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Jule hat eine Wut

Aus dem großen Kinderzimmer, das im ersten Stockwerk der Benderschen Villa lag, scholl lautes Poltern und Rumpeln. Das zehnjährige Hannchen, dem rechts und links je ein blonder Zopf über die Schultern hing, räumte das Zimmer um. Der große Tisch, sonst in der Mitte, wurde seitwärts geschoben; darauf stellte das Kind den hochbeinigen Stuhl mit dem blauen Kissen. Vor den Stuhl kam der Handtuchhalter. Er fiel zwar erst mehrmals herunter, aber endlich war der merkwürdige Aufbau vollendet. Die blondzöpfige Hanna, seit vielen Jahren nur »Pommerle« genannt, betrachtete mit den blauen Augen prüfend das Werk ihrer Hände. Nun wurden die vielen Puppen, die Pommerle besaß, herbeigeholt, behutsam auf Stühle gesetzt oder an die Wand gestellt; jeder einzelnen drohte das kleine Mädchen mit dem Finger.

»Daß du keinen Radau machst, Berberitze! Du mußt ganz still sein! Und du, Hornblende, hast immer einen großen Mund. Jetzt schweigst du – gleich geht es los. – Schau nur, wie artig der Baldrian dort sitzt. Oh – der Granit ist umgefallen, er schläft schon wieder! – Wach auf, Granit!«

Pommerle eilte zu dem umgefallenen Puppenkind, einem blondlockigen Knaben in Gebirgstracht, dessen Schlafaugen geschlossen waren.

»Schäme dich, Granit, gleich sollst du eine gelehrte Rede hören und gut aufpassen; schlafen kannst du in der Nacht. – Nicht wahr, liebe Fenchel?«

Nochmals schritt Pommerle prüfend die elfköpfige Puppenreihe entlang und nickte zufrieden. Die großen und kleinen Puppenkinder schienen erwartungsvoll auf den Tisch zu starren, auf den Stuhl, auf den davorgestellten Handtuchhalter.

»Oh –«, rief Pommerle und schlug mit der flachen Hand gegen die Stirn, »der Lora wird es nichts schaden, wenn sie den gelehrten Vortrag hört, und der Schnapp muß auch dabei sein.«

Aus dem Wohnzimmer wurde der Käfig mit dem Papagei geholt.

»Rück mal ein Stückchen, Hornblende, hier kommt die Lora her. – Na, Lavendel, du könntest doch von selbst Platz machen. – So, ist nun alles in Ordnung?«

»Schafskopf«, rief der Papagei und plusterte das bunte Gefieder auf. Es schien ihm nicht zu gefallen, daß er seinen Sonnenplatz am Fenster des Wohnzimmers verlassen mußte und hier auf den Fußboden neben die leblosen Puppenkinder gestellt worden war.

»Du –«, sagte Pommerle vorwurfsvoll, »man soll nicht stören, wenn andere reden. Und dein häßliches Wort brauchst du überhaupt nicht zu sagen. – So, nun hole ich den Schnapp!«

Anna, das langjährige Mädchen Benders, wusch in der Küche das Geschirr ab. Schnapp saß daneben und wartete darauf, daß für ihn noch ein zurückgelassener Happen abfiel. Er sprang an Pommerle sofort empor, als sie die Küche betrat.

»Anna, ich muß den Schnapp haben. Er soll einen Vortrag hören.«

»Was machst du schon wieder, Pommerle? Wenn Vati und Mutti fort sind, treibst du allerhand dummes Zeug.«

Vorwurfsvoll richtete Pommerle die Augen auf die treue Hausgenossin. »Es ist kein dummes Zeug, Anna, es ist etwas sehr Gelehrtes. Genau so wie beim Vati, als ich damals mit der Mutti in den großen Saal gucken durfte. Weißt du, als wir in Breslau waren. Das war auch kein dummes Zeug. Dort hat der Vati an einem hohen Tisch gesessen, und viele große Leute waren herum und haben still zugehört. – Komm, Schnapp, es geht gleich los!«

»Stell nur die Wohnung nicht auf den Kopf, Pommerle. Du weißt, die Eltern kommen in zwei Stunden zurück.«

»Bis dahin ist der Vortrag längst zu Ende, Anna.«

Schnapp folgte Pommerle ins Kinderzimmer. Er hatte keinen Blick für die elf Puppenkinder, nur den Papagei knurrte er an, da Lora beim Eintreten des Hundes wieder ihren Ruf »Schafskopf« hören ließ.

