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XIV
Sommertage in Kabul

Schon im März hatte der Frühling in Kabul seinen Einzug gehalten; plötzlich, über Nacht. Die Wolken wurden in Schleier und Fetzen zerrissen und mußten dem strahlend blauen Himmel weichen; und wo die Sonnenstrahlen über den Boden liefen, da schmolz der Schnee in kurzer Zeit. Ein paar Tage waren die Straßen in Schlamm verwandelt (Abb. 33). In den Basargassen hatten sich Schlammseen gebildet, die man nur auf hineingeworfenen großen Steinen passieren konnte. Überall glitt man auf dem weichen, schlüpfrigen Boden aus, und über und über mit Schlamm bespritzt kam man abends nach Hause. Aber dieses Tauwetter mit seinem Schmutz, während dessen sich auch unsere Wohnung vor Feuchtigkeit aufzulösen drohte, ging vorüber, und der Frühling war da. Das erste zarte Grün kam hervor, und bald prangte das Land im schönsten Schmuck des Frühlings, der seine Blumenpracht über das Land streute. Wo noch vor 14 Tagen Schnee gelegen hatte, blühten jetzt die Rosen. Oft bewunderte ich die großen Rosenbüsche, die vor dem Eingang zur Ark standen. Hunderte weißer Blüten leuchteten aus dem Grün hervor, und ein unendlich süßer, betäubender Duft schlug einem entgegen. Auf den umliegenden hohen Bergketten aber lag der Schnee noch lange und auf den 5000 Meter hohen Spitzen der Paghmankette verschwand er erst im Herbst.

Noch bevor ich im März nach Peshawar ging, waren wir wieder einmal umgezogen. Unser Hausherr ließ nämlich nichts mehr an dem Hause machen; wir lagen ständig in Streit mit ihm, und da riß uns denn doch schließlich die Geduld. An einem Sonntage zogen wir wieder mit unserem ganzen Gepