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Die Könige

Unter den Königen unseres Sagenkreises erscheinen mehrere als Beherrscher ausgebreiteter Reiche. Etzels Herrschaft ist bereits bei der Betrachtung des Geschichtlichen nach den Liedern geschildert worden. Dem mächtigen Ermenrich dient das römische Reich; er wird darum auch Kaiser oder König von Rom genannt. Ähnlicher Glanz fällt auf Rother, Otnit, Wolfdietrich, der zur römischen Krone sein Erbreich in Griechenland erobert, und auf Dietrich von Bern). Ermenrich im Alph. 64: der reiche kaiser (so durchaus im Alphartsliede) ... mir dient das römische reich. 52: er will wider das reich sich setzen. 81: von rome der kaiser reich. 101: der kaiser von Rome. Dietrichs Flucht (von Dietwart) 9: dem dient fur aigen remische land. 249: konig von römisch lant. Ebenso 295 und sonst. 624: romische here. 1439. 1451: künig von Rome. 1459: hof zu Latran. 1688: römisch könig. 1819: Latran. 2311: romisch ere und r. lant. Vgl. 2323. 2439. 2501: romisch marck. Ermenrich und Dietrich 2857: romisch lant. 3964 f.: romisch riche, lant, ere. 3992. 4764: vogt von rom. rich (Dietr.) 5049. 5693. 7825: romisch erde. 5420: rom. lant. 5627: Berne und romisch lant. 6019 f.: den vanen hiez here Ditrich der da (ge-)hort zu romisch rich. 5998, 60 1/4 4: konig

Sie erteilen Belehnungen über alle welschen und deutschen Lande, führen Adler und Löwen in Banner und Schild, werden kirchlich zur Krone geweiht. Man erkennt jedoch leicht hierin die Vorstellungen späterer Jahrhunderte vom römisch-deutschen Kaisertum und von der Verleihung aller weltlichen Macht durch geistliche Weihe. Ältere Verhältnisse blicken hindurch, wenn gleichwohl Amelungeland, Lamparten, Bern als heimisches Gebiet dieser Könige bezeichnet und sie davon zugenannt werden. Dietr. Fl. 2438. Lamparten 7436. 2425 ff. 5200. (Dietr.) vogt von Perne 5377. 3372: nu wert uch Amelunges man (sagt Wolfh.) 5637. der jung Amelung (Dietr.) 7208. in der Amelunge lant 8054. der Amelung (Dietr.) Rab. 1. der von Berne 204. vogt von perne 375. Vor allem aber ist darauf zu achten, welche Gestalt und Stellung ihnen im Leben und Wesen der Heldensage gegeben sei. Dann wird eben die ausgedehnteste Macht zum leeren Raume, zum verneinenden Gegensatz, zum Schatten im großen Bilde. Der Völkerfürst Etzel gewinnt nirgends eine kräftige Persönlichkeit, er ist leidend und willenlos, seine Herrschaft ist nur darin vergegenwärtigt, daß er einen weiten, reichen Hof eröffnet zum Sammelplatz für alle Helden der Welt, welche nebst den Frauen des Königs die handelnden Personen sind. Ermenrich ist ein Werkzeug in der Hand des treulosen Ratgebers Sibich; seine Gewalt und seine Schlechtigkeit sind bestimmt, die sittliche Kraft seines Gegners Dietrich in das vollste Licht zu heben. Auch unter den burgundischen Königsbrüdern ist der eigentliche Machthaber, Gunther, der unselbständigste. Kreuz, Krone, Königsmantel sind hier fremdartiger Staatsprunk. Die Liebe, die Phantasie der Dichtung zeigt uns jugendliche Edelinge an der Spitze ihrer Gefolgschaften. König (altd. chuninc) bedeutet nach dem Wort einen vom Geschlecht ( chunni), Grimm, D. Gramm. II, 365: ahd. chuninc (primus in stirpe), mhd. künlinc (ejusdem stirpis). chuninc von chunni (got. kuni) wie truhtîn von truht, piudans von piuda, fylkir von folk oder fylki. II, 351: ags. derivativa: ädel–ing (nobilis), cyn–ing (rex). II, 103: ags. äd–el–e (nobilis, nicht edele). II, 364: das –ling neben –ing ist fehlerhaft entsprungen und setzt immer ein älteres –ing voraus. d.h. von einem jener ausgezeichneten Geschlechter, aus welchen die deutschen Völker ihre Fürsten zu wählen oder anzuerkennen pflegten. Dergleichen Königsstämme sind unsre Amelunge, die Gibichinge oder Nibelunge zu Worms, die Wölsunge, die Hegelinge. Den Ursprung solcher Geschlechter und gleichmäßig den ihrer berühmtesten Heldensöhne hüllt die Sage in fabelhaften Glanz, aus dem sie mit wundersamen Eigenschaften begabt und verherrlicht hervorgehen. Am besten zeigt sich dieses in der nordischen Wölsungensage. Von Odin abstammend, haben die Wölsunge Sicherheit vor Gift (Grimm, Edd. 126), ungemessene Stärke und den durchdringenden Glanz der Augen; Helgi verkleidet sich vor seinen Feinden als Magd und treibt die Handmühle, aber die Steine brechen, die Mühle zerspringt und die scharfen Augen verraten edle Art (Grimm, Edd. 91). Swanhilde schlägt die Augen auf, und die Rosse, die sie zertreten sollen, scheuen zurück, bis ihr Haupt verhüllt wird (Vols. S. Kap. 49, S. 201). Der Augenglanz, als königliches Abzeichen, spielt auch sonst in den Sagen des Nordens. Regner und Thorald, schwedische Königssöhne, sind durch den Haß ihrer Stiefmutter gezwungen, nachts die Herde zu hüten, und werden von Gespenstern umschwärmt; da naht ihnen Swanhwita (die schwanweiße Walküre) und obgleich Regner sich für einen Knecht des Königs ausgibt, erkennt sie am leuchtenden Auge seinen Ursprung und reicht ihm als Brautgeschenk ein Schwert zum Kampfe mit den nächtlichen Unholden. Saxo B.II S. 30:» Tunc Suanhuita speciosissimum lineamentorum ejus habitum, curiosiori contemplatione lustratum, impensius admirata, Regibus te, inquit, non servis editum præradians luminum vibratus eloquitur. Forma prospiam pandit et in oculorum micatu naturæ venustas elucet. Acritas visus ortus excellentiam præfert. Nec humili loco naturo liquet, quem certissima nobilitatis index, pulchritudo, commendat. Exterior pupillarum alacritas interni fulgoris genium confitetur. Facies fidem generi facit, et in luculentia vultus majorum claritudo respicitur. Neque enim tam comus, tam ingenua species, ab ignobili potuit auctore profundi. Sanguinis decus cognato frontem decore perfundit, et in oris speculo conditio nativa resultat. Minime ergo tam spectati cælaminis simulacrum obscurus opifex absolvit.« Auf die Walküreneigenschaft der Suanhuita (des Dänenkönigs Hading Tochter) deuten folgende Stellen: S.29: » Hadingi filia Suanhuita sororibus in famulitium sumptis, Suetiam petit, clarissime indolis exitium muliebri ingenio præcursura. Cumque prædictos adolescentes, nocturnis gregum excubiis occupatos diversi generis portentis circumfundi videret, sorores, equis descedere cupientes (von den Wolkenpferden), tali poematis sono vetuit: ... Tutius excelsi terga premantur equi. S.31: Admirata juvenis constantiam Suanhuita, ablegato nubilæ inumbrationis vapore, prætentas ori tenebras suda perspicuitate discussit, ensemque, variis conflictibus opportunum, se ei daturam pollicita, miram virginei candoris speciem noco membrorum iubare præferebat. Taliter accensi juvenis connubium pacta, prolato mucrone sic cœpit: In gladio, quo monstra tibi ferienda patebunt, suscipe, rex, sponsæ munera prima tuæ.«

Sie kämpft hierauf selbst die Nacht hindurch gegen die Ungetüme und erlegt sie, unter ihnen die Stiefmutter Thorilde. Sie heiratet Regner, erscheint in einer Seeschlacht und stirbt aus Trauer über Regners Tod. Das Ganze, ursprünglich in Liedern, erinnert durchaus an die Verhältnisse von Helgi und Swawa, Helgi und Sigrun: Erwecken des Jünglings durch die leuchtende Walküre, Schwertgabe, Verlobung, nächtlicher Schutz vor Zauberweibern, Tod aus Kummer und Sehnsucht. Svanhvit ist auch eine der Walküren, welche Schwanenfittiche trägt, im Wölundsliede zugenannt. (Grimm, Edd. 2. 4. 6. Edda III, 246 f.) Müller, Sagnhist. weiß nichts Näheres über die Sage. Olo, von königlicher Abkunft, sitzt in Bauernkleidung zu unterst im Saale eines wermischen Königs, dessen Tochter durch Kampf vor übermütiger Werbung gerettet werden soll. Die Jungfrau läßt forschend den Schein des Lichtes auf des Fremden Antlitz fallen, als sie plötzlich, von der Schärfe seiner Augen getroffen, zu Boden sinkt. Sie hat in ihm einen Abkömmling von Königen erkannt, durch den sie Rettung hofft. Der Gast wirft die Verhüllung ab, glänzende Locken rollen von seinem Scheitel, aber die schreckenden Augensterne deckt er mit den Wimpern. Denselben Olo, später Dänenkönig, will Starkather im Bad erstechen, aber der vielversuchte Kämpe schrickt zurück vor dem Augenfunkel des Wehrlosen. Der König, nichts Schlimmes vermutend und seinen Blick kennend, bedeckt sich das Gesicht und heißt Starkather herzutreten. Da sticht ihm dieser das Schwert durch den Leib. Saxo B. VII, S. 215: Igitur Olo, tertium ætatis lustrum apud patrem emensus, quantum animi corporisque dotibus inclaruerit, incredibile reddidit. Præterea adeo visu efferus erat, ut quod alii armis, ipse oculis in hostem ageret, ac fortissimum quemque vibrante luminum alacritate terreret. S. 217: Consueverat autem virgo hospitum vultus propius accedendo, quam curiosissime prælato lumine contemplari, quo certius susceptorum mores cultumque perspiceret. Eandem quoque creditum ex notis atque lineamentis oris conspectorum perpendisse prosapiam, solaque visus sagacitate cujuslibet sanguinis habitum discrevisse. Quae quum Olonem scrutabundis aggressa luminibus constitisset, inusitato oculorum ejus horrore perstricta, pene exanimis concidit. At ubi sensim redditus vigor spiritusque liberius meare coeperat, rursum juvenem conspicari conata, lapso repente corpore, ceu mente capta procubuit. Tertio quoque, dum clausam dejectamque aciem attollere nititur, non modo oculorum motu, certe etiam pedum regimine defecta, subito decidit. Adeo vigorem stupor hebetat. Quo viso Olanus, cur toties casum corpore praebuisset, interrogat. Qua se truculento hospitis visu perculsam, testante, eundemque et regibus ortum, et si raptorum vota refelleret, suis perquam dignum amplexibus asserente, rogatus a cunctis Olo (nam os pileo obnuptum habebat), discusso velamino cognoscendi capitis notas praebere. tum ille cunctis moerorem deponere, animumque procul a dolore habere jussis, detecta fronte, avidius omnium in se oculos eximiae pulchritudinis admiratione deflexit. Flava quippe caesarie, nitentique capillitio erat. Caeterum pupillas, ne visentibus formidini forent, palpebris arctius obstringendas curabat. Crederes, repente animisspe meliorum erectis tripudiare convivas, dissultare aulicos, summamque aegritudinem effusa mentium hilaritate convelli. B. VIII, S. 227 f.: »Duodecim duces, sive patriae calamitatibus moti (weil Olo grausam geworden), sive Oloni ob aliam olim causam infesti, insidias capiti ejus praeparare coeperunt. ... Caeterum ad peragendum facinus parum viribus atque ingenio freti pecunia Starcatherum adsciscunt. Ille, ut rem ferro exequeretur, adductus, utentem balneis regem susceptis cruenti ministerii partibus, attentare constituit. Quo lavante ingressus, mox acri ipsius visu, luminumque continua mobilitate vibrantium fulgore perstrictus, occulto metu hebetatis artubus vestigium pressit, relatoque pede manum propositumque suspendit. Itaque qui tot ducum, tot pugilum arma protriverat, unius inermis viri aciem ferre non potuit. At Olo, sane vultus sui conscius, obtecto ore accedere eum propius, et quid afferat, edere jubet; quippequem vetustas convictum, et longa familiaritatis experientia ab insidiarum suspicione alienissimum faciebant. At ille districto mucrone desiliens transverberat regem, nitentisque assurgere jugulum ferit. Von Starkather selbst sagt Saxo B. VI, S. 171: Nam cum manus ejus bellico opere duratas, cicatrices, adverso corpore exceptas, acerrimumque oculorum vigorem attenderet (Ingellus). animadvertit, nequaquam enervi anomo esse, cujus corpus tanta vulnerum vestigia confodissent. Müller, Sagnhist. S. 111 vermutet, daß es eine eigene Sage von Ole gegeben. Vgl. 90. Gleiches erzählt wieder die Wölsungensage von Sigurd. Guttorm hat sich durch Fleisch von Schlangen und Wölfen zum Mord erhitzt; zweimal tritt er in das Gemach, wo Sigurd im Bette liegt, und zweimal weicht er mutlos zurück, denn Sigurds Augen leuchten so scharf, daß niemand ihren Blick aushält; erst als Sigurd eingeschlafen, vollbringt Guttorm die Tat (Vols. S. Kap. 39).

An die Stelle der Götter, als Stammväter der Könige, sind in den deutschen Überlieferungen dunkle Geister getreten. Solcher Abkunft verdankt Dietrich von Bern die Flamme, die ihm, wenn er zürnt, aus dem Munde fährt.

Die Wunder des Ursprungs setzen sich fort in den Schicksalen der ersten Kindheit, welche unsern Helden mit denen vieler Völker gemein sind. Wolfdietrich hat kaum das Licht erblickt, als der Wolf ihn zu seinen Jungen in die Höhle trägt, die jedoch, nicht klüger als das Kind, ihm keines Leides tun. Wolfd. 37d: Der wölff witz und des kindes waren geleich gestalt. Nach der andern Erzählung wird er am Waldbrunnen den wilden Tieren ausgesetzt, von den Wölfen aber nicht beschädigt, sondern gehütet. Kasp. v. d. R. Wolfd. 40: Die wolf sasen geringe vnd hüten des kindes wol. Der neugeborne Siegfried wird, nach der Wilkinensage (Kap. 139, II, 20; Kap. 142, II, 23 f.), bei dem Tode seiner verfolgten Mutter, dadurch gerettet, daß er, in ein gläsernes Gefäß verschlossen, in die See treibt; dann säugt eine Hindin ihn zwölf Monden lang, daß er so groß und stark wird, als andre Knaben vier Winter alt. Derlei Sagen können in mehrfacher Bedeutung aufgefaßt werden: als Beweis, daß der Göttersohn im Schütze höherer Macht gestanden, als Erklärung der gewaltigen Körperkraft des von Waldtieren großgesäugten Wunderkindes, besonders aber als Verherrlichung des Helden, der aus dem Zustande der Verwerfung und tiefsten Erniedrigung um so glänzender in der Kraft und Schönheit seiner erhabenern Natur hervorgeht. Gleichwie die altdeutsche Poesie in der Darstellung der Natur den Frühling liebt, so denkt sie ihre Heldenkönige sich überall in der Blüte jugendlicher Schönheit, Diese Voraussetzung findet durchaus statt, sie ist, wenn auch ausgeführte Gemälde nicht leicht vorkommen, schon in der allgemeinen Farbe der epischen Bezeichnungen angedeutet, die Schönheit ist überhaupt weniger beschrieben, als in Handlung gesetzt, und erscheint oft überraschend in lichten Punkten der Geschichte. Hugdietrich kann sich wohl als Jungfrau verkleiden, denn sein Antlitz ist rosenfarb, gelbe Locken schwingen sich ihm über die Hüfte nieder, und als er in Frauengewand zur Kirche geht, fragen die Leute, wer die Minnigliche sei. Soviel schöne Jungfrauen an Helkens Hofe sind, doch wird der junge Dietleib noch schöner gefunden; goldfarbe, magdliche Haare hängen ihm über die Schwertfessel herab, mit denen er sich vor Regen decken kann, wie ein Falke mit den Fittichen. Als Kriemhild Siegfried zum ersten Male grüßt, da sieht sie ihn vor sich stehen, wie seine Farbe sich »erzündet«: zuletzt läßt sie den Sarg des Ermordeten erbrechen, um noch einmal »sein schönes Haupt« zu sehen, das sie mit ihrer weißen Hand erhebt, während ihre lichten Augen Blut weinen. Von Dietrich meldet die Wilkinensage, er habe, so alt er geworden, nie einen Bart gehabt; Wilk. Sag. Kap. 14. I, 42 f. Rafn. K. 14, S. 37, Fornald. S. I, 246: Hår hennar (Ask.) var biart ok sem å gull citt sæi. ein Zeichen, daß er stets als Jüngling gedacht werden muß, wenn auch Schicksale und Taten auf seine Schultern gehäuft sind, die ein langes Leben zu erfordern scheinen.

Der Schmuck goldner Locken, in dem uns die Helden vorgeführt werden, ist teils ein Bild der Jugend, teils wohl auch ein Merkmal edler Abkunft, wie in den Märchen verlorene Königskinder an ihren Goldhaaren wieder erkannt werden, oder an einem goldnen Stern auf der Stirne, Goldene Haare s. Grimm, Hausmärchen III, 37.114.I, 356. III. 161. Stern, 3, 182. und in dem Gedichte von den Hegelingen der von den Greifen entführte Hagen an dem goldnen Kreuz auf seiner Brust. Gudr. 587: Ob im an seiner pruste ain gulden creütz sey. Vgl. Z. 614

Die Jugend aber, die wir bisher nur in ihrem äußern Gepräge beobachtet haben, durchdringt das Innerste des Heldencharakters. In nordischen und deutschen Sagen kommt es häufig vor, daß der Held in früheren Jahren sich stumm und träge, oder ungebärdig und ungelehrig anläßt, bis die Stunde schlägt, wo plötzlich die eingeborne Trefflichkeit aus dem Schlummer aufwacht. Müller, Sagabibliothek (Übers.) I, 51. 216. 218. 261. d. II, 525. 541. Jener innern Verhüllung entspricht der gedrückte Zustand, darein der Jüngling gewöhnlich versetzt ist, wie dort die Königssöhne als Hirtenknaben dienen. Der Heldengeist scheint einem besonderen Gesetze der Entwicklung zu folgen; erst wenn der urkräftige Stamm in die Höhe geschossen, breitet er die Äste aus; zur gewöhnlichen Tätigkeit ungeschickt, bleibt die dämonische Kraft für übermenschliche Werke aufgespart.

Wir beschränken uns auf Beispiele des heimischen Sagenkreises. Die Wilkinensage berichtet, abweichend vom Gedichte, wie Dietleib bis in die Jünglingsjahre blöd und verachtet am Feuerherd in der Asche gelegen. Auf einmal, als sein Vater zum Feste reiten will, erhebt er sich, schüttelt die Asche ab, richtet die verwirrten Haare, verlangt Roß und Waffen, deren Gebrauch er wohl beachtet hat, und vollbringt auf dieser ersten Ausfahrt gewaltige Taten (Wilk. S. Kap. 91–4). Siegfried ist, nach dem deutschen Liede, ein unbändiger Knabe, verläßt den Königshof seines Vaters und dient einem Schmiede; aber Eisen und Amboß sind seinem Schlage zu schwach, und als er nach Kohlen in den Wald geschickt ist, erschlägt er den Lindwurm (Hörn. Siegfr.). Nach der Wilkinensage hat der Schmied, um Kohlen zu brennen, ein Feuer im Walde gemacht, als ein schöner Knabe zu ihm kommt, der ohne Kleid ist und nicht sprechen kann. Eine Hindin, seine Nährmutter, rennt herzu und leckt dem Knaben das Gesicht. Der Schmied nimmt ihn zu sich und gibt ihm den Namen Siegfried (Wilk. S. Kap. 144). In der höheren Darstellung der Eddalieder folgt Sigurd bewußtlos sicher den Ratschlägen des Trugschmieds; aber Odin wacht über dem Jüngling und die Vögel singen ihm Warnung. Er sucht den Schleier seines Schicksals zu lüften, er bittet die Walküre, ihn Weisheit zu lehren; da erfährt er, daß ihm Ruhm bestimmt ist und kurzes Leben. Darin eben beruht der ernste Reiz dieser Gesänge, wie aus ahnungsvoller Dämmerung das jugendliche Licht hervorbricht, um nach kurzem Glanze wieder zu erlöschen.

