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Stil

Jeder epische Kreis, schon weil er nicht ein Erzeugnis bestimmter Persönlichkeit, sondern eine Volksdichtung ist, bildet in dem gemeinsamen Vers auch einen gemeinsamen Stil, d. h. eine in den einzelnen Liedern wiederkehrende Weise des Ausdrucks und der Darstellung, eine über das Ganze verbreitete gleichmäßige Farbengebung und Stimmung. Zwar ist in den deutschen Heldenliedern diese Gleichförmigkeit dadurch einigermaßen gestört, daß sie ihre letzte Gestaltung in sehr verschiedener Zeit erlangt und daß mehrere derselben eine absichtliche Verarbeitung unter den Einflüssen fremdartiger Dichtungskreise erlitten haben. Dennoch wird auch in ihnen der epische Stil sich ergreifen lassen, wenn wir zunächst diejenigen zugrunde legen, welche das Gepräge einer natürlichen Entwicklung noch unverfälscht an sich tragen und wenn wir dann bemerken, wie selbst in den absichtlicheren Erneuungen neben dem fremden Anwachs gewisse altertümliche Formen, gleichsam als unzertrennliche Wahrzeichen des Stoffes, beibehalten worden sind. Einige, nicht unmittelbar zur deutschen Heldensage gehörige, aber mit ihr verwandte und den Ton des alten Volksgesanges lebendig aufbewahrende Gedichte (das von Salomon und Morolf, das von Orendel und Breide), nicht minder die sonstigen Reste deutscher Volkspoesie und die sagenhaften Volkslieder befreundeter Stämme können auch hier zur Erläuterung und Ergänzung dienen. Bestimmter noch würde die einfache Darstellung der Heldenlieder hervortreten, wenn wir ihr jetzt schon das glänzende Farbenspiel der eigentlichen Rittergedichte gegenüberstellen könnten.

Was im deutschen Epos, wie in jedem andern, zuerst auffällt, ist die stetige Wiederholung gewisser Redeformen und Wendungen, oft in der Wiederkehr ganzer Verszeilen, selbst ganzer Strophen. Die epische Dichtung, weit entfernt, in der Mannigfaltigkeit und dem Schmucke der Sprache eine eigene Kunst zu suchen, hält sich lediglich an die Sache und bedient sich für sie des einfachsten und klarsten Ausdruckes. Dieser stellt sich von selbst ein und wird sich stets wieber einstellen, so oft dasselbe Bedürfnis wiederkehrt: diese Wiederkehr aber kann nicht ausbleiben, da die Anlage der Lieder nirgends auf künstliche Abwechslung und Überraschung berechnet ist, und da die versinnlichende Darstellung alle die äußeren Bewegungen und Tätigkeiten in sich aufnimmt, die unter gleichen Umständen die gleichen sind. Dieselbe Stellung des Kampfes oder der Geselligkeit, dieselbe Stufe des Leides oder der Freude bringt auch dieselben Bezeichnungen mit sich. Wo das nämliche geschieht, da wiederholt sich auch die Form der Erzählung, und wenn mehrere gleichzeitig oder in unmittelbarer Folge das gleiche tun, kehrt Schlag auf Schlag dieselbe Wendung, z. B. wenn die Recken dem König ihre Hilfe bieten, oder wenn sie nach vollbrachter Fahrt von ihm heimziehen. Da aber der Ausdruck sich dem Versmaße anschicken muß, so ist mit der Wiederkehr der Redeformen auch diejenige von halben und ganzen, einzelnen oder mehreren Verszeilen gegeben, bei verschiedenem Versmaße mit leichter Änderung und Anpassung an die Art eines jeden. Die vielfache Verknüpfung und Sonderung der Gesänge des epischen Kreises trägt diese Wiederholung von einem Lied in das andre. Es lag auch im natürlichen Vorteil des Sängers, den Ausdruck, der ihm dargeboten war, nicht erst aufzusuchen, den für die Übergänge, für die wiederkehrenden Verhältnisse schon zugerichteten Vers nicht erst neu zu gestalten, vielmehr mit den bereiten Hilfsmitteln sich den Vortrag zu erleichtern und den Blick auf den Gegenstand, auf die Gestalten frei zu erhalten.

In Beziehung auf Farbe und Fülle zeichnet sich unser epischer Stil weder durch malerische Beiwörter, noch durch ausgeführte Vergleichungen aus. Die Eigenschaften der Helden und Heldinnen sind durch einfache Beiwörter: kühn, schnell, schön, milde, getreu, ungetreu, grimmig u. dgl. ausgedrückt, oft auch mit Verstärkung: wunderschön, sturmkühn, mordgrimm usw., und diese Bezeichnungen sind, nach ihrer allgemeinen Natur, nicht auf bestimmte Personen beschränkt. Gleichwohl enthalten solche schlichte Wörter die sittlichen Triebfedern der gewaltigen Heldengeschichte und wir vergegenwärtigen uns ihre Bedeutsamkeit in denjenigen Charakteren, welche die bezeichneten Eigenschaften, wenn nicht ausschließlich, doch in vorzüglichem Maße zur Erscheinung bringen, z. B. der milde Rüdeger, Helke die gute, der getreue Eckart, der ungetreue Sibich, der grimme Hagen, der kühne Wolfhart. So fühlen wir die Innigkeit, womit in diesen Gedichten die Verhältnisse der Dienstmannschaft und der Blutsverwandtschaft durchaus behandelt sind, noch darin, wenn der Dienstmann von seinem lieben Herrn, der Fürst von seinen werten lieben Mannen spricht, der Sohn den Vater anredet: Ach Vater, liebster Vater! u. dgl. m.

Aber auch die Farbe, die sinnliche Bezeichnung fehlt keineswegs in den Beiwörtern des äußerlich Erscheinenden. Die Hand ist die weiße, schneeweiße, der Mund der rote, rosenfarbene, so ferner: die spielenden Augen, die gelben Haare, das rote Gold, Pertz, Hausm. 129, 2: (aurum) purissimum ac rutilum der grüne Wald, die grüne Heide, die breite Linde, der kalte Bronnen, das tiefe Tal, das wilde Meer, der kühle Morgen, des Morgens in dem Taue, der Sommertag, der sommerlange Tag. So anspruchslos diese Beiwörter lauten, so sind sie doch weder nichtssagend, noch überzählig. Wem sie für die Dichtersprache zu einfach dünken, den mögen sie, dieselben oder ähnliche, in der alten Rechtssprüche (Grimms Rechtsaltert. 35. 45), wo sie nicht minder herkömmlich sind, unerwartet dichterisch und gemütlich ansprechen; das Gemeinschaftliche, Vermittelnde liegt in der unbefangenen Wahrheit des Ausdrucks, in der sinnlichen Auffassung der Gegenstände, welche für jedes Verhältnis die gleiche ist.

