Iwan Turgenjew
Aufzeichnungen eines Jägers
Iwan Turgenjew

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Jermolai und die Müllerin

Am Abend ging ich mit dem Jäger Jermolai auf den Schnepfenstrich . . . Meine Leser wissen vielleicht nicht, was der Schnepfenstrich ist. Hören Sie also.

Eine Viertelstunde vor Sonnenuntergang im Frühjahr gehen Sie mit dem Gewehr, doch ohne Hund in den Wald. Sie suchen sich am Waldsaum einen Platz aus, sehen sich um, untersuchen das Zündhütchen und wechseln Blicke mit Ihrem Begleiter. Die Viertelstunde ist vorüber. Die Sonne ist untergegangen, aber im Wald ist es noch hell; die Luft ist rein und durchsichtig; die Vögel zwitschern geschwätzig; das junge Gras glänzt lustig und smaragden . . . Sie warten. Im Wald wird es allmählich dunkler; das rote Licht der scheidenden Sonne gleitet langsam über die Wurzeln und Stämme der Bäume, steigt immer höher hinauf und geht von den unteren, fast noch nackten Zweigen zu den unbeweglichen, einschlafenden Wipfeln über . . . Nun sind auch die Wipfel selbst erloschen; der Himmel, der eben rötlich war, wird immer blauer. Der Wald duftet stärker, ein warmer feuchter Hauch kommt gezogen; der Wind erstirbt um Sie herum. Die Vögel schlafen ein, nicht alle zugleich, sondern je nach der Gattung: Da sind die Finken verstummt, einige Augenblicke später die Grasmücken, dann die Ammern. Im Wald wird es immer dunkler und dunkler. Die Bäume fließen zu großen schwarzen Massen zusammen; am blauen Himmel treten scheu die ersten Sternchen hervor. Alle Vögel schlafen. Die Rotschwänzchen und die kleinen Spechte allein zwitschern noch leise und verschlafen . . . Nun sind auch sie verstummt. Noch einmal erklingt über Ihnen die helle Stimme des Weidenzeisigs; irgendwo schreit kläglich eine Goldamsel; die Nachtigall läßt ihren ersten Triller erklingen. Ihr Herz ist vor Erwartung ganz matt, und plötzlich – doch nur ein Jäger wird mich verstehen – plötzlich ertönt in der tiefen Stille ein leises, eigentümliches Krächzen und Zischen, das gleichmäßige Schlagen schneller Flügel, und die Waldschnepfe fliegt, den langen Schnabel schön geneigt, hinter der dunklen Birke langsam Ihrem Schuß entgegen.

Das heißt ›auf dem Schnepfenstrich stehen‹.

Also begab ich mich mit Jermolai auf den Schnepfenstrich; aber entschuldigen Sie, ich muß Sie erst mit Jermolai bekannt machen.

