessen selbst haben. Es lohnt sich schon, sie näher zu betrachten, allein wir werden sie nicht verstehen, ehe wir nicht auch das Leben, das sie erklären wollen, näher betrachtet haben.

Die Sprache der »Vergottung« und die der »geistlichen Hochzeit« sind also durch Naturanlage des Sprechenden bedingt und beziehen sich vielmehr auf ein subjektives Erleben als auf eine objektive Tatsache. Sie umschreiben einerseits das plötzliche staunende Wahrnehmen einer tiefen Veränderung, die sich in der Persönlichkeit des Mystikers vollzogen hat Dante hat dies Gefühl einer Umwandlung seiner Persönlichkeit in dem Augenblick, wo er zuerst die Luft des Paradieses atmet:
»Ward nur mein letzterschaff'nes Teil gehoben?
Du weißt es, die du alle Welten lenkst,
O Liebe, deren Licht mich trug nach oben.«
(Parad. I, 73.)
– die Umwandlung seines Salz, Schwefel und Merkur in das geistliche Gold –, andrerseits die ekstatische Erfüllung seiner Liebe. So können wir, wenn wir diese symbolischen Darstellungen vergleichen und den gemeinsamen Faktor in ihnen auffinden und isolieren, vielleicht etwas über die ihnen zugrunde liegende Tatsache lernen, die sie abzubilden versuchen.

Weiter beschreiben die Mystiker gewisse Symptome entweder als die notwendigen Vorbereitungen oder als die Kennzeichen und Früchte des Zustandes der Einigung, und auch diese können uns helfen, seinen Charakter zu bestimmen.

Die hauptsächlichste, ja, die allein wesentliche Vorbereitung ist die völlige Aufgabe der Selbstheit oder die »Selbstvernichtung«, auf die die Prüfungen der Dunklen Nacht hinzielten. Nur die gänzlich losgelöste, »vernichtete« Seele ist »frei«, sagt der »Spiegel einfältiger Seelen«; und der Zustand der Einigung ist im wesentlichen ein Zustand freier und kindlicher Teilnahme am ewigen Leben. Die Hauptkennzeichen des Zustandes selbst sind: 1. das vollständige Aufgehen in den Interessen des Unendlichen, gleichviel in welcher Form Es vom Selbst wahrgenommen wird; 2. das Bewußtsein, an Seiner Kraft teilzuhaben, in Seinem Namen zu handeln, das ein Gefühl vollkommener Freiheit, eine unerschütterliche Seelenruhe zur Folge hat und das Selbst gewöhnlich zu irgendeiner Form heldenhafter Anspannung oder schöpferischer Tätigkeit treibt; 3. die Begründung des Selbst als Kraft für das Leben, als Energiezentrum, als Erzeuger von geistlicher Lebenskraft in andern Menschen. Wenn wir diese Symptome zusammennehmen und sie ebensowohl wie das Leben derer, bei denen sie sich zeigen, im Lichte der Psychologie prüfen, so erhalten wir sicher einige, wenn auch fragmentarische, Auskunft über die transzendente Daseinsform, die diese charakteristischen Zustände und Akte mit sich bringt. Darüber hinaus konnte selbst Dante nicht gelangen:

»Kein Wort beschreibt solch himmlisch Übermaß Par. I, 70.

Wir wollen also das Leben der Einigung betrachten: 1. wie es vom Standpunkt des Psychologen erscheint; 2. wie es diejenigen Mystiker beschreiben, die es a) als Vergottung, b) als geistliche Hochzeit bezeichnen. 3. Endlich wollen wir das Leben der Eingeweihten betrachten und versuchen, soweit es möglich ist, es als ein organisches Ganzes zu erfassen.

1. Was stellen die mannigfachen Phänomene des Lebens der Einigung in ihrer Gesamtheit vom Standpunkte des reinen Psychologen aus vor? Er würde wahrscheinlich sagen, daß sie Zeugnis ablegen für den endgültigen, entscheidenden Sieg jener höheren Bewußtseinsform, die während des ganzen mystischen Weges nach der Oberherrschaft rang. Die tiefsten, reichsten Schichten der menschlichen Persönlichkeit sind nun ans Licht und zur Freiheit gekommen. Das Selbst ist erneuert, verwandelt, ist endlich zur Einheit mit sich gelangt, und in dem Maße, wie die Anspannung aufhörte, wurde die Kraft für neue Zwecke frei.

»Der Anfang des mystischen Lebens«, sagt Delacroix, »brachte in das persönliche Leben des Subjekts eine Reihe von Zuständen, die durch gewisse charakteristische Merkmale unterschieden sind und die sozusagen ein besonderes psychologisches System bilden. Am Ende des Weges hat es gleichsam das gewöhnliche Selbst unterdrückt und hat durch die Entwicklung dieses Systems eine neue Persönlichkeit geschaffen mit einer neuen Art zu fühlen und zu handeln. Sein allmähliches Wachstum führt zu dieser Umwandlung der Persönlichkeit: es hebt das anfängliche Bewußtsein des Selbst auf und setzt ein neues Bewußtsein an seine Stelle; alle Selbstheit ist gänzlich im Göttlichen hingeschwunden und an Stelle des primitiven Selbst ist ein göttliches Selbst getreten Delacroix, Etudes d'Hist. du Mysticisme p. 197..« Wenn der Psychologe ein Philosoph der Euckenschen Schule ist, wird er weiter sagen, daß der Mensch in diesem Zustande der Einigung, wo das göttliche Selbst an Stelle des »primitiven« Selbst getreten ist, endlich zur wahren Freiheit emporgestiegen, »in den Genuß der Wirklichkeit eingetreten ist Eucken, Der Sinn und Wert des Lebens S. 12. [? »in seiner Seele beginnt die sonst verborgene Tiefe der Wirklichkeit durchzubrechen«.]«. Daher hat er dem Einströmen jener siegreichen Macht, die das eigentliche Wesen des Wirklichen ist, neue Kanäle geöffnet, hat sein Bewußtsein gänzlich erneuert und wird kraft dieser gänzlichen Erneuerung »in ein kosmisches Leben versetzt, das nicht ein fremdes, sondern unser eigenes Leben ist Eucken, Der Sinn und Wert des Lebens S. 96.«. Aus der Berührung mit diesem kosmischen Leben, aus diesen tiefen Ebenen des Seins, denen seine wachsende, sich stetig wandelnde Persönlichkeit sich endlich ganz angepaßt hat, gewinnt er jene erstaunliche Kraft, jenen unerschütterlichen Frieden, jene Fähigkeit, jede Lage zu meistern, die eines der augenfälligsten Kennzeichen des Lebens der Einigung ist. »Jene verborgene und beharrende Persönlichkeit eines höheren Typus Delacroix, Etudes d'Hist. p. 114 (s. oben S. 356).«, die dem Selbst der Oberfläche auf jeder Stufe der Entwicklung des Mystikers beständige und immer eindringlichere Kundgebungen ihres Daseins gab – sein wirkliches, ewiges Selbst – hat jetzt bewußt ihre Bestimmung verwirklicht und fängt endlich an, in vollem Sinne zu sein. In der Pein der Dunklen Nacht hat sie die letzten widerspenstigen Elemente des Charakters endlich erobert und durchdrungen. Sie ist nicht mehr auf tiefe Wahrnehmungsakte, auf überwältigende Schauungen des Absoluten beschränkt, ihr Hervortreten hängt nicht mehr an den seelischen Zuständen der Kontemplation und Ekstase. Der Mystiker hat endlich das Paradoxon Stevensons gelöst: er ist nicht wahrhaft zwei, sondern wahrhaft eins [Anspielung auf den Roman von Robert Louis Stevenson: The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1886). Dr. Jekyll ist ein Doppelwesen, das einen gesitteten, gutmütigen Kulturmenschen und eine Bestie mit den wildesten Begierden in sich vereinigt. Nach ihm ist also der Mensch »nicht wahrhaft einer, sondern wahrhaft zwei«.].

2. Der Mystiker würde, glaube ich, diesen Beschreibungen soweit zustimmen, aber er würde sie wahrscheinlich in seine eigene Sprache übersetzen und durch eine Erklärung erläutern, die sich psychologisch nicht mehr fassen läßt. Er würde sagen, daß seine langgesuchte Verbindung mit der transzendenten Wirklichkeit, seine Einigung mit Gott, nun endgültig hergestellt ist; daß sein Selbst, obwohl unversehrt, doch – wie ein Schwamm vom Meere – ganz vom Ozean der Liebe und des Lebens, den er erreicht hat, durchdrungen ist. »Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Gott lebet in mir [Nach Gal. 2, 20.].« Er fühlt, daß er endlich von den letzten Flecken der Trennung gereinigt und auf geheimnisvolle Weise »das, was er schaut«, geworden ist.

Die mystische Reise ist jetzt, nach dem Wort des Sufi-Dichters, nicht nur bis zu Gott, sondern bis in Gott gelangt. Er ist in die ewige Ordnung eingegangen und hat hier und jetzt den Zustand erreicht, zu dem der Magnet des Universums jedes lebende Wesen hinzieht. Während er abwechselnd Perioden von Freude und Qual durchlebte, indem sein geistliches Selbst erwachte, sich ausdehnte und im Feuer der Liebe und des Schmerzes geprüft wurde, war er sich im Innern bewußt, daß er sich auf ein bestimmtes Ziel hin bewegte. Soweit er ein großer Mystiker war, war er sich auch bewußt, daß dies Ziel kein noch so tief dringender, erhebender und begeisternder Akt der Erkenntnis war, sondern ein Zustand des Seins, eine Erfüllung jener Liebe, die ihn stetig und unerbittlich zu dem ihm bestimmten Platz hintrieb. Das Feuer der Liebe hat – um das Bild der Alchimisten zu gebrauchen – seine Arbeit getan, der mystische »Merkur der Weisen«, der kleine verborgene Schatz, das Stückchen Wirklichkeit in ihm, hat das Salz und den Sulfur seines Geistes und seiner Vernunft gänzlich umgewandelt. Selbst den weißen Stein der Erleuchtung, der ihm einst so teuer war, hat er jetzt dem Schmelztiegel übergeben. Nun ist das Große Werk vollendet, die letzte Unvollkommenheit ist geschwunden, und er findet in sich die »edle Tinktur« – das Gold der geistlichen Menschheit.

A. Wir sagten, daß der Mystiker des unpersönlichen Typus, der Sucher nach einem transzendenten Absoluten, die Vollendung seines Strebens als Vergottung beschreibt.

Das Leben der Einigung bedeutet naturgemäß für ihn wie für alle, die es erreichen, etwas, was über die Totalsumme seiner Symptome unendlich weit hinausgeht; etwas, was der normale Mensch nie hoffen kann zu verstehen. Er behauptet, daß er auf dieser Stufe »unmittelbar an der göttlichen Natur teilhat«, sich des Genusses der Wirklichkeit erfreut. Da wir »nur das schauen, was wir sind«, so ist die Lehre von der Vergottung eine natürliche und logische Konsequenz dieser Behauptung.

»Falls nun jemand fragt,« sagt der Verfasser der Theologia Deutsch, »was ein vergotteter oder göttlicher Mensch sei, so ist die Antwort: der durchleuchtet oder durchglänzt ist mit dem ewigen oder göttlichen Licht und entzündet oder entbrannt mit ewiger und göttlicher Liebe, der ist ein göttlicher oder vergotteter Mensch Theologia Deutsch Kap. XLI.

Ein solches Wort wie »Vergottung« ist natürlich kein wissenschaftlicher Ausdruck. Es ist eine Metapher, ein poetisches Bild, das eine metaphysische Tatsache, welche gänzlich jenseits alles menschlichen Begriffsvermögens liegt, und für die es daher kein entsprechendes Wort in der menschlichen Sprache gibt, anzudeuten versucht; die Tatsache, deren Schattenbild Dante wahrnahm, als er die Heiligen als Blumenblätter der Ewigen Rose sah Paradies XXX, 115-130 und XXXI. 1-12.. Da wir das Wesen Gottes nicht kennen, so kann die bloße Feststellung, daß eine Seele in Ihn umgewandelt ist, uns wohl irgendeine ekstatische Ahnung geben, aber niemals eine genaue Vorstellung, natürlich mit Ausnahme der seltenen Menschen, die diese höheren Zustände selbst an sich erfahren haben. Solche Menschen jedoch – oder wenigstens der größte Teil derselben – nehmen diese Feststellung als annähernd wahr hin. Während die Klarblickenderen unter ihnen darauf bedacht sind, sie in einem Sinne zu qualifizieren, der pantheistische Deutungen ausschließt und den Vorwurf zurückweist, daß extreme Mystiker die Vernichtung des Selbst predigten und sich als gottgleich betrachteten, lassen sie uns nicht im Zweifel darüber, daß sie einem bestimmten und normalen Erleben vieler Seelen entspricht, die auf eine höhere Stufe geistlichen Lebens gelangt sind. Dies Bild wird besonders von denjenigen Mystikern gebraucht, die in der Wirklichkeit mehr einen Zustand oder Ort als eine Person sehen Vgl. S. 169. und die bei der Beschreibung der früheren Stadien ihrer Reise zu Gott das Gleichnis der Wiedergeburt oder Erneuerung brauchten.