Die früher angeführten Beiwörter haben uns den Blick in die sittliche und Gemütswelt eröffnet, die zuletzt ausgehobenen stehen in genauem Zusammenhang mit dem Gesamtbilde körperlicher Schönheit und mit der ganzen Naturanschauung. Die weißen Hände, der rote Mund lassen am einzelnen Teile den frischen Jugendglanz durchscheinen, der, wie wir an seinem Orte ausgeführt, die volle Gestalt der Helden und schönen Frauen erleuchtet: selbst der rüstige Greis entbehrt des lichten Schmuckes nicht, ihm fällt ein Bart, weiß wie Schnee, bis über den Gürtel herab. Der grüne Wald, der kalte Bronnen, der kühle tauige Morgen u. dgl. zeigt uns, in schnellem Durchblick, die Natur in ihrem frischen, gesunden Zustande, wie sie vor dem Auge des Sängers steht, auch ohne daß er sich auf förmliche Naturschilderung einläßt. Die Fahrten der Helden sind in der schönen Jahreszeit gedacht. »Wir sollen mit Vogelgesange fließen über See!« heißt es im Otnitsliede. Breite Linden, deren eine fünfhundert Rittern Schatten gäbe, stehen über kühlen Brunnen, süßer Duft weht aus ihren Zweigen, darauf Drossel und Nachtigall singt, Gras und Blumen entspringen unter ihnen: da binden die Helden ihre Rosse an, lehnen den Speer an der Linden Ast und entschlummern beim Gesange der Vögel; Zaubermächte walten an diesen lieblichen Stellen. Ein treffliches Waldstück ist Eckes Ausfahrt; wenn der kampflustige Jüngling durch den Wald rauscht, wenn sein Helm, von den Ästen berührt, fernhin wie eine Glocke klingt, dann lassen die Vögel ihren Schall und das Gewild entflieht oder sieht ihm staunend nach. Die Kämpfenden achten nicht, was die Vögel singen; ihre Helme überklingen den Vogelsang; von dem Sturme, den sie heben, erkracht der grüne Wald, der Widerhall antwortet ihren Schwertstreichen. Sie schlagen Laub und Äste von den Bäumen, der Berner wird ganz davon überzeugt, sein Schild das war der grüne Wald; von dem Feuer, das aus ihren Helmen fährt, entzünden sich die Bäume; je stärker sie fechten, je mehr brennt es über ihnen. Der nächtliche Wald ist vom Glanz ihrer Harnische durchleuchtet; ihre Helme scheinen so licht, als ständen zween Vollmonde am Himmel. Nordische Lieder lassen ihn im Bette oder auf dem Ritt zur Dingstätte erschlagen werden; »aber deutsche Männer,« heißt es bezeichnend, »sagen, daß sie ihn draußen im Wald schlugen« (Gr. Edd. 239); »ob einem kalten Brunnen,« sagen unsre Lieder. Frau Helke erblickt die herrenlosen Rosse ihrer jungen Söhne, die Sättel rot vom Blut der Erschlagenen, als sie eben nach einem Garten geht, die schönen Blumen zu schauen. »O weh! ihre lichte Augenweide, die ward trübe mit großem Herzenleide.« Ähnliches im Liede von Sigenot; wenn dieser Riese schlafend Atem zieht, so biegen sich die Äste hoch in den Bäumen, Wie das Gras, der Klee, die Blumen zertreten und vom Blute gefärbt werden, kommt bei vielen Kämpfen vor. In die Blumen fällt der todwunde Siegfried. Nib. Lach. 929: Do vil in die bluomen der Kriemhilde man. 939: Die bluomen allenthalben von bluote wâren naz; do rang er mit dem tôde unlange tet er daz. Am glänzendsten zeigt sich in den Rosengartenliedern der blühende Grund des Bildes, der Rosenwald, auf dem sich die riesenhaften Heldengestalten, mit den langen Schwertern ausholend, malen. In den Rosengarten am Rhein, wo unter breiter Linde die Frauen sitzen, um mit Rosen die Sieger zu bekränzen, ist der Streit entboten. Mit Rosen ist das ganze Lied durchwoben. »Soll ich nach Rosen reiten?« sagt der zweifelmütige Dietrich; »ich hab' ihrer zu Bern genug.« »Ich bin all diesen Sommer ohne Rosen gangen,« spricht der trotzige Wolfhart, und sein Bruder Alphart schlägt ihm vor, einen Kranz von Nesseln zu tragen. Beim Kampfe selbst wird erzählt, wie die Panzerringe in der Rosen Schein gestreut liegen, als wären sie ausgesät, wie der grimme Wolfhart Rosen liest, wie die Rosen zertreten werden. Ebenso im, Liede von Laurin, wie dem Klee und den lichten Rosen weh geschieht. Laurin 195: Den liechten rosen und dem klee geschach do auß der maßen we. »Ihr habt den Rosen weh getan, das will ich euch entgelten lan,« ruft der Zwergkönig, Hand und Fuß zur Buße heischend. Indes die Helden sich blutige Wunden hauen, wird das Ungemach der Blumen bemitleidet; während sie mit Schwertstreichen sich betäuben, wird des gestörten Vogelsanges gedacht.

Aus Feld und Wald springen meist auch die einfachen Bilder hervor, welche zu Vergleichungen gebraucht werden. Die Rose ist das Bild der Jugendfarbe. Die spielenden Augen sind denen des Falken gleich. Der hauende Eber ist das heimische Bild der Kämpfenden. Dankwart, allein von den Seinigen übrig, geht vor den Feinden her, die ihn von beiden Seiten anspringen, als ein Eberschwein zu Walde tut vor Hunden; fremdartiger ist der Löwe, dessen Mut und Zorn, dessen weite Sprünge gleichwohl öfters zur Vergleichung dienen. Der Blick des Wolfes wird grimmen Gemütern beigelegt; wölfisch sieht im Dietleibsliede der gefangene Wolfhart; die wolflichen Blicke kommen im Gedichte von Orendel vor; die alte üble Wölfin wird die grausame Gerlind genannt.