Stellen Sie sich einen Mann von etwa fünfundvierzig Jahren vor, großgewachsen, hager, mit einer langen und dünnen Nase, einer schmalen Stirn, kleinen grauen Augen, zerzausten Haaren und dicken, spöttischen Lippen. Dieser Mann trug Winter und Sommer einen gelblichen Nankingrock von deutschem Schnitt, doch mit einem Gürtel; dazu eine blaue Pluderhose und eine Lammfellmütze, die ihm in einer guten Stunde ein ruinierter Gutsbesitzer geschenkt hatte. Am Gürtel waren zwei Säcke angebunden; der eine vorn, kunstvoll in zwei Hälften geknüpft, für Pulver und für Schrot, der andere hinten für Wild; die Baumwolle für die Pfropfen holte sich Jermolai aus seiner eigenen, anscheinend unerschöpflichen Mütze. Er könnte wohl für das Geld, das er aus dem Verkauf des Wildes löste, sich eine Patronentasche und eine Jagdtasche kaufen, aber diese Anschaffung war ihm überhaupt nie in den Sinn gekommen, und er fuhr fort, sein Gewehr wie bisher zu laden, wobei er die Zuschauer durch die Kunst in Erstaunen setzte, mit der er der Gefahr, das Pulver zu verschütten oder es mit Schrot zu vermischen, aus dem Wege ging. Sein Gewehr hatte nur einen Lauf und ein Feuersteinschloß und dazu noch die üble Eigenschaft, stark zurückzuprallen, aus welchem Grunde Jermolais rechte Wange immer voller war als die linke. Wie er mit diesem Gewehr treffen konnte, begriff auch der Klügste nicht, aber er traf doch. Er hatte auch noch eine Hühnerhündin namens Valetka, ein sehr merkwürdiges Geschöpf. Jermolai fütterte sie niemals. »Fällt mir gar nicht ein, einen Hund zu füttern«, sagte er. »Außerdem ist der Hund ein kluges Tier und kann selbst Nahrung finden.« Und so war es auch in der Tat: Valetka setzte zwar einen selbst gleichgültigen Vorübergehenden durch ihre ungewöhnliche Magerkeit in Erstaunen, blieb aber doch am Leben und lebte lange; trotz ihrer unseligen Lage war sie sogar kein einziges Mal entlaufen und hatte auch nie den Wunsch geäußert, ihren Herrn zu verlassen. Einmal in ihren jungen Jahren war sie wohl, von Liebe hingerissen, für zwei Tage verschwunden, aber diese Dummheiten hatte sie schon längst aufgegeben. Die hervorragendste Eigenschaft Valetkas war ihre absolute Gleichgültigkeit gegen alles in der Welt . . . Wäre die Rede nicht von einem Hund, so hätte ich wohl den Ausdruck ›Blasiertheit‹ gewählt. Gewöhnlich saß sie, den kurzen Schwanz untergeschlagen, da, blickte finster drein, zuckte manchmal zusammen und lächelte niemals. (Die Hunde haben bekanntlich die Fähigkeit zu lächeln, sie machen es sogar sehr nett.) Sie war außerordentlich häßlich, und kein müßiger Vertreter des Hofgesindes ließ sich die Gelegenheit entgehen, giftige Bemerkungen über ihr Äußeres zu machen; Valetka ertrug aber allen Spott und sogar Schläge mit ungewöhnlicher Kaltblütigkeit. Ein besonderes Vergnügen gewährte sie den Köchen, die sofort ihre Arbeit liegenließen und ihr schreiend und schimpfend nachsetzten, wenn sie aus einer Schwäche, die nicht nur Hunden allein eigen ist, ihre hungrige Schnauze durch die halbgeöffnete Türe der verführerisch warmen und wohlriechenden Küche steckte. Auf der Jagd zeichnete sie sich durch Unermüdlichkeit aus und hatte eine recht gute Witterung; wenn sie aber einmal einen angeschossenen Hasen erwischte, so fraß sie ihn mit Genuß bis zum letzten Knöchelchen auf, irgendwo im kühlen Schatten, unter einem grünen Busch, in einer respektvollen Entfernung von Jermolai, der in allen bekannten und unbekannten Dialekten schimpfte.