Das ausdrückliche und bestimmte Reden von Vergottung bei den Mystikern hat unter den Nichtmystikern mehr Gegnerschaft hervorgerufen als irgendeine andere mystische Lehre oder Übung. Natürlich ist es leicht, solche Sprache gotteslästerlich zu finden, wenn man sich nur an den an der Oberfläche liegenden Sinn hält, wozu man sich meistens hat verleiten lassen. Doch wenn man diese Lehre richtig versteht, so bildet sie den Kern nicht nur aller Mystik, sondern auch eines großen Teiles aller Religion. Sie ist die letzte Konsequenz ihrer ersten Grundsätze. »Das Wunder aller Wunder ist das Menschliche, das göttlich wird«, sagt Eucken, dem niemand den Vorwurf einer bewußten Hinneigung zum Mystizismus machen kann Der Wahrheitsgehalt der Religion (1901) S. 433. [Wörtlich lautet die Stelle: »Auch der neuen Fassung (des Christentums) gilt die Einigung von Göttlichem und Menschlichem als ein großes, alle menschliche Geistigkeit begründendes Wunder, aber seiner näheren Fassung nach ist ihr dieses Wunder die Schöpfung eines neuen vollkommenen Lebens« usw.]. Die christliche Mystik, sagt Delacroix treffend, ist »jenem spontanen und halbwilden Verlangen nach Vergottung entsprungen, das in jeder Religion enthalten ist Etudes d'Hist. du Mysticisme IX. Aber es ist schwer einzusehen, weshalb wir des Menschen Urtrieb nach seiner Bestimmung als »halbwild« brandmarken sollen.«. Das morgenländische Christentum hat es immer anerkannt und in seinen Riten zum Ausdruck gebracht. »Der Leib Gottes vergottet mich und nährt mich,« sagt Simeon Metaphrastes, »er vergottet meinen Geist und nährt meine Seele auf unbegreifliche Weise Liturgie des Gottesdienstes der griechisch-katholischen Kirche. Gebet vor dem Abendmahl.

Die christlichen Mystiker rechtfertigen dies Dogma von der Vergottung des Menschen, indem sie es als notwendige Konsequenz der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes, aufweisen. Sie können sich dabei auf die Autorität der Kirchenväter berufen. »Er ward Mensch, auf daß er die Menschen, obwohl sie Menschen bleiben, doch zu Göttern mache«, sagt der hl. Athanasius Athanasius, De Incarn. Verbi I, 108.. »Ich hörte«, sagt der hl. Augustinus, indem er von der Zeit vor seiner Bekehrung spricht, »deine Stimme aus der Höhe: ›Ich bin das Brot der Großen. Wachse, so wirst du mich essen. Und wirst nicht mich in dich verwandeln, wie die Speise deines Fleisches, sondern wirst in mich gewandelt werden Conf. VII, 10..‹« Eckehart führt also nur diese patristische Anschauung weiter aus, wenn er sagt: »Unser Herr spricht zu einer jeglichen liebenden Seele: Ich bin euch Mensch gewesen, seid ihr mir nicht Götter, so tut ihr mir unrecht Pred. LVII (Pfeiffer 181, 29 f.).

Wenn wir überhaupt zugeben müssen, daß die Mystiker jemals das Ziel ihres Strebens erreicht haben, so müssen wir, glaube ich, auch zugeben, daß ein solches Erreichen die Umwandlung des Selbst in den Zustand, den sie in Ermangelung eines genauen Ausdrucks »Vergottung« nennen, mit sich bringt. Die Notwendigkeit einer solchen Umwandlung ist eine stillschweigende Folgerung ihrer ersten These: des Gesetzes, daß »wir das schauen, was wir sind, und das sind, was wir schauen«. Eckehart, bei dem diese Ausdrucksweise ihre extremste Form annimmt, rechtfertigt sie aus diesem Grunde. »Soll ich aber Gott so ohne Vermittlung erkennen, so muß ich geradezu Er werden und Er ich. Weiter sage ich: Gott muß geradezu ich werden und ich geradezu Gott, so ganz eins, daß dies Er und dies Ich eins werden und sind Pred. XCIX (Pfeiffer 320, 7-11; Büttner 1, 167; Landauer 122).

Gott ist das Land der Seele, sagt der hl. Augustin; Er ist ihre Heimat, sagt Ruysbroeck. Der Mystiker lebt im Zustande der Einigung in und von seinem Heimatlande; er ist kein fremder Forscher, sondern ein heimgekehrter Verbannter, der jetzt ganz mit ihm eins, ein Teil von ihm geworden ist, unbeschadet seiner Persönlichkeit. Wie niemand den Geist Englands kennt als die Engländer selbst, die ihn durch unmittelbares Teilhaben, durch Einssein mit ihm, nicht durch gedankliche Analyse kennen, so kennt niemand als der »Vergottete« das geheime Leben Gottes. Auch dies ist eine Erkenntnis, die nur durch Teilhaben erlangt wird: indem man dies Leben lebt, seine Atmosphäre atmet, »eins wird mit demselben Licht, durch das man sieht und das man sieht Ruysbroeck, Zierde der geistlichen Hochzeit III, 5.«. Sie ist eines der Bürgerrechte, die nicht künstlich verliehen werden können. Daher ist es wichtig, die Mystiker zu fragen, was sie uns über das Leben, das sie im Schoß der Wirklichkeit gelebt, zu sagen haben, und ihre Berichte ohne Vorurteil aufzunehmen, wie schwer uns die Aussagen, die sie enthalten, auch eingehen.

Das Erste, was aus diesen Berichten hervorgeht und aus der Wahl der Symbole, die wir in ihnen finden, ist, daß die großen Mystiker vor allem darauf bedacht sind, die Wahrheit festzustellen und uns einzuprägen, daß sie unter »Vergottung« nicht ein anmaßendes Sich-Gott-Gleichsetzen verstehen, sondern sozusagen eine Durchdringung ihres Selbst von Seinem Selbst, ein Eingehen in eine neue Lebensordnung, die so hoch und so in Einklang mit der Wirklichkeit ist, daß sie nur als göttlich bezeichnet werden kann. Immer wieder versichern sie uns, daß die Persönlichkeit dabei nicht aufgegeben, sondern in einem höheren Sinne verwirklicht wird. »Wenn ich mit meinem ganzen Wesen an dir hängen werde,« sagt der hl. Augustinus, »wird mir nirgends Schmerz noch Mühe sein, und mein Leben, ganz voll von dir, wird wirkliches Leben sein Conf. X, 28..« »Mein Leben wird wirkliches Leben sein«, weil es »voll von dir« ist. Die Verwirklichung und die Vergottung sind also ein und dasselbe, ganz naturgemäß, da wir wissen, daß nur das Göttliche wirklich ist Cf. Coventry Patmore, The Rod, the Root, and the Flower, Magna Moralia XXII..

Mechthild von Magdeburg und nach ihr Dante sahen die Gottheit als eine Flamme oder als einen feurigen Strom, der das Weltall erfüllt, und die »vergotteten« Seelen der Heiligen als lebendige Funken darin, von jenem Feuer erglühend, eins mit ihm, und doch von ihm unterschieden Paradies XXX, 64.. Auch Ruysbroeck sah »jede Seele als eine brennende Kohle, die Gott an dem Feuer Seiner grundlosen Minne entzündet hat Von sieben Stufen der Minne Kap. XIV (Werke IV, 57, 23 f.).«. Dies Bild des Feuers haben viele Mystiker gewählt als ein besonders treffendes und suggestives Symbol des transzendenten Zustandes, den zu beschreiben sie bemüht sind. Sie haben die dunkle Wolke des Nichtwissens, die sie so lange verwirrte, durchdrungen und ihr Ziel gefunden: jenes unerschaffene und Kraft gebende Feuer, das die Kinder Israels durch die Nacht leitete.

Indem die mystischen Schriftsteller immer wieder zu dem Gleichnis dieser großen unpersönlichen Kräfte – Feuer, Wärme, Licht, Wasser, Luft – ihre Zuflucht nehmen, sind sie imstande, uns eine anschauliche Vorstellung von der Gottheit und von dem Teilhaben der verklärten Seele an ihr zu geben, wie sie eine rein persönliche Sprechweise an sich nie anzudeuten vermag. So sagt Boehme, indem er versucht, die Vereinigung des Wortes mit der Seele zu beschreiben: »Ich gebe dieses ein irdisch Gleichnis: Siehe an ein glühendes Eisen, das ist in sich selber finster und schwarz, und das Feuer durchdringet das Eisen, daß es alles leuchtet. Nun geschiehet doch dem Eisen nichts, es bleibet Eisen; und die Qualität des Feuers behält ihr eigen Recht; sie nimmt nicht das Eisen in sich, sondern sie durchdringet das Eisen. Und ist das Eisen einmal als das andere frei in sich, und auch die Qualität des Feuers: keines ist das andere. Also ist die Seele in das Feuer der Gottheit gesetzet: die Gottheit durchscheinet die Seele und wohnt in der Seele, aber die Seele begreifet nicht die Gottheit, aber die Gottheit begreifet die Seele und verwandelt sie doch nicht, sondern gibt ihr nur göttliche Qualität der Majestät Von dem dreifachen Leben des Menschen VI, 84-86.

Fast genau dasselbe Bild der Vergottung hatte 500 Jahre vor Boehme Richard von St. Victor gebraucht, ein Mystiker, den Boehme schwerlich gelesen haben wird. »Wenn die Seele vom Feuer der göttlichen Liebe verschlungen ist,« sagt er, »so verliert sie, wie das Eisen, zuerst ihre Schwärze und wird dann, während sie zu weißer Hitze erglüht, dem Feuer selbst gleich. Und am Ende wird sie flüssig und verliert ihre alte Natur und wird in ein ganz neues Wesen umgewandelt.« »So verschieden das kalte Eisen vom heißen Eisen ist,« sagt er wiederum, »so verschieden ist die laue Seele von der in göttlicher Liebe entbrannten Seele De Quatuor Gradibus Violentae Charitatis (Migne, Patrologia Latina CXCVI) 1221 B [in freier Zusammenfassung]..« Andere Kontemplative sagen, daß die vergottete Seele durch eine Überflutung mit dem Unerschaffenen Lichte verklärt wird; daß sie wie ein im Ofen flammender Brand ist, der selbst dem Feuer gleich geworden ist. »Wie der Brand,« sagt die göttliche Stimme zu der hl. Katharina von Siena, »der ganz in der Esse verzehrt ist, so daß niemand ihn fassen kann, um ihn zu löschen, weil er zu Feuer geworden ist, so sind diese Seelen in die Esse meiner Liebe geworfen, daß nichts von ihnen außerhalb meiner bleibt, d. h. nichts von ihrem Willen, sondern sie sind ganz in mir entflammt, und niemand ist, der sie fassen oder aus mir hinausziehen könnte, weil sie ganz eins mit mir geworden sind, und ich mit ihnen; und niemals mehr entziehe ich mich ihnen dem Gefühl nach, so daß ihr Geist mich nicht in sich fühle, wie ich dir von den andern sagte, bei denen ich ging und zurückkehrte, dem Gefühl und nicht der Gnade nach; und dies tat ich, um sie zur Vollkommenheit zu führen Dialogo Kap. LXXVIII.

