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XI
Eine Winterfahrt ins afghanische Hochgebirge

Von Bamian aus brach ich dann in den Hindukusch auf. Da der Gouverneur die Fahrt mitmachte, so bildeten wir eine große Karawane, denn er nahm seinen ganzen Troß mit.

Es war ein herrlicher Wintermorgen mit klingendem Frost; keine Wolke war am blauen Himmel zu sehen, und selbst an den fernsten Bergen konnten wir die feinsten Risse und Spalten erkennen. Wir fuhren zuerst mit einem Tonga bis an den Fuß des Ak-Robat-Passes, wohin uns die Pferde gebracht wurden. Dann ritten wir langsam dem Karawanserai zu, das unterhalb des Passes gelegen ist. Dort war schon alles für uns gerichtet, und als etwas später der Gouverneur mit seiner Schar eintraf, wurde das Frühstück eingenommen. Wir lagerten uns alle auf Kelims, die auf der Erde ausgebreitet wurden; und man reichte große Schüsseln mit kaltem Hammelfleisch, das mit Salz und Brot uns trefflich mundete. Der heiße Tee fehlte natürlich auch nicht. Erst gegen Mittag zogen wir weiter.

Die Luft war wundervoll klar und frisch. Ich blieb mit Blaich hinter der Karawane zurück, und wir konnten ganz ungestört die Naturschönheiten auf uns einwirken lassen. Der Anstieg zur Paßhöhe war für die Tiere ziemlich anstrengend, oft blieben sie stehen, um zu verschnaufen. Endlich hatten wir den Sattel erreicht und konnten von hier aus weit über die eingeschneite Bergwelt des Hindukusch blicken. In großen Serpentinen zieht die Straße in das Quellgebiet des Indar-ab hinab. Der Gouverneur und der Schikar-Sahib machten oft Jagd auf Steinhühner, die in den Felsen sich aufhielten. Der Pole, Blaich und ich waren wieder weit hinter der Karawane zurückgeblieben. Stunde auf Stunde verging; es wurde 7 Uhr, und immer noch war kein Robat in Sicht. Die Sonne war schon im Westen hinter den Bergen versunken, und blaue Schatten zogen langsam über die weiten Schneeflächen. Wir merkten deutlich, wie sich die Kältewellen auf das Land legten, und klappten den Kragen unserer Mäntel hoch, vergruben die Hände tief in die Manteltaschen und überließen den Pferden die Führung. Endlich sichteten wir das Karawanserai und waren froh, als wir vom Pferde steigen konnten. Der Name des Platzes war Suchte Tschinar, was »verbrannte Platanen« bedeutet.

Am anderen Tage ging es weiter nach Baiani; teilweise durch sehr enge Täler und Schluchten. Kahl ragen die Felsen zur Linken und Rechten auf, und ich konnte sehr interessante geologische Beobachtungen machen. Die älteren, gestörten Gesteine sind überall von großen, lockeren Konglomeratbänken überdeckt, die beweisen, daß einst große Wassermengen durch diese Täler fluteten.

Wenn wir uns kleinen Dörfern näherten, strömten die Einwohner in Scharen herbei, um uns mit Hurrarufen zu begrüßen. Die Kunde, daß der Gouverneur von Bamian kam, hatte sich anscheinend blitzschnell verbreitet. Kurz vor Baiani trafen wir die ersten Kohlevorkommen, die aber unbedeutend und sehr gestört waren. Mittags war es sehr warm, und mir wurde gesagt, daß nur selten in diesen geschützten Tälern Schnee falle. Baiani ist ein kleines Dorf, und die Einwohner hatten anscheinend noch nie einen Europäer gesehen, denn wir wurden wie Wundertiere angestarrt. Nach dem Mittagessen machte ich mich wieder mit Blaich auf den Weg. Der Gouverneur gab uns einen Soldaten zur Begleitung mit, der die Gegend kannte.

Selten habe ich eine so bunte Bergwelt gesehen. Die unteren Talhänge bestehen aus ziegelroten Sandsteinen und Tonen, die ganz phantastische Verwitterungsformen aufweisen. Wir folgten einer in diesen roten Felsen eingeschnittenen Schlucht, die sich aber derart verengte, daß ein Weiterkommen unmöglich wurde. Über uns türmten sich die grauen Kreidekalkfelsen auf, die noch Schneeflecken trugen. Wir entdeckten eine große Höhle, bei deren Betreten uns eine Schar Steinhühner entgegenflog. Sicherlich nisteten sie hier, und wir hatten sie in ihrer Ruhe gestört. Dann gingen wir wieder in das Haupttal zurück und schlugen den Weg in ein Seitental ein. Wir blieben dort, bis sich die Sonne dem Horizonte zuneigte. Es war eine unbeschreiblich wilde Bergwelt, in die wir einen Einblick tun konnten, und nie werde ich das bunte Farbenbild vergessen, das die untergehende Sonne auf den zerrissenen Felsen hervorzauberte. Feuerrot leuchteten einige Konglomeratbänder, die von grünen Schiefern unterlagert waren. Je nach der Beleuchtung wechselten die Farben in allen Schattierungen.

Die Sonne neigte sich dem Horizonte zu, und immer blauer wurden die Schatten im Tal. Dann kam die Dämmerung, und wir gingen nach Baiani zurück. Man stellte uns die Feldstühle vor unsere Behausung, und so saßen wir, bis das Essen fertig war, am flackernden Lagerfeuer, in dessen Schein die Afghanen standen und das Abendessen bereiteten. Manche standen in Gruppen beieinander und sprachen leise über uns, und hin und wieder wurden uns mißtrauische Blicke zugeworfen. Sehr erfreut schienen die Leute nicht über unseren Besuch zu sein, auf jeden Fall wurden sie in ihrer Ruhe und Abgeschlossenheit gestört.

