Iwan Turgenjew
Aufzeichnungen eines Jägers
Iwan Turgenjew

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Lebedjanj

Einer der Hauptvorzüge der Jagd, meine lieben Leser, besteht darin, daß sie Sie zwingt, fortwährend von einem Ort zum anderen zu ziehen, was für einen müßigen Menschen recht angenehm ist. Allerdings ist es zuweilen (besonders in der Regenzeit) nicht sehr angenehm, sich auf den Feldwegen herumzutreiben, auch ohne Weg und Steg direkt übers Feld zu gehen, jeden vorübergehenden Bauern mit der Frage anzuhalten: »He, Liebster! Wie kommen wir nach Mordowka?«, und in Mordowka ein stumpfsinniges Weib (alle Männer sind auf der Feldarbeit) zu befragen, ob es noch weit sei bis zu den Herbergen an der großen Landstraße und wie man hinkomme; dann aber, nachdem man zehn Werst zurückgelegt hat, statt zu den Herbergen, in das gutsherrliche, arg ruinierte Dorf Chudobubnowo zu geraten, zum äußersten Erstaunen einer ganzen Herde von Schweinen, die mitten auf der Straße bis zu den Ohren im dunkelbraunen Dreck stecken und durchaus nicht erwartet haben, daß man sie stören würde. Wenig angenehm ist es auch, Brücken zu passieren, die unter unseren Füßen wie lebendig zittern, in Schluchten hinabzusteigen, sumpfige Bäche zu durchwaten, tagelang durch das grünliche Meer der Landstraßen zu fahren oder, Gott behüte, für einige Stunden vor einem bunt angemalten Werstpfahle steckenzubleiben, mit der Ziffer 22 auf der einen und 23 auf der anderen Seite, wochenlang nur von Eiern, Milch und dem gepriesenen Roggenbrot zu leben. Aber alle diese Unbequemlichkeiten und Mißerfolge werden durch die Vorteile und Vergnügungen anderer Art aufgewogen. Wollen wir übrigens mit der Erzählung selbst beginnen.

Infolge des oben Gesagten brauche ich dem Leser nicht mehr zu erklären, auf welche Weise ich vor etwa fünf Jahren nach Lebedjanj mitten in den Pferdemarkt geriet. Uns Jägern kann es passieren, daß wir an einem schönen Morgen unser mehr oder weniger angestammtes Gut verlassen mit der Absicht, am Abend des nächsten Tages heimzukehren, aber allmählich, fortwährend auf Schnepfen schießend, die gesegneten Ufer der Petschora erreichen; zudem ist jeder Freund des Gewehrs und des Hundes zugleich auch ein leidenschaftlicher Verehrer des edelsten Tieres auf der Welt: des Pferdes. So kam ich nach Lebedjanj, stieg in einem Gasthaus ab, kleidete mich um und begab mich auf den Jahrmarkt. (Der Gasthausdiener, ein langer und hagerer Bursche von etwa zwanzig Jahren mit einer süßen, näselnden Tenorstimme, hatte mir schon mitgeteilt, daß Seine Durchlaucht, Fürst N., Remonteur des ***schen Regiments, in ihrem Gasthaus abgestiegen sei; noch viele andere Herren seien angekommen, am Abend sängen Zigeuner, und im Theater werde Tan Twardowski gegeben; die Preise für die Pferde seien zwar hoch, man habe aber auch vorzügliche Pferde angetrieben.)

