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Heergesellen

Die Bande des Bluts waren die erste, natürliche Gewähr gegenseitigen Schutzes. Das Leben des einzelnen schien in dem Grade sicher gestellt, je zahlreichere Verwandtschaft seinen Tod zu rächen drohte. Wir haben bereits erwähnt, wie im Norden ein der Blutsverwandtschaft in den Wirkungen gleichartiges Verhältnis dadurch gebildet wurde, daß man Kinder in die Pflege andrer Häuser übergab. Nicht bloß wurden hierdurch der Erzieher und dessen Söhne dem Pflegling als Vater und Brüder innig verbunden, die Allgemeinheit der Sitte scheint besonders auch darin ihren Grund gehabt zu haben, daß durch solche Übergabe die beiderseitigen Geschlechter selbst sich verwandt und hilfpflichtig wurden. In der Orvaroddssaga, K. 1 (Rafn. III, 2. S. 61) bittet sich Ingjald zum Lohne der Gastfreundschaft von Grim Lodinkin aus, daß dieser, ein sehr reicher und mächtiger Mann, seinen Sohn Odd ihm zurücklasse. »Nej,« svarede Ingjald, »Penge har jeg nok af, men din Bistand og dit Venskab önsker jeg mig, og at du skal befæste det ved at lade din Sön Odd blive her tilbage.« »Jeg ved ikke,« sagde Grim, hvad Lopthæna (Grims Frau) siger dertil.« »Ja! svarede Lopthæna, som var tilstede, »saa godt et Tilbud tager jeg med Glæde imod.« Auch Ingjald ist ein reicher Bonde. Aber noch eine weitere Ausbildung der Verwandtschaftsbande war den Bedürfnissen der Zeit angemessen. Wenn der junge Normann die Waffen ergriff, wenn er auf kühne Seezüge ausfuhr, in welchen er den Beruf seiner kräftigen Lebensjahre fand, da mußten ihm die erwünschtesten Genossen diejenigen sein, von deren Kraft und Fertigkeit er sich den wirksamsten Beistand versprechen durfte. Die Gesetze der Jomsvikingen verpflichteten zu gegenseitiger Blutrache. Den ens skulde hevne den ande som Fader eller Broder. Müllers Sagabibl. III, 63. 89. So knüpfte sich ein Band der Wahl, das man aber durch sinnbildliche Handlung denen des Blutes und der Pflege gleichzustellen suchte. Die Weihe solcher Verbrüderung bestand nämlich darin: man schnitt lange Rasenstücke auf, befestigte sie an den Enden in der Erde, richtete sie auf und stützte sie mit einem Spieße; dann traten die Freunde darunter, verwundeten sich, ließen ihr Blut zusammenfließen und vermischten es mit Erde, fielen sofort auf die Knie und schwuren bei den Göttern, einer des andern Tod zu rächen, wie Brüder, worauf sie sich die Hände reichten. Müller, Sagabibl, I, 168 (Gisle Surssöus Saga): De gaae nu ud paa en Odde, opsklære Strimler af Grönsvær, hvis Ender de befæste i Jorden, og understötte det med et Spyd saaledes, at man met Haanden kunde röre ved Naglen, der holdt Spydsjernet. Alle fire gaae derunder, saare sig, lade deres Blod löbe paa Jorden under Grönsværen, og röre Jorden og Blodet saamen. Derpaa faldt de paa Knæ, og svore ved alle Guder, at den ene vilde hovne anden som en Broder. Men da de skulde give hinanden Hænder usw. Ebend. I, 153 (Fostbrödresaga): Thorgeir og Thormod vare tvende toppre, men ustyrlige Ynglinge fra den nordlige Deel af Island, som uagtet den indförte Kristendom havde tilsvoret hinanden paa gammel Viis Fosrbroderskab, og at skulle hinandens Död. De havde nemlig skaaret trende lange Strimler af Grönsvær, fustgiort Enderne i Jorden, men saaledes löftet Grönsværen, at den sværgende kunde gaae derunder. Ebend, Ii, 656 (Saga om Illuge Grydefostre): De svore Fostbrödrelag, og lode deres Blod rinde sammen, under Löfte ad hevne hinandens Död. Saxo Gramm. 