Am anderen Morgen ging es weiter nach Doab-i-Mekhzarin. Gleich flußabwärts hat sich der Fluß in tiefer Schlucht durch ein Granitgebiet gesägt; senkrecht fallen die Felsen hier zu beiden Seiten ab. Häufig mußten wir den Fluß kreuzen, und manches Mal konnte man die Pferde nur mit Mühe und Not dazu bringen, ins eiskalte Wasser zu gehen. Wir sahen viele Steinhühner, und unsere kühnen Jäger lagen alle paar Minuten im Anschlag. Die ganze Kavalkade mußte dann halten; die Jäger schlichen wie die Katzen unterhalb der Felswände hin, um so nahe wie möglich an die Stelle zu kommen, wo die Hühner gesichtet worden waren. Trotzdem aber verfehlten sie oft das Ziel.

Es ist ein ödes Land, aber wilder, formenreicher als das Zentralgebiet des Hesarajat! Hier kann man Felswände bewundern, die geradezu gigantisch sind. Man kommt sich so klein und schwach vor, wenn man sieht, welche Riesenkräfte hier tätig waren und noch tätig sind, um dem Gebirge Form und Gestalt zu geben. Hier sind ganze Gebirgsmassen über andere Gebirgsmassen geschoben, Klüfte aufgerissen, in die sich die Flüsse gestürzt und tiefe Schluchten ausgefeilt haben. An einer Stelle können wir mitten in der Schlucht noch alte Flußablagerungen an den Hängen erkennen, die zeigen, welche Arbeit der Fluß geleistet hat.

Gegen 2 Uhr kommen wir in dem kleinen Talkessel von Doab an. Wir essen etwas, und dann mache ich mit Blaich wieder Erkundungsfahrten. Wir nehmen einen Eingeborenen als Führer mit und wenden uns zunächst weiter flußabwärts. Der Fluß ist hier breit und reißend und fließt in einem ziemlich breiten Tal. Ein scharfer Ostwind weht uns entgegen, und der Turban des Führers löst sich oft und flattert wie ein weißer Wimpel im Winde. Im Norden wird der Fluß von einer geradezu phantastisch bunten und zerrissenen Bergwelt begrenzt; aber trotz unseres Versuches, dort einzudringen, kamen wir nicht weit (Abb. 48). Wir kehrten daher bald wieder um und versuchten nun, direkt von Doab nach Norden in diese Bergwelt einzudringen, was uns auch gelang, da hier eine kleine Trockenschlucht den Weg vorzeichnete. Diese war in dunkelrote Sandsteinfelsen eingeschnitten, in denen wir einige Versteinerungen fanden, die sehr schwer herauszuschlagen waren. Als wir aus der Schlucht herausgestiegen waren, konnten wir einen herrlichen Blick auf die hohen zerklüfteten Kalkbänke werfen, die gerade von der untergehenden Sonne beleuchtet wurden. Einige kleine, weiße Wölkchen schwebten wie Wattebausche um die Felsen, die nach unten in grüne Schiefer- und dunkelrote Sandsteine übergingen. Um uns herum sah der Boden wie verbrannt aus, und in den verwitterten Aschen und Laven sank man bis über die Knöchel ein. Kein Fleckchen Grün war zu sehen, und ein tiefes Schweigen lag über der einsamen Bergwelt (Abb. 49). Durch ein Fernglas suchten wir die hohen Kreideklippen im Norden ab und sahen auf dem höchsten Steilrand ein paar Steinböcke. Wir hatten aber leider kein Gewehr bei uns.

siehe Bildunterschrift

48. In den öden Felsregionen von Doab-i-Mekhzarin

siehe Bildunterschrift

49. Hindukusch bei Doab

Der folgende Tag war außerordentlich reich an Eindrücken. Zuerst ging es flußabwärts, und wir folgten demselben Wege, den Blaich und ich gestern schon erkundet hatten. Das Wetter war schön, der Himmel vom reinsten Blau und ohne eine einzige Wolke. Wir bogen in ein kleines Seitental ein. Gegen Mittag kamen wir an einen rauschenden, kristallklaren Bach, an dem wir Mittagsrast machten. Die Pferde wurden an die Büsche angebunden, die den Bach einfassen, die Kelims auf der Erde ausgebreitet und ein Feuer angezündet. Selten hat mir wohl ein Picknick so gut geschmeckt wie dieses in den wilden Bergen des afghanischen Hindukusch. Es gab heißen Tee, kaltes Geflügel, Hammelfleisch und Brot. Auch konnten wir ohne Bedenken das kristallklare Wasser trinken. Gerne wäre ich an dieser Stelle noch geblieben, um das herrliche Landschaftsbild im Aquarell festzuhalten. Aber wir mußten weitereilen. Ein frischer Wind erhob sich, als wir tiefer in das Gebirge hineinstiegen. Die Bergwelt war so zerrissen und bunt wie in den Tagen zuvor. Immer wieder müssen wir hinauf und hinunter. Manchmal wandern wir durch ganz enge Schluchten, in denen kaum ein Pferd Platz hat und man ständig aufpassen muß, daß man sich nicht die Knie an den Felsen zerstößt. Es sind richtige Korridore, durch die wir uns hindurchschlängeln müssen, und rechts und links von uns recken sich die Felsen senkrecht in die Höhe. Dann geht es wieder steil hinauf, über Pässe, von denen aus wir auf die Schluchten und Talrisse hinabblicken können.

Im Süden ragen einige der Hauptgipfel der Hindukuschkette über die Bergwelt, in der unser Weg verläuft, hinaus; im Norden aber ziehen sich die steilen Wände der Kreidekalkplatten hin. Von Vegetation ist keine Spur zu erkennen; kein Lebewesen zeigt sich weit und breit. Wieder geht es einen Paß hinauf. Ich bin mit Blaich und dem Diener des Polen weit zurückgeblieben. Wir mußten auch die Pferde neu satteln und schoben so eine kleine Rast ein. Fast unheimlich wurde es einem in dieser Felsöde. Tot ist das Land, und stundenlang geht es durch diese öde Bergwelt.