Jermolai gehörte einem meiner Nachbarn, einem Gutsbesitzer von altem Schrot und Korn. Die Gutsbesitzer von altem Schrot und Korn mögen keine Schnepfen und halten sich an das Hausgeflügel. Höchstens in außergewöhnlichen Fällen wie bei Geburtstagen, Namenstagen und Adelswahlen schreiten die Köche solcher Gutsbesitzer zur Zubereitung der langschnäbeligen Vögel; sie geraten dabei in die dem russischen Menschen so eigene Rage und erfinden so komplizierte Zutaten, daß die Gäste zum größten Teil die aufgetischten Gerichte mit Neugierde und Aufmerksamkeit betrachten, sich aber nicht entschließen, von ihnen zu versuchen. Jermolai hatte den Auftrag, für die herrschaftliche Küche einmal monatlich zwei Paar Birkhühner und Rebhühner zu liefern, durfte aber im übrigen leben, wie er wollte und wovon er wollte. Man hatte ihn aufgegeben als einen zu keiner Arbeit fähigen Menschen, als einen Schwächling, wie man bei uns in Orjol sagt. Pulver und Schrot wurden ihm nicht geliefert, wobei man dieselbe Regel befolgte, nach der er seinen Hund nicht fütterte. Jermolai war ein Mensch von besonderem Schlag: sorglos wie ein Vogel, ziemlich geschwätzig, zerstreut und dem Aussehen nach unbeholfen. Er trank gerne über den Durst, hielt es niemals lange auf einem Platz aus, schlurrte und watschelte beim Gehen und legte dabei doch an die fünfzig Werst in vierundzwanzig Stunden zurück. Er hatte schon die verschiedenartigsten Abenteuer erlebt: in Sümpfen, auf Bäumen, auf Dächern, unter Brücken genächtigt, mehr als einmal in Kellern, Schuppen und auf Dachböden eingesperrt gesessen, oft sein Gewehr, seinen Hund und die notwendigsten Kleidungsstücke eingebüßt, reichliche und kräftige Prügel bekommen, war aber nach einiger Zeit doch immer gekleidet und mit Gewehr und Hund nach Hause zurückgekehrt. Man konnte ihn keinen lustigen Menschen nennen, obwohl er fast immer guter Laune war; er machte überhaupt den Eindruck eines Sonderlings. Jermolai schwatzte manchmal gerne mit einem guten Bruder, besonders bei einem Glas Schnaps, aber nicht zu lange; mitten im Gespräch stand er auf und ging. »Wo willst du denn hin, Teufel? Es ist ja Nacht.«

»Nach Tschaplino.«

»Was sollst du dich nach Tschaplino schleppen, es sind ja zehn Werst.«

»Ich will beim Bauern Sofron übernachten.«

»Übernachte doch hier.«

»Nein, es geht nicht.«

Und so geht Jermolai mit seiner Valetka in die finstere Nacht durch Gebüsch und Sumpf; der Bauer Sofron wird ihn aber vielleicht gar nicht hereinlassen und haut ihm vielleicht auch noch den Buckel voll: »Laß anständige Leute in Ruhe!« Dafür konnte sich niemand mit Jermolai in der Kunst messen, im Frühjahr bei Hochwasser Fische zu fangen, die Krebse mit den Händen herauszuholen, das Wild mit der Nase zu wittern, Wachteln heranzulocken, Habichte abzurichten, Nachtigallen mit der ›Teufelspfeife‹ und dem »Kuckucksüberschlag‹Die Liebhaber von Nachtigallen kennen diese Ausdrücke: Sie bezeichnen die besten Touren im Nachtigallengesang. (Anmerkung Turgenjews) zu fangen . . . Eines verstand er aber nicht: Hunde zu dressieren; dazu hatte er keine Geduld. Er hatte auch eine Frau. Einmal in der Woche besuchte er sie. Sie wohnte in einer elenden, halbzerfallenen Hütte, schlug sich mit knapper Not durch, wußte niemals, ob sie morgen satt zu essen haben werde, und hatte überhaupt ein bitteres Los. Jermolai, dieser sorglose und gutmütige Mensch, behandelte sie roh und grob und nahm bei sich zu Hause eine finstere und drohende Miene an; seine arme Frau wußte gar nicht, wie sie es ihm recht machen sollte, zitterte vor seinem Blick, kaufte ihm für die letzte Kopeke Schnaps und bedeckte ihn unterwürfig mit ihrem Schafpelz, wenn er sich majestätisch auf dem Ofen ausstreckte und zu schnarchen anfing. Ich selbst hatte mehr als einmal Gelegenheit, an ihm unwillkürliche Äußerungen einer seltsamen, düsteren Wut wahrzunehmen: So gefiel mir sein Gesichtsausdruck nicht, wenn er einem angeschossenen Vogel mit den Zähnen den Garaus machte. Jermolai blieb aber nie länger als einen Tag zu Hause; außerhalb des Hauses verwandelte er sich aber wieder in den Jermolka, wie man ihn hundert Werst im Umkreis und wie er sich auch selbst manchmal nannte. Der letzte Mann im Hausgesinde fühlte seine Überlegenheit über diesen Landstreicher und behandelte ihn vielleicht gerade aus diesem Grunde freundschaftlich; die Bauern pflegten ihn anfangs mit Hochgenuß wie einen Hasen im Feld zu hetzten und zu fangen, ließen ihn aber dann in Gottes Namen laufen, rührten ihn, wenn sie den Sonderling einmal erkannt hatten, nicht mehr an, gaben ihm sogar Brot und unterhielten sich mit ihm . . . Diesen Menschen nahm ich mir zum Jagdgehilfen und begab mich mit ihm auf den Schnepfenstrich in einen großen Birkenwald am Ufer der Ista.

