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XVII
Heimwärts

Am Morgen des 1.November 1924 fuhr die »Merkara« von Kalkutta ab. Eine Dampfbarkasse brachte uns ans Schiff. Der Himmel war bewölkt, aber es war schwül, feucht und drückend, wie bei uns vor einem schweren Gewitter. Langsam glitten wir aus dem Hafen heraus und ließen die Stadt hinter uns. Immer aber behielten wir das Ufer im Auge; fuhren manchmal ganz nahe heran und sahen die schilfgedeckten Hütten der Eingeborenen wie Pfahldorfhäuser unter den hohen Palmen träumen. Und dann ging es hinaus auf das Meer, das uns blaugrün entgegenschimmerte. Langsam entschwand die Küste unseren Blicken, und erst nach zwei Tagen sahen wir wieder Land, als wir nach Madras kamen. Ein furchtbares Wetter hielt uns hier zwei Tage fest. Ich ging mit einem Herrn an Land; wir nahmen uns einen Wagen und fuhren auf der Strandpromenade, der Marina, der Stadt zu. Hier war es drückend schwül, und man ahnte das kommende Wetter. In einem Hotelgarten nahmen wir unser Mittagessen ein, aßen nur wenig, waren zu schlaff, um nur die Gabel an den Mund zu führen. Schon morgens, als wir am Strande entlang fuhren, hatten wir eine Wolkenwand am Meere aufziehen sehen. Am Strande lief ein Trupp halbnackter schwarzer Eingeborener zu einem Boot, das durch die Brandung ans Ufer wollte. Ich wurde lebhaft an ein Bild erinnert, das ich als Schulbube einst in einem illustrierten Robinson-Krusoe-Buch gesehen hatte. Der schneeweiße Strand flimmerte im hellen Sonnenlicht, und der Gischt der sich überstürzenden Wogen glitzerte wie Tausende von Diamanten. Am Spätnachmittag brach der Sturm los. Der Regen klatschte hernieder, der Wind heulte und die Temperatur sank von Grad zu Grad. Das dicke Ankertau, mit dem unser Schiff befestigt war, riß mitten durch, so daß wir in der Reede ankern mußten. Die Wellen wurden von Stunde zu Stunde höher, und das Schiff schlingerte hin und her. Wie eine Nußschale schaukelte der kleine Lotsendampfer inmitten der hohen Wellen. Stets war es mit großen Schwierigkeiten verbunden, die Schiffstaue um die Bojen zu legen, die in den Wogen auf und ab tanzten. Um die Arbeit bewältigen zu können, mußte ein Inder von einem großen Boot aus auf die Boje springen, ein Kunststück, das ihm jedesmal glänzend gelang. Als am folgenden Tage sich der Sturm gelegt hatte, fuhren wir weiter nach Ceylon.

Nie werde ich den Morgen vergessen, als die ersten Berge dieser paradiesischen Insel am Horizonte auftauchten. Blauschwarz, mit einem Stich ins Grünliche, schillerte das Meer, und in weichen, lila Tönen schwebten die Berge über der weiten Wasserfläche. Man konnte glauben, es sei eine Fata Morgana. Um die hohen, in bläulichen Farben schimmernden Berge der Insel, unter denen der Adamspik besonders hervortrat, hingen einige weiße Wolken, auf die die Sonne herniederschien. Am weißen Strande ziehen sich die Kokospalmenwälder hin, und die hohen Wipfel neigen sich im Winde. Schon von ferne sehen wir die Einfahrt in die Reede von Kolombo; kleine Auslegerboote, Einbäume, fahren an uns vorbei, und wir können mit dem Fernglase verschiedene Dampfer erkennen, die dem Hafen zusteuern oder in See stechen. Eine große Dreimasterbark wird von einem kleinen Dampfer herausgeschleppt.

Es waren nur Stunden, die ich auf der Insel zubringen durfte, aber Stunden, die mir stets unvergeßlich bleiben werden. Noch sehe ich die hohen Palmenalleen vor mir, noch glaube ich, wenn abends alles still ist, das Rauschen der Brandung bei Mount Lavinia zu hören! Die roten Straßen, das vielfarbige saftige Grün der Wälder, das blaue Meer und der helle Himmel haben sich zu einem Bilde verdichtet, das immer wieder vor meine Augen tritt. Und Friede und Ruhe herrschen hier. Wie kleine Schlösser liegen die Bungalows der Engländer in schönen Gärten, und die Hütten der Eingeborenen schmiegen sich an die hohen Palmen. Am Straßenrande saßen Gaukler und Schlangenbändiger, die nach dem Klange einer Flöte ihre Kobras tanzen ließen. Kolombo hat auch viele schöne, im europäischen Stil erbaute Häuser und prächtige Läden. Auf den Straßen herrscht ein lebhafter Verkehr; ab und zu sieht man noch Rikschas; sonst aber triumphiert auch hier das Auto.