Noch können einzelne Vergleichungen von dichterischer Schönheit ausgehoben werden. So leuchtet Kuperans Helm, wie die Sonne auf Meeresflut; Dietleib kann sich mit seinen goldfarben Haaren vor dem Regen decken, wie der Falke mit den Flügeln; Rüdegers Herz gebiert Tugenden, wie der süße Mai Gras und Blumen bringt. Des ausgemalten Gleichnisses aber, welches die Handlung in einem andern, selbständigen Lebensbilde abschildert und verdoppelt (wie in den homerischen Bildern), entbehren unsre Lieder; dagegen verstehen sie im weissagenden Spiegel des Traumes die Geschicke bildlich aufzufassen. So der Traum im Eingange des Nibelungenliedes, vom Falken, den zween Aare greifen, und viele andre, die wir vorzüglich in die ahnungsvolle Seele der Frauen gelegt sahen; eine Bildnerei, welche weniger auf die Fülle des Lebens, als nach der inneren Tiefe gerichtet ist.

Reich ist unser epischer Stil an kurzen, aber ausdrucksvollen Bezeichnungen der Gemütszustände durch äußere Haltung und Geberde. Schweigen ist Ausdruck des Bedenkens, der Mißbilligung. Rother, um seine Boten tiefbekümmert, sitzt auf einem Steine drei Tage und drei Nächte, ohne mit jemand zu sprechen. Der Entschlossene spricht kein Wort, bis er den entscheidenden Streich geführt hat. Stummes Ansehen bedeutet Frage, Befremdung, Niedersehen Unmut, Aufsehen Freude.

Das Ansehen im Gespräch heißt unter die Augen sehen. Der Spähende läßt die Augen wanken; höhnisch oder forschend wird über Achseln geblickt; in den schottischen Volksliedern wird gewöhnlich über die linke Schulter geblickt, oder man sieht Widerwärtiges über die linke, Erfreuliches über die rechte Schulter. Nach etwas senden heißt danach springen lassen. Zum Empfang, zu vertraulicher Besprechung faßt man sich bei der Hand. Flehende, huldigend sich Ergebende strecken die Hände. Von dem Töchterlein, das den Vater bittet, wird gesagt: da war der Jungfrau Hand an ihres Vaters Kinne. Bleich und rot werden verrät die innere Bewegung, den Wechsel von Furcht und Hoffnung, Leid und Freude. Lachen ist Äußerung der Fröhlichkeit, des Wohlgefallens, des Erstaunens. Nicht mehr zu lachen ist Eigenschaft und Vorsatz Schwergetroffener, und das erste Wiederlachen, oft nach vielen Jahren, verkündet, daß der Tag der Vergeltung gekommen sei. Vom Weinen werden lichte Augen rot; Helden sieht man Tränen über die Bärte gehen; Frauen fallen die Tränen in den Schoß, wird das Gold vor der Brust von Tränen getrübt. Überlaufen der Augen bezeichnet den ersten Anfall des Schmerzes, Blutweinen den letzten, gewaltsamsten Ausdruck. Hände werden gerungen, Dietrich beißt sich ein Glied aus der Hand.

Die mannigfaltigen Verhältnisse des Heldenlebens, die Stufen des Kampfes und der Waffenruhe, haben ihre bestimmten Merkmale. Gewappnet, ohne Stegreif springt der Held in den Sattel, die Jünglinge singen, die Rosse gehen in Sprüngen. Wenn Schiffe in See gehen, dann rauschen die Segel, krachen die Ruder an den Händen. Wer seinen Gegner nahen sieht, gürtet sein Roß besser, bindet sich den Helm fester. Hagen tut letzteres zum Zeichen, daß man sich vor Kriemhilden vorsehen müsse. Heerzüge binden die Fahnen auf. Dem Anheben des Kampfes entspricht gern die Raschheit des Verses und Vortrags. Zusammen springen die Helden, die Schwerter klingen ihnen an der Hand. Unter den Schild bückt sich der Fechtende. Über Schildes Rand wird gerufen, mit dem Schwert gewunken. Tritt ein Stillstand ein, wird unterhandelt oder Wache gehalten, so setzt der Held den Schild vor seinen Fuß, lehnt sich darüber; hebt der Streit von neuem an, so wird der Schild wieder aufgezuckt. Sitzende Recken haben das Schwert über die Knie gelegt, zum Zeichen der Wachsamkeit oder des Trotzes. Im Zweikampfe treiben die Gegner sich mit Schlägen um. In großer Not des Streites kehren Freunde den Rücken zusammen. Oder der Schild wird zu Rücken geworfen, das Schwert in beide Hände gefaßt. Wolfdietrichs Dienstmannen schwingen die Schilde zurück und hauen durch eine Schar von Zweitausenden ihren Herrn heraus. Dieser Augenblick der äußersten Anstrengung, wo die Brust entblößt wird, um dem Streiche die vollste Kraft zu geben, wird in nordischen Darstellungen feierlich durch den Gesang verkündigt. Gefallene liegen unter oder in dem Schilde.