Jener Duft und Morgenhauch der Jugend waltet auch wesentlich über Dietrich von Bern, aber hier auf ganz eigentümliche Weise. Nicht der einmalige Übertritt des Jünglings in das Heldentum wird dargestellt; Dietrich bleibt im wunderbaren Zwielicht befangen, Dämmern und Aufleuchten des Heldengeistes wechseln bei ihm beharrlich. Scheu und zögernd steht er vor jeder kühnen Tat; aber es ist nicht das Zaudern der Überlegung und Vorsicht, es ist jugendliche Verschämtheit, Mißtrauen in die Kraft, die er unbewußt in sich trägt. Darum beschuldigen seine Recken, besonders der kampfdurstige Wolfhart, den zweifelmütigen manchmal der Zagheit, und bezeichnend ist jener feine Zug in den Rosengartenliedern, wo ihm vorgehalten wird, er streite nur mit Riesen und Lindwürmen im Walde, wo es niemand sehe.

Roseng. I, 257:

Do sprach der schribere: herre her Dieterich
Und lassent ir die rosen, ez stot üch lesterlich,
Ir turrent nun streiten, die schone Krimhilt gicht,
Mit wurmen in dem Walde, daz nieman fromes sicht.
Do sprach gezögenlichen Hildebrant der alt:
Nu sint ir dick geritten nach strit in einen walt;
Do bestundent ir risen, tier und do bi man;
Und getürrent ir vor den frouwen ein einigen nüt bestan
,
Des hant ir iemer schane, wo man ez von üch saget:
Her Dieterich von Berne ist an strit gar verzaget.

Roseng. II, 413: Da sprach meister Hildebrand: man sol euch ein vortheil geben(?),
Ihr gedürfet gen wilden thieren wol wagen euer leben;
Dort allein im walde da waret ihr mannheit voll:
Ihr fechtet nicht vor frauen, da man preis bejagen soll.
Das ersahe Wolfhart, er rufet den herren an:
Was thut ir, herre von Berne, schlaht ir euern magen und mann?
Da es niemand sahe, da waret ihr kühn, als man spricht:
Ihr gedürfet vor frauen keinen preis bejagen nicht.

Ist dann aber Dietrich einmal aufgereizt, oder drängt die äußerste Not zur Entscheidung, dann haucht er verzehrende Zornflamme, dann schlägt er siegreich den ungeheuern Schwertstreich. Schwankend im Entschluß, ist er stets sicher in der Tat; der letzte zum Kampfe, vollführt er, was kein andrer vermocht hätte; so steht er auch, nach dem Fallen sämtlicher Helden, allein unbezwungen auf der Walstatt und wird lebendig der sichtbaren Welt entrückt.

In einer Reihe von Kämpfen und Abenteuern äußert sich dieser Charakter. Trefflich hervorgehoben ist derselbe durch den Gegensatz von Ecke, der die jugendliche Unklarheit auf völlig verschiedene Weise, durch Übermut und ungemessenes Selbstvertrauen, darstellt. Sein größter Kummer ist, daß er nicht genug zu fechten hat; er rennt über Berg und Tal, sich mit dem Berner zu messen; ihn schrecken nicht die großen Wunden, die er einem andern Helden durch Dietrichs Schwert geschlagen sieht; durch Verheißung, Drohung, flehentliche Bitte sucht er diesen zum Kampfe zu reizen, ja er vermißt sich, auf jede Hilfe des Himmels zum Vorteil des Gegners zu verzichten. Dietrich reitet lange ruhig nebenher, er will nicht den bestehen, der ihm kein Leides getan, er scheut sich vor Eckes Riesengröße; endlich, als er ungern vom Rosse steigt, wird dennoch der Schüchterne des Trotzigen Meister. Auf dem Zuge gegen Laurin ist Dietrich bereit, die Zerstörung des Rosengartens mit Gold zu büßen. Wittich wirft ihm vor, daß er eine Maus fürchte, wird aber selbst von Laurin besiegt und gebunden; und doch nur Dietrichs flammender Zorn vermag den wunderstarken Zwerg zu bezwingen. Im Rosengarten zu Worms zögert er lange, mit dem hörnernen Siegfried zu kämpfen; er will nur einen Gegner von Fleisch und Bein; von seinem Meister gestraft schreitet er endlich zum Zweikampf, weicht aber vor Siegfrieds Schwertstreichen; erst als ihm zugerufen wird, der Meister sei von seinen Schlägen gestorben, lodert sein Zorn auf; rauchend, wie ein brennendes Haus, schlägt er durch Harnisch und Horn, Siegfried muß unter Kriemhilds Schleier fliehen. So kann auch der Verräter Wittich nach der Schlacht vor Raben dem Zornglühenden nur in den Grund des Meeres entrinnen. Die Meerminne Waghild sagt zu Wittich, daß er Dietrichen wohl hätte besiegen können. Rabenschl. 973 f.: Da waz daz edel gesmide allez recht erglut an sinem libe. Daz ist nu worden herte (dez la dich helt an mich!); verlorn wer din geuerte, ja slug er endelichen dich. Er ist ergrymmet an disen ziten: diu drizzig mochten ym niemer gestriten.. In der Nibelungennot betritt Dietrich nicht eher den Kampfplatz, als nach dem Falle seiner Recken, die wider seinen Willen gestritten; Gunther und Hagen sind allein noch von den Nibelungen übrig, diese bezwingt und bindet Dietrich, übergibt sie Kriemhilden und geht mit weinenden Augen von dannen.

Jene dichterische Höhe des Königsadels wird aber auch nur denen eingeräumt, die ihr überlegenes Heldentum wirklich erproben. Die ganze Anlage der Wilkinensage beruht darin, daß Dietrich seine Gefolgschaft der tapfersten Recken sich der Reihe nach selbst erkämpft. Im Nibelungenliede will Siegfried, so sehr ihn dürstet, nicht eher am Waldbrunnen trinken, als bis der König getrunken; im Liede von Walther dagegen läßt dieser Held demselben König zuletzt und nach seinem Dienstmanne Hagen den Becher reichen, weil Gunther lässig im Kampfe war. Hagen selbst weigert sich nicht, vor seinem Könige, wohl aber vor dem tapferen Walther, zu trinken.

Die Herrschaft ist eine sehr beschränkte, denn der König ist bei jeder wichtigeren Entschließung an Rat und Zustimmung von Verwandten und Mannen, deren Beistand er nötig hat, gebunden; er bemerkt selbst ausdrücklich, wenn er etwas Unbedenkliches, einem Boten das Wort, »ohne Freunde-Rat« bewilligt. So König Gunther zum Markgrafen Rüdiger, der für Etzeln um Kriemhilden zu werben gekommen ist. Nib. Lachm. 1132:

Er sprach: swaz man uns mære bî iu enboten hât, die erloube ich iu ze sagene âne friunde rât. Aber den Bescheid in der Hauptsache gibt der König nicht für sich. Nib. 1142:

Der künec nâch râte sande (vil wîslich er pflac) unde ob ez sîne mâge dûthe guot getân, daz Kriemhilt nemen solte den künic edeln (Eceln) zeinem man.

Die Ergebenheit seiner Recken wird durch sehr umfassende Verpflichtungen von seiten des Königs bedingt; wir begreifen sie unter den Namen: Milde und Treue.

»Wozu soll ein reicher König, er habe denn milden Mut?« heißt es im Otnitsliede. Milding ist ein nordischer Dichterausdruck für König. Diese Milde oder königliche Freigebigkeit besteht darin, daß der König nichts besitzt, das er nicht mit seinen Getreuen zu teilen oder für sie hinzugeben bereit wäre, eine Folge der innigen Gemeinschaft zwischen ihm und seinem Geleite. Willig teilt er sein Silber und sein Gold; der Dienstmann aber, der dieses empfangen, reitet in Not und Tod. Epische Ausdrücke dieser Art wiederholen sich durch den ganzen Liederkreis. Wenn der König eine Heerfahrt entboten, wenn seine Recken ihm Hilfe mit ihren Mannen zugesagt, dann öffnet er den festen Turm, der mit Gold und Silber gefüllt ist. Rosse gibt er hin und Sturmgewand, daß keinem ein Finger bloß bleibt. Otnit 193. (Vgl. 204.) 217, 225. 217:
Ich habe einen turn uff Garten, der ist gewurcket wol.
Mit silber vnd mit golde ist er gefullet vol.
Den schatz den wil ich teilen, ich gewinne ein creftig her;
Es gange mir wie got welle, ich wil faren uber mer.
225: Ros und liechte ringe gap der keiser do,
Do machte er die herren alle sament fro.

Gold in den Schilden, Silber ohne Wage wird hervorgetragen, wenn die Helden zu einem gefahrvollen Unternehmen aufgereizt werden sollen. Ist aber die Fahrt glücklich vollendet, dann teilt der König ihnen nicht bloß sein bewegliches Gut oder den Schatz, den er im Zelte des Feindes erbeutet; mit »der breiten Erde« muß ihnen gelohnet werden und die meisten Abenteuer schließen mit großen Belehnungen an Burg und Land.

Der Hort ruht jetzt nicht mehr mythisch in der Elfenhöhle, er ist in bestimmtem, sichtbarem Verkehre flüssig geworden; der tote Schatz belebt sich in den Recken, die an ihn gebunden sind, er ist das Mark der kriegerischen Macht; das Schwert, das bei ihm lag, leuchtet an der Spitze von Tausenden rüstiger Mannen, er kann niemals versiegen, weil das Heldenschwert, die gebieterische Wünschelrute, ihn stets zu ergänzen weiß. So sind die Nibelungenrecken unzertrennlich von dem Nibelungenhorte; als dieser, nach Siegfrieds Tod, gen Worms gebracht ist, zieht er »viel unkunder Recken« in das Land und in den Dienst Krimhildens, die reichlich ihr Silber und ihr Gold verteilt. Da fürchtet Hagen, daß sie zur Rache mächtig werde; die Schlüssel werden ihr abgenommen und zuletzt der Schatz in den Rhein geschüttet, als gält' es, einen lebendigen Feind zu versenken.

Das lichte, rote Gold, wie es in unsern Liedern genannt wird, ist zu allen Zeiten ein mächtiges Bindungsmittel gewesen; aber hier gewinnt es seine vollste Macht durch die Gesinnung, in der es gegeben wird. Die Königsmilde, die rückhaltloseste Freigebigkeit, ist hier ein Drang des Herzens. Dieweil er ein Brot hat, will König Rother sein Gut teilen. Als Dietrich den ersten Sieg über Ermenrich erfochten, ist es ihm ein inniger Kummer, wo er das Gut nehme, das den Recken geziemte, die ihm Land und Ehre gerettet. Kisten und Kammern sind leer, die sein Vater Dietmar voll hatte; Gold und Gestein ist zertragen. Er klagt nicht um das Gut selbst, er klagt nur um die edeln Degen, denen er nichts zu spenden hat.