Am anderen Morgen, in aller Frühe, als die Sonne ihre ersten Strahlen über das Eiland ausgoß, fuhren wir aus der Reede heraus. Langsam verschwanden die Palmenwälder und die Häuser, und bald schauten nur ein paar hellblaue Berge noch über das blaugrüne Meer. Lange stand ich an der Reeling, blickte hinüber nach Osten, wo Ceylons Gipfel langsam unter den Horizont tauchten, und nahm Abschied von Indien. Es wurde mir sehr schwer. Viele glückliche Tage, Wochen, ja Monate hatte mir Indien geschenkt. Jetzt ging es Europa zu. Es war mir, als ob ich mit dem Abschied von Indien auch Abschied von der Sonne nahm. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, bin ich erst wieder ein halbes Jahr in der Heimat, und schon drängt es mich wieder hinaus; die Stille der asiatischen Berge und die Märchenpracht Indiens rufen mich. Das Heimweh nach dem großen Asien hat mich bereits gepackt, und im stillen arbeite ich an neuen Reiseplänen. Ein großer Schmetterling begleitete unser Schiff zwei Tage lang, es war der letzte Gruß, den Indien uns sandte.

Die Fahrt ging über den Indischen Ozean. Die See war so glatt wie ein Spiegel und vom reinsten Hellblau. Oft konnten wir fliegende Fische sehen; ich hatte nie geglaubt, daß sie so große Strecken über Wasser fliegen könnten. Mit einigen Engländern hatte ich mich sehr gut angefreundet, und wir vertrieben uns die Zeit mit Spielen aller Art.

Schön war's, wenn man in seinem Liegestuhl an Bord lag, ein schönes Buch las oder auf das blaue Meer hinausblickte. Ich habe mich oft über mich selbst gewundert; stundenlang konnte man untätig sitzen und vor sich hinträumen oder neue Pläne schmieden. Der große, weite, unendliche Ozean löst dieselben Wirkungen aus wie die flackernden Lagerfeuer, vor denen man auch stundenlang sitzen und in die Glut und züngelnden Flammen starren konnte.

Mir vergingen die Tage fast zu schnell; Tage der Ruhe und Erholung im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn abends die Sonne sich dem Horizonte zuneigte und der Himmel in rotgelben Farben aufflammte, dann holte ich wohl meinen Malkasten und versuchte, die Bilder auf dem Papier festzuhalten. Aber es war nicht ganz leicht, da die Farben zu schnell wechselten. Violett, Orange und ein leuchtendes Rosa walteten vor und spielten ineinander. Der Himmel hatte manchmal eine hellgrüne Färbung; die Wolken formten sich zu seltsamen Bildern. Wenn man an der Reeling stand und in die leuchtenden Wolken blickte, dann glaubte man manchmal ein zweites grünblaues Meer zu sehen, in dem goldene Inseln und Eilande schwammen. Man erkannte Berggipfel, Seen, Meeresbuchten und Ebenen. Dann schien es einem, als ob auch dort die Sonne untergehe, denn langsam krochen auch über sie dunkle Schatten, und nur die höchsten Gipfel strahlten ein purpurnes Rosa aus. Es war wie ein Gruß aus einer besseren Welt; und erst wenn man wieder auf das wogende Meer sah, bemerkte man die Täuschung. Nach dem Abendessen lag man wieder – die Herren im Smoking, die Damen in großer Toilette – in den Liegestühlen an Deck, trank seinen eisgekühlten Whisky Soda oder Ginger Ale, plauderte oder hörte der Musik zu, die vom Salon her erklang. Manchmal gingen wir vor zwölf Uhr nicht schlafen. Eines Abends hatten wir etwas Meerleuchten. Mit dem einen Offizier und einer schönen Frau ging ich an den Bug des Schiffes. Wir lehnten uns über das Geländer, sahen große blaue Funken aufstieben und am Schiffe entlang laufen. Auch die sich überschlagenden Schaumkämme und Spritzer strahlten ein phosphoreszierendes Licht aus. Herrlich waren die Mondscheinnächte, wenn blauschwarze Wolken am Himmel hingen und das silberne Licht des Mondes langsam die Wolkenwand durchbrach. Schwarz sah dann das Meer aus, und nur zwei blendend silberweiße Streifen spiegelten das Mondlicht an der Stelle wider, wo Meer und Himmel zusammentrafen.

