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Viertes Kapitel
Die Erleuchtung des Selbst

In diesem Kapitel kommen wir zum erstenmal zu der Betrachtung des Bewußtseinszustandes, den die landläufige Vorstellung als dem Mystiker eigentümlich ansieht: eine Form geistigen Lebens, eine Art der Wahrnehmung, die von der des »normalen« Menschen grundverschieden ist. Von den Erlebnissen und Erfahrungen, die seiner Erleuchtung vorausliegen, kann man dies nicht sagen. Sein Erwachen zum Bewußtsein des Absoluten – obwohl es oft von so wunderbaren Umständen begleitet und von einer Intensität des Erlebens ist, die es von andern seelischen Umwälzungen dieser Art abzuheben scheint – stellt doch nur auf höherer Ebene jene eigentümlichen Bekehrungsvorgänge dar, die dem religiösen Gefühlsleben Tiefe und Wirklichkeit geben. Die Reinigung, die er sich danach zur Aufgabe macht, ist – obwohl sie in der Regel gewisse Züge zeigt, die ausschließlich der mystischen Entwicklung angehören – doch den Kasteiungen der asketischen, nicht notwendig mystischen Frömmigkeit sehr ähnlich. Es ist die höchste uns bekannte Form jenes Auswahl- und Zucht-Verfahrens, jenes Beschneidens und Ziehens der Menschenpflanze, das das Wesen aller Erziehung ausmacht und eine notwendige Stufe jeder Entwicklung zu höherem Leben ist. Hier übernimmt der Mystiker nur in drastischerer Form die Grundsätze, die alle diejenigen, welche nach einem intensiveren Leben streben, alle Freiheitssucher, alle wahren Liebenden, annehmen müssen, obwohl er mit Ophelia sagen darf, daß diese » wear their rue with a difference So sagt die wahnsinnige Ophelia zur Königin, indem sie ihr Raute gibt: Hamlet IV, 5. Unübersetzbar wegen des Doppelsinns von rue = Raute und Reue. Also »Ihr müßt eure Raute mit einem Abzeichen tragen« und zugleich »eure Reue mit Unterschied«.«.

Allein bei dem mächtigen Rückschwung in den Sonnenschein, der der Lohn ist für den mühsamen Abstieg in die »Höhle der Selbsterkenntnis«, scheidet er sich von diesen andern Pilgern. Die, die noch eine kleine Strecke mit ihm gehen, – gewisse Propheten, Dichter, Künstler, Träumer – tun es kraft jenes mystischen Geistes, jenes Instinktes für die übersinnliche Wirklichkeit, den Seher und schöpferische Geister so oft besitzen. Diese Menschen haben ein gewisses Maß – bisweilen ein großes – von Erleuchtung; sie sind die Eingeweihten der Schönheit oder der Weisheit, wie der große Mystiker der Eingeweihte der Liebe ist. Er hat nunmehr in der übersinnlichen Welt, in die auch sie ab und zu eindringen können, wirklich Fuß gefaßt, hat die Kunst der Gemeinschaft – wenn auch noch nicht der Einswerdung – mit dem »großen Leben des Alls« gelernt, und zieht daraus Kraft und Freude. Er hat wirklich und tatsächlich wie einer, dessen Noviziat beendet ist, den »inneren Chor betreten, wo die Seele, der Sophia, der göttlichen Weisheit, die Hand zum Tanze reicht«, und indem er sich in den großen Rhythmen der Geisteswelt bewegt, fühlt er, daß er seinen Platz gefunden hat.

Wie plötzlich und erstaunlich diese Wandlung des Bewußtseins dem Selbst, das sie erfährt, auch scheinen mag, dem Psychologen erscheint sie als ein normaler Teil der organischen Entwicklung, die mit dem Erwachen des transzendentalen Sinnes begann. Indem das Selbst auf die Weisungen, die es bei diesem Erwachen erhält, eingeht, sich zu ihrer Ausführung tauglich macht, seine zerstreuten Kräfte auf das Eine konzentriert, findet es sich nach langen und mannigfachen Läuterungsprozessen zu einer neuen Ordnung der Wirklichkeit durchgedrungen. Es ist zum lebendigen Bewußtsein einer Welt emporgestiegen, die immer da war, und in der sein eigentliches Wesen – der Grund, der von Gott ist – immer wurzelte. Ein solches Bewußtsein ist »transzendentales Gefühl« in excelsis, eine tiefe, unmittelbare Erkenntnis des »geheimen Planes«.

Wie der Chor sich um den Chorführer bewegt, sagt Plotin in einer Stelle, die Boehmes Bild eigenartig vorwegnimmt, so bewegen wir alle uns um das Prinzip aller Dinge. Aber weil unsere Aufmerksamkeit abgelenkt wird, indem wir unsere Augen auf Dinge außerhalb des Chors richten, auf alle die törichten Verworrenheiten der Welt des Scheins, auf die täglichen kleinen Begebenheiten des Daseins, das wir Leben nennen, bemerken wir es nicht. Anstatt daher frei und bewußt am großen Leben des Alls mitzuwirken, wodurch allein unser persönliches Leben seinen Wert erhalten kann, bewegen wir uns wie Sklaven oder Marionetten; und des Ganzen nicht achtend, zu dem unsere kleinen Schritte beitragen, bemerken wir nichts vom Rhythmus der Welten. Da unser Geist vom Chorführer in der Mitte, dem »zeugenden Wort«, das den Rhythmus angibt, abgelenkt ist, sehen wir Ihn nicht. Wir sind von den Täuschungen der Sinne ganz in Anspruch genommen, das »Auge, das auf die Ewigkeit blickt«, ist müßig. »Aber wenn wir auf Ihn blicken,« sagt Plotin, »dann winkt uns das Ziel und die Ruhe, und wir disharmonieren nicht mit Ihm, indem wir in Wahrheit einen gottbegeisterten Reigen um Ihn herum aufführen. In diesem Reigen schaut der Geist die Quelle des Lebens, die Quelle der Vernunft, das Prinzip des Seienden, die Ursache des Guten, die Wurzel der Seele Plotin, 6. Enneade IX, 8 f. Man vergleiche mit diesem Bilde des rhythmischen Tanzes der Dinge um einen göttlichen Chorführer in ihrer Mitte die auffallend ähnlichen Stellen in dem apokryphen »Hymnus Jesu«, wo der Logos oder Christus, im Kreise seiner Jünger stehend, sagt: »Ich bin das Wort, das alle Dinge spielen und tanzen macht. Nun antwortet auf meinen Tanz!« »Tanzend versteht, was ich tue.« Und wiederum: »Wer nicht tanzt, weiß nicht, was geschieht.« »Ich will pfeifen, tanzt ihr alle!« Und endlich: »Auch das Ganze, dem zu tanzen gegeben ist, tanzt.« (S. M. R. James, Apocrypha Anecdota II p. 12-13; G. R. S. Mead, Fragmente eines verschollenen Glaubens S. 352 f.; Neutestamentl. Apokryphen S. 453. Vgl. oben S. 176 f.).« Solch ein Anschauen, solch ein Erheben des Bewußtseins von einer selbst-zentrischen zu einer Gottzentrischen Welt, ist das eigentliche Wesen der Erleuchtung.

Man wird bemerkt haben, daß in diesen angeführten Stellen das Streben der Mystiker noch nicht auf die höchste Vereinigung gerichtet ist, auf »die Flucht des einzig Einen zum einzig Einen«, wie Plotin die höchste Seligkeit der befreiten Seele bildlich ausdrückt. Das erstrebte Ideal ist eine Vision und eine Erkenntnis, die das Resultat bewußter Harmonie mit der göttlichen Welt des Werdens ist, nicht ein Eintauchen in das Prinzip des Lebens, sondern ein freiwilliges und harmonisches Sichbewegen um dieses Prinzip, auf daß wir »tanzend das erkennen, was geschieht«. Dies trifft auf fast jede Erleuchtung zu, von der wir eine authentische Schilderung besitzen, und dies unterscheidet sie von mystischer Einswerdung in jeder Form. Alle freudigen und erhöhten mystischen Bewußtseinszustände, in denen das Gefühl der Ichheit noch besteht, in denen das Verhältnis des Selbst zum Absoluten noch das des Subjekts zum Objekt seiner Liebe und Freude ist, gehören zur Erleuchtung, die in der Tat eine ungeheure Entwicklung des intuitiven Lebens zu höheren Ebenen bedeutet. Alle wahrhaften und ursprünglichen Wahrnehmungen des Göttlichen in Symbolen wie im religiösen Leben, alle Phasen dichterischer Inspiration, »Wahrheitsblitze«, sind Tätigkeiten des erleuchteten Geistes.

Die einfachste und allgemeinste Form der Erleuchtung ist die, »Gott in der Natur zu sehen«, ein flammendes Bewußtsein von der »Andersartigkeit« natürlicher Dinge zu erlangen. Die meisten Menschen haben unter dem Zauber der Gefühlserregung oder der Schönheit solche jähen visionären Erkenntnisse gehabt. Wo ein solches Bewußtsein dauernd ist, wie bei vielen Dichtern Z. B. Keats, Shelley, Wordsworth, Tennyson, Browning, Whitman., da hat es zur Folge die teilweise, doch oft überwältigende Wahrnehmung des allen Lebewesen immanenten unendlichen Lebens, die manche modernen Schriftsteller des Namens »Natur-Mystik« gewürdigt haben. Auf der höchsten Stufe dieser Wahrnehmung wird der Schleier von dem Licht, das dahinter ist, ganz vertilgt, und der Glaube geht in Schauen über, wie bei Blake, in dem der Mystiker den Dichter verschlungen hat.

»Mein Freund,« sagt dieser große Geist in einem seiner charakteristischsten Briefe, der unmittelbar nach einer visionären Erleuchtung, wie sie ihm viele Jahre nicht zuteil geworden war, geschrieben wurde, »entschuldigen Sie meine Begeisterung oder vielmehr Tollheit, denn ich bin wirklich trunken von geistigem Schauen, jedesmal wenn ich einen Bleistift oder Stichel zur Hand nehme Letters of William Blake p. 171..« Mancher große Maler, Philosoph oder Dichter, jeder inspirierte Musiker vielleicht, hat diesen unbeschreiblichen Wirklichkeitsrausch erfahren in den Augenblicken der Erhebung, wo er sein Meisterstück konzipierte. Dies ist der »rettende Wahnsinn«, von dem Plato in seinem Phaidros spricht, die Ekstase des »Gottberauschten Menschen«, des Liebenden, des Propheten und des »von Leben trunkenen« Dichters. Wenn der christliche Mystiker, sein Erstgeburtsrecht fordernd, ruft: » Sanguis Christi, inebria me!«, so heischt er eben diese Gabe himmlischer Lebenskraft, einen Trunk von dem Wein absoluten Lebens, der in den Adern der Welt fließt. Die, denen dieser Becher gereicht wird, erlangen einen höheren Grad von Lebenskraft und infolgedessen ein schärferes Wahrnehmungsvermögen und lebhafteres Bewußtsein als andere Menschen. Es ist der Preis der Reinigung, der Übergang »vom Tode zum Leben«.

Blake erkannte, daß es sein Beruf war, diese mystische Erleuchtung, diese Vision der Wirklichkeit den andern Menschen zugänglich zu machen, »die Tore der Wahrnehmung freizumachen«. Sie hielten ihn darum für einen Wahnwitzigen.

»… Ich ruhe nicht von meinem großen Werk,
Die ewigen Welten zu erschließen und des Menschen
Untersterblich Auge innenwärts zu öffnen auf die Welt des Denkens,
Die Ewigkeit, die sich in seinem Geiste, dem Schoße Gottes, breitet.
O Heiland, deinen Geist der Demut und der Liebe geuß auf mich,
Lösch' alle Selbstheit aus in mir, sei du mein ganzes Leben Jerusalem Kap. 1.

Die Mysterien des Altertums waren allesamt Versuche – oft auf dem falschen Wege einer rein magischen Einweihung –, »die unsterblichen Augen des Menschen nach innen zu öffnen«, seine Wahrnehmungskräfte so zu steigern, daß sie die Botschaften einer höheren Wirklichkeitsebene vernehmen konnten. Trotz allen eifrigen Theoretisierens ist es uns unmöglich, zu sagen, wie weit sie es in diesem Unternehmen brachten. Bei denen, die ein natürliches Organ für das Unendliche hatten, haben Symbole und Riten, die ohne Zweifel mit ekstatischen Suggestionen geladen waren, und die oft den tatsächlichen Verlauf des Mystischen Weges dramatisch darstellten, sehr wahrscheinlich irgendeine Wandlung des Bewußtseins Vgl. J. E. Harrison, Prolegomena to the Study of Greek Religion Kap. IX – XI – ein Werk, das dem Sinn der orphischen Weihen die günstigste Deutung gibt. hervorgebracht, obwohl schwerlich eine so vollständige Umordnung der Persönlichkeit, wie sie beim Mystiker eintritt, wenn er den Zustand der Erleuchtung endgültig erreicht hat. So behauptet Platon auch nur, daß der, der eben erst die Weihe empfangen, die unsterbliche Schönheit unter sterblichen Hüllen sieht.

»O Seligkeit,
in Frieden mit Gott,
teilhaftig der Weihen,
in Reinheit des Wandels
im Thiasos ziehn,
im Bergwalde schweifen,
zu sühnen die Seele
mit läuternden Bräuchen Euripides, Bakchen V, 73-77 (übers, v. U. v. Wilamowitz-Moellendorff).

So sangen die Eingeweihten der dionysischen Mysterien, des Kultes, in dem die Griechen alles das ausgedrückt haben, was sie von der Möglichkeit einer Erhöhung des Bewußtseins durch Reinigungsriten zu den Ekstasen der Erleuchtung wußten. Der bloße primitive Rausch dieser Ekstasen ist selten lebendiger ausgedrückt worden als hier. Man vergleiche mit ihrer halb orientalischen Glut, ihrem selbstbefangenen Stolz auf die erlangte Reinigung und auf die geistige Überlegenheit, die das Adeptentum mit sich brachte, die tiefere und lieblichere Erfahrung des katholischen Dichters und Heiligen, der den Geist westlicher Mystik am schönsten darstellt. Auch seine Sünden wurden »wie ein Leichentuch von ihm genommen Rückweis auf die oben angeführte Stelle aus Euripides' Bakchen, die in der freieren englischen Übersetzung lautet:
Wose sins are lifted pall-wise
As he worships on the Mountain.
«, wie eine Wolke im Sonnenschein göttlicher Liebe schmilzt; allein hier ist nicht das kleine Selbst, das erhöht werden muß, der Mittelpunkt des Interesses, sondern das größere Selbst, das es dieser Erhöhung gewürdigt hat.