Dietr. Fl. 3571-88. Besonders:
er klaget so sere nicht daz gût,
noch hete darumb trurigen mût,
er klaget niwan die edeln degen,
den er nicht gutes hete zu wegen.

In diesem Lichte betrachtet ist die Milde der Könige nur Ausfluß und Bestandteil der großen Pflicht und Tugend, die wir als Treue bezeichnet haben. Ein Geringes muß es ihnen sein, ihr überflüssiges Gold mit denen zu teilen, welchen sie Land und Herrschaft, Glanz und Jugendlust, Blut und Leben zu opfern freudig bereit sind. Die Taten solcher Treue bilden den Grundbau ganzer Gedichte des ganzen Amelungenkreises; die Neigung, womit sie geübt wird, verbreitet über die Darstellung den herzlichen, oft leidenschaftlichen Ausdruck des innigsten Gefühls.

König Rother sitzt auf einem Steine, drei Tage und drei Nächte, ohne ein Wort zu sprechen, trauernd um seine ausbleibenden Boten, und nachsinnend, wie er von ihnen erfahren möge. Dann fährt er selbst gen Konstantinopel und befreit sie unter mancherlei Abenteuern. Über allen Irrfahrten Wolfdietrichs, der vom Vatererbe vertrieben ist, leuchtet als fester Stern der Gedanke an seine elf Dienstmannen, die um ihrer Treue willen in Banden liegen. Kaum ist der betäubende Zauber von seinem Haupte gewichen, so fragt er nach ihnen. Er streitet mit Otnit, damit ihm dieser sie befreien helfe. In verzweifelten Kämpfen, in der äußersten Meeresnot, denkt er nur daran, daß jene ihren Retter verlieren, und dieser Gedanke gibt ihm Sieg. Am heiligen Grabe betend, empfiehlt er sie vor allem dem Schutze des Himmels. Im schönsten Glücke kann er nicht rasten, solange sie gefangen sind. Einst steht er vor einer Burg mit vielen Zinnen und Türmen, wie er nie eine herrlichere gesehen; da wünscht er, daß sie in Griechenland stände und seine elf Dienstmannen sie inne hätten, er selbst irrte dann gern im Elend umher. »Berate Gott meine elf Dienstmannen!« ist der Kehrreim des großen Gesanges. In jener nächtlichen Begegnung, wie der Held vor die Burgmauer geführt wird, darauf seine Dienstmannen seit zehn Jahren als Wächter angeschmiedet sind, wie er ihre Klage vernimmt und doch schweigen soll, wie sie bei seinem Enteilen nur den Hufschlag, das Zusammenschlagen der Hände, den verhallenden Ausruf hören, aber schon davon in ihren Banden froh werden: hier erscheint die Treue als ein rein geistiges Band, ein Gefühl durch die Finsternis, ein stets waches Angedenken, eine Nähe über Zeit und Raum. Als endlich die Erlösung naht, da ist schon Herbrands ahnende Seele von weissagendem Traume berührt, wie ein Adler die Könige, Wolfdietrichs Brüder, zerrissen und die Gefangenen gewaltig hinweggeführt. Der Traum der Treue täuscht nicht, der rettende Adler rauscht siegreich heran. Dem wiedergekehrten Herrn hält Hache ein Licht unter das Angesicht: aber statt des Jünglings steht vor ihm ein Mann mit grauen Haaren. Frühgealtert ist Wolfdietrich in rastlosem Umherschweifen. Prangen sonst die Könige in goldenen Locken, dieser ist schön im Altersschmucke der Treue.

Dietrich von Bern hat acht seiner Recken nach dem Horte zu Pola ausgeschickt. Auf dem Rückweg fallen sie, bis auf einen, in Ermenrichs Hinterhalt. Nacht und Tag klagt Dietrich um sie und wünscht sich den Tod; das Gold läßt er fahren, aber an seinen Recken lag sein höchster Trost. Vergeblich bietet er um sie den Sohn Ermenrichs und achtzehnhundert Mannen, die er zuvor gefangen. Ermenrich droht, jene zu töten, wenn Dietrich nicht alle seine Lande ihm überantworte. Dietrichs Mannen raten ihm, lieber die sieben aufzugeben; da spricht er: »Und wären alle Reiche mein, die wollt' ich eher alle lassen, denn meine getreuen lieben Mannen.« Er hält Wort, läßt um die sieben Gefangenen all sein väterlich Erbe und zieht mit ihnen in das Elend zu den Heunen.

Freundlich und anspruchslos ist Dietrich stets gegen die Seinigen. Als er von Bern in den Streit ausreiten will, ruft er auf, wenn jemand hier sei, den er irgend beschwert hätte, der mög' es ihm erlassen; wisse er doch nicht, ob sie ihn je wieder schauen. Da wird ein Weinen und Klagen, alle sprechen: »Ihr habt uns Leides nicht getan, Gott hab' Euch in seinem Frieden.« Wie ihm Ermenrich mit Raub und Brand das Land verheert, klagt er nicht sein eigen Gut, er klagt den Jammer seiner Leute. Innig ist seine Freude, wenn er einen seiner Getreuen wiedersieht. Schmerzlich klagt er um die, die er im Blute liegen sieht; wäre römisch Land alles Gold, er gäb' es um seiner lieben Mannen Leben. Ein gewaltiger König war er; jetzt, nach dem Verluste seiner Getreuen, nennt er sich der arme Dietrich. Als Etzels junge Söhne, die ihm anvertraut waren, von Wittich erschlagen sind, wirft er sich über sie, küßt sie in die Wunden, Blut springt ihm aus den Augen und er beißt sich ein Glied aus der Hand. Grimmig, zornflammend, erhebt er sich zur Rache.

Die burgundischen Könige bewähren in der letzten Not ihre Treue. Schon haben sie den sommerlangen Tag sich gewehrt; ein kurzer Tod dünkt ihnen besser, denn lange Qual; blutfarb treten sie vor den Saal und bitten nur noch, daß man sie heraus in die Weite lasse, damit es kurz ergehe. Kriemhild verspricht, sie alle leben zu lassen, wenn Hagen allein ihr zu Geisel gegeben werde. Gernot antwortet: »Das wolle Gott nicht! Wären wir tausend deiner Blutsverwandten, wir lägen alle tot, ehe wir dir einen Mann herausgäben.« Und Giselher: »Nie hab' ich einen Freund an Treue verlassen.« Da heißt Kriemhild den Saal an vier Enden anzünden. Giselher kämpft seinen letzten Kampf mit Wolfhart: nie mochte so junger König kühner sein. Darum, als sie einander die Todeswunden geschlagen, heißt Wolfhart den Seinigen ausrichten, daß sie nach ihm nicht weinen; von eines Königs Händen lieg' er herrlich tot.

Dem Bilde deutscher Könige, wie ich es aus den Liedern entworfen habe, entsprechen geschichtliche Züge und die Zusammenstellung ist nach beiden Seiten auffallend.

Daß die deutschen Völker bei ihren Königen auf die Abstammung gesehen, hat schon Tacitus bemerkt. Germ. c. 7: Reges ex nobilitate sumunt. Bei den Cheruskern, den Batavern, den Markomannen, den Quaden finden wir solche Königsstämme; aus ihnen gehen die Helden der früheren Kriege mit den Römern hervor.

Germ. c.42: Marcomannis Quadisque usque ad nostram memoriam reges manserunt ex gente ipsorum, nobile Marobudoi et Tudri genus.

Annal. 1. XI, c.16: Eodem anno (Chr.47) Cheruscorum gens regem Roma petivit, amissis per interna bella nobilibus, et uno reliquo stirpis regiæ, qui apud urbem habebatur nomine Italicus. Paternum huic genus e Flavio, fratre Arminii; mater ex Catumero, pricipe Cattorum, erat, ipse forma decorus, et armis equisque in patrium nostrumque morem exercitus.

Hist. 1. IV, c. 12: Mox aucta per Britanniam (Batavorum) gloria, transmissis illuc cohortibus, quas vetere instituto nobilissimi popularium regebant.

Ebend. c. 13: Julius Paullus, et Claudius Civilis, regia stirpe, multo ceteros anteibant.

Bei den Völkerschaften welche später germanische Reiche gegründet haben, dieselbe Erscheinung, mit bestimmter Benennung der Fürstenstämme. Die Ostgoten folgen den Amalern, denen sie göttlichen Ursprung beimessen, die Westgoten den Balthen, die Wandalen den Asdingen, die Franken den Merowingen, welche nach alter Sage von einem Meerwunder entsprungen sind (Grimm, D. Sag. II, 72. Vgl. 47-9), die Bayern den Agilolfingen, der nordischen Königsgeschlechter nicht zu gedenken.

Jorn. de reb. get. c. 5: Divisi per familias populi, Vesegothæ familiæ Balthorum, Ostrogothæ præclaris Amalis serviebant.

C. 22: Visumar (Vandalor. rex) Asdingorum e stirpe, quæ inter eos eminet genusque indicat bellicosissimum.

Paul. Diac. hist. Lang 1. I, c. 14: Nolentes jam ultra Langobardi esse sub ducibus, regem sibi ad ceterarum instar gentium statuerunt. Regnavit igitur super eos primus Agelmundus, filius Ayonis, ex prosapia ducens originem Gungincorum, quæ apud eos generosior habebatur.

Leg. Baiuv. I, 3: Dux autem, qui præst in populo, ille semper de genere Agilolfingorum fuit et esse debet.

Überall wird auf die Abstammung von solchem Blute hoher Wert gelegt, sie gibt dem Führer kühner Unternehmungen zum voraus Vertrauen bei denen, die sich ihm anschließen; der letzte Sprößling eines solchen Stammes wird selbst in fremden Landen aufgesucht. Ein Beispiel von den Cheruskern ist schon angeführt worden. Die Heruler in Illyrien sollen, nach Procop, bis nach Thule geschickt haben, um von ihren dortigen Stammesgenossen sich, nach dem Abgang ihres Königs, einen andern vom königlichen Blute zu holen (Masc. II, 132. Geijer, Sv. Häfd. I, 92). Wird aber auch nicht leicht von dem bevorzugten Hause abgewichen, so ist doch die Freiheit der Wahl nicht ausgeschlossen; die Erhebung auf den Schild, der Zuruf der Wehrhaften, gibt erst den Ausschlag, eine geregelte Erbfolge ringt mühsam, sich zu befestigen. Öfters finden wir, wie bei den Burgunden und Amelungen der Lieder, mehrere königliche Brüder zugleich an der Spitze des Volkes, wenn auch dem ältesten einiger Vorrang zukommt; so wird das Verhältnis der drei ostgotischen Königsbrüder Walamir, Theodemir und Widemir geschildert.

