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XII
Im Auto von Afghanistan nach Indien

Wochen verstrichen, und es wurde Zeit, daß wir uns für die Reise nach Indien rüsteten.

Endlich am 18. März, frühmorgens, stand das für die Fahrt gemietete Auto vor unserem Hause. Es war halb sieben, und es begann zu dämmern. Der Himmel war bewölkt. Kein Mensch war zu erblicken, als wir durch die noch schlafende Stadt fuhren. Es war still; nur das Rauschen des Kabulflusses drang an unser Ohr. Bald hatten wir die Stadt und ihre Gärten hinter uns und fuhren der aufgehenden Sonne und den Bergen entgegen. Hin und wieder trafen wir Afghanen, die der Stadt zueilten, und langsamen Schrittes zog eine Kamelkarawane an uns vorüber.

Bei Khurd Kabul erreichen wir die Talsperre; ein kleiner, blaugrüner See ist durch diese hier aufgedämmt. Er liegt wie ein geschliffener Türkis inmitten der verwitterten, düster ausschauenden Schieferberge, die noch auf den Kuppen Schnee tragen. Wir halten einige Minuten, um Benzin aufzufüllen, und dann geht es hinein in die Bergwelt. Höher und höher schrauben wir uns, bis wir endlich die ca. 3000 Meter hohe Paßhöhe des Häftpasses erreichen, von der aus wir einen wundervollen Blick auf die hohen Berge Laghmans und des wilden Kafiristan haben. Aber die Luft ist noch nicht ganz klar, und es sieht aus, als ob ein dünner lila Schleier über den tiefen Tälern liegt. In Serpentinen geht es wieder hinab, und die Kurven sind manchmal recht scharf. Eine Strecke lang sind die verwitterten Berghänge mit kleinen, dunkelgrünen Büschen bedeckt, und oft erfreut eine saftig grüne Wiese im Talgrund unser Auge. Der Chauffeur hat den Motor abgestellt, denn infolge der starken Neigung fahren wir auch so mit sausender Geschwindigkeit dahin. Oft begegnen uns Karawanen, und es dauert manchmal lange, bis es uns gelingt, an diesen vorbeizukommen. Stets gibt es Unordnung: Tiere reißen sich los, Lasten fallen zu Boden, die Männer schimpfen und fluchen und blicken uns vorwurfsvoll an.

Langsam geht es hinunter nach Djegdellek und Surkh-pul. Hier in diesen Schluchten war es, wo 1841 der letzte Rest der angloindischen Armee von den Afghanen niedergemetzelt wurde. Die Leiden dieses Rückzuges müssen furchtbar gewesen sein. Es war mitten im Winter, in furchtbarer Kälte und tiefem Schnee, als die Armee unter ständigen Angriffen der Ghilsais von den Höhen aus sich den Rückweg zu erkämpfen suchte. Zu Hunderten, zu Tausenden kamen sie um – – verdursteten, erfroren, verhungerten oder wurden von den Afghanen abgeschlachtet und niedergeschossen; nur ein einziger Überlebender sollte den Untergang der Armee melden können.

Bei Surkh-pul passieren wir eine große, rote Brücke und machen an der Straße Rast, wo einige kleine Verkaufsstände aufgeschlagen sind. Ein alter, zudringlicher, in Lumpen gehüllter Bettler will nicht von uns weichen. Die Kinder, unter ihnen bildhübsche kleine Mädchen, stehen um uns herum, betasten das Auto und starren uns an.

Wir fahren über kleine, sandige Pässe auf das Plateau von Ghandamak hinauf, wo 1879 die Friedensverhandlungen zwischen Engländern und Afghanen stattfanden. Dann geht es hinunter in die Djelalabader Ebene. Ein schwarzgrüner Zypressenhain, in dem ein kleines Bungalow liegt, ist Nimla. Im Süden zieht sich der schneebedeckte Sefid-kuh hin, dessen untere Hänge mit Fichtenwald bestanden sind; der einzige Wald, den ich in ganz Afghanistan gesehen habe! Die Vegetation wird üppiger und üppiger; wir fahren auf einer von hohen Tamarisken eingefaßten Chaussee dahin (Abb. 54). Das blaugrüne, fein zerschlitzte Laubwerk der Bäume sticht scharf gegen das saftige Grün der Wiesen und Felder ab. Gegen vier Uhr nähern wir uns der Stadt; Kinder spielen am Straßenrande und haben sich mit Blumen geschmückt – wir sind aus dem winterlichen Kabul in den Sommer gefahren! Um halb fünf treffen wir in Djelalabad ein und werden im Sommerpalast Bagh-i-Schahi untergebracht. Ganz Djelalabad ist eine üppige Oase. Hohe Tamarisken neigen sich über die großen, breiten, gut gepflegten Alleen; Garten reiht sich an Garten, und der Blumenduft ist geradezu betäubend.

