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VIII
Trübe Wintertage

In den ersten Wochen, die wir in Kabul zubrachten, weilten wir im afghanischen »Hotel«. Die Zimmer waren ganz hübsch. Sie waren mit Kelims und Matten ausgelegt, über die wir dann unsere eigenen Teppiche breiteten; wir hatten Tische und Stühle und schliefen in unseren Feldbetten. Da wir alle aber sehr viel Sachen hatten, wurde der Platz doch sehr eng.

Tagsüber war es noch sehr schön warm; wir konnten sogar in der Sonne auf der kleinen Terrasse vor unserem Zimmer zu Mittag essen. Es waren die letzten schönen Tage des Jahres.

Das Hotelleben war auf die Dauer teuer, und wir mußten uns nach einer anderen Wohnung umsehen. Aber in ganz Kabul war kein für unseren Betrieb geeignetes Haus zu finden. Auch dort herrscht Wohnungsnot. Da bot uns eines Tages der Inhaber des Hotels an, wir sollten das Haus mieten, das er jetzt schräg gegenüber vom Hotel baute. Es war uns dieses Haus schon aufgefallen; die nach der Straße zu gelegene Seite war auch fertig, es waren zwei große Schaufenster im Erdgeschoß, und das Ganze machte für afghanische Verhältnisse einen recht hübschen Eindruck. Die Zimmer im Innern waren durchweg geräumig, so daß wir bald sahen, daß wir nichts Gescheiteres tun konnten, als dieses Haus zu mieten.

Aber der Besitzer war ein ganz durchtriebener Bursche. Er war Geschäftsmann und glaubte, von den Europäern erhalten zu können, was er nur verlangte. Tage – ja wochenlang – wurde gehandelt, wie das in Afghanistan üblich ist. Verträge wurden aufgesetzt, wieder zerrissen, neu entworfen! Kam der alte Gauner nach dem Mittagessen zu uns, dann mußten die Diener einen großen Kelim in der Sonne ausbreiten und Tee bringen, und dann wurde stundenlang verhandelt und debattiert. Hatte man sich glücklich geeinigt, so konnte man sicher sein, daß man am anderen Tage von neuem beginnen mußte. Wir bestanden dann darauf, daß er einen Mirza – einen Schreiber – mitbrachte, damit der Mietvertrag ordnungsgemäß aufgesetzt würde. Schreiben und lesen konnte der Alte nämlich nicht. Wohlweislich unterschrieben wir den Vertrag nicht sofort, sondern zeigten ihn erst einmal einem anderen Herrn, der ausgezeichnet Persisch verstand. Da zeigte es sich dann, daß doch etwas anderes, als was vereinbart, darinnen stand!

Wieder folgten endlose Verhandlungen, ehe der Vertrag endlich unterzeichnet wurde. Aber das Haus war halbfertig; einziehen konnten wir noch nicht. Türen und Fenster fehlten, und Öfen waren noch nicht gesetzt. Es wurde uns aber hoch und heilig versprochen, daß in einer Woche alles fertig sein würde. Die Woche verging, und als wir das Haus wieder betraten, war fast nichts getan worden. Wir wurden vertröstet. Eines Nachmittags erschien denn auch der eine Boy und sagte, wir sollten uns die Öfen ansehen. Also ging die Arbeit vorwärts, wenigstens sah es so aus! Die Öfen haben uns oft Sorge gemacht. Die kleineren wurden aus Petroleumbüchsen gemacht und haben den Nachteil, daß man alle halbe Stunde wenigstens Holz nachlegen mußte. Denn mit Kohle war es in Kabul schlecht bestellt. Wenn auch im Lande viel Kohle ist, so lohnt sich der Transport nach Kabul doch nicht. Schon im Hotel hatten wir unsere Freude an solch einem Ofen gehabt. Erst rauchte er wie ein Schlot, und als dem Übel abgeholfen war, wollte er nicht ziehen. Brannte aber einmal das Feuer, dann war der Ofen auch in ein paar Minuten rotglühend. Ging man einen Augenblick fort und kam wieder, dann war er ausgebrannt, und man mußte wieder von neuem Feuer anlegen. Besser waren schon die etwas größeren Öfen mit Wasseraufsatz. Rechtzeitig mußten wir auch Brennholz einkaufen. Manchmal war tagelang im Basar nichts aufzutreiben, oder das Holz war feucht und brannte nicht.

Dann kam der erste Schnee, und es wurde kälter und kälter. Es wurde Zeit, daß wir umzogen. Aber der Alte hatte tausend Ausflüchte; am Haus wurde nichts mehr getan. Die Fenster fehlten noch, die Wände waren nicht geweißt, keine Tür schloß richtig. Aber es hieß, bei dem kalten Wetter könnten die Leute nicht arbeiten, und erst müsse der Schnee vorbei sein. Wir drohten, den Vertrag zu zerreißen, wenn er nicht wenigstens Fenster und Schlösser in drei Zimmern anbringen lasse. Endlich, nach langem, langem Warten, konnten wir denn auch einziehen. Nie werde ich diesen ersten Umzug vergessen, bei dem Hammals, Lastträger, Stück für Stück unserer Ausrüstung vom Hotel ins neue Haus brachten. Für die Diener war es ein Festtag; denn sie konnten die Lastträger kommandieren und kamen sich ungeheuer wichtig vor.