Jorn. c. 48: Sed nobis ... ad Vuandalarii sobolem, quæ trino flore pullulabat, redeundum est. Hic etenim Vuandalarius, fratruclis Ermanarici, ... tribus editis liberis, in gente Amala agloriatus est, i.e. Vualamir, Theodemir, Viudmir. Ex quibus per successionem parentum Vualamir in regnum conscendit, adhuc Hunnis eos inter alias gentes generaliter obtinentibus. Eratque tunc in tribus his germanis contemplatio grata, quando mirabilis Theodemir pro fratris Vualamir militabat imperio; Vualamir vero pro altero jubet ornando, Vuidemir servire pro fratribus æstimabat. Sic eis mutua affectione se tuentibus, nulli penitus deerat regnum, quod utrique in sua pace tenebant. Ita tamen ... imperabant, ut ipsi Attilae Hunnorum regis imperio deservirent.

In früher Jugend schon fanden die Söhne der Königsgeschlechter zu kriegerischen Ausfahrten bereite Folge. Der achtzehnjährige Theoderich zog, ohne Wissen seines Vaters, mit dessen Recken und bei sechstausend Männern aus dem Volke, die sich ihm aus Neigung gesellt hatten, gegen den König der Sarmaten aus, vertilgte ihn und kehrte mit Sieg und Beute zum Vater zurück.

Jorn. c.55: Qui Theodericus jam adolescentiæ annos contingens, expleta pueritia, octavum decimum peragens annum, adscitis satellitibus patris, ex populo amatores sibi clientesque consociavit, pene sex millia viros. Wir sehen hier ganz die altgermanische Gefolgschaft, wie Tacitus sie beschreibt, auf Theoderich, den geschichtlichen Dietrich von Bern, angewandt.

Cum quibus, inscio patre, emenso Danubio, super Babai, Sarmatarum regem discurrit, qui tunc de Camundo duce Romanorum victoria potitus, superbiæ tumore regnabat, eumque superveniens Theodericus interemit, familiamque et censum deprædans, ad genitorum suum cum victoria repedavit. Theodemir erkrankte bald hernach, bezeichnete den versammelten Goten seinen Sohn als Nachfolger und verschied. Theoderich aber führte sein Volk, mit dessen Zustimmung, auf den größeren Heereszug nach Italien.

Jorn. c. 56: Nec diu post hæc rex Theodemir in civitate Cerras fatali ægritudine occupatus, vocatis Gothis, Theodericus filium regni sui designat heredem, et ipse mox rebus humanis excessit.

C. 57: Igitur egressus urbe regia Theodericus, et ad suos revertens, omnem gentem Gothorum, quæ tamen ei præbuerat consensum, assumens, Hesperiam tendit.

Römische Schriftsteller, aus der Zeit der Gründung germanischer Reiche in Gallien und Italien, zeichnen in ihren Schilderungen junger deutscher Könige nicht etwa bloß die hohe Gestalt und den starken Gliederbau, sondern namentlich auch die frische, zartblühende Schönheit dieser unverdorbenen Jugend aus, merkwürdig übereinstimmend mit der Farbengebung unsrer Gedichte. Sidonius Apollinaris (gest. 482) beschreibt aus eigener Anschauung sehr umständlich die Person des zweiten westgotischen Theoderichs (453-466) und gedenkt dabei der gescheitelten, lockigen Haare, der schöngebogenen Nase, der feinen Lippen, dazwischen die wohlgereihten Zähne schneeweiß hervorscheinen, der milchweißen Haut, oft plötzlich von jugendlicher Röte übergossen, nicht im Zorne, sondern aus Verschämtheit.

Sidon. Apollin. 1. I, ep. 11. (Masc. I, 466. Nr.1): Si forma quæratur, corpore exacto, longissimis brevior, procerior eminentiorque mediocribus. Capitis apex rotundus, in quo paululum a planicie frontis in verticem cæsaris refuga crispatur. ... Aurium legulæ, sicut mos gentis est, crinium superjacentium flagellis operiuntur. Nasus venustissime incurvus. Labra subtilia, nec dilatatis oris angulis ampliata. Si casu dentium series ordinata promineat, niveum prorsus repræsentat colorem. ... Menti, gutturis, colli, ... lactea cutis, quæ propius inspecta juvenili rubore suffunditur. Namque hunc illi crebro colorem non ira, sed vericundia facit.

(Ganz wie bei dem jugendlichen Dietrich von Bern.) Dann aber auch:

Teretes humeri, validi lacerti, dura brachia, patulæ manus, ... corneum femur, internodia popletum bene mascula, ... crura suris fulta turgentibus, et qui magna sustenat membra pes modicus.

Derselbe Schriftsteller malt mit sichtbarem Wohlgefallen den hochzeitlichen Aufzug eines königlichen Frankenjünglings, Sigismer; mitten in der Reihe von buntgekleideten und wohlbewaffneten Gefährten, umgeben von Rossen, welche, reichgeschmückt, von Edelsteinen schimmern, schreitet der junge Freier nach dem Gezelte seines Schwähers, er glänzt in Gold, Scharlach und weißer Seide, aber Locken, Gesichtsfarbe, Haut leuchten nicht minder schön.

Sid. Ap. 1. IV, c. 20: FIammeus cocco, rutilus auro, lacteus serico; tum cultui tanto coma, rubore, cute concolor.

Auch an unsrem ostgotischen Theoderich rühmt Ennodius, in seiner schwülstigen Lobrede auf ihn, die hohe Herrschergestalt, den Schnee und Purpurschein der Wangen, das frühlingsheitere Auge; im Zorn aber sei er über alle Vergleichung blitzlodernd.

Ennod. Panegyr. Theoder. regi dict. XXI: Sed nec formæ tuæ decus inter postrema mumerandum est, quando regii vultus purpura ostrum dignitatis irratiat. Exhibite, Seres, indumenta, pretioso, murice quæ fucatis, et non uno aheno bibentianobilitatem tegmina prorogate; discoloribus gemmis sertum texatur, et quem vehementior vipera custodet, lapis adveniat. Quæcumque ornamenta mundo obsequente transmissa fuerint, decorata venerandi genio corporis plus lucebunt. Statura est, quæ designet prolixitate regnantem; nix genarum habet concordiam cum rubore; venant lumina serenitate continua; dignæ manus, quæ exita rebellibus tribuant honorum vota subjectis ... Italiæ rector in amicitiam colligit duo diversissima: ut sit in ira sine comparatione fulmineus, in lætitia sine nube formosus.

In der Vorrede zum salischen Gesetze heißt das Volk der Franken nicht nur ein tapfres, kühnes und weises, sondern auch ein edles und gesundes an Leib, ein herrliches an Aussehen und Gestalt,

Gens Francorum inclyta, autore deo condita, fortis in armis, firma pacis fœdere, profunda in consiliis, corpore nobilis et incolumis, candore et forma egregia, audax, velox et aspera.

König Klodwig aber wird betitelt: der wohlgelockte und schöne, comatus et pulcher et inclytus rex Francorum. Der Schmuck langer, schöner Haare, darauf die Deutschen überall großen Wert legten, mußte besonders bevorzugte Geschlechter auszeichnen, die wir auch bei Goten ( capillati) und Franken danach zubenannt finden. Von den capillatis sagt Jornandes K. 11:

Quod nomen Gothi pro magno suscipientes, adhuc hodie suis cantionibus reminiscuntur.

In Cassiod. Var.hat 1. IV, ep. 49 die Aufschrift: Universis Provincialibus, et capillatis, defensoribus et curialibus in Suavia consistentibus. Agathias de imperio Justitiani: Solemne est Francorum regibus nunquam tonderi.... Cæsaris tota decenter eis in humeros propendet, anterior coma e fronte discriminata in utrumque latus deflexa. Neque vero, quemadmodum Turcis et Barbaris, implexa iis et squalida sordidaque est coma, ... ded smigata varia ipsi sibi adhibent, diligenterque curant, idque velut insigne quoddam, eximiaque honoris prærogativa regio generi apud eos tribuitur. Subditi enim orbiculatim tondentur, neque eis prolixioremcomam alere facile permittitur.

Fredegar. hist. Franc. ept. c. 9: Franci electum a se regem, sicut prius fuerat, crinitum ...super se creant, nomine Theodermerem, filium Richemeris.

Den Merowingen dienten die gescheitelten bis zur Erde niederwallenden Haare zum königlichen Abzeichen ( Gregor. Turon. VI, 24. VIII, 10) und das salische Gesetz legt auf unbefugtes Scheren gelockter Knaben und Mädchen namhafte Buße. Als jedoch den letzten des merowingischen Hauses von königlichem Wesen lediglich nichts mehr übrig war, als die langen gelben Haare, nahm man keinen Anstand, ihnen die Platte zu scheren; ein andres kräftiges Geschlecht bestieg den Königsstuhl und die Kirche gab ihren Segen dazu.

Das Verhältnis der deutschen Könige zu den Wehrhaften des Volkes, ihre Abhängigkeit von der Zustimmung der letztern, bedarf keiner besondern Ausführung.

Wenn die Gefolge der frühern Zeit, nach Tacitus, von der Freigebigkeit des Fürsten Streitroß und Speer, gemeinsame, reichliche Kost und die Teilung der Beute statt Soldes zu erwarten hatten, so erwies sich späterhin die Königsmilde vornehmlich in der Belehnung mit eroberten Ländereien. Aber auch der Hort der Könige, die wohlgefüllte Schatzkammer, als Zugehör und Mittel der Herrschaft, bleibt nicht unerwähnt.

Die altertümliche Genossenschaft zwischen dem König und seinen Recken, und wie sie durch spätere Begriffe vom Königtum verdrängt worden, zeigt, in die Sinne fallend, ein Zug aus der westgotischen Geschichte. Unter den Gewalttaten des Königs Leovigild (gest. 586) führt Isidor an, daß derselbe zuerst im königlichen Gewand auf einem Throne gesessen, denn vor ihm seien Kleidung und Sitz dem Volke mit den Königen gemein gewesen. Weiterhin kam Salbung und Krönung hinzu.

Isidor. Hispal. chron. Goth.: Primusque inter suos regali veste opertus solio resedit. Nam ante eum habitus et concessus communis, ut genti, ita et regibus erat.

Ein Ausbruch des Schmerzes endlich, an Dietrich von Bern, der sich ein Glied aus der Hand beißt, erinnernd, wird von dem Alemannen Leuthar erzählt. Das Heer, welches dieser nach Italien geführt, wurde durch Krankheit aufgerieben; da soll auch er sich getötet haben, indem er sich mit den Zähnen zerfleischte.