Die scharfsinnigsten und feinsten Schilderungen des Zustandes der Einigung oder der Vergottung, der als ein Sichverlieren in den »stillen Ozean Gottes« verstanden wird, verdanken wir dem genialen Ruysbroeck. Er allein hat uns, alle Fallgruben vermeidend, eine lebendige Vorstellung von den unaussprechlichen Freuden dieses Zustandes gegeben, wie wir sie als Ausdruck menschlicher Rede nie für möglich gehalten hätten. Ehrfurcht und Entzücken, theologische Gründlichkeit und tiefe psychologische Einsicht verbinden sich mit einer rührenden Schlichtheit. Wir lauschen hier dem Bericht eines Menschen, der tatsächlich »den Ruf der Liebe« vernommen hat, welcher »innige Seelen zu dem Einen hinzieht« und sagt »Kommt heim!« Bescheidene Empfänglichkeit, demütige Selbstaufgabe ist für Ruysbroeck wie für alle großen Mystiker das Tor zur Stadt Gottes. »Weil sie sich Gott ergeben haben im Tun und im Lassen und im Dulden, darum haben sie immer Friede und inwendige Freude, Trost und Wohlgeschmack, die die Welt nicht empfangen kann, noch irgendein eitles Geschöpf, noch irgendein Mensch, der sich selbst mehr sucht und liebt denn die Ehre Gottes. Diese innigen, in ihrem Schauen erleuchteten Menschen haben immer, wenn sie wollen, vor sich die Minne Gottes, die sie in sich zieht und zur Vereinigung einladet – – –. Und so wird der Mensch erhoben über die Vernunft, auf dreifache Weise zur Einheit und auf einfache Weise zur Dreifaltigkeit. Gleichwohl wird die Kreatur nicht Gott. Denn die Einigung geschieht durch Gnade und zurückgeworfene Liebe zu Gott. Darum fühlt die Kreatur Unterschied und Andersheit zwischen sich und Gott in ihrer innersten Einsicht. Und wiewohl die Einigung unmittelbar ist, so sind die mannigfaltigen Werke, die Gott im Himmel und auf Erden wirkt, dem Geiste dennoch verborgen. Denn gibt sich Gott gleich wie Er ist, mit klarem Unterschiede, Er gibt sich in das Wesen der Seele, wo der Seele Kräfte über alle Vernunft vereinheitlicht sind und die Überformung Gottes in Einfalt erleiden. Da ist alles in vollem und überfließendem Maße. Denn der Geist fühlt sich als Eine Wahrheit und Eine Fülle und Eine Einheit mit Gott. Dennoch ist auch da noch ein wesentliches Vorwärtsneigen, und das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Wesen der Seele und dem Wesen Gottes, und das ist der höchste Unterschied, den man fühlen kann Ruysbroeck, Buch der höchsten Wahrheit Kap. XI (Werken VI, 261, 5-13, 262, 7-23). [Das Folgende scheint eine freie Zusammenfassung von Kap. VIII.].« »Denn die Einheit ist eine Kraft, die alles das, was sie in die Welt gesetzt hat an Natürlichem und Übernatürlichem, zu sich hinzieht. Erleuchtete werden über die Vernunft emporgehoben ins Reich der nackten Vision. Dort wohnt und ruft die göttliche Einheit. Daher dringt ihr gereinigter und freier Blick durch das Tun aller erschaffenen Dinge und verfolgt es und erforscht es bis in seine höchsten Höhen. Und diese reine Schau ist durchdrungen und durchtränkt von dem Ewigen Licht, wie die Luft von der Sonne durchdrungen und durchtränkt ist. Der nackte Wille wird durch die Ewige Liebe verwandelt, wie das Eisen durch das Feuer. Der nackte Geist steht aufrecht und fühlt sich eingehüllt, bestätigt und befestigt durch die formlose Unermeßlichkeit Gottes. So wird, weit über alle Vernunft hinaus, das erschaffene Abbild durch ein dreifaches Band mit seinem ewigen Urbild, dem Ursprung und Prinzip seines Lebens, vereint.«

»Wenn wir in Liebe über alle Dinge hinausgehen, und allem Denken absterben in Nichtwissen und Dunkelheit, dann werden wir überformt mit dem ewigen Worte, das ein Ebenbild des Vaters ist. Und in der Untätigkeit unseres Geistes empfangen wir die unbegreifliche Klarheit, die uns umfaßt und durchdringt, gleichwie die Luft durchdrungen wird mit der Klarheit der Sonne. Und diese Klarheit ist nichts anderes als ein grundloses Starren und Schauen. Was wir sind, das starren wir an, und was wir anstarren, das sind wir; denn unser Denken, Leben und Wesen ist einfältiglich erhoben und geeint mit der Wahrheit, die Gott ist Ruysbroeck, Von dem weißen Steine, Kap. IX (Werken VI, 219, 26 bis 220, 10).

Hier scheint die Auffassung des Absoluten als Persönlichkeit fast ganz geschwunden, aber alles, was wir bei der Persönlichkeit schätzen – Liebe, Tatkraft, Wille –, bleibt unvermindert bestehen. Es ist, als würden wir zu einer Ebene des Schauens emporgehoben, auf der die Kategorien des menschlichen Geistes nicht mehr gelten, zum Anschauen eines andern Etwas – unserer Heimat, unserer Hoffnung, unserer Leidenschaft, der Vollendung unserer Persönlichkeit und der Substanz alles dessen, was da ist. Eine solche endlose Schau, ein solches Wohnen in der Substanz des Guten, Wahren und Schönen, macht das Wesen jener Visio Beatifica, jener »Teilhabung an der Ewigkeit« aus, die, »da sie höchst erfreulich und erwünscht ist, von denen, die sie besitzen, aufs höchste geliebt wird Thomas v. Aquino, Summa Contra Gentiles III, 62.«, – wie die Theologie sie unserer Seele als Ziel setzt.

Diejenigen Mystiker des metaphysischen Typus, die diese unpersönlichen Symbole von Ort und Ding mit Vorliebe verwenden, sehen häufig in dem Leben der Einigung einen Vorgeschmack der Visio Beatifica, ein Eingehen hier und jetzt in das absolute Leben innerhalb des göttlichen Seins, das allen vollkommenen Geistern zuteil wird, sobald sie die Schranken des Fleisches abgeworfen haben und wieder in die ewige Ordnung, für die sie geschaffen waren, eingegangen sind. Für sie ist der »vergottete Mensch« kraft seiner intuitiven Erkenntnis der transzendenten Wirklichkeit der menschlichen Geschichte vorangeeilt und hat eine Bewußtseinsform erreicht, zu der andere Menschen erst nach Ablauf ihres irdischen Lebens gelangen können.

Im »Büchlein von der Wahrheit« gibt Seuse einen schönen und poetischen Vergleich zwischen dem Leben der seligen Geister, die in dem Ozean göttlicher Liebe wohnen, und dem ähnlichen Leben, das der Mystiker auf Erden lebt, der aller Selbstheit entsagt hat und seinen Willen in den der ewigen Wahrheit versenkt hat. Hier finden wir eine der besten Antworten auf den alten, aber scheinbar unsterblichen Vorwurf, daß die Mystiker die gänzliche Vernichtung der Persönlichkeit als Ziel und Objekt ihres Strebens lehren. »Lieber Herr, sag' mir,« sagt der Jünger, »bleibt einem seligen gelassenen Menschen noch irgend etwas?« Die Wahrheit: »Es geschieht ohne Zweifel, wenn der gute und getreue Knecht eingeführt wird in die Freude seines Herrn, so wird er trunken von dem unermeßlichen Überfluß des göttlichen Hauses; denn ihm geschieht in unaussprechlicher Weise wie einem trunkenen Menschen, der sich selbst vergißt, daß er seiner selbst nicht mächtig ist, daß er sich selbst zumal entworden ist und sich in Gott verloren hat und ein Geist mit ihm geworden ist, ganz in der Weise, wie wenn ein kleines Tröpflein Wasser in viel Wein gegossen wird. Denn wie dieses sich selber entwird, wenn es den Geschmack und die Farbe des Weines an sich und in sich zieht, also geschieht denen, die in vollem Besitz der Seligkeit sind, daß ihnen in unaussprechlicher Weise alle menschliche Begierde entweicht und sie sich selber entsinken und zumal in den göttlichen Willen versinken. Sonst könnte die Schrift nicht wahr sein, die da sagt, daß Gott solle werden alles in allen [I. Kor. 15, 28.], wenn vom Menschen im Menschen etwas bliebe, das nicht zumal aus ihm gegossen würde. Da bleibt wohl sein Wesen, aber in einer andern Form, in einer andern Glorie und in einem andern Vermögen. Und das kommt alles von der unergründlichen Gelassenheit ihrer selbst … Aus dieser ganzen Rede kannst du eine Antwort auf deine Frage entnehmen, denn eine rechte Gelassenheit eines solchen edlen Menschen in der Zeit ist nachgebildet und gestaltet nach der Gelassenheit der Seligen, von denen die Schrift spricht, und zwar mehr oder weniger, je nachdem die Menschen mehr oder minder geeinigt oder eins geworden sind. Und merke besonders, daß sie da der Ihrsheit entsetzt werden und übersetzt in eine andere Form und in eine andere Glorie und in eine andere Gewalt. Was ist nun die andere fremde Form anders als dasselbe zu sein wie die göttliche Natur und das göttliche Wesen, in das sie verfließen und das sich in sie verfließt? Was ist denn eine andere Glorie, als verklärt und verherrlicht zu werden in dem seienden Lichte, das keinen Zugang hat? Was ist denn ein anderes Vermögen, als daß von der Selbstheit und derselben Einigkeit dem Menschen eine göttliche Kraft und göttliches Vermögen gegeben wird, alles zu tun und zu lassen, was zu seiner Seligkeit gehört? Und also wird der Mensch entmenscht, wie gesagt ist Seuse, Büchlein der Wahrheit IV (Bihlm. 336, 5-24; 337, 7-22).

Alle Mystiker stimmen darin überein, daß der Verzicht auf jede persönliche Initiative, auf das Ich, das Mir, das Mein, gänzliche Entsagung oder »Selbstvernichtung« – Ergebung in die Leitung eines größeren Willens – eine unumgängliche Bedingung für die Erreichung des Lebens der Einigung ist. Die zeitweilige Entleerung des Geistes, wodurch der Kontemplative für die Schauung Gottes Raum schuf, muß jetzt auf das ganze Leben angewandt werden. Hier, sagen sie, wird das eigenwillige Ich, in welchem wir für gewöhnlich unser Selbst sehen, gänzlich verschlungen. Es verschwindet auf immer, und etwas Neues tritt an seine Stelle. Das Selbst wird zu einem Teil des mystischen Leibes Gottes, und indem es demütig seinen Platz im Gesamtleben der Wirklichkeit einnimmt, »wäre es gern dem ewigen Gut, was dem Menschen seine Hand ist Theologia Deutsch Kap. X.«. Jener seltsame »Hunger und Durst Gottes nach der Seele«, »begierig und freigebig zugleich«, von dem sie in ihren tiefsten Äußerungen reden, stellt hier seine letzte Forderung und findet seine Befriedigung. »Christi Minne ist zugleich gierig und freigebig. Gibt er uns alles, was Er hat und was Er ist, so nimmt Er uns dafür auch alles, was wir haben und was wir sind Ruysbroeck, Spiegel der ewigen Seligkeit Kap. VII (Werken III, 156, 18-157, 1).

Das Selbst, behaupten sie, wird vom Abgrund verschlungen, »versinkt in Gott, der die Tiefe der Tiefen ist«. In ihrem Bestreben, uns dies zu schildern, diesen höchsten mystischen Akt und das neue Leben, das daraus geboren wird, werden sie oft dazu getrieben, Bilder zu gebrauchen, die uns grotesk erscheinen müßten, fühlten wir nicht die Flamme, die dahinter brennt; wie z. B. wenn Ruysbroeck ausruft:

»Essen und gegessen werden, dies ist Einigung! …
Da sein Verlangen ist ungemessen,
Was Wunder, werden wir gegessen
In seiner großen Begehrlichkeit Vom Reiche der Liebenden Kap. XXII (Werken IV, 195, 22; 196, 4-6).

B. Hier wird uns klar, daß der Ausdruck »Vergottung« für sich allein noch nicht genügt, um das letzte Erleben der Wirklichkeit zu beschreiben. Es muß auch die persönliche, gefühlsmäßige Seite im Verhältnis des Menschen zu seinem Ursprung hinzukommen, wenn das, was er unter »Einigung mit Gott« versteht, auch nur unvollkommen zum Ausdruck gelangen soll. Daher sieht sich selbst der metaphysischste Mystiker bei dem Bestreben, den Inhalt seiner metaphysischen Verzückungen wiederzugeben, beständig genötigt, die Sprache der Liebe zu Hilfe zu nehmen, und er muß schließlich zugeben daß die vollkommene Vereinigung des Liebenden mit dem Geliebten sich nicht durch die trockene, wenn auch zweifellos exakte Sprache religiöser Philosophie andeuten läßt. Eine solche trockene Sprache vermeidet zwar die höchst gefährlichen Entgleisungen, denen der Ausdruck »Einigung mit Gott« ausgesetzt ist: die pantheistische auf der einen, die »amoristische« auf der andern Seite; aber sie ist auch nicht imstande, diese wunderbare Vision der Wahrheit von ihrer herrlichsten Seite darzustellen. Dazu bedarf es einer persönlicheren, innerlicheren Vision als Ergänzung, und wir werden eben diese vollendenden Züge in den Berichten derjenigen Mystiker des intimen Typus finden, für die das Leben der Einigung nicht Sichselbstverlieren in ein absolutes Sein ist, sondern Selbsterfüllung in der Vereinigung von Herz und Willen.