Das Ungeheure der Kämpfe zu beschreiben, sind manche Wendungen wiederkehrend. Tage und Nächte hindurch währt der Streit. Da ringt Kraft wider Kraft, da wird Heldeswerk gewirkt, Sättel werden leer gemacht: Feuer springt von den Helmen: gehauen wird durch Helme, daß es auf den Zähnen widerwendet, von der Achsel bis auf den Sattel durchgeschlagen: die Schwertgriffe schneiden in die Hände, daß nicht Haut noch Fleisch daran bleibt; die Schwerter erkrummen, brechen vor der Hand: Halsberge werden weich vor Hitze: die Kühnsten werden Streites satt gemacht, niemand begehrt zu leben, Burg und Land wieder zu sehen; Wunden werden geschlagen, die nimmer verbunden werden; weite Straßen, blutige Brücken werden durch Zehntausende gehauen, manche Kehr durch ganze Heere genommen: da werden blutige Sporen gemacht, bis an die Knie im Blute gewatet, die Arme bis zur Achsel blutig gefärbt, Blut springt von den Füßen all über das Haupt; Männer, ganz blutfarb, sieht man reiten und schreiten; Blut wird für den Durst getrunken und schmeckt wie der beste Wein. Das Blut, aus weitoffenen Wunden rinnend, möcht' ein Rad treiben; es strömt in Güssen hinab, gleich Regenbächen; es dampft, daß der Sonne Schein getrübt wird; das Gefilde liegt voll Toter, als wär' ein meilenlanger Wald gefällt; Schwert und Speer stecken in den Helmen; mit Leichen wird das Feld gedüngt; Raben, Geier, Wölfe werden gesättigt. Und durch all den unmäßigen Heerschall, davon Berg und Tal ertost, glaubt man der Frauen, der Witwen lautes Weinen, an welches stets gemahnt wird, wie in klagenden Windesstößen, zu vernehmen.

Für ruhigere Zustände wird manchmal mit wenigen Strichen ein Hintergrund gezeichnet; man sieht jemand bei der Linde, vor dem Münster stehen. Der alte Biterolf steht an einer Laube (Bogenhalle), als ihm die Rückkehr seiner Kinder gemeldet wird. Frauen stehen an der Zinne, an den Fenstern; sie schweifen den Schleier um, heben das Gewand auf und gehen über den Hof. Oft wird das Erzählte noch weiter dadurch veranschaulicht, daß man es als ein fortwährend Gebräuchliches bezeichnet; »so noch die Leute tun«. Biterolf steht unter der Laube, wie noch jetzt Fürsten tun; er pflegt seiner Gäste, wie noch ein Wirt tun soll, Wolfdietrich lehnt sich auf seinen Schild, als noch die Recken tun. Sidrat nährt sich mit ihrer Hand, als noch viel manche tut. Rüdegers jungfräuliche Tochter, befragt, ob sie Giselhern zum Manne wolle, schämt sich, wie manche Maid getan. Eine Königin im Dietleibsliede tröstet sich über ihren erschlagenen Gemahl, wie nach ihr viel manche getan. Umgekehrt soll die Erzählung durch den Gegensatz heutiger Sitte gehoben werden; in der Nibelungennot wird so grimm gefochten, daß man es nimmermehr tut; Etzel faßt selbst den Schild und will kämpfen, was von so reichen Fürsten selten nun geschieht. Von Siegfrieds Ringen mit Brunhilde in der Brautkammer wird gesagt, solche Wehr dürfte nimmer an Frauen ergehen.