Murator. rer. ital. script. B. I, S. 426.

Paul Diac. d. gest. Langob. 1. II, c. 2: Tertius quoque Francorum dux, nomine Leutharius, Bucellini germanus, dum multa preda onustus ad patriam cuperet reverti, inter Veronam, de Tridentum, juxta lacum Benacum propria morte defunctus est. (Fœda nempe rabie ita ut suas ipse dentibus carne lacerans, ejulansque occubuerit, deleto vi morbi universo illius exercitu.)

Ebend. Excerpta ex Agathiæ histor. a fine Procopii ad Gothos pertinentia Hugone Grotio interprete. Ex libro secundo. S. 389: Nam mox orta lues pestifera multitudinem depascitur.Multi causam referebant ad cœli circumfluentis vitium: alii ad mutatam vivendi rationem, quod ab actibus bellorum, longisque itinerum repente ad mollia, ac delicias transiissent, veram interim causam, ni fallor, non attingentes. Ea enim erat, me judice, et immanitas facinorum, spretis Dei hominumpe legibus, conspicua maxime in ipso duce (Leuthari) divina ultio. Vecordia enim, insaniaque, plane ut rabidi solent, agitabatur: trepidebat corpus: ejulatus edebat horrendos, et modo pronus, modo in hoc, rursumque in alterum latus humi cadebat, manante spumis ore, trucibus distortisque oculis. Eo denique furoris venit homo miserandus, ut suos ipse artus vesceretur; infixis namque in brachia dentibus carnes avellebat, mandebatque, ut feræ solent, sanguinem lingens. Ita simul et impletus sui, et paulatim decrescens, eum finem vitæ infelicissimum habuit; moriebantur interim et alii, nec remisit malum, donec omnes absumserat. Febre ardentes plurimi, mente tamen integra moriebantur, alias capitis gravedo vexabat, aliis aderat delirium: varia malorum facies: unus omnibus ad mortem exitus. Hunc terminum expeditioni Leutharis, et eum secuti sunt, fortuna constituit.

S. 383 ex libr. primo: Fratres hi (Leutharis et Butilinus) erant gente Alemanni, sed apud Francos eximie honorati, quippe et suæ nationis duces pridem facti.

Vollständiger wird sich die Stellung der Könige zu ihrem Gefolge aufklären, wenn wir nun auch dieses in seinen hervortretenden Gestalten nach Lied und Geschichte näher betrachten.

Die Meister

Weil die Könige jung sind, bedürfen sie des Rates der Erfahrenen. Den Jungen, »Tumben« (Unerfahrenen), stehen die Alten und Weisen zur Seite. Jener eingeborene, blinde Trieb, welchem die siegreich entscheidende Kraft zugetraut wird, muß durch Erfahrung und Besonnenheit gepflegt, behütet, auf das Ziel gerichtet werden. Dieses ist das Amt des Meisters; er ist der Retter des ausgesetzten Heldenkindes, Nährvater des Verwaisten, Waffenlehrer, Führer zur ersten Schlacht, kundiger, vielgereister Wegweiser zu Land und Meer, unzertrennlicher Berater, Warner, Beschirmer. Hierbei mag ein Verhältnis zugrunde liegen, welches in den nordischen Sagen sich deutlicher herausstellt, als in den unsrigen. Knaben werden frühzeitig, oft von dem Vater selbst, in das Kaus eines andern Mannes zu Pflege und Erziehung gegeben. Odin und Freia selbst siedeln sich wohl in einsamen Gegenden an, um Erdensöhne groß zu ziehen. Der Zögling tritt in die Genossenschaft des Pflegehauses; ein enges Band, dem der Blutsverwandtschaft gleichkommend, verknüpft ihn nicht bloß dem Pflegvater, sondern auch dessen miterzogenen Söhnen, den Pflegbrüdern. Auf solche Weise sind auch die Söhne unsrer Meister den jungen Königen mit derselben aufopfernden Treue zugetan, wie die väterlichen Meister selbst.

Am innigsten und ursprünglichsten erscheint dieses Verhältnis in Wolfdietrichs Meister Berchtung und seinen Söhnen. Nach der einen Gestalt der Sage soll Berchtung den vierjährigen Königssohn, den man wegen seiner übermäßigen Stärke für ein Kind des Teufels hält, in der Wildnis töten. Er weigert sich, wird aber mit seinem und seines ganzen Geschlechtes Tode bedroht. Da trägt er das Kind hin, das zutraulich an seinem Harnisch spielt. Er setzt es in das Gras und zieht sein Schwert aus der Scheide; als aber das Kind freudig nach dem glänzenden Stahle greift, wird ihm das Herz weich. Danach kommt er zu einem Brunnen, darauf Rosen schwimmen, und setzt es auf den Rand desselben, damit es, nach den Rosen langend, sich selbst ertränke; auch dieses hilft nicht. Nun läßt er es im Walde zurück, verbirgt sich aber unfern und bewacht es. In der Nacht kommen die wilden Tiere zum Brunnen; aber dem Kinde tun sie nichts zu leid und die Wölfe setzen sich zu ihm, es zu hüten. Berchtung erkennt, daß dieses Kind nicht vom Bösen stamme, und beschließt, es zu retten, auf Gefahr seines eigenen Geschlechtes. Wolfdietrich, von jener wunderbaren Erhaltung so benannt, wird mit Berchtungs sechzehn Söhnen erzogen, die er alle, obgleich der jüngste, an Wuchs überragt. Die andre Darstellung beginnt gleich damit, daß Berchtung die Söhne Hugdieterichs ritterliche Künste lehrt; fechten und schirmen, schießen, den Schaft schwingen, Steine werfen, den Schild tragen, den Helm binden, wohl im Sattel sitzen. Nach des Vaters Tode wird Wolfdietrich von den Brüdern seines Erbes beraubt, da kämpft für ihn der treue Meister mit seinen sechzehn Söhnen. Sechse von diesen fallen in der Schlacht, jedesmal sieht Berchtung seinen Herrn lachend an, damit er es nicht merke. Berchtung führt den vertriebenen Herrn auf seine Burg, die Mutter zählt nur zehn Söhne und will Klage erheben; da droht Berchtung, sie von der Mauer zu werfen, wenn sie nicht schweige, denn Wolfdietrich habe sich aus Schmerz über die sechs Gefallenen erstechen wollen. Manches Jahr lebt der Meister mit seinen Söhnen zu Konstantinopel in Gefangenschaft, weil sie nicht ihren Herrn abschwören wollten, den sie stets noch erharren. Zu Pfingsten halten die Könige einen Hof, alle Fürsten tragen reiche Gewande, Berchtung aber und seine Söhne, Herzogskinder, tragen graue Kleider und rinderne Schuhe. Da spricht der alte Mann: »O weh, Wolfdietrich! wärst du nicht tot, du ließest uns nicht in dieser Not und Armut!« Fürder spricht er nicht mehr; er stirbt, weil er die Hoffnung auf seines Herrn Wiederkehr aufgegeben. Seine Söhne werden auf der Mauer festgeschmiedet; als aber Wolfdietrich vor dem Graben erscheint, knien sie nieder und bitten Gott, wenn sie Treu und Ehre an ihrem Herrn behalten, ihre Bande zu lösen. Der Himmel gibt Zeugnis der großen Treue, die Ringe springen in Stücke, die Befreiten eilen von der Mauer und schwingen ihrem Herrn das Tor auf. Nach erkämpftem Siege findet Wolfdietrich seines Meisters Grab, reißt die Steine hinweg, küßt das Haupt des Toten, betet für sein Seelenheil und läßt Messe lesen; da liegt die Leiche weiß, rein, unversehrt im Sarge. Der Held gelobt, stets zu gewähren, um was bei Berchtungs Seele gebeten werde. Des Meisters Söhne werden herrlich belehnt und vermählt, und ihre Söhne, namentlich Eckart und Hildebrand, sind wieder die getreuen Meister der späteren Amelunge.

König Rothers Erzieher und Ratgeber ist Berchter von Meran, eine »Grundfeste aller Treue«. Der Name Berchter, den auch einer von Berchtungs Söhnen führt, und das gemeinsame Stammhaus Meran bezeichnen die epische Verwandtschaft. Auch Berchters Söhne sind Rothers getreue Dienstmannen; sieben derselben, als Boten nach Konstantinopel geschickt, liegen dort im Kerker und werden von ihrem Herrn befreit. Manchen kalten Winter hat Berchter, der unverdrossene Mann, sein Lehen mit dem Schilde verdient, nie ist ihm der Bart zu grau, daß er daheim bliebe. Auf blankem Roß, in lichtem Harnisch sitzt der Altgreise, bis auf den Gürtel reicht ihm der breite, schöne Bart, Schild und Helm leuchten von Edelsteinen, wie von Sternen, vermessentlich reitet er, das Roß geht ihm in Sprüngen, besser denn einem Jungen. Ein merkwürdiger Ansatz zu der Sage ist es, wie der geistliche Bearbeiter die Meistertreue auch in der Sorge für das Seelenheil ausführt. In Rothers späteren Jahren kommt ein »schneeweißer Wigand« über Land gestrichen, das »edle Haar« an den Ohren abgeschoren; es ist Berchter, der von Grund auf geboren ist zu dem allertreuesten Mann, den je sich ein König gewann. Rother nimmt selbst das Pferd des Meisters in Empfang. Dieser spricht zum König: Als dein Vater an seinem Ende lag, befahl er dich mir bei der Hand; seitdem hab' ich dir beigestanden, daß niemand dir Arges bot, er hätte denn uns beide bedroht; nun aber kann ich dir nichts weiter frommen, du folgest denn meinem Rat und besorgest die »ewige Seele«. Dieses heißt im Sinne des christlichen Mittelalters, daß Rother der Welt entsagen und sich dem Klosterleben zuwenden solle. So erscheint dem Könige der Führer seiner Jugend, der Gefährte seines Heldenlebens, im Alter noch als Schutzgeist und Wegweiser zum Himmel.