Die extreme Form dieser Vorstellungsart findet natürlich ihren Ausdruck in dem wohlbekannten und vielgeschmähten Gleichnis der geistlichen Hochzeit zwischen Gott und der Seele; ein Gleichnis, das auf die orphischen Mysterien zurückgeht und von dort über den Neuplatonismus in den Strom der christlichen Tradition einging. Aber es gibt andere, weniger konkrete Formen, die gänzlich frei sind von den Gefahren, welche hinter »erotischen« Bildern dieser Art lauern sollen. So schildert Dschelal ed Din in Bildern, die kaum menschlich, doch mit leidenschaftlichem Gefühl geladen sind, nicht weniger eindrucksvoll als der Verfasser des Hohenliedes das Geheimnis dieser Vereinigung, in der »das Herz zum Herzen spricht«.

»Mit deiner Seele hat sich meine
Gemischt, wie Wasser mit dem Weine.
Wer kann den Wein vom Wasser trennen?
Wer dich und mich aus dem Vereine?
Du bist mein großes Ich geworden,
Und nie mehr will ich sein dies kleine.
Du hast mein Wesen angenommen,
Soll ich nicht nehmen an das deine?
Auf ewig hast du mich bejahet,
Daß ich dich ewig nie verneine.
Dein Liebesduft, der mich durchdrungen,
Geht nie aus meinem Mark und Beine.
Ich ruh' als Flöt' an deinem Munde,
Als Laut' in deinem Schoß alleine.
Gib einen Hauch mir, daß ich seufze,
Gib einen Schlag mir, daß ich weine Rückert, Mewlana Dschelaleddin Rumi II, 4 (Poet. Werke 5, 225).

Was der Mystiker uns hier sagen will, ist, daß sein neues Leben nicht nur ein freies und bewußtes Teilnehmen am Leben der Ewigkeit ist, ein festbegründetes Dasein auf höheren und wirklicheren Ebenen, sondern auch das bewußte Empfangen eines einströmenden persönlichen Lebens, das größer ist als sein eigenes; ein Festerwerden der Bande jener Gemeinschaft, die während des mystischen Weges immer enger und herrlicher geworden ist. Diese Gemeinschaft, die zugleich die wirklichste und die am wenigsten faßbare Tatsache menschlicher Erfahrung ist, liegt weit über die Möglichkeit sprachlichen Ausdrucks hinaus. Ebenso ist es mit jenen Mysterien der Liebesgemeinschaft, durch welche die demütige, tätige und immer erneute Selbsthingabe der Seele das Mittel ihrer Verherrlichung wird und sie »durch ihre Liebe der Liebe ebenbürtig wird«, das Bettelmädchen, das Cophetuas Thron teilt Anspielung auf die altenglische Ballade von dem afrikanischen Könige Cophetua, der die Bettlerin Pendophon heiratete, s. Percy's Reliques of Ancient English Poetry Vol. I, Book II, 4 (King Cophetua and the Beggar maid). Shakespeare spielt öfter darauf an, bes. in »Love's Labour's lost«..

So schreibt der anonyme Verfasser des »Mirror« in einer seiner kühnsten Stellen: »Ich bin Gott, sagt die Liebe, denn die Liebe ist Gott, und Gott ist die Liebe. Und diese Seele ist Gott durch ihren Zustand der Liebe; aber ich bin Gott durch meine göttliche Natur. Und in diesem Zustand ist sie nach dem Recht der Liebe. So daß diese von mir geliebte Seele durch mich aus sich selbst herausgeführt wird … Diese Seele ist der Adler, der hoch fliegt, so hoch und höher als irgendein anderer Vogel, denn er ist mit schöner Liebe beschwingt The Mirror of Simple Souls f. 157 b.

Der einfachste Ausdruck für dies Leben der Einigung, die einfachste Deutung, die wir den Aussagen darüber geben können, ist die, daß es die Vollendung und bewußte Erfüllung dieser vollkommenen Liebe im Hier und Jetzt ist. In ihm schwingen gewisse auserlesene Geister, während sie noch im Fleische sind, sich höher und immer höher auf, bis sie »aus sich selbst herausgeführt«, wie es in der gesteigerten Sprache des »Mirror« heißt, »durch den Zustand der Liebe Gott werden«. Die bodenständige englische Mystik versuchte in der Regel das Unaussprechliche in einfacheren, gemäßigteren Formeln auszudrücken. »Ich möchte, daß du wüßtest,« sagt der unbekannte Verfasser des »Epistle of Prayer«, »wie es geschieht, daß die Seele des Menschen mit Gott verknüpft wird und eins mit Ihm wird in Liebe und Übereinstimmung des Willens, nach dem Worte des hl. Paulus, der da sagt: › Qui adhaeret Deo, unus spiritus est cum illo‹, das heißt: Wer Gott in solch einer ehrfürchtigen Liebe, wie sie oben erwähnt ist, naht, ist Ein Geist mit Ihm [1. Kor. 6, 17.]. Nämlich, wenn auch Gott und er zwei und verschieden an Art sind, so sind sie doch in der Gnade so eng verbunden, daß sie im Geiste Eins sind; und zwar durch Einheit der Liebe und Übereinstimmung des Willens, und in dieser Einheit vollzieht sich die Ehe zwischen Gott und der Seele, die nie gebrochen wird, wenn auch die Glut und Inbrunst eine Weile nachläßt, es sei denn durch eine Todsünde. In dem geistlichen Gefühl dieser Einheit mag eine liebende Seele wohl folgendes heilige Wort sagen und (wenn sie will) singen, das geschrieben steht im Buch der Lieder [Hohel. 2, 16.]: › Dilectus meus mihi et ego illi‹, das heißt: Mein Geliebter gehört mir und ich Ihm, in dem Sinne, daß Gott mit dir verknüpft ist durch den geistlichen Leim der Gnade auf Seiner und du mit Ihm durch liebende Einstimmung in Freudigkeit des Geistes auf deiner Seite The Epistle of Prayer. Angeführt nach Pepwells Ausgabe in The Cell of Selfknowledge, herausgegeben von Edmund Gardner, p. 88.

Ich glaube, niemand kann leugnen, daß der Vergleich des Bandes zwischen der Seele und dem Absoluten mit »geistlichem Leim«, wenn auch plump, so doch gänzlich unschuldig ist. Sein Erscheinen an dieser Stelle im Wechsel mit dem Symbol der Ehe dämmt vielleicht den unkritischen Eifer derer ein, die jede »sexuelle« Metapher ohne weiteres verdammen. Daß die Mystiker dies Bild passend und überzeugend gefunden haben, beweist sein Wiederauftreten im folgenden Jahrhundert in dem Werke eines größeren Kontemplativen. »Du gibst mir«, sagt Petersen, »dein ganzes Selbst, auf daß es ganz und ungeteilt mein sei, wenn ich nur ganz und ungeteilt dein bin. Und wenn ich so ganz dein sein werde, so hast du mich von Ewigkeit her geliebt, gleichwie du dich selbst von Ewigkeit her geliebt hast; denn dies bedeutet nichts mehr, als daß du dich in mir genießest, und daß ich durch deine Gnade dich in mir und mich in dir genieße. Und wenn ich mich in dir lieben werde, so liebe ich nichts anderes als dich, weil du in mir bist und ich in dir, zusammengeleimt als ein und dasselbe Wesen, das hinfort auf ewig nie geteilt werden kann Gerlac Petersen, Ignitum cum Deo Soliloquium Kap. XV.

Von diesem Bilde bis zu dem der geistlichen Hochzeit, im reinen Sinne der Mystiker, ist nur ein Schritt Vgl. Teil I Kap. 6. Es ist wohl überflüssig, die dort gegebenen Beispiele hier zu wiederholen.. Sie verstehen darunter keine ekstatischen Genüsse, kein fragwürdiges Vergeistigen irdischer Wonnen, sondern eine lebenslängliche Fessel, »die nie zerbrochen wird«, eine enge persönliche Vereinigung von Herz und Willen zwischen dem freien Selbst und jenem »Höchsten an Schönheit«, den es im Zustande der Kontemplation erkannt hat.

Der mystische Weg ist ein Fortschreiten und Wachsen in der Liebe, eine bewußte Pflege des inneren Triebes der Seele zu ihrem Ursprung hin, ein Ausrotten ihrer aufrührerischen Neigungen zu »zeitlichen Gütern«. Aber das Ende der Liebe muß immer Vereinigung sein, »vollkommenes Einswerden der Liebenden mit dem Geliebten Hilton, The Treatise written to a Devout Man VIII.«. Sie ist, wie die Philosophen sagen, »ein einigendes Prinzip Vgl. Ormond, Foundations of Knowledge p. 442: »Wenn wir irgendein Wesen lieben, so begehren wir entweder die Einswerdung seines Lebens mit dem unsern, oder unsre Einswerdung mit seinem Leben. Die Liebe ist in ihrem Grundmotiv ein einigendes Prinzip.««, das mächtige Agens des Lebens auf jeder Ebene. Und wie die irdische Heirat im sittlichen Sinne nicht als eine bloße Befriedigung persönlichen Verlangens angesehen wird, sondern als Teil des großen Lebensprozesses – als Verschmelzung zweier Kräfte im Dienste neuer Zwecke –, so bringt auch eine solche geistliche Hochzeit Pflichten und Verbindlichkeiten mit sich. Mit der Erreichung einer neuen Ordnung, dem Einströmen neuer Lebenskraft, kommt eine neue Verantwortlichkeit, der Aufruf zu neuen und größeren Anstrengungen und Ertragungen. Sie ist nicht ein Akt, sondern ein Zustand. Neues Leben strömt ein, wodurch unser Leben vollkommen wird; neue schöpferische Kräfte werden verliehen. Das Selbst wird zur göttlichen Ordnung emporgehoben, um der göttlichen Fruchtbarkeit zu dienen: als Kraftzentrum, als Quell höheren Lebens. »Diese Vollkommenheit«, sagt Thomas von Aquino, »wird einem Dinge zuletzt zuteil, daß es die Ursache anderer sei. Da nun ein geschaffenes Ding auf viele Weisen zur Ähnlichkeit mit Gott strebt, so bleibt ihm dies als Letztes übrig, daß es die Ähnlichkeit mit Gott dadurch suche, daß es die Ursache anderer sei … gemäß dem, was der Apostel sagt: Wir sind Gottes Mitarbeiter (l. Kor. 3, 9) Summa Contra Gentiles III, 21, 6.

Wenn wir die Geschichte der Mystiker studieren, so tritt uns die Tatsache entgegen, daß der dauernde Zustand der Einigung oder die geistliche Ehe für die, die dahin gelangen, in erster Linie und vor allem andern eine solche Steigerung schöpferischer Lebenskraft bedeutet. Sie bedeutet, daß das kleine Leben des Menschen von dem absoluten Leben durchdrungen und erhöht wird, daß die menschliche Geschichte Persönlichkeiten und Lebensläufe zeitigt, die dem Oberflächenbewußtsein als übermenschlich erscheinen. Eine solche Tätigkeit, ein solches Hervorbringen der »Früchte des Geistes« kann viele Formen annehmen; aber wo sie fehlt, wo uns persönliche Befriedigungen, persönliche Visionen oder Verzückungen, wie erhaben und vergeistigt diese auch sein mögen, als Kennzeichen des Weges der Einigung, als Ziel und Zweck des Suchens nach Wirklichkeit dargeboten werden, da können wir sicher sein, daß wir von dem »geraden und schmalen Wege«, der nicht zur ewigen Ruhe, sondern zum ewigen Leben führt, abgekommen sind. »Auf der vierten Stufe«, sagt Richard von St. Victor, »wird die Geliebte befruchtet De Quatuor Gradibus Violentae Charitatis. (Migne, Partol. Lat. CXCVI, 1216 D.).« Wo wir einer unfruchtbaren Liebe, einer »heiligen Passivität« begegnen, da stehen wir quietistischer Ketzerei gegenüber, nicht dem Leben der Einigung. »Ich halte es für gewiß,« sagt die hl. Teresa, »daß, wie ich schon bemerkt habe, der Herr mit diesen Gnaden unsere Schwäche stärken will, auf daß wir fähig werden, im Erdulden großer Leiden seinem Beispiel zu folgen … Woher nahm der hl. Paulus die Kraft, so große Trübsale zu ertragen? An ihm können wir deutlich die Wirkung von Visionen und Kontemplationen sehen, die wahrhaft von Gott kommen und keine wahnwitzigen Phantasiegebilde noch Teufelsspuk sind. Wenn ihm solche Gnaden zuteil wurden, verbarg er sich da etwa, um sich in Ruhe dem Genuß der Ekstase, die seine Seele überwältigte, hinzugeben, ohne sich um andere Dinge zu kümmern? Ihr wißt, daß er im Gegenteil seine ganzen Tage mit apostolischer Arbeit verbrachte und in der Nacht arbeitete, um sein Brot zu verdienen … O meine Schwestern, wie sehr muß die Seele, in welcher der Herr auf so ganz besondere Weise anwesend ist, ihr eigenes Behagen vergessen, wie wenig muß sie Anspruch machen auf Ehre, und wie fern muß ihr das Verlangen liegen, für irgend etwas zu gelten! Denn wenn sie ständig bei ihrem Bräutigam weilt, wie kann sie da an sich denken? Ihr einziger Gedanke ist, wie sie Ihn zufriedenstellen oder auf welche Weise sie Ihm ihre Liebe zeigen könnte. Hierzu dient das Gebet, meine Töchter, und nach Gottes Absicht hat diese geistliche Hochzeit keinen andern Zweck, als daß unaufhörlich Werk um Werk erzeugt werde. Und das ist, wie ich schon sagte, der beste Beweis, daß die Gnaden, die wir empfangen, von Gott kommen El Castillo Interior, Moradas Setimas Kap. IV..« »Um unserm Herrn vollkommene Gastfreundschaft zu erweisen,« sagt sie in demselben Kapitel, »müssen Maria und Martha sich vereinen.«

Wenn wir das Leben der großen theopathischen Mystiker, der wahren Eingeweihten der Ewigkeit, betrachten, so sehen wir uns – trotz ihrer häufigen Dunkelheit und Verworrenheit – einer erstaunlichen, überströmenden Vitalität gegenüber, einer sieghaften Kraft, über die die Verhältnisse keine Macht haben. »Das unaufhörliche Erzeugen von Werk um Werk« scheint in der Tat das Ziel jenes Geistes zu sein, dessen Gegenwart ihre innere Burg nun erfüllt.