O Flammenmal voll Wonnen!
O Wunde, die begnadet!
O holde Hand! Berührung, die berauschet,
Wie Trunk vom Lebensbronnen,
Und aller Schuld entladet:
Hast tötend Tod in Leben umgetauschet! Der hl. Johannes vom Kreuz, Llama de Amor Viva Str. 2 (übers. von W. Storck).

Hier ist die Freude ebenso leidenschaftlich, das Bewußtsein eines erhöhten Lebens ebenso intensiv, aber es wird beherrscht von den ausgesprochen christlichen Begriffen der Demut, Hingabe und innigen Liebe.

Wir haben gesehen, daß allen wahren Künstlern, ebenso wie allen reinen Mystikern, bis zu einem gewissen Maße das Leben der Erleuchtung zuteil wird, daß sie, wenn nicht wahre Bürger, so doch zeitweilige Gäste des Landes der Sehnsucht sind. Sie haben mit Blake aus dem Becher geistiger Schau getrunken, der der Kelch des Lebensgeistes ist; sie haben den göttlichen Rausch gespürt, immer wenn die Schönheit sie zum Schaffen inspirierte. Einige haben nur daran genippt. Einige, wie Johann von Parma, haben einen tiefen Zug getan und damit das mystische Erbe mit allen seinen Verpflichtungen angetreten. Aber alle, die die Schönheit von Angesicht zu Angesicht geschaut haben, sind vom Gral gespeist worden, und durch dies sakramentale Mahl sind sie zu Teilhabern am Weltmysterium geworden.

In einem der schönsten Kapitel der »Fioretti« wird erzählt, wie Bruder Jakob von la Massa, »dem Gott die Tür Seiner Geheimnisse öffnete«, in einer Vision sah, wie Christus dem hl. Franziskus diesen Kelch des Lebensgeistes in die Hände gab, damit er seinen Brüdern daraus zu trinken gäbe.

»Dann kam der hl. Franziskus, um seinen Brüdern den Kelch des Lebens darzubieten. Und er bot ihn zuerst dem Bruder Johann von Parma, der ihn hastig nahm und ihn mit Andacht leerte. Und alsbald ging ein Glanz von ihm aus wie von der Sonne. Und darauf gab Franziskus ihn all den andern Brüdern der Reihe nach, und es waren nur wenige unter ihnen, die ihn mit der gebührenden Ehrfurcht und Andacht nahmen und ihn ganz leerten. Die wenigen, welche ihn mit Andacht tranken und ganz leerten, wurden alsbald leuchtend wie die Sonne; aber die, die alles verschütteten, wurden schwarz und dunkel und ungestalt und schrecklich anzusehen; aber die, die ihn teils tranken, teils verschütteten, wurden teils leuchtend und teils dunkel, je nach dem Verhältnis, wie sie davon getrunken oder verschüttet hatten. Allein der erwähnte Bruder Johannes überstrahlte alle, da er den Kelch des Lebens am vollständigsten geleert hatte, wobei er am tiefsten in den Abgrund des ewigen göttlichen Lichtes geschaut hatte Fioretti Cap. 48.

Kein anderes Gleichnis könnte wohl das Zustandekommen vollkommener Erleuchtung so anschaulich machen wie dies wundervolle Bild: dieses tiefe, inbrünstige, hastige Trinken – d. h. ohne vorsichtiges und selbstbedachtes Zögern – von dem himmlischen Wein des Lebens, jenem Wein, von dem Rolle sagt, daß er die Seele »durch liebliche Kontemplation mit einer großen Fröhlichkeit erfüllt Richard Rolle of Hampole, ed. Horstman II p. 79.«. Johann von Parma, der Held der Geistlichen Franziskaner, auf den diese herrliche Allegorie gedichtet ist, vertritt alle die Mystiker, die, »da sie den Kelch vollständig geleert«, die Gabe erlangt haben, in den Abgrund des ewigen göttlichen Lichtes zu schauen. In den Brüdern, die ihn teils tranken, teils verschütteten, so daß sie teils leuchtend, teils dunkel wurden, »nach dem Verhältnis, wie sie davon getrunken oder verschüttet hatten«, können wir ein passendes Gleichnis sehen für den Künstler, Musiker, Propheten, Dichter oder Träumer, der mehr oder weniger erleuchtet ist, je nach dem Maße von Selbsthingabe, mit dem er den Becher der Begeisterung getrunken hat. »Laßt mich ungehindert sein,« sagt die Seele zu den Sinnen in Mechthild von Magdeburgs Vision, »ich will ein wenig trinken von dem unvermischten Wein Das fließende Licht der Gottheit I Kap. 44..« Beim Künstler verhindern die Sinne etwas den vollkommenen Rausch der Seele.

Wir haben gesehen, daß das Entwicklungsstadium, das die Mystiker als den Weg der Erleuchtung bezeichnen, ein weites Erfahrungsgebiet umfaßt, ja, die ganze Erfahrung, die sich aus der Berührung eines geläuterten und erhöhten Bewußtseins mit der Welt des Werdens, von der es eingeschlossen wird, ergibt, und dazu einen großen Teil derjenigen Erfahrung, die aus der Berührung eines solchen Bewußtseins mit dem Absoluten erfolgt. Dies ist die ausgedehnteste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Reiches der Mystik. Die verschiedenartigsten Seher, wie Seuse und Blake, Boehme und Madame Guyon, Mechthild von Magdeburg, Fox, Rolle, die hl. Teresa und zahllose andere, haben uns Berichte über ihren dortigen Aufenthalt gegeben. Auch bei solchen, die wir nicht mit Recht zu den eigentlichen Mystikern zählen können, wie bei Platon und Heraklit, Wordsworth, Tennyson und Walt Whitman, bemerken wir gewisse Anzeichen, daß auch sie, mehr als die meisten Dichter und Seher, mit den Erscheinungen des erleuchteten Lebens vertraut waren. Wir werden es daher bei unserer Betrachtung dieser Stufe mystischer Entwicklung mit einer großen Masse von anscheinend unvereinbarem Material zu tun haben: da jeder Grad von Hellsichtigkeit, jede Art von Naturanlage uns Zeugnisse ihrer Beziehung zur übersinnlichen Welt hinterlassen hat.

Daß Gott unendlich ist, bedeutet, daß Er auf unendlich mannigfache Weise begriffen und vorgestellt werden kann. Der Kreis, dessen Mittelpunkt überall und dessen Peripherie nirgends ist, läßt sich von jedem Winkel aus mit Sicherheit finden. Die Geschichte der Mystik, besonders der Teil, der es mit dem Wege der Erleuchtung zu tun hat, ist ein Beweis für diese Tatsache. Hier, wo »das erste mystische Leben«, der bewußte Verkehr mit der Wirklichkeit erreicht ist, kommt das Selbst, das zwischen zwei Bewußtseinsformen geschwankt und sich seinen zunehmenden intuitiven Erkenntnissen des Absoluten abwechselnd widersetzt und leidenschaftlich hingegeben hat, eine Zeitlang zur Ruhe. Die widerstrebenden Elemente seines Charakters sind zum großen Teil auf dem Wege der Reinigung hinweggewaschen. Die »dunkle Nacht der Sinne« ist vorüber, obwohl die furchtbarere »Nacht des Geistes« noch bevorsteht. Zeitweise wenigstens hat der Geist auf höherer Ebene »seine Einheit gefunden« und, wie er glaubt, ein dauerndes Bewußtsein der göttlichen und wirklichen Welt erlangt. Die Tiefe und der Reichtum seiner Natur werden entscheiden, wie intensiv dies Bewußtsein sein wird.

Doch wie weit sich diese neue Wahrnehmung der Wirklichkeit nun auch erstrecken möge, zuerst erscheint sie dem erleuchteten Selbst als endgültig und vollkommen. Wie der wahre Liebende immer überzeugt ist, daß er in seiner Braut die Eine Rose der Welt gefunden hat, so ist der Mystiker sicher, daß seine Aufgabe nun erfüllt ist. In der ersten Begeisterung seiner Aufnahme in das »vollkommene Land« kann er sich kein höheres Entzücken als dieses, kein innigeres Erleben der Seele vorstellen. Noch nichts ahnend von dem letzten Akt der Vereinigung, bis an den das innere Auge und Ohr nicht reicht, ruft er mit vollkommener Sicherheit aus: » Beati oculi qui exterioribus clausi, interioribus autem sunt intenti De Imitatione Christi III, 1.«, und ganz versunken in diese neue selige Schau, vergißt er, daß sie denen zuteil wird, die noch »auf dem Wege« sind. Mehr Erfahrung ist nötig, damit er lernt, wieviel himmlische Geheimnisse noch auf seine Entdeckung warten; wie machtlos die himmlische Speise, die er hier erhält, ist, seinen »Hunger nach dem Absoluten« zu stillen; wie weit entfernt vom wahren Ziel des Seins noch dies Sichsonnen in den Strahlen des Unerschaffenen Lichtes, dies Sichbewegen um das Prinzip der Dinge ist. Nur die allergrößten Seelen, die Galahads der mystischen Suche, erfahren dies und durchmessen die ganze Länge der »königlichen Heerstraße«, die den Menschen zu seinem Ursprung zurückführt. »Von den vielen, die nach Bethlehem kommen, werden nur wenige bis Golgatha gelangen.« Die übrigen bleiben hier, in diesem irdischen Paradiese, auf diesen blumigen Wiesen, wo das befreite Selbst ganz nach Lust umherwandelt und uns, so gut es kann, bald diesen bald jenen Winkel des Landes der Seele beschreibt.

In diesen Schilderungen der Freude der Erleuchtung, in den Ergüssen der Liebe und Wonne, die zu diesem Zustande gehört, finden wir die lyrischen Stellen der mystischen Literatur. Hier stehen Dichter, Mystiker und Musiker auf gemeinsamem Boden, denn nur durch die Vermittlung der Kunst, nur durch künstlerische Suggestion und musikalischen Rhythmus läßt sich das Wunder jener Vision ausdrücken. Wenn das Gute, Wahre und Schöne, – Licht, Leben und Liebe – vom Herzen wahrgenommen wird, so kann, ob nun das Herz einem Liebenden, einem Maler oder einem Heiligen gehört, diese Wahrnehmung nur in lebendiger, d. h. in künstlerischer Form angemessen wiedergegeben werden.

Hier also küssen sich Genie und Heiligkeit, und jedes sieht bei dieser hehren Begegnung einen Augenblick mit den Augen des andern. Und so ist es natürlich und unvermeidlich, daß der Mystiker hier alle künstlerischen Ausdrucksmittel spielen läßt: die wundervolle Bildersprache Julianens und Mechthildens von Magdeburg, Seuses dichterische Visionen, St. Augustins Glut und Glanz, die himmlischen Harmonien des hl. Franziskus und Richard Rolles. Auch Symbole spielen eine große Rolle, nicht nur in der Schilderung der Erleuchtung, sondern auch in diesem Vorgang selbst: die Intuitionen vieler Mystiker stellen sich dem Oberflächenbewußtsein unmittelbar in symbolischer Form dar. Wir müssen uns daher gefaßt machen auf eine große Verschiedenheit und Flüssigkeit des Ausdrucks bei den Schriftstellern, die versucht haben, uns das Geheimnis dieses Bewußtseinszustandes mitzuteilen. Wir haben ein sehr mannigfaltiges Erlebnismaterial zu prüfen und auch, soweit dies möglich ist, zu klassifizieren, einiges, das von Freund und Feind in gleicher Weise als rein »mystisch« anerkannt wird, einiges, in dem sich das Wirken der dichterischen Phantasie deutlich zeigt, einiges, das »seelische Phänomene« und andere abnorme Tätigkeiten des Geistes umfaßt. Man darf sich durch das seltsame und scheinbar widerspruchsvolle Aussehen dieser Dinge nicht von ihrer Erforschung abschrecken lassen.

Nun gibt es drei Haupttypen des mystischen Erlebens, die immer wiederkehren und vorwiegend auf der Stufe der Erleuchtung. Ich glaube, daß diese drei Typen als die Haupteigentümlichkeiten dieser Stufe angesehen werden können, obwohl es mit ihrer Erörterung noch nicht getan ist. Bei wenigen Lebensformen zeigt sich die Spontaneität des Individuums so sichtbar wie hier, und bei wenigen ist das allemal tödliche Verfahren der Klassifizierung so gewagt.

Die drei charakteristischen Erlebnisse, die ich meine, sind:

1. Ein freudiges Wahrnehmen des Absoluten, das, was viele asketische Schriftsteller »die Vergegenwärtigung Gottes ( the practice of the Presence of God)« nennen. Dies ist jedoch nicht mit jenem einzigartigen Gefühl der Einswerdung mit dem Göttlichen zu vergleichen, das einer späteren Stufe der mystischen Entwicklung eigentümlich ist. Das Selbst, obwohl geläutert, empfindet sich immer noch als ein getrenntes Wesen. Es ist nicht in seinen Ursprung untergetaucht, sondern steht ihm anschauend gegenüber. Dies ist eher das »Verlöbnis« als die »Hochzeit« der Seele.

2. Diese Klarheit des Schauens kann auch in bezug auf die Erscheinungswelt genossen werden. Die eigentlichen physischen Wahrnehmungskräfte sind wunderbar gesteigert, so daß das Selbst eine tiefere Bedeutung und größere Wirklichkeit in allen natürlichen Dingen sieht, oft überzeugt ist, daß es endlich »das Geheimnis der Welt« weiß. Um mit Blake zu sprechen: »Die Tore der Wahrnehmung sind freigemacht«, so daß »alles dem Menschen erscheint, wie es ist, unendlich The Marriage of Heaven and Hell XXII.

Diese beiden Formen der Wahrnehmung stellen offenbar jene zwiefache Intuition einer transzendent-immanenten Wirklichkeit dar, jenes Sichausdehnen des Bewußtseins nach zwei Richtungen, bis es sowohl die Welt des reinen Seins wie die Welt des Werdens S. oben S. 47-56. umfaßt, worin wir eines der unterscheidenden Kennzeichen des mystischen Typs erkannten.