»Leg dich hin, Schnapp! Marmora freut sich, wenn sie neben dir sitzen kann.« Mit diesen Worten führte Pommerle den Hund zu einer Puppe in weißem Spitzenkleid, deren rosige Wangen längst abgekratzt waren.

»Seid ihr alle da, meine verehrten Herren? Nun kann der Vortrag beginnen.«

Mit Hilfe eines Stuhles stieg Pommerle auf den Tisch, nahm oben vorsichtig Platz, schob den Handtuchhalter als Katheder vor sich hin und klopfte schließlich mit dem Lineal, das sie in der rechten Hand hielt, gebieterisch auf die Holzleiste.

»Sehr geehrte Herren! Sie haben sich heute hier bei mir versammelt, um meinen Vortrag zu hören. Ich bin der gelehrte Professor Bender aus Hirschberg, der die berühmten Bücher über die Fauna und Flora unseres Riesengebirges schreibt. – Herr Geheimrat Granit, bitte, passen Sie auf, wenn ich etwas sage! – Und nun fahre ich in meinem Vortrage fort.«

Pommerle machte eine Bewegung mit der Hand, vom Kinn nach abwärts, als streiche sie über den langen Bart. Genau so machte es Vati, wenn er am Schreibtisch saß und die Augen nach innen drehte. So erschien es dem Kinde, wenn der Vater über etwas angestrengt nachdachte.

»Meine hochverehrten Herren, wir fahren nun fort. – Sie wissen, daß es viele Gesteine gibt, Sie wissen, daß ich einmal meinen fünfzigsten Geburtstag feierte und viele berühmte Leute bis aus Schweden zu mir kamen und mich beglückwünschten. Dann haben wir ein Ständchen gebracht, mit allen meinen Schulfreundinnen, und viel Kuchen gegessen. Das war sehr schön.«

»Schafskopf! – Schafskopf!«

»Schäme dich, Lora«, rief das Kind entrüstet, »du vergißt, daß ein berühmter Mann vor dir steht, von dem du viel lernen kannst. – Also, meine Herren – ich bin der Professor Bender, aus der Hirschberger Villa, der vor vielen Jahren an die Ostsee fuhr und mich von dort mitbrachte. Ich war damals noch ein ganz kleines Mädchen, das im Pommernlande lebte. Gerade als der berühmte Professor Bender dort war, in Neuendorf, an der lieben Ostsee, gerade da ist mein Vater ertrunken. Dann hat mich der Professor mitgenommen, hierher nach Hirschberg, und ich bin seine Tochter geworden, und bin nun nicht mehr die Hanna Ströde, sondern Benders Pommerle, und habe wieder einen Vati und eine Mutti. Aber die habe ich erst bekommen an dem Weihnachtsfest, als ich auch einen Roller kriegte. – Oh, du schläfst ja schon wieder, du oller Granit!«

Pommerle kletterte von dem hohen Vortragssitz herunter, lief zur Wand und richtete die umgefallene Puppe wieder auf.

»Du bist ein ungeratener Student, Granit! Wie kannst du was lernen von der Fauna oder der Flora des Riesengebirges, wenn du immerzu schläfst?«

Wieder stieg Pommerle aufs Katheder. Als sie sich aber auf den Stuhl setzen wollte, stieß sie an den Handtuchhalter, der polternd zur Erde fiel.

»Schafskopf!« rief Lora.

Pommerle kletterte herunter vom Katheder, hob den Ständer hinauf und wollte sich eben wieder auf dem Stuhl niederlassen. Da kippte er um, und Stuhl und Handtuchhalter fielen herab. Der Hund bellte, der Papagei lachte.

»Meine sehr geehrten Herren«, sagte Pommerle ärgerlich, »einen berühmten Mann wie mich, dem man aus Schweden Ehrungen zukommen ließ, lacht man doch nicht aus! Sogar der Geheimrat Unhold ist mal in diesem Hause gewesen und hat uns eine Hörnerschlittenfahrt kaputt gemacht. Aber weil mein Vati so berühmt ist, konnte er sich nicht in den Schlitten setzen, er mußte mit dem Geheimrat sprechen. – Oh – – jetzt ist das Bein vom Stuhl abgebrochen. – Was machen wir nun?«

»Hahaha«, lachte der Papagei.