Wir wollten jetzt auch eigene Küche führen; Juma sollte kochen. Aber der arme Junge verstand nur einen Pilau zuzubereiten; und sagte man ihm etwas, so starrte er einen mit offenem Munde an, was Wagner oft aus der Fassung brachte. Die Küche ist unsere Sorge geblieben. Wir haben viel Köche gehabt, sogar einen Hofkoch des Emir, und doch waren wir mit keinem zufrieden. Bevor wir unsere Küche eingerichtet hatten, nahmen wir unsere Mahlzeiten gemeinsam bei den Lehrern ein. Dann zogen wir abends im Dunkeln durch die engen finsteren Gassen nach dem »Paukerheim«. Ein Diener mit Laterne begleitete uns. Das Essen war gut, und Juma wurde abkommandiert, hier das Kochen zu lernen. Da es keine Backöfen gab, mußten alle Mahlzeiten auf kleinen Kohlenbecken zubereitet werden. Wir ließen Juma etwa vier Wochen gewähren, dann sollte er kochen. Und er tat es auch. Tag für Tag gab es Fleischknödel, mittags und abends, die auf ihn wohl einen besonders guten Eindruck gemacht hatten. Vielleicht machte ihm auch die Fleischmaschine so viel Freude, die wir im Basar erstanden hatten. Als wir ihn einmal fragten, ob er denn gar nichts anderes kochen könne, meinte er: O ja, Pilau! Es war zum Verzweifeln mit dem armen Jungen. Ich glaube, er sehnte sich wieder nach dem freien Karawanenleben zurück. Oft stand er ganz in Gedanken versunken da und träumte.

Im Hotel konnten wir uns nicht viel um ihn kümmern. Da meine Freunde einen tüchtigen Diener namens Abdul Sebur engagiert hatten, brauchte Juma nur mein Zimmer in Ordnung zu halten. Und das machte er gut. Er sah auch das Zeug nach, nähte abgerissene Hosenknöpfe an und versuchte Strümpfe zu stopfen. Aber wir hatten zum Schlafen für ihn keinen Platz. Nachts war es draußen schon zu kalt, als daß er hätte im Freien nächtigen können. So mußte er im Pferdestall bei dem Hesare, dem Pferdeknecht, schlafen; das kränkte ihn tief.

Eines Morgens, als ich den niedrigen, kleinen, finsteren Stall betrat, um nach meinem Pferd zu sehen, saß Juma frierend an der Glut eines erlöschenden Lagerfeuers. Der Hesare war wieder einmal fortgegangen, und Juma mußte das Amt des Wächters übernehmen. Stets wenn man den Hesare brauchte, hieß es: Hesare basar räft (Hesare ist nach dem Bazar gegangen). Mir tat Juma aufrichtig leid. Er hatte sich sicher seine Stellung in Kabul anders gedacht. Als ich eintrat, stand er auf und sagte verlegen: »Sahib, sieh, hier muß ich nun schlafen. Schlecht ist es hier und dumpfig.« Dabei hustete er und bat um eine Decke, die ich ihm auch verschaffte. Später gab ich ihm oft noch ein Trinkgeld in die Hand; er hatte auf der Karawanenreise doch gut für mich gesorgt. Daß er so dumm war, dafür konnte er ja schließlich nichts.

Als ich die Hindukuschtour antrat, wollte er gerne mit; ich merkte, er sehnte sich fort von Kabul. Aber leider konnten wir ihn nicht mitnehmen. Als nun seine Kochkunst auch versagte, war er eigentlich nur mehr geduldet. Er hatte wieder nur die Zimmer zu besorgen. Morgens mußte er zuerst den Ofen heizen, denn nachts wurde es in den Räumen immer sehr kalt, da weder Fenster noch Türen gut schlossen.

Eines Wintertages, als draußen eisige Kälte herrschte und große Eisblumen an unseren Fenstern waren, trat Juma morgens leise ins Zimmer. Er glaubte, ich schliefe. Leise trat er an meinen Arbeitstisch und suchte, nahm meine Zigarettendose und steckte sich verstohlen und bedächtig eine Zigarette an. Plötzlich sah er, daß ich ihn beobachtete, und nie werde ich sein verlegenes, bestürztes Gesicht vergessen! Er stand wie versteinert! Beschämt schlug er die Augen nieder. Im ersten Augenblick wollte ich ihn gefährlich anfahren; aber ich hatte dann doch Mitleid mit ihm. So sagte ich nur, indem ich leise den Kopf schüttelte: Juma, tschi mikuni? Juma, was machst du da? Er antwortete nichts, legte die Zigarette auf den Ofen und ging still aus dem Zimmer. Widerworte wie andere Afghanen hatte er nie.