1. I, S. 12: Spoliatum nutrice Hadingum grandævus forte quidam, altero orbus oculo, solitarium miseratus, Lisero cuidam piratæ solenni pactionis jure conciliat. Siquidem icturi fœdus veterus vestigia sua mutui sanguinis aspersione perfundere consueverant, amicitiarum pignus alterni cruoris commercio firmaturi. Quo pacto Liserus et Hadingus aretissimis societatis vinculis colligati, Lokero, Curetum tyranno, bellum denunciant, Id, I, IV, S. 82: Ipse Equidem (Britann. rex) æ Fengo, ut alter alterium ultorem ageret, mutua qundem pactione decreverant usw. Finn Magn. Edd. II, 287 (Lokasenna): Loke: Mindes du vel Odin! Da vi i tidens Morgen Blanded fælles Blod (E. 0. blandede Blod sammen): Da lod du som om aldrig en Drik du vilde smage Hvis ei manden os begge böd. In der Anmerkung zu dieser Stelle II, 308 sagt Finn Magn.: Blodpagter(hvortil vel ogsaa Omskjærelsen i visge Maades höres) vare fra ældgammle Tider af almindelige i Oesterlandene. Udförligst bescrives en saadan, ved et Fostbröderskabs Stiftels ei Armenien, af Tacitus Annal. 12, 47. Ifr. Lucians Toxaris (om Skytherne) Flere hertil hörende Elfterretninger fludes hos Herodot og Mela. Die Stelle in Tacit. ann. XII, 47, wo vom Frieden zwischen Rhadamistus und Mithridates, welcher verraten wird, die Rede ist, lautet: Simul in lucum propinquam trahit, provisum ille sacrificium imperatum dictitans, ut dils testibus pax firmaretur. Mos est regibus, quotiens in societatem coëant, implicare dextras, pollicesque inter se vincire nodoque præstringere: mox, ubi sanguis artus extremos suffuderit, levi ictu ornorem eliciunt atque invicem lambunt. Id fœdus arcanum habetur quasi mutuo cruore sacratum. Sed tunc, qui ea vincula admovebat, decidisse simulans, genua Mithridatis invadit, ipsumque prosternit; simulque, concurso plurium, injicuntur catenæ. Vgl. auch Orph. Argon. 303 ff. Das zusammenfließende Blut bedeutet offenbar die Einigung in der Blutsverwandtschaft und in den aufgerichteten Rasenstücken erkennen wir das gemeinschaftliche Dach, unter welchem natürliche und Pfleggeschwister auferzogen werden: noch heute sind im höheren Norden die Häuser mit Rasen gedeckt. Vgl. Sagan af Niáll. Kavpm. 1772, K. 80, S. 119. Trolls Briefe über Island 72: »Das Dach wird mit Rasen gedeckt, die über Sparren, bisweilen auch, welches doch dauerhafter aber auch kostbarer als Holz ist, über Rippen von Walfischen gelegt werden.« Der Spieß mag Stützen oder Holzsäulen, wovon öfters die Rede ist, bezeichnen. Auch wurden diese Verbindungen Pflegbrüderschaft (Fostbrödralag) genannt. Sie wurden manchmal gerade von solchen eingegangen, die sich eben erst im Kampfe gegeneinander geprüft hatten, Vgl. Sagabibl, 1,178: At indgaae Staldbroderskab med hinanden. Vgl, die Notgestalden. sie mußten jeder engeren Freundschaft das Siegel aufdrücken und sagten dem kriegsrüstigen Geiste der Normänner so sehr zu, daß sie, obgleich ein abgeleitetes Verhältnis, dem ursprünglichen der Blutsverwandtschaft vorgesetzt wurden, daher Blutsfreunde selbst, welche sich zu Schutz und Trutz auf das festeste verpflichten wollten, den Pflegbrüdereid zusammen schworen. In der oben angeführten Hauptstelle, Sagabibl.I, 168 gehen zwei Brüder und zwei Schwäger diese Verbindung ein, um die Weissagung Lügen zu strafen, daß ihr Übermut nicht lange dauern werde: sie geraten aber bei der Zeremonie selbst in Streit. Das Christentum konnte diese Verbrüderungen zur Blutrache nicht für erlaubt anerkennen; dennoch hörten sie mit dessen Einführung nicht sogleich auf. S. die aus Fostbr. S. ausgehobene Stelle. Sodann Sagabibl.I, 165 (S. von Biörn Hitdälakappe): Thorstein og Biörnb indgik derpaa nöie Venskab, og lovede at hevne hinandens Död, dog betingede Thorstein sig, at efterdi de nu vare Kristne, og altsaa vidste bedre end för, hvad de burde giöre, skulde ikke allene Manddrab, men ogsaa Böder og anden lovbestemt Straf ansees for anstaendig Hevn.