Einmal begegnete uns eine kleine Mauleselkarawane, die große Blöcke schmutziggrauen Salzes nach Kabul brachte. Die Salzlagerstätten liegen bei Khanabad. Von der letzten Paßhöhe aus bot sich uns ein überwältigend schöner Anblick. Wohl nie habe ich einen solch halsbrecherischen Weg in die Tiefe gesehen! Hunderte von Metern fallen die Felswände steil in unergründliche Tiefen, und an den Rändern dieser Steilabfälle führte der Weg ins Tal des Surch-ab. Tausende kleiner Schluchten sind in das weiche Gestein hier eingerissen, und der Formenschatz der Landschaft ist außerordentlich reich.

Vor uns zog sich eine hohe Kette hin, auf deren obersten, bräunlich violetten Felsbänken kleine Schneeflecken lagen; unter diesen aber zogen sich dunkelrote Konglomeratbänder sowie die grünen Schiefer hin, die das Tal ausfüllten. Gerade als die Sonne goldgelb hinter den Bergen versank, kamen wir an ein paar elende Lehmhütten. Kaum hatten wir uns ihnen genähert, als wir sehr unliebsam von den großen Hunden empfangen wurden und uns kaum getrauten, weiterzureiten. Von unserer großen Karawane sahen wir nichts, und wir hatten keine Ahnung, wo sie weilen mochte. Wir ritten etwas weiter, aber die Hunde griffen unsere Pferde an und bissen sie in die Beine. Das wurde uns denn doch ein bißchen zu dumm, und wir forderten die Einwohner auf, die Tiere anzubinden, was dann auch nach einigem Zögern geschah. Die Leute waren recht unfreundlich – vielleicht auch ängstlich, sagten uns aber schließlich, wo unsere Karawane war, und nach einer Viertelstunde waren wir wieder zu den anderen gestoßen, die in den kleinen Hütten von Barfak Quartier bezogen hatten.

Am anderen Morgen schneite es, und wir blieben daher in unseren Lehmhütten. Uns war diese Rast willkommen, denn der gestrige Tag war doch ziemlich anstrengend gewesen. So machten wir es uns so bequem wie möglich, lagerten uns um ein Feuer, schrieben Tagebuch, lasen oder unterhielten uns mit den Afghanen. Draußen schneite es lustig, die Flocken tanzten und wirbelten, und bald war der Boden mit einer weißen Decke überzogen. Von den hohen Bergen sahen wir nichts mehr. Traurig standen die Pferde im Hof; sie sahen wie weiß gepudert aus. Gegen Mittag aber wurde es heller und heller, und bald schien die Sonne, die den Schnee schnell wieder wegschmolz. So brach ich denn mit Blaich und zwei Dienern zu einer neuen Rekognoszierungsfahrt auf.

Nachdem wir eine Viertelstunde gen Osten geritten waren, bemerkten wir zur Linken ein schluchtähnliches Tälchen, das in die dunkelroten Sandsteine eingeschnitten war und das uns vielleicht einen Zugang in die Berge verschaffte. Wir übergaben den Dienern die Pferde und gingen zu Fuß weiter. Das Tälchen verengte sich immer mehr zu einer Schlucht, und bald merkten wir, daß wir in eine richtige Sackgasse geraten waren. Auf allen Seiten versperrten uns senkrechte feuerrote Felswände jegliches Vorwärtskommen. Wir mußten also zurück und fanden bald einen kleinen Jägerpfad, der am Rande der Schlucht hinführte. Wieder blieben die Diener mit den Pferden zurück, und wir suchten allein unseren Weg durch die Berge. Erst mußten wir wieder hinab in ein Trockental und stiegen dann bergan. Die Nachmittagssonne wärmte herrlich. Überall waren wir von trotzig-wilden Felsbergen umgeben. Je höher wir kamen, um so weiter wurde der Blick, und wir fühlten uns frei und ungebunden. Ich habe mich stets da am wohlsten gefühlt, wo es ganz einsam ist, und wo man von den Menschen nichts sieht und hört. Erst dann, wenn man mit der Natur allein ist, lernt man es, sich selbst zu erkennen. Es ist ganz gleich, wo wir weilen, ob im Hochgebirge oder in Wüsten, am Meer oder in den Wäldern. Erst dann, wenn wir uns freigemacht haben vom Alltag und der Natur Aug' in Aug' gegenüberstehen, können wir das Gewaltige der Schöpfung ganz erkennen. Dann erst merken wir, wie arm uns die Zivilisation gemacht hat, und was für ein trauriges Leben wir im Durchschnitt zu führen gezwungen sind. Um so dankbarer aber sind wir, wenn wir ihr entfliehen können, um in der reinen, erhabenen Natur wieder Mensch zu werden und unsere Seele wiederzufinden.

Am folgenden Tage zogen wir wieder in diese Gegend. Wir hatten dem einen Diener einen Rucksack mit Proviant mitgegeben, denn wir brachen schon gegen zehn Uhr auf. Wieder folgten wir der Schlucht und dem engen Trockental. An einer Stelle fanden wir eine Menge Versteinerungen, größtenteils aber nur Steinkerne aus den großen Kreidekalkwänden, die über uns aufragten. Bald kamen wir in große Schneefelder, die sich über die Nordhänge der Berge hinzogen. Auf einer kleinen Kuppe machten wir Rast. Der Träger war weit zurückgeblieben. Wir waren ziemlich schnell vorangestiegen und lagerten direkt unterhalb der Plateauränder, deren Wände senkrecht vor uns aufstiegen. Auf einem Seitensporn gelang es uns dann, auf die Nordseite aufzusteigen, und von dort hatten wir einen so umfassenden Ausblick über die ganze Hindukuschkette, daß wir hier oben ungefähr zwei Stunden verweilten (Abb. 50). Als der Träger kam, stärkten wir uns erst, und dann begannen wir die nähere Umgebung zu rekognoszieren, photographische Aufnahmen zu machen, zu skizzieren und Gesteine zu sammeln. Im Süden dehnte sich die Haupt-Hindukuschkette aus. Schneegipfel reihte sich an Schneegipfel; aber wir vermißten auch hier alpine Formen, trotzdem die Berge über 5000 Meter aufragen. Gletscher fehlen ganz, ebenso Kare. Dieses Gebirge trägt mehr den Charakter eines Mittelgebirges. Tief unter uns sahen wir ein Stück des Talbodens, in dem Barfak liegt.