Auf dem Jahrmarktsplatz standen in endlosen Reihen Wagen und hinter den Wagen Pferde aller möglichen Sorten: Traber, Zuchtpferde, Bitjuks, Wagenpferde, Postpferde und gewöhnliche Bauernpferde. Manche von ihnen, wohlgenährt und glatt, nach den Farben zusammengestellt, mit bunten Decken bedeckt und an die hohen Rückwände der Wagen kurz angebunden, schielten ängstlich auf die ihnen allzugut bekannten Peitschen ihrer Besitzer, der Roßhändler; Gutsbesitzerpferde, von in der Steppe wohnenden Edelleuten aus einer Entfernung von hundert und zweihundert Werst unter der Aufsicht eines altersschwachen Kutschers und zweier oder dreier dickköpfiger Stallknechte hergeschickt, bewegten ihre langen Hälse, stampften mit den Füßen und nagten aus Langeweile an den Geländerbalken; hellbraune Wjatkapferde drängten sich aneinander; in majestätischer Unbeweglichkeit wie die Löwen standen die Traber mit breiten Kruppen, gewellten Schweifen und zottigen Füßen: Apfelschimmel, Rappen und Braune. Die Kenner blieben vor ihnen respektvoll stehen. In den von den Wagen gebildeten Straßen drängten sich Leute jeden Standes, Alters und Aussehens: Roßhändler in blauen Kaftans und hohen Mützen schauten pfiffig nach den Käufern aus; glotzäugige, kraushaarige Zigeuner rannten wie besessen hin und her, besahen die Zähne der Pferde, hoben ihnen Schweife und Beine, schrien, fluchten, dienten als Vermittler, warfen das Los und scharwenzelten vor irgendeinem Remonteur in Mütze und Militärmantel mit Biberkragen. Ein kräftiger Kosake saß auf einem mageren Wallach, der einen Hals wie ein Hirsch hatte, und verkaufte ihn ›mit allem‹, das heißt mit Sattel und Zaum. Bauern in unter den Achseln zerrissenen Schafspelzen bahnten sich stürmisch einen Weg durch die Menge, setzten sich zu Dutzenden in einen Wagen, um das vorgespannte Pferd zu ›probieren‹, oder feilschten irgendwo abseits mit Hilfe eines flinken Zigeuners, feilschten bis zur Erschöpfung, gaben sich hundertmal hintereinander den Handschlag, wobei ein jeder aber auf seinem Preise bestand, während das Objekt ihres Streites, eine elende, mit einer schadhaften Bastmatte bedeckte Mähre nur mit den Augen zwinkerte, als ob die Rede gar nicht von ihr wäre . . . Und in der Tat, es ist ihr doch ganz gleich, wer sie schlagen wird! Gutsbesitzer mit breiten Stirnen und gefärbten Schnurrbärten, mit dem Ausdruck großer Würde in den Mienen, in polnischen Mützen und Kamelottröcken nur auf einem Arm angezogen, sprachen herablassend mit dicken Kaufleuten in Filzhüten und grünen Handschuhen. Offiziere von verschiedenen Regimentern trieben sich überall herum; ein ungewöhnlich langer Kürassier deutscher Abstammung fragte kaltblütig einen langen Roßhändler, wieviel er für dieses rote Pferd zu verlangen beabsichtige. Ein blonder Husar von etwa neunzehn Jahren suchte ein passendes Seitenpferd zu einem hageren Paßgänger; ein Fuhrmann in einem niederen, mit einer Pfauenfeder umwundenen Hut, in einem braunen Mantel und ledernen Fausthandschuhen, die hinter einem schmalen grünen Gürtel steckten, suchte ein Gabelpferd. Die Kutscher flochten den Pferden die Schweife zu Zöpfen, befeuchteten ihre Mähnen und gaben den Herren respektvolle Ratschläge. Solche, die handelseinig geworden waren, eilten, je nach ihrem Stande, ins Wirtshaus oder in die Schenke . . . Und das alles schrie, wogte, zappelte, zankte und versöhnte sich wieder, fluchte und lachte, bis an die Knie im Schmutz. Ich wollte drei anständige Pferde für meinen Reisewagen kaufen: Die meinigen fingen zu versagen an. Ich hatte schon zwei gefunden, das dritte fehlte noch. Nach dem Mittagessen, das ich lieber nicht beschreibe (schon Äneas wußte, wie unangenehm es ist, an vergangenes Unglück zu denken), begab ich mich in das sogenannte Kaffeehaus, in dem sich jeden Abend die Remonteure, die Pferdezüchter und die übrigen Jahrmarktsbesucher versammelten. Im Billardzimmer, das von bleiernen Rauchwolken erfüllt war, befanden sich an die zwanzig Personen. Es waren hier junge Gutsbesitzer in ungarischen Joppen und grauen Hosen, mit langen Koteletten und gewichsten Schnurrbärtchen; sie benahmen sich recht ungezwungen und blickten frei und keck um sich. Andere Edelleute in Casaquins mit ungewöhnlich kurzen Hälsen und verschwommenen, kleinen Augen saßen auch dabei und ächzten kurzatmig; die jungen Kaufleute saßen abseits, wie man so sagt, ›auf der Lauer‹; die Offiziere unterhielten sich ungezwungen miteinander. Auf dem Billard spielte der Fürst N., ein junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren mit einer lustigen und etwas verächtlichen Miene; er trug einen vorn offenstehenden Rock, ein rotseidenes Hemd und eine weite, samtene Pluderhose; er spielte mit dem Leutnant a. D. Viktor Chlopakow.