»Du bekommst einen Tadel, Lora! Ich stelle dich in die Ecke, wenn du frech bist. In einem Gelehrtenhause muß man sich gelehrt betragen. Hast du nicht gehört, daß schon wieder berühmte Leute zu uns gekommen sind, die den Vati in das Land der höchsten Berge holen wollen, in die Schweiz? Ja, ja, Hornblende, da staunst du! Und der Kalk macht auch schon ganz große Augen. Ihr kennt die Schweiz alle noch nicht, auch du nicht, Lavendel. Na, ihr werdet staunen. Dort gibt es massenhaft Steine für den Vati. – Was mache ich nur mit dem Stuhl?«

Pommerle stand in der Mitte des Zimmers und betrachtete mit traurigem Gesicht das abgebrochene Stuhlbein.

»Es ist ein Glück«, sagte sie, sich selber Trost zusprechend, »daß mein allerbester Freund, der liebe Jule, bei Meister Reichardt die Tischlerei erlernt. Der flickt das Bein schnell wieder an.«

Doch der Vortrag durfte trotz des abgebrochenen Stuhlbeins keine Unterbrechung erleiden. Wieder war Pommerle auf den Tisch gestiegen, stand vor dem Handtuchhalter und begann erneut: »Meine sehr geehrten Herren! Wir kommen jetzt zu den Gesteinsarten des Riesengebirges, wie mein Buch heißt, das in dem blauen Deckel im Schrank steht. Wir haben große und kleine Steine, hohe und niedrige Berge im Riesengebirge, wir haben – –«

Mit einem Ruck wurde die Tür geöffnet. Die Puppen Berberitze und Baldrian fielen auf die Nasen und wurden unsanft zur Seite gestoßen. Ein etwa sechzehnjähriger Knabe, hochaufgeschossen, mit rotem Haar, stürzte ins Zimmer und rief mit schriller Stimme:

»Ist das wahr, Pommerle? Gehst du schon wieder weg aus Hirschberg?«

Pommerle sprang vom Tisch herunter und fiel dem Jugendgespielen stürmisch um den Hals.

»Jule – Julchen, du kommst wie hergepustet! Sieh mal her – – kaputt!«

Aber Jule, der sechzehnjährige Tischlerlehrling, warf keinen Blick auf das abgebrochene Stuhlbein. Erregt schaute er das kleine Mädchen an:

»Der Meister sagte mir eben, du willst schon wieder fortfahren. Ist das wahr, Pommerle?«

»Ja, Jule, in das Land der allerhöchsten Berge von der ganzen Welt!«

»Was willst du denn da?«

Pommerle strich dem erregten Jule zärtlich über die Wange. »Du mußt nicht immer gleich so schreien. Du bist hier in einem Vortragssaal. Da sitzen die Leute still und hören zu.«

»Ich will nur wissen, ob du wieder fortfährst.«

»Ich glaub' schon, Jule! Der Vati soll nach der Schweiz kommen, er soll gleich nach Ostern vielen Schweizer Leuten schöne Vorträge halten von Steinen und Blumen. Er ist doch ein ganz berühmter Mann.«

»Da brauchst du doch nicht mitzufahren!«

»Erst wollte der Vati auch nicht, daß wir mitkommen, weil ich doch dann ein paar Monate aus der Schule fortbleiben müßte. Aber du weißt ja, daß die Mutti im Winter immerfort gehustet hat und schließlich einen spitzen Lungenkatarrh gekriegt hat. Nun meint der Doktor: in der Schweiz ist eine warme, schöne Luft. Dort soll sie hin, und ich gehe mit.«

»Ach Quatsch! In der Schweiz ist gar keine hübsche warme Luft! Dort gibt es Eis und Schnee bis in den heißen Sommer hinein. Sabine sagt das auch. Im Juli und im August treten die Leute noch im Eis herum. Deine Mutter soll lieber hierbleiben und du auch!«

»Mußt nicht immer gleich Krach machen, lieber Jule.«

»Soll ich mich etwa freuen, wenn du weggehst? Ich sag' dir, ich hab' 'ne Wut im Leibe, eine Wut – –«

»Ach, Julchen, hab' doch keine Wut! Du hast immer gleich 'ne Wut im Leibe. Wenn der Sommer vorüber ist, bin ich wieder bei dir. Dann wirst du bald Geselle.«

»Ich soll den ganzen Sommer ohne dich in Hirschberg sein? Gerade im Sommer, wo die Berge ganz besonders schön sind. Wo wir wieder mal nach der Schneekoppe gehen könnten oder nach der Hampelbaude. Ach, ich hab' 'ne Wut, eine Wut – –«

»Mußt hübsch friedlich sein, Jule! Die gelehrten Leute wollen halt, daß der Vati nach der Schweiz kommt. Dort soll er ihnen von den Steinen erzählen.«