siehe Bildunterschrift

50. Blick auf die Hauptkette des Hindukusch (Barfak)

Im Norden treten wieder die grünen Schiefer auf; aber in der Ferne sahen wir auch höhere, schneebedeckte Berge aufragen, die, der Form nach zu urteilen, aus Granit zu bestehen schienen. Ich konnte mir nach der Karte kein rechtes Bild machen, was dies für Berge sein mochten. Kein Lebewesen war zu erblicken, nicht einmal ein Raubvogel schwebte um die hohen Gipfel. Ich hatte gehofft, von unserem Führer einige Namen der Berge zu erfahren, aber er wußte nichts. Auf dem einen Bergsattel errichteten wir ein kleines Steinmal, das wir mit Hilfe des Fernglases auch nachher vom Tale aus wiedererkennen konnten. Fern im Osten erhob sich ein großer, dreizackiger Gipfel, der sehr hoch sein mußte; es sah aus, als ob drei große Schneepyramiden aneinandergesetzt waren.

Als die Sonne unterging, stiegen wir wieder ab. Im Tale erwartete uns der andere Diener mit den Pferden. Wir ritten darauf noch etwas dem Dorfe Tala zu, das in einer schönen, großen Ebene gelegen ist. Zwischen Tala und Barfak hat sich der Fluß durch die Berge in tiefer Schlucht geschnitten; ich versuchte mit Blaich, hier in die Schlucht einzudringen, aber wir kamen nicht sehr weit. Das Gestein ist überall vulkanischer Herkunft; Porphyre, Trachyte, Basalte wechseln auf kurze Erstreckung miteinander ab und haben die Sandsteine und grünen Schiefer stark umgewandelt. An einigen Stellen enthalten die letzteren eingeschaltete dünne Kohlenflöze, die verschiedentlich schwelten. Da die Kohle stark schwefelhaltig war, so roch es überall nach Schwefel- und Kohlendioxyd, und an manchen Stellen kamen die weißen Dämpfe aus den Felsen heraus. Das ganze Erdreich sah verbrannt aus. Es dämmerte bereits, als wir ins Lager kamen, und wir waren froh, daß der liebenswürdige Gouverneur schon unser Abendessen hatte zubereiten lassen.

Als wir am anderen Tage erwachten, schneite es wieder einmal. Dicke, graue, bleischwere Wolken hingen an den Bergwänden, und uns blieb nichts weiter übrig, als zu Hause zu bleiben. Morgens kam ein Sänger, der dem Gouverneur seine Kunst zeigen wollte. Das Beste, was er vorbrachte, war ein Lied, zu dem er selbst die Lautenmusik ganz täuschend nachahmte. Ich habe beobachtet, daß die Afghanen beim Gesang oft die Augen schließen. Man hat unwillkürlich den Eindruck, daß sie sich ganz ihrem Gesang hingeben, der jedoch meist monoton ist und auf die Dauer einschläfernd wirkt.

Als es gegen Mittag zu schneien aufgehört hatte, ließen wir unsere Pferde satteln und machten uns wieder auf den Weg. Wir ritten wieder in die Surch-ab-Schlucht hinein und sammelten hier noch einige Gesteinsproben. Es war naßkalt, und die düsteren kahlen Felswände erschienen uns noch trostloser. Von den höchsten Spitzen war nicht viel zu sehen; düstere Wolken jagten über die Gipfel.

Am anderen Morgen rüsteten wir uns zum Rückweg. Das Wetter hatte sich nicht recht aufgeklärt, Wolken hingen wieder an den Hängen. Zuerst kamen wir ziemlich schnell vorwärts, aber der Übergang über den Chak-Paß war doch sehr anstrengend. Da viel Schnee lag und der Aufstieg auf die Höhe ziemlich steil ist, glitten die Tiere ständig aus, und wir mußten achtgeben, daß nicht eins über den Abhang in die Tiefe rollte. Von der Höhe des Passes hat man einen herrlichen Ausblick (s. Abb. 46).

siehe Bildunterschrift

46. Im Hindukusch (Blick vom Chakpaß nach Westen)

Gegen Mittag klärte sich das Wetter auf, und bei Sonnenschein kamen wir wieder in Doab an. Ich war mit Blaich weit zurückgeblieben; als wir kurz vor Doab ein paar Lehmhütten passierten, stürzten plötzlich zwei große Hunde auf uns und bissen unsere Pferde in die Beine, so daß sie fast scheuten. Die afghanischen Hunde sind eine Art Mastiff, kurzhaarig, kolossal kräftig gebaut, mit großem Kopf. Sie sind außerordentlich gute Wächter. Oft, wenn wir abends spät noch in ein Dorf kamen und noch zehn Minuten weit entfernt waren, merkten die Hunde schon, daß Fremde nahten, und begannen zu bellen und Alarm zu schlagen. Es war immer ein sehr unangenehmes Gefühl, besonders wenn es schon ganz dunkel war und man nichts erkennen konnte. Tagsüber konnte man sich die Hunde durch Steinwürfe vom Leibe halten, nachts aber konnte man nur mit der Reitpeitsche versuchen, sich freie Bahn zu schaffen. Die Afghanen behandeln die Hunde schlecht; ich habe oft die armen Tiere bedauert, die Fußtritte über Fußtritte erhielten. Wie oft konnte man das Schmerzgeheul eines Hundes hören, und wie oft sah man Hunde mit gebrochenen Beinen! Kein Wunder daher, daß die Tiere, die sich die Europäer zulegten, sehr bald jeden Afghanen anbellten, Europäern aber nichts zuleide taten.