Daß in der nordischen Darstellung unsres Heldenkreises die Pflegbrüderschaft nicht fehle, bringt schon die Landesart mit sich. Sigurd schwört solche mit den Einkungen und Gunnarn wird das zumeist vorgeworfen, daß er vergessen, wie sie ihr Blut zusammenrinnen ließen. Grimm, Edd. 242 f. 254 f. 236 f.: »Gedenkst du nicht, Gunnar, genugsam das, daß ihr Blut in die Spur beide rinnen ließet?« Finn. M. Edd. IV, 61. 69. 88: Ej du det Gunnar! Fuldelig mindes Da I Blod i Spor Begge udgjöde. Bols. Sag. K. 35. S. 124 f. K. 39. S. 156. Rafn II, 1. S. 89 f. 113. Saro B, V. S. 133: At Hoginus filiam suam Hithino despondit, rconjurato invicem, uter ferro perisset, alterum alterius utforem fore.

In den deutschen Dichtungen erscheint keineswegs diese scharfausgeprägte Form der Genossenschaft. War sie auch bei den deutschen Völkern vorhanden, so mußte sie doch früher dem Einflusse des Christentums und der Ausbildung des Lehenstaats weichen, welcher, wie jeder allgemeinere Verband, geeignet war, einzelne Verbrüderungen in sich aufzulösen. Gleichwohl treffen wir auch in unsern Liedern auf merkwürdige Züge, zu deren Erläuterung es nötig schien, auf den heidnischen Gebrauch zurückzugehen.

Die alten Rechte des Bluts wußten sich auch im Lehensverbande geltend zu machen: doppeltes Band hielt nur um so fester. Es war der Vorteil des Lehnsherrn, die größern Lehen an seine Angehörigen zu vergaben oder die mächtigern Vasallen durch Verwandtschaft sich näher zu verknüpfen. Darum ist fast jeder ausgezeichnete Recke »Mann und Mage« zugleich; die Wölfinge sind den Amelungen, die Tronecker dem burgundischen Königsstamme verwandt. Daß auch die Verwandtschaft durch Pflege nicht unbekannt war, haben wir an dem Verhältnisse des Meisters und seiner Söhne zu dem jungen Könige darzutun versucht und eine weitere Spur derselben werden wir in der Schildgenossenschaft nachzuweisen uns bemühen. Nicht minder tritt endlich die geschworne Bruderschaft zwischen einzelnen, die wechselseitige Verbindlichkeit zur Blutrache, in bestimmten Beispielen zutage. Die Worte Gesellschaft, Gesellen, Heergesellen, sonst auch von allgemeinerer Bedeutung, bezeichnen in solchen Fällen jene engere Verbindung. Wolfdietrich und Otnit, die sich erst unter der Linde zu Garten bekämpft, schwören beim Abschied, einer des andern Tod zu rächen. Wolfd. 70b, 6: Sy redten zů der eyle, Wer es das keme not, Auch sich erhieb die weyle, Das einer lege todt, Das schwüren sy besonder Zů rechen an der zeyt. Das seyt man durch ein wunder In allen langen weyt. Wolfdietrichs Dienstmannen heißen seine Eidgenossen 51 b, 3. 55 b, 8; er selbst 69 a, 8 der tugend ein eydtgenoß; Riesen 5la, 2 des teüffels eydtgenosse; ebenso 82b, 1 ein riesenhaftes Ungetüm. Dem Verhältnis Wolfdietrichs zu seinem treuen Gesellen Wernher, den er als Heiden bekämpft und dann getauft, mag ursprünglich auch eine solche Genossenschaft zugrunde gelegen sein. 48b, 1 v. u.: Do sprach Wolfdietheriche: Wernher, geselle mein, So rechte tugentliche Wiltu hie bey mir sein? Er sprach: ja, fürste here, Bis auf meins endes zil, Das ich mioh nimmermere Von eüoh gescheiden wil. 89a, 1–4: Und wernher an seiner seyten was jm getreülich mit. Das was in herten streyten Gutes gesellen sit. ... Do er (Wolfdietrich) nun auf der heyde Den gesellen sein verlos, Do geschach jm also leyde, Sein sorge die war groß. Do er die rechten mere Aller ersten do vernam, Von