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Zweiter Hauptabschnitt: Heiligensagen und Rittergedichte.

Von den beiden Elementen des Lebens und der Poesie der Deutschen im Mittelalter, dem germanisch-heidnischen und dem romanisch-christlichen, hat uns bisher vorzugsweise das erstere beschäftigt. Wir treten nun in diesem zweiten Hauptabschnitte auf die Seite des andern. Nicht als fänden wir in irgend einer der organischen Bildungen, nach welchen unsre Darstellung sich einteilt, das eine oder das andre dieser Elemente rein ausgeschieden, in ihrer Verbindung beruht ja eben das Charakteristische des Mittelalters; es handelt sich nur darum, welches von beiden vorwiege, oder inwiefern die Verschmelzung wirklich vollbracht sei. Die deutsche Heldensage ist uns aus einem seit vielen Jahrhunderten bekehrten Volke, aus den Händen christlicher Bearbeiter zugekommen, sie konnte darum auch, wie wir gesehen haben, die Spur dieses Durchgangs nicht verleugnen; aber wir haben doch, vorzüglich mittels der Denkmäler altnordischer Poesie, ihren heidnischen Ursprung erkannt, und sie hat sich, diesem gemäß, fortdauernd ihr eigentümlich germanisches Wesen erhalten. Die Dichtungen, zu denen wir jetzt übergehen, werden sich uns vorzugsweise als christlich-romanische Pflanzungen erweisen, aber dennoch zugleich als solche, die auf deutschem Boden angelegt und gepflegt worden sind.

In der Betrachtung der Heldensage konnten wir von umfassendem Überblicken ausgehen. Der epische Zyklus, das frühere Lebensalter, dessen Erzeugnis und Ausdruck er ist, lag abgerundet und abgeschlossen vor uns, und erst von diesem vollendeten Ganzen stiegen wir einerseits zu den unterscheidbaren Bestandteilen, aus denen es zusammengesetzt ist, hinauf, anderseits in die Zersplitterungen und Vereinzelungen hinab, in welchen sich die alte Sagendichtung aufgelöst hat. Dagegen im Gebiete dieses zweiten Hauptabschnitts sehen wir eine neue poetische Zeit erst allmählich sich heranbilden; ihre Anfänge schon fallen in die Periode unsrer geschichtlichen Darstellung, und wir schreiten von ihnen aus zu den größern Entwicklungen vor; wir beginnen hier mit dem einzelnen und schließen mit den volleren Dichtungskreisen.

Indem wir das Christentum begleiten, wie es unter die deutschen Völker eingehend überall auch dichterischen Samen ausstreut, so wird sich uns, nach den Hauptzügen, folgender Stufengang ergeben: zuerst poetische Bearbeitungen der heiligen Schrift, dann auch der Apokryphen des Neuen Testaments und über diese hinaus eine stets weiter verbreitete und vervielfachte Legendendichtung. Neben dieser kirchlichen und mönchischen Richtung erhebt sich aber bald auch eine andre, heroische und ritterliche. In dieser, welche von romanischer Seite sich den Deutschen mitteilt, tritt zunächst germanisches Heldentum in christlicher Weise hervor, im karolingischen Epos, und bildet sich dann immer mehr eine verfeinerte Ritterlichkeit heran, in den Gedichten von Artus und der Tafelrunde. Endlich verbinden sich beide Richtungen zu einem geistlichen Rittertum oder einer ritterlichen Priesterschaft in dem Fabelkreise vom heiligen Gral. In diesem aber nimmt zugleich das Ganze seinen rechten Durchbruch dahin, daß die auf religiöse Gegenstände abergläubisch angewandte Dichtung, den Anspruch auf reelle Geltung aufgebend, in einer reinpoetischen und phantastischen Entfaltung ausblüht.

Altdeutsche Gedichte, welche das Leben und das Märtyrertum heiliger Männer und Frauen, die Wunderkraft ihrer Reliquien, ihre hilfreiche Erscheinung, die wunderbare Rettung und Heilung gläubiger Menschen und die hierdurch veranlaßte Gründung frommer Stiftungen zum Gegenstande haben, sind in bedeutender Anzahl auf uns gekommen. Vieles ist noch gar nicht oder nur auszugsweise gedruckt. Aber auch von dem Bekannten hebe ich vorzüglich nur dasjenige aus, was entweder durch innern Wert oder dadurch, daß es in Deutschland entsprungen oder hier sich eigentümlich angeknüpft (denn ein großer Teil der Legenden war der ganzen europäischen Christenheit mittels der lateinischen Kirchensprache gemein), oder auch als das Werk eines sonst namhaften Dichters besondre Beachtung verdient.

Ich führe die einzelnen Stücke nach der Zeitfolge ihrer jetzigen Abfassung auf.

Anno

ein Gedicht aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in 876 kurzen Reimzeilen mit unvollkommenem Reime. Es ist mehrmals herausgegeben, namentlich von Martin Opitz, Danzig 1639. Der heilige dieses Gedichts ist der im Jahre 1075 verstorbene Erzbischof Anno von Köln, als Kanzler Heinrichs III. und nachheriger Reichsverweser wahrend der Minderjährigkeit Heinrichs IV. geschichtlich wohlbekannt. Ich suche mit folgendem einen Begriff von diesem Gedichte zu geben, das sowohl von seiten der poetischen Behandlung als der darin ausgesprochenen Ansicht des Heiligenwesens zu den merkwürdigsten gehört:

Wir hörten oft und viel singen von alten Dingen, wie schnelle Helden fochten, wie sie feste Burgen brachen, wie sich liebe Freunde schieden, wie gewaltige Könige all zergingen; nun ist Zeit, daß wir denken, wie wir selber sollen enden.

In der Welt Beginn schuf Gott seine Werke zweifach: diese Welt ist das eine Teil, das andre ist geistig. Beide mischt' er zu Einem Werke, das der Mensch ist, Leib und Geist zugleich, der erste nach dem Engel. Seine andern Werke sah Gott recht gehn: Mond und Sonne geben ihr wonniges Licht, die Sterne halten ihre Fahrt ein, das Feuer nimmt aufwärts seinen Zug, Donner und Wind ihren Flug, die Wolken tragen den Regenguß, nieder wenden die Wasser ihren Fluß, mit Blumen zieret sich das Land, mit Laube deckt sich der Wald, das Wild hat seinen Gang, schön ist der Vogelsang, jeglich Ding hat noch das Gesetz, das ihm Gott von Anfang gab, nur die zwei Geschöpfe, die er die besten schuf, übertraten sein Gebot.

Fünf Welten (Weltalter) führte der Feind zur Hölle, bis Gott seinen Sohn sandte. Auf hub der des Kreuzes Fahne. Die Zwölfboten hieß er in die Lande fahren, vom Himmel gab er ihnen die Kraft, daß sie überwanden die Heidenschaft. Rom überwand Petrus, die Griechen der weise Paulus, Andreas siegt' in Patras, in Indien Thomas, Matthäus in Äthiopien, Simon und Judas in Persien, Jakobus in Jerusalem, Johannes predigt' in Ephesus, und noch wächst aus seinem Grabe Himmelbrot. Viel andre Märtyrer erfüllten mit ihrem Blute Christi Willen; durch Kampf und Mühsal kamen sie zu ihrem Herrn und sind bei ihm in Ehren.

Die trojanischen Franken sollen des immer Gott danken, daß er ihnen so manchen Heiligen gesandt. Also ist es in Köln bewandt, wo ihrer eine solche Menge rastet: die von Sankt Mauritius Heere und elftausend Jungfraun, um Christi Lieb' erschlagen; manche Bischöfe, die dort zeichenhaftig (wundertätig) waren, und vor allen der heilige Anno; darum loben wir, Christum mit Sange!

Zu Köln war er geweihter Bischof, in der schönsten Burg (Stadt), die in deutschem Lande je ward, war Richter der frömmste Mann, der je zum Rheine kam. Die Stadt erschien um so hehrer, von so weiser Herrschaft erleuchtet, seine Tugend war um so glänzender, weil er einer so hehren Stadt pflegte.

Der Dichter geht nun über auf den Ursprung und die weltgeschichtliche Bedeutung der berühmtesten Städte. Ninus, der Stifter der Heerfahrten, baute Ninive; sein Weib Semiramis Babylon, von wo die 70 Jungen ausgingen und wo der weise Daniel sein Traumgesicht von den Vier hatte, welche vier weltumgreifende Königreiche bezeichneten. Es werden hiernach die vier Weltherrschaften aufgezählt: die babylonische, die des Cyrus und Darius, die des griechischen Alexander, der mit seinen Heeren bis zu den goldnen Säulen an der Welt Ende drang, mit zween Greifen in der Luft fuhr und in einem Glase sich in das Meer niederließ; endlich das römische Weltreich. Cäsar ward von Rom ausgesandt, wider deutsche Lande zu fechten. Schwaben, Bayern, Sachsen bezwang er, zuletzt auch die edeln Franken, die gleich ihm von der alten Troja herstammten. Aber mit Hilfe der Deutschen besiegte Cäsar selbst den Pompejus und gewann die Alleinherrschaft. Unter seinem Neffen Augustus ward Augspurg und bald auch von Agrippa Köln gestiftet, zuvor schon waren andre Rheinstädte erstanden. In Augustus Zeiten geschah es, daß Gott vom Himmel niedersah. Da ward geboren ein König, dem die Himmel dienen, Jesus Christus, Gottes Sohn, von der heiligen Jungfrau Maria. Des erschienen Gottes Zeichen zu Rom: aus der Erde sprang lautres Öl und rann über das Land; um die Sonne stand ein Kreis, rot wie Feuer und Blut: denn zu nahen begann, woher uns allen die Gnade kam, ein neues Königreich, dem alles Weltliche weichen muß.

Sankt Peter, des Herren Bote, überwand zu Rom den Teufel, richtete dort des heiligen Kreuzes Zeichen auf und schrieb die Burg zu Christi Eigen. Von da sandt' er drei heilige Männer, den Franken zu predigen: Eucharius und Valerius, aber der dritte, Maternus, verschied auf dem Wege. Da kehrten die Zween zurück und klagten es Sankt Petern. Er aber sandte seinen Stab, den legten sie auf des Malternus Grab, Brower, Antiq. et annal. Trev. T. II, S. 93. sie hießen ihn wieder vom Tod erstehen und in Sankt Peters Gebot mit ihnen nach Franken gehn. Als der Tote seines Meisters Namen vernahm, war er alsbald gehorsam; da erschloß sich die Erde, er hielt sich am Gras und erhob sich eilig aus dem Grabe, darin er vierzig Tage gelegen. Vierzig Jahre lebt' er noch. Zuerst lehrten sie zu Trier, danach bekehrten sie Köln, und hier ward Bischof derselbe Mann, der vom Tod erstanden. Da gewannen die drei Boten bei den Franken zu Gottes Dienste viel manchen Mann, mit besserem Streite, als mit dem Cäsar sie einst überwunden. Sie lehrten dieselben wider Sünde fechten und vor Gott gute Knechte sein. Dieser Lehre pflegten auch wohl, die nach ihnen Bischöfe waren, dreiunddreißig in der Zahl bis auf Sankt Anno. Ihrer sind nun sieben heilig, die scheinen uns vom Himmel, wie das Siebengestirne zu Nacht, Sankt Annos Licht ist hehr und gut, unter die andern bracht' er seinen Schein, wie der Jachant (Hyazinth) in den goldnen Fingerring.

Diesen teuern Mann mögen wir nun zum Beispiel haben, ihn mögen als einen Spiegel ansehn, die nach Tugend und Wahrheit trachten. Als der dritte Kaiser Heinrich sich ihm befahl (anvertraute) und er zu Köln mit Lob empfangen ward, da ging er mit des Volkes Menge, wie die Sonne, die zwischen Erd' und Himmel geht und beidenthalb scheinet. So ging der Bischof Anno vor Gott und vor Menschen. In der Pfalz (als Reichsverwalter) war seine Tugend eine solche, daß ihm das ganze Reich sich beugte; zu Gottes Dienst erzeigt' er sich, als ob er ein Engel wäre. Offen war er seiner Worte, über die Wahrheit fürchtet' er niemand; ein Löwe saß er vor den Fürsten, ein Lamm ging er unter Dürftigen. Den Törichten war er scharf, den Guten milde; Waisen und Witwen lobten seine Sitte. Predigt und Ablaß konnte keiner so göttlich tun. Wenn die Leute nachts alle schliefen, stand er auf und besuchte manches Münster mit seinem reinen Gebet; sein Opfer trug er mit sich. Der Armen fand er viele, die nicht Herberge hatten und sein warteten. Wo das arme Weib mit dem Kinde lag, der niemand sich annahm, dahin ging der heilige Bischof und bettet' ihnen wohl. So mocht' er mit Recht heißen Vater aller Waisen.

Selig stand das Reich alles, da er des Gerichtes pflegte, als er zum Reiche den jungen Heinrich zog. Welch ein Richter er wäre, ward weithin kund. Von Griechen und England sandten die Könige ihm Gabe, so tat man auch von Dänemark, Flandern, Rußland. Die Münster ziert' er überall, selbst stiftet' er viere, ein fünftes ist Siegeberg, seine liebe Wohnstätte, wo nun sein Grab ist. Es ist Siegburg gemeint, wo noch in der Reliquienkapelle der Klosterkirche das Grab des h. Anno gezeigt wird.

Damit aber nicht die große Ehre seiner Seele schadete, so tat ihm Gott, wie der Goldschmied tut, wenn er eine Spange wirken will; das Gold siedet er im Feuer, wohl schleift er die Goldsteine; also schliff Gott Sankt Annon mit mancher Mühsal. Oft feindeten ihn die Landherrn an; oft verrieten ihn die, die ihn behüten sollten, und verleumdeten ihn, die er zu Ehren gebracht. Zuletzt ward er mit Waffen aus der Stadt vertrieben, wie Absalon einst seinen Vater David vertrieb. Hernach begann der üble Streit, als dem vierten Heinrich das Reich verworren ward. Mord, Raub und Brand zerstörten Kirchen und Land von Dänemark bis Apulien, von Kärlingen (Frankreich) bis Ungarn. Denen niemand widerstände, wenn sie wollten mit Treue zusammengehn, die stifteten große Heerfahrten gegen Blutsfreunde und Hausgenossen. Das Reich kehrte seine Waffen in seine eigenen Adern, mit sieghafter Rechte überwand es sich selbst, daß die getauften Leiber unbegraben umhergeworfen lagen, zu Aase den bellenden, den grauen Waldhunden. Als das Sankt Anno nicht zu söhnen vermochte, da verdroß ihn, länger zu leben.