3. Zugleich mit dieser zwiefachen Ausdehnung des Bewußtseins ist die Energie des intuitiven oder übersinnlichen Selbst ungeheuer gesteigert. Die seelischen Umwälzungen des Läuterungsweges haben dazu gedient, es zum Mittelpunkt des Lebens zu machen und alle die Elemente, die seine Tätigkeit hemmten, aus dem Charakter auszumerzen. Nun bemächtigt es sich der gewöhnlichen Ausdrucksmittel und zeigt sich häufig in Gestalt von a) Stimmen, b) Gesprächen zwischen dem Oberflächenbewußtsein und einer andern Intelligenz, die sich göttlich nennt, c) Visionen, und bisweilen d) automatischer Schrift. Diese automatische Tätigkeit jener wachsenden, aber noch unterbewußten Kräfte, die den »neuen Menschen« bilden, nimmt im Verlauf des mystischen Lebens stetig zu.

Die Erleuchtung erscheint nun gewöhnlich in der Hauptsache unter einer von diesen drei Formen oder auch unter allen dreien. Oft treten alle auf, doch scheint in der Regel eine von ihnen vorzuherrschen. Das wird in jedem einzelnen Fall bedingt durch die seelische Beschaffenheit des Selbst, je nachdem es seiner Anlage nach zur »reinen Kontemplation«, zur »Hellsichtigkeit« oder zum automatischen Ausdruck, zu Emanation oder Immanenz, zu einer metaphysischen, künstlerischen oder gefühlsmäßigen Auffassung der Wahrheit hinneigt. Die Verbindungsmöglichkeiten zwischen diesen verschiedenen Faktoren sind so unzählig wie die Möglichkeiten des Lebens selbst.

In Bruder Laurentius' »Vergegenwärtigung Gottes«, in St. Bernhards Gespräch mit dem Wort, in Richard Rolles » state of song«, wo er »die lieblichste himmlische Melodie vernahm, die in seiner Seele wohnte«, haben wir wundervolle Ausdrücke der ersten Form des erleuchteten Bewußtseins. Jakob Boehme wird mit Recht als ein typisches Beispiel der zweiten angesehen, die sich auch in einer ihrer anziehendsten Gestalten bei Franz von Assisi findet. Seuse und die hl. Teresa können vielleicht als Beispiele der dritten Form gelten, da bei ihnen die Gesichts- und Gehörerscheinungen besonders hervortraten. Das vorbereitende Studium dieser Eigentümlichkeiten nacheinander wird uns helfen, die vielen Fäden zu entwirren, die die seelischen Gewebe dieser großen komplizierten mystischen Typen ausmachen. Der übrige Teil dieses Kapitels wird sodann der Analyse der beiden Hauptformen des erleuchteten Bewußtseins gewidmet werden: seiner Wahrnehmung der Wirklichkeit in der ewigen und in der zeitlichen Welt. Das wichtige Thema der Stimmen und Visionen erfordert ein Kapitel für sich.

1. Das Bewußtsein des Absoluten oder »Gefühl der Gegenwart Gottes«.

Dies Bewußtsein ist in seinen mannigfachen Formen vielleicht das konstanteste von allen charakteristischen Merkmalen der Erleuchtung, und es ist das, was diesen Zustand für die mystische Seele zur intensivsten Freude macht. Damit meine ich nicht, daß der Mensch Monate oder Jahre in einer beständigen Ekstase der Vereinigung mit dem Göttlichen verbringt. Zwischenperioden seelischer Ermüdung oder »Trockenheit«, die letzten Spuren der Reinigung, die herannahende Finsternis der »dunklen Nacht« – alles dies kann, wie es häufig der Fall ist, jenen Zustand unterbrechen; ebenso wie plötzliche Erkenntnisblitze, die von der Erleuchtung nicht zu unterscheiden sind, beständig die Eintönigkeit des Läuterungsweges unterbrechen. Allein die Seele hat die Berührung dieses persönlichen Lebens, das im Weltall allgegenwärtig ist, gespürt und kann sie nie vergessen, wenn sie ihr auch entzogen wird. Der »Geist, der seine Arme nach Gott ausstreckt«, versichert, daß er Ihn berührt hat, und sein Normalzustand ist hinfort ein tiefes und freudiges Bewußtsein Seiner Gegenwart mit »vielen heimlichen Berührungen lieblicher geistlicher Gesichte und Gefühle, die uns in dem Maße zuteil werden, wie unsere Einfalt sie ertragen kann Juliane von Norwich, Revelations Kap. 43.«. Wo der Mystiker eine weniger bestimmte oder mehr pantheistische Sprache vorzieht, können seine Wahrnehmungen die Form der »Harmonie mit dem Unendlichen« annehmen, – dieselbe göttliche Musik, in eine tiefere Tonart transponiert.

Dies »Gefühl der Gegenwart Gottes« ist keine bloße Metapher. Unzählige Aussagen beweisen, daß es ein ebenso deutliches Bewußtsein ist wie das, welches andere Menschen von der Farbe, der Wärme oder dem Licht haben oder zu haben glauben. Es ist eine wohlbekannte, obwohl meistens vorübergehende Erfahrung im religiösen Leben, wie der Heimkehrinstinkt der Vögel, eine Tatsache, die sich weder leugnen noch erklären läßt. »Wie man jene Gegenwart fühlt, läßt sich besser durch eigene Erfahrung als durch Beschreibung erkennen,« sagt Hilton, »denn sie ist das Leben und die Liebe; die Macht und das Licht, die Freude und der Friede einer auserwählten Seele. Und daher kann der, der sie einmal wahrhaft empfunden hat, sie nicht ohne Schmerz missen, noch aufhören, sich danach zu sehnen, sie ist so gut an sich und so wohltuend … Er kommt bisweilen heimlich, wenn du Ihn am wenigsten gewahrst, aber du erkennst Ihn sehr wohl, bevor Er wieder geht, denn Er bewegt und wendet dein Herz mächtig, so daß du Seine Güte schaust, und dann schmilzt dein Herz wonnesam in die Milde Seiner Liebe, wie Wachs am Feuer The Scale of Perfection III, 11.

Moderne Psychologen haben sich viel Mühe gegeben, den pathologischen Charakter dieses Bewußtseinszustandes festzustellen, ihn in dem gastlichen Bereich der »psychischen Halluzinationen« unterzubringen Vgl. Delacroix, Etudes sur le Mysticisme Anhang I. »Hallucinations Psychiques, Sentiment de Présence.«. Die Mystiker jedoch, die soviel feiner zwischen wahrer und falscher übersinnlicher Erfahrung zu unterscheiden wissen, zweifeln nie an der Gültigkeit dieses »Gefühls der Gegenwart Gottes«. Selbst wenn ihre Theologie dem widerspricht, so lassen sie sich dadurch nicht stören.

So schreibt die hl. Teresa mit der ihr eigenen Einfachheit und Unmittelbarkeit über ihre Erfahrung: »Am Anfang geschah es mir, daß ich Eines nicht wußte: ich wußte nicht, daß Gott in allen Dingen ist, und als Er mir so nahe zu sein schien, hielt ich es für unmöglich. Und doch war es mir ebenso unmöglich, nicht zu glauben, daß Er gegenwärtig war, denn es war mir sozusagen augenscheinlich, daß ich Seine lebendige Gegenwart da fühlte. Einige ungelehrte Leute pflegten zu mir zu sagen, daß Er nur durch Seine Gnade gegenwärtig wäre. Das konnte ich nicht glauben, da Er, wie gesagt, selbst gegenwärtig zu sein schien; so war ich in großer Bedrängnis. Ein sehr gelehrter Mann aus dem Orden des hl. Dominikus befreite mich von diesem Zweifel: er sagte mir, daß Er gegenwärtig sei, und wie Er Zwiesprache mit uns hielte. Dies war ein großer Trost für mich Vida, Kap. XVIII.

Und weiter: »Ein innerer Friede und die geringe Kraft, die Freude oder Schmerz hat, diese Gegenwart der drei Personen (solange sie dauert) zu verscheuchen, und zwar ohne daß man daran zweifeln kann, dauern in solcher Weise, daß ich deutlich an mir das erfahre, wovon St. Johannes [14, 23] sagt: › Er wohnt in der Seele, und nicht nur dies durch Gnade, sondern Er läßt sie auch diese Gegenwart wahrnehmen Brief an den Bischof von Osma von 1581, der zweiten Reihe IV, 8..‹« Hier zeigt sich Theresens starke Hinneigung zur Immanenz.

Ein solches Gefühl der göttlichen Gegenwart verträgt sich durchaus mit dem täglichen Leben und den normalen geistigen Tätigkeiten seines Besitzers, der nicht notwendig ein Ekstatiker oder ein dem Wirken in der Welt fernstehender, entrückter Visionär ist. Allerdings ist das übersinnliche Bewußtsein jetzt ein für allemal zum Mittelpunkt seines Interesses geworden, und seine Wahrnehmungen und Weisungen beherrschen und erleuchten sein tägliches Leben. Das Ziel der Erziehung im platonischen Sinne ist erreicht: seine Seele hat sich »von der werdenden Welt abgewandt zur Betrachtung des Seienden und des Glänzendsten unter dem Seienden Platon, Staat VII, 4 (518 C).«.

Bei vielen labilen oder Künstlertemperamenten wird dies intuitive Bewußtsein des Absoluten so unbändig, daß es beständig durchbricht, sich gewaltsam des Bewußtseinsfeldes bemächtigt und als Ekstase und Verzücktheit in Erscheinung tritt. Bei andern weniger beweglichen Temperamenten wallt es auf in einem leidenschaftlichen Erfassen, in einer »Liebesflamme«, in der das Selbst »Gott im Seelengrunde begegnet«. Dies ist »reine Kontemplation«, jener Zustand tiefer Versenkung, in dem das Subjekt zugleich »zu sehen, zu fühlen und zu denken« scheint. Durch diese spontane Übung all seiner Kräfte unter der Herrschaft der Liebe erlangt der Mystiker jene Vision des Herzens, die »noch innerlicher vielleicht als die Visionen des Traumes oder der Ekstase Récéjac, Fondements de la Connaissance Mystique p. 151.« jene Fähigkeiten, die sie außer Tätigkeit zu setzen scheint, aufs höchste ausdehnt, wie ein Kreisel »schläft«, wenn er sich aufs geschwindeste dreht. » Ich schlafe, aber mein Herz wachet.« [Hohel. 5, 2.] Dieser Akt der Kontemplation, diese frohe Hingabe an ein überwältigendes Bewußtsein der Gegenwart Gottes, hinterläßt im Geiste kein scharf umrissenes Bild, sondern nur die Gewißheit, daß wir emporgehoben wurden zu einem wirklichen Schauen dessen, was kein Auge gesehen hat.

Der hl. Bernhard hat uns in einer seiner Predigten einen einfachen, freimütigen und offenbar persönlichen Bericht über solche »heimlichen Berührungen«, solche unzweifelhaften, doch nicht faßbaren Kontakte der Seele mit dem Absoluten hinterlassen.

»Habt ein wenig Geduld mit meiner Torheit,« sagt er, »denn ich möchte euch, wie ich versprochen habe, erzählen, wie solche Dinge bei mir geschehen. Es ist zwar ohne Bedeutung. Aber ich biete mich dar, um euch zu dienen; und wenn ihr Nutzen davon habt, so werde ich mich über meine Torheit trösten. Ich bekenne also und sage in meiner Torheit, daß das Wort auch mich heimgesucht hat, und sogar öfter. Aber obwohl Er häufig in meine Seele eingegangen ist, habe ich niemals gefühlt, wann Er eingegangen ist. Ich habe gefühlt, daß Er da war; ich erinnere mich, daß Er dagewesen ist; bisweilen habe ich auch Seine Ankunft vorausfühlen können, aber fühlen niemals. Auch Sein Fortgehen nicht. Denn von wannen Er kam, als Er in meine Seele einging, noch wohin Er sich wandte, als Er sie wieder verließ, auf welchem Wege Er ein und ausging, das weiß ich noch heute nicht; wie denn auch gesagt ist: du weißt nicht, von wannen Er kommt und wohin Er fähret [Joh. 3, 8]. Auch ist das nicht zu verwundern, denn Er ist es, zu dem gesagt ist: man spüret deinen Fuß nicht [Psalm 77, 20]. Gewiß ist Er nicht durch die Augen eingetreten, denn Er ist ohne Gestalt und Farbe. Aber auch nicht durch die Ohren, denn Er gab keinen Laut. Auch nicht durch die Nase, denn Er mischt sich nicht mit der Luft, sondern mit dem Geiste … Auf welchem Wege ist es denn eingetreten? Oder vielleicht ist es überhaupt nicht eingetreten, weil es nicht von außen gekommen ist? Denn es ist ja nicht eins von den Dingen, die außen sind. Doch ist es auch nicht von innen gekommen, denn es ist gut, und ich weiß, daß in mir nichts Gutes ist. Ich bin auch über mich emporgestiegen, und siehe da! das Wort ragte noch darüber hinaus. Meine Neugier trieb mich auch, unter mich hinabzusteigen, und doch fand ich es in noch größerer Tiefe. Wenn ich nach außen blickte, so fand ich, daß es außerhalb meiner war; und wenn nach innen, so war auch es im Innern. Und ich erkannte, daß wahr ist, was ich gelesen hatte: in Ihm leben, weben und sind wir [Ap.-Gesch. 17, 28] St. Bernhard, Sermones in Cantica Canticorum Sermo LXXIV.

Ein solches Emporgehobenwerden, ein solcher Bewußtseinszustand wie der, den der hl. Bernhard hier zu schildern versucht, scheint den Geist einen Augenblick in einen Zustand hineinzureißen, der von dem wirklicher »Einigung« schwer zu unterscheiden ist. Dies ist es, was die Kontemplativen passive oder eingegossene Kontemplation oder auch »das Gebet der Einigung« nennen, ein kurzer Vorschmack des Zustandes der Einigung, den die Mystiker oft eine kurze Zeitlang auf dem Wege der Erleuchtung genießen und der sie in der Überzeugung bestärkt, daß sie nun wirklich das Absolute erreicht haben. Es ist jedoch nur ein Vorgeschmack jenes Erreichens, die verfrühte Anspannung einer Seele, die noch im Zustande der Erleuchtung ist, von dem die »Theologia Deutsch« sagt, daß er »dem zunehmenden Menschen geziemt« Kap. XIV..