Viele russische Flüsse haben wie die Wolga ein hohes und ein flaches Ufer; so auch die Ista. Dieser kleine Fluß windet sich launisch wie eine Schlange dahin, fließt keine halbe Werst gerade und ist an manchen Stellen, von einem steilen Hügel herab, zehn Werst weit mit seinen Dämmen, Deichen, Mühlen und Gemüsegärten, von Bachweiden und dichten Gärten umgeben, zu sehen. In der Ista gibt es eine Unmenge Fische, besonders Äschen (die Bauern holen sie an heißen Tagen mit den Händen unter den Sträuchern hervor). Kleine Sandschnepfen schwirren pfeifend längs der steinigen, von kalten und hellen Quellen durchfurchten Ufer; Wildenten schwimmen in die Mitte der Teiche und sehen sich vorsichtig um; Reiher stehen in den Buchten im Schatten der überhängenden Ufer . . . Wir standen etwa eine Stunde auf dem Strich, schossen zwei Paar Waldschnepfen und entschlossen uns, da wir unser Glück vor Sonnenaufgang noch einmal versuchen wollten (man kann auf den Schnepfenstrich auch am frühen Morgen gehen), in der nächsten Mühle zu übernachten. Wir traten aus dem Wald und gingen den Hügel hinab. Der Fluß rollte dunkelblaue Wellen; die von nächtlicher Feuchtigkeit gesättigte Luft wurde immer dichter. Wir klopften ans Tor. Im Hofe bellten die Hunde. »Wer ist da?« ertönte eine heisere und verschlafene Stimme.

»Jägersleute, laß uns übernachten.«

Wir bekamen keine Antwort.

»Wir werden bezahlen.«

»Ich werde es dem Herrn sagen . . . Kusch, ihr Verfluchten . . .! Daß euch die Pest!« – Wir hörten, wie der Knecht in die Stube trat; bald kehrte er zum Tor zurück. »Nein«, sagte er, »der Herr erlaubt nicht, euch einzulassen.«

»Warum erlaubt er es nicht?«

»Er fürchtet, ihr seid ja Jägersleute; wie leicht könntet ihr die Mühle in Brand stecken; ihr habt ja solches Zeug bei euch.«

»Was für Unsinn!«

»Bei uns ist schon vor zwei Jahren die Mühle abgebrannt: Viehhändler haben bei uns übernachtet und sie wohl in Brand gesteckt.«

»Was sollen wir tun, Bruder, wir können doch nicht draußen übernachten!«

»Tut, was ihr wollt . . .« Und er ging, mit den Absätzen klopfend.

Jermolai wünschte ihm allerlei Unannehmlichkeiten. »Wollen wir ins Dorf gehen«, sagte er endlich mit einem Seufzer. Aber bis zum Dorf waren es noch an die zwei Werst . . .

»Wollen wir doch hier übernachten«, sagte ich. »Die Nacht ist warm; der Müller wird uns für Geld wohl Stroh herausschicken.«

Jermolai willigte ohne Widerrede ein. Wir fingen wieder zu klopfen an.