Er fuhr gen Saalfeld in Thüringen, auf dem Wege tat sich ihm der Himmel auf, und er sah die göttliche Wonne, die er keinem weltlichen Manne künden durfte. Wie er da auf seinem Wagen im Gebete lag, umfing ihn solche Mannkraft, daß man sechzehn Rosse vor den Wagen spannte. Damals deucht' ihn, daß er sähe, was irgend künftig wäre. Sehr nahm sich's zu Herzen der heilige Mann, und von da begann er zu siechen.

In einer Nacht hatt' er ein Traumgesicht, wie er in einen königlichen Saal käme, zu wundervollem Gestühle, wie es mit Recht im Himmel wäre. Allenthalben war es mit Gold behangen, kostbare Steine leuchteten überall, Sang und Wonne war groß und mannigfalt. Da saßen viele Bischöfe, der Bischof Bardo war ihrer einer, Sankt Heribert glänzte wie ein Goldstein, unter ihnen war Ein Lieben und Ein Mut. Noch stand ein Stuhl ledig, zu Sankt Annos Ehren war er hingesetzt, o wie gerne wär' er da gesessen! Das wollten aber die Fürsten nicht gestatten, wegen eines Fleckes auf seiner Brust. Auf stand der Herren einer, Arnold, einst Bischof zu Worms, führt' ihn beiseite und ermahnt' ihn mit freundlichen Worten, diesen Flecken hinwegzutun, dann sei ihm der ewige Stuhl bereit. Als nun Sankt Anno vom Schlaf erstand, wußt' er wohl, was er tun sollte; den Kölnern schenkt' er seine Huld wieder, wie sehr sie seinen Haß verschuldet hatten.

Als darauf die Zeit kam, da er, seinen Lohn zu empfangen, zu Gottes Gegenwart aufstieg, da tat er uns, wie der Aar seinen Jungen tut, wenn er sie ausfliegen lehrt; er schwebt über ihnen und schwingt sich auf, das tun dann auch die Jungen gerne. Also wollt' er uns lehren, wie wir ihm nach sollten fahren. Uns hienieden zeigt er, welch Leben im Himmel sei. An seinem Grabe noch wirkt' er schöne Zeichen, die Siechen und die Lahmen wurden da gesund.

Ein Vogtmann Volprecht, der sich dem Teufel ergeben, begann eines Tags, als er mit Arnold, seinem Herrn, ritt, Gottes Heilige zu lästern und zuletzt auch Sankt Annon. Da sprangen ihm plötzlich beide Augen aus, und er fiel zu Boden. Als er aber Beichte getan und des Heiligen Gnade anrief, wuchsen ihm in den leeren Aughöhlen neue Augen.

Das Gedicht, das ich hier in seinen Hauptzügen erkennen zu lassen versuchte, ist nicht nur durch poetische Bilder und lebhafte Darstellung, sondern vorzüglich auch durch die Kühnheit seiner Anlage ausgezeichnet. Es erzählt nicht in der gewöhnlichen Weise schnurgerade fort oder verwebt in die Erzählung einzelne fromme Betrachtungen, sondern es stellt seinen besondern Gegenstand in einen idealen und weltgeschichtlichen Zusammenhang, es umkreist in raschem Flug alle Weltreiche und schwingt sich zuletzt zum Himmel auf. Was wir bei so vielen andern Legenden vermissen, eine würdige Ansicht von dem Beruf ihrer Heiligen, das kommt uns hier entgegen. Einiges für uns Störende, wie z. B. das letzte Wunder, wird uns nicht abhalten, die einfache Größe des Ganzen zu erkennen.

An die Stelle der weltlichen Lieder soll ein geistlicher Heldensang treten; eine Absicht, die wir in der religiösen Dichtung mehrerer germanischen Völker ausgesprochen fanden. Die Helden dieses neuen Gesanges sind die Heiligen, sie kämpfen den großen Kampf gegen Unglauben und menschliche Verderbnis, sie begründen das neue, geistige Weltreich, dem alle irdische Herrschaft weichen muß, sie lehren uns den Aufschwung zum Himmel, wie ihn der Aar seine Jungen lehrt.

Es ist bemerkt worden, daß das Annolied besonders in der Aufzählung jener Weltherrschaften mehreres zum Teil wörtlich mit der Kaiserchronik, der ich am Schlusse des vorigen Hauptabschnitts erwähnt, gemein habe. Ein bestimmtes Urteil über dieses Verhältnis ist mir nicht möglich, da ich die noch ungedruckte Kaiserchronik nur stellenweise kenne. H. Hoffmann äußert sich in den Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Literatur T. I, 251 hierüber so:

»Man hat neuerdings gestritten, ob das Lied auf den h. Anno ein ursprünglich für sich bestehendes Gedicht sei oder der Kaiserchronik angehöre. Ich stimme gegen beide Annahmen: das Annolied ist nämlich meiner Meinung nach älter als die Kaiserchronik, kann also aus dieser nicht entlehnt sein; seine Ursprünglichkeit scheint mir aber nur teilweise zulässig, weil wahrscheinlich sein weltgeschichtlicher Anfang aus einer ältern Reimchronik herrührt, woraus auch der Verfasser der Kaiserchronik schöpfte; daher denn auch wohl in beiden Gedichten diese merkwürdige Übereinstimmung.«

Verhält sich dieses aber auch wirklich so, d. h. ist jener weltgeschichtliche Überblick vom Verfasser des Annoliedes selbst aus einer ältern Chronik in sein Gedicht aufgenommen oder von einem andern, wenigstens in diesem Umfang und der wörtlichen Übereinstimmung, interpoliert worden, so wird dadurch der ursprüngliche Wert und Bestand des Liedes nicht aufgehoben; denn die schönsten Bilder und die Idee des Heiligenberufes selbst sind gerade nur dem Teile der Dichtung eigen, welcher sich auf den h. Anno bezieht, und der Ausflug in die Weltgeschichte war, wenn nicht in dem, was aus ihr herbeigezogen wurde, doch in der Beziehung auf den besondern Gegenstand eigentümlich. Entschieden aber ist noch keineswegs, daß nicht eine Chronik, welche ihrer Natur nach Kompilation ist, das einzelne, ausgezeichnete Gedicht benützt haben könne.

Orendel und Breide

In dem vorangeführten Marienleben von Philipp, dem Karthäuser, wird erzählt, wie Maria ihrem Sohne einen Rock gemacht, ohne Naht, und der mit dem Kinde fortgewachsen (Grundriß 297, 27). Vgl. Altd. Wäld. B. II. 28. Wilken, Gesch. der Kreuzz. I. 13 f., Nr. 31. An diese Legende vom ungenähten Rock Christi ist in den Abenteuern des trierischen Königssohnes Orendel eine Brautfahrt angeknüpft, ähnlich den in der Heldensage vorkommenden Fahrten Otnits, Rothers, der Hegelinge. Wenngleich dieses Gedicht in der ältesten Gestalt, in der wir es besitzen, nur in einem Augsburger Drucke von 1512 (Neue Ausgabe von H. v. d. Hagen. Berlin 1844. K. Orendel und Brîde von L. Ettmüller. Zürich 1858. Übersetzung von K. Simrock. Stuttgart und Tübingen 1845. P.) vorhanden ist und hier manche entstellende Änderung erfahren hat, so läßt doch der darin noch herrschende unvollkommene Reim dasselbe als ein Erzeugnis des zwölften Jahrhunderts vermuten (Hoffmanns Fundgruben I) 213). Es besteht in 6949 Reimzeilen. Der Stil ist der des volksmäßigen Heldenlieds, und wir haben es deshalb bei der Erörterung des epischen Stils benützt.

Der Eingang des Gedichts berichtet die seltsamen Schicksale des grauen Rockes Christi. Maria hat ihn aus der Wolle eines schönen Lammes gesponnen, die h. Helena (sehr anachronistisch) ihn gewirkt. Er ist gewirkt und nicht genäht. Christus hat darin die heiligen vierzig Tage gefastet; nach seinem Tode verlangt ein alter Jude von Herodes den Rock zum Lohne 23jährigen, Dienstes. Der Jude wäscht ihn am Brunnen und breitet ihn an die Sonne, aber des Heilands rosenfarbes Blut bleibt daran. Da heißt Herodes den Rock aus dem Gesichte schaffen; er wird in einen steinernen Sarg verschlossen und 72 Meilen vom Strand in den Grund des Meeres geworfen. Eine Sirene bricht den Sarg auf, und der Rock schwimmt ans Ufer. Hier liegt er volle acht Jahre, im neunten kommt ein armer Waller, der vielgewanderte Tragemund, in Zypern auf den Sand, um ein Schiff nach dem heiligen Grabe zu suchen. Er findet den Rock und hebt ihn auf, als eine Gabe Gottes. Er will ihn tragen um der Seele des Mannes willen, der darin ertrunken. Er wäscht ihn im Meere, aber das rosenfarbe Blut bleibt ganz frisch. Der Waller errät, daß es Christi Rock sei, durch den des Speeres Stich gegangen; nicht ihm, noch irgend einem Sünder gezieme, den Rock zu tragen. Er wirft ihn wieder in die Meeresflut. Ein Fisch, der Wal genannt, verschlingt den Rock und trägt ihn weitere acht Jahre im Magen, bis er dem Helden des Gedichtes zuteil wird.

Orendel ist der Sohn des mächtigen Königs Eigel zu Trier an der Mosel. Als er zu seinen Jahren gekommen, empfängt er an St. Stephans Tage das Schwert und weiht es Marien. Es soll nun eine Braut für ihn gewählt werden. Alle benachbarten Königstöchter sind ihm blutsverwandt. Nur eine, fern überm Meere, weiß ihm sein Vater zu nennen; es ist Jungfrau Breide, die schönste der Weiber, der das heilige Grab dient und viel der Heidenschaft. Es werden 72 Schiffe gezimmert. Orendel will nur solche Gefährten, die freiwillig mit ihm ziehen. Er läßt goldne Sporen auf den Hof schütten, die Ritter, die ihm folgen wollen, heben sie auf; nur ein Paar bleibt zurück, daraus der junge König unsres Herrn Bild machen läßt, zum Opfer in Jerusalem. Sie fahren die Mosel hinab nach Koblenz, dann auf dem Rhein in das Meer. Nach dreijähriger, abenteuervoller Irrfahrt nähern sie sich dem h. Lande, als ein Sturm sich erhebt und die 72 Kiele versenkt. Orendel allein wird ans Land getrieben. Die Kleider sind ihm abgerissen. Drei Tage bringt er in einem Loche zu, das er mit der Hand in den Sand gegraben. Am vierten Morgen hört er das Meer rauschen. Ein Fischer fährt heran, dem Orendel, der sich für einen beim Fischfang Verunglückten ausgibt, als Knecht zu dienen sich erbietet. Meister Eise, so heißt der Fischer, ein Greis von 72 Jahren, will die Kunst des Fremdlings prüfen. Orendel, der noch nie gefischt hat, hebt seine Hände zu Gott. Dann wirft er die Garne aus und fängt in kurzer Zeit das Schiff voll Fische. St. Peter hilft ihm dazu. Sie fahren nun nach dem Hause des Fischers. Es ist eine Burg mit sieben Türmen, darauf dem Meister achthundert Fischer dienen. Seine Frau steht an der Zinne mit sechs Dienstfrauen, alle kostbar gekleidet. Vierthalbtausend Fische liest Meister Eise auf, einen, den Wal, schneidet er auf und findet in dessen Magen den grauen Rock. Orendel, der seine Blöße nur mit Laub bedeckt hat, bittet um denselben, aber Eise will ihn nicht umsonst geben. Orendel dient darum sechs Wochen, bis gegen Weihnachten. Da meint der Meister, der elende Mann soll dieses Fest über nicht so nackt vor ihnen gehen, man soll ihm ein Gewand kaufen. Des Fischers Frau kauft ihm dürftige Bekleidung und ein Paar große, rinderne Schuhe. Orendel klagt Gott seine Not. Marie, die ihren Sohn für ihn gebeten, sendet ihm durch den Engel Gabriel dreißig güldne Pfennige, mit dem Troste, daß seine ertrunkenen Ritter bei Gott im Himmelreiche seien. Mit den Pfennigen soll er den grauen Rock kaufen, den der Herr bei seiner Marter getragen. Darin sei er besser bewahrt, als in Stahlringen, kein Schwert mög' ihn dadurch verwunden. In demselben soll er fünfzehn Kämpfe gegen die Heiden fechten. Orendel begibt sich auf den Markt, wo man den grauen Rock feil bietet. Da tut unser Herr um des jungen Königs willen ein großes Zeichen. Der Rock schleißt, wo man ihn angreift, auseinander, als ob er faul wäre. So muß der Meister ihn um die dreißig Goldpfennige ablassen, gerade um so viel, als einst unser Herr verkauft ward. Als aber Orendel ihn zu sich genommen, erscheint er nagelneu. In diesem Rocke zieht nun Orendel zum h. Grabe, wo er für die schöne Breide, der eine Gottesstimme sein Kommen zum voraus verkündigt hat, viele und ungeheure Kämpfe gegen die Heidenschaft siegreich besteht, in welchen Breide mitunter auch selbst das Schwert führt. Sie setzt ihm Davids Krone auf, und er vermählt sich mit ihr, aber, nach dem Geheiß eines Engels, bleibt immer ein Schwert zwischen ihnen liegen. Er gerät in Gefangenschaft, auch Breide wird entführt, doch stets ist ihnen der Himmel wieder hilfreich. Orendel wird überall der graue Rock genannt. Anfangs wird er um seiner unscheinbaren Kleidung willen gering geschätzt. Als er aber zum erstenmal auf dem Tempelhof zu Jerusalem ein wildes Roß besteigt und die rindernen Schuhe nicht in den Stegreif bringen kann, sendet ihm Christ vom Himmel durch den Engel Gabriel goldne Schuhe hernieder. Drei Erzengel, Schwerter in Händen, reiten mit ihm in den Streit. Als er auf einer heidnischen Burg gefangen liegt, schreibt die Gottesmutter selbst einen Brief, den eine Turteltaube zu seinem Heere bringt und, als eben der Priester die Messe singt, auf den Altar fallen läßt. Nachdem Orendel seinen Vater zu Trier von der Belagerung eines heidnischen Heeres entsetzt und die Heiden, die sich ihm unterworfen, getauft hat, befiehlt ihm der Engel, den grauen Rock zu Trier zu lassen, wo der Herr am jüngsten Tage sein Gericht halten und alle seine Wunden zeigen werde. Orendel läßt drei Priester holen, verschließt den Rock in einen steinernen Sarg und empfiehlt ihm das Land von Trier. Er befreit noch das h. Grab, das in die Gewalt der Heiden gefallen, und lebt in dessen Dienste mit Breiden und dem Meister Eise, den er zum Herzog des h. Grabes bestellt hat, bis die Engel ihre Seelen hinführen.