Der Leutnant a. D. Viktor Chlopakow, ein kleiner, magerer Mensch von etwa dreißig Jahren mit dunklem Gesicht, schwarzem Haar, braunen Augen und einer stumpfen, aufgeworfenen Nase, besucht fleißig alle Jahrmärkte und Wahlversammlungen. Er hüpft im Gehen, bewegt energisch seine runden Hände, hat die Mütze schief auf dem Ohre sitzen und pflegt die Ärmel seines mit graublauem Kaliko gefütterten Waffenrockes zurückzustreifen. Herr Chlopakow hat die Fähigkeit, sich an die reichen Petersburger Lebejünglinge heranzumachen; er raucht, trinkt und spielt mit ihnen Karten und duzt sie. Warum sie ihm ihre Gunst beweisen, ist recht schwer zu begreifen. Er ist nicht klug, er ist nicht einmal komisch, er taugt auch nicht zum Spaßmacher. Allerdings behandelt man ihn mit einer freundschaftlichen Nonchalance wie einen guten, aber unbedeutenden Kerl; man gibt sich mit ihm zwei oder drei Wochen ab und grüßt ihn dann nicht mehr; auch er selbst hört zu grüßen auf. Die Eigentümlichkeit des Leutnants Chlopakow besteht darin, daß er oft ein und sogar zwei Jahre hintereinander, fortwährend, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, die gleiche Redensart gebraucht, eine Redensart, die zwar in keiner Weise komisch ist, aber doch, Gott weiß warum, alle zum Lachen bringt. Vor acht Jahren sagte er auf Schritt und Tritt: »Meine Hochachtung, ich danke ergebenst«, und seine damaligen Gönner wälzten sich jedesmal vor Lachen und zwangen ihn, sein ›Meine Hochachtung‹ immer wieder herzusagen, später gebrauchte er die recht komplizierte Redensart: »Nein, das haben Sie schon, kesskesseh, das kommt dabei heraus« mit dem gleichen glänzenden Erfolg; etwa zwei Jahre später dachte er sich eine andere Formel aus: »Ne vous aufregé pas, Sie Mann Gottes« und so weiter. Und was glauben Sie? Alle diese gar nicht witzigen Redensarten versorgen ihn, wie man sieht, mit Speise, Trank und Kleidung. (Sein Gut hat er schon längst durchgebracht und lebt ausschließlich auf Kosten seiner Freunde.) Es ist zu bemerken, daß er sonst keine anderen liebenswürdigen Eigenschaften besitzt, allerdings raucht er an die hundert Pfeifen Schukowschen Tabaks den Tag, hebt beim Billardspiel den rechten Fuß hoch über den Kopf und fiedelt, wenn er nach einem Ball zielt, mit dem Queue lange und schnell auf der Hand – aber nicht jedermann ist Freund solcher Vorzüge. Er trinkt auch tüchtig, aber in Rußland ist es schwer, sich dadurch auszuzeichnen . . . Mit einem Wort, sein Erfolg ist für mich ein vollkommenes Rätsel . . . Er hat höchstens den einen wirklichen Vorzug: Er ist vorsichtig, schwatzt nicht aus der Schule und spricht über niemanden ein böses Wort.

Nun, dachte ich mir, als ich Chlopakow erblickte, was mag wohl jetzt seine Redensart sein?

Der Fürst machte den Weißen.

»Dreißig und nichts!« brüllte der schwindsüchtige Markör mit dunklem Gesicht und bleigrauen Ringen um die Augen.

Der Fürst warf den gelben Ball mit einem Krach ins Eckloch.

»Ach!« krächzte beifällig mit seinem ganzen Leib ein dicker Kaufmann, der in einem Winkel hinter einem wankenden, einbeinigen Tischchen saß; er krächzte es und bekam gleich darauf Angst. Zum Glück hatte es niemand bemerkt. Er holte Atem und strich sich den Bart.