Als Ermenrich, nach den bösen Ratschlägen Sibichs, gegen seine Blutsverwandten wütete, wurden auch seine Brudersöhne, die beiden Harlunge, Fritel und Imbreck, von ihm treulos hingerichtet. Ihr Meister war der getreue Eckart, ein Enkel Berchtungs von dessen Sohn Hache. Wir vermissen über ihn das lebendige Lied, welches ohne Zweifel vorhanden war. In ungenügenden Überlieferungen wird er bald als Warner, bald als Rächer seiner Pflegbefohlenen gerühmt. Ersteres, die Warnung, ist hier die Hauptsache, und zwar nach folgendem Zuge, den allein noch die Wilkinensage aufbewahrt hat. Eckart (dort Fritila genannt, während einer der Harlunge Egard heißt) erfährt an Ermenrichs Hofe, daß den Harlungen ein Überfall drohe. Er wirft sich auf sein Roß und reitet mit seinem Sohn Tag und Nacht, um, dem Heere voreilend, die Harlunge zu warnen. Diese wohnen auf ihrer Burg am Rheine, Breisach in deutscher Sage. Am Ufer des Stromes angelangt, will Eckart die Fähre nicht erwarten; sie schwimmen, die Rosse nachziehend, durch den Rhein, An dieser Eile schon sehen die Harlunge, daß große Gefahr nahe sei (Wilkinensage Kap. 255, 6). Eckart ist als Warner sprichwörtlich geworden.

In Dietrichs Fl. 2546–64 wird zwar der Harlungen Untergang erzählt, aber dabei Eckarts nicht erwähnt; ebensowenig bei Saxo B. VIII, 240 f. Die Namen Fritel und Imbreck kommen im Dietleib 4597 usw. vor. Eckart wird daselbst 10242–5 Haches Sohn genannt. In Agricolas Sprichwörtern (1534) findet sich Bl. 243 dieses: Der trewe Eckhart warnt jedermann. Bl. 244b: Wir brauchen dises Worts, wenn jemandt einen andern trewlich vor schaden warnet, vnd wir wöllens nach rühmen, so sagen wir: Du thuost wie der trew Eckhart, der warnet auch jedermann vor schaden. Er erscheint in dieser Beziehung als eine mythische Person. Der prosaische Anhang zum Heldenbuch besagt von ihm Bl. 212b: Man vermeinet auch der getreu Eckart sey noch vor fraw Fenus berg, vnd sol auch do belyben biß an den jüngsten tag vnd warnet alle die in den berge gan wöllen. Ebenso Agric. a. a. O.: Nun haben die Teutschen jres trewen Eckharts nit vergessen, von dem sie sagen, er sitze vor dem Venusberg vnd warne alle leut, sie sollen nit in den berg gehn usw. Ferner (Bl. 244): Vor dem hauffen (des wütenden Heers) ist ein alter man hergangen mit einem weißen stab, der hat sich selbs den trewen Eckhart geheißen; Diser alt man hat die leut heißen auß dem weg weichen, hat auch etliche leut heißen gar heim gehen, sie würden sonst schaden nemen. (Über Eckharts Beziehung zu Eckewart vgl. Grimm S. 394. 190.

Der unglücklichste unter den Meistern ist Ilsan, in dessen Pflege Dietrich seinen Bruder und die zween hunnischen Königssöhne zu Bern zurückläßt. Sie sind dem Meister auf sein Leben anvertraut; aber so treulich er es meint, widersteht er doch nicht ihrer Bitte, sie vor die Stadt reiten zu lassen. Jammervoll ist des alten Mannes Ruf und Klage und wie er sich auf die, Brust schlägt, als er jene im Nebel verloren. Danach reitet er zu Dietrich und meldet selbst seine Schuld. Streng rächt der Berner die versäumte Meisterpflicht; als der Tod der Jünglinge kund geworden, schlägt er, wie er angedroht, mit eigener Hand dem Schuldigen das Haupt ab.

Vielbesungen ist der alte Hildebrand, der Meister Dietrichs von Bern, sein treuester Gefährte im Kampf und Elend. Wilk. S. Kap. 382. III, 172: Das sagen deutsche Männer, daß er der treufesteste Mann war, so nur sein konnte; dazu war er beides tapfer und ritterlich, weise, milde und adlig. Laur. 204: Ich gan dir aller eren wol Baß dann dem leibe mein. In ihm ist der Ernst der Treue und die Erfahrung des Alters auf das glücklichste verschmolzen mit scherzhafter Heldenlaune und unerloschenem Jugendfeuer. Er ist ein Liebling des Volksgesanges geworden, und in diesem scheint sich eben jene scherzhafte Richtung immer mehr ausgebildet zu haben, während in dem alten Hildebrandsliede des achten Jahrhunderts noch der Ernst obwaltet. Hildebrand hat nicht bloß die Brüder Dietrich und Diether erzogen; Dietrichs Flucht 2535–2540: Diethern und Diethrich (die) zoch ein herzog rich, Hilteprant der alte, der kune und der balde, der sit not und arbeit durch sinen lieben herren leit. Ebend. 3589–98 rät Hildebrand seinem Herrn, ihr Gut anzugreifen, 4543 tröstet er denselben. Nib. 9410: Im half daz er sich waffente meister Hildebrant. als Haupt des Stammes der Wölfinge ist er ein Pflegevater vieler Helden und hält die Jüngeren unter seiner Zucht. Vollkommen berechtigt ihn hierzu seine große Erfahrung. Denn wie er der Zeit nach hundert Jahre und mehr erlebt, Roseng. I: So bin ich in sülicher ahte, hundert jor sint mir gezalt. Wilk. S. Kap. 382. III, 172: Er war 180 Jahr alt, da er starb; etliche sagen, daß er 200 Jahr alt war. so hat er dem Raume nach die weite Welt ermessen. Ihm ist kund alles Menschengeschlecht. Im alten Hildebrandslied: Chud ist mi al irmin-deot. Sechzig Sommer und Winter ist er auswärts gewallet, stets unter den Streitenden, ohne daß er je in einer Burg gebunden lag. Ebenda: Ich wallota sumaro enti wintro sehstic ur lante, dar man mih eo scerita in folc sceotantero, so man mir at burc enigeru banun ni gifasta. Hildebrandslied. Einst wird ihm geraten, daheim zu bleiben und gemächlich sich an der Glut zu wärmen; da erwidert er: Mir ist bei allen meinen Tagen zu reisen auferlegt, zu reisen und zu fechten bis auf meine Hinfahrt; das sag' ich und darauf grauet mir der Bart. Hildebrandslied (Meisterges.) 6: Du solts daheime bleiben vnd haben gut hausgemach bei einer heißen gluthe. Der alte lacht vnd sprach: Solt ich daheime bleiben vnd haben gut hausgemach, ist mir doch bei allen meinen tagen zu reisen aufgesatzt, zu reisen vnd zu fechten bis auf mein hinnefahrt. Da sag ich dir, viel iunger! darauff grauet mir der bart. Ihm sind Straßen und Steige wohl bekannt, darum ist er auch Leiter des Heeres. Dietr. Fl. 3154 f.: Hiltepranden was wol erkant die stige und die strazze. 8757: Wiser des heres was Hiltebrant.Schl. v. Rab. 338: Daz her von hunisch lande leidet durch die march, der die strazze wol bekande, Hildebrant der recke stark auf velde vnd vff steigen. 581: Dannoch sollen wir eynen han, der vns die strazzen leyte, daz sei Hilteprant der (küene) vnuerzaite. 583: Hilteprant was wisere al dahin. Er weiß die Fahnen der feindlichen Scharen zu erklären; wen niemand kennt, den weiß er zu nennen. Als Waffenmeister bewährt er sich, indem er mit kunstreichem Schirmschlag den Gegner unter seine Pflege nimmt. Roseng. I. 2180: Hiltebrant der alte vichtet listeclich. Erst begunt er suchen die ersten schirmschlege. Er hatte künig Gippich unter siner pflege. Roseng. II, 388: schirmschlag. Hildebrandslied 3: schirmenschlag. Ebd. Dresd. 25: Das er mich nam gefangen, das macht ein schirmschlag. so alter Mann gleich ihm. Sigen, 148: Kein elter riter vacht nye pas. Alph.371 Er focht mit solchem grimme, kein alter es nimmermehr gethut. Er ist listig, mit guten Ratschlägen stets zur Hand; in den mißlichsten Fällen hilft er mit einem sinnreichen Funde. Ecke 2: Mit listen wer keyn kuner den der alt Hiltprant Laur. 188b: Der kunde wyshait walten. 189a: Nu bistu ein getruwer man; niemant bas geraten kan zu sölichen sachen. 193b: Der vil wiser rete kan. 196a: Der wise man. 196a: Ebenso 196b: Ein wyser wigant. 201a: Der vil speher liste kan. 203b: Ich fürcht hiltprandes rat. Roseng. I, 2183: Hilteprant hat vil sin und hat ouch vil der liste. Alph. 343: Also sprach aus listen der alte Hildebrant. Seine Lehrart ist durchaus handgreiflich und kurzweilig. Dietrich will gegen seinen Rat nach dem Riesen Sigenot ausreiten, Hildebrand laßt ihn ziehen; erst als jener nicht binnen gesetzter Frist zurück ist, reitet der Meister selbst nach. Er findet, daß Dietrich besiegt und gefangen ist, und bekämpft nun selbst den Riesen. Der Berner, in der Wurmhöhle liegend, erkennt seinen Meister an den Schlägen: »wann ich bin sehr beschweret, so kommt er allezeit hernach, besorgt mich also schön« Sigen. 172 f.: Werlich das ist der meister mein, das hor ich an den slegen, das er mir trew wil sein; wan ich bin ser beswerte, so kumpt er alle zeit hernach, besorgt mich also schone. Aber Hildebrand ruft hinunter: »Euch ist geschehen, als dem, der weise Lehren überging: Ihr wollt mir leider folgen nicht, ich lass' Euch liegen allein.« Dietrich bittet: »Hilf mir heraus, lieber Meister! ich will dir folgen immerdar bis an dein Ende.« Da zerschneidet Hildebrand sein gut Gewand und macht ein Seil daraus, seinen ungehorsamen Herrn aus der Grube zu ziehen. Sigen. 187 f.: Und euch ist do geschehen, sam der weise lere vber gie. Ir wolt mir leider folgen nicht, den schaden habt ir wie mir geschicht; ich loß euch liegen eyne; hilff mir auß, lieber meyster mein! ich volg dir ymer mere piß an das ende dein. Als Dietrich sich scheut, mit Siegfried im Rosengarten zu kämpfen, straft ihn Hildebrand mit einem Faustschlag; dafür schlagt Dietrich den Meister mit dem Schwerte zu Boden. Jetzt hat dieser gewonnen Spiel, er stellt sich tot, in Zorn und Reue bezwingt Dietrich den Gegner; da springt der Scheintote auf. »Nun habt Ihr gesieget, nun bin ich wiedergeboren,« Seinen eigenen Sohn prüft er, indem er, unerkannt, nach langem Elend in Hunnenland, mit jenem, als dem Hüter der Bernermark, sich in Kampf einläßt; er kann wohl zufrieden sein mit der Kopfwunde, die ihm von dem Geprüften geschlagen wird, dennoch schwingt der Alte den Jungen kräftig in das Gras und gibt ihm die Lehre: »Wer sich an alte Kessel reibt, empfahet gerne Ruhm.« Den Mut der Wölfinge versucht er einst dadurch, daß er sich mit seiner Schar vor Bern lagert, mit umgekehrten Schilden, als wär' es Ermenrichs Heer. Der streitlustige Wolfhart kommt alsbald aus dem Tore gerannt, da wendet Hildebrand seinen Schild, Oheim und Neffe küssen sich, statt sich zu bekämpfen. Einen ähnlichen Scheinkampf hat er mit seinem Sohne, um Uten zu necken, im Dresdener Hildebrandsliede St. 18 ff. In Dietr. u. s. Ges. schlüpft er gar unter das Hochzeitbett. Zu bemerken ist, daß im ältesten Hildebrandsliede der Vater den Sohn nicht täuschen will, sondern dieser jenen nicht anerkennt. Indem der alte Meister sich den Lehrproben so mutiger Schüler ausstellt, kann es nicht fehlen, daß er manchmal eine Beule davonträgt. Seine neckischen Anschläge fallen oft auf ihn zurück und die Lehren, die er der Jugend gibt, überspringt er selbst in jäher Aufwallung. Die Lieder zeigen ihn gern in Lagen, welche der musterlichen Haltung einigen Eintrag tun. Der Riese Sigenot bindet ihm Hände und Füße zusammen, schwingt ihn bei seinem langen grauen Bart mit einer Hand über die Achsel und trägt ihn so hinweg; da klagt der Alte: »Noch nie ward ich beim Barte genommen: hätt' ich's zu Bern gewußt, ich hätt' ihn abgeschoren.« Als der junge Alphart auf die Warte ausgeritten, fürchtet Hildebrand, den Neffen zu verlieren. Er beschließt, ihn Streites satt zu machen und wieder in die Stadt zu bringen. In fremdem Sturmgewande eilt er nach, reitet den jungen Helden an, wird aber von dessen Schwertschlag auf die grüne Heide niedergestreckt. Er muß sich entdecken, um sein Leben zu retten, und kehrt unverrichteter Dinge nach Bern zurück, wo er, nach seinem Gefangenen gefragt, den Spott zu dem Schaden hat. Aber es ist Alpharts Verderben, daß der Anschlag des Meisters mißlungen. In der Nibelungennot wird Hildebrand von seinem Herrn ausgeschickt, um zu erkunden, ob wirklich Rüdiger erschlagen sei. Er will hingehen ohne Schild und Waffen; als jedoch der grimme Wolfhart ihn straft, daß er sich waffenlos dem Schelten der Burgunden preisgebe, da rüstet sich der Weise durch des »Tumben« Rat und mit ihm stehen alle Dietrichsrecken in den Waffen. Sie gehen nach dem Saale, bitterer Wortwechsel entspinnt sich, Wolfhart will in den Kampf springen, Hildebrand hält ihn fest; als aber doch der Löwe losbricht, da duldet der alte Meister nicht, daß einer vor ihm zum Streit komme; an der Stiege noch überfängt er den Neffen und schlägt selbst den ersten Schlag. Dies der Anfang des Streites, darin alle Wölfinge fallen, außer dem Meister selbst. Aber ernst und schrecklich tritt derjenige, der sein langes Leben hindurch der Helden Pfleger und Leiter war, zuletzt noch als der Helden Rächer hervor. Kriemhild hat selbst dem gefangenen Hagen das Haupt abgeschlagen; das erträgt Hildebrand nicht, daß ein Weib die Recken erschlage, ob sie auch seine Feinde waren, obgleich Hagen ihm eine tiefe und lange Wunde geschlagen; zornig, mit schwerem Schwertschwank haut er die Königin zu Stücken. Er allein mit seinem Herrn bleibt übrig; aber niemals bis in seinen Tod heilt die Wunde, die er an diesem Tag empfangen. Anh. z. Heldenb. 212a. Hier erschlägt der Berner Kriemhilden. Also reit der Berner und Hildebrand hinweg. Die selben wunden (es sind ihm zwei ins Haupt geschlagen) woltent Hiltebrant nye geheilen biß in synen todt. In einem spätern Streit wird er von Gunthern erschlagen. Nach Wilh. Sag. III, 172 stirbt er an Siechtum.