Dieser ungenähte Rock Der Anlaß zu der Legende vom ungenähten Rock Christi liegt im Evangelium Joh. 19, 23: Der Rock aber war ungenähet, von oben an gewirket durch und durch. nun ( tunica inconsutilis) war die berühmte Hauptreliquie der Kathedralkirche zu Trier und ist vielleicht (Geschrieben vor den neuen Ausstellungen desselben im Jahre 1844 und später. K.) noch dort zu sehen. In den Antiquitat, et annal. Trevirens. auctor. Browero et Masenio. Leod. 1670 findet man dieses Kleinod umständlich beschrieben und die Geschichte seiner Erwerbung und Verehrung ausführlich abgehandelt. Die Legende ist diese: der h. Agricius, der im Jahre 327 von Antiochien als erster Bischof nach Trier kam, brachte den ungenähten Rock nebst andern Heiltümern dahin, als ein Geschenk, das ihm die h. Helena, Mutter Konstantins des Großen, für seine neue Kirche mitgegeben (I, 216 fg.). In den nachfolgenden Kriegsunruhen und Verheerungen war aber die Reliquie verschwunden und Jahrhunderte lang verschollen, bis im Jahre 1196 Erzbischof Johann I. sie im Altare des h, Nikolaus wieder auffand (II, 91). Doch wurde sie abermals der öffentlichen Verehrung entzogen und erst im Jahre 1512, während der Anwesenheit Kaiser Maximilians I. bei einer Reichsversammlung zu Trier, von neuem, unter Veranstaltung allgemeiner Gebete, aufgesucht und entdeckt. Bei ihrer öffentlichen Ausstellung sollen sich gegen hunderttausend Menschen versammelt haben. Man war damals so glücklich im Finden heiliger Gewande, daß zu gleicher Zeit in einer andern Kirche zu Trier auch das Kleid der heiligen Jungfrau zum Vorschein kam. Der ungenähte Rock wurde anfangs nur zusammengefaltet, wie er aufgefunden worden war, vorgezeigt, aber auf inständiges Begehren der Menge breitete man ihn vor aller Augen aus, worüber die meisten, wunderbar bewegt, in plötzliche Tränengüsse ausbrachen (II, 328 fg.). Matthias Agricius, ein trierischer Geistlicher, beschreibt das Aussehen desselben unter anderem in folgenden panegyrischen Versen:

Vix etiam cuiquam certum didicisse colorem
Contigit, usque adeo variat decor undique fusus,
Puniceusve rubor certat ferrove, crocove,
Ut coram aspexi: fugiuntque hærentque tuentum
Pendentes oculi: jurares numen inesse.
Non tot multicolor pallentibus arcubus Iris
Induitur formas, quas versat imagine tota,
Quot rutilant varii variante decore colores.
Atque ea sanguineis nonnunquam interlita guttis
Arida prodit adhuc sudati semina roris,
Dixeris aethereo demissam a culmine vestem.
(II, 421. Vgl. II, 91.)

Eine päpstliche Bulle vom Jahre 1514 gewährte den Besuchern und Verehrern des heiligen Rockes reichliche Indulgenzen (II, 556). Da man auch anderwärts das Kleid Christi zu besitzen behauptete, so fand sich Calvin zu der Bemerkung veranlaßt, daß man frevelhafter mit dem Rock des Herrn umgehe, als einst die Kriegsknechte, die sich gescheut hätten, ihn zu zertrennen, während man ihn nun zwar nicht in zwei Stücke, aber in zwei ganze Röcke zerschnitten habe. Hiergegen ereifert sich der Jesuit Brower sehr und verteidigt insbesondre den verjährten Besitzstand der Kirche zu Trier, indem er sich auf das Edictum uti possidetis beruft (I, 217 fg.).

Der Umstand, daß die Legende von der Erwerbung des Heiltums, wie sie sich zu Trier erhalten, mit der Erzählung unsres Gedichtes nichts gemein hat, bestätigt die Ansicht, daß in letzterem die legendenhafte Überlieferung sich eines alten Heldenliedes bemächtigt habe. Wir sahen auch im Otnitsliede eine Brautfahrt der deutschen Heldensage zu einem Kreuzzuge umgewandelt. Der ungenähte Rock, welcher besser vor Schwertschlägen schützt, als stählerne Ringe, entspricht St. Georgs Hemde, welches Wolfdietrich mit gleicher Eigenschaft trägt und welches auch mit ihm gewachsen ist. Aber auch in diesem glaubten wir ein gefeites Gewand, ein Rothemd, wie es schon in den nordischen Sagen vorkommt, christlich umgetauft, zu bemerken; ein solches kann nun auch die Anknüpfung des Liedes von Orendel an die Legende vom Rocke Christi veranlaßt haben. Die Engel leisten in diesem Liede die ähnlichen, hilfreichen Dienste, wie im Otnitsliede der Zwerg Elberich. Ja, es kommt sogar ein wonnesamer Zwerg Alban vor, der Breiden durch zween hohle Berge in den Kerker des gefangenen Orendel führt. Weil er aber treulos an ihnen handeln will, wird er von einem Engel mit einer dreistrangigen Geißel gezüchtigt. Christliche und heidnische Figuren sind hier seltsam vermischt, und die Geißel, die im Nibelungenliede der Zwerg Alberich führt (V. 1991), ist in die Hand des Engels übergegangen. Auch der prosaische Anhang des Heldenbuchs setzt Orendeln mit den Helden der deutschen Sage in Verbindung:

Bl. 208: Kunig ernthelle von Trier was der aller erste held der ye geboren ward. Der fůr übermer mit vil schiffen. wann er was gar ein reichen künige. Do giengen jm die schiff alle vnder. doch kam er myt hilff eines fischers auß, vnd was lang zeyt by dem fischer vnnd halff jm fischen. Darnach kam er gen Jherusalem tzů dem heyligen grabe. Do was syn frawe eins küniges tochter. die was geheyssen frauwe Brigida, was gar eine schöne fraw. Die Legende der heil. Brigida bei Jac. de Vorag. CC hat mit ihr nichts gemein. Darnach ward dem künig geholffen von andern grossen herren das er wider kam gen Trier. vnd starb do, vnd liegt zu Trier begraben. was nicht mit dem Liede stimmt. Also ertruncken im alle diener, vnnd verlor gar vil gůtz auff dem mere.

Des ungenähten Rockes wird hier gar nicht erwähnt. (Vgl. Hormahr I, 17. III, 25. Orendil, Gaugraf im Chiemgau. Orendelsall, Pfarrdorf, Oberamt Öhringen.)

Der arme Heinrich

ein Gedicht Hartmanns von Aue, vom Ende des 12. Jahrhunderts, in 1520 kurzen Reimzeilen. Es ist mehrmals herausgegeben, besonders mit schätzbaren Untersuchungen über den Mythus desselben usw. durch die Brüder Grimm, Berlin 1815. Später mit noch strengerer Kritik des Textes in K. Lachmanns Auswahl aus den hochd. Dichtern des 13. Jahrhunderts Berlin 1820 (später von W. Müller 1842, von Haupt 1842, von Wackernagel 1855 abgesondert, ferner im altdeutschen Lesebuch. K.). Ganz neuerlich ist erschienen: Der arme Heinrich usw., metrisch übersetzt von K. Simrock. Nebst der Sage von Amicus und Amelius und verwandten Gedichten des Übersetzers. Berlin 1830.

Heinrich von Aue, ein Ritter in Schwaben, der mit allen Gaben des Glücks reichlich gesegnet ist, wird von der Miselsucht (dem Aussatz) ergriffen. Er fährt nach Monpelier und Salerno, um bei den Ärzten Heilung der schrecklichen Krankheit zu suchen. Am erstern Orte wird sie für unheilbar erklärt, am letztern bescheidet ihn der beste Meister, daß er nur durch das Herzblut einer reinen Jungfrau, welche freiwillig für ihn den Tod leide, geheilt werden könne. Heinrich gibt den Gedanken an seine Genesung auf, entschlägt sich seiner Habe bis auf ein Gereute (neuangebautes Land), wohin er vor den Menschen flieht. Dieses Gereute baut ein freier Meier, den Heinrich stets wohl gehalten und der nun zum Danke seines Herrn treulich pflegt. Besonders aber nimmt die zwölfjährige Tochter des Meiers sich des Kranken liebreich an, und in ihr bildet sich, als sie die Bedingung seines Genesens erfahren, der feste Entschluß, sich für seine Heilung zu opfern. Sie läßt nicht ab, bis er mit ihr nach Salerno zieht. Schon streicht der Meister sein Messer, um ihr das Herz aufzuschneiden, als Heinrich, der es von außen gehört und durch einen Ritz der Wand in die Kammer geblickt, ungestüm Einlaß verlangt und zum großen Leidwesen des Mägdleins erklärt, daß er ihren Tod nicht ertragen könne. Sie ziehen wieder nach der Heimat, aber auf dem Wege wird Heinrich durch die Gnade des Himmels frisch und gesund. Seine Freunde raten ihm, sich zu vermählen, und er umfängt als Gemahlin die, von der er Leben und Genesung hat, und die er zuvor schon im kindlichen Spiele sein Gemahl zu nennen pflegte.

Die Brüder Grimm haben den Grund dieser Dichtung als eine alte, hier in dem Geschlechte, dessen Dienstmann der Dichter war, angeknüpfte Opfersage nachgewiesen, welche in mannigfachen Gestaltungen vorkommt und deren ursprüngliche Bedeutung ist, daß das Unreine durch die Hingebung des Reinen geheilt werde. Die Reinigung vom Aussatze durch Blut insbesondre kommt schon im alten Testamente vor. Vgl. das Ausland 1833. 3. Mai. Nr. 123, S. 492. »In der Nähe von Agra wollte sich ein Mohammedaner, der mit dem Aussatze behaftet war, lebendig verbrennen. Es besteht nämlich unter den Hindus ein Aberglaube, der auch auf die Mohammedaner übergegangen ist, daß durch einen solchen Tod der Aussatz, der oft in Familien sich vererbt, in denselben ausgerottet wird. Wahrscheinlich wirkt aber am meisten Lebensüberdruß zu solchen Selbstopferungen mit, die in Indien Samadh genannt werden. Sobald die Behörde von dem Entschlusse des Kranken in Kenntnis gesetzt wurde, untersagte sie den Verwandten des Kranken, ihm dazu behülflich zu sein.«

Der Gegenstand des Gedichtes, wie ich ihn nur in Umrissen angegeben, kann herb und schwierig erscheinen. Aber der mildeste und innigste unter den altdeutschen Dichtern hat durch seine Behandlung über das schroffe der alten Sage ein so sanftes, gedämpftes Licht ausgegossen, daß dieses Gedicht als eines der gediegensten und anmutigsten des deutschen Mittelalters dasteht. Die jungfräuliche Retterin faßt und verfolgt ihren Vorsatz so mit innerlicher Begeisterung, daß sie in ihrem freudigen Mute den Hörer selbst über die Schrecken der grausamen Opferung hinwegsetzt und es glaublich macht, wie ihre Eltern, wie der anfangs widerstrebende Meister, wie Heinrich selbst, für den sie sich opfern will, unwiderstehlich bis zum Punkte der Entscheidung mit hingerissen wurden.

Ich habe diese Erzählung hier eingereiht, nicht bloß, weil die endliche Wendung ein Gnadenwunder ist, sondern weil das Ganze in religiösem Sinne aufgefaßt ist.

Der Dichter, der sich auf eine geschriebene Quelle beruft, sagt im Eingang, er habe sich genannt, um nicht ohne Lohn seiner Arbeit zu bleiben, damit nämlich, wer nach seinem Leben diese Märe lese oder sagen höre, seiner Seele vor Gott gedenken möge; man sage, wer für des andern Schuld bitte, erlöse sich selbst damit. Diese Stimmung, mit der er anhebt, verbreitet sich über das ganze Gedicht. Er zeigt vornherein an des armen Heinrichs Geschicke die Hinfälligkeit alles Irdischen (Grimm S. 2 ff.). Diesem Unbestande, diesem schmählichen Versinken des Erdenglückes gegenüber erhebt sich dann in der Begeisterung des heldenmütigen Kindes der Blick zu einer andern, unvergänglichen Herrlichkeit, zu der dieses reine Wesen, als freiwilliges Opfer für die Rettung ihres geliebten Herrn, sich aufschwingen will. Schon bei ihren kindlichen Spielen wird der Geist angedeutet, den der Himmel selbst in ihr erweckt (Grimm S. 6f.):

Iedoch geliebte irz aller meist von gotes gebe ein süezer geist.

In voller Reife aber spricht sich ihre Gesinnung in den beredten Worten aus, wodurch sie die Einwilligung ihrer Eltern zu ihrem kühnen Entschlüsse sich erringt (Grimm S. 11-17).