Diese ziemlich feine Unterscheidung zwischen zeitweiliger Vereinigung und dem Leben der Einigung kommt vielleicht am besten heraus in einem Gespräch zwischen der Seele und dem Selbst in Hugo von St. Victors mystischem Traktat »De Arrha Animae«.

Die Seele sagt: »Sag' mir, was ist jenes Süße, dessen bloße Erinnerung mich so heftig und lieblich rührt und bewegt, daß ich sogleich, ich weiß nicht wie, ganz mir selbst entfremdet und aus mir fortgezogen werde? Ich werde plötzlich erneuert und ganz verwandelt und mir ist wohl zumute, mehr als Worte sagen können. Mein Bewußtsein wird erheitert, all mein vergangenes Elend und all mein Schmerz ist vergessen. Meine Seele jubiliert, mein Geist wird hell, mein Herz entbrennt, meine Begierden haben ihr Genügen, ihre Lust; ich bin weit fort und weiß nicht, wo ich bin, und mir ist, als hielte ich etwas in liebender Umarmung, und ich weiß nicht, was es ist; und doch strebe ich mit allen Kräften, es immer festzuhalten und nie zu verlieren. Meine Seele strebt in Freudigkeit, daß sie nie weiche von dem, was sie für immer umarmt halten möchte, und als ob sie darin das Ziel all ihrer Wünsche gefunden hätte, ist sie voll höchsten, unsagbaren Frohlockens und sucht nichts, begehrt nichts weiter, als immer so zu bleiben. Ist dies denn mein Geliebter? Sage es mir doch, auf daß ich Ihn kennen und, wenn Er wiederkommt, Ihn anflehen möge, mich nicht zu verlassen, sondern immer bei mir zu bleiben.«

Der Mensch sagt: »Es ist in Wahrheit dein Geliebter, der dich besucht; allein Er kommt in unsichtbarer, verborgener, unbegreiflicher Gestalt. Er kommt, um dich zu berühren, nicht, um von dir gesehen zu werden; um dich wachzurütteln, nicht um von dir verstanden zu werden. Er kommt nicht, um Sich ganz in dich zu ergießen, sondern um Sich zum Kosten darzubieten; nicht, um dein Verlangen zu erfüllen, sondern um deine Liebe auf Sich zu ziehen. Er gibt dir einen Vorschmack Seiner Liebe, bringt nicht die Fülle vollkommener Sättigung. Und der Mahlschatz deines Verlöbnisses besteht hauptsächlich darin, daß Er, der in Zukunft Sich dir zum Anschauen und zu dauerndem Besitz geben wird, Sich jetzt bisweilen zum Kosten bietet, auf daß du erkennst, wie süß Er ist. Dies soll dich inzwischen über Seine Abwesenheit trösten, wenn du immer wieder durch Seinen Besuch erquickt wirst, damit du nicht die Kraft verlierst Hugo von St. Victor, De arrha animae, Schluß (Migne, P. L. CLXXVI, 970).

Der wirkliche Unterschied zwischen dem Leben der Erleuchtung und dem der Einigung ist der, daß bei der Erleuchtung die Individualität des Subjekts – wie tief auch sein religiöses Bewußtsein, wie innig auch seine Gemeinschaft mit dem Unendlichen sein mag – abgesondert und intakt bleibt. Sein erhöhtes Bewußtsein der Wirklichkeit beherrscht viel mehr den übrigen Teil seines Lebens, als daß es ihn auslöscht, und kann seine Geschicklichkeit, mit den Vorfällen des normalen Lebens in der rechten Weise fertig zu werden, erhöhen. So fand Bruder Laurentius, daß sein lebendiges Gefühl für die Wirklichkeit, sein Bewußtsein der Gegenwart Gottes und die daraus sich ergebende Losgelöstheit und Freiheit weltlichen Dingen gegenüber ihn bei den schwierigsten Aufgaben aufrecht hielt und unterstützte, wie z. B. als er nach Burgund geschickt wurde, um Wein für das Kloster zu kaufen, was für ihn ein sehr unwillkommener Auftrag war, da er nichts von Geschäften verstand und lahm war und im Schiff nicht umhergehen konnte, sondern sich über die Fässer wälzen mußte. Er sagte zu Gott, daß dies Seine Sache wäre, die er da zu tun hätte, und fand nachher, daß alles gut verrichtet war … So erging es ihm auch bei seiner Arbeit in der Küche, gegen die er von Natur eine große Abneigung hatte The Practice of the Presence of God, Second Conversation..

Der Geist, dessen Interesse auf ein höheres Ziel gerichtet ist, läßt sich durch seine eigenen Neigungen und Abneigungen nicht ablenken und verrichtet die ihm zugewiesene Aufgabe auf tüchtige und erfolgreiche Weise. Wo dies nicht der Fall ist, liegt die Schuld eher an der normalen Ausstattung als an der mystischen Veranlagung des Subjekts. Die hl. Katharina von Genua fand in dieser göttlichen Gefährtschaft die Kraft, die ihr Hospital zu einem Erfolg machte. Die hl. Teresa war eine bewundernswerte Hausfrau und erklärte, daß es ihr sehr leicht würde, ihren Gott zwischen den Töpfen und Pfannen zu finden G. Cunninghame Graham, Santa Teresa I, p. 299.. Allem Anschein zum Trotz würde Maria wahrscheinlich eine bessere Köchin geworden sein als Martha, hätten die Umstände ihr diese Tätigkeit aufgezwungen.

Bei Menschen von schwachem oder unklarem Verstande jedoch kann dieses tiefe Sichversenken in das Gefühl der göttlichen Wirklichkeit leicht in Mono-Ideismus ausarten. Dann zeigt sich die »dunkle Seite« der Erleuchtung: eine Sucht nach übersinnlichen Freuden, die »geistliche Völlerei«, die St. Johannes vom Kreuz verdammt. »Ich machte viele Fehler,« sagt Madame Guyon pathetisch, »indem ich mich zu sehr meinen innern Freuden hingab … Ich pflegte mit meiner Arbeit in einer Ecke zu sitzen, aber ich konnte kaum etwas tun, weil der Reiz dieser Freuden mich so packte, daß ich die Arbeit aus der Hand fallen ließ. So brachte ich ganze Stunden zu, ohne imstande zu sein, die Augen zu öffnen, oder zu wissen, was mir geschah … so still und süß und friedlich war mir zumute, daß ich mich manchmal fragte: Kann der Himmel selbst friedlicher sein als ich? Vie I Kap. 17.«

Hier sehen wir, wie Madame Guyon sich wie eine fromme Katze in den Strahlen des Unerschaffenen Lichtes sonnt und schon hinneigt zu den Überspanntheiten des Quietismus mit seinem gefährlichen »Doppelwesen von Passivität und Glückseligkeit«. Die heroische Seite des mystischen Berufes ist vollkommen außer Tätigkeit. Das »triumphierende Geistesleben«, das aufzunehmen die ihr eigentümliche seelische Veranlagung ihr erlaubte, wurde als Quelle persönlicher und sanfter Freuden behandelt, nicht als ein Bronnen, aus dem sie neue Lebenskraft für große und aufopfernde Tätigkeit schöpfte.

Die früheren Biographen der hl. Katharina von Genua haben behauptet, daß sie in der Krisis ihrer Bekehrung vom Leben der Reinigung unmittelbar zum Leben der Einigung übergegangen sei und niemals die charakteristischen Kennzeichen der Erleuchtung aufgewiesen habe. Dies wurde überzeugend widerlegt von Baron von Hügel The Mystical Element of Religion I, p. 105., obwohl auch er in ihrem Falle geneigt ist, die gewöhnliche Reihenfolge der mystischen Zustände abzulehnen. Doch die Schilderung von Katharinens Zustand nach den vier Jahren ihrer großen Kasteiung, wie sie im sechsten Kapitel der »Vita e Dottrina« enthalten ist, gibt uns ein fast vollkommenes Bild gesunder Erleuchtung des nach innen gerichteten oder »immanenten« Typus, und man tut gut, sie mit der oben angeführten Stelle aus Madame Guyons Leben zu vergleichen.

Ohne Zweifel gab es Stunden, wo das Erleben der hl. Katharina gleichsam ihre Erfahrungen vorwegnahm und wo sie sich nicht nur von dem innewohnenden Licht erleuchtet, sondern zeitweise ganz darin eingetaucht fühlte. Diesen Augenblicken verdanken wir solche wundervollen Aussprüche wie den im fünften Kapitel, der, für sich genommen, wie eine Schilderung des wahren Zustandes der Einigung erscheint. Einmal sagte sie: »Ich sehe und fühle nicht, daß ich eine Seele habe, noch Leib, noch Herz, noch Wille, noch Neigung, noch irgend etwas außer reiner Liebe Vita Kap. V, 3..« Ihr normaler Bewußtseinszustand war jedoch offenbar nicht der, den Juliane von Norwich das »Einssein mit der Seligkeit« nennt, sondern vielmehr eine innige, dauernde Gemeinschaft mit einer objektiven Wirklichkeit, die sie jedoch immer als etwas von sich Unterschiedenes empfand. »Nach den besagten vier Jahren«, berichtet das folgende Kapitel der »Vita«, »ward ihr ein gereinigter, freier und gotterfüllter Sinn gegeben, in den nichts anderes mehr eindringen konnte. Wenn sie Predigt oder Messe hörte, war sie dermaßen in ihre inneren Gefühle versenkt, daß sie das, was außerhalb ihrer gesagt oder getan wurde, weder hörte noch sah. Aber in ihrem Innern, im süßen göttlichen Licht, sah und hörte sie andere Dinge, indem sie ganz in den innern Genuß versunken war; und es stand nicht in ihrer Macht, anders zu handeln.« Katharina ist also immer ein Zuschauer des Absoluten, sie fühlt sich nicht eins mit ihm. »Und es ist etwas Wunderbares, daß, während sie innerlich so in Anspruch genommen war, der Herr ihr nie erlaubte, die Herrschaft über sich zu verlieren. Sondern, wenn man ihrer bedurfte, kam sie immer wieder zu sich, so daß sie imstande war, auf das, was man sie fragte, zu antworten, und der Herr führte sie so, daß niemand über sie klagen konnte. Und ihr Sinn war so von göttlicher Liebe erfüllt, daß es ihr schwer wurde, mit andern zu reden; und durch dies beständige Schmecken und Fühlen Gottes geriet sie mehrmals in eine solche Verzückung, daß sie sich verbergen mußte, um nicht gesehen zu werden.« Es ist jedoch klar, daß Katharina selbst sich der Flüchtigkeit und Unvollkommenheit dieses Zustandes intensivster Freude bewußt war. Ihr wachsendes höheres Selbst, unbefriedigt vom Sonnenschein des Weges der Erleuchtung, dem Genuß der Reichtümer Gottes, strebte schon nach der Vereinigung mit dem Göttlichen. Bei ihr, wie bei allen wahrhaft heroischen Seelen, hieß es Liebe um Liebe, nicht Liebe um Freude. Sie rief zu Gott, weil er ihr so viele Tröstungen gab: » Non voglio quello che esce da te, ma sol voglio te, o dolce Amore »Ich will nicht das, was von dir kommt, sondern ich will nur dich allein, o süße Liebe« (Vita Kap. VI). !«

» Non voglio quello che esce da te.« Wenn die wachsende Seele so weit gelangt ist, hat sie den Weg der Erleuchtung fast beendet. Sie hat das Ziel gesehen, »das Land, das keine bloße Vision, sondern eine Heimat ist« Augustinus, Conf. VII, 20. Vgl. die hl. Teresa: »Verzücktheit ist eine große Hilfe, um unsre wahre Heimat zu erkennen und zu sehen, daß wir hienieden Pilger sind; es ist eine große Sache, zu sehen, was dort vorgeht und zu wissen, wo wir leben sollen; denn wenn jemand in ein anderes Land übersiedeln muß, ist es ihm bei den Beschwerden seiner Reise ein großer Trost, zu wissen, daß dies ein Land ist, wo er in vollkommenstem Frieden leben kann.« (Vida Kap. XXXVIII, § 8.), und ist eifrig bestrebt weiterzukommen. So sagt auch Gertrude More: »Keine Erkenntnis, die wir hier von dir haben können, kann meine Seele befriedigen, die unaufhörlich nach dir sucht und verlangt … Ach, mein Herr und Gott, was ist alles, das du einer liebenden Seele geben kannst, die nach dir allein seufzt und schmachtet und alle Dinge als Kot achtet, um nur dich zu gewinnen? Was ist alles, sage ich, solange du nicht dich selbst gibst, der du das Eine bist, das allein not ist und das allein unsere Seelen befriedigen kann? War es irgendwie ein Trost für die hl. Maria Magdalena, als sie dich suchte und statt deiner zwei Engel fand? Wahrlich ich kann nicht glauben, daß das ihr eine Freude war. Denn die Seele, die ihre ganze Liebe und Sehnsucht auf dich gerichtet hat, kann nirgends wahre Befriedigung finden denn allein in dir Spiritual Exercises p. 26 u. 174.

Wie ist diese geheimnisvolle mystische Erleuchtung beschaffen? Welches ist – abgesehen von der Botschaft, die sie bringt – die Form, in der sie sich am häufigsten dem Bewußtsein zeigt? Die Erleuchteten versichern uns allesamt, daß ihr scheinbar symbolischer Name ganz realistisch zu verstehen ist, daß sie ihnen als eine Art Glanz, ein Überflutetwerden der Persönlichkeit mit neuem Licht erscheint. Eine neue Sonne steigt am Horizont auf und verklärt ihre Dämmerwelt. Immer wieder schildern sie ihr Erleben unter dem Bilde irgendeiner Lichterscheinung. Häufig, wie z. B. wenn sie von ihrer ersten Bekehrung sprechen, berichten sie von der tatsächlichen überwältigenden Wahrnehmung eines strahlenden Lichtes von wunderbarem Glanze als Begleiterscheinung ihrer innern Wandlung.