»Sechsunddreißig und sehr wenig!« schrie der Markör durch die Nase.

»Nun, was sagst du dazu, Bruder?« fragte der Fürst Chlopakow.

»Man kennt es ja: Rrrrakalion, tatsächlich Rrrrakalion!«

Der Fürst pustete vor Lachen.

»Wie? Wie? Wiederhole es!«

»Rrrrakalion!« wiederholte selbstzufrieden der Leutnant a. D.

Das ist also das Wort! dachte ich mir.

Der Fürst warf den Roten ins Loch.

»Ach, Fürst, nicht so, nicht so!« stammelte plötzlich ein kleiner blonder Offizier mit geröteten Augen, winzigem Näschen und kindlich verschlafenem Gesicht. »Sie spielen nicht richtig . . . Sie hätten . . . nein, nicht so!«

»Wie denn?« fragte ihn der Fürst über die Schulter weg.

»Sie hätten . . . ich meine . . . ein Triplé spielen sollen.«

»Wirklich?« murmelte der Fürst zwischen den Zähnen.

»Wie ist es, Fürst, gehen wir heute abend zu den Zigeunern?« beeilte sich der verwirrte junge Mann hinzuzufügen. »Die Stjoschka wird singen . . . Iljuschka . . .«

Der Fürst gab ihm keine Antwort.

»Rrrrakalion, Bruder!« versetzte Chlopakow, pfiffig mit dem linken Auge blinzelnd.

Der Fürst fing zu lachen an.

»Neununddreißig und nichts!« verkündete der Markör.

»Nichts . . . paß mal auf, wie ich diesen Gelben . . .«

Chlopakow fiedelte mit dem Queue auf der Hand, zielte und gab einen Kicks.

»Ach, Rrrrakalion!« schrie er verdrießlich.

Der Fürst lachte wieder.

»Wie, wie, wie?«

Chlopakow wollte aber sein Wort nicht mehr wiederholen, er mußte doch auch ein wenig kokettieren.

»Sie haben einen Kicks zu machen geruht«, bemerkte der Markör. »Gestatten Sie, Ihr Queue mit Kreide einzureiben . . . Vierzig und sehr wenig!«

»Ja, meine Herren«, begann der Fürst, sich an die ganze Versammlung wendend, ohne jemand insbesondere anzusehen, »Sie wissen, heut' im Theater soll die Werschembizkaja gerufen werden.«

»Gewiß, gewiß, unbedingt«, riefen einige Herren zugleich, denen die Möglichkeit, auf die Rede des Fürsten zu antworten, außerordentlich schmeichelte. »Ja, die Werschembizkaja . . .«

»Die Werschembizkaja ist eine treffliche Schauspielerin, viel besser als die Sopnjakowa«, piepste in der Ecke ein unansehnliches Männchen mit kleinem Schnurrbart und Brille. Der Unglückliche seufzte im stillen für die Sopnjakowa, aber der Fürst würdigte ihn keines Blickes.

»Markör, eine Pfeife!« rief ein Herr von großem Wuchs, mit regelmäßigen Zügen und vornehmer Haltung, allem Anschein nach ein Falschspieler, in seine Halsbinde hinein.

Der Markör lief nach der Pfeife, und als er zurückkam, meldete er Seiner Durchlaucht, daß der Postkutscher Baklaga nach ihm frage.

»Aha! Sag ihm, er soll warten, und gib ihm ein Glas Schnaps.«

»Zu Befehl!«

Baklaga hieß, wie man mir später erzählte, ein junger, hübscher und außerordentlich verwöhnter Postkutscher; der Fürst hatte ihn gern, schenkte ihm zuweilen Pferde, fuhr mit ihm um die Wette und verbrachte mit ihm ganze Nächte . . . Diesen selben Fürsten, den einstigen Wildfang und Verschwender, würde jetzt niemand wiedererkennen . . . Wie parfümiert, geschnürt und stolz ist er jetzt! Wie eifrig mit seinem Dienst beschäftigt und vor allen Dingen wie vernünftig!