Besonders aber zeichnet sich Hartmanns Gedicht vor andern Darstellungen dieser Opfersage am Schluß noch dadurch aus, daß nicht das blutige Opfer äußerlich vollbracht und durch ein ebenso gewaltsames Wunder die Tote wieder ins Leben geweckt wird, sondern daß die freiwillige Hingebung geistig vollendet wird und dann die Genesung nur leise, wie ein Tau, vom Himmel sinkt. Das alte Blutopfer ist rein innerlich geworden, und der Dichter spricht seinen Sinn klar in den Worten aus:

Do erzeigte der heilige Krist,
wie liep ime triuwe ist,
und schiet sî dô beide
von allem ir leide
und machete in dâ zestunt
reine unde wol gesunt.

Ein späterer Dichter des dreizehnten Jahrhunderts, Gottfried von Straßburg, rühmt von Hartmann (Tristan 4626):

Wie lûter und wie reine
sîn kristallîniu wörtelîn
beidiu sint und iemer müezen sîn!
sî koment den man mit siten an,
sî tuont sich nâhen zuo dem man
und liebent rehtem muote.

In keinem seiner Gedichte hat wohl Hartmann von Aue diese klare, anmutende Beredsamkeit schöner dargelegt, als im armen Heinrich.

Von den übrigen Werken des Dichters, von seinen Lebensumständen und von den Beziehungen, die sich dafür auch aus dem armen Heinrich ergeben, wird später die Rede sein.

Gregor vom Steine

Dieser Legende ist hier nur zu erwähnen, um eine Lücke in der Kenntnis unsrer ältern Poesie zu bezeichnen und notdürftig zu ergänzen. Der Dichter des armen Heinrichs hat auch einen Gregor gedichtet. Aber die einzige Pergamenthandschrift dieses Werks, welche sich zu Straßburg befand, wird seit mehreren Jahren vermißt. Sonst ist (außer einem abgerissenen Pergamentblatte im Besitze Prof. Veesenmeyers zu Ulm) nur eine Papierhandschrift in Wien vorhanden, Büsching, der Deutschen Leben, Kunst und Wissen im Mittelalter. II, 120-24. Iwein usw. von Benecke und Lachmann, S. III. deren Beschaffenheit kritische Sprachkenner nicht zur Herausgabe einzuladen scheint. Gleichwohl wäre, in Ermanglung eines bessern Kodex, zu wünschen, daß wir, was auch ein schlechterer nicht ganz verdunkeln könnte, von der poetischen Auffassung einer der bedeutsamern Heiligensagen durch einen so ausgezeichneten Dichter endlich Kunde erhielten. (Ausgaben haben wir seither erhalten von K. Greith im spicilegium vaticanum 1838, von Lachmann 1828. K.) Gregor vom Stein ist eine christliche Ödipussage. Ich gebe von ihr nach den Gestis Romanorum, Gesta Romanorum cum applicatinibus moralisatis ac mysticis (S. 81). einer im Mittelalter gangbaren Sammlung lateinischer Erzählungen, mit geistlicher Anwendung, einen kurzen Begriff:

Gregor ist der Sohn eines Kaisers, in verbrecherischer Liebe mit der eigenen Schwester erzeugt. Er wird, um die Schande zu verbergen, in einem verschlossenen Fasse ins Meer ausgesetzt. Die Wellen treiben ihn ans Land, in die Nähe eines Klosters, dessen Abt ihn erziehen läßt. Sein Vater stirbt auf einer Bußfahrt im heiligen Lande. Um seine Mutter, als Erbin des Kaisertums, wirbt ein Herzog von Burgund. Als sie diesen abweist, verheert er ihr Land, und sie muß sich mehrere Jahre lang in einer festen Stadt verschlossen halten. Dahin kommt, vom Sturme verschlagen, Gregor, der inzwischen herangewachsen und wehrhaft geworden ist. Er kämpft, ihr unerkannt, für die bedrängte Frau, erlegt den Herzog und befreit ihr Land. Man dringt in sie, sich dem zu vermählen, der allein das Reich vor ähnlicher Gefahr schirmen könne. So wird er Kaiser und Gemahl seiner Mutter. Sie selbst macht mittels einer Schrift, die sie einst zu ihm in das Faß legen ließ, die gräßliche Entdeckung. Gregor zerbricht seine Lanze und geht nachts in Pilgertracht mit bloßen Füßen von dannen. Er kommt zu einem Fischer, der ihn sechzehn Meilen weit ins Meer hinein zu einem einsamen Felsen überfährt. Hier laßt er sich in Fesseln anschmieden und die Schlüssel zu diesen ins Meer werfen. Schon siebzehn Jahre hat er dort gebüßt, was er nicht verschuldet, als der Papst stirbt und eine Stimme vom Himmel ruft: »Sucht einen Mann Gottes mit Namen Gregorius und bestellt ihn mir zum Statthalter!« Die ausgeschickten Boten haben schon durch manche Reiche vergeblich geforscht; da kommen sie auch zum Hause des Fischers, der sich auf ihre Nachfrage an den Namen jenes Pilgrims erinnert, ihn aber längst für tot hält. An demselben Tage jedoch fängt er einen Fisch, in dessen Eingeweide sich die ins Meer geworfenen Schlüssel finden. Sie fahren nun nach dem Felsen über, wo sie Gregorn noch am Leben finden und zum Statthalter Christi berufen. Als er in die Stadt eingeführt wird, schlagen alle Glocken von selber an zum Zeichen, daß er der Erkorene sei.

Auch als Volksbuch wird diese Legende in Görres deutschen Volksbüchern S. 244 angeführt. (Vgl, Wilken, Heidelb. Bibl. 350, 6.)

In den serbischen Volksliedern kommt sie in doppelter Gestalt nicht unter dem Namen Gregors, sondern Simeons des Findlings vor (Talvj, I, 139. Wila, I, 226), auch sonst mit veränderten Nebenumständen.

Engelhart und Engeldrut

ein Gedicht Konrads von Würzburg, eines sehr fruchtbaren Dichters, besonders in Erzählungen, aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Es ist nur noch in einem Drucke des 16. Jahrhunderts, Frankfurt 1573, (Neue Ausgabe von M. Haupt. Leipzig 1844, K.) vorhanden, worin es, wie in solchen Fällen immer geschah, zugleich in die neuere Mundart übertragen worden. Es scheint von diesem Drucke nur ein einziges Exemplar bekannt zu sein, das sich auf der Wolfenbüttler Bibliothek befindet. Daraus ist in Eschenburgs Denkmälern altdeutscher Dichtkunst, Bremen 1799, S. 41 ff. ein Auszug gegeben, wonach der Hauptinhalt des Gedichtes dieser ist:

Engelhart, der Sohn eines Edelmanns in Burgund, will fremde Länder besuchen. Beim Abschied gibt ihm sein Vater drei Äpfel mit. Wenn er jemand auf der Reise treffe, der mit ihm Gesellschaft machen wolle, soll er demselben einen der Äpfel geben. Verzehre jener den Apfel ganz, ohne ihm etwas davon zu reichen, so soll er ihn meiden; geb' er ihm aber einen Teil davon, so soll er seine Freundschaft annehmen. Vor allen Dingen empfiehlt ihm der Vater die Treue. Der Sohn verspricht, dieser Weisung zu folgen, reitet davon, und ihm begegnen nacheinander zwei junge Leute, die mit ihm Gesellschaft machen wollen, aber beide nicht Probe halten, sondern die Äpfel allein verzehren. Darauf begegnet ihm ein Dritter, an Gestalt ihm selbst vollkommen ähnlich. Dieser nimmt den Apfel, schält ihn und gibt dem Schenker die Hälfte zurück. Engelhart wählt ihn zum Gefährten. Sein Name ist Dietrich von Brabant und der Zweck seiner Reise gleichfalls, fremde Dienste zu nehmen. Sie kommen zusammen nach Dänemark und werden dort am Hofe wohl aufgenommen. Der König hält sie, ihrer Ähnlichkeit wegen, für leibliche Brüder; sie versichern aber, daß nur ihre Gesinnungen brüderlich und dazu vereint seien, ihm ihre Dienste anzubieten, um von seiner Tugend zu lernen. Ihr Erbieten wird angenommen, sie machen sich am Hofe überall beliebt und leben miteinander in der treuesten Freundschaft.

Der König hat eine Tochter, mit Namen Engeldrut, von ausnehmender Schönheit. Die beiden Jünglinge gefallen ihren Augen und bald auch ihrem Herzen (Z. 1045):

Denn was den augen sanfte thut,
Das dünket auch dem herzen gut
Und ist ihm [zwar] wohl damitte.
Herz und augen han die sitte,
Daz sie gehellen unter in;
Das auge muß das herze sein
Zu lieblichen Dingen
Leiten und bringen

Der großen Ähnlichkeit wegen ist sie von beiden gleich stark eingenommen, zuletzt aber entscheidet der Name Engelhart, weil er ihr am besten klingt und am meisten zu dem ihrigen stimmt.

Aus Brabant kommt ein Bote an Dietrichen, der ihm den Tod seines Vaters meldet und ihn zurückberuft, um sein Land in Besitz zu nehmen. Nicht minder schmerzlich als der Verlust des Vaters ist ihm die Trennung von seinem Freunde. Er bietet diesem einen Teil seines Erbes an, wenn er mit ihm ziehen wolle; er macht einen zweiten Versuch und will lieber den ganzen Besitz seines Landes als Engelharts Umgang verlieren. Dieser hält es aber für Undank, des Königs Dienste schon wieder aufzugeben, verspricht jedoch, sobald er den dänischen Hof verlasse, zu Dietrichen zu kommen. So scheiden die Freunde. Bald hernach stirbt die Königin von Dänemark. Engeldruts Schmerz um den Tod ihrer Mutter, vereint mit ihrem Liebeskummer, macht sie sehr niedergeschlagen und schwermütig. Ihr Vater sucht sie aufzuheitern und fällt darauf, ihr Engelharten zum Kämmerer zu geben (Z. 1844):

Der kann dir alle schwere
Mit freuden gar vertreiben,
Teutsch lesen und schreiben,
Harfen und singen,
Tanzen und springen
Kann er aus der maaßen wol,
Damit er alle stunden soll
Kurzweile machen dir
usw.

Als nun Engelhart der Königstochter bei der Tafel aufwartet, läßt er beim Vorschneiden das Messer aus der Hand fallen, mit einer Verwirrung, die auf einmal sein Herz verrät. Das Verhältnis, das sich zwischen ihnen entspinnt, wird aber von dem eifersüchtigen Auge Ritschiers von England, der des Königs Schwestersohn ist, beobachtet. Er verrät dem König eine nächtliche Zusammenkunft der Liebenden im Garten. Ein Zweikampf soll über Schuld oder Unschuld entscheiden. Engelhart, der sich schuldig weiß, fürchtet einen unglücklichen Ausgang und fällt auf das Mittel, seinen Freund Dietrich für sich kämpfen zu lassen. Er begibt sich zu diesem nach Brabant, und sie verabreden, einer des andern Rolle zu spielen. Engelhart bleibt in Brabant zurück und wird für Dietrichen gehalten. Dietrich kommt auf den bestimmten Tag in Dänemark an und besteht den Zweikampf. Er haut seinem Gegner eine Hand ab und will ihm das Leben nehmen, als der König dem Kampfe Einhalt tut und Dietrichen, der immer noch für Engelhart gehalten wird, die Hand seiner Tochter zur Belohnung verspricht. Die Hochzeitfeier wird angestellt, aber Dietrich legt ein Schwert zwischen sich und Engeldrut; eine Treue, die ihm sein Freund bei seiner Gemahlin erwidert. Sogleich nach der Hochzeit kehrt Dietrich nach Brabant zurück, und Engelhart kommt von dort wieder nach Dänemark. Hier erhält er bald darauf, da der König stirbt, die Krone und lebt mit Engeldrut im größten Glücke.

Nicht lange hernach wird Herzog Dietrich von einer schweren Krankheit, der Miselsucht, befallen. Er läßt sich ein Gartenhaus am Wasser bauen, wo er für sich allein wohnt und Erleichterung seiner Beschwerden hofft. Hier erscheint ihm einmal im Traum ein Engel, der ihm als das einzige Rettungsmittel andeutet, hin zu Engelhart zu reiten und ihn zu bewegen, daß er seine beiden Kinder töte und den Kranken mit deren Blut bestreiche. Zu der Wahl dieses Mittels kann aber Dietrich sich auf keine Weise entschließen. Indes bewegt ihn der Mangel an Pflege und die Hintansetzung, die er in seinem eigenen Hause und Lande erfahren muß, zu dem Entschlusse, nach Dänemark zu gehen, wo sein Freund ihn auf das liebreichste bei sich empfängt. Auf die dringenden Anfragen desselben, ob er denn nicht irgend ein Heilmittel für seine Krankheit wisse, erzählt Dietrich nach vieler Überwindung seinen Traum. Engelhart, im Kampfe der Freundschaft mit der väterlichen Liebe, bittet Gott, seinen Entschluß zu lenken, und hält sich endlich verpflichtet, dem Freunde, der das Leben für ihn gewagt hat, das Leben seiner Kinder zum Opfer zu bringen. Er nimmt dazu einen günstigen Augenblick wahr; sein Herz empört sich jedoch wider die Tat, indem er über den schlummernden Kindern steht und im Begriff ist, sie zu töten (Z. 6256):

Viel sanfter überwunden
Hätte er zween starke riesen,
Denn er gesiegen mocht an diesen
Kleinen kindern.

Und bald darauf (Z. 6284):

Bis er zuletzt manchen kuss
Gab den kindern beiden
Und er aus seiner scheiden
Das schwert mit nassen augen scheidt.

Er schlägt ihre Häupter ab und bringt das Blut zu seinem Freunde, der dadurch auf einmal von seiner Krankheit geheilt wird. Engelhart geht mit schwerem Herzen, voll Freude über seines Freundes Genesung und voll Betrübnis über das dazu angewandte Mittel, zurück und fragt nach seinen Kindern. Die Wärterin, die sie zu ihm bringen soll, findet beide spielend auf dem Bette, jedes mit einem roten Faden um den Hals. Über dieses Wunder gerät ihr Vater in freudiges Erstaunen. Dietrich kehrt nach Brabant zurück, und beide Freunde leben von nun an sehr glücklich. Das Gedicht schließt mit folgender Nutzanwendung (Z. 6497):

Daß ein herze wohlgemuth
Daran ein selig bilde gut
Zu läuterlicher treue nehme
Und sich der falschen untreu schäme,
Wenn er hört in seinen tagen
Von so fremden wunder sagen,
Als den viel trauten gesellen zweyn
Um so hohe treu erschein.