» Sopr' ogne lengua amore
bonta senza flgura
lume fuor di mesura
resplende nel mio core
»Unaussprechliche Liebe, unvorstellbare Güte, unermeßliches Licht leuchtet in meinem Herzen« (Jacopone da Todi, Lauda XCL)«

sang Jacopone da Todi. »Unsagbar wundersames Licht!« sagt Whitman. »Das fließende Licht der Gottheit«, sagt Mechthild von Magdeburg, indem sie versucht, das zu beschreiben, was ihre Welt von der normaler Menschen unterscheidet. » Lux vivens dicit«, sagte die hl. Hildegard von ihren Offenbarungen, die ihr in einem eigentümlichen Licht erschienen, das glänzender war als der Glanz der Sonne Pitra, Analecta S. Hildegardis opera p. 332.. Es ist »eine einströmende Helle«, sagt die hl. Teresa, »ein Licht, das keine Nacht kennt, sondern das, da es immer hell strahlt, durch nichts getrübt werden kann« Vida, Kap. XXVIII, § 7 f..

»Und nun, als ob sich Tag zu Tag geselle,
Erschien es mir, daß Er, der solches kann,
Die Welt mit einer zweiten Sonn' erhelle«,

ruft Dante aus, als er in die Sphäre des Himmels eingeführt wird. »Ein Licht ist dort«, wiederholt er immer wieder.

»Und was ich sag', ist nur ein blasser Schein«

ist sein letztes Wort bei seinem Bestreben zu beschreiben, wie die Seele das Wesen wahrnimmt Paradies I, 61; XXX, 100; XXXIII, 90..

Es scheint in der Tat, als ob das Erreichen neuer Bewußtseinsebenen den Mystikern die Fähigkeit gibt, einen Glanz wahrzunehmen, der immer da ist, allein unserm beschränkten Blick nicht zugänglich, für den er höchstens ein »leuchtendes Dunkel« ist. »In der Ewigen Natur oder im Reiche des Himmels«, sagt Law, »besteht die Körperlichkeit in Leben und Licht An Appeal to All who Doubt. Ich führe die ganze Stelle weiter unten an. S. 343 f.«: Die Zeugnisse über diesen Punkt sind so gehäuft, daß sie auf jedem andern Wissensgebiet als Beweis gelten würden, daß in der Tat ein wirkliches, wunderbares, unbeschreibliches Licht da ist, »das das Licht selbst erleuchtet« und der Erkennung durch die Menschen harrt Es läßt sich natürlich behaupten, daß diese ganze Bildersprache vom Licht letzten Endes auf den Prolog des vierten Evangeliums zurückzuführen ist, wie das Bild von der geistlichen Hochzeit auf das Hohelied Salomonis zurückgehen soll. Aber wir müssen bedenken, daß die Mystiker im wesentlichen Realisten sind, die immer nach einer Sprache suchen, die ihrer Vision der Wahrheit angemessen ist. Daher ist die Tatsache, daß sie diese Bildersprache angenommen haben, eine Gewähr, daß sie etwas darstellt, was sie kennen und zu beschreiben versuchen..

Man beachte, mit welchem Realismus der hl. Augustinus sich ausdrückt an der berühmtesten Stelle seiner »Bekenntnisse«, wo wir sehen, wie ein geborener Psychologe sich verzweifelt abmüht, einen höchst positiven Zustand mit Hilfe von Negationen zu beschreiben. »Ich stieg hinab in meine innerste, tiefste Seele, und du führtest mich. Und ich vermochte es, weil ja du mein Helfer wardst. Ich trat ein und sah nun mit dem Auge meiner Seele, so schwach es war, hoch droben über diesem Auge meiner Seele und über meinem Geist das ewig unveränderliche Licht des Herrn. Es war nicht das gemeine Licht, das jedem Fleische leuchtet. Es war auch nicht vom Wesen dieses Lichtes, nur größer etwa und als leuchte es unendlich vielmal heller und fülle allen Raum mit seiner Strahlengröße. Nein, es war dieses Licht nicht, es war ein anderes, ganz anderes als alles dies. Es lag auch nicht auf meiner Seele so, wie das Öl auf Wasser liegt, noch wie der Himmel droben über der Erde sich wölbt. Nein, es war über mir, weil es mich erschaffen hat, und ich war unter ihm, weil ich von ihm geschaffen bin. Wer die Wahrheit kennt, der kennt dies Licht, und wer dies Licht kennt, kennt die Ewigkeit. Die Liebe kennt es Conf. VII, 10 (Hefele S. 125 f.).

Hier haben wir wie bei der hl. Teresa, Katharina von Genua und Jacopone da Todi eine ausgesprochen »immanentale« Schilderung des Zustandes der Erleuchtung. Das Selbst erkennt durch den Akt, den die Mystiker »Selbsteinkehr« nennen, durch das bewußte Einwärtsrichten seiner Aufmerksamkeit, seiner Willenskräfte die Wirklichkeit in seinem Herzen: »die spielende Flut der Liebe, die von Gott heimlich in die Seele fließt und sie mit aller Kraft wieder zu sich hinzieht Mechthild von Magdeburg, Das fließende Licht der Gottheit VII, 45..« Allein die entgegengesetzte oder transzendentale Neigung – die herrliche kosmische Vision der Unendlichkeit außerhalb des Subjekts – das Streben nach außen über die Grenzen dieser Sinnenwelt hinaus einem göttlichen Licht zu,

»das zeigt den Schöpfer den Geschöpfen klar,
die nur in seinem Anschaun Frieden finden Dante Paradies XXX, 100.«,

das wunderbare, gestaltlose Aufgehen in dem göttlichen Dunkel, zu dem die Seele aufzusteigen bestimmt ist – diese Vorstellungsweisen sind gleich charakteristisch für den Weg der Erleuchtung. Wie bei der Bekehrung so kann auch hier die Wirklichkeit als transzendent oder immanent, positiv oder negativ wahrgenommen werden. Sie ist zugleich nahe und fern, und für einige ist das, was fern ist, am leichtesten zu finden. Für einen bestimmten Geistestyp ist die wahre Vergegenwärtigung Gottes nicht ein beglücktes Erfülltsein vom Innern Lichte, sondern ein ehrfurchtsbanges Anschauen des Absoluten, der »nackten Gottheit«, der Quelle und des Ursprungs von allem, was da ist. Es ist ein Aufstieg zu der höheren Wahrnehmungsebene, wo »die einfachen, absoluten, unveränderlichen Geheimnisse der Theologie im überlichten Dunkel des Verborgenes offenbarenden Schweigens enthüllt werden, in einem Dunkel, das in überhellem Glanze erstrahlt und das unsichtbar und unfaßbar mit seinem Licht die augenlosen Geister überströmt Dionysius der Areopagit, Von mystischer Theologie I, 1.«.

Mit einem solchen Erleben der Ewigkeit, einer solchen Vision des dreieinigen, allumfassenden Absoluten, der »das Universum mit Liebe bindet«, endet Dante seine »Göttliche Komödie«, und die mystische Freude, mit der die Erinnerung an sie ihn erfüllt, ist ihm Gewähr, daß er in Wahrheit die »Rosa Inviolata«, das flammende Herz der Dinge gesehen hat.

»O Gnadenmeer, daß ich mich unterfing,
Daß meine Blick' am Lichte haften blieben,
Eindringend, bis das Schauen dort verging!
In seiner Tiefe schloß, vereint durch Lieben,
Wie in ein einzig Buch sich alles ein,
Was durch das Weltall steht getrennt geschrieben,
Substanz und Akzidenz nach Art und Sein
Gleichsam in eins verschmolzen und verwoben,
Und was ich sag', ist nur ein blasser Schein.
Die Urform dieses Knotens sah ich droben,
Das glaub' ich, und dies Wort, es kund zu tun,
Hat höher noch in mir die Freud' erhoben.

*

O gegen mein Anschaun welch ärmlich Ding
Mein Wort! und gegen das erblickte Sein
Ist mein Anschaun – zuviel noch sagt ›gering‹.
Ewiges Licht, du ruhst in dir allein;
Allein dich kennend und von dir verstanden,
Liebst du verstehend dich und freust dich dein Parad. XXXIII, 82-93 u. 121-6.

In Dante sehen wir die transzendente und unpersönliche Form der Erleuchtung auf ihrer höchsten Stufe. Es scheint auf den ersten Blick fast unmöglich, daß diese ausgedehnte Vision des Undifferenzierten Lichtes und solche intimen und persönlichen Wahrnehmungen der Gottheit wie Lady Julianens Gespräche mit ihrem »freundlichen und liebwerten Herrn« und Katharinens vertraulicher Umgang mit der göttlichen Liebe in demselben System Raum finden. Und doch sind dies alles Schilderungen desselben Seelenzustandes, alle beschreiben die Erreichung derselben Wirklichkeitsstufe.

In einer wundervollen, in der mystischen Literatur ganz einzigen Stelle schildert Angela da Foligno die Lichtvision, durch die ihr die Wahrheit offenbart wurde: die zwiefache Wahrnehmung eines Absoluten, das zugleich demütig und allmächtig, persönlich und transzendent, das die unvorstellbare Synthese von »unaussprechlicher Macht« und »tiefer Demut« ist.

»Und alsbald wurden die Augen meiner Seele aufgetan, und ich sah die Fülle der Gottheit, in der ich die ganze Welt begriff, diesseit wie jenseit des Meeres, und das Meer und den Abgrund und alle Dinge, und ich sah in ihnen nichts als die göttliche Macht. Und es war so unbeschreiblich wunderbar, daß die Seele in übergroßem Staunen rief: ›diese ganze Welt ist von Gott erfüllt!‹ Und ich begriff, daß die ganze Welt etwas ganz Geringes war. Und ich sah, daß die Macht Gottes alles erfüllte und über alles hinausging. Er sagte zu mir: ›Ich habe dir etwas von meiner Macht gezeigt … nun sieh meine Demut!‹ Und ich sah eine so tiefe Demut Gottes gegen die Menschen und alle Dinge, daß meine Seele, da sie seine unaussprechliche Macht begriff und dabei so tiefe Demut sah, voll Staunens war und sich selbst für nichts achtete B. Angelae de Fulginio Visionum et Instructionum Liber Kap. 22 (p. 78 f.).

Man darf nie vergessen, daß alle offenbar einseitigen Schilderungen der Erleuchtung, ja, das Erleben dieser Erleuchtung selbst, durch das Temperament bestimmt wurden. »Das Licht, dessen Lächeln das Weltall entzündet«, ist immer dasselbe, aber das Selbst, durch das es hindurchgeht und auf dessen Bericht wir angewiesen sind, hat schon die modelnden Einflüsse von Umgebung und Herkunft, Kirche und Staat erfahren. Selbst die Sprache, der sich das Selbst in seinem Bemühen, dem Erlebten Ausdruck zu geben, bedient, verkettet es mit zahllosen Philosophien und Glaubensformeln. Seine Antwort auf die göttliche Liebe wird ihrer Art nach dieselbe sein, in der seine Natur auf irdische Liebe antworten würde, nur zum höchsten Grade erhoben. Wir erhalten, wenn es uns sein Erlebnis übermittelt, mit diesen zugleich alle jene Elemente, die das Subjekt unwillkürlich und unbewußt hinzugetan hat. Daher kann die Wahrnehmung der göttlichen Wirklichkeit fast jede Form annehmen, von den metaphysischen Ekstasen, die wir bei Dionysios und in geringerem Grade beim hl. Augustinus finden, bis zu den einfachen, fast verstandesmäßig nüchternen Aussagen des Bruders Laurentius oder der lieblichen Intimität einer Juliane oder Mechthild.

Bisweilen – so reich und mannigfach ist die Natur des großen Mystikers – geht die erhabene und unpersönliche Sprache der dionysianischen Theologie, ohne daß es irgendwie störte, Hand in Hand mit Gleichnissen von rührender Schlichtheit, die den gewöhnlichsten Vorfällen des täglichen Lebens entnommen sind. Seuse, bei dem die Erleuchtung und die Reinigung sechzehn Jahre lang gleichzeitig dauerten und abwechselnd das Feld des Geistes beherrschten und bei dem die Schwankungen zwischen härtester Kasteiung und höchster ekstatischer Freude jäh und heftig waren, ist ein charakteristisches Beispiel einer solchen Geisteshaltung. Seine Erleuchtung gehörte zum großen Teil dem »immanentalen« und intimen Typus an, allein sie war nicht ohne Spuren mystischer Transzendenz, die in jenen zarten und entzückenden Stellen, wo der Diener der Ewigen Weisheit von seiner Liebe zu sprechen versucht, mit plötzlichem Glanz hervorbricht.

So schildert er in einem der ersten Kapitel seiner Lebensbeschreibung, wie er, »während er nach seiner Gewohnheit an die allerlieblichste Weisheit dachte, sein liebesuchendes Herz fragte: ›Ach, mein Herz, sieh, woher fließt alle Liebe und alle Freundlichkeit? Woher kommt alle Zartheit, Schönheit, Herzenslust und Lieblichkeit? Kommt es nicht alles von dem ausströmenden Urquell der bloßen Gottheit? Wohlauf denn, Herz und Sinn und Gemüt, hinein in den grundlosen Abgrund aller lieblichen Dinge! Wer will mich nun hindern? Ach, ich umfange dich heute nach meines brennenden Herzens Begierde!‹ Und dann drang in seine Seele der urquellhafte Ausfluß alles Guten, in dem er geistlich alles fand, was schön, lieblich und begehrenswert war; das alles war darin in unaussprechlicher Weise. Hierdurch ward er's gewohnt, wenn er Loblieder hörte singen oder süßes Saitenspiel erklingen oder von irdischer Liebe hörte singen und sagen, so ward ihm sein Herz und Gemüt geschwinde mit einem weltentrückten Blick auf sein lieblichstes Lieb gelenkt, daraus alle Liebe strömt. Wie oft das traute Lieb mit liebeverweinten Augen, mit ausgebreitetem unergründlichen Herzen umfangen und in das liebeselige Herz lieblich gedrückt wurde, das wäre nicht zu sagen. Ihm war es dabei oft gerade so, als wenn eine Mutter ihr saugendes Kindlein unter den Armen gefaßt auf dem Schöße stehen hat und es reckt sich mit seinem Köpfchen und mit den Bewegungen seines Körperchens zur liebkosenden Mutter auf und zeigt seine Herzensfreude mit lachenden Gebärden – also reckte sich oft sein Herz im Leibe hin nach der lustvollen Gegenwart der Ewigen Weisheit in tief empfundener Durchströmung Seuse, Leben Kap. VI (Bihlm. 14, 28-15, 15).