Wir sehen, wie der hl. Paulus, nachdem er plötzlich von dem Ersten und Einzigen Schönen unterjocht worden, sich nicht verbirgt, um die Vision der Wirklichkeit zu genießen, sondern ganz allein auszieht, die katholische Kirche zu organisieren. Wir fragen uns, wie es einem einfachen römischen Bürger, ohne Geld, Einfluß, ja, ohne körperliche Gesundheit möglich war, diesen gewaltigen Grund zu legen, und er antwortet: »Nicht ich, sondern Christus in mir.«

Wir sehen, wie Jeanne d'Arc, ein schlichtes Landmädchen, die Schafhürde verläßt, um die Heere Frankreichs zu führen. Wir fragen, wie dies Unglaubliche geschehen konnte, und hören: »Ihre Stimmen geboten es ihr.« Eine Botschaft, ein überwältigender Antrieb kam aus dem Reiche des Übersinnlichen; Kraft strömte in sie ein, sie wußte nicht wie oder warum. Sie war eins geworden mit dem unendlichen Leben und ward sein Werkzeug, der Träger Seiner Kraft, »was einem Menschen seine eigene Hand ist.«

Wir sehen, wie der hl. Franziskus, »Gottes Troubadour«, mit Seinen Wunden gezeichnet, von Seiner Freude entbrannt – die Bild- und Kehrseite des Handgeldes der Ewigkeit –, und wie der hl. Ignaz von Loyola, der Ritter Unserer Lieben Frau, beide unverbesserliche Romantiker, ausziehen, um die geistliche Geschichte Europas zu wandeln. Wo fanden sie, die in einer nichts weniger als geistlichen Atmosphäre aufgewachsen und für eine höchst alltägliche Laufbahn erzogen waren, die überschwengliche Kraft, den Geist des Erfolges, der gerade in den hoffnungslosesten Lagen seine höchsten Triumphe feierte? Ignaz fand ihn in den langen Kontemplationen und in der harten Zucht der Höhle von Manresa, nachdem er seine Ritterschaft dem Dienste der Mutter Gottes geweiht hatte. Franziskus fand ihn vor dem Kruzifix in St. Damiano und erneuerte ihn in dem wunderbaren Erlebnis von la Verna, wo er »in geistiger Besessenheit und Verzücktheit von Gott verklärt wurde«.

Wir sehen, wie die hl. Teresa, auch eine geborene Romantikerin, nach langen und bitteren Kämpfen zwischen ihrer niederen und ihrer höheren Natur zum Zustande der Einigung gelangt. Im Alter von mehr als fünfzig Jahren, chronisch leidend, mit einem durch lange Krankheit und furchtbare Kasteiungen geschwächten Körper, bricht sie entschlossen mit ihrer bisherigen Lebensführung, verläßt ihr Kloster und beginnt ein neues Leben, indem sie Spanien durchreist und einen großen religiösen Orden, gegen den Widerstand der Geistlichkeit, reformiert. Noch erstaunlicher ist es, wie die hl. Katharina von Siena, ein unwissendes Kind aus dem Volke, nach dreijähriger Zurückgezogenheit die mystische Ehe vollzieht und aus der Zelle der Selbsterkenntnis hervortritt, um die Politik Italiens zu beherrschen. Wie kam es, daß diese scheinbar ganz ungeeigneten Männer und Frauen, die durch eine feindliche Umgebung, Krankheit, Sitte oder Armut von allen Seiten gehindert wurden, so erstaunliche Bestimmungen erfüllen konnten? Die Erklärung kann nur in der Tatsache liegen, daß alle diese Menschen große Mystiker waren, die auf hohen Daseinsebenen das theopathische Leben lebten. Bei jedem wurde ein heldenhafter Charakter von großer Lebenskraft, hoher Begeisterung, unbesieglichem Willen in die geistliche Sphäre emporgehoben, auf höheren Bewußtseinsebenen neu geschaffen. Jeder hatte durch völlige Selbstaufgabe, durch Hingabe an die großen Bestimmungen des Lebens, seinen natürlichen Sinn für das Unendliche so gesteigert, daß sie ihre menschlichen Schranken überschritten. So stiegen sie zur Freiheit auf und erreichten das, was der einzige Ehrgeiz der »vernichteten Seele« ist: »Ich möchte der ewigen Güte das sein, was die Hand dem Menschen ist.«

Selbst Madame Guyons natürliche Neigung zu passiven Zuständen schwindet mit dem Betreten des Weges der Einigung. Wenn sie auch nicht zu den größten der Eingeweihten gezählt werden kann, so fühlte doch auch sie seine befruchtende Kraft, wurde aus ihrer »heiligen Gleichgültigkeit« aufgerüttelt, um sich gleichsam wider Willen dem Typus anzugleichen.

»Die Seele«, sagt sie in bezug auf das Selbst, das in den Zustand der Einigung eintritt – und wir können nicht zweifeln, daß sie, wie gewöhnlich, einen ihrer eigenen sorgfältig verzeichneten »Zustände« schildert, – »fühlt, wie eine geheime Kraft immer stärker von ihrem ganzen Wesen Besitz nimmt, und nach und nach empfängt sie ein neues Leben, um es nie wieder zu verlieren, wenigstens soweit man in diesem Leben irgendeiner Sache sicher sein kann … Dies neue Leben ist nicht wie das, welches sie vorher hatte. Es ist ein Leben in Gott. Es ist ein vollkommenes Leben. Sie lebt oder wirkt nicht mehr aus sich selbst, sondern Gott lebt, handelt und wirkt in ihr, und dies nimmt immer mehr zu, bis sie vollkommen wird mit Gottes Vollkommenheit, reich mit Seinem Reichtum und mit Seiner Liebe liebt … Sie lebt nur mit dem Leben Gottes, und da Er das Prinzip des Lebens ist, kann es dieser Seele an nichts fehlen. Wieviel hat sie durch ihre Verluste gewonnen! Sie hat das Geschaffene hingegeben für das Ungeschaffene, das Nichts für das All. Alles ist ihr gegeben, aber nicht in ihr selbst, sondern in Gott, nicht als ihr Besitz, sondern als Gottes Besitz. Ihr Reichtum ist unermeßlich; denn er ist nichts anderes als Gott selbst Les Torrents I, Kap. 9.

»Ich bekenne,« sagt sie weiter, »daß ich den Zustand der Auferstehung und Vergottung gewisser Menschen nicht verstehe, die trotz desselben ihr Leben lang in einem Zustande von Ohnmacht und Verlassenheit bleiben; denn mit jenem beginnt für die Seele ein wirkliches Leben. Die Taten eines auferstandenen Menschen sind lebendige Taten; und wenn die Seele nach ihrer Auferstehung ohne Leben bleibt, so behaupte ich, daß sie tot und begraben, aber nicht auferstanden ist. Die auferstandene Seele sollte zu all den Taten fähig sein, die sie vor der Dunklen Nacht verrichtete, und sollte sie ohne Schwierigkeit verrichten, da sie sie in Gott verrichtet Ebenda II, Kap. 1.

Dies neue, intensive und wahrhaftige Leben hat andere und sogar wesentlichere Eigentümlichkeiten als die, die zur »Verrichtung von Taten« oder zum »unaufhörlichen Erzeugen von Werk um Werk« führen. Es ist im eigentlichsten Sinne, wie Richard von St. Victor uns zu bedenken gibt, nicht nur tätig, sondern auch fruchtbar und schöpferisch. Auf der vierten Stufe der Liebe erzeugt die Liebe ihre Kinder. Sie ist das Werkzeug eines neuen Einstroms geistlicher Lebenskraft in die Welt, die Gehilfin einer höheren Ordnung, die Mutter einer geistlichen Nachkommenschaft. Die großen, zu dieser höchsten Stufe gelangten Mystiker sind allzumal Gründer geistlicher Familien, Zentren, von denen neues übersinnliches Leben ausstrahlt. Das »fließende Licht der Gottheit« hat in ihnen seinen Brennpunkt wie in einer Linse, nur daß es durch sie hindurchgehen kann, um sich nach allen Seiten auszubreiten. So sind auch die großen schöpferischen Seher und Künstler nicht nur die Väter ihrer eigenen Werke, sondern ganzer Kunstschulen, ganzer Scharen von Menschen, die ihre Vision der Schönheit oder Wahrheit erben oder sich zu eigen machen. So wird innerhalb des Einflußbereiches eines Paulus, eines Franziskus, eines Ignatius, einer Teresa eine Atmosphäre von Wirklichkeit geschaffen; und neue Träger geistlichen Lebens treten auf, um die Arbeit fortzusetzen, die jene großen Gründer begonnen haben. Das wahre Zeugnis für das gottbegeisterte und -erfüllte Leben des hl. Paulus ist die Reihe christlicher Gemeinden, die die Bahn seiner Reisen bezeichnen. Überall, wohin der hl. Franziskus kam, ließ er Franziskaner zurück. Gottesfreunde tauchen vereinzelt überall im Rheinlande und in Bayern auf. Jeder wird zum Mittelpunkt eines sich stetig erweiternden Kreises religiösen Lebens, wird zum Vater einer geistlichen Familie. Sie sind, wie ihr Meister, zu dem Zweck gekommen, daß den Menschen ein volleres Leben zuteil werde; aus ihnen wird tatsächlich neue mystische Kraft in die Welt geboren. Ebenso verläßt Ignatius Manresa als armer geschwächter, unwissender Einsiedler. Als er nach Rom kommt, hat sich schon eine Gemeinde um ihn gebildet, die von seinem Geiste entflammt ist; seine wahren Kinder, die von ihm gezeugt und ein Teil seines Lebens sind.

Teresa findet den Karmeliterorden hoffnungslos verderbt, alle seine Mönche und Nonnen für die Wirklichkeit blind und gegen die Pflichten des Klosterlebens gleichgültig. Sie wird vom Geiste getrieben, ihr Kloster zu verlassen und in Armut und Verachtung mit der Gründung neuer Häuser zu beginnen, in größter Strenge und Erhebung des Geistes. Sie beginnt diese Aufgabe, von fast allgemeinem Spott begleitet. Im Fortgang stellen sich auf geheimnisvolle Weise Novizen ein und scharen sich um sie. Sie treten, man weiß nicht wie, ins Dasein, in einer höchst ungünstigen Atmosphäre, aber allesamt sind sie von dem teresianischen Salz durchdrungen. Sie werden von ihrer überquellenden Lebenskraft angesteckt, nehmen mit Eifer und Freudigkeit das heldenhafte Leben der Reform des Ordens auf sich. Schließlich enthält jede Stadt Spaniens Geisteskinder der hl. Teresa, ein ganzer Orden von Kontemplativen, die ebenso wahrhaft von ihr geboren sind, als ob sie ihre leiblichen Söhne und Töchter wären.

Die geistlichen Alchimisten können mit Recht sagen, daß der wahre Lapis Philosophorum ein Färbestein ist, der seine Goldheit den niederen Metallen mitteilt, die in seine Einflußsphäre gebracht werden.