Von Doab-i-Mekhzarin wollten wir dem Bamianflusse folgen, der sich zwischen Doab und Schumbul in einer tiefen Schlucht durch die Hauptkette des Hindukusch gesägt hat. Kein anderer Fluß durchschneidet sonst den Hindukusch, und da dieses Gebiet noch nie von einem Europäer besucht worden war, reizte mich die Erforschung dieser Durchbruchsschlucht aufs äußerste. Schon während meiner Studienjahre hat mich das Problem der großen Flußdurchbrüche immer wieder gefesselt, und in meiner Arbeit über Tibet und den Himalaja habe ich ausführlich diese Fragen gestreift. Es war mir daher eine große Freude, Gelegenheit zu haben, eine derartige Durchbruchsschlucht durch eines der höchsten Gebirge unserer Erde studieren zu können.

Bei herrlichstem Wetter verließen wir am 21. Januar Doab-i-Mekhzarin, ritten eine Strecke weit flußaufwärts und bogen dann in das Seitental ein, durch das der Bamianfluß aus dem Gebirge tritt. Das enge Tal bot viele hübsche Bilder. Der Fluß war von Gestrüpp und Weiden eingefaßt und an manchen Stellen wuchs mannshohes Schilf, das aber gelb und trocken war und raschelte, wenn wir hindurchritten. Manchmal mußten wir den Fluß kreuzen, da die Felsen senkrecht zum Flusse abfallen; reißend, schäumend stürzt das Wasser über die großen Granitblöcke, und wir müssen sehr auf unsere Pferde aufpassen, daß sie nicht stürzen. Fast wäre es dem Pferde des Schikar Sahib so ergangen, wenn er nicht im letzten Augenblick die Zügel straff angezogen hätte. Nachdem wir etwa drei Stunden geritten waren, verengte sich die Schlucht derart, daß der Fluß wie in einem Korridor zwischen senkrechten Felswänden dahinschoß. Auch wurden die Felsen viel zerklüfteter, und große Blöcke, ja, ganze losgebrochene Felswände hingen eingeklemmt zwischen den Wänden der Schlucht. Wir mußten daher den Fluß verlassen und zogen über eine seitliche Paßschwelle in ein anderes kleines, ganz geschütztes Tal, in dem die kleinen Lehmhütten von Bagrak liegen. So früh waren wir noch nie in ein Lager gekommen. Mir war dies sehr angenehm, konnte ich mir doch gründlich die nähere Umgegend betrachten. Zu Mittag erhielten wir ein ausgezeichnetes Brot, auch am anderen Tage in Ghandak; nirgends in Afghanistan habe ich sonst ein so gutes Brot gegessen, wie hier im Herzen des Hindukusch.

Man gab uns wieder einen Soldaten mit auf den Weg, und dann brachen Blaich und ich auf. Auf den Nordhängen lag der Schnee überall ziemlich hoch. Wir folgten einem kleinen Seitental, das uns schnell auf ein höheres Plateau brachte. Der letzte Aufstieg war ziemlich steil, und wir mußten oft stehenbleiben, um Luft zu schöpfen. Blaich glaubte an einer Stelle einen Wolf gesehen zu haben, der in ein kleines Seitental verschwand. Vorsichtig schlichen wir über das eingeschneite Plateau an den Rand des Wasserrisses, erkannten aber in der Tiefe nur große Blöcke. Wir warteten eine Viertelstunde, aber nichts rührte sich. Wir hatten das Gewehr wieder einmal umsonst mitgenommen! Im Schnee aber sahen wir viele Wolfsspuren; wie gerne hätten wir einmal etwas Abenteuerliches erlebt! Das Leben in diesem Lande ist gar nicht so sehr abenteuerlich, wie man denken könnte. Viele werden erwarten, in einem Buche über Afghanistan mindestens einige Räubergeschichten zu finden; aber wenn man nicht Pech hat, könnte man jahrelang in Afghanistan umherziehen, ohne daß einem ein Haar gekrümmt wird. Gewiß gibt es auch einige Gegenden, die weniger sicher sind, wie zum Beispiel Kafiristan und die Gegenden um Ghasni und Kandahar; aber im großen und ganzen sind die Verhältnisse doch weit geordneter als früher, wo in jedem Afghanistanbuch die tollsten Räubergeschichten erzählt wurden.

Wir streiften auf dem Plateau umher, und ich konnte ein sehr gutes Bild von den morphologischen Verhältnissen gewinnen. An anderer Stelle bin ich ausführlich auf diese wissenschaftlichen Fragen eingegangen. Wir stiegen vom Plateau die steilen vereisten Hänge ab, die direkt ins Bagraker Tal abfallen. Es kostete uns viel Mühe und wir mußten sehr vorsichtig sein. Ziemlich lange waren wir fortgewesen, und man hatte schon nach uns Ausschau gehalten.

Der nächste Tag war vielleicht der interessanteste auf unserer Tour; ging es doch quer durch die Hauptkette des Hindukusch. Wir waren schon früh auf. Der Himmel war bezogen und ein kalter Wind blies uns entgegen. In einem Seitental zog die Karawane langsam auf das Hochplateau hinauf, auf dem wir gestern nachmittag schon weilten. Wie düster und traurig die Landschaft aber aussah! Kein bißchen Grün, gelb und vertrocknet das kurze Gestrüpp, das den Boden bedeckt und das raschelt und knackt, wenn die Tiere darauf treten! Die Berge sehen so finster und ernst aus; wie anders der gestrige Nachmittag, als die Strahlen der untergehenden Sonne sich über ihre schneeigen Hänge legten! An einer Stelle sahen wir einen Hasen, der sich hinter einem Busche verkroch; die kühnen Jäger hatten wieder Jagdfieber, trafen aber natürlich nicht, und mit gewaltigen Sätzen sprang er über die Hügel davon!