Die Geschichte Engelharts und Dietrichs ist in den Hauptzügen dieselbe, welche unter den Namen Amicus und Amelius in den Chroniken des Mittelalters erzählt wird, namentlich in: Vincentii Bellovacensis spec. hist. I. 24, c. 162–164 Chronicon Alberici in Leibniz' access. historic. II, 108–110; nach diesen als Anhang zu Simrocks Übersetzung des armen Heinrichs. Amicus und Amelius werden in die Zeit Karls des Großen versetzt und sind von der Kirche heilig gesprochen worden. Obiges Wunder kommt daher auch in ihrer besondern Legende vor (Grimm, Armer Heinrich 187 f.). Doch mögen sie die Heiligsprechung hauptsächlich dem Wunder verdanken, das sich, nach dem Chronicon Alberici, nach ihrem Tod im Dienste der Kirche zugetragen. Der Papst Hadrian ließ den Kaiser Karl auffordern, der römischen Kirche gegen den Langobardenkönia Desiderius zu Hilfe zu kommen. In dem Heere, welches Karl nach Italien führte, befanden sich Amicus und Amelius, ersterer von deutschem Geschlecht, aber in Frankreich angesessen, letzterer ein Sohn des Grafen von Auvergne. Beide fielen in der Schlacht, in welcher Karl den Sieg erkämpfte. Zum Dank dafür und zur Begräbnisstätte für die Umgekommenen lieh Karl eine Kirche dem heiligen Eusebius und seine Gemahlin eine dem Apostel Petrus zu Ehren bauen. Amelius wurde in einem steinernen Sarge in der Peterskirche, Amicus ebenso in der Eusebiuskirche bestattet. Am Morgen aber fand man den Leichnam des Amelius zusamt dem Sarge neben dem des Amicus in der vom König erbauten Kirche, weshalb er und die Königin dieselbe auf das reichlichste begabten.

Diese Erzählungen von Engelhart und Dietrich, Amicus und Amelius, Ludwig und Alexander, wie sie in dem noch gangbaren Volksbuche von den sieben weisen Meistern, Karlmeinet S. 306. 880. Das altfranzösische Gedicht ist herausgegeben von K. Hofmann. Erlangen 1852. K. wo die gleiche Geschichte vorkommt, genannt sind, bewähren, wie sehr im Vergleiche mit dem äußerlich gewaltsamen Opfer und Heilwunder, wie es hier erscheint, die Sage in der dichterischen Behandlung Hartmanns von Aue, im armen Heinrich, sich innerlich und geistig gehoben hat.

Der Gral

Der heilige Gral ist die Schüssel, daraus Christus bei der Stiftung des Abendmahls mit seinen Jüngern gespeist hat. Er besteht aus einem Jaspis, dem edlen Steine, von dessen Kraft der Phönix aus der Asche sich verjüngt. Ein Kranker, der den Gral ansieht, kann in der Woche hernach nicht sterben. Zweihundertjährige Jugend gibt der öftere Anblick dieses Steins, In demselben Gefäße hat Joseph von Arimathia das Blut aus den Wunden des Erlösers aufgefangen. Engel haben ihn vor alter Zeit zur Erde gebracht, und in den Sternen ward gelesen, daß einst ein gesegnetes Geschlecht zu seiner Pflege werde berufen werden.

Dieses erwächst in dem Königsstamme Senabors aus Kappadozien. Drei seiner Söhne folgen dem Kaiser Vespasian nach der Eroberung Jerusalems in römische Lande. Dem einen, Berillus, vermählt der Kaiser seine Tochter und gibt ihm Frankreich, den andern verleiht er Anjou und Cornwallis. Alle sind eifrige Verbreiter des Christentums. Berillus bekämpft die Heiden von Galicien und Saragassa; kräftiger noch sein Nachfolger Titurison, mit Elizabel von Aragon vermählt. Einen Erben von Gott zu erflehen, wallfahrten diese zum heiligen Grab und opfern ein Bild von Gold. Ihr Gebet wird erhört; sie weihen in ihrer Freude das Kind dem Himmel. Da verkündet ein Engel, es werde in keuscher Jugend ein Streiter des Glaubens und einst selbst Genosse der Engel sein.

Titurel

Wie dem Wächter nach langer, kalter Nacht der aufglänzende Morgenstern, wie allem Lebenden der wonnereiche Mai, wie nach kaltem Reif die Sonne, wie in Mittagsglut ein Brunnen und einer duftigen Linde breiter Schatten, wie dem Bedrängten der milde Freund, wie dem Beraubten, der Gericht begehrt, des Königs Gruß, wie dem Blinden, wenn er es wiederfände, das Augenlicht, wie dem Durstigen der süße, klare Wein, dem müden Gaste die Herberge, wie dem Liebenden das Geliebte, über all dieses herzerfreuend ist der Anblick des schönen Jünglings Titurel. Vielfach wird ihm der Frauen holder Gruß geboten, ein Klausner hätte sich daran entzündet. Doch Titurel ist eingedenk der Verkündigung des Engels bei seiner Geburt. Im Kampfe für das Christentum will er von Gott verdienen, daß ihm einst ein Kuß von rotem Munde werde. Mit dem Vater zieht er auf Heerfahrt gegen die Sarazenen von Auvergne und Navarra. Zween Falken gleich schweifen die beiden in rauschendem Flug umher, bis in allen Abendlanden der Heiden wenig sind. So wirbt er, in unverblühter Jugend, bis zum fünfzigsten Jahre; da bringt der Engel die Botschaft, daß Titurel um seiner Tugend willen zum Gral erwählt sei. Er scheidet von den Eltern, die in Tränen Gott loben. Vom Gesang der Engel geleitet, kommt er zu einem pfadlosen Walde, der nach allen Seiten sechzig Meilen sich erstreckt. Zypresse, Zeder, Ebenbaum, Gehölz aller Art ist hier wild verwachsen, fremde Vögel singen in den Zweigen. Mitten im Walde ragt ein Berg, den niemand finden kann, als wen die Engel führen, der bewahrte, behaltene Berg, Montsalvatsch. Mit vielen Gezelten liegt auf diesem Berge Titurels künftige Schar. Über ihr schwebt, in reichem Gehäuse, der Gral, von unsichtbaren Engeln gehalten; denn noch lange soll nicht geboren sein, wer ihn berühren darf. Was sie bedürfen, gibt der Gral, welch Gefäß man darunter hält, es ist der besten Labung voll. Reich an Gold und edeln Steinen ist das Land, Salvaterre, denen bekannt, die in Galicien fahren. Hier waltet Titurel, herrlich vor allen Königen. Er baut auf Montsalvatsch eine weite Burg, von ihr aus dient er Gott mit Speer und Schwert gegen die Heiden, die sich in der Wildnis ansiedeln wollen. Noch immer bleibt der Gral schwebend, da beschließt Titurel, ihm einen Tempel zu stiften, dessen Pracht niemand überbieten könne, ganz aus edlem Gestein, aus lautrem Gold und, wo man Holz zu dem Gestühle braucht, aus Aloe. Was man zum Werke bedarf, findet man von dem Grale bereit.

Der Fels des Berges ist ein Onyx; eine Schichte desselben, mehr denn hundert Klafter im Umfang, säubert Titurel von Gras und Kräutern; er läßt sie schleifen, daß sie wie der Mond erglänzt. Auf ihr findet er eines Morgens den Grundriß des Werkes eingezeichnet. Rund, mit zweiundsiebenzig Chören, jeder von acht Ecken, erhebt sich der Bau. Innerhalb und außen glänzt aus rotem Golde jeder Edelstein nach seiner Farbe. Je auf zwei Chören ruht ein hohes Glockenhaus, allum zu einem Kranze stehen die Türme, achteckig, mit vielen Fenstern; inmitten hebt sich einer, zweimal so groß als die andern. Die Turmknöpfe brennende Rubine, darauf kristallene Kreuze, auf jedem Kreuz ein Aar, von Gold funkelnd; von fern scheint er im Fluge zu schweben; das Kreuz, darauf er ruht, verschwindet dem Auge. Des mitteln Turmes Knopf ein Karfunkel, der den Rittern des Grals, wenn sie im Walde sich verspätet, durch die Nacht zur Heimat leuchtet. Zwo Glocken mit goldnen Klöpfeln rufen zum Tempel und zum Konvent, zum Tisch und zum Streite. An den Außenwänden des Tempels ist ergraben und ergossen, wie seine Diener täglich gewappnet zum Schutze des Grales kämpfen. Drei sind der Pforten, von Mittag, Abend und Mitternacht, jede mit reichen Vorlauben geziert. Nach Morgen sind die meisten Chöre gerichtet; gen Mittag führt ein Kreuzgang zu der Wohnung der Brüderschaft. Im Innern des Tempels ist das Gewölb ein blauer Himmel von Saphiren, mit Karfunkeln gestirnt, die selbst in dunkler Nacht erglänzen. Dazwischen ziehen, durch verborgene Kunst, die goldne Sonne und der silberne Mond, die sieben Tageszeiten zum Gesang anzeigend. Der Estrich ein kristallnes Meer; wie unter dünnem Eise sieht man Fische und Meerwunder sich bekämpfen. Die Mauern von Smaragd, darauf goldne Bäume, mit Vögeln besetzt. Die Bogen mit Reben durchflochten, die über das Gestühl herabhängen. Dichtbelaubt, aus Gold, sind diese Reben, Rosen und Lilien dazwischen. Erhebt sich ein Wind, so erklingen die Blätter, als ob tausend Falken mit goldnen Glöcklein sich aufschwängen. Engelgestalten wiegen sich auf den Reben. An Wänden und Pfeilern Bilder der Evangelisten und Zwölfboten, der Propheten und der Heiligen. Nirgends spannenbreit im Tempel ungeschmückt. Nie Fenster, statt Glases, Berylle; auf ihnen, daß nicht der Glanz das Auge verletze, Bilder aus farbigem Gestein, nach welchem die Sonnenstrahlen sich färben. Entbehrlich ist zwar der Fenster Helle, Überfluß an Licht geben die edeln Steine, deren Glanz das lichte Gold entzündet. Goldne Kronen mit leuchtenden Kerzen hängen herab, darob je speereshoch ein Engel, als wollt' er die Krone in die Lüfte führen. Auch auf Kanzeln und Mauern tragen viel Engel Kerzen. Engel, mittels verhohlner Bälge, geben zum Gesang der Priester süß Getöne. Welche Stimme im Tempel ertönt, durch die edle Art der Steine, die Weite und Höhe des Raums wird der Widerhall in hellem Tone verlängert, wie wenn im Walde Orgelklang ertönte. Der größern Chöre einer ist dem heiligen Geiste geweiht, der Patron über all den Tempel ist; der nächste dabei der reinen Mutter Gottes, der dritte dem Johannes, die folgenden den übrigen Zwölfboten. Vor jedem Chor zwo goldne Gittertüren, innen herrlich gezierte Altäre, darauf Balsamfeuer brennt. In der Mitte des Tempels aber steht ein überreiches Werk, diesen im kleinen darstellend, jedoch nur mit einem Altar; hier soll der Gral bewahrt werden, wenn er sich niederlassen wird. In dreißig Jahren ist der Bau vollbracht. Ein Bischof weiht Tempel und Altäre; da führt der Engel den Gral in die köstliche Zelle, die ihm bereitet ist. An jedem Karfreitag schwingt sich fortan eine glänzend weiße Taube vom Himmel und legt auf den Gral eine kleine, weiße Oblate, davon der Stein seine Wunderkraft empfängt.

Als Titurel das Werk vollendet, hat er vierhundert Jahre Gott gedient und ist nach der Gestalt, als wär' er noch nicht gegen vierzig. Jetzt ist am Gral die Schrift zu lesen, Titureln sei ein Weib erlaubt, Richoude, die reine Königstochter aus Spanien. Aus großer Demut ist er bis daher nicht Ritter worden, jetzt, an seiner Hochzeit, läßt der Jüngling, der vierhundertjährig Haupt trägt, sich zum Schwerte segnen. Er wählt sich aus Richoudens Gefolge zweihundert Schildgefährten, mit denen er ferner dem Gral gegen Feinde dienen will. Ein engelgleiches Geschlecht entsprießt aus dieser Ehe. Die Söhne der Könige werben, einen Ast des edeln Stammes zu gewinnen. Am Gral findet man stets die Namen derjenigen geschrieben, die er aus allen Landen zu seinem Dienste wählt, Mägdlein und Knaben. Arme und Reiche freuen sich, wenn ihr Kind dorthin gefordert wird, wo reines, seliges Leben und himmlischer Lohn seiner wartet. Die Jünglinge erwachsen dort zu der ritterlichen Brüderschaft der Templeisen. Mit dem Wappen des Grals, der weißen Taube, bezeichnet, reiten sie aus und bekämpfen jeden, der die heilige Wildnis zu betreten wagt. Die Jungfrauen aber treten in das Gefolge der reinen Urepanse, Titurels Enkelin, die zuerst und allein gewürdigt ist, den Gral zu berühren. Die goldne Krone im gelockten Haar, leuchtend wie der aufgehende Tag, tritt sie im Geleit ihrer Jungfrauen daher und trägt den heiligen Stein zum Königssaale, wo er die Fülle irdischer Gaben spendet.