Der Tabaksqualm fing jedoch an, mir die Augen zu beißen. Nachdem ich zum letztenmal den Ausruf Chlopakows und die Antwort des Fürsten gehört hatte, zog ich mich auf mein Zimmer zurück, wo mir mein Diener auf dem engen, eingedrückten, mit Roßhaaren gepolsterten Sofa mit der hohen, gekrümmten Lehne das Bett gemacht hatte.

Am anderen Tag ging ich in die Höfe, um mir die Pferde anzusehen, und begann beim bekannten Roßhändler Sitnikow. Durch ein Pförtchen gelangte ich in den mit Sand bestreuten Hof. Vor der weitgeöffneten Tür des Pferdestalles stand der Besitzer selbst, ein nicht mehr junger, großer und dicker Mann in einem Halbpelz aus Hasenfell mit aufgestelltem, hohem Kragen. Als er mich sah, kam er mir langsam entgegen, hielt seine Mütze mit beiden Händen eine Weile über dem Kopf und sprach mit singender Stimme: »Meine Hochachtung! Sie wollen sich wohl bei uns die Pferdchen ansehen?«

»Ja, ich komme, um mir die Pferdchen anzusehen.«

»Was für Pferdchen, wenn ich fragen darf?«

»Zeigen Sie, was Sie haben.«

»Mit dem größten Vergnügen.«

Wir traten in den Pferdestall. Mehrere weiße Schäferhunde erhoben sich vom Heu und liefen uns schweifwedelnd entgegen; ein langbärtiger alter Ziegenbock ging unzufrieden auf die Seite; drei Stallknechte in ordentlichen, aber schmierigen Schafspelzen verbeugten sich vor uns schweigend. Rechts und links standen in künstlich erhöhten Ständen an die dreißig gestriegelte und geputzte Pferde. Oben im Balkenwerk flatterten und girrten Tauben.

»Das heißt, wozu brauchen Sie eigentlich das Pferdchen: zum Fahren oder für die Zucht?« fragte mich Sitnikow.

»Zum Fahren und für die Zucht.«

»Ich verstehe, ich verstehe, ich verstehe«, sagte der Roßhändler gedehnt. »Petja, zeig mal dem Herrn den Hermelin.«

Wir traten in den Hof.

»Befehlen Sie nicht ein Bänkchen aus der Stube zu holen . . . Nein . . .? Wie Sie wünschen.«

Die Hufe erschallten auf den Brettern, die Peitsche knallte, und Petja, ein etwa vierzigjähriger Kerl, pockennarbig und gebräunt, sprang aus dem Stall zugleich mit einem grauen, ziemlich stattlichen Hengst. Er ließ ihn sich bäumen, lief mit ihm zweimal um den Hof herum und brachte ihn geschickt auf dem rechten Platz zum Stehen. Hermelin streckte sich, schnaubte pfeifend, warf den Schweif zurück, bewegte die Schnauze und schielte uns an.

Ein gelernter Vogel, dachte ich mir.

»Laß ihn locker, laß ihn locker!« versetzte Sitnikow und richtete seinen Blick auf mich.

»Das Pferd ist nicht schlecht, aber die Vorderfüße sind nicht ganz zuverlässig.«

»Nun, was halten Sie von ihm?« fragte er mich schließlich.

»Die Füße sind ausgezeichnet!« entgegnete Sitnikow mit Überzeugung. »Und die Kruppe . . . wollen Sie sich nur die Kruppe ansehen . . . ein wahrer Ofen, ausschlafen kann man sich auf ihr.«

»Die Fesseln sind zu lang.«

»Ach was, lang – erlauben Sie einmal! Lauf noch eine Runde, Petja, aber im Trab, im Trab, im Trab, laß ihn nicht Galopp laufen.«

Petja lief mit dem Hermelin wieder um den Hof. Wir alle schwiegen eine Weile.