Ein bestimmtes Kostüm in Waffen und Kleidertracht ist allerdings bei unsern Liedern schwieriger auszumitteln, weil sie in so ungleicher Zeit und unter so verschiedenen Einwirkungen ihre letzte Gestalt erlangt haben. Durch Vergleichung mit dem üppigeren Prunke, der sich in den eigentlichen Rittergedichten auslegt, vermögen wir jedoch einige Grenze zu gewinnen und es zeigt sich uns, daß, bei manchen Ausnahmen, das Kostüm im ganzen nicht weiter vorgeschritten, als es sich am Schlusse des zwölften Jahrhunderts befand, und um diese Zeit in den Handschriftbildern Herrads von Landsperg dargestellt ist. Denn so wie in den Heldenliedern die Recken selbst noch, wie es Riesenbekämpfern und Drachentötern ziemt, derb und mächtig gebaut sind, mit breiter Brust, doch um den Gürtel schmal, hochgewachsen, mit langen Beinen, herrlichem Gang, gewaltiger Stimme, die als ein Wisentshorn erschallt, so ist auch bei der Bewaffnung mehr noch vom langen, zweischneidigen Schwerte, vom scharfen, spannenbreiten starken Ger, festen Helme, den harten, lichten Ringen die Rede, statt dessen die Rittergedichte am liebsten mit dem wunderlichen Bilderschmucke der Heraldik spielen. Das Wohlgefallen an heller, farbiger Kleidung ist jugendlichen Völkern natürlich.

Wo Himmelsstrich und Sitte nicht gestatten, die Formen der nackten Gestalt hervorzuheben, da muß der Glanz der Bekleidung höheren Wert erlangen. In der Frühlingsnatur im Hintergrund unsrer Lieder, zu der blühenden Gesichtsfarbe, den glänzenden Haaren stimmt das blumige Gewand. Öfters wird von Frauen gesagt, wie ihre lichte Farbe gegen Gold und Gewand wettstreitend leuchte. Schon in jener Beschreibung, die Sidonius von der Brautfahrt des fürstlichen Frankenjünglings gibt, ist unsre Ansicht wörtlich bestätigt. Flammend von Scharlach, leuchtend von Gold, milchweiß von Seide schreitet er daher; Haar, Wangenröte, Hautfarbe solchem Schmucke gleichfarbig. Auch die bunte Tracht seiner Gefährten, die farbigen Schilde, die reiche Pferdezier finden wir beschrieben. Der heitere Glanz der äußeren Erscheinung war unsern Vorfahren so sehr Angehör und Abzeichen eines vollkommenen Lebens, daß nur die Freien im Lichte heller Farben wandeln, die Unfreien aber in trübes Grau gekleidet gehen. Berchtung, Wolfdietrichs Meister, der mit seinen zehn Söhnen um der Treue willen gefangen ist, sieht diese, die Herzogskinder, an Pfingsten graue Kleider und rinderne Schuhe tragen, während die andern Fürsten in reichen Gewänden zu Hofe gehen. Da ruft er wehklagend: »Wärest du nicht tot, Wolfdietrich, du ließest uns nicht in dieser Armut!« Danach redet er nicht mehr und stirbt vor Herzeleid. Wappenröcke mit goldglänzenden Tierbildern, reichen Wechsel der Kleidung, mannigfachen Schmuck von Edelsteinen, Borten, morgenländischen Seidenstoffen, eine Frucht des aufblühenden Handels und der Kreuzzüge, kennen denn auch, vom Rothersliede an, die meisten Gedichte unsres Kreises; die kindliche Freude an diesen Dingen, das Anstaunen der neuen Herrlichkeiten nötigt oft dem Leser ein Lächeln ab.

Rothers Boten sind so herrlich gekleidet, daß Gerlind ausruft: »Wollte Gott, wir sähen den König, des diese Boten sind!« Als nun Rother selbst in seinem Prunkgewand zu Hofe kommt, da ist um ihn ein solch Gedräng von Gaffern, daß die Königstochter ihn gar nicht sehen kann und ihr das Fest verloren ist; aber sie hört so viel von dieser Pracht erzählen, daß sie den Helden in ihrem Herzen zu minnen beginnt. Auch das Nibelungenlied hat ähnliche Züge: Frauen suchen die besten Kleider aus den Kisten, damit ihnen von den Gästen viel Lob und Ehre gesagt werde; wenn Helden reich bekleidet fahren, so sind sie hochgemut; auf vier Tage je dreierlei Kleider, also zu zwölffachem Wechsel, führen die vier Recken nach Island; Siegfried und Gunther reiten zu Brunhildens Burg in schneeblanker Farbe an Gewand und Roß, in rabenschwarzer folgen Hagen und Dankwart, wohl nicht ohne Bedeutung des Gegensatzes.