Ein endloser Abstieg erfolgte und wir kamen wieder in die Nähe des Flusses, dessen Rauschen und Donnern wir schon von weitem hörten. Der Abstieg war schwierig. Wir mußten ca. 200 Meter absteigen. Der Pfad war geradezu halsbrecherisch. Schritt für Schritt ging es abwärts, bis wir schließlich unten in der Schlucht ankamen. Hier teilte sich unsere Karawane; Blaich, der Pole, der Michmandar, Schikar Sahib und ich ritten zurück in die Schlucht, während die anderen dem Flusse abwärts nach dem nächsten Lager folgten. Wir ritten etwa eine halbe Stunde; die Felswände schlossen sich immer enger und enger zusammen, und das Toben und Rauschen des Wassers wurde immer lauter. Wir konnten uns selbst durch Zurufe nicht mehr verständigen. Schließlich mußten wir umkehren, da der Weg durch Riesenfelsblöcke, die heruntergestürzt waren, versperrt war. Dann folgte ein stundenlanger, einsamer Ritt durch die Schluchten und Talengen des Bamianflusses. Immer wieder und wieder mußte der Fluß gekreuzt werden, wobei das eiskalte Wasser den Pferden fast bis an den Sattelgurt reichte. Die Ufer des Flusses waren von dicken Eisrändern eingefaßt, und oft mußten wir diese erst durchschlagen, ehe wir den Fluß durchreiten konnten. Oft brachen die Tiere durch die Eisdecke und stürzten. Dann ging es wieder über steile Felshänge, und man wunderte sich, wie die Pferde dort noch Halt finden konnten. Das Pferd des Michmandars glitt an einer Stelle aus und rollte an einer – Gott sei Dank – nicht so gefährlichen Stelle den Abhang hinab. Zum Glück gelang es dem Reiter, sofort aus dem Steigbügel zu kommen, so daß er nur mit einer kleinen Fußquetschung davonkam.

In der Gegend von Jalmisch angekommen, wurden wir mit Tee und Brot erquickt und zogen dann weiter nach Ghandak. Schwarze Schieferfelsen, teilweise tief verwittert, täuschten Kohle vor. Das Tal erweiterte sich und wir hatten Ausblick auf die hohen Schneegipfel (Abb. 51). In Ghandak herrschte große Aufregung, als wir ankamen. Solch zahlreichen Besuch und dazu noch Europäer hatte man hier in der einsamen Gebirgswelt sicher nicht erwartet und noch nie gesehen. Als in dem finsteren Loche, in dem wir untergebracht worden waren, abends das Lagerfeuer aufflackerte und wir auf unseren Feldbetten liegend unser Abendessen verzehrten, kamen einige alte Weißbärte herein, setzten sich um das Feuer und glotzten uns unverwandt an, ohne ein Wort zu sagen. Am Abend erfuhren wir noch, daß ein Pferd ins Wasser gestürzt war. Wir befürchteten schon, daß es eines unserer Gepäckpferde sei. Zum Glück kamen unsere Sachen aber heil und trocken an. Es war das Pferd des Michmandars gewesen. Er machte am anderen Tage ein sehr betrübtes Gesicht, denn sein schöner, mit prachtvollem Pelz gefütterter Mantel war vom Wasser vollständig verdorben und brüchig geworden.

siehe Bildunterschrift

51. Aufbruch meiner Karawane im Hindukusch (Ghandak)

Am folgenden Tage dauerte es geraume Zeit, bis wir aufbrechen konnten. Das Beladen der Tiere dauerte endlos lange, und so kamen wir erst gegen zehn Uhr fort. Es war ein herrlicher Tag und die Luft war rein und klar. Wie anders doch gleich die Stimmung ist, wenn die Sonne scheint! Alle sind fröhlich und lustig und man merkt, daß es jedem einzelnen Spaß macht, im warmen Sonnenschein durch diese majestätische Bergwelt zu ziehen. Oft mußten wir wieder den Fluß kreuzen, der an einer Stelle ziemlich tief war. Ein Diener wurde vorausgeschickt, um den besten Übergang ausfindig zu machen. Man zog die Beine so hoch wie möglich, aber oft wurden doch die Stiefel naß. Die Pferde hatten mit aller Gewalt gegen die reißende Strömung anzukämpfen, und man war froh, wenn man das andere Ufer glücklich erreicht hatte.

Dann mußten wir wieder an steilen Felswänden entlang, wo von einem Pfade kaum noch eine Spur zu erkennen war. An einer Stelle krochen wir sogar auf allen Vieren an den aus verwitterten Schiefern bestehenden Hängen entlang, während unter uns der Fluß toste und schäumte. Ich bewunderte die Pferde, die selbst an den gefährlichsten Abhängen mit großer Sicherheit sich bewegten.

Das Tal verengte sich an manchen Stellen derart, daß der Fluß den Talboden fast ganz ausfüllte. Senkrecht erhoben sich die Felswände zu beiden Seiten Hunderte von Metern hoch, und nur an einigen Stellen sah man die hohen Schneegipfel über die Felsklippenränder herüberragen. Dicht vor dem Ausgange der Schlucht – oder besser Anfang der Schlucht – thronten auf einem hohen Felsabhange die Ruinen einer alten Stadt. Wir sahen mächtige Mauern, stehengebliebene Torbogen und Türme sich vom blauen Himmel abheben. Leider hatten wir keine Zeit, diese Ruinenstätte näher in Augenschein zu nehmen; ich habe es schon oft bedauert, daß ich nicht doch einige Stunden der Untersuchung dieser alten Ruinen gewidmet habe. Aber erst bei der späteren Ausarbeitung der Tagebücher sieht man, worauf man noch hätte seine Aufmerksamkeit lenken müssen. Als wir mittags aus der Schlucht austraten und wieder in das breite, ostwest sich hinziehende obere Längstal des Bamianflusses kamen, verabschiedete sich der Gouverneur von uns. Als er mit seiner Schar hinter einem Berge verschwunden war, ritten wir dem Schibarpasse zu. In der Mittagssonne war es herrlich warm und man konnte kaum glauben, daß es Januar war. Abends in Schumbul aber wurde es sehr kalt, und man kroch dichter als sonst ans Lagerfeuer! Draußen goß der Vollmond sein fahles Silberlicht über die eingeschneite Bergwelt, die in tiefem Schweigen dalag.