2. Die Vision der Welt im Zustande der Erleuchtung.

Im deutlichen Zusammenhange mit dem »Gefühl der Gegenwart Gottes« oder der Fähigkeit, das Absolute wahrzunehmen, steht das andere Kennzeichen des erleuchteten Bewußtseins: die Vision »eines neuen Himmels und einer neuen Erde« oder einer erhöhten Bedeutung und Wirklichkeit der Erscheinungswelt. Das Wort Julianens: »Gott ist alles, was ich als gut erkenne, und alles, was da Gutes in den Dingen ist, ist Er Revelations Kap. 8.«, bildet gleichsam das Verbindungsglied zwischen beiden. Auch hier müssen wir deutlich unterscheiden zwischen vag poetischer Sprache – »das Licht, das nie war«, »jeder gewöhnliche Busch, von Gott entbrannt« – und Schilderungen, die sich auf ein konkretes und bestimmtes seelisches Erleben beziehen.

Dies Erleben bildet in seiner höchsten Form das Gegenstück und die Ergänzung des Erlebens der Gegenwart Gottes. Das will sagen: es hat einen sakramentalen, nicht einen asketischen Charakter. Es bringt vielmehr die Ausdehnung als die Konzentration des Bewußtseins mit sich, hat zur Folge, daß man den vollkommenen Einen in den Vielen entdeckt, die von Ihm entflammt sind, nicht, daß man die Vielen verläßt, um den Einen zu finden. Sein charakteristischer Ausdruck ist:

»Geladen ist die Welt mit Gottes Größe,
Sie flammt hervor wie Blitz geschwung'ner Klinge [Gerard Hopkins, Poems (ed. by Rob. Bridges, Lo. 1918): God's Grandeur. Nach freundl. Mitt. der Verf.]«,

nicht: »richte deine Gedanken auf deine eigene Seele, worinnen Er verborgen ist«. Es erscheint in der Regel in Gestalt einer außerordentlich gesteigerten geistigen Helle – gleichsam einer Verschärfung der Sinne – einer Art Hellsichtigkeit, die in den geringsten Dingen einen wundersamen Glanz, eine bisher nie geahnte Schönheit und Wirklichkeit erkennen läßt.

»Von dem Augenblick an, wo die Seele in eingegossenem Gebet den Eindruck Gottes empfangen hat«, sagt Malaval, »sieht sie Ihn überall vermöge eines der Geheimnisse der Liebe, das nur denen bekannt ist, die es erfahren haben. Die einfache Vision reiner Liebe, die wunderbar tief eindringt, macht nicht an der äußeren Schale der Schöpfung halt, sie dringt bis zur Gottheit vor, die darinnen verborgen ist Malaval, De l'Oraison Ordinaire (La Pratique de la Vraye Theologie Mystique I, S. 342).

So läßt Browning David sagen:

»Ich brauch' nur die Augen zu öffnen, – und wie ich sie ahnte,
Vollkommenheit, so steht sie vor mir, und Gott blickt mich an
Aus dem Stern, aus dem Stein und der Scholle, dem Leib und der Seele Saul 17.

Blakes »Im Sandkorn eine Welt sehen«, Tennysons »Blume in der Mauerritze«, Vaughans »Busch und Eiche wissen, daß ich bin« und ähnliche Worte sind genaue, wenn auch etwas abgenützte Berichte von in diesem Bewußtseinszustande »geschauten Dingen«, von »dieser einfachen Vision reiner Liebe«, deren Wert Eckehart zusammenfaßt in die tiefen Worte: »das Geringfügigste, was man in Gott erkennt, wie wenn einer eine Blume erkennte, so wie sie ein Wesen in Gott hat, das stünde höher als die ganze Welt Pred. LXXXII (Pfeiffer S. 263, 17 f.; Lehmann 216; Mystische Schriften von Landauer S. 137).«. Viele mystischen Dichter von der Art eines Wordsworth und Walt Whitman besaßen diese Form der Erleuchtung in hohem Grade. Der amerikanische Psychologe Bücke hat sie eingehend analysiert unter dem Namen »kosmisches Bewußtsein S. oben II, Kap. 2, die Fälle von Richard Jefferies, Bruder Laurentius u. a. [S. 251-4].«. In ihrer höchsten Entwicklung sieht man sie bei Fox, Boehme und Blake.

Wir wollen zunächst die Erfahrung Jakob Boehmes betrachten, einmal, weil wir von ihm eine besonders ausführliche und vollständige Schilderung aus erster Hand haben, sodann, weil er eins der vielseitigsten und am besten überlieferten Beispiele mystischer Erleuchtung ist, der zugleich mit einem intensiven Bewußtsein göttlicher Geleitschaft alle jene Erscheinungen von Hellsichtigkeit, Automatismus und erhöhten geistigen Kräften verbindet, die zwar eigentlich dazu gehören, doch sich selten bei demselben Individuum gleichzeitig entwickeln.

In Boehmes Leben, wie es uns in der Einleitung der englischen Gesamtausgabe seiner Werke The Works of Jakob Boehme, 4 vols. 1764, vol. I pp. XII etc. geschildert wird, finden wir drei deutlich unterschiedene Eintritte der Erleuchtung, alle dem äußern, pantheistischen Typus angehörig. Bei der ersten Erleuchtung, die stattfand, als er noch sehr jung war, ward er »mit göttlichem Licht umfangen und stand sieben Tage lang in höchster göttlicher Beschaulichkeit und Freudenreich« A. von Frankenberg, Lebensbeschreibung J. Boehmes 7.. Diese Erleuchtung können wir wohl gleichsetzen mit dem mystischen Erwachen, so wie Seuse es erfuhr. Um das Jahr 1600 geschah die zweite Erleuchtung, die mit einem tranceähnlichen Bewußtseinszustande begann, als Folge des starren Schauens auf ein blankes Zinngefäß. Ich erwähnte dies schon in einem früheren Kapitel Oben S. 77.. Dies brachte jene besondere Hellsichtigkeit für die innere Wirklichkeit der Erscheinungswelt mit sich, kraft deren er, wie er selbst sagte, in die tiefsten Gründe der Dinge hineinschaute. »Er glaubte, es sei nur eine Phantasie, und um diese sich aus dem Sinne zu schlagen, ging er vors Tor ins Grüne. Aber hier ward er inne, daß er den Dingen, selbst Gras und Kräutern, ins Herz schaute und daß die wirkliche Natur mit dem übereinstimmte, was er in seinem Innern gesehen hatte Martensen, Jakob Boehme S. 6..« Über dieses selbe Erlebnis und die Hellsichtigkeit, die es begleitete, sagt ein anderer Biograph: »Da er als in etwas zweifelhaft, um solche vermeinte Phantasie aus dem Gemüte zu schlagen, zu Görlitz vor dem Neißtore … ins Grüne gegangen, und doch nichtsdestoweniger solchen empfangenen Blick je länger je mehr und klarer empfunden, als daß er vermittelst der angebildeten Signaturen oder Figuren, Lineamenten und Farben, allen Geschöpfen gleichsam in das Herz und in die innerste Natur hineinsehen können …, wodurch er mit großen Freuden überschüttet, stillgeschwiegen, Gott gelobet, seiner Hausgeschäfte und Kinderzucht wahrgenommen, und mit jedermann fried- und freundlich umgegangen und von solchem seinem empfangenen Lichte und innern Wandel mit Gott und der Natur wenig oder nichts gegen jemanden gedacht Frankenberg 11.

Soweit wir aus seinen eigenen hier und da zerstreuten Angaben schließen können, muß Boehme von dieser Zeit ab im fast beständigen und zunehmenden Bewußtsein der übersinnlichen Welt gelebt haben, obwohl wir Zeugnisse haben, daß auch er, wie alle andern Mystiker, Perioden von Dunkelheit kannte, »heftige Anstöße« erlitt und zeitweise Kämpfe mit jenem »mächtigen Contrarium«, dem niedern Bewußtsein. Im Jahre 1610 – vielleicht als Resultat dieser periodischen Kämpfe – wiederholte sich die Erleuchtung von 1600 in gesteigerter Form, und in Folge davon, um einen Bericht von den Geheimnissen, die er geschaut, zu hinterlassen, schrieb er sein erstes und schwierigstes Werk, »Aurora oder die Morgenröte im Aufgang«. Die Stelle, wo der »inspirierte Schuhmacher« versucht, uns seine Vision der Wirklichkeit zu schildern und etwas von dem leidenschaftlichen Ringen seiner Seele und von der unaussprechlichen Erkenntnis der Dinge, zu der er gelangt ist, mitzuteilen, gehört zu denen, die in allen, die auch nur in bescheidensten Ansätzen die Fähigkeit zu mystischer Wahrnehmung haben, das Heimweh der Verbannten wecken, die plötzlich die Laute ihrer Heimat hören. Es ist eine »musikalische Stelle«, die zum ganzen Menschen, nicht nur zum Intellekt, spricht. Im Rhythmus und in der Gefühlsweise gleicht sie einer Brahmsschen Romanze. Wer sich ihr mit empfänglichem Gemüte hingibt, wird durch ein wunderbares Gefühl erweiterten Lebens, durch ein beglückendes Bewußtsein der Wahrheit, belohnt. Hier ist ein Mensch, der wie je einer jeden Nerv anspannt, um »zu sagen, was er schaute«, und es ist offenbar, daß er viel geschaut hat, vielleicht soviel wie Dante, obwohl ihm das dichterische Genie fehlte, um uns seine Vision anschaulich wiederzugeben. Gerade die Sonderbarkeit des Ausdrucks, die unerwarteten Harmonien und Dissonanzen, die gebildeten und wohlgeordneten Geistern auf die Nerven gehen, bezeugen, daß der Geist des Lebens von innen nach Ausdruck ringt. Boehme erscheint, wie Blake, als ein »von geistiger Schau Trunkener«, ein »Gottberauschter«.

»In solchem meinem gar ernstlichen Suchen und Begehren«, sagt er, »(darinnen ich heftige Anstöße erlitten, mich aber ehe des Lebens verwegen, als davon ausgehen und ablassen wollte), ist mir die Pforte eröffnet worden, daß ich in einer Viertelstunde mehr gesehen und gewußt habe, als wenn ich wäre viel Jahre auf hohen Schulen gewesen, dessen ich mich so hoch verwunderte, wußte nicht, wie mir geschahe, und darüber mein Herz ins Lob Gottes wendete.

Denn ich sahe und erkannte das Wesen aller Wesen, den Grund und Ungrund; item, die Geburt der heiligen Dreifaltigkeit, das Herkommen und den Urstand dieser Welt und aller Kreaturen durch die göttliche Weisheit. Ich erkannte und sah in mir selber alle drei Welten, als erstens die göttliche, englische oder paradiesische; und dann zweitens die finstere Welt, als den Urstand der Natur zum Feuer; und zum dritten diese äußere sichtbare Welt, als ein Geschöpf und Ausgeburt, oder als ein ausgesprochen Wesen aus den beiden inneren geistlichen Welten. Ich sahe und erkannte das ganze Wesen in Bösem und Gutem, wie eins von dem andern urständete, und wie die Mutter der Gebärerin wäre …

Ich mußte gleich anfangen, in diesem sehr großen Geheimnis zu arbeiten, als ein Kind, das zur Schule gehet. Im Innern sahe ich es wohl, als in einer großen Tiefe, denn ich sahe hindurch als in ein Chaos, da alles inne lieget; aber seine Auswickelung war mir unmöglich.

Es eröffnete sich aber von Zeit zu Zeit in mir, als in einem Gewächse: wiewohl ich zwölf Jahre damit umging, und dessen in mir schwanger war, und einen heftigen Trieb in mir befand, ehe ich es konnte in das Äußere bringen; bis es mich hernach überfiel als ein Platzregen: was der trifft, das trifft er. Also ging es mir auch, was ich konnte ergreifen, in das Äußere zu bringen, das schrieb ich auf Der zwölfte Sendbrief. An Herrn Kaspar Lindnern § 7-10 (Werke VII, 400)

Etwas Ähnliches wie diese hellsichtige Vision der Wirklichkeit der Dinge, diese plötzliche Beleuchtung der Erscheinungswelt durch das Licht der übersinnlichen Welt, erlebte George Fox in seinem vierundzwanzigsten Jahre, worüber er in seinem Tagebuch berichtet Journal I, p. 28 f. (Kap. II; Übers. S. 20 f.).. Hier ist es, ebenso wie bei Boehme, klar, daß die bedauerliche Bekanntschaft mit der »Lehre von den Signaturen« die Sprache und die Symbole, worin er seine intuitive Vision der Wirklichkeit, so wie sie im göttlichen Lichte existiert, schildert, bis zu einem gewissen Maße bestimmt hat.