siehe Bildunterschrift

54. Auf dem Wege nach Dschelalabad

siehe Bildunterschrift

58. Afghanen

Abends sitzen wir auf der Terrasse des Gartenschlosses und blicken auf den kleinen, künstlich angelegten See zu unseren Füßen. Es ist fast totenstill; man hört nur das leise, feine Zirpen der Zikaden und das Plätschern der kleinen Springbrunnen. Die Luft ist schwül; es hat sich wenig abgekühlt, und kein Luftzug regt sich, so daß der Rauch unserer Zigaretten in der Luft stehenbleibt. Ehe es dunkel wird, mache ich noch ein paar Skizzen. Dann geht der Mond auf. Vor uns am See ragt eine riesige Palme mit prachtvoller Krone auf und hebt sich scharf vom blauen, sternübersäten Nachthimmel ab. Ernste Zypressen stehen wie Wächter um den See; aus dem Dunkel des Gebüsches leuchten große, weiße Rosen, und schwer liegt der süße Duft von tausend Blüten auf dem Garten. Wir sitzen noch lange auf der Terrasse; selten, daß einer ein Wort spricht. Hier könnte man lange träumen! Nach der Zeit in Kabul kommt es uns hier märchenhaft schön vor, und morgen soll es nach Indien gehen!

Während des ersten afghanischen Krieges hat Djelalabad eine große Rolle gespielt, da sich hier die eine englische Brigade unter General Sale verschanzt hatte. Wenn man die Berichte aus jenen unglücklichen Tagen des Januar 1842 durchliest, kann man sich ein Bild machen, in welch furchtbarer Ungewißheit und Angst um ihre in Kabul zurückgebliebenen Kameraden und den Rest der Armee die paar Offiziere waren, die die Djelalabader Garnison befehligten. Langsam war es ihnen zur Gewißheit geworden, daß ein furchtbares Schicksal die Armee betroffen haben mußte. Am 13. Januar sollte die Botschaft kommen. Man arbeitete gerade auf den Wällen, als man auf der Straße, die nach Kabul führt, einen einsamen Reiter erblickte, der langsam und mühsam, als ob Pferd und Reiter jeden Augenblick vor Schwäche zusammenbrechen wollten, näher kam. Ein Schaudern ergriff die Leute: jener einsame Reiter sah wie der Todesbote aus! Ihre Ahnungen erwiesen sich als richtig. Es war der einzige Mann, der die Geschichte von der vollständigen Niedermetzelung der Armee melden sollte. Man brachte den Verwundeten, Erschöpften, Halbtoten ins Fort: es war Dr. Brydon, und er berichtete, daß er der einzige Überlebende einer Armee von 16 000 Mann wäre.

Wenn man heute in Djelalabads Blumengärten weilt und die Stille und den Frieden atmet, der über dieser kleinen paradiesischen Oase und der fruchtbaren Ebene liegt, dann ahnt man nichts von den Leiden, die dieses Tal schon gesehen hat. In der Nähe von Bagh-i-Schahi steht das Winterschloß des Emir inmitten eines herrlichen Blumengartens, und nicht weit entfernt ist die Stelle, wo am 20. Februar 1919 der Vater des jetzigen Königs – Habibullah – ermordet wurde.

In aller Frühe brechen wir von Djelalabad aus auf. Bald haben wir das Grün der Gärten und Felder hinter uns gelassen und kommen wieder in echt afghanische Landschaften, in denen kaum ein Fleck Grün das Auge entzückt. Die Straße ist schlecht, und wir können nur langsam fahren. Die Flußbetten sind fast ausgetrocknet; ein Glück für uns, da die Brücken schlecht und manchmal zerstört sind. Hin und wieder treffen wir kleine Trupps Nomaden – Mohmands. Die Frauen und Mädchen gehen hier nicht verschleiert, und man sieht oft hübsche Gesichter, dunkeläugige Mädchen, um deren schwarzes Haar schöner Silberschmuck geschlungen ist. Sie tragen alle tiefschwarze, in Falten herabfallende, pyjamaähnliche Gewänder.