Diese fortzeugende Kraft ist eines der Hauptkennzeichen des theopathischen Lebens, der wahren »mystischen Ehe« der Einzelseele mit ihrem Ursprung. Die seltenen Persönlichkeiten, bei denen sie sich findet, sind die Medien, durch die jene »überwindende Geistigkeit«, die das Wesen der Wirklichkeit ist, sich Eingang ins Zeitliche erzwingt und Kinder zeugt, Erben des überschwenglichen Lebens des transzendenten Alls.

Allein das Leben der Einigung ist mehr als die Totalsumme seiner Symptome; mehr als das heroische und apostolische Leben der »großen Tatmenschen«; mehr als die göttliche Mutterschaft neuer »Söhne des Absoluten«. Dies sind nur seine äußeren Zeichen, sein Ausdruck in Raum und Zeit. Ich habe auf diese Seite zuerst den Nachdruck gelegt, weil gerade sie von allen Kritikern und auch einigen Freunden der Mystiker hartnäckig übersehen wird. Die Fähigkeit des Kontemplativen, dies intensive und schöpferische Leben im Zeitlichen zu leben, hängt jedoch eng zusammen mit jenem andern Leben, in welchem er zu vollständiger Gemeinschaft mit der absoluten Ordnung gelangt und sich dem Einstrom ihrer höheren Lebenskraft hingibt.

Als wir den Beitrag der mystischen Erfahrung zu den Theorien des Absolutismus und des Vitalismus erörterten Teil I, Kap. 2., sahen wir, daß das Ganze des mystischen Bewußtseins und daher auch das Ganze der mystischen Welt einen zwiefachen Charakter hat. Es umfaßte, wie wir bemerkten, eine Wirklichkeit, die vom menschlichen Standpunkte aus zugleich statisch und dynamisch, transzendent und immanent, ewig und zeitlich erscheint; es erkannte sowohl die absolute Welt reinen Seins als die ruhelose Welt des Werdens als wesentliche Teile seiner Vision der Wahrheit an, die von ihm eine zwiefache Reaktion verlangte. Im ganzen Verfolg des mystischen Weges fanden wir Spuren des Wachstums und der Auswirkung dieser zwiefachen Intuition des Wirklichen. Nun ergreift der reife Mystiker, nachdem er seinen vollen Wuchs erreicht hat, durch die Reinigung der Sinne und des Willens hindurchgegangen ist und sein Erbe angetreten hat, mit Notwendigkeit als dies Erbe weder ausschließlich den Genuß der göttlichen Güte, Wahrheit, Schönheit, seinen Platz in der Ewigen Rose, noch andrerseits die schöpferische Tätigkeit eines Dieners der Ewigen Weisheit, der noch in den Strom des Lebens eingetaucht ist, sondern beides zusammen: die zwiefache Bestimmung der Geisteswelt. Er ist, nach der Sprechweise der alten Scholastik, zugleich leidend und handelnd, leidend in bezug auf Gott, handelnd in bezug auf den Menschen.

Im tiefen Sinne kann man von ihm sagen, daß er jetzt nach seinem Maße an dem gottmenschlichen Leben teilhat, das zwischen dem Menschen und dem Ewigen vermittelt und die Erlösung der Welt ausmacht. Wenn daher auch sein äußeres heldenhaftes Tatleben, seine göttliche Fruchtbarkeit uns als der beste Erweis seines Zustandes erscheint, so ist doch die innere Erkenntnis seiner mystischen Sohnschaft, durch die »wir ewiges Leben in uns fühlen über alle Dinge«, für ihn die Gewähr des absoluten Lebens. Er beschreibt diese zentrale Tatsache, dies eigentümliche Bewußtsein seiner Transzendenz, mit dem sich eine vollkommene Demut paart, auf mancherlei Weise. Bisweilen sagt er, daß er, während er in den besten Augenblicken seines natürlichen Lebens nur der »treue Diener« der ewigen Ordnung war und auf dem Wege der Erleuchtung ihr »heimlicher Freund« wurde, nun zu dem endgültigen, höchst geheimnisvollen Zustande des »verborgenen Sohnes« gelangt ist Ruysbroeck, Von dem weißen Steine Kap. IX (Werken VI, 219, 21 f).. »Darum«, sagt Ruysbroeck, »ist ein großer Unterschied zwischen den heimlichen Freunden und den verborgenen Söhnen Gottes; denn die Freunde erleben in sich nichts anderes als einen liebenden, lebenden Aufstieg in Weisen (modi); die Söhne erleben darüber hinaus einen einfältigen sterbenden Übergang in Unweisen. – – – Aber könnten wir auf uns selbst Verzicht leisten und auf allen Eigenwillen in unsern Werken, dann würden wir mit unserm nackten bildlosen Geiste alle Dinge übersteigen; und in dieser Nacktheit würden wir unmittelbar von dem Geiste Gottes getrieben werden; und dann würden wir uns sicher fühlen, daß wir vollkommene Söhne Gottes sind Ebenda Kap. VIII (S. 214, 17-21; 215; 21-27).

Wenn daher auch die äußere Laufbahn des großen Mystikers ein langer, mit übermenschlicher Anspannung durchgeführter Kampf mit Unglück und Widerwärtigkeit ist, so wohnt sein wirkliches, inneres Leben sicher auf den Höhen, im vollkommenen Genuß dessen, was er uns nur durch die paradoxen Gleichnisse von Unwissenheit und Leere anzudeuten vermag. Er beherrscht das Dasein, weil er auf diese Weise darüber hinausgelangt; er ist ein Sohn Gottes, ein Glied der ewigen Ordnung, hat teil an ihrem Leben im Wirklichen. »Ruhe ihrem Wesen nach, Tätigkeit ihrer Natur nach, absolute Ruhe, absolute Fruchtbarkeit«, dies ist, um wiederum die Worte Ruysbroecks zu gebrauchen, die zwiefache Eigenschaft der Gottheit, und der verborgene Sohn des Absoluten hat an diesem zwiefachen Charakter der Wirklichkeit teil – »für diese Würde ward der Mensch geschaffen S. oben S. 48.«.

Jene beiden Aspekte der Wahrheit, die er so plump als statisch und dynamisch, als Sein und Werden unterschieden hat, finden nun ihre endgültige Versöhnung in seiner eigenen Natur, denn diese Natur ist in allen ihren Teilen bewußt geworden und hat sich um ihre höchsten Elemente einheitlich geordnet. Das quälende Wunschbild eines vollkommenen Friedens, freudiger Selbstaufgabe, des Aufgehens in einem gewaltigeren Leben, das über das seine hinausgeht, – ein Wunschbild, das den Menschen durch den ganzen Lauf seiner Geschichte verfolgt und in all seinen Glaubensbekenntnissen einen mehr oder weniger verzerrten Ausdruck, in all seinen Ekstasen eine Rechtfertigung findet, ist nun auf seinen Ursprung zurückgeführt und stellt sich als unvermeidlicher Ausdruck eines Instinktes dar, mittels dessen er den edelsten Teil seines Erbes erkannte, wenn er ihn auch nicht erreichen konnte. Diese Erkenntnis war naturgemäß unvollkommen und schief. Sie hat bei manchen Naturen eine übertriebene Form angenommen und wurde noch dazu verhüllt durch die symbolische Sprache, in der man sie auszudrücken pflegte. Die Neigung der indischen Mystik, das Leben der Einigung nur von seiner passiven Seite zu sehen, als gänzliche Selbstvernichtung, als ein Hinschwinden in die Substanz der Gottheit, hat, wie ich glaube, ihre Ursache in einer solchen Verzerrung der Wahrheit. Der morgenländische Mystiker drängt sich dazu, »sein Leben auf den Höhen zu verlieren«, aber er kehrt nicht aus dem Grabe zurück, um seinen Mitmenschen die Leben gebende Botschaft zu bringen, daß er zum Besten der Menschheit den Tod überwunden hat. Der den abendländischen Mystikern von Natur eigene Hang zur Tätigkeit hat sie in der Regel vor solcher Einseitigkeit bewahrt, und daher hat das Leben der Einigung mit seinem »Dualismus von Tätigkeit und Ruhe« in ihnen seine reichste und edelste Gestalt angenommen.

Von all diesen abendländischen Mystikern hat niemand die zwiefache Reaktion des Menschen auf die Wirklichkeit so klar und herrlich ausgedrückt wie Ruysbroeck. Sie bildet den Kern seiner Vision der Wahrheit. In allen seinen Büchern kommt er immer wieder auf sie zurück, und niemand, der mit seinen Schriften vertraut ist, wird bezweifeln, daß er die freudige, leidenschaftliche, lebendige Sprache persönlicher Erfahrung spricht, und nicht die abstrakte der Philosophie. Er könnte mit Dante, der ihm ins Empyreum vorausgegangen ist, sagen:

»Die Urform dieses Knotens sah ich droben,
Das glaub' ich, und dies Wort, es kund zu tun,
Hat höher noch in mir die Freud' erhoben Paradies XXXIII, 91.

Ruysbroeck werde ich daher meine Zitate entnehmen, und wenn man sie etwas lang und schwer verständlich findet, so muß ihre einzigartige Bedeutung für das Studium der geistlichen Fähigkeiten des Menschen meine Wahl rechtfertigen.

Zunächst seine Vision Gottes:

»Die göttlichen Personen, in der Fruchtbarkeit ihrer Naturen, sind Ein Gott ewig wirkend; und in der Einfachheit ihres Wesens sind sie Gottheit, ewige Ruhe; und so ist Gott in den Personen ewiges Wirken, und im Wesen ewige Ruhe. Zwischen Wirken und Ruhen lebt Minnen und Genießen. Minne will immerfort wirken, denn sie ist ein ewiges Wirken mit Gott. Genießen muß immer müßig sein, denn es ist über Willen und Begehren, Lieb von Lieb umschlossen, in bildloser nackter Minne; wo der Vater mit dem Sohne seine Geliebten umfangen hält in der genießlichen Einheit seines Geistes, über der Fruchtbarkeit der Natur; wo der Vater zu einem jeglichen Geiste spricht in einem ewigen Wohlgefallen: ›Ich gehöre dir, und du gehörst mir. Ich bin dein, und du bist mein; ich habe dich von Ewigkeit erkoren Von sieben Stufen der Minne Kap. XIV (Werken IV, 54, 4-17)..‹«

Sodann die Vision von der Bestimmung des Menschen: »Unser Werk ist Gott zu minnen; unser Genießen, die Umarmung seiner Minne zu dulden. Zwischen Minnen und Genießen ist ein Unterschied wie zwischen Gott und seiner Gnade. Wo wir mit Liebe an Gott hangen, da sind wir Geister; aber wo er uns entgeistet und mit seinem Geiste überformt, da sind wir Genießende. Der Geist Gottes bläst uns fort, daß wir minnen und Tugend üben; und er zieht uns wieder in sich ein, daß wir rasten und genießen: und dies ist ewiges Leben. Gleichwie wir die Luft, die in uns ist, ausstoßen und wieder frische Luft einziehen: und darin besteht unser sterbliches Leben nach der Natur Ebenda (S. 56, 8-18).

»Nun verstehet,« sagt er wiederum, »Gott kommt ohne Unterlaß in uns, mittelbar und unmittelbar, und fordert von uns Genießen und Wirken und daß Eins vom Andern nicht gehemmt, sondern stets gekräftigt werde. Und deshalb besitzt der innige Mensch sein Leben in diesen beiden Weisen, nämlich in Ruhen und in Wirken. Und in einer jeden ist er ganz und ungeteilt; denn er ist ganz in Gott, da er genießend ruht, und er ist ganz in sich selbst, da er tätig minnt; und jederzeit wird er von Gott aufgefordert und gemahnt, beides, Ruhen und Wirken zu erneuern. Und die Gerechtigkeit des Geistes will stündlich entrichten, was Gott von ihm fordert; und deshalb kehrt bei jeder Einstrahlung Gottes der Geist in sich ein, wirkend und genießend, und so wird er erneuert in allen Tugenden und tiefer versenkt in genießendem Ruhen … Er müht sich ab in Liebeseifer, denn er schaut seine Ruhe. Er ist ein Pilger und schaut seine Heimat. Er kämpft in Liebe um den Sieg, denn er sieht seine Krone. Trost, Friede, Freude, Schönheit, Reichtum und alles, was erfreuen kann, wird der erleuchteten Vernunft in Gott gezeigt, ohne Maß in geistigen Bildern. Und kraft dieses Zeigens und durch Gottes Berührung bleibt die Liebe in Tätigkeit. Denn ein solcher Gerechter hat durch Ruhen und Wirken ein wahrhaftes Leben im Geiste gegründet, das immer fortdauern wird. Es wird aber nach diesem Leben in einen höheren Zustand übergehen. Also ist der Mensch gerecht und ist auf dem Wege zu Gott mit inniger Liebe in ewigem Wirken; und er geht ein in Gott mittels der genießenden Neigung, in ewiger Ruhe. Und er bleibt in Gott und geht dennoch aus zu allen Geschöpfen in allumfassender Liebe, in Tugenden und in Gerechtigkeit. Und das ist die höchste Stufe des innigen Lebens Ruysbroeck, Die Zierde der geistlichen Hochzeit II, 73 (Verkade S. 168 f.).