»Nun war ich im Geist bei dem flammenden Schwert vorbei ins Paradies Gottes eingedrungen. Alle Dinge waren wie neu, und die ganze Schöpfung hatte für mich einen andern Geruch, über alles, was Worte ausdrücken können … Die ganze Schöpfung wurde mir offenbar, und es wurde mir gezeigt, wie alle Dinge mit dem Namen benannt wurden, der ihrem Wesen und ihren Kräften entsprach. Ich war unschlüssig, ob ich nicht sollte Heilkunde treiben zum Nutzen der Menschheit, als ich sah, wie die Natur und die Kräfte aller Dinge mir so geoffenbart wurden vom Herrn … Der Herr führte mich in große Dinge ein, und wunderbare Tiefen wurden mir geoffenbart, die alles übertrafen, was Worte beschreiben können. Aber wer sich dem Geist Gottes unterwirft und hineinwächst in das Ebenbild und die Kraft des Allmächtigen, der wird das Wort der Weisheit empfangen, das alle Dinge offenbar macht, und wird dazu gelangen, die verborgene Einheit in dem ewigen Wesen zu erkennen

»Die verborgene Einheit in dem ewigen Wesen zu erkennen« – sie zu erkennen mit unanfechtbarer Gewißheit, in dem allumfassenden Bewußtseinsakt, mit dem wir die Persönlichkeit derer, die wir wahrhaft lieben, erfassen – dies heißt, das erleuchtete Leben in seiner Fülle leben, indem man »alle Kreaturen in Gott, und Gott in allen Kreaturen genießt.«

Diese Art von Hellsichtigkeit scheint in ungeheuer gesteigerter Form das zu sein, was jedem wahren Dichter eigen ist als Bewußtsein des »Andersseins« der natürlichen Dinge; des Gefühls einer Einheit in der Gesondertheit, eines mächtigen, wirkenden Lebens über das hinaus, was das Auge sehen kann, einer wunderbaren Wirklichkeit, die durch die Hülle der Erscheinungen hindurchleuchtet, – ein Bewußtsein, das häufig denen eigen ist, die eins sind mit dem Leben; das oft, wie bei Blake, den Zustand der Erleuchtung dauernd begleitet, und das bei jeder Art von Bekehrung unfehlbar, wenn auch flüchtig, auftritt. Das Selbst wird sich gleichsam jener Welt des Werdens, jenes großen und vielfarbigen Lebensstromes, bewußt, in den das kleine Einzelleben eingetaucht ist. Sowohl im heulenden Sturm wie im zirpenden Heimchen hört es den lauten Ruf des Wortes, »das immerwährend durch alle Dinge geht [Hymnus des Kleánthes, s. oben S. 154.]«. Es nimmt tätig und mit offenen Augen an der großen Reise des Sohnes zum Vaterherzen teil, und da es mit geläutertem Blick alle Dinge und Geschöpfe so sieht, wie sie in jener höheren Ordnung sind, entdeckt es auch in ihnen das Streben der Schöpfung, zu ihrem Ursprung zurückzukehren, das das Geheimnis des Weltalls ist.

So besteht eine Harmonie zwischen dem Mystiker und dem Leben in allen seinen Formen. Ungetäuscht durch den Schein, sieht, fühlt und erkennt er es in einem einzigen Akt tief eindringenden liebenden Verstehens. »Und das leibliche Augenlicht ward trübe,« sagt Juliane, »aber das geistige Licht erhellte meinen Verstand, und ich weilte in ehrfürchtiger Freude in dem, was ich schaute Revelations, Kap. 8..« Das Herz eilt den plumpen Sinnen voraus und sieht – vielleicht nur einen Augenblick, vielleicht auf einen langen, seligen Zeitraum – eine unentstellte und wirklichere Welt. Alles wird im Licht der Liebe und infolgedessen unter dem Aspekt der Schönheit geschaut, denn Schönheit ist mit den Augen der Liebe geschaute Wirklichkeit. Es gilt hier dasselbe, was von einer andern, noch beseligenderen Vision gesagt wird: essere in carità è qui necesse Dante, Paradies III, 77 (in der Liebe zu sein ist hier nötig).. Solchem ehrfürchtigen und freudevollen Blick sind die geringsten Vorfälle des Lebens von strahlender Schönheit. Die Londoner Straßen sind Pfade der Lieblichkeit, die Omnibusse selbst erscheinen wie buntgewandete Engel, mit zutraulichen kleinen Seelen auf dem Schoße [Vgl. die Erlebnisse, in denen der Dichter Rabindranath Tagore seine reife Gestalt erhielt: Tagore, Lebenserinnerungen Kap. 34.].

Oft, wenn wir unsere Künstler tadeln, daß sie häßliche Dinge malen, versuchen sie nur, uns eine Schönheit zu zeigen, gegen die wir blind sind. Sie haben einen Vorsprung vor uns gewonnen und den Zustand »vierfacher Schau« erreicht, den Blake für sich in Anspruch nahm und in dem der Seher die ganze sichtbare Welt verklärt sieht, weil er »die alten mürben Lumpen des Sinnes und des Gedächtnisses abgelegt« und »eine reine, unverdorbene Phantasie angetan hat Letters of William Blake p. 111.«. In diesem Zustande von Hellsichtigkeit werden Symbol und Wirklichkeit, Natur und Einbildungskraft als Eins erkannt, und in ihm werden alle großen Kunstwerke hervorgebracht, da diese ihre Größe der Einwirkung der Wirklichkeit auf den künstlerischen Geist verdanken. »Ich weiß,« sagt wiederum Blake, »daß diese Welt eine Welt der Einbildungskraft und Vision ist. Ich sehe alles, was ich male, in dieser Welt, aber nicht jeder sieht auf gleiche Weise. Dem Auge eines Geizhalses ist ein Goldstück weit schöner als die Sonne, und ein abgenutzter Geldbeutel hat für ihn schönere Formen als ein Weinstock voller Trauben. Der Baum, der einige zu Freudentränen rührt, ist in den Augen anderer nur ein grünes Ding, das im Wege steht. Einige sehen die Natur ganz verzerrt und lächerlich, von diesen werde ich nicht meinen Maßstab nehmen, und einige sehen die Natur überhaupt kaum. Aber für die Augen des Phantasiemenschen ist die Natur die Phantasie selbst. Wie der Mensch ist, so pflegt er zu sehen. Wie das Auge geformt ist, so sind auch seine Kräfte. Ihr seid sicherlich im Irrtum, wenn ihr sagt, die Visionen der Phantasie seien in dieser Welt nicht zu finden. Für mich ist diese Welt eine einzige ununterbrochene Vision der Phantasie, und ich fühle mich geschmeichelt, wenn man mir dies sagt Ebenda, p. 62.

Wenn man den mystischen Weg ansieht als einen Aufstieg zum Übersinnlichen, eine Entwicklung des Selbst zur freien und bewußten Teilnahme am absoluten Leben und zur allmählichen Aneignung dieses Lebens durch den Kontakt zwischen dem Subjekt und der übersinnlichen Welt in der Tiefe des menschlichen Wesens, dem Seelengrunde oder Funken der Seele, dann ist dies erleuchtete Verstehen der Dinge, dies Freimachen der Wahrnehmungstore, sicher das, was wir beim Aufsteigen zu höheren Bewußtseinszentren erwarten dürfen. Die Oberflächen-Intelligenz, von der Herrschaft der Sinne befreit, wird mehr und mehr durchdrungen von der übersinnlichen Persönlichkeit, von dem neuen Menschen, der von Natur ein Bürger der selbständigen Geisteswelt und dessen Bestimmung, mystisch gesprochen, eine »Rückkehr zu seinem Ursprung« ist. Daher das Einströmen neuer Lebenskraft, eine erhöhte Kraft geistigen Schauens, eine gewaltige Steigerung seiner intuitiven Kräfte.

In solchen Augenblicken der Hellsichtigkeit und erhöhten Wahrnehmung, wie Blake und Boehme sie beschreiben, sehen der Mystiker und der Künstler tatsächlich sub specie aeternitatis den vierfachen Fluß des Lebens – jene Welt des Werdens, in der, wie Erigena sagt, »jedes sichtbare und unsichtbare Geschöpf eine Theophanie oder Erscheinung Gottes ist«, – wie alle ihn sehen könnten, wenn Vorurteil, Selbstbefangenheit oder andere Täuschung ihren Blick nicht trübte. Aus diesem liebenden Schauen entspringt sehr oft jene schöne Sympathie mit allen lebendigen Naturwesen und jene außerordentliche Macht über sie, die im Leben der mystischen Heiligen immer wieder zutage kommt, zum Erstaunen für den trägen Geist gewöhnlicher Menschen, die durch den »Strom der Gewohnheit« Augustinus, Conf. I, 16. von aller Verbindung sowohl mit ihrem natürlichen als mit ihrem übernatürlichen Ursprung abgeschnitten sind.

Doch ist es nicht so sehr erstaunlich, daß der hl. Franz von Assisi, der fühlte und wußte – nicht nur »glaubte« –, daß jedes lebende Geschöpf wirklich und tatsächlich eine »Theophanie oder Erscheinung Gottes« ist, in dem festen Bewußstein lebte, mit diesen seinen Brüdern und Schwestern das große und wundervolle Leben des Alls zu teilen. Und daher können wir es ihm billigerweise auch nicht als Exzentrizität zurechnen, wenn er nach seinen Überzeugungen handelte, seinen kleinen Brüdern, den Vögeln, predigte Fioretti, Kap. 14., sich die freundliche Gefälligkeit des Falken zunutze machte Ebenda; Von den Wundmalen, 2. Betrachtung (Binding S. 151 f.) und Thomas von Celano, Vita Secunda Kap. CXXVII., die Freundschaft des Fasans genoß Thomas von Celano, ebenda Kap. CXXIX., den gefangenen Turteltauben, seinen einfältigen, unschuldigen und keuschen Schwestern Trost zusprach Fioretti Kap. 22., oder seinen Bruder Wolf zu einem besseren Leben überredete Ebenda Kap. 21..

Der wahre Mystiker, den man so oft wegen »Verleugnung der Welt« schmäht, verleugnet nur die enge und künstliche Welt des Ichs und findet dafür die Geheimnisse jenes mächtigen Universums, das er mit der Natur und mit Gott teilt. Wunderbare Berührungen, von denen die, welche nur das Leben der Sinne führen, nichts wissen, stellen sich her zwischen seinem Wesen und dem Wesen aller andern Dinge. In jener Erneuerung seines Bewußtseins, die dem »mystischen Erwachen« folgt, ist das tiefe und ursprüngliche Leben, das er mit der ganzen Schöpfung teilt, aus seinem Schlaf gerüttelt. So ist die Schranke zwischen menschlichem und nicht-menschlichem Leben, die den Menschen zu einem Fremdling auf Erden wie im Himmel macht, beseitigt. Das Leben flüstert jetzt seinem Leben zu, alle Dinge sind seine Vertrauten und erwidern seine brüderliche Sympathie.

So erscheint es dem »armen kleinen Manne von Assisi«, dessen Freund, der Fasan, seine Zelle einem ihm selbst natürlicheren Wohnort vorzog, als etwas ganz Einfaches und Selbstverständliches, daß er als Abgesandter der erschreckten Bevölkerung von Gubbio zu seinem furchtbaren Bruder Wolf sich aufmacht. Das Resultat dieser Zusammenkunft ließe sich, in gewöhnliche Sprache übersetzt, mit der Erfahrung vieler vergleichen, die diese seltsame und nicht mitteilbare Macht über die Tiere haben.

»O Wunder! Sobald St. Franziskus das Zeichen des Kreuzes machte, schloß der furchtbare Wolf den Rachen und hielt in seinem Lauf inne, und auf das Geheiß des hl. Franziskus kam er sanft wie ein Lamm zu ihm und legte sich zu seinen Füßen nieder … Und da St. Franziskus seine Hand ausstreckte, um das Pfand entgegenzunehmen, hob der Wolf seine rechte Tatze stracks empor und legte sie artig in die Hand des hl. Franziskus, indem er ihm so das Treupfand gab, wie er es vermochte. Darauf sagte St. Franziskus: ›Bruder Wolf, ich befehle dir im Namen Jesu Christi, daß du mit mir kommst ohne Zaudern in die Stadt, damit wir im Namen des Herrn diesen Frieden abschließen.‹ Und der Wolf ging gehorsam mit ihm wie ein sanftmütiges Lamm. Als die Bürger das sahen, waren sie aufs höchste verwundert … Danach lebte der Wolf noch zwei Jahre in Agobio; er ging artig von Tür zu Tür, ohne jemand ein Leid zu tun und ohne von jemand ein solches zu erleiden, und wurde freundlich von den Leuten gefüttert. Und wenn er so im Freien oder in den Häusern umherlief, geschah es niemals, daß ihm ein Hund nachbellte. Endlich nach zwei Jahren starb Bruder Wolf vor Alter. Darüber betrübten sich die Brüder sehr, denn, wenn sie ihn so sanftmütig durch die Straßen wandern sahen, erinnerten sie sich um so lebhafter der Tugend und der Heiligkeit des hl. Franziskus Fioretti Cap. 21. Vielleicht darf ich die ungläubigen Leser darauf hinweisen, daß die kürzliche Entdeckung eines großen Wolfschädels in Gubbio, nahe bei der Stelle, wo Bruder Wolf zwei Jahre nach der Zähmung durch den Heiligen gelebt haben soll, sehr für die Wahrheit dieser schönen Erzählung spricht und die rationalistischen Gelehrten, die an keine Überlieferung glauben wollen, etwas aus der Fassung gebracht hat.

Bei einem andern Mystiker, der dem englischen Leser weniger vertraut ist als der hl. Franziskus, bei Rosa von Lima, der Heiligen von Peru, nahm diese tiefe Sympathie mit allen Wesen und Dingen der Natur eine besonders liebliche Form an. Ihr war die ganze Welt ein heiliges Märchenland, in dem jedes lebende Wesen sein Antlitz der Ewigkeit zuwandte und sich in Anbetung Gottes mit ihr vereinte. Es heißt in ihrer Biographie, daß sie, »wenn sie bei Sonnenaufgang durch den Garten zu ihrer Zelle ging, die Natur aufrief, mit ihr den Urheber aller Dinge zu preisen. Dann neigten sich die Bäume, wie sie vorüberging, und falteten mit harmonischem Rauschen die Blätter zusammen. Die Blumen schwankten auf ihren Stengeln und öffneten ihre Blüten, um die Luft mit Wohlgeruch zu füllen und priesen so auf ihre Weise Gott. Zugleich fingen auch die Vögel an zu singen und kamen und setzten sich Rosa auf Hände und Schultern. Die Insekten begrüßten sie mit frohem Gesumm, und alles, was Leben und Bewegung hatte, stimmte ein in das Konzert zum Lobe des Herrn De Bussière, Le Pérou et Ste. Rose de Lime p. 256.«.