Bei den Burgunden vertritt Hagen die Stelle des Meisters, bei den Hegelingen Wate. Letzterer zeigt in den Fechterspielen am Hofe des Königs von Irland unerwartet seine Meisterschaft. Er ist ein alter, aber grimmiger Mann, mit breitem Bart, die greisen Locken in Gold gewunden. Gudrun 1363: Sein part was im prait, sein har was im bewunden mit porten den vil gûten. 1421: Ir bayder greyse locke sach man in golde gewunden. Er weiß die rechten Wasserstraßen; 3345: Da sprach Wate der alte: ich wayss hiebei vil nahen ir rechte wasserstrasse (2981: merstrasse), wir mugens auf dem mer vil wol ergaben. 4500: Was half daz sy un wiste der alte Wate vnd von Tenen Frûte. mit dem Schalle seines Hornes, den man wohl dreißig Meilen weit hört und davon die Ecksteine aus der Mauer weichen, gibt er dem Heere Zeichen und Befehl. 4501-16. 5569-80. Am Hofe der Hegelinge dient er als Truchseß. 6447: Wate ward truchsässe der helt von Sturmlannd.

Wie der Schmuck der Locken die jungen Könige auszeichnet, so der lange, weiße Bart die greisen Meister. So heißt es von Berther im Rotherliede:

2468: Siestu jenen grawin man
Mit deme schonin barte stan?
2500: Vf den gurtel gine ime der bart
Bi den ziden also lossam.
4947: Deme was die bart harte breit.

Dieser schneeweiße Wigand reitet auch auf einem weißen Streitrosse. Als der Riese Sigenot den alten Hildebrand am Barte davonträgt, da ruft der greise Mann: »O weh! nimmer kam in meinen Bart eines Mannes Hand. So lang ich lebe, werd' ich nie mehr einen Tag von Herzen froh sein, ich räche denn meinen Bart.« Er rächt denselben auch wirklich, indem er nachher den Riesen erschlägt. Dies sein Schicksal erzählt er nachher Dietrichen also (Laßberg Strophe 43):

Bi minem bart er mich gevie.
Bald er do von dannen gie

Cen ainem holen staine.
Also sprach maister Hiltebrant:
In minem barte lag sin hant,
Do wart min vrœde klaine,
Won ich da alles des uergas,
Das mir ie wart ze liebe.
Den bart er mir da us gelas
Sa recht als ainem diebe.
Er het mich senfter wol getragen.
Hie lant die red beliben!
Ich han in drum erslagen.
Schon das Greifen an Locken und Bart galt für schimpflich und mußte gebüßt werden. Lex Burgund. add. I, 5. Grimm, Rechtsaltert. S. 710. Diebe wurden geschoren. S. ebend.

Sein grauer Bart ist ihm das Wahrzeichen seines langen Heldenlebens, wie er im Liede zu seinem Sohne spricht:

Str. 7: zu reisen und zu fechten biss auf meine hinnefahrt,
das sag ich dir, viel junger! darauf grawet mir der bart,

Vgl. Wilkinensage K. 375. Rasn S. 562. Dietleib Str. 2634:

Darzu ich das vernommen han,
Daz im grabe nu der bart.

Von Berther wird gesagt, manchen kalten Winter hab' er sein Lehen, das er von Rother empfangen, mit seinem Schilde beritten, davon dem unverdrossenen Manne oft sein Bart bereift worden.

Wir haben das Verhältnis des Meisters angeknüpft an den einfachen Beruf des Nährvaters, wie er in den nordischen Sagen, noch den geschichtlichen, sich darstellt; in politischer Entwicklung möchten wir dasselbe in dem Majordomus wiedererkennen, der unter den fränkischen Königen so bedeutend hervortritt, aber auch dem ostgotischen Hofe nicht gefehlt hat. Theodahad läßt sich durch den Majordomus beim Heere vertreten Cassiodor, Var. X, 18: majorem domus nostræ. Mans. 112. Masc. II, 61. Nicht als ob in den mächtigen Hof- und Staatsbeamten, welche statt des alterschwachen Königgeschlechts herrschten und zuletzt dieses vom Throne warfen, noch etwas von der Herzlichkeit und Treue der sagenhaften Meister übrig geblieben wäre. Dem Hause Pipins ist mit den Wölfingen nur das gemein, daß beide dem Königsstamme, hier der Amelungen, dort der Merowingen, die nächsten sind und das Meisteramt von Glied zu Glied in sich vererben. Aber der letzten politischen Gestaltung mußten ältere und einfachere Zustände vorangehen, und je weiter in der Zeit wir aufsteigen, um so mehr erscheint der fränkische Majordomus auch nur als der erste des Gefolges, als Erzieher, Begleiter und Berater der Könige. Pertz, Geschichte der merowingischen Hausmeier. Hannover 1819. S. 12. Die erste Erwähnung desselben, an der Grenze der Geschichte, findet sich in einer sagenhaften Erzählung, welche sogleich an das Meisterwesen in den Liedern erinnert. Childerich, Chlodwigs Vater, wird den Franken verhaßt und abgesetzt. Sein Freund Wiomad, aus einem der edelsten Geschlechter, der ihm sonst in allen Dingen geraten und beigestanden, rät ihm jetzt, nach Thüringen zu entweichen, bricht seinen Goldring entzwei und gibt ihm die Hälfte; wenn ihm die andere gesandt werde und beide zusammenpassen, soll es ihm das Zeichen zur Rückkehr sein. Die Franken wählen den Römer Ägidius zum König, Wiomad macht sich diesem beliebt und wird sein Majordomus, Als solcher rät er zu stets härtern Auflagen, dann zur Hinrichtung der Mächtigsten im Lande, der Feinde des vertriebenen Childerich. Dadurch wendet er die Franken von Ägidius ab, sie sehnen sich nach Childerich zurück und bald empfängt dieser die andere Hälfte des Ringes, das Zeichen der Versöhnung ( Gregor, Turon, histor. epitom. c. 11. Pertz S. 16. Grimm, Deutsche Sagen II, 73 f.). So ist Wiomad gegen seinen rechten Herrn ein Eckart, gegen den andern ein Sibich.

Auch die langobardischen Geschichten, wie Paulus Diaconus sie aufzeichnet, enthalten mehreres, was diesen Verhältnissen angehört.


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