Trostlos öde, wie von der Sonne verbrannt, sehen die Berge aus. Sie bestehen aus Schiefer und Gneis. Wir fahren weiter durch eine große, sandige, mit Blöcken bestreute Ebene, in deren schlechten Wegen die Räder des Wagens tief einsinken. Nur langsam können wir vorwärts kommen. Wärmer wird es, schwüler. Die Farben, in die die Landschaft getaucht ist, sind unendlich zart und duftig; im hellsten Lila schimmern die Berge im Norden des Kabulflusses, der sich wie ein silbernes Band durch die fruchtbare, hellgrüne Ebene von Lalpura schlängelt. Wir kommen nach Dekka. Unten am Flusse, inmitten eines kleinen Hains, liegt das Wächterhäuschen, wo unsere Pässe kontrolliert werden. Man bewirtet uns mit Tee und Obst, und dann geht es hinein in den Khaiber-Paß.

Zwischen Dekka und dem Passe treffen wir keinen Menschen. Die Fahrt dauert ca. 20 Minuten. Wild zerrissen sind die Berge, und man ahnt, wie schwer hier die Kriegführung sein muß. Unbarmherzig brennt die Sonne hernieder und die Luft flimmert über den nackten Felsen. Wir fahren an zwei verlassenen, kleinen Lehmhütten vorbei; dann treten die Berge wieder enger zusammen, und bald sehen wir das Khaiber-Haus hoch oben auf einem Berge thronen. An der Grenze ist ein Stacheldrahtzaun gespannt, und auf einer großen Tafel liest man:

It is absolutely forbidden to cross the border into Afghan Territory (Abb. 61).

(Es ist absolut verboten, die Grenze nach Afghanistan zu überschreiten.)

siehe Bildunterschrift

61. Die indisch-afghanische Grenze

Hoch oben links an den Berghängen stehen ein paar Baracken, wo der afghanische Grenzposten Wache hält. Er kommt herunter, prüft noch einmal unsere Pässe, und dann können wir unsere Reise fortsetzen. Bald haben wir das erste große englische Barackenlager erreicht – Lundi Khana –, und dann geht es immer höher hinauf, bis Ali Mesjid in Sicht kommt. Die Straße ist meisterhaft angelegt und nur für den Autoverkehr geöffnet; die Karawanen gehen im Tale, auf der für sie angelegten Straße. Hier auf der Khaiber-Straße bekommt man eine Vorstellung von dem Leben, das sich auf den großen Karawanenwegen, die Indien mit den Nachbarländern verbinden, abspielt. Aber nur an zwei Tagen in der Woche ist der Paß für den Karawanenverkehr freigegeben. Immer wieder und wieder muß man die Nomaden betrachten, die mit ihrem ganzen Hab und Gut große Strecken durch die öden Gebirgsländer Zentralasiens zurücklegen (Abb. 59). Alle gehen zu Fuß: Frauen in schwarze oder tiefblaue Gewänder gehüllt, schwere Bündel auf dem Kopf tragend oder mit Stöcken die Tiere antreibend; junge Mädchen, häufig zerrissen, zerlumpt, aber schön wie junge Zigeunerinnen; junge Burschen und Greise, die der Karawane vorauseilen. Auf einem der größten Kamele sieht man zuweilen auch kleine Kinder thronen, die ängstlich mit ihren schwarzen Augen in die Welt blicken und dem Hühnervolk Gesellschaft leisten, das auch auf dem hohen luftigen Sitze die weite Reise mitmacht.

siehe Bildunterschrift

59. Nomaden auf dem Weg von Kabul nach Dschelalabad

Und dann geht es in großen Serpentinen hinab ins indische Flachland, über dem ein grauer Dunstschleier liegt. Bald grüßt uns der im Winde flatternde »Union Jack« vom Jamrud-Fort, wo unsere Pässe noch einmal kontrolliert werden, und in einstündiger Fahrt treffen wir mittags in Peshawar ein.

siehe Bildunterschrift

55. Unser Wohnhaus

siehe Bildunterschrift

57. Friseur und Schuster, Kabul


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