Weiter – und hier vernehmen wir ein Echo des reinen franziskanischen Geistes, die Fröhlichkeit des Troubadours Gottes: »In ihrer letzten Fastenzeit kam jeden Abend bei Sonnenuntergang ein kleiner Vogel mit bezaubernder Stimme und setzte sich auf einen Baum vor ihrem Fenster und wartete, bis sie ihm das Zeichen zu singen gab. Sobald Rosa ihren kleinen gefiederten Chorsänger sah, machte sie sich bereit, Gottes Lob zu singen und forderte den Vogel zum musikalischen Wettkampf heraus mit einem Liede, das sie zu diesem Zweck komponiert hatte. ›Beginne, liebes Vöglein,‹ sagte sie, ›beginne deinen lieblichen Gesang! Laß deine kleine Kehle, die so voll süßer Melodien ist, sie ausströmen, auf daß wir zusammen den Herrn preisen. Du preisest deinen Schöpfer, ich meinen süßen Erlöser, so rühmen wir zusammen die Gottheit. Öffne deinen kleinen Schnabel, fange an, und ich will dir folgen, und unsere Stimmen sollen sich verschmelzen zu einem Sang heiliger Freude.‹

Und alsbald begann der kleine Vogel zu singen und durchlief seine ganze Tonleiter bis zu seinem höchsten Ton. Dann verstummte er, damit die Heilige ihren Sang anstimmen könnte … So feierten sie eine ganze Stunde lang die Größe Gottes und wechselten ganz regelmäßig ab, so daß, wenn der Vogel sang, Rosa schwieg, und wenn sie zu singen anhob, der Vogel verstummte und ihr mit wunderbarer Aufmerksamkeit zuhörte. Endlich, um die sechste Stunde, entließ ihn die Heilige, indem sie sagte: ›Flieg fort, mein kleiner Chorsänger, flieg weit fort! Ich aber preise meinen Gott, der mich nie verläßt Ebenda S. 415..‹

Der Mystiker, dessen Erleuchtung eine Form wie diese annimmt, der mit einer solchen Intensität das Band der Liebe fühlt, das »die zerstreuten Blätter des ganzen Universums in ein Buch bindet«, wohnt in einer Welt, die den verlangenden Blicken anderer Menschen für immer verschlossen ist. Er dringt durch die Hülle der Unvollkommenheit und schaut die Schöpfung mit dem Auge des Schöpfers. »Das Bild wird ihm auf dem Berge gezeigt« [Ebräer 8,6]. »Das ganze Bewußtsein«, sagt Récéjac, »wird unter dem Blick der Liebe, dem nichts entgeht, mit Licht überflutet, das in unbekannte Tiefen leuchtet. In diesem Zustande ist die Intensität des Schauens und die Sicherheit des Urteils gleich groß, und die Dinge, die der Seher mit sich heimbringt, wenn er in das alltägliche Leben zurückkehrt, sind keine bloßen Teileindrücke oder wissenschaftlichen Spezialkenntnisse oder dichterischen Vorstellungen. Es sind vielmehr Wahrheiten, die die Welt und das Leben, mit einem Worte, das ganze Bewußtsein umfassen Fondements de la Connaissance Mystique p. 113.

Es ist merkwürdig, wie man in den verschiedenen Erfahrungsschematen, die klarblickende Philosophen und Seher uns hinterlassen haben, gewisse Anzeichen bemerken kann, daß sie längere oder kürzere Perioden dieses höheren Bewußtseins gehabt haben, das Récéjac als die Hochzeit der schauenden Phantasie mit dem sittlichen Aufstieg bezeichnet. Ich halte es wenigstens für sehr wahrscheinlich, daß Platons Ideenlehre einer solchen Intuition ihren Ursprung verdankt; denn die Philosophie ist, wenn sie auch von reiner Vernunft redet, doch häufiger auf psychologische Erfahrung gegründet. Die platonischen Behauptungen über die wirkliche Existenz der Idee eines Hauses, eines Tisches oder eines Bettes und derlei peinlich konkrete und praktische Anwendungen der Ideenlehre, die viele Metaphysiker verdrossen haben, finden auf einer solchen psychologischen Basis ihre Erklärung. Die erleuchtete Schau, in der »alle Dinge neu werden«, umfaßt sowohl die einfachsten wie die erhabensten Dinge, und wie die Erfahrung lehrt, tut sie dies, indem sie alle Gegenstände, wie Monet den Heuschober, als »Erscheinungsformen des Lichts« sieht. Blake sagte, daß seine Hütte in Felpham ein Schattenbild der Engelswohnungen sei Letters p. 75., und ich erwähnte bereits das Beispiel des bekehrten Methodisten, der seine Pferde und Schweine auf der ideellen Ebene sah S. oben S. 253..

Weiter, wenn Plotin, der bekanntlich ekstatische Zustände hatte, mit der Sicherheit eines Erforschers der »intelligiblen Welt« redet und uns fragt: »Welch anderes Feuer könnte ein besseres Bild geben von dem Feuer dort als das Feuer hier? Oder welche andere Erde von der Erde dort als diese? Zweite Enneade IX, 4.«, so bemerken wir hinter dem Aufputz der neuplatonischen Philosophie etwas von dieser Erfahrung aus erster Hand. Die unbekannten Geister, denen wir die hebräische Kabbalah verdanken, gaben ihm gleichfalls Raum in ihrem Schema vom Aufstieg der Seele zur Wirklichkeit. Die erste »Sephira« oberhalb Malkuth, der Welt der Materie oder der niedrigsten Stufe auf jenem Baum des Lebens, der von den zehn Emanationen der Gottheit gebildet wird, ist, sagen sie, »Yesod«, das »urbildliche Universum«. In diesem befinden sich die Wirklichkeiten, Urbilder oder Ideen, deren Schatten die Welt des Scheins ausmachen, in der wir wohnen. Der Pfad, auf dem die Seele den Baum des Lebens ersteigt, führt sie zuerst von Malkuth zu Yesod, d. h. das menschliche Bewußtsein schreitet von den normalen Täuschungen des Menschen aufwärts zu einer wirklicheren Wahrnehmung der Welt, einer Wahrnehmung, die in der urbildlichen Ebene oder der Welt der platonischen Ideen ihr Symbol hat. »Alles in der zeitlichen Natur«, sagt William Law, »ist dem Ewigen entsprungen und ist sein greifbares, sichtbares Erzeugnis; wenn es uns also gelingt, das Grobe und Zeitliche, Tod und Dunkel, davon abzusondern, so erkennen wir es in seinem ewigen Zustande … In der Ewigen Natur oder dem Himmlischen Reiche besteht die Körperlichkeit aus Leben und Licht; sie ist der glorreiche Leib des Lichtes oder das Gewand, worin das Licht gekleidet ist, und daher hat sie alle Eigenschaften des Lichtes in sich und unterscheidet sich von dem Lichte selbst, seiner Helle und Schönheit, nur als der Behälter und Entfalter all seiner Farben und Kräfte An Appeal to All who Doubt (Liberal and Mystical Writings of William Law p. 52).

Als Law dies schrieb, glaubte er vielleicht den englischen Lesern die einzigartige Botschaft seines Meisters Jakob Boehme zu vermitteln. Tatsächlich verkündete er nur das, was eine lange Reihe praktischer Mystiker seit Jahrhunderten den tauben Ohren der Menschheit gepredigt hatte. Er sagte im achtzehnten Jahrhundert, was Gregor von Nyssa im vierten und Erigena im neunten gesagt hatten, als sie das Geheimnis jener Rosa Inviolata kündeten, die nie entweiht werden kann, weil nur die Augen der Liebe sie zu schauen vermögen.

Dieser selbe Glaube an die vollkommene Welt der Urbilder, die sich hinter den Symbolen der Sinne birgt und ihnen einen Teil ihrer Wirklichkeit leiht, läßt sich in der Hermetischen Philosophie entdecken, die natürlich in weitem Umfange von der Kabbalah beeinflußt ist. Er findet seine praktische Anwendung in der »okkulten Erziehung«, der die Neophyten sich unterwerfen müssen: eine geistige und sittliche Schulung, die zu dieser Art von Hellsichtigkeit führen soll. Eine solche Hellsichtigkeit – bei der wahren Mystik nur eine Nebenerscheinung, die nie gesucht, wenn auch oft erlangt wird – ist das Ziel, wonach die Magie bewußt strebt Vgl. R. Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?. Kein Magier zeigte sich jemals imstande, wie die hl. Katharina auszurufen: Non voglio quello che esce da te.

Jenes erleuchtete und klare Bewußtsein der Verwandtschaft der innern und äußern Welt – des »verborgenen Schatzes und seines Schreins«, des lebenspendenden Absoluten und seines Ausdrucks in Zeit und Raum –, das wir in diesem Kapitel betrachtet haben, ist auf seiner höchsten Stufe ein Zustand schönen Gleichgewichts; ein gesunder Ausgleich zwischen dem innern und äußern Leben. Durch das Zusammenwirken von Liebe und Willen, das das Geheimnis des Herzens ist, wird die ganze Welt in Gott geschaut und erkannt, und Gott wiederum in der ganzen Welt. Es ist ein Zustand gesteigerten Gefühls, der, da er durch Liebe erzeugt wird, notwendigerweise nun seinerseits Liebe erzeugt. Die scharfe Unterscheidung zwischen seiner nach innen und seiner nach außen gerichteten Form, die ich der Bequemlichkeit halber bei meiner Darstellung übernommen habe, ist den Adepten selbst selten bewußt. Sie, die »gereinigt, gespeist und geheiligt« sind, sind in eine Geisteswelt aufgenommen, wo solche plumpen Unterscheidungen wenig Bedeutung haben. Alles ist in gleicher Weise ein Teil des »neuen Lebens« friedlicher Liebe, und jene allmähliche Vernichtung der Selbstheit, die zum Wesen mystischer Entwicklung gehört, genügt allein, um sie daran zu hindern, zwischen der innern, persönlichen Gefährtschaft des Wirklichen und seiner äußeren, unpersönlichen Wahrnehmung eine Trennungslinie zu ziehen. Wahre Erleuchtung besteht, wie jedes wirkliche und tiefe Erleben, vielmehr in dem Atmen einer bestimmten Atmosphäre, dem Leben auf gewissen Bewußtseinsebenen, als in der Erlangung eines besonderen Wissens. Sie ist gleichsam ein Ruheplatz auf der »steilen Treppe der Liebe«, wo das Selbst sich umblickt und rings um sich her eine verklärte Welt sieht, strahlend von demselben göttlichen Lichte, das in seinem eigenen Herzen wohnt und es aufwärts führt.

»Wenn des Menschen Sehnsucht fest auf seinen Schöpfer gerichtet ist und er von der Sterblichkeit und Verderbnis des Fleisches befreit ist,« sagt Rolle von der geläuterten Seele, die den Zustand der Erleuchtung erreicht hat, »dann ist es kein Wunder, daß er, indem er männlich seine Kraft gebraucht, sobald ihm der Himmel geöffnet wird, mit seinem Geist die hohen Himmelsbürger schaut und danach eine höchst wohlige Hitze fühlt, wie von einem brennenden Feuer. Dann wird er mit wunderbarer Lieblichkeit gelehrt und sogleich mit melodischen Klängen erfreut. Dies ist vollkommene Liebe, die niemand kennt als der, der sie empfangen hat. Und den, der sie empfangen hat, verläßt sie nie; süß ist sein Leben, und in Gewißheit wird er sterben Rolle, The Fire of Love I, 20.

Süß mag zwar das Leben des erleuchteten Mystikers sein, aber nicht ruhig, wie viele glauben. Erleuchtung ist ein Symptom des Wachstums, und Wachstum ist ein Lebensprozeß, der keine Ruhe kennt. Wohl wird der Geist von himmlischem Frieden überströmt, doch es ist kein müßiger, sondern ein tätiger Friede. »Eine höchst geschäftige Ruhe«, wie Hilton sagt, eine fortschreitende Aneignung des Göttlichen. Das ungestüme Drängen eines innewohnenden Geistes, der nach seiner Heimat im Herzen der Wirklichkeit strebt, macht sich mehr und mehr fühlbar, in dem Maße, wie das Eindringen des übersinnlichen Selbst in das normale Bewußtsein fortschreitet, das Wachstum des »neuen Menschen« sich seinem Ziele nähert.

Daher lassen die großen Wirklichkeitssucher sich in der Regel nicht lange durch die erhabenen Freuden der Erleuchtung täuschen. Nun sie sich des Absoluten, den sie mit ganzer Seele suchen, mit solcher Intensität bewußt geworden sind, fühlen sie auch, daß sie Ihn wohl erkannt, doch noch nicht erreicht haben. Selbst während sie die beseligende Freude der göttlichen Gegenwart, des Lebens in einer göttlichen, idealen Welt, kosten, fühlen sie doch, daß etwas noch fehlt. Sol voglio Te, o dolce Amore. Daher ist das, was sie jetzt genießen, und was über das Begreifen anderer Menschen geht, nicht ein dauernder Zustand; oft besteht er gleichzeitig mit jener Herzenspein, die Tauler »stürmische Liebe« nennt. Je größer der Mystiker ist, je früher wird ihm klar, daß das himmlische Manna, das ihm gereicht wurde, noch nicht das ist, womit die Engel gespeist werden. Etwas Geringeres genügt ihm nicht, und wie seine Erleuchtung fortschreitet, wächst auch in ihm das Bewußtsein, daß er nicht für die sonnigen Ufer der geistigen Welt bestimmt ist, sondern für »die weite und stürmische See der göttlichen«.

»Hier«, sagt Ruysbroeck von der Seele, die von dem Unerschaffenen Licht erleuchtet wurde, »beginnt ein ewiger Hunger, der nie befriedigt wird, nämlich ein inwendiges Begehren und Ringen der ›Minnenden Kraft‹ und des geschaffenen Geistes nach einem ungeschaffenen Gut. Da der Geist genießen will und dazu von Gott aufgefordert und eingeladen wird, so will er durchaus dieses Ziel erreichen. Siehe, hier setzt ein ewiges Begehren und Vorwärtsstreben ein in ewigem Entbehren. Das sind die ärmsten Menschen, die es gibt, denn sie sind hungrig und gierig und unersättlich. Wie sie auch essen und trinken, sie werden auf dieser Stufe niemals satt, denn dieser Hunger ist ewig … Hier gibt's viele Gerichte von Speise und Trank, von denen niemand weiß, als der sie genießt, aber volle Sättigung im Genuß, das ist das Gericht, das da fehlt, und darum erneuert sich der Hunger immerfort. Zwar fließen beim Berühren (Gottes) Honigbäche voll jeglicher Wonne, denn auf alle erdenklichen Weisen, die der Geist ersinnen kann, kostet er diese Wonne, aber es bleibt alles geschöpflicher Art und unter Gott; daher der ewige Hunger und die Ruhelosigkeit. Würde Gott einem solchen Menschen alle Gaben, die sämtliche Heiligen haben, verleihen und dazu alles, was Er überhaupt bieten kann, nur nicht sich selbst, – das gähnende Begehren des Geistes bliebe hungrig und ungestillt Die Zierde der geistlichen Hochzeit II, 53 (Verkade S. 134).


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