Umfortas

Mitten in solcher Herrlichkeit kommt schwerer Jammer über die Genossenschaft des Grals. Schon hat Titurel, als ihm vor großem Alter der Speer entsank, die Krone seinem Sohne Frimutel übertragen. Als dieser einem Lanzenstoß erlegen, folgt sein Erstgeborner, Amfortas. Jedesmal ist am Grale zu lesen, wer als König walten soll. Gepriesen an Schönheit und ritterlicher Kraft sind Amfortas und sein Bruder, der schnelle Trevrezent, der das Wild im Sprung ereilt. Aber beide wenden sich weltlichen Dingen zu. Wer dem Grale dient, soll auf Weibes Minne verzichten. Der König allein darf sich vermählen, wie des Grals Inschrift ihn anweist; die andern nur dann, wenn der Gral sie als Gebieter herrenloser Länder aussendet. Die Brüder kehren sich nicht an dieses Gebot. Verstohlen zieht Trevrezent auf Ritterschaft, sein Bruder selbst gibt ihm die Mittel, sich mit Knappen und andrer Ausrüstung zu versehen. In den drei Teilen der Erde fährt er umher, turniert und kämpft mit Christen und Heiden im Dienst einer schönen Frau. Auch Amfortas, der König, dient der Minne eifriger als dem Grale. Er glüht für Orgelusen von Logrois, Gemahlin des Herzogs Zidegast, von so leuchtender Schönheit, daß bei ihr, auch ohne Kerzen, nimmer Nacht wäre. Ist gleich seine Liebe hoffnungslos, doch läßt er nimmer ab, in ihrem Dienst Speere zu brechen und Schilde zu durchbohren. Indes wird der Herzog, Orgelusens Gemahl, mit dreien seiner Ritter von dem stolzen König Gramoflanz erschlagen, der nie anders als mit mehreren kämpft. Vergeblich bietet der Mörder ihr Krone und Land. Fortan läßt sie ihre Schönheit nur leuchten, um dem Erschlagenen einen Rächer zu erwecken. In einem Gehölze bei Logrois, wo Ölbäume und Reben, Feigen und Granaten üppig erwachsen, am Rand einer Quelle, die aus dem Felsen schießt, erwartet sie den Kämpen, der durch blutige Rache ihre Hand und ihr Herzogtum gewinnen will. Manchen sendet sie so in den Tod. Amfortas aber, ihr eifrigster Diener, erscheint nicht; schon hat ihn die Strafe seiner Versündigung am Gral erreicht. Eines Heiden vergifteter Speer hat ihn getroffen. Bleich und kraftlos, das Speereisen im Leibe, kommt er heim. Ein Arzt holt es aus der Wunde, aber vom Gift eitert diese fort und fort. Sie tragen den König vor den Gral; das ist sein größtes Leiden, daß sie ihn nicht sterben lassen. Was man der Heilbücher liest von Mitteln gegen Schlangengift, nirgends ist Hilfe zu finden. Wasser aus den vier Paradiesesströmen, Blut des treuen Pelikans, das Herz des Einhorns und der Karfunkel unter seinem Horne, die Wurzel, die aus Drachenblut erwächst, Nardensalbe, Theriak, Rauch von Aloeholz, nichts von allem mag frommen, wenn mit der Sterne Wiederkehr und des Mondes Wechsel die Schmerzen sich erneuern. Nur der Speer selbst, in die Wunde gelegt, gibt einige Linderung. Nicht reiten noch gehen, nicht stehen noch liegen kann der Kranke, er lehnt nur, ohne zu sitzen. Oft trägt man ihn, damit die Wunde sich erlufte, zum nahen See (Brumbane); das heißt er seinen Weidetag. Dort lehnt er im Schiff, als stellt' er den Fischen nach. Davon wird gesagt, er sei ein Fischer.

Als Trevrezent des Bruders Leiden sieht, da wirft er sich nieder und gelobt Gott, nicht mehr Ritterschaft zu üben. Er verschwört Fleisch, Wein und Brot. Fortan lebt er als Einsiedler in einer Felshöhle, von Wurzeln und Kräutern sich nährend.

Wehklage ertönt in der Burg des Grals; hilflos der König, kein Schirmer des Heiligtums, seit auch Trevrezcnt vom Schwerte geschieden. Manch Gebet wird vor dem Gral verrichtet, an dem eines Tags geschrieben steht, ein Ritter werde kommen, frage dieser vor der ersten Nacht unaufgefordert nach dem Grunde dessen, was er sehe, so soll Amfortas genesen und der Ritter König sein.

Sigune

Zwei Maultiere tragen durch unwegsamen Wald eine Bahre, darauf die Leiche eines Jünglings liegt, durch köstlichen Balsam frisch und blühend erhalten. Ein Ritter, mit dem Wappen des Grals, treibt die Maultiere. Hinter der Bahre geht eine schöne Jungfrau, traurig und bleich, nur der Mund noch leuchtet in voller Röte. Es ist Sigune, vom königlichen Stamme des Grals. Ihre Mutter, Schoisiane, die älteste Schwester von Amfortas und Trevrezent, mit Kyot, dem Herzog von Katelangen (Katalonien), vermählt, ist an der Geburt des Töchterleins gestorben, und im Schmerz darüber hat Kyot der Welt entsagt. Das verwaiste Mägdlein ist bei ihrer Muhme, der Fürstin von Waleis, erzogen worden, zugleich mit Schionatulander, dem Erben von Graswaldan (Graisivaudan in der Dauphiné). Frühe zarte Minne ist zwischen diesen Zöglingen erblüht, und als Sigune den Jüngling gemahnt, unter Schildesdache müss' er sie verdienen, da ist sein Leben fortan eine siegreiche Ritterfahrt in Morgen- und Abendlanden, bis er im Zweikampf mit Orilus von Lalander vom Speere des Gegners tödlich getroffen wird. Hier zieht nun Sigune mit dem Leichnam des Geliebten.

Unfern der Burg des Grals breitet sich in der Wildnis eine Linde. Auf dieser will Sigune wohnen, das Haupt des Toten im Schoße haltend. Die Turteltaube kieset sich den dürren Zweig, wenn sie ihr Lieb verloren; Sigune setzt sich auf belaubten Ästen, damit die Sonne nicht das klare Antlitz und den Rosenmund des Teuern fälbe. Lichtgrün, dem Laube der Linde gleich, ist er gekleidet. Endlos ertönt nun Sigunens Klage durch die Wildnis: »O Pelikan, könnt' ich, wie du, das Leben aus meiner Brust verblutend, den Toten neu beleben! Hätt' ich den süßen Ton der Nachtigall, die mit Sang ihre Eier zu Leben bringt, entzwei gesungen würde mein Haupt. Hätt' ich des Löwen Stimme, der seine totgebornen Kinder ins Leben ruft, jungfräulich zarte Stimme ließ ich gerne, dich, Liebster, zu erwecken. Hätt' ich des Straußes Art, der mit den Augen brütet, nimmer würden meine Augen von dir gewendet, bis der deinen Blick lebendig mir entgegenleuchtete.« So jammert sie den Abend und den Morgen; sie wirft sich vor, daß sie ihm nicht ohne so strengen Dienst ihre Minne gegeben, jetzt minnet sie den Toten. Man sagt: »Die Frauen haben langes Haar und kurzen Mut«; wie lang Sigunes braune Haare wallen, doch ewig treu ist ihr Gemüt.

Jeden Samstag wird Sigunen Speise vom Gral gebracht; doch ist Wehklagen ihre halbe Kost, ihr Wachen und ihr Schlaf. Einst wird sie von ihrem Vater Kyot und andern ihren Verwandten besucht. Die Klage hat ihr die Augen geschwächt, so daß sie die Freunde nicht gleich erkennt. Sie bietet dem Vater alle Ehre, doch steigt sie nicht von der Linde, denn nimmer läßt sie des Toten Haupt von ihrem Schoße. Die Freunde stimmen ein in ihre Klage; die sie trösten wollten, muß ihnen Trost sagen. Drei alte Helden und eine blühende Jungfrau, des Kummers noch ungewohnt, sitzen die Nacht hindurch, in Klage wetteifernd, mit Sigunen auf den Ästen der Linde. Die Vögel erheben ihren fröhlichen Morgengesang, aber wenig achten jene darauf. Am dritten Morgen scheiden die traurigen Gäste.

Fünf Jahre schon hat Sigune auf der Linde gewohnt; da bedenkt sie, daß Schionatulander, noch sterbend, ihr Gebet statt Klage angeraten. Sie läßt sich im Wald eine Klause bauen über einem klaren Quell, der dadurch hinfließt. Hier läßt sie sich vermauern. Wer an das Fenster tritt, kann sehen, wie die bleiche Jungfrau, in grauem Kleide, den Psalter in der Hand, über dem Sarge des Geliebten kniet. Ein kleiner Edelstein an ihrem Finger, das Brautkleinod ihrer unvergänglichen Minne, schimmert durch diese Dämmerung. So findet man sie eines Abends im Gebete verschieden. Sie wird zu ihrem Freunde besargt. Da sieht man recht die Treue dieser beiden, aus dem Sarge winden sich zwo Reben, die ihnen aus dem Munde wachsen und hoch oben, nie vergrünend, sich verflechten.

Parzival

Herzeloide, des Königs Amfortas zweite Schwester, mit Gamuret von Anjou vermählt, wird einst, als sie um Mittag entschlummert, von angstvollen Träumen gequält. Unter Donnerstrahlen und Feuerregen schwebt sie in den Lüften; dann säugt sie einen Drachen, der ihr das Herz aus dem Leibe bricht und davonfliegt. Laut ruft und jammert sie im Schlafe; ihre Jungfrauen springen herbei und wecken sie. Da kommt ein Knappe auf den Hof geritten; aus fernem Morgenlande bringt er den blutigen Speer, davon Gamuret den Tod erlitten. Aus ihrem Lande zieht die Witwe, mitten in wüstem Walde läßt sie reuten und bauen. Nicht der Blumen und Kränze wegen hat sie den Wald erwählt. Ihren jungen Sohn, Parzival, dessen sie im Jammer genesen, will sie in der Einöde vor Ritterschaft behüten, die dem Vater verderblich war. Nichts darf vor ihm von Rittern je verlauten.

Schon aber schneidet der Knabe sich Bogen und Bolze, womit er Vögel schießt. Hat er einen getroffen, der zuvor mit lautem Schalle sang, da weint er und rauft sich die Haare. Wenn er sich morgens am Strome wäscht und über ihm der Vögel Sang ertönt, da dehnet ihm der süße Laut die junge Brust. Zur Mutter läuft er weinend, doch er kann nicht sagen, wie ihm geschehen. Sie geht der Sache nach, bis sie ihn nach dem Schalle der Vögel lauschen sieht. Da wird sie inne, daß von dieser Stimme ihres Kindes Brust erschwillt. Sie ahnt die Regung, die zu kühnen Taten treibt. Da heißt sie die Vögel fangen und würgen, doch Parzival erbittet ihnen Frieden.

Die Mutter lehrt den Sohn das Lichte von dem Finstern unterscheiden. Lichter, denn der Tag, ist Gott. Als nun Parzival, der mit dem Wurfspieß Hirsche jagt, einst im Walde mehrere Ritter in glänzender Rüstung dahersprengen sieht, hält er jeden für einen Gott und fällt auf die Knie nieder. Von ihnen erfährt er, daß sie Ritter seien und daß der König Artus Ritters Orden erteile. Oft heischt er nun von der Mutter ein Pferd, um zu Artus zu reiten. Sie kann nicht versagen, schneidet ihm aber Kleider zu, wie närrische Leute sie tragen, damit er, durch üble Behandlung geschreckt, bald umkehre. So beginnt der wunderschöne Jüngling in schmählicher Tracht seine Fahrt. Die Mutter aber, als sie ihn nicht mehr sieht, fällt zur Erde nieder und stirbt vor Jammer.

Mancherlei Abenteuer hat Parzival, indem er die Lehren der Mutter allzu wörtlich anwendet. Noch gelangt er bis nahe vor die Stadt Nantes, wo König Artus Hof hält. Hier begegnet ihm ein Reiter von blanker Hautfarbe und roten Haaren. Rot ist auch sein Roß, rot sein Harnisch, sein Wappenkleid, seine Roßdecke, feuerrot Schild, Schwert und Speer. Es ist der kühne Ither, der rote Ritter genannt, einst Trevrezents Knappe. Auf der Hand trägt er einen goldnen Becher, den er keck von Artus Tafelrunde weggerafft, so daß der Wein in der Königin Schoß vergossen ward. Keiner von den Rittern der Tafelrunde hat es gewehrt; hier erwartet er, ob sie mit Kampfe den Becher ihres dürstenden Königs zurückholen. Dieses heißt er Parzivaln am Hofe melden. Der Jüngling reitet in die Stadt, tritt vor den König, meldet die Botschaft und bittet, daß Artus ihn zum Ritter mache. Der König verspricht es und will ihn köstlich dazu ausstatten. Parzival aber verlangt keine Gabe, als die Rüstung des roten Ritters, die er selbst sich holen will. Zögernd gewährt der König und Parzival reitet wieder hinaus. Als er an der Laube vorbeikommt, worauf die Königin mit ihren Frauen sitzt, da lacht die schöne Cunneware, die niemals lachen wollte, bis sie den gesehen, dem der höchste Ruhm beschieden sei, da spricht der schweigsame Antanor, der nimmer reden wollte, bevor Cunneware gelacht. Beide werden von Key, des Königs mürrischem Seneschall, geschlagen, der darüber zürnt, daß dem Knaben geboten werde, was so manchem ehrenwerten Ritter versagt blieb. Bei Ithern angelangt, fordert Parzival des Ritters Roß und Harnisch, greift ihm rasch nach dem Zaume, und als Ither mit dem Schaft ihn blutig schlägt, schleudert er den Wurfspieß nach des Gegners Haupte. Ither fällt tot zur Erde, sein Blut rötet die Blumen. Parzival reitet auf dem Roß und in der Rüstung Ithers, die er über die Torenkleider anlegt, von dannen und heißt hinfort selbst der rote Ritter. Den Goldbecher sendet er dem König.

Schwer gewappnet reitet Parzival den Tag entlang, so weit das treffliche Roß rennen mag. Gegen Abend erblickt er eine Turmspitze, und als noch mehr Türme erscheinen, meint er, sie wachsen hervor, von Artus gesät. Gurnemanz von Graharz, der fürstliche Wirt dieser Burg, sitzt vor derselben im Schatten einer breiten Linde. Der Jüngling, dem die Mutter empfohlen, dem Rate grauer Männer zu folgen, verlangt sogleich den Rat des graugelockten Fürsten. Dieser wirft von seiner Hand einen Sperber empor, der sich, mit goldner Schelle klingend, ein schneller Bote, in die Burg schwingt. Alsbald kommen Junkherren, die den Gast in die Burg führen. Kaum ist er vom Rosse zu bringen, ein König hieß ihn ja Ritter sein. Die Junkherren entwappnen ihn. Der Wirt selbst verbindet ihm die Wunden, die er von Ither empfangen. Väterlich pflegt der Greis des Jünglings, gibt dem Ratbedürftigen weise Ratschläge, lehrt ihn Sitte und ritterliche Kunst. Nach vierzehn Tagen zieht Parzival weiter, der Torenkleider und der kindischen Torheit ledig.