Man vergleiche diese Schilderung mit dem Leben der theopathischen Mystiker, bei denen »das Wirken dem Genießen keinen Eintrag getan hat, noch das Genießen dem Wirken«; die es durch irgendeine geheime Anpassung – durch irgendeine seltsame Magie, wie es andern erscheint – fertig gebracht haben, »ihr Leben in Ruhe und Arbeit zu besitzen«, ohne der innern Freude oder äußern Wirksamkeit Abbruch zu tun.

Man erinnere sich, wenn man diese Worte liest, – Ruysbroecks letzten, höchsten Versuch, die wahre Beziehung zwischen dem freien Geiste des Menschen und seinem Gott auszusprechen, – man erinnere sich an die große öffentliche Wirksamkeit der hl. Katharina von Siena, die sich von der Pflege der Pestkranken bis zur Reform des Papsttums erstreckte und die im Innern von dem frohen Bewußtsein der Gefährtschaft Christi begleitet war. Man erinnere sich der bescheideneren, aber nicht weniger schönen und bedeutungsvollen Leistung ihrer genuesischen Namensschwester, des rastlos tätigen Lebens des hl. Franziskus, des hl. Ignatius und der hl. Teresa, die, äußerlich mit mancherlei Dienst überhäuft, eine endlose Menge von lästigen Einzelheiten zu bedenken hatten, Regeln aufstellten, Gründungen errichteten, keine Seite ihrer Aufgabe vernachlässigten, die zu dem großen Erfolg beitragen konnte, und dennoch »ganz in Gott wohnten, in ruhevollem Genuß«. Sind alle diese nicht herrliche Beispiele des Zustandes, in welchem das endlich zum vollen Bewußtsein gelangte Selbst, das die Wirklichkeit erkennt, weil es vollkommen wirklich ist, seine Schuld bezahlt? Unfähig, entweder ganz in der Arbeit oder ganz im Genuß seine vollkommene Ruhe zu finden, sucht es auf diese zwiefache Weise dem überschwenglichen Leben, von dem es erfüllt ist, Ausdruck zu geben und schwingt sich auf den beiden Flügeln der Sehnsucht und des Strebens zu seiner Heimat auf.

Wenn wir, wie bisher, unser Augenmerk darauf richten, auf welche Weise sich der Zustand der Einigung bei den großen Mystikern im einzelnen auswirkt, so dürfen wir nicht vergessen, daß dieser Zustand seinem Wesen nach eine Erfüllung der Liebe ist, das Erreichen einer »Herzenssehnsucht«. Durch dies Erreichen, dies Emporgehobenwerden des Selbst zu freier Vereinigung mit dem Wirklichen, beginnt – wie bei der irdischen Hochzeit, die eine dunkle Vordeutung auf jene ist – ein neues Leben; neue Kräfte, neue Verantwortlichkeiten werden verliehen und auferlegt. Doch dies ist nicht alles. Die drei Haupttätigkeiten des normalen Selbst, Fühlen, Denken und Wollen, scheinen verschmolzen, in Wirklichkeit aber werden sie zu einem höhern Ziel emporgehoben. Sie sind zwar vereinheitlicht, allein sie sind unversehrt vorhanden, und jede von ihnen sucht und findet volle Befriedigung in der Erlangung dieser höchsten »Würde, für die der Mensch geschaffen ward«. Das Denken versinkt in jener mächtigen Vision der Wahrheit, die jetzt nicht als Vision, sondern als Heimat erkannt wird, wo der hl. Paulus Dinge sah, die unaussprechlich sind, wo die hl. Teresa die »dauernde Gefährtschaft der heiligen Dreieinigkeit« fand, und Dante, einen kurzen Augenblick am Herzen der Wirklichkeit ruhend, während sein Geist vom Blitzstrahl des Unerschaffenen Lichts getroffen ward, erkannte, daß er das letzte Rätsel der Wirklichkeit gelöst hatte: die Einheit des cerchio und imago – des unendlichen und des persönlichen Aspektes Gottes! Paradies XXXIII, 137. Der erhöhte Wille, der in den Dienst der transzendenten Ordnung tritt, erhält neue Welten zu erobern, neue Kraft, sich seiner höheren Bestimmung anzupassen. Aber auch das Herz tritt hier in eine neue Ordnung ein, beginnt auf höheren Ebenen der Freude zu leben. »Diese Seele, sagt die Liebe, schwimmt im Meer der Freude, nämlich im Meer der Wonne, im Strom der göttlichen Einflüsse. The Mirror of Simple Souls f. 161.«

» Amans volat, currit et laetatur: liber est et non tenetur De Imitatione Christi Buch III, Kap. V.«, sagt Thomas von Kempen, ein klassisches Wort, das uns die innere Freudigkeit und Freiheit der Heiligen ein für allemal vor Augen stellt. Sie »fliegen, laufen und freuen sich« – diese großen, emsigen Seelen, die oft durch unerhörte Kasteiungen aufgerieben sind und sich harten, nie endenden Aufgaben geweiht haben. Sie »sind frei, und nichts kann sie halten«, obwohl es der Welt scheint, als seien sie durch sinnlose Entsagungen und Beschränkungen eingeengt, jener billigen Ungebundenheit beraubt, die ihr Freiheit bedeutet.

Jene Freude, die Ruysbroeck mit so majestätischen Worten schildert als das, was das innere Leben der ins Absolute eingetauchten mystischen Seelen ausmacht – eine Schilderung der Visio Beatifica als eines erhabenen Gefühlszustandes – wird von diesen selben Mystikern in ihrem innern Erleben oft als dauernder Besitz einer kindlichen Heiterkeit, einer unzerstörbaren Herzensfröhlichkeit empfunden. Die verklärten Seelen bewegen sich nach dem Rhythmus eines »Liebestanzes«, der durch alle äußere Not und Trübsal in Freude ohnegleichen weitergeht. Sie erfreuen sich der gehobenen Stimmung, die tiefer Religiosität eigen ist, und beleidigen die Welt durch einen feinen Mutwillen, statt eine grämliche Resignation zur Schau zu tragen, die sie dem geistlichen Leben angemessen findet. So war die hl. Katharina von Siena, obwohl beständig leidend, »immer fröhlich und guter Dinge«. Wenn sie krank darniederlag, strömte sie von Heiterkeit und Frohsinn über und »war voll Lachens in dem Herrn, frohlockend und sich freuend Contestatio Fr. Thomae Caffarina, Processus, col. 1258 (E. Gardner, St. Catherine of Siena, p. 48).«.

Auch behaupten die klarsehendsten unter den Mystikern, daß eine solche Freude ein selbstverständliches Attribut der Wirklichkeit sei. So sieht Dante bei seinem Eintritt ins Paradies das ganze Universum vor Entzücken lachen, indem es Gott preist Paradies XXVII, 4., und das hehre Antlitz der vollkommenen Liebe mit Lächeln geschmückt Ebenda XX, 13.. So tanzen die Seelen der großen Theologen zu Musik und Lachen im Himmel der Sonne Ebenda X, 76; 118.. Die liebenden Seraphim wirbeln in ekstatischer Freude um das Wesen Gottes Ebenda XXVIII, 100..

»Ewiges Licht, du ruhst in dir allein;
Allein dich kennend und von dir verstanden,
Liebst du verstehend dich und freust dich dein«

ruft der Pilger aus, als ihm zuletzt das göttliche Wesen offenbart wird Ebenda XXXIII, 124-26., und er erkennt Liebe und Freude als die letzten Attribute des dreieinigen Gottes. So steigt Beatrice mit lachenden Augen mit ihm die Leiter zu den Sternen hinan – wie verschieden von der Vorstellung, die die Welt von dem für die himmlische Führerin der Seele passenden Benehmen hat! So wird auch die vergottete Seele, wenn sie wirklich die Menschheit überholt hat und im Himmel weilt, wie der hl. Franziskus, laufen, sich freuen und fröhlich sein und sich dem eifrigen Tanz des Universums um den Einen zugesellen. »Wenn wir gewissen Andeutungen im Leben der Heiligen glauben können,« sagt Patmore, »so hebt die Liebe den Geist über die Sphäre der Ehrfurcht und Verehrung hinaus in eine Sphäre des Lachens und Scherzens, in eine Sphäre, wo die Seele sagt:

»Soll ich, die Mücke, die in deinen Strahlen tanzt,
Es wagen, Ehrfurcht dir zu zeigen Coventry Patmore, The Rod, the Root, and the Flower: Aurea Dicta XXXIX.

Richard Rolle hat diesen jubilierenden »Geist des Scherzens« mit besonderer Feinheit und Zartheit geschildert. »Unter den Wonnen, die er kostet, wenn er in so süßer Liebe brennt«, sagt er von dem wahren Liebenden, »dessen Wille fest auf sein Ziel gerichtet ist«, »fühlt er eine himmlische Vertraulichkeit in sich einströmen, von der niemand weiß, als der, der sie empfangen; und er trägt in sich den Saft, der alle freudigen Liebenden in Jesu erquickt, so daß sie unaufhörlich zu himmlischen Sitzen eilen, um die Freude ihres Schöpfers ohne Ende zu genießen. Dazu verlangen sie in Wahrheit das Verweilen in himmlischen Gesichten, und innerlich entbrannt ist ihr ganzes Inneres froh von dem holden Lichtglanz, der sie umgibt. Und sie sind froh von fröhlichster Liebe und schmelzen wunderbar zusammen in freudigem Gesange … Allein diese Gnade wird nicht allgemein und allen gegeben, sondern nur einer heiligen Seele auf heilige Weise gelehrt, in der die Herrlichkeit der Liebe hervorleuchtet und Lieder der höchsten Liebe, von Christo eingegeben, aufbrechen und die gleichsam zu einer Flöte des Lebens geworden ist, die beim Anblick Gottes herrlicher, als Worte sagen können, ihre Freude in Tönen ausströmt. Und die Seele, die das Geheimnis der Liebe kennt, steigt mit lautem Schrei zu ihrer Liebe auf, scharf an Geist und Erkenntnis und fein an Gefühl, nicht zerstreut in Dingen dieser Welt, sondern ganz in Gott gesammelt und gefestigt, daß sie in Reinheit des Gewissens und mit leuchtender Seele Ihm dienen möge, den sie sich vorgesetzt hat zu lieben und sich Ihm hinzugeben. Wahrlich, je vollkommener die Liebe des Liebenden ist, um so näher und gegenwärtiger ist Gott ihm. Und um so vollkommener ist seine Freude in Gott, um so stärker empfindet er die holde Güte, die in die Liebenden einströmt und das Herz der Demütigen über allen Vergleich fröhlich macht Richard Rolle, The Fire of Love II, Kap. VII.

Der letzte Zustand der brennenden Liebe, die unmittelbarste Reaktion auf die Wirklichkeit, die man sich denken kann, wie Rolle sagt, ist Süße und Gesang, das Aufquellen froher Musik in der einfachen Seele, der natürliche menschliche Ausdruck einer Freude, der gegenüber unsere unmelodische Sprache versagt. In den heitren Rhythmen dieser primitiven Kunst kann er etwas von dem Geheimnis künden, das die gepflegtere Sprache der Religion und Philosophie ihn nie sagen läßt; etwas, was in seiner Kindlichkeit, seiner Freiheit von jeder Spur von Feierlichkeit und Selbstgefühl gerade die Eigenschaft jenes inneren Lebens, jener ewigen Jugend ausdrückt, deren sich der »verborgene Sohn« der transzendenten Ordnung erfreut. »Gleichsam eine Flöte des Lebens strömt er seine Freude in Tönen aus.« Die Musik der Sphären ertönt rings um ihn her, er ist ein Teil der großen göttlichen Melodie. »Höchst lieblich fürwahr«, sagt Rolle wiederum, »ist die Ruhe, die den Geist überkommt, während die süße Musik auf ihn einströmt, die ihn ergötzt, und die Seele wird entrückt zu süßem, fröhlichem Gesange, um die Freuden der ewigen Liebe zu sagen Ebenda I, Kap. XII.