»Die Steine habe ich ihm immer gesucht. Als ich noch ein kleiner Junge war, bin ich schon überall im Riesengebirge für ihn herumgestiegen. Darum ist er auch so berühmt geworden. – Er müßte mich eigentlich mitnehmen.«

»Wenn du mal Meister bist, Jule, so ein richtiger, hübscher Tischlermeister, mit schwarzen Locken, wie Meister Grimm, kannst du auch nach der Schweiz fahren.«

»Quatsch! – Ich habe 'ne Wut im Leibe – – Erst fährst du nach der Ostsee und bist fort, dann willst du nach Schweden – –«

»Ich bin doch gar nicht nach Schweden gefahren.«

»Dann brauchst du auch jetzt nicht nach der Schweiz.«

»Ach, doch – ich muß bei der Mutti sein. Sie darf sich mit ihrem spitzen Lungenkatarrh nicht anstrengen. Der Onkel Doktor sagte, ich könnte ihr manche Arbeit abnehmen, und dann wird sie schneller gesund.«

Jule Kretschmar senkte den Kopf mit dem rötlichen Haar. Dabei erblickte er die elf Puppenkinder, die an der Wand saßen. Mit dem Fuß stieß er nach einem gelbgekleideten Puppenmädchen.

»Du«, rief Pommerle entrüstet, »wenn du der Hornblende was tust, haut sie dir eine 'runter! Das darf sie.«

»So ein Quatsch!«

»Das ist kein Quatsch, Jule. Meine Puppenkinder haben berühmte Namen, die in Vaters dickem Buch mit dem blauen Deckel stehen. Über den Granit und die Hornblende hat er viele Seiten voll geschrieben. Und auch über den Basalt und den Marmor. Die Leute, die meinen Vati ehren, haben in Hirschberg schon eine Straße nach ihm genannt. Nun ehre ich den Vati auch und nenne meine Puppenkinder nach dem, was er schreibt. – Verstehst du das, Julchen?«

»Wie heißen sie denn?«

Pommerle wies der Reihe nach mit dem Finger auf ihre einzelnen Puppenkinder. »Das hier ist der faule Granit, der immerfort schläft. Die hier, mit dem zerkratzten Gesicht, ist die Marmora, hier die Erika, die Hornblende. Das hier, mit dem einen Arm, ist der Kalk, der mit dem halben Bein der Basalt, und die ganz dünne, der schon die Hobelspäne aus dem Bauch gefallen sind, ist meine Lavendel. Die hat der Schnapp mal vorgehabt. Deswegen habe ich die Lavendel doppelt gern, weil sie krank und verwundet ist. Vielleicht kommt sie mit in die Schweiz, damit sie auch weiche, warme Luft hat. – Und die Kleine hier ist die Berberitze.«

»Hahaha, der hast du ja die Augen schon eingestoßen!«

»Und doch habe ich sie lieb. Ich muß dann immer an die Sabine denken, an die liebe Tochter deines Meisters.«

»Du, die Sabine hat doch Augen.«

»Freilich, sie stecken ihr noch im Kopf, aber die Augen sind ganz tot und können nichts mehr sehen. – Trotzdem sieht die Sabine mit den Händen. – Na, Julchen, das weißt du ja.«

»Und wie heißt die schmierige Liese hier?«

»Das ist mein Fenchel, und der letzte, der Kleine, ist mein Baldrian. Ich habe elf liebe Puppenkinder. Wenn in der Schweiz wieder mal ein berühmter Mann mit mir redet, wie bei Vatis fünfzigsten Geburtstag, sage ich ihm, daß ich noch gern ein zwölftes Puppenkind haben möchte. Dann ist das Dutzend voll.«

»Ist ja alles Quatsch! – Sag' mir nu' mal wirklich, ob du nach der Schweiz fährst.«

Pommerle blinzelte den Freund verschmitzt an. »Ich war gerade in einem großen, berühmten Vortrag, da hast du mich gestört. Wenn du dich ganz still in die Ecke setzest und zuhörst, erkläre ich dir alles.«

»Ich will doch nur wissen, ob du nach der Schweiz fährst.«

Pommerle reckte beide Arme hoch und legte sie auf die Schultern des hochgewachsenen Lehrlings. Der ließ sich willenlos von Pommerle zusammenknicken und setzte sich auf den Fußboden. Er brummte zwar einige unverständliche Worte, schwieg dann aber abwartend, als Pommerle wieder auf den Tisch kletterte.