»Was wollt ihr denn?« erklang wieder die Stimme des Knechtes. »Ich hab' euch doch schon einmal gesagt, daß es nicht geht.«

Wir erklärten ihm, was wir wollten. Er ging sich mit seinem Herrn beraten und kehrte mit diesem zurück. Die Pforte knarrte. Es erschien der Müller, ein großgewachsener Mann mit fettem Gesicht, einem Stiernacken und einem runden und dicken Bauch. Er ging auf meinen Vorschlag ein. Etwa hundert Schritt von der Mühle befand sich ein kleiner, von allen Seiten offener Schuppen. Man brachte uns Heu und Stroh heraus; der Knecht stellte im Gras am Fluß den Samowar für uns auf, kauerte sich hin und begann eifrig in den Schornstein zu blasen . . . Die knisternde Kohlenglut beleuchtete hell sein jugendliches Gesicht. Der Müller lief hin, seine Frau zu wecken, und schlug mir schließlich selbst vor, in der Stube zu übernachten; aber ich zog vor, im Freien zu bleiben. Die Müllerin brachte uns Milch, Eier, Kartoffeln und Brot. Bald kochte der Samowar, und wir machten uns ans Teetrinken. Vom Fluß stieg Nebel auf, die Luft war windstill; ringsum schrien die Schnarrwachteln; von den Mühlrädern kam ein leises Geräusch: Es waren die Tropfen, die von den Schaufeln fielen, und das Wasser, das durch die Schleuse sickerte. Wir legten ein kleines Feuer an. Während Jermolai in der Asche Kartoffeln briet, hatte ich Zeit, ein wenig einzuschlummern . . . Ein leises, verhaltenes Flüstern weckte mich. Ich hob den Kopf: Vor dem Feuer saß auf einem umgestürzten, Kübel die Müllerin und unterhielt sich mit meinem Jäger. Ich hatte in ihr schon früher an ihren Kleidern, an der Aussprache und den Körperbewegungen eine frühere Angehörige des Hausgesindes erkannt; sie war jedenfalls kein Bauernweib und keine Kleinbürgerin; aber erst jetzt konnte ich ihre Züge genau unterscheiden. Dem Aussehen nach mochte sie etwa dreißig Jahre alt sein; das schmächtige blasse Gesicht zeigte noch die Spuren einer außergewöhnlichen Schönheit; besonders gut gefielen mir ihre großen, traurigen Augen. Sie stützte beide Ellenbogen auf die Knie und das Gesicht in die Hände. Jermolai saß mit dem Rücken zu mir und legte Späne ins Feuer.

»In Sheltuchina ist wieder eine Viehseuche«, sagte die Müllerin. »Dem Popen Iwan sind beide Kühe eingegangen . . . Gott sei uns gnädig!«

»Und wie steht's mit euren Schweinen?« fragte Jermolai nach einer Pause.

»Die leben.«

»Wenn Ihr mir doch ein Ferkelchen schenken wolltet.«

Die Müllerin antwortete nichts, dann seufzte sie auf.

»Mit wem seid Ihr hier?« fragte sie.

»Mit dem Herrn von Kostomarowo.«

Jermolai warf einige Tannenzweige ins Feuer; die Zweige knisterten sofort laut, und ein dichter weißer Rauch stieg ihm gerade ins Gesicht.

»Warum hat uns dein Mann nicht in die Stube gelassen?«

»Er fürchtet sich.«

»Der Dickwanst . . . Liebste Arina Timofejewna, bring mir doch ein Gläschen Schnaps!«

Die Müllerin erhob sich und verschwand im Dunkeln. Jermolai sang mit halber Stimme:

»Als ich zu der Liebsten lief,
trat ich meine Stiefel schief . . .«

Arina kam mit einer kleinen Flasche und einem Glas zurück. Jermolai erhob sich, bekreuzigte sich und trank den Schnaps in einem Zuge. »Das habe ich gern«, fügte er hinzu.

Die Müllerin setzte sich wieder auf den Kübel.

»Du kränkelst wohl immer, Arina Timofejewna?«

»Ja, ich kränkele.«

»Was fehlt dir denn?«

»Jede Nacht quält mich der Husten.«

»Der Herr ist, glaub' ich, eingeschlafen«, sagte Jermolai nach kurzem Schweigen. »Geh aber nicht zum Doktor, Arina, sonst wird es noch schlimmer.«

»Ich geh' auch nicht.«

»Komm lieber zu mir.«

Arina senkte den Kopf.