Verlassen, wie ein totes Eiland, lag Sokotra zur Rechten. Dann kam Aden in Sicht. Noch sehe ich die hohen, kahlen Felsen vor mir aufragen, auf denen kein Fleck Grün zu entdecken war. Unten am Meere liegen die Häuser, einige große Baracken und ein Leuchtturm. Als wir Anker werfen, kommen viele kleine Boote längsseit des Schiffes, und die arabischen Händler bieten laut schreiend ihre Waren an. Sie dürfen nicht an Bord kommen, werfen daher Leinen an Deck, an die sie unten Körbe befestigen, und in diese legen sie dann die Waren, die sie anbieten: Straußenfedern, Zigaretten, Fächer, Halsketten usw. Man zieht dann die Leine an Deck, schaut sich die Sachen an, und hat man etwas gefunden, so nimmt man es heraus und legt das Geld dafür in den Korb, der dann wieder hinuntergelassen wird.

Ich ging mit Familie H. an Land. Wir mußten uns ausbooten lassen, da die Dampfer am Kai nicht anlegen können. Wir besuchten verschiedene Läden, machten kleine Einkäufe und schlenderten am Strande entlang. Da unser Schiff erst am Spätnachmittag nach Aden gekommen war, so war es schon dunkel, als wir unsere Einkäufe beendet hatten. Der Sonnenuntergang war unbeschreiblich schön! Wie flüssiges Gold lag der Widerschein der untergehenden Sonne auf dem Meer, und die Felswände hoben sich wie Silhouetten ab. Als wir wieder vom Kai abstießen, war die Dunkelheit schon hereingebrochen; überall flammten die kleinen Lichter in den Läden auf, und die Dampfer, die im Hafen lagen, boten mit ihrem Lichtermeer ein wundervolles Bild.

Dann fuhren wir weiter durch das Rote Meer. Nur einen Tag war die Hitze fast unerträglich. Man mochte sich kaum in seinem Liegestuhle rühren. Das einzig Erquickende war der eiskalte Zitronensaft. Oft konnten wir die arabische Küste und die fernen Berge wie einen feinen, hellen Strich erkennen. Dann wurden die Ferngläser hervorgeholt, und man suchte eifrig nach Dörfern oder Häfen. Mitten im Roten Meere trafen wir eine Barke mit braunen Segeln. Die Insassen waren Araber, die auf Fischfang ausgingen. Ich mußte unwillkürlich an die Piratenschiffe denken, mit denen die Araber früher die Küsten des Persischen Golfes und des Mittelmeers unsicher machten.

Näher und näher rückte die Küste, und bald war Suez erreicht. Nachts fuhren wir in den Kanal ein, und als ich am anderen Morgen an Deck kam, dehnte sich rechts und links das Land aus. Langsam fuhren wir durch das grünblaue Wasser. Manchmal sahen wir Kamelkarawanen am Ufer; kleine baufällige Dörfer und einige Palmen unterbrechen die öde Steinwüste. Trotzdem Ismalia mit seinen herrlichen Palmenwäldern uns noch einmal ein Bild der indischen Märchenpracht vorzaubert, merken wir, wie es langsam kühler wird; Europa rückt näher und näher. In Port Said ziehen wir bereits den Mantel an. Grau ist der Himmel und schwarz das Wasser. Wir nehmen wieder Kohlen ein. Zwei große Schaluppen liegen längsseit unseres Schiffes; große Bretter werden von diesen aus an die Reeling gelegt, und dann schleppen die Trimmer die Säcke herauf. Wie in einem Ameisenstaate geht es zu. Düster und kalt ist es, kein freundliches Bild entzückt mehr unser Auge. Der Übergang vom Roten Meer nach dem Mittelmeer war außerordentlich kraß, und man vermißte die Sonne und das helle Licht, die Wärme und das Hellblau des Meeres.

Ernst grüßt uns Europa, als ob es uns mahnen wollte, daß wir uns wieder den Ländern der Arbeit, der Sorge, des härtesten Lebenskampfes nähern. Düster blickt der Himmel drein, und wir können kaum an Deck weilen. Es ist kalt. Die fröhlichen Spiele haben aufgehört, die weißen Tropenkleider sind in den Koffern verstaut, auch die Besatzung des Schiffes hat marineblaue Uniformen angelegt. Die dunklen Anzüge kommen mir fast wie Trauerkleidung vor.