Am anderen Tage brachen wir früh auf, galt es doch wieder über den Schibarpaß nach Kasi Besé zu kommen. Es war ein klarer, kalter Wintertag, und wir waren gezwungen, den ganzen Weg größtenteils zu Fuß zurückzulegen, da wir sonst vor Kälte in dem scharfen Winde auf dem Pferde erstarrt wären. Schnee, Schnee und wieder Schnee! An den Mähnen und Schwänzen der Tiere hängen Eiszapfen. Ein lebhafter Karawanenverkehr findet im Winter hier statt, da der direkte Weg von Bamian nach Kabul über den Hajigakpaß dann infolge des Schnees gesperrt ist. Ein kleiner, schwarzer Esel war unter seiner Last zusammengebrochen und blickte uns traurig aus seinen großen dunklen Augen an, als wir vorbeiritten. Ein paar Reiter sausten im vollen gestreckten Galopp über die Schneefelder dahin; Kamelkarawanen zogen langsamen Schrittes durch die weiße Bergwelt. Auf der Paßhöhe befinden sich einige Unterkunftshütten. Im Freien wurde ein großes Feuer angezündet, Tee getrunken und gefrühstückt. Herrlich war die uns umgebende Bergwelt! Die weißen Schneefelder strahlten ein solch helles Licht aus, daß man fast geblendet wurde. Der Weg hinunter nach Kasi Besé war an vielen Stellen stark vereist, so daß wir auch hier die Tiere immer führen mußten. Aber auf der Straße wurde tüchtig gearbeitet. Die vereisten Stellen wurden mit Sand und Kies bestreut. In Kasi Besé erwartete uns das Auto, das uns noch am selben Tage nach Siah-Gird brachte.

Wir blieben nun zwei volle Tage in diesem Dorf, denn es handelte sich darum, einige Kohlevorkommen in der Umgegend zu begutachten. Zu dem einen Vorkommen, das nicht sehr weit entfernt lag, gingen wir zu Fuß, denn es waren am ersten Tage keine Pferde aufzutreiben. Das ganze Tal zwischen der Paghman- und Hindukuschkette muß in früheren Zeiten einmal von einem See bzw. Sumpf ausgefüllt gewesen sein, denn überall treffen wir Sandsteine, Mergel, Tone mit eingeschalteten dünnen Kohlebändern. Später, also in ziemlich junger Zeit, hat das ganze Gebiet dann starke Störungen erfahren. Auf diesen mehr oder weniger eintönig grau gefärbten Ablagerungen liegen die tiefdunkelroten Sandsteine und Konglomerate des Jungtertiärs. An einer Stelle erhoben sich die Ruinen einer alten Lehmfeste, die ebenfalls aus tiefrotem Gestein aufgeführt war. Alle Bäche und Rinnsale, die wir antrafen, führten tiefrotes Wasser. Die rote Farbe rührte zweifellos von dem Eisengehalt der alten Kalksteine her, die sich an den Südhängen des Hindukusch hinziehen. Im Tale selbst befinden sich einige große, junge Terrassen, auf denen verfallenes Gemäuer steht.

Interessanter war der Besuch von Gaoparan, das in der Paghmankette liegt. Wir ritten wieder in das kleine Tal ein, in dem wir tags zuvor schon gewesen waren, und wandten uns dann langsam, immer höher ansteigend, gen Süden. Die Gegend ist außerordentlich fruchtbar; überall längs der kleinen Bäche, die von der Paghmankette herabkommen, dehnen sich Gärten und Anpflanzungen aus. Die Abhänge sind kunstvoll bewässert; Aprikosen, Äpfel und Weintrauben aus dem Ghorbendtal sind wegen ihrer Güte weit und breit bekannt. In Gaoparan statteten wir dem Distriktschef einen Besuch ab. Wir wurden mit herrlichem Obst bewirtet und erhielten den nie fehlenden grünen Tee, der immer aus kleinen Schalen getrunken wird. Sowohl die Tassen wie die Teekannen sind russisches Fabrikat. Der hohe Beamte war nicht sehr freundlich im Gespräch. Es dauerte auch geraume Zeit, bis man uns andere Pferde stellte. Dann zogen wir tiefer in die Bergwelt hinein und kamen in große Schneefelder. Das Wetter war schön, sonnig, und wir hatten nach allen Seiten einen herrlichen Ausblick auf die hohen Berge. Hinter Gaoparan trafen wir keine Menschenseele mehr.

Wir waren allein inmitten der Schneefelder; kein Windzug rührte sich, und es war warm wie im Sommer. Je höher wir kamen, um so umfassender wurde der Blick. Die Kohlevorkommen waren recht kläglich und bestanden aus kleinen, dünnen, stark gestörten Bändern. Wir blieben lange in diesem Gebiet und kehrten dann am Nachmittage nach Gaoparan zurück. Dieses kleine Dorf liegt wie ein Räubernest in den Bergen; die Häuser sind an die Hänge angelehnt. Unter der Bevölkerung sah ich sehr hübsche Menschen; besonders die kleinen Mädchen sahen – trotz des Schmutzes – ganz reizend aus. Wir hielten uns hier wieder einige Zeit auf und traten dann am Spätnachmittag den Heimweg an.

Als die Sonne unterging, wurden die Schneefelder des Hindukusch mit einem Hauch von Rosa übergossen, so fein und duftig, daß man die Schneegipfel fast mit den rosa Abendwolken verwechseln konnte. Dann rückten die blauen Schatten höher und höher und die Nacht hüllte das Tal ein. Es war sehr dunkel, als wir endlich wieder in unserem Quartier in Siah Gird eintrafen.