»Meine Frau jag' ich dann aus dem Hause«, fuhr Jermolai fort. »Wirklich!«

»Wecken Sie doch lieber den Herrn, Jermolai Petrowitsch; Sie sehen doch, die Kartoffeln sind fertig.«

»Soll er nur schnarchen«, bemerkte mein treuer Diener gleichgültig. »Er hat sich müde gelaufen, darum schläft er jetzt.«

Ich rührte mich auf meinem Heu. Jermolai erhob sich, trat zu mir und sagte: »Die Kartoffeln sind fertig, wollen Sie essen.«

Ich kam aus dem Schuppen heraus; die Müllerin erhob sich von ihrem Kübel und wollte weggehen. Ich zog sie ins Gespräch.

»Habt ihr die Mühle schon lange in Pacht?«

»Zu Pfingsten waren es zwei Jahre.«

»Wo stammt dein Mann her?«

Arina überhörte meine Frage.

»Woher ist dein Mann?« wiederholte Jermolai mit lauter Stimme.

»Aus Bjelew. Er ist ein Bjelewer Kleinbürger.«

»Bist du auch aus Bjelew?«

»Nein, ich bin eine Herrschaftliche . . . bin eine Herrschaftliche gewesen.«

»Wessen?«

»Des Herrn Swjerkow. Jetzt bin ich frei.«

»Welcher Swjerkow ist das?«

»Alexander Silytsch.«

»Warst du nicht Zofe bei seiner Frau?«

»Ich war es. Woher wissen Sie das?«

Ich sah Arina mit doppelter Neugierde und Teilnahme an.

»Ich kenne deinen Herrn«, fuhr ich fort.

»Sie kennen ihn?« fragte sie mit leiser Stimme und senkte die Augen.

Ich muß dem Leser erklären, warum ich Arina mit solcher Teilnahme ansah. Während meines Aufenthaltes in Petersburg hatte ich zufällig den Herrn Swjerkow kennengelernt. Er bekleidete einen ziemlich hohen Posten und galt als kenntnisreicher und erfahrener Mensch. Er hatte eine korpulente, empfindsame, zum Weinen aufgelegte und böse Frau, ein schwerfälliges Dutzendgeschöpf; er hatte auch ein Söhnchen, ein echtes, verzogenes und dummes Herrschaftskind. Das Äußere des Herrn Swjerkow nahm nicht zu seinen Gunsten ein: Aus seinem breiten, beinahe viereckigen Gesicht blickten listig zwei kleine Mauseaugen und ragte eine große und spitze Nase mit weitgeöffneten Nasenlöchern; die kurzgeschorenen grauen Haare stiegen wie Borsten über der gerunzelten Stirn empor, und die dünnen Lippen bewegten sich fortwährend und lächelten zuckersüß. Herr Swjerkow stand gewöhnlich mit gespreizten Beinen da, die dicken Hände in den Hosentaschen. Einmal mußte ich mit ihm im Wagen vor die Stadt fahren. Wir kamen ins Gespräch. Als erfahrener und tüchtiger Mensch fing Herr Swjerkow an, mir ›den rechten Weg‹ zu weisen.