»Nun, stell ihn auf seinen Platz«, sagte Sitnikow, »und bring uns den Falken.«

Der Falke, ein Hengst so schwarz wie ein Käfer, von holländischer Rasse mit abschüssigem Hinterteil und engbauchig, erwies sich ein wenig besser als der Hermelin. Er gehörte zu den Pferden, von denen die Liebhaber sagen, daß sie fuchteln und säbeln und Gefangene machen, das heißt, sie werfen im Lauf die Vorderfüße nach rechts und nach links und kommen dabei doch nur wenig vorwärts. Die Kaufleute in mittleren Jahren haben solche Pferde gerne: Ihr Lauf erinnert an den schwungvollen Gang eines flinken Kellners; sie sind recht hübsch als Einspänner zum Spazierenfahren nach dem Mittagessen; stolz mit gekrümmtem Hals einherschreitend, ziehen sie mit Eifer die plumpe Droschke; die mit einem bis zur Erstarrung vollgefressenen Kutscher, dem an Sodbrennen leidenden, gedrückten Kaufmann und seiner schwammigen Frau in blauem Seidenmantel mit einem lila Kopftuch beladen ist. Ich verzichtete auf den Falken. Sitnikow zeigte mir noch einige andere Pferde . . . Schließlich gefiel mir ein Apfelschimmelhengst von der Wojejkowschen Zucht. Ich konnte mich nicht beherrschen und streichelte ihm den Schopf. Sitnikow stellte sich sofort gleichgültig.

»Und fährt er gut?« fragte ich. (Von einem Traber sagt man nicht, er läuft.)

»Er fährt«, antwortete der Roßhändler ruhig.

»Kann ich es vielleicht sehen . . .?«

»Warum denn nicht, gewiß. He, Kusja, spann den Holmichein an die Droschke.«

Der Zureiter Kusja, ein Meister in seinem Fach, fuhr an die dreimal auf der Straße an uns vorbei. Gut läuft das Pferd, kommt nicht aus dem Tempo, wirft die Kruppe nicht empor, trägt die Beine frei und hält den Schweif vom Hinterteil getrennt und elegant.

»Was verlangen Sie für ihn?«

Sitnikow forderte einen unerhörten Preis. Wir fingen an, gleich auf der Straße zu handeln, als plötzlich hinter der Ecke, dröhnend, eine prachtvoll in der Farbe abgestimmte Troika hervorflog und mit Eleganz vor dem Tore Sitnikows stehenblieb. In dem eleganten Liebhaberwagen saß der Fürst N., neben ihm hockte Chlopakow. Baklaga lenkte die Pferde . . . und wie er sie lenkte! Durch einen Ohrring wäre er durchgefahren, der Spitzbube! Die kleinen, lebhaften braunen Seitenpferde mit schwarzen Augen und schwarzen Füßen brennen nur so und zittern; wenn man nur pfeift, sind sie schon verschwunden! Das dunkelbraune Mittelpferd steht da mit aufgeworfenem Hals wie ein Schwan, die Brust heraus, die Füße wie die Pfeile, es wirft den Kopf und blinzelt stolz mit den Augen . . . Wunderschön! Niemand brauchte sich zu schämen, am Ostersonntag mit diesen Pferden auszufahren!

»Eure Durchlaucht! Seien Sie willkommen!« rief Sitnikow.

Der Fürst sprang aus dem Wagen. Chlopakow stieg langsam an der anderen Seite aus.

»Guten Tag, Bruder . . . Hast du Pferde?«

»Wie sollte ich für Eure Durchlaucht keine haben! Bitte treten Sie näher . . . Petja, bring mal den Pfau! Und laß den Lobenswerten bereitmachen. Mit Ihnen, Väterchen«, fuhr er fort, sich zu mir wendend, »werden wir uns ein anderes Mal einigen . . . Fomka, eine Bank für Seine Durchlaucht!«

Aus einem besonderen Stall, den ich früher nicht bemerkt hatte, führte man den Pfau heraus. Das mächtige dunkelbraune Roß schwang sich mit allen vieren in die Luft. Sitnikow wandte sogar den Kopf weg und kniff die Augen zusammen.

»Hu – Rrrrakalion!« rief Chlopakow . . . »Schemsa!« (J'aime ça!)

Der Fürst lachte.

Man brachte den Pfau nicht ohne Mühe zum Stehen; er schleifte den Stallknecht ordentlich durch den Hof; endlich drückte man ihn an die Wand. Er schnarchte, zitterte und wand sich, Sitnikow aber neckte ihn noch, indem er über ihn die Peitsche schwang.

»Wo schaust du hin? Ich will dich! Hu!« sprach der Roßhändler freundlich drohend und bewunderte selbst unwillkürlich sein Pferd.

»Wieviel?« fragte der Fürst.