Nachmittags passieren wir Kreta; die hohen Gipfel sind mit einer Schneedecke überzogen. Wenn doch nur einmal noch die Sonne kommen, nur einmal noch etwas wärmendes Sonnenlicht die trübe Stimmung verscheuchen wollte!

Als wir am Morgen des 29. November in die Straße von Messina einfahren, erstrahlt der Himmel wieder im schönsten Hellblau, und große, weiße Haufenwolken schweben wie Eisberge im blauen Luftmeer. Weiße Städte liegen am Meer, und kleine Dörfer grüßen von den Felsen herab. Vom Ätna erblicken wir nicht sehr viel, denn sein Gipfel ist in Wolkenschleier gehüllt. Wohl aber sehen wir Messinas Häusermeer im Sonnenschein liegen. Das Meer ist vom reinsten Blaugrün, und kleine weiße Dampfer, die den Verkehr zwischen dem Festland und Sizilien vermitteln, durchschneiden die blauen Fluten.

Am Nachmittag passieren wir den Stromboli, der seine dicken Dampfwolken in die Luft stößt. Direkt am Fuße des Vulkans liegen inmitten grüner Gärten weiße Häuschen. Der vulkanische Boden ist sehr fruchtbar, und daher siedeln sich die Bewohner, trotz der ihnen immer drohenden Gefahr, hier wieder an. Spät abends passieren wir Korsika und Sardinien; düster heben sich die trotzigen Felsklippen aus dem dunklen Meere heraus. Rote Blinkfeuer und weiße Lichter weisen dem Schiffe den Weg. Schon nachmittags hatte der Kapitän Meldung erhalten, daß Sturm drohe. Als wir abends im Rauchsalon saßen, plauderten und Erinnerungen austauschten, hörten wir plötzlich das Heulen des Sturmes. Und dann brach das Unwetter los. Blitz folgte auf Blitz, und Schlag auf Schlag rollte der Donner. Ich zog meinen Regenmantel an und sah mir das Naturschauspiel an. Hellblaue Blitze, immer mehrere zugleich, sprangen von Wolke zu Wolke und erhellten das aufgewühlte Meer. Stets haben Gewitter auf mich einen tiefen Eindruck gemacht; schon als Kind habe ich oft stundenlang am Fenster gestanden und dem Zucken der Blitze, dem Kampfe der Wolken zugeschaut. Ich habe manch schweres Gewitter in den Bergen mitgemacht, aber nichts hat mich so gepackt wie der nächtliche Gewittersturm zwischen Korsika und Marseille auf dem Mittelmeer.

Am anderen Morgen fuhren wir in Marseille ein. Wir waren wieder in Europa, waren in einer großen Hafenstadt mit all ihrem Lärm und Getriebe. Bettelmusikanten standen am Kai. Ein kleines Mädchen spielte die Geige, eine andere die Ziehharmonika. Europas Elend und Sorgen sprachen aus den Gesichtern, aus den zerlumpten Kleidern. Nie habe ich mich so nach Indien und Asiens Einsamkeit zurückgesehnt als an diesem ersten Tage, an dem ich Europas Boden wieder betrat. Der Abschied vom Schiff fiel mir sehr schwer. Abends fuhr ich mit einem befreundeten Schweizer noch einmal an den Hafen hinaus; der Himmel war bewölkt, es war kalt und nebelig. Noch einmal gingen wir an Deck und blickten vom Schiffe aus über den Hafen, über das Meer von Masten und Schornsteinen. Der große Kran war gerade in Tätigkeit, und unzählige Ballen Tee wurden aus dem Laderaum ausgeladen.

Dann fuhren wir mit dem Auto in die Stadt zurück. Nachts um zwölf Uhr verließ ich Marseille. Frankreich zeigte mir sein trübstes Gesicht. Fein rieselte der Regen an den Fensterscheiben herunter; Nebel lagen über den Feldern. Einige vertrocknete gelbe Blätter hingen noch an den Bäumen, und der Sturm sang sein trauriges Lied. In der zweiten Nacht passierte ich die deutsche Grenze, war wieder in der Heimat und grüßte wieder die alten, mir wohlbekannten Städte.

 

Bilder an beschreibender Textstelle eingefügt. joe_ebc für Gutenberg.

 


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