Am anderen Tage fuhren wir nach Dschebl-es-Seradsch. Der Weg war an vielen Stellen durch Blöcke gesperrt und wir mußten oft halten, um diese aus dem Wege zu räumen. Gegen Mittag kamen wir in Dschebl-es-Seradsch an und wurden im Gouverneursgebäude untergebracht. Von der Terrasse des Palastes aus hat man einen herrlichen Blick auf das umliegende Land. Tief unter uns zur Rechten sahen wir den schäumenden Ghorbendfluß, zur Linken den Pändschschir; und ringsherum hohe Berge. Im Südosten ragten trotzige wilde Felsgipfel auf – dort lag Kafiristan, in das tiefer einzudringen bisher nur zwei Engländern gelungen war, Robertson im Jahre 1889 und Mc. Nair bereits 1883. Das Land soll so wild und zerrissen sein, daß man es mit einer Karawane nicht durchziehen kann, es sei denn, man hätte Träger. Wenn man die Literatur über dieses seltsame Land durchsieht, stößt man oft auf Widersprüche. Die einen schildern die Kafiren als lustige, den Europäern wohlgesinnte Menschen; die anderen berichten, daß sie das wildeste Räubervolk seien, das man sich denken könne. Die Kafiren halten sich selbst für Abkömmlinge der alten Griechen. Holdich – wohl einer der besten Kenner Afghanistans – glaubt, daß die Kamdesch-Kafiren Nachkommen der alten Nysaeer sind, die Alexander den Großen auf seinem Zuge nach Indien als Landsmann und Religionsgenossen begrüßten. Die Kafiren zerfallen in viele Stämme. Sie sprechen verschiedene Sprachen und bekämpfen sich untereinander genau so wie die Grenzvölker an der indisch-afghanischen Grenze. Bis zu dem Augenblick, wo Emir Abdur Rahman seinen Glaubensfeldzug gegen sie antrat, hatte kein mohammedanischer Eroberer – vielleicht mit Ausnahme Timurs – den Versuch gemacht, dieses Land zu unterwerfen. Noch heute sind die Kafiren gefürchtet, und keines der an Kafiristan – oder besser Nuristan (das von der Religion erleuchtete Land) – angrenzenden Gebiete ist vor ihren räuberischen Überfällen sicher. Auch die Bewohner des Pändschschirflusses sollen gefürchtete Räuber sein. So hat sich dieses Gebiet noch bis zum heutigen Tage eine gewisse Selbständigkeit bewahrt; denn der Einfluß und die Macht der Kabuler Regierung ist hier nicht groß.

siehe Bildunterschrift

38. Grabmal des Emir Abdur Rahman

Wir bestiegen in Dschebl-es-Seradsch die nördlichen Hänge des »Eisenberges«, der aus Kalksteinen und sehr vielen Roteisenerzgängen besteht. Von hier aus konnten wir sogar den Sefid-kuh bei Dschelalabad sehen, der sich wie eine weiße, gezähnte Mauer am südöstlichen Horizonte abhob. Das große breite Tal, das vom Hindukusch nach Kabul sich hinzieht und unter dem Namen Koh-i-Daman bekannt ist, halte ich für ein eingebrochenes Becken, das – von alten See- und Flußablagerungen angefüllt – jetzt reich bewässert und außerordentlich fruchtbar ist. Von den Seiten der die Ebene begrenzenden Berge schieben sich Schuttkegel ins Tal. Dort liegen die in Maulbeer- und Aprikosenhainen versteckten Lehmdörfer Istalif, Deh-i-Nao und Istargij.

Von Dschebl-es-Seradsch unternahm ich später einmal eine Fahrt nach Gul Behar, das am Pändschschirflusse liegt. Der Fluß ist dort von prächtigen alten Maulbeerbäumen eingesäumt und ein Dorf liegt neben dem anderen. Früher muß auch der Pändschschir einmal in einem höheren Niveau geflossen sein, denn er wird auch von alten Flußterrassen eingefaßt, auf denen die Dörfer liegen. Wir konnten auch einen Blick in die Schlucht werfen, durch die der Pändschschir aus dem Hindukusch tritt. Die Berge waren fast alle schneefrei, aber die Hauptkette, die wir im Hintergrunde sahen, bildete eine einzige weiße Schneemauer. Gerade am Eingang der Schlucht, jenseits Gul Behar, liegt an den Felsen angeklebt ein Räubernest. Gewaltig sollen die Fluten sein, die sich zur Zeit der Schneeschmelze durch die Täler wälzen und alles mit sich reißen, was in ihren Weg kommt.

Sicherlich ist das Gebiet zwischen Dschebl-es-Seradsch und Tscharikar schon in ältesten Zeiten besiedelt gewesen, da hier ein großer Knotenpunkt für alle Karawanenstraßen ist. Von Osten (Pändschschir-Chawak), von Westen (Bamian-Ghorbend), von Norden (Hindukuschpässe) und von Süden (Kabul) treffen alle Straßen hier zusammen. Noch ungelöst ist die Frage, ob Alexanders des Großen Städtegründung Alexandria in dieser Gegend lag. Viele Forscher vermuten, daß die Stadt auf der Begram-Ebene südöstlich von Tscharikar gelegen habe, denn hier hat man viele Münzen gefunden, die aus alter, griechisch-baktrischer Zeit stammen. Auch sollen Überreste aus buddhistischer Zeit aufgedeckt worden sein.

siehe Bildunterschrift

52. Landschaftsbild bei Kabul

Die Koh-i-Daman-Ebene mit dem Ghorbendtal ist einer der fruchtbarsten Landstriche Afghanistans. Fährt man von Dschebl-es-Seradsch nach Kabul, so passiert man Dorf an Dorf, Garten an Garten, während zu beiden Seiten sich die hohen, pittoresken, kahlen Berge hinziehen.

Bei bitterkaltem Wetter und einem schneidenden Winde trafen wir wieder in Kabul ein und freuten uns, bald Indiens sonnige Fluren grüßen zu können.

Da nämlich im Laufe des Januar ein Dampfer in Karatschi eingetroffen war, der eine große Sendung für unsere Gesellschaft an Bord hatte, mußte einer von uns nach Indien, um die Sendungen von dort aus nach Kabul auf den Weg zu bringen bzw. sie in Peshawar einzulagern. Da auch zwei Autos in der Ladung waren, die aufmontiert werden mußten, schloß sich Blaich, der mit allen autotechnischen Arbeiten vertraut war, mir an.


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