Wenn wir zur Betrachtung des Lebens der Mystiker kommen, so finden wir es buchstäblich wahr, daß solche »Lieder lieblicher Liebe überall emporquellen«, wenn wir sie nur unversehens belauschen können; wenn wir hinter der Ehrfurcht gebietenden heldenhaften Tätigkeit des Reformators, Lehrers oder Führers das intime Leben sehen, das er am Herd der Liebe lebt. »Was sind die Diener Gottes anders als seine Spielleute?« sagte der hl. Franziskus Speculum Perfectionis, Kap. C., dem die himmlischen Melodien mit den Wundmalen Christi nicht unvereinbar schienen. Und dabei sind die Lieder solcher Spielleute, wie sie der Einsiedler von Hampole in seiner Wildnis lernte, nicht nur lieblich, sondern voll mutwilliger Fröhlichkeit. Da sie immer in einem Lichte wohnen, an das wir kaum anders als mit höchster Scheu und Ehrfurcht zu denken wagen, sind sie durch keine Scheu gehemmt; sie sind zu Hause.

Das ganze Leben des hl. Franz von Assisi, jenes in Gott verklärten Geistes, der »vor allen andern Vögeln einen gewissen kleinen Vogel liebte, den man Lerche nennt Speculum Kap. CXIII.«, war ein einziger von Musik begleiteter Marsch durch die Welt. Im Gesang sah er eine elementare geistliche Funktion; er wies seine Mönche an, in ihren Predigten alle Menschen dazu zu ermahnen Ebenda Kap. C.. Es erschien ihm angemessen und richtig, sich der Liebessprache der Minnesänger zu bedienen, um die vollkommenere Liebe zu preisen, die ihn sich zu eigen erwählt hatte. »Trunken von Liebe und Mitleid mit Christo tat der hl. Franziskus bisweilen folgendes: Wenn liebliche Melodien in seinem Geiste aufstiegen, fing er oft plötzlich an, in der Sprache der Troubadours zu reden, und das göttliche Geflüster, das er heimlich mit seinen Ohren hörte, brach als provenzalisches Jubellied hervor. Und bisweilen nahm er ein Stück Holz von der Erde auf, legte es auf seinen linken Arm und fuhr mit einem andern, das er nach Art eines Bogens in der rechten Hand führte, darüber hin, als ob er Geige oder ein anderes Instrument spielte, und sang mit den entsprechenden Bewegungen dazu in provenzalischer Sprache von unserm Herrn Jesu Christo Ebenda Kap. XCIII, auch bei Thomas Celano, Vita Secunda Kap. XC.

Manchesmal ist der romantische Charakter des Lebens der Einigung: seine Heiterkeit, Freiheit, Sicherheit und Freudigkeit, in »provenzalischen Jubelliedern« hervorgebrochen, die weltlichen Ohren arg frivol klingen und um so unnatürlicher erscheinen, als sie von Leuten kommen, deren äußere Umstände höchst unbehaglich sind. Der hl. Johannes vom Kreuz schrieb Minnelieder an seine Liebe. Die hl. Rosa von Lima sang Duette mit den Vögeln. Die hl. Teresa verschmähte es nicht, in der rauhen und dürftigen Abgeschlossenheit ihrer ersten Gründung ländliche Hymnen und Lieder für die Töchter ihres Klosters im altkastilischen Dialekt zu dichten. Wie der hl. Franziskus, so hatte auch sie einen Abscheu vor feierlichem Wesen. Das taugt nur für Heuchler, dachten diese Erneuerer der Kirche. Das harte Gebets- und Bußleben auf dem Berge Karmel wurde freudigen Geistes, unter unermüdlichem Gesang von Liedern angefangen. Seine große Reformatorin fackelte nicht lange, der überfrommen Schwester, die »lieber meditieren als singen wollte«, den Kopf zurechtzusetzen; und man hörte sie selbst oft, wenn sie den Klostergang fegte, ein kleines Liedchen singen über ihr höchstes mystisches Erlebnis, wo der feurige Pfeil des Seraphs ihr durch das Herz drang Cf. G. Cunninghame Graham, Santa Teresa I, pp. 180, 300, 304..

Doch die schönste und echteste, menschlichste und überzeugendste von allen diesen Schilderungen der himmlischen Heiterkeit, die die mystische Hingabe zur Folge hat, ist die schlichte, unabsichtliche Selbstoffenbarung der hl. Katharina von Genua, deren inneres und äußeres Leben in seiner vollkommenen Ausgeglichenheit uns den besten Maßstab für die richtigen Proportionen des mystischen Weges liefert. Hier wird das ganze Wesen des Lebens der Einigung von jemand zusammengefaßt und uns dargestellt, der es auf heroischer Ebene lebte und der im Genießen und im Handeln, in der Ruhe und in der Arbeit, nicht nur ein großer Tatmensch und Ekstatiker war, sondern auch einer von denen, die am tiefsten in die Geheimnisse der ewigen Liebe hineingeblickt haben. Aber vielleicht gibt es in all den Werken dieser Mystiker keine einzige Stelle, die so unerwartet, so überraschend schließt wie die, wo die hl. Katharina mit furchtloser Einfalt ihren Mitmenschen die Natur des Weges zeigt, den sie gegangen, und des Platzes, den sie erreicht hat.

In einem ihrer überlieferten Gespräche – dessen Ton zwar unpersönlich ist, aus dem aber offenbar ganz persönliche Erfahrung spricht – sagt sie: »Wenn der gütige Gott eine Seele aus der Welt ruft, so findet Er sie voller Laster und Sünden; und zuerst gibt Er ihr den Trieb zur Tugend, dann drängt Er sie zur Vervollkommnung, dann führt Er sie durch Eingießung Seiner Gnade zur wahren Selbstvernichtung, und endlich zur wahren Umformung. Dieser bemerkenswerten Stufenfolge bedient sich Gott, um die Seele den Weg entlang zu führen; aber wenn die Seele vernichtet und umgewandelt ist, dann wirkt sie nicht, noch will, noch hört, noch versteht sie aus sich selbst, auch hat sie nicht in sich das Gefühl von drinnen oder draußen, wohin sie sich wenden könnte; in allen Dingen ist es Gott, der sie regiert und führt, ohne Vermittlung irgendeines Geschöpfes. Der Zustand dieser Seele ist dann ein solches Gefühl von Frieden und Ruhe, daß ihr ist, als sei sie mit dem Herzen und den Eingeweiden und ganz von innen und außen in ein Meer von tiefstem Frieden getaucht, dem nichts, was ihr auch in diesem Leben geschehen möge, sie entreißen kann. Sie bleibt unbeweglich, unerschütterlich, unempfindlich, in solchem Maße, daß es ihr scheint, sie könne in ihrer menschlichen und in ihrer geistlichen Natur, innerlich und äußerlich nichts anderes mehr empfinden als süßesten Frieden. Und sie ist so voll Frieden, daß, wenn man ihr Fleisch, Nerven und Knochen auspreßte, nichts anderes als Frieden herauskommen würde. Dann singt sie den ganzen Tag vor Freude Verse wie diese:

Willst du, daß ich dir zeige an,
Wie Gottes Wesen ist getan?
Nie findet Frieden, wer da weicht von Seiner Bahn Vuoi tu che ti mostr'io / Presto che cosa è Dio? / Pace non trova chi da lui si partio. (Vita e Dottrina Kap. XCIII, 4 f.).
Hier scheint mir trotz der vielen Revisionen, denen die Vita unterworfen wurde, doch ein authentischer Bericht über Katharinas innern Seelenzustand vorzuliegen, der für sie, die »freudevoll und rosigen Antlitzes« von ihren ekstatischen Begegnungen mit der Liebe zurückkam, höchst charakteristisch ist. Gerade das Überraschende des Schlusses, der so verschieden ist von der nach landläufiger Auffassung für Heilige passenden Ausdrucksweise, ist eine Gewähr für seine Echtheit. Über den Text der Vita vergleiche man Von Hügel, The Mystical Element of Religion I, Anhang.

»Dann singt sie den ganzen Tag vor Freude Verse wie diese« – Kinderreime könnte man sie fast nennen, so kindlich, so naiv ist ihr Rhythmus. Wer hätte gedacht, daß dies die Art sei, in der die erhobene Seele Katharinens heimlich mit ihrem Geliebten verkehrte? Wie viele von denen, die diese große und tüchtige Frau unermüdlich in der Verwaltung ihres Hospitals tätig sahen; die hörten, wie diese geborene christliche Platonikerin ihre Schülerinnen unterrichtete und ihnen das Gesetz der universalen und heroischen Liebe erklärte – wie viele von diesen ahnten, daß » questa santa benedetta«, die ihnen schon als etwas Überirdisches erschien, dem man sich nur mit Ehrfurcht und feierlichem Gruß nahen konnte, nicht erhabenen Gedanken über die Ewigkeit nachhing oder Ergüsse mystischer Leidenschaft für das Absolute ihrem Herzen entströmen ließ, während sie ihrer Arbeit nachging, sondern den ganzen Tag lang kindlich glücklichen Sinnes heitere und törichte kleine Lieder über ihre Liebe sang?

Indem sie auf der höchsten Stufe der mystischen Liebe steht, die menschliche Geister in dieser Welt des Raumes und der Zeit erreichen können, und zurückblickt auf den Verlauf jener langsamen inneren Alchimie, jener »bemerkenswerten Stufenfolge« organischer Erneuerung, durch die ihr Selbst von seinen Schwächen gereinigt, zu höheren Stufen emporgehoben und endlich gezwungen wurde, sich dem alles umfassenden, alles fordernden Leben der Wirklichkeit hinzugeben, ist dies Katharinens wohlerwogenes Urteil über den relativen und den absoluten Aspekt des mystischen Lebens. Die »bemerkenswerte Stufenfolge«, die wir geduldig verfolgt haben, die seelische Entwicklung und die Erneuerung des Charakters, die Visionen und Ekstasen, die frohe Erleuchtung und der bittere Schmerz – alles dies diente nur dazu, »die Seele ihren Pfad entlang zu führen«. Bei der gewaltigen Umwertung der Werte, die stattfindet, wenn dieser Weg endlich vollendet ist, verlieren diese »abnormen Geschehnisse« alle Bedeutung. Für uns, die wir sehnsüchtig auf den Pfad zur Wirklichkeit hinblicken, sind sie freilich höchst bedeutsame Wegzeichen, an denen wir den Heimweg des Pilgermenschen verfolgen können. Die Wichtigkeit ihres Studiums für die, die den Weg von dieser Welt zu jener erforschen wollen, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Allein der Mystiker, der einmal in das Schweigen eingegangen ist, worin Liebende sich verlieren, und nun »das Haupt auf den Geliebten lehnen« darf [Aus der letzten Str. des Gedichts »En una noche obscura«, s. oben S. 457.], erinnert sich ihrer nicht mehr. Mitten in seiner tätigen Arbeit, seinem unaufhörlichen geistlichen Schaffen umfängt ihn Freude und Friede. Es bedarf für ihn keiner angespannten und geschärften Wahrnehmung mehr, denn er wohnt in jener »vollkommenen Form der Kontemplation, die in der unmittelbar empfangenen Berührung der Substanz der Seele mit der des göttlichen Wesens besteht Coventry Patmore, The Rod, the Root, and the Flower: Magna Moralia, XV.

Das Rad des Lebens hat seinen Kreis vollendet. Hier, am letzten Punkt seiner Umdrehung, sieht man die höchste Erhabenheit und Einfachheit sich berühren. Es hat die Seele des Mystikers abwechselnd durch Not und Herrlichkeit geschleift, um sie zu immer größerer Höhe, größerer Freiheit, engerem Kontakt mit »dem Spender wahren Lebens« zu führen. Er gelangt ans Ende dieser langen und wunderbaren Reise, um sich in Ruhe und in Arbeit als kleines Kind am Busen des Vaters zu finden. Hier erreicht alles Fühlen und Denken und Wollen sein Ende. Alle quälenden Verwicklungen unserer abgesonderten Selbstheit sind überwunden. Daher bedarf es des eifrigen, angespannten Strebens, der deutlichen Schauung nicht mehr. In diesem geheimnisvollen Tode der Selbstheit auf den Gipfeln, der zum ewigen Leben führt, treffen Höhen und Tiefen zusammen, sind höchste Vollendung und tiefste Demut eins.

In einer letzten, kurzen Vision, die für unsern gewöhnlichen Geist ebenso überwältigend ist wie Dantes höchste Wahrnehmung der Wirklichkeit für seine hochstrebende, mutige Seele, sehen wir den siegreichen Geist, der vor uns hergesandt ist als das Beste, was die Erde zu bieten hat, sich neigen und sich der Insignien der Weisheit und Macht entledigen. Während er das Höchste vollbringt, nimmt er den niedrigsten Platz ein. In das Reich der Ewigkeit aufgenommen, mit dem Absoluten vereint, endlich ganz an der Fülle seines Lebens teilhabend, wird die selbstentwordene Seele gleich einem kleinen Kinde, denn ihrer ist das Himmelreich.


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