seinen schlegen schwere Mancher zum tode kam. Die Helden von Bern und Laurin schwören sich, nach hartem Streit, Gesellschaft zu. Laur. 196: Wir wollen all gesellen syn, Dietlieb und her Dieterich Mit ganzen truwen sicherlich Schwürent do geselschaft. Sy hetten beyde grosse krafft Vnd der kleine laurin Můst in dem fryd begriffen syn, Es stünd kurz oder lang. Laurin do her für sprang. Er sprach zu dem schwager syn: Seid wir nü gesellen syn, So wil ich uns machen undertan Alles das ich gůtes han. Auch Heime hat gegen Wittich, der ihm aus Todesgefahr geholfen, sich vereidet, in keiner Not denselben zu verlassen. Alph. 251: Hörstst du das, geselle Heime? sprach Wittich der degen. Uns kan niemand gescheiden, denn allein mein leben. Ich mahn dich deiner Eide, sprach der hochgeborn, Und deiner stäten treue, die du mir hast geschworn. 252: Dass du mir gehiessest bis an deinen tod, Dass mich dein Hand nicht liesse von keinerhande not, Daran solt du gedenken, du auserwählter degsn, Wo ich dir kam zu hülffe und fristete dir dein leben. 253: Das thät ich zu Mautaren, da helf ich dir aus noth: da müßtest du fürwahre den grimmiglichen tod du und der von Berne beide genommen han, wenn nicht dass ich euoh beiden so schier zu hülfe kam. So getreulich in der Nibelungennot die burgundischcn Helden alle zusammenhalten, so besteht doch zwischen Volker und Hagen noch besondre Genossenschaft. Als die Burgunden an Etzels Hof angekommen und schon durch schlimme Anzeigen gewarnt sind, blickt Hagen über die Achsel nach einem Heergesellen, den er auch in dem kühnen Volker gewinnt. Diese beiden stehen fortan überall zusammen, schaffen sich im Kampf in die Hände, behalten einander wohl im Auge, erfreuen sich je einer an des andern Wort und Tat. Sie zween allein gehen über den Hof und setzen sich trotzend Kriemhilds Saale gegenüber auf die Bank, wo sie gleich wilden Tieren von den Hunnen angegafft werden. Als nun die Königin mit einer großen Schar Gewaffneter sich nähert, fragt Hagen seinen Freund, ob dieser ihm beistehen werde, wenn es zum Streite komme. Volker versichert, er werde keinen Fuß breit weichen und käme der König mit all seinen Recken. »Wes bedarf ich dann mehr?« ruft Hagen getrost. Nachher gehen die Gäste mit Etzels Helden je paarweise zu Hof; da heißt es: wie sonst jemand sich gesellte, Volker und Hagen schieden sich nie, als in dem einen, letzten Sturme. In der Nacht vor dem Ausbruch des Kampfes übernimmt Hagen die Schildwache; alsbald erbietet sich ihm Volker zum Gefährten und dankbar antwortet jener: »In allen meinen Nöten begehr' ich niemand, denn dich allein.« Seinem Gesellen muß Hagen helfen, und wär' es all seiner Blutsfreunde Tod. Ohnmaßen reut ihn, daß er jemals über dem Spielmann gesessen, den er so herrlich kämpfen sah. Wem von Hagen Friede ward, der hat ihn auch von Volkers Hand. Keine Not an Magen und Mannen geht jenem so nahe, als da er Volkern erschlagen sieht, seine Hilfe, seinen besten Heergesellen. Rächend haut er dem alten Hildebrand die Wunde, die nie mehr heilt. So finden wir auch hier die freigewählte Heergesellenschaft noch über Verwandtschaft und Lehenspflicht gestellt und die Todesrache, wenn nicht ausdrücklich beschworen, doch ohne Säumnis vollzogen. Aber eben die fest verbundene Heldenkraft dieser beiden ist langehin der mächtigste Schutz und Beistand für alle.


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