»Für Eure Durchlaucht fünftausend.«

»Drei.«

»Es geht nicht, Eure Durchlaucht, ich bitte Sie . . .«

»Man sagt dir: drei, Rrrrakalion!« fiel ihm Chlopakow ins Wort.

Ich wartete den Abschluß des Geschäfts nicht ab und ging. An der äußersten Straßenecke sah ich am Tor eines grauen Häuschens einen großen Papierbogen angeklebt. Oben war mit der Feder ein Pferd mit einem trompetenförmigen Schweif und einem unendlich langen Hals gezeichnet, unter den Hufen des Pferdes standen aber folgende, mit altmodischer Schrift geschrieben Zeilen:

Hier werden Pferde von verschiedenen Farben verkauft, die vom bekannten Steppengestüt des Tambower Gutsbesitzers Anastassej Iwanytsch Tschernobai auf den Lebedjanjschen Jahrmarkt gebracht worden sind. Diese Pferde sind von trefflichen Eigenschaften; sie sind vorzüglich zugefahren und fromm. Die Herren Käufer wollen nach Anastassej Iwanytsch selbst fragen; falls aber Anastassej Iwanytsch abwesend sein sollte, so frage man nach dem Kutscher Nasar Kubyschkin. Meine Herren Käufer, beehren Sie mich alten Mann mit Ihrem Besuch!

Ich blieb stehen und sagte mir: Ich will mir mal die Pferde des bekannten Züchters Herrn Tschernobai ansehen.

Ich wollte durch das Pförtchen eintreten, fand es aber gegen alle Gewohnheit verschlossen. Ich klopfte.

»Wer ist da? Ein Kunde?« piepste eine Frauenstimme.

»Ja, ein Kunde.«

»Sofort, Väterchen, sofort.«

Das Pförtchen ging auf. Ich erblickte ein Weib von etwa fünfzig Jahren mit bloßem Kopf, in Stiefeln und aufgeknöpftem Schafspelz.

»Treten Sie näher, Väterchen, ich will es gleich dem Anastassej Iwanytsch melden . . . Nasar, du, Nasar!«

»Was denn?« rief aus dem Stall die Stimme eines siebzigjährigen Greises.

»Mach die Pferdchen bereit, ein Kunde ist gekommen.«

Die Alte lief ins Haus.

»Ein Kunde, ein Kunde«, brummte Nasar zur Antwort. »Ich hab' noch nicht alle unter dem Schweif gewaschen.«

Oh, Arkadien! dachte ich.

»Grüß Gott, Väterchen, willkommen!« ertönte hinter meinem Rücken langsam eine klangvolle, angenehme Stimme. Ich sah mich um: Vor mir stand in einem blauen, langschößigen Mantel ein alter Mann von mittlerem Wuchs mit weißen Haaren, einem freundlichen Lächeln und wunderschönen blauen Augen.

»Du willst Pferdchen? Gerne, Väterchen, gerne . . . Aber willst du nicht vorher zu mir ins Haus und ein Gläschen Tee trinken?«

Ich lehnte ab und bedankte mich.

»Nun, wie du willst. Du mußt mich entschuldigen, Väterchen: Ich halte mich noch an die alten Sitten.« Herr Tschernobai sprach ohne Übereilung und betonte scharf jedes O. »Bei mir ist alles einfach, weißt du . . . Nasar, du, Nasar!« fügte er gedehnt, ohne die Stimme zu heben, hinzu.

Nasar, ein runzliger Greis mit einer Habichtnase und einem keilförmigen Bärtchen erschien auf der Schwelle des Stalles.

»Was für Pferde brauchst du, Väterchen?« fuhr Herr Tschernobai fort.

»Nicht zu teure, eingefahrene, zu einer Kibitka.«

»Bitte sehr . . . ich habe auch solche, bitte . . . Nasar, Nasar, zeig mal dem Herrn den grauen Wallach, weißt du, der am äußersten Ende steht, und den Braunen mit der Blesse oder auch den anderen Braunen, den von der Schönen, weißt du?«

Nasar ging wieder in den Stall.