»Gestatten Sie mir die Bemerkung«, sagte er schließlich mit seiner piepsenden Stimme. »Ihr jungen Leute urteilt und redet über alle Dinge aufs Geratewohl; ihr kennt euer Rußland nicht – das ist die Sache! Ihr lest ja nur deutsche Bücher. Sie sagen mir jetzt zum Beispiel dies und jenes von den Leibeigenen . . . Gut, ich will nicht streiten, das ist alles schön, aber Sie kennen sie nicht, Sie wissen gar nicht, was das für ein Volk ist.« Herr Swjerkow schneuzte sich geräuschvoll die Nase und nahm eine Prise. »Gestatten Sie mir zum Beispiel, Ihnen eine kleine Anekdote zu erzählen; sie kann Sie interessieren.« Herr Swjerkow räusperte sich. »Sie wissen ja, was ich für eine Frau habe. Eine gutmütigere Frau kann man wohl schwer finden, das werden Sie mir zugeben. Ihre Zofen haben ein paradiesisches Leben . . . Aber meine Frau hat es sich zum Grundsatz gemacht, keine verheirateten Zofen zu halten. Solche taugen auch wirklich nicht. Sie kriegen Kinder, bald dies, bald jenes; wie soll dann die Zofe so, wie es sich gehört, ihre Herrin bedienen und auf ihre Gewohnheiten achten? Sie hat dann ganz andere Sachen im Kopf. Man muß die Sache rein menschlich nehmen. So kamen wir einmal durch eines unserer Dörfer, es sind, wenn ich mich recht besinne, an die fünfzehn Jahre her. Da sehen wir, der Schulze hat eine Tochter, ein reizendes Mädel; sie hat sogar, wissen Sie, etwas Einschmeichelndes in den Manieren. Meine Frau sagt zu mir: ›Koko‹, wissen Sie, sie pflegte mich so zu nennen, ›wollen wir dieses Mädel nach Petersburg mitnehmen, sie gefällt mir, Koko . . .‹ Ich sage: ›Mit Vergnügen, nehmen wir sie nur mit.‹ Der Schulze fällt uns natürlich zu Füßen; dieses Glück, verstehen Sie, hatte er gar nicht erwartet. . . . Das dumme Mädel weinte natürlich. Es ist ja anfangs wirklich traurig: das Vaterhaus . . . und überhaupt . . . Es ist wirklich nicht zu verwundern. Aber sie gewöhnte sich bald an uns; zuerst steckten wir sie in die Mädchenkammer und ließen sie natürlich abrichten. Und was glauben Sie . . .? Das Mädel zeigt ungewöhnliche Fortschritte; meine Frau ist ganz verliebt in sie; schließlich macht sie sie mit Umgehung der anderen zu ihrer Kammerzofe . . . Beachten Sie es bloß . . .! Man muß ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen: Eine solche Zofe hat meine Frau noch nie gehabt, dienstfertig, bescheiden, gehorsam – mit einem Wort alles, was man sich nur wünscht. Dafür verzog sie meine Frau offen gestanden in einer übertriebenen Weise: Sie kleidete sie vorzüglich, ließ sie von der herrschaftlichen Tafel essen, gab ihr Tee zu trinken – mit einem Wort alles, was Sie sich nur vorstellen können. Eines schönen Morgens kommt plötzlich Arina – sie hieß Arina –, denken Sie sich nur, ohne Anmeldung zu mir ins Kabinett und fällt mir zu Füßen . . . Offen gestanden kann ich das nicht leiden. Der Mensch soll nie seine Würde vergessen, nicht wahr? – ›Was willst du?‹. – ›Väterchen Alexander Silytsch, ich bitte um eine Gnade.‹ – ›Um was für eine Gnade?‹ – ›Erlauben Sie mir, zu heiraten.‹ – Offen gestanden war ich darüber erstaunt. ›Du weißt doch, dumme Gans, daß meine Frau keine andere Zofe hat?« – ›Ich will der Gnädigen weiter dienen.‹ – ›Unsinn! Unsinn! Die Gnädige hält sich keine verheirateten Zofen.‹ – ›Die Malanja kann an meine Stelle treten.‹ – ›Räsoniere bitte nicht!‹ – ›Wie Sie wollen . . .‹ – Offen gestanden war ich ganz starr vor Erstaunen. Ich muß Ihnen sagen, daß ich ein Mensch bin, den nichts so sehr kränkt wie Undankbarkeit . . . Ihnen brauche ich es nicht zu sagen, Sie wissen doch, was ich für eine Frau habe: Sie ist ein Engel in Menschengestalt, die Güte selbst. . . . Selbst ein Verbrecher müßte mit ihr Mitleid haben. Ich warf Arina hinaus. Ich dachte mir, sie würde zur Besinnung kommen; ich wollte, wissen Sie, an das Böse, an den schwarzen Undank im Menschen nicht glauben. Und was denken Sie? Nach einem halben Jahr kommt sie wieder zu mir mit der gleichen Bitte. Diesmal warf ich sie ganz wütend hinaus und drohte ihr, es meiner Frau zu sagen. Ich war empört . . . Stellen Sie sich nur mein Erstaunen vor: Einige Zeit später kommt zu mir meine Frau in Tränen und so aufgeregt, daß ich sogar erschrak. – ›Was ist denn geschehen?‹ – ›Arina . . .‹ Sie verstehen, ich schäme mich, es auszusprechen. – ›Es kann nicht sein . . .! Wer war es denn?‹ – ›Der Lakai Petruschka.‹ Ich geriet ganz außer mir. Ich bin mal so ein Mensch . . . ich liebe keine halben Maßregeln . . .! Petruschka . . . hat keine Schuld. Bestrafen kann man ihn wohl, aber er ist meiner Ansicht nach nicht der Schuldige. Arina . . . was soll man da noch viel reden? Ich befahl natürlich sofort, ihr die Haare abzuschneiden, sie in Zwillich zu kleiden und ins Dorf zu schicken. Meine Frau verlor eine vorzügliche Zofe, aber es war nichts zu machen: Man darf doch keine Unordnung im Hause dulden. Ein krankes Glied schneidet man lieber gleich ab . . . Nun urteilen Sie selbst, Sie kennen ja meine Frau, sie ist doch wirklich . . . ein Engel . . .! Sie hatte sich an Arina gewöhnt, und Arina wußte das und hatte sich doch nicht gescheut . . . Wie? Sagen Sie mir doch . . . Wie? Aber was soll man da viel reden! Jedenfalls war nichts zu machen. Was mich persönlich betrifft, so fühlte ich mich noch lange Zeit durch die Undankbarkeit dieses Mädchens gekränkt. Was Sie auch sagen mögen – Herz, Gefühl werden Sie in diesen Menschen nicht finden! Man mag den Wolf füttern, soviel man will, er schielt immer nach dem Wald . . . Das ist aber eine Lektion für die Zukunft! Ich wollte Ihnen nur beweisen . . .«