»Meine hochverehrten Herren! Ich sehe, ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Es ist – – es ist – – es ist ein Rufen an mich ergangen. Diesem Rufen mußte ich Folge leisten. Darum muß ich, meine sehr verehrten Herren, gleich nach Ostern in das Land der hohen Berge, um nachzusehen, aus welchen Steinen diese hohen Berge sind. So etwas, meine Herren, muß gründlich untersucht werden, denn ich muß wieder ein dickes Buch schreiben. Dafür bekomme ich Geld. Dann kaufe ich meiner Tochter Pommerle den kleinen Blumenkasten mit dem vielen bunten Papier – –«

»Ich will wissen, ob du nach der Schweiz fährst!«

»Unterbrechen Sie mich nicht, mein Herr! – Meine Tochter, die – – die – – die meine rechte Hand bei meinen Forschungsreisen ist, nehme ich mit, denn – –«

Jule sprang auf, griff nach dem Stuhlbein und schlug damit auf den Tisch. »Ich hab's ja gewußt, daß in diesem Frühling wieder was Dummes 'rauskommen wird! – Du bist eine Verräterin, Pommerle! Da singst du immerfort das Lied von dem schönen Schlesien, von der teuren Heimat. Und wenn die Heimat grün wird, fährst du entweder an die Ostsee oder gar in die Schweiz, die noch viel weiter ist. Ich habe die Sabine gefragt. Mir kannst du nichts vorreden! Wenn man nach der Schweiz will, fährt man einen Tag und eine ganze Nacht. Dann ist man noch immer nicht aus den hohen Bergen. – Na, ich hab' 'ne Wut im Leibe, eine Wut – –«

»Aber Jule, ich komm' doch wieder.«

»Nein, eines Tages kommst du nicht wieder. Dann muß der Professor erst alle Berge untersuchen. In der Schweiz gibt es so viele Berge, daß er sein Leben lang mit Suchen nicht fertig wird. Wenn ich früher mal einen Tag aus der Schule fortblieb, haben alle mächtigen Krach gemacht. Und du willst von Ostern bis zum Herbst wegbleiben. Das geht einfach nicht.«

»Jule, schimpfe doch nicht so! Du bist immer mein lieber Jule gewesen. Wir spielen so schön zusammen. Ich sehe dir auch so gerne zu, wenn du arbeitest. – Mach mir doch wieder das Stuhlbein dran, mit dem dicken braunen Leim. Und dann laß deine Wut.«

»Pah, mit Leim wird das halten! Wie dumm du bist!«

»Julchen, ich bin doch kein Tischler wie du. Alles kann ich nicht wissen.«

»Dann brauchst du auch nicht nach der Schweiz zu fahren.«

Aus dem Nebenzimmer klangen fünf Schläge, die die große Standuhr ertönen ließ. Jules Augen wurden kreisrund. »Was ist denn das?«

»Unsere Uhr, Jule.«

»Schon fünf? Ich sollte doch eine Viertelstunde vor fünf bei Grimmberg sein, um den zerbrochenen Tisch abzuholen. – Pommerle, ich muß weg! Ich bin nur schnell mal hier hereingesprungen, weil Meister Reichardt sagte, daß der Professor nach der Schweiz will.«

»O weh, Julchen, dann lauf aber fix! Die Uhr geht ganz richtig!«

Jule wollte zur Tür hinauseilen. Da hielt ihn Pommerle zurück. »Nimm doch gleich das Stuhlbein mit.«

Jule griff rasch nach dem Bein. »Das sage ich dir, Pommerle, wenn du fortfährst, hab' ich 'ne Wut im Leibe! – Überlege es dir noch mal, Steine gibt es hier auch, und warme Luft haben wir hier auch. In der Schweiz ist es garstig und kalt. – Wann kommst du mal zum Meister?«

»Morgen komm' ich zu Sabine.«

Jule stürmte davon. Er hatte wohl das Stuhlbein mitgenommen, aber der zerbrochene Stuhl lag nach wie vor auf der Erde. Pommerle lachte schallend.

»Nun möchte ich nur wissen, wie der Jule das Bein dranmachen will, wenn er den Stuhl nicht hat. Aber – meine Herren, wir wollen uns nicht stören lassen.«

Pommerle rückte die elf Puppenkinder zurecht, kletterte wieder auf den Tisch und begann abermals:

»Meine hochverehrten Herren, ich werde Ihnen jetzt einen Vortrag über die Fauna und die Flora des Riesengebirges halten.«


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