»Führe sie so an den Halftern her«, rief ihm Herr Tschernobai nach. »Bei mir, Väterchen«, fuhr er fort, mir heiter und sanft ins Gesicht blickend, »bei mir ist es nicht so wie bei den Roßhändlern, mögen sie verrecken! Die geben den Pferden allerlei Kräuter ein, Salz und Schlempe, Gott sei ihr Richter . . .! Bei mir ist aber alles wie auf der flachen Hand, ganz ohne Kniffe.«

Man führte die Pferde heraus. Sie gefielen mir nicht.

»Nun, stell sie in Gottes Namen wieder auf ihren Platz«, versetzte Anastassej Iwanytsch. »Zeig uns andere.«

Man zeigte uns andere. Schließlich wählte ich eins von den billigeren. Wir begannen zu handeln. Herr Tschernobai ereiferte sich nicht und sprach so vernünftig, mit solcher Würde, daß ich nicht umhin konnte, dem alten Mann ›die gebührende Ehre‹ zu erweisen und ihm ein Handgeld zu geben.

»Nun, und jetzt«, sagte Anastassej Iwanytsch, »erlaube mir, daß ich dir das Pferdchen nach alter Sitte aus dem Schoß in den Schoß übergebe . . . Du wirst mir dafür dankbar sein . . . Was für ein frisches Pferdchen! Unberührt wie ein Nußkern in der Schale . . . ein echtes Steppenpferd! Es taugt für jedes Gespann.«

Er bekreuzigte sich, legte sich den Schoß seines Mantels auf die Hand, ergriff darunter die Halfter und übergab mir so das Pferd.

»Besitze es in Gottes Namen . . . Willst du noch immer keinen Tee?«

»Nein, ich danke ergebenst, ich muß nach Hause.«

»Wie du willst. Soll mein Kutscher das Pferd dir jetzt gleich nachführen?«

»Ja, wenn Sie erlauben, jetzt gleich.«

»Gerne, Liebster, gerne . . . Wassilij, he, Wassilij, geh mit dem Herrn mit; führ das Pferdchen hin und nimm das Geld in Empfang. Nun, leb wohl, Väterchen, mit Gott.«

»Leben Sie wohl, Anastassej Iwanytsch.«

Man brachte mir das Pferd ins Haus. Schon am nächsten Tage erwies es sich als dämpfig und lahm. Ich versuchte es einzuspannen, das Pferd bäumte sich zurück, und wenn man es mit der Peitsche schlug, so wurde es stätig, schlug aus und legte sich nieder. Ich begab mich sofort zu Herrn Tschernobai.

»Ist er zu Hause?«

»Ja, zu Hause.«

»Was ist denn das«, sagte ich ihm, »Sie haben mir ein dämpfiges Pferd verkauft.«

»Ein dämpfiges? Gott behüte!«

»Außerdem ist es lahm und auch noch stätig.«

»Lahm? Ich weiß nicht, dein Kutscher wird es wohl irgendwie verdorben haben . . . was mich betrifft, so kann ich bei Gott schwören . . .«

»Eigentlich müßten Sie es zurücknehmen, Anastassej Iwanytsch.«

»Nein, Väterchen, nimm es nicht übel: wenn's einmal aus dem Hof fort ist, so ist nichts zu machen. Du hättest es früher sehen sollen.«

Ich begriff den Sachverhalt, ergab mich in mein Schicksal, lachte und ging. Zum Glück hatte ich für diese Lektion nicht allzu teuer bezahlt.

Zwei Tage darauf fuhr ich ab und kam nach einer Woche auf dem Rückweg wieder nach Lebedjanj. Im Kaffeehaus fand ich fast die gleichen Personen und traf den Fürsten N. wieder beim Billard. Aber im Schicksal des Herrn Chlopakow war schon die gewöhnliche Wendung eingetreten. Der blonde Offizier hatte ihn in der Gunst des Fürsten abgelöst. Der arme Leutnant a. D. versuchte noch, einmal in meiner Gegenwart sein Wörtchen anzubringen – vielleicht wird es den früheren Erfolg haben –, aber der Fürst lächelte nicht nur nicht, sondern runzelte die Stirn und zuckte die Achseln. Herr Chlopakow senkte den Kopf, schrumpfte zusammen, zog sich in einen Winkel zurück und begann sich stillschweigend ein Pfeifchen zu stopfen.

 

Ende des ersten Bandes

 


 

Zweiter Band


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