Der Winter war gekommen. Grau war der Himmel; Schneedecke legte sich auf Schneedecke (Abb. 41). Die Diener hatten stundenlang zu arbeiten, um den Schnee vom flachen Dache zu schippen. Alles war naß und feucht. Aber solange es kalt war und schneite, war es noch zu ertragen; doch dann kam eines Tages das Tauwetter und verwandelte die Straßen in einen Morast (Abb. 33). Der Schnee auf dem Dache schmolz und das Wasser tropfte an allen Stellen durch die Decke. Schüsseln und Töpfe wurden aufgestellt und in dem einen Zimmer mußten wir eine große Zeltleinwand ausspannen, in der sich bald ein kleiner See ansammelte, der alle halbe Stunden entleert werden mußte! Wir alle waren stark erkältet. Die Zimmer wurden kaum warm. Wir legten uns die Pelze über die Knie und tranken oft Schnaps – oder besser Raki, Marke »Stacheldraht« getauft – den einer der Europäer fabrizierte. Mit Apfelsinensaft und Zucker vermischt konnte man ihn trinken, und da wir diese Mischung erfunden hatten, erhielt sie fortan in der deutschen Kolonie den Namen »Marke OHA« (OHA = Orienthandelsaktiengesellschaft). Lange blieben wir abends nicht auf. Die Beleuchtung war zu schlecht. Wir hatten nur Stallaternen und wenn man nicht ständig aufpaßte, rußten sie. Vor dem Schlafengehen wurde im Ofen noch einmal Feuer gemacht. Dann rückten wir ganz nahe heran, legten Holzscheit auf Holzscheit und blickten in die flackernden Flammen. Bald wurde es in der Nähe des Ofens mollig warm; und oft genug strahlte er eine solche Hitze aus, daß man nicht dicht herangehen konnte. Aber die Freude dauerte höchstens eine Viertelstunde, dann war das Holz verbrannt und die Kälte zog wieder ein. Wir deckten uns mit Wolldecken und Schafpelzen zu, plauderten noch eine Weile aus unseren Pelzhöhlen und sanken bald in tiefen Schlaf.

33. Kabul: Blick vom Arkbasar nach Norden

siehe Bildunterschrift

41. Hotel Inderabi Kabul

Eines Tages war der Schneefall außerordentlich stark. Schon morgens, als wir aus unseren Fenstern blickten, sahen wir das Wirbeln der dicken Flocken. Von den gegenüberliegenden Bergen war nichts zu erkennen. Die großen Raben saßen regungslos auf der Mauer; auch ihnen war das Wetter wohl zu kalt. Als ich mittags einen Spaziergang machte, versank ich fast im Schnee und die weißen Flächen blendeten derart, daß ich die Augen kaum offen halten konnte. Froh war man dann, wenn man wieder in seiner Lehmbude war und am heißen Tee sich wärmen konnte.

Am 20. Februar konnten wir sehr schön die totale Mondfinsternis betrachten. Es war abends gegen sieben Uhr; ich wollte gerade vom Hause fortgehen, da hörte ich draußen ein seltsames Stimmengewirr. Ein geheimnisvolles Summen, langgezogene Rufe, die von den Bergen widerhallten. Ich ging hinaus und sah, wie die Landschaft in ein eigenartiges Licht getaucht war – es war Mondschein; aber nicht das silberhelle Licht lag auf den eingeschneiten Bergen, den flachen Dächern und Lehmwänden, sondern feine, bläuliche Schatten schienen langsam über das Land zu ziehen – Mondfinsternis! Wie tausend Lichter flackerten die Sterne am Firmament, ihr heller Glanz noch gesteigert durch die Höhenluft, liegt Kabul doch ca. 1750 Meter hoch. Langsam schob sich der Erdschatten über die Mondscheibe und etwa um siebeneinhalb Uhr war die Finsternis total.

Auf den Straßen war es still; hin und wieder sah man einen Afghanen, die Laterne in der Hand, nach Hause eilen. Die Verkaufsläden waren geschlossen; nur aus den Lebensmittelständen schimmerte der trübe Schein der Öllampen. Eine ganz seltsame Stimmung lag über dem Land. Der Mond schwebte wie eine rötliche Kugel am Himmel; so sah die Sonne aus, wenn in meiner Heimat das Moor abgebrannt wurde und der Rauch dem Tagesgestirn das Licht nahm. Mehr und mehr wuchs das Stimmengewirr, lauter und lauter wurden die Gebetsrufe an Allah; Raketen stiegen in die Luft, um den bösen Geist zu verscheuchen, der den Mond verschlingen wollte.

Noch um neun Uhr war die Finsternis total. Einige kalte Windstöße fegten über das Land und ließen die losen Fensterscheiben in den Lehmhäusern erklirren.

Als ich spät abends nach Hause kam, und die Mondscheibe wieder in hellem Lichte erstrahlte, hörte ich fremdartige Musik. Mit Trommeln, Flöten und Gesang wurde das wiedergekehrte Licht des Nachtgestirns begrüßt und noch bis tief in die Nacht hinein drangen die dumpfen Klänge der Trommel an mein Ohr. So gingen die düsteren Wintertage dahin, langsam, schleichend, als ob es nie wieder Frühling werden wollte.


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