Wenn wir nun gleich den Keim dieses äußeren Glanzes schon in der frühesten Anschauung zu bemerken glaubten, so finden wir doch in der Art, wie er im Epos hervorscheint, nur den Übergang zu der vollen Entfaltung, die er in den Rittergedichten der welfischen Sagenkreise gewinnt.

Neben den Formen unsres epischen Stils, welche der äußeren Erscheinung Gepräg und Farbe geben, kommen noch diejenigen in Betracht, welche den Geist der Dichtung, Gedanken und Gemüt derselben, entweder unmittelbar zum Ausdruck bringen, oder über dem Ganzen schwebend erkennen lassen.

Sprichwörter, Sinnsprüche, kurze Klugreden, wie ein älterer Sammler sie nennt, sind die Lehrweisheit des Volkes, der bündige Ausdruck seiner Gesinnungen, Ansichten, Erfahrungen. Sie sind nicht das Erzeugnis eines absichtlichen Nachdenkens, einer ausgeführten Folgerung; aus der Erfahrung des Lebens, aus dem Drange der Überzeugung und Empfindung springen sie fertig hervor, wie die reife Nuß aus der Schale. Gedrängtheit gehört zu ihrem Wesen, eben weil sie nicht Entwicklung, sondern Erfund sind. Der einstige Reichtum unserer Sprache an solchen Kernsprüchen hat sich auch den Heldenliedern mitgeteilt. Wir heben einige derselben aus, welche für den Geist des Heldenlebens bezeichnend scheinen. Biedermannes (des Tüchtigen) Erbe liegt in allen Landen. – Wer seine Feinde spart und seine Freund' erzürnet, der ist nicht wohl bewahrt. – Guten Tag man zu Abend loben soll. – Wer sich an alte Kessel reibt, der sähet gern den Rahm (Ruß), spricht Meister Hildebrand, als er seinen kampflustigen Sohn ins Gras geschwungen. – Wer fällt, der liegt. – Es sterben nur die Feigen (Todesreifen). – Niemand lebt so starker, es müsse denn liegen tot. – O weh, daß vor Leide niemand sterben mag! so ruft Dietrich, als seine Getreuen erschlagen sind; es zeigt sich uns die Stärke jener Naturen, die eher Blut weinen oder sich die Glieder zerfleischen, als daß ihr Herz brechen könnte.

Durch das Ganze des Liederkreises regt sich eine mutige Laune, ein frischer Heldenscherz, den wir schon im größern als Bestandteil mehrerer Charaktere, Hildebrands, Wolfharts, Ilsans, Rumolts, sich gestalten sahen, der aber auch in vielen einzelnen Scherzreden sich ausspricht. Beliebt ist jene bittere Ironie, der Volkers Schwert ein Fiedelbogen, Ilsans ein Predigerstab ist, oder Hagen beim Feste den allerbesten Trank schenkt. Die Fröhlichkeit erhält überhaupt ihre Bedeutung erst dadurch, daß sie auf ernstem Grunde ruht. Es ist die Kühnheit, die mit der Gefahr, mit dem Tode scherzt, die, wie jene nordischen Helden, lachend stirbt. Je nachdem die Heldenwelt noch in ihrer Blüte steht, wie in den Rosengartenliedern, oder sich zum Untergange neigt, wie im Nibelungenliede, ist auch die helle oder die dunkle Seite mehr hervorgekehrt; im ganzen aber lassen beiderlei Töne, der freudige und der klagende, Lieb und Leid, sich miteinander vernehmen. Wird in der Not gescherzt, so wird in der Freude das Unheil vorgeahnt. Diese Vorahnungen aber äußern sich teils in weissagenden Träumen, wovon oben die Rede war, teils in einzelnen Mahnungen und Klagerufen, zumal am Schlusse der Strophen, welche unablässig auf nahendes Leid, auf Kampf und Mühsal, Nichtwiedersehen der Heimat und der Angehörigen, auf manches Helden Tod, auf das endliche allgemeine Verderben hinweisen.

Auch die heiterste Abenteuer des Nibelungenliedes, wie Siegfried Kriemhilden zuerst sah, schließt mit solcher Verkündigung seines jammervollen Todes. Mit fröhlichem Gelächter endet das Laurinslied, mit Weinen und Klagen der Nibelunge Not.


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