Herr Swjerkow beendete seine Rede nicht, wandte den Kopf weg, hüllte sich fester in seinen Mantel und unterdrückte männlich seine Aufregung.

Der Leser begreift jetzt wahrscheinlich, warum ich Arina mit Teilnahme betrachtete.

»Bist du schon lange mit dem Müller verheiratet?« fragte ich sie schließlich.

»Seit zwei Jahren.«

»Nun, hat es dir dein Herr erlaubt?«

»Man hat mich freigekauft.«

»Wer denn?«

»Sawelij Alexejewitsch.«

»Wer ist das?«

»Mein Mann.«

Jermolai lächelte vor sich hin.

»Hat denn mein Herr Ihnen von mir erzählt?« fragte Arina nach kurzem Schweigen.

Ich wußte nicht, wie ich ihre Frage beantworten sollte.

»Arina!« rief der Müller aus der Ferne.

Sie erhob sich und ging.

»Hat sie einen guten Mann?« fragte ich Jermolai.

»Das nicht.«

»Haben sie Kinder?«

»Sie haben eins gehabt, es ist aber tot.«

»Hat sie dem Müller so gut gefallen? Wieviel Lösegeld hat er für sie bezahlt?«

»Ich weiß es nicht. Sie kann lesen und schreiben; in ihrem Geschäft ist das . . . gut. Sie gefiel ihm wohl.«

»Kennst du sie schon lange?«

»Lange. Einst pflegte ich zu ihrer Herrschaft zu kommen. Ihr Gut ist nicht weit von hier.«

»Kennst du auch den Lakai Petruschka?«

»Den Pjotr Wassiljewitsch? Gewiß, ich kannte ihn wohl.«

»Wo ist er jetzt?«

»Ist unter die Soldaten gekommen.«

Wir schwiegen eine Weile.

»Sie scheint nicht ganz gesund zu sein?« fragte ich schließlich Jermolai.

»Ganz und gar nicht . . .! Morgen gibt es aber einen guten Schnepfenstrich. Sie sollten jetzt etwas ausschlafen.«

Ein Schwarm Wildenten flog sausend über uns vorbei, und wir hörten, wie sie sich auf dem Fluß nicht weit von uns niederließen. Es war schon ganz dunkel geworden, es begann auch kalt zu werden; im Gehölz schlug laut die Nachtigall. Wir vergruben uns ins Heu und schliefen ein.


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