Er kommt in die Stadt Pelrapeire, die durch Belagerung ausgehungert ist. Gebieterin des Landes ist die Königstochter Condwiramurs, deren Minne der König von Brandigan mit Gewalt erwerben will. Sie blüht wie die junge Rose, die im Morgentau, weiß und rot, aus der Knospe hervorglänzt.

In stiller Nacht tritt sie in Parzivals kerzenhelles Gemach und klagt ihm mit Tränen ihre Not. Der junge Held besiegt im Zweikampf die Führer der feindlichen Heere, befreit dadurch die Stadt und gewinnt die Hand der jungen Königin. Unschuldige Minne führt diese beiden zusammen; Condwiramurs geht am Morgen als Jungfrau hervor, obgleich sie nach Frauensitte ihr Haupt bindet.

Bald verläßt Parzival seine Frau und sein neues Land. Die Sorge um seine Mutter und der Drang nach Abenteuern läßt ihn nicht rasten. Am ersten Tage schon reitet er so weit, daß ein Vogel es mit Müh' erflogen hätte. Abends kommt er an einen See, wo Weidleute geankert haben. Einer lehnt traurig im Schiffe, der so reiches Gewand trägt, als dienten ihm alle Lande. Ihn befragt Parzival um Herberge. Auf dreißig Meilen, ist die Antwort, sei kein Haus zu finden, als eines dort um den Fels. Parzival reitet, wie ihn der Mann gewiesen. Er kommt zu einer festen Burg, mit vielen Türmen, wo er auf sein Versichern, daß ihn der Fischer sende, wohl empfangen und bewirtet wird; die Traurigen sind mit ihm froh. Er wird in einen herrlichen Saal gefühlt; hundert Kronen hängen hier, mit Kerzen besteckt. Holz von Aloe brennt auf drei marmornen Feuerstätten. An der mitteln ruht auf einem Spannbette der kranke Wirt des Hauses, in kostbare Pelze gehüllt, aus dem Haupt eine Zobelmütze, deren Knopf ein lichter Rubin. Der Kranke heißt den Gast sich zu ihm setzen; viele Ritter sitzen umher. Ein Knappe springt zur Tür herein, einen Speer tragend, an dessen Schafte Blut herabläuft. Laute Wehklage erhebt sich. Als der Speer all umgetragen ist, verläßt der Knappe den Saal. Wieder öffnet sich eine Tür, eine lange Reihe schöner Jungfrauen, in Scharlach und Samt gekleidet, Blumenkränze in den Haaren, zieht herein; sie tragen kostbares Gerät: goldne Leuchter mit brennenden Kerzen, zween Stollen von Elfenbein, eine Tafel von durchsichtigem Steine, die vor dem König auf die Stollen niedergesetzt wird, zwei silberne Messer, schärfer denn Stahl, die sie auf den Tisch legen. Zuletzt eine Jungfrau mit goldner Krone; ihr Antlitz leuchtet, man glaubt, es wolle tagen. Auf grüner Seide trägt sie die unschätzbare himmelsgabe, den Gral. Vor ihm werden sechs Gläser mit brennendem Balsam getragen. Sie setzt den Gral vor den König und stellt sich in die Mitte ihrer Gespielen. An hundert gedeckten Tafeln sitzen die Ritter, vier an jeder. Auf kleinen Wagen wird goldnes Geschirr herbeigeführt, hundert Knappen dienen vor dem Gral, jeder versieht eine Tafel; nach was sie die Hand bieten, von Speise oder Getränk, das spendet der Gral in Schüssel und Napf. Am Schlusse des Mahls beschenkt der Wirt den Gast mit einem herrlichen Schwerte, das er selbst in gesunden Tagen geführt. Als die Jungfrauen wieder mit dem Gral hinausgehen, sieht Parzival durch die Tür auf einem Ruhebette den schönsten alten Mann, den er je gesehen; weißer, denn Duft, ist der Greis (Titurel). Wohl hat Parzival das Wunder alles beachtet, doch fragt er nicht; sein Lehrer Gurnemanz hat ihn vor unbescheidener Frage gewarnt; noch glaubt er ohne Frage alles zu erfahren. Als er aber morgens, nach schweren Träumen, erwacht, findet er niemand zu seinem Dienste bereit. Auf dem Fußteppich liegt seine Rüstung, die er selbst anlegt. An der Treppe steht sein Roß angebunden, Schild und Speer dabei. Nirgends ist jemand zu sehen, noch zu hören. Zerstampft ist das Gras auf dem Burghof. Durch das offene Tor reitet Parzival hinaus, schnell wird die Brücke hinter ihm aufgezogen und ein Knappe ruft ihm Scheltworte nach. Er verfolgt die Spur der Hufschläge, doch sie teilt sich und bald verliert er sie ganz. Da hört er die klagende Stimme einer Frau; es ist Sigune auf der Linde. Sie erklärt ihm, was er gesehen und was er versäumt.

Zweierlei Sorge erfüllt Parzivals Seele, der Wunsch, den Gral wiederzufinden, und die Sehnsucht nach Condwiramurs. Eines Morgens, als er durch den Wald reitet, ist frischer Schnee gefallen. Ein Falke jagt vor ihm eine Schar wilder Gänse auf. Eine ist im Fluge getroffen und aus ihrer Wunde fallen drei Blutstropfen auf den Schnee. Wie das Blut den Schnee rötet, wie der Schnee das Blut mit Weiße mischt, das mahnt den Ritter an die blühende Farbe der Geliebten. »Condwiramurs, hier liegt dein Schein,« ruft Parzival aus; unverrückt hinschauend, versenkt er sich in Gedanken. Mit aufgerichtetem Speere hält er, wie schlafend, zu Rosse. Unfern diesem Ort ist König Artus mit den Helden der Tafelrunde gelagert. Ihnen wird gemeldet, daß im Wald ein Ritter kampfbereit halte. Zween der Ungestümsten, Segremors und Key, der Seneschall, reiten nacheinander hinaus, ihren Speer an ihm zu brechen. Drohworte, selbst Schläge mit dem Schaft wecken ihn nicht, bis eine Wendung seines Rosses, ein Stoß des Gegners ihm die Blutstropfen aus dem Blicke bringen; so zur Besinnung kommend, fällt er beide. Der Seneschall bricht vom Sturz einen Arm und ein Bein, zur Vergeltung, daß er einst Cunnewaren geschlagen. Der dritte, der geritten kommt, ist der freundliche Gawan; auch er ruft den Träumenden vergeblich an. Doch er kennt selbst die Kraft der Minne, er merkt, wohin Parzivals Augen stehen, und wirft ein seidenes Tuch über die Blutmale. Da verschwindet Condwiramurs, und Parzival reitet mit Gawan zu den Gezelten. Längst ist die Tapferkeit des roten Ritters kundbar geworden; er wird in die Gesellschaft der Tafelrunde aufgenommen und Gawan ist hinfort sein treuester Freund.

Als nun in aller Freude Ritter und Frauen bei Tische sitzen, kommt auf einem hohen, fahlen Maultier, mit kostbarem Reitzeug, eine Jungfrau daher getrabt, um deren Minne noch wenig Speere gebrochen worden. Ihre Augen gelb, wie Topase, der Mund weit hinein blau, gleich einer Viole, eine Hundsnase, zween spannenlange Eberzähne, Ohren wie eines Bären, Nägel wie Löwenklauen. Sie trägt einen Mantel, blauer, denn Lasur; ein Pfauenhut hängt ihr am Rücken, doch hätt', auch ohne Hut, ihrer Affenhaut die Sonne nicht geschadet; über den Hut schwingt sich ein schwarzer Zopf, lind, wie Schweinshaare, bis auf das Maultier herab. In der Hand führt sie eine Geißel mit seidnen Schlingen, der Stiel von Rubin. Es ist Cundrie, die Dienerin des Grals, von der Mohrenkönigin Secundille dem Amfortas geschenkt. So häßlich sie ist, so getreu und weise. Sie bringt Sigunen Speise vom Gral; sie ist aller Sprachen kundig und des Laufs der Sterne. Diese nun kommt in den Kreis geritten und hält vor dem König Artus. »Tafelrunde ist entehrt,« ruft sie, »ein Schlechter sitzt daran.« Dann reitet sie vor Paizivaln: »Schmach deinem lichten Schein und deinem männlichen Wuchs! Ich dünke dir Mißgestalt und bin lieblicher doch, denn du. Sage mir, als der traurige Fischer, trostlos, vor dir saß, warum hast du ihn nicht von Seufzen erlöst? Ungetreuer Gast, hat deines Wirtes Not dich nicht erbarmt? Er gab dir ein Schwert, das du nie verdient, du sähest den Gral vor dich tragen, sähest schneidend Silber und blutigen Speer und hast keine Frage getan. Daß die Zunge dir aus dem Munde fiele! Eine Frage hätte dir mehr gewonnen, denn alles Erdengut. Siech bist du nun an Ehre, kein Arzt mag dich heilen. O weh, daß Herzeleidens Sohn an Preise so gesunken! O Montsalvatsch, Ziel des Jammers, weh, daß dich niemand trösten will!« Bestürzung und Trauer herrscht im Kreise; Cundrie, selbst weinend und händeringend, reitet hinweg. Parzival aber, der Welt zum Spotte geworden, sagt sich von der Tafelrunde los und zieht von dannen, an Gott verzweifelnd.

Manches Land hat der junge Held bestrichen, zu Roß und zu Schiff, manchen Ritter im Lanzenbrechen gefällt, manch heiße Schlacht rühmlich mitgekämpft. In Kirchen oder Münstern, wo man Gottes Preis verkündet, wird er nie gesehen, nur Kampf und Streit sucht er. Einst liegt morgens ein dünner Schnee, als Parzival in einem großen Walde reitet. Eine fromme Schar zieht daher, barfuß, in grauen, rauhen Röcken. Voran ein alter Ritter mit grauem Bart, schönem und lichtem Antlitz, mit ihm seine Frau, dann seine Töchter, zwo liebliche Jungfrauen; ihr Mund, trotz des Frostes rot und heiß, stimmt wenig zum Ernste des Tages; nebenher laufen zierliche Frauenhündlein; Ritter und Knappen, demütigen Gangs, folgen nach. Parzival, dessen Ritterschmuck dem Gewande der Waller gar ungleich steht, lenkt sein Roß aus dem Pfade. Der graue Ritter beklagt ihn, daß er an so heiligen Tagen in vollem Harnisch umherreiten müsse. »Was kümmern mich,« erwidert Parzival, »des Jahres Anfang, der Wochen Zahl, der Tage Namen? einst dient' ich einem, der heißt Gott; seine Hilfe ward mir gepriesen, Schmach, für Hilfe, hat er über mich verhängt.« Da mahnt der Greis den Zweifler, daß heute der Tag sei, des alle Welt mit Seufzen sich freuen möge, der Tag, an dem Gottes große Treue so hilfreich sich erzeigt, daß er für unsre Schuld am Kreuze gestorben. Er rät Parzivaln, auf der Spur, die er getreten finde, nach der nahen Wohnung eines heiligen Mannes zu reiten, zu dem er selbst heute, wie jeden Karfreitag, eine Gottesfahrt getan. Die Töchter meinen, den jungen Ritter müsse im eisernen Harnisch frieren, besser würd' er zu den Zelten ihres Vaters gewiesen. Parzival aber scheidet von ihnen, sein Herz ist bewegt, er denkt wieder an seinen allmächtigen Schöpfer; dem Rosse läßt er die Zügel hängen: ist heute Gottes Hilfetag, so helf' er und weise den rechten Weg! Das Roß geht wirklich der Höhle zu, wo Trevrezent sich zum Himmel bereitet. Am Feuer des Einsiedlers erwärmt Parzival. Er lernt in Trevrezent seinen Oheim kennen, erfährt von ihm die Wunder des Grals und die Geschichten von Titurels Geschlecht; auch den Tod seiner Mutter vernimmt er, und wie er selbst der Drache war, den sie gesäugt. Fünfzehn Tage verweilt er und empfängt des Oheims heilige Lehren. Kräuter und Wurzeln, aus dem Schnee gegraben, sind ihre magere Speise, und doch ward Parzival nie so köstlich bewirtet; an der Seele genesen, mit neuem Vertrauen auf Gott, verläßt er die Höhle.

Fünf Jahre schon ist Parzival nach dem Gral umhergestreift. Wieder sitzt er am Tische des Königs Artus und abermals kommt Cundrie angeritten, in schwarzem Mantel, mit goldnen Tauben, dem Wappen des Grals. Noch unerkannt, fällt sie zu Parzivals Füßen und fleht weinend um seine Huld. Dann wirft sie ihr Hauptgebände von sich und verkündet die freudige Botschaft, daß Parzival durch die Schrift am Grale zum Herrn desselben berufen sei. Segensreich preist sie den Stand der Gestirne. Freudetränen fließen aus Parzivals Augen; er macht sich mit Cundrien auf den Weg nach Montsalvatsch. Eine Schar von Templern, die ihnen im Walde begegnet, springt von den Rossen und empfängt mit abgebundenen Helmen den neuen König. Ein Segen deucht ihnen sein Gruß. Es ist eben die Zeit, da des Amfortas Schmerzen sich erneuen. Duftende Würzen sind umhergestreut; das Aloefeuer brennt; mit den edelsten Steinen, von heilender Kraft, ist das Bett besät; doch nichts lindert die Qual. Da erscheint Parzival; ihn fleht Amfortas um das eine, daß der Gral sieben Nächte und acht Tage aus seinen Augen gerückt bleibe. Parzival aber wirft sich dreimal vor dem Grale nieder und betet, daß die Not des armen Mannes ende. Plötzlich kommt ein herrlicher Glanz über den Kranken; in blühender Schönheit erhebt er sich vom Siechenbett. Ritterlich bricht er wieder manchen Speer im Dienste des Grals, nicht um Frauengunst.

Von Cundrien hat Parzival auch das vernommen, daß Condwiramurs ihm Zwillingssöhne geboren habe. Schon ist nach ihr gesendet und Parzival reitet ihr entgegen. Am frühen Morgen kommt er zu der Aue, wo sie gelagert ist. Als er in ihr Gezelt tritt, schläft sie noch, neben ihr die beiden Kinder. Freudig springt sie auf und empfängt den Gemahl. Zürnen sollte sie, aber sie kann nicht. Es ist dieselbe Stelle, wo einst Blut und Schnee ihm den Sinn entrückt. Hier ist wieder beides, doch nicht der leere Schein.

Ferafis

Bevor noch Gamuret von Anjou Herzeloiden, Parzivals Mutter, gefunden, wirft ihn auf Ritterfahrten ein Sturm vor die Burg der Mohrenkönigin Belacane, die von Feinden hart bedrängt wird. Er befreit sie und ihre Minne lohnt ihm. Wohl gleicht sie nicht dem lichten Tage noch der tauigen Rose, dennoch tut es seinen Augen wohl, wenn durch die Krone von Rubin ihr dunkles Haupt erscheint. Ihre Schwärze deucht ihm schöner, denn das Licht der Sonne. Noch lange kann er nirgends weilen, in der Nacht einst schifft er von dannen. Die trauernde Belacane genest eines Sohnes, der zweier Farben ist, weiß und schwarz, der Elster gleich. Immer küßt sie ihn an die weißen Male, Gamurets gedenkend. Ferafis artet dem Vater nach; er wird ein kühner Streiter im Dienste der Frauen. Viel Könige hat er bezwungen; ererbt und erstritten, dienen ihm zwanzig Lande, die reichsten der Welt; keines der zwanzig Völker versteht die Sprache des andern. Wie ein Gott wird Ferafis angebetet. Mit großem Heere fährt er aus, seinen tapfern Vater zu suchen. Einst als seine Schiffe, um Wasser zu fassen, geankert, reitet er allein in einen Wald, wo Parzival, sein Bruder, ihm begegnet. Diesem steht ein Kampf bevor, wogegen alle früheren Kinderspiel waren. Herrlich gerüstet ist Ferafis. Sein glänzendweißer Wappenrock ist von Salamandern im heißen Feuer gewirkt; die edelsten Steine, dunkel und licht, Kraft und Mut verleihend, liegen darauf. Auf dem Helme trägt er das Tierlein Ecidämon, dessen Geruch alle giftigen Würme tötet. Mit dem teuersten Seidenzug ist sein Roß gedeckt. Sein Schild, gleichfalls reich besteint, ist von dem Holz Aspinde, das weder fault noch brennt. In solchen Waffen blieb er unverletzt, als er im fernen Osten mit einem feurigen Ritter stach. All sein Schmuck ist Geschenk schöner Frauen. So halten, unerkannt, sich gegenüber die beiden, die an Sittigkeit Lämmer, an Kühnheit Löwen sind. Den Löwen gebiert seine Mutter tot, von seines Vaters Brüllen wird er lebendig: Gamurets Söhne sind aus Speereskrachen erboren. Ist die Erde nicht breit genug, daß die sich feindlich treffen müssen, die ein Leib und Blut sind? Keiner kann in diesem Kampfe gewinnen. Die Speere sind zersplittert, sie springen von den Rossen und lassen die Schwerter klingen. Feuer sprüht von den Helmen; von des Heiden Schilde fliegen Späne, mancher hundert Marke wert. Da bricht Parzivals Klinge. Ferafis, der von dem Schlag aufs Knie gesunken, springt auf, doch läßt er vom Kampfe, weil der Gegner das Schwert verloren. Sie setzen sich, um auszuruhen, auf das Gras. Ferafis wirft sein Schwert weithin in den Wald, damit gleiches Spiel sei. Im Gespräch erkennen sie sich und küssen sich als Brüder. »Gepriesen sei des Planeten Schein,« ruft Ferafis, »darin meine Reise getan ward; gepriesen Luft und Tau, der heute morgen auf mich fiel!« Ferafis hört, daß sein Vater nicht mehr lebe, er hat dafür den Bruder gefunden. Bald hernach wird Parzival zum Grale gerufen, er darf sich einen Gefährten wählen und er nimmt dazu den Bruder. Lohengrin, Parzivals Knabe, fürchtet sich, als er den halbschwarzen Oheim küssen soll. Beim Mahle wird der Gral vorgetragen, doch der Heide kann das Heiligtum nicht sehen, er sieht nur die grüne Seide, darauf es getragen wird. Aber in das Herz geht ihm der Anblick der schönen Urepanse, die den Gral trägt; bleich wird er an seinem weißen Teile. Am nächsten Morgen läßt er sich im Tempel des Grals taufen. Er glaubt, was man ihn glauben heißt; der Gott, an den Urepanse glaubt, ist ihm der rechte. Dem Getauften wird die Jungfrau anvermählt; er führt sie mit sich nach Indien, wo er das Christentum ausbreiten hilft.

Lohengrin

In brünstigem Gebete kniet jeden Tag die schöne Else, des Herzogs von Brabant und Limburg verwaiste Tochter. Friedlich von Tolramund, ein Dienstmann ihres Vaters, behauptet, sie hab' ihm die Ehe gelobt. Ein Kampf vor Gericht soll entscheiden. Kein Streiter wagt sich für Elsen, so gefürchtet ist Friedrichs Arm. Wenn sie nun weinend vor dem Altare liegt, dann läutet sie, zum Zeichen ihrer Not, ein goldnes Glocklein, das sie einst einem beschädigten Falken abgelöst. Der Klang dringt fernhin durch die Wolken, wie Donner erschallt er unablässig auf der Burg des Grals. Auf diesen Ruf um Hilfe wird Lohengrin, Parzivals Sohn, ausgesendet. Schon setzt er den Fuß in den Stegreif, als ein Schwan daherschwimmt, der ein kleines Schiff zieht. Lohengrin läßt das Roß und tritt in das Fahrzeug. Ein schneller Strom trägt ihn auf das Meer; die Wogen werfen ihn hoch empor. Fünf Tage schon fastet er, da fängt der Schwan ein Fischlein und teilt seine Speise mit dem Ritter. Auf dem Schilde schlafend, kommt Lohengrin zu Antwerpen an das Gestad, eben zu rechter Zeit, um den Kampf zu bestehen. Der Schwan fährt mit dem Schifflein zurück. Lohengrin aber siegt im Zweikampf und gewinnt die Hand der Fürstin. Das bedingt er, daß sie ihn nie um seine Herkunft frage, wenn sie ihn nicht verlieren wolle. Seit Parzival zu fragen vergessen, ist dem Gral Frage zuwider und die Männer werden nur heimlich weggegeben. Lohengrin lebt lange Zeit glücklich mit Elsen, auch dient er dem Kaiser, von dem er mit den Landen belehnt ward, gegen Hunnen und Heiden. Einst fällt er im Ritterspiel den Herzog von Cleve, wobei dieser den Arm zerbricht. Seine Gemahlin, deshalb erbittert, spricht vor den Frauen zweideutig von Lohengrins dunkler Herkunft. In der Nacht weint Else über diese Reden; ebenso in der zweiten Nacht, in der dritten aber bittet sie den Gemahl, um ihrer Kinder willen, ihr zu sagen, von wannen er geboren sei, obgleich das Herz ihr sage, er sei reich an Adel. Lohengrin nennt sein Geschlecht; dann heißt er seine zween Knaben bringen, küßt sie zum Abschied und befiehlt, Horn und Schwert, so er mitgebracht, ihnen aufzubehalten; der Herzogin läßt er den Ring, den ihm seine Mutter gegeben. Sein Freund, der Schwan, kommt wieder mit dem Schifflein und Lohengrin fährt Wasser und Wege hin, bis wieder zum Gral. Die Herzogin fällt in Unmacht, und ihr Leben lang klagt sie um den verlorenen Gemahl.

Trauriger noch wird Lohengrins Schicksal so erzählt: Er kommt in das Herzogtum Lyzaborie (Luxenburg?) und gewinnt die Erbin des Landes, die schöne Belaye. Sie hütet sich vor Frage, aber sie fürchtet seinen Wankelmut. Sie liebt ihn so heftig, daß sie ohne Besinnung hinfällt, wenn sie ihn nicht sieht. Niemals will sie ihn von sich lassen. Lohengrin, der nicht gern so träges Leben führt, reitet oft zu jagen aus. Dann liegt sie ohne Kraft und Sprache da. Vergeblich werden Ärzte und Sternkundige befragt, ob Zauberei im Spiele sei. Ihre Verwandten werden ihm darüber gram. Ein Kammerweib aber rät ihr, wie sie des Geliebten sich versichern könne; wenn er müde von der Jagd entschlafen sei, soll sie ein Stück von seinem Leibe schneiden lassen und essen. Belaye zürnt über den Ratschlag; lieber will sie sterben, als schuldig sein, daß ihm ein Finger schwäre. Die Ratgeberin, aus Belayens Huld verwiesen, wendet sich an die Verwandten und beredet sie, des Frevels sich zu verwegen. Als Lohengrin einst auf der Jagd ausruht, bedünkt ihn im Schlaf, als wären tausend Schwerter über ihn gezückt. Auffahrend sieht er die Schwerter der Verräter. Männlich setzt er sich zur Wehr, sie erschrecken, ihrer Schuld bewußt. Viele streckt er nieder, doch die Menge siegt. Er empfängt in den linken Arm eine Wunde, wo kein Arzt sie heilen kann. Da fallen sie alle ihm zu Füßen, seine Tugend geht ihnen zu Herzen. Als Belaye seinen Tod erfährt, stirbt sie vor Herzeleid. Ein Kloster wird gebaut, darin man sie zusammen besargt. Noch werden dort ihre gebalsamten Leichen gezeigt. Das Land, sonst Lyzaborie genannt, heißt nach ihm fortan Lothringen.

Des Grals Zug nach Indien

In Salvaterre, weit um den Gral, mehren sich ruchlose Nachbarn, die seinem Volke ein Greuel sind. Sünden, die wir jetzt gering wägen, deuchten damals ungeheuer. Vergeblich sucht man auf Montsalvatsch mit Gebet, Fasten und Kreuzgang den Fall der sündigen Seelen abzuwenden. Der Gral will nicht länger bleiben, er begehrt dahin, von wo das Licht der wonnebringenden Sonne kommt. Sie ziehen aus Salvaterre, auf zwo Rasten darf ihrer Fahrt niemand nahen, der ihnen schaden wollte. Die Christen, die mit Ehrfurcht entgegenkommen, werden vom Grale gespeiset, Klöster, Krankenhäuser, arme Leute werden beschenkt. In der Habe von Marsilie schiffen sie sich ein. Stets segeln sie mit günstigem Winde. An dem Schiffe des Grals verliert der Magnetberg seine Kraft. Heiden, die dort festsitzen, werden gerettet und lassen sich taufen. Das Lebermeer, darin sonst die Kiele stehen und starren, zerfließt, wie Eis am Feuer. An brennenden Bergen vorbei, oft unterirdisch durch Gebirge, fahren sie dahin. Sie sehen den Kampf der Ungeheuer zu Land und Meer. Dem Gral weit entgegen reitet Ferafis, der seine Lande zum Christentum bekehrt. Mit feierlichen Umgängen wird das Heiligtum empfangen. Ferafis selbst hat seine Reiche dem heiligen Priester Johann zu Dienste gegeben, dem die drei Indien dienen. Drei Vierteile der Welt gehorchen seinem Winke. Nahe dem Paradiese wohnt er, von dem heilkräftige Wasser niederströmen, Edelsteine mit sich führend. Alles ist Wunder in jenen Gegenden. Reich an Schätzen sind die Bewohner, reicher noch an Tugenden. Wer ihnen von Meineid, Diebstahl, Raub, Geiz, Unglauben, Verrat spräche, sie wüßten nicht, was er meinte. Glänzend sind des priesterlichen Herrschers Paläste, wo Bischöfe und Patriarchen, die zugleich Könige sind, der Hofämter walten: gewaltig sein Aufzug, wenn er gegen Feinde fährt; viele kostbare Kreuze werden dann vorangetragen. Wer den Sonnenstand zählt, der überzählt dieses Königs Herrschaft. Dorthin erheben sich die Templer und Priester Johann zieht ihnen festlich entgegen. Sie sehen all die Herrlichkeit und wünschen, daß hier der Tempel des Grals wäre. Manch Gebet wird darum vor dem Gral verrichtet. Und sieh! als die Sonne den Tag bringt, erhebt sich in ihrem Strahle der Tempel mit der Burg Montsalvatsch. Nicht sollt' er dem argen Volke in Salvaterre gelassen werden. Nie ward so viel nach Rom gewallt, als nun die Straße gen Indien zum Tempel des Grals betreten wird. Fürder wird niemand mehr vom Grale gespeist, seit dieser in ein Land gekommen, wo nirgends Mangel ist. »Nun erst ist er behalten vor aller Wandelung,« spricht Titurel; »ein halb Jahrtausend hab' ich sein Kunde, er ist nun heimgekommen, auch meine Seele will jetzt heim zum Paradiese fahren.« Der Greis begehrt, daß man ihm den Gral nicht mehr vor Augen bringe; so geht er am neunten Tage zur Ruhe. Priester Johann überträgt seine Herrschaft auf Parzivaln, wegen Heiligkeit des Grals und weil die Lande eines tapfern Schwertes gegen die Heidenschaft bedürfen. Parzival weigert sich aus Demut, aber am Gral steht geschrieben, zehn Jahre soll er König sein und Priester Johann heißen; länger nicht, weil seine Mutter vor Kummer um ihn gestorben. Ihm folgt ein Sohn von Ferafis. Die sonnengleichen Kinder der beiden Brüder wachsen an Ehren vor andrem Geschlecht, wie Lilien über Ostergloien (Sternblumen). Wer Priester Johann werden soll, stehe heute noch jedesmal am Grale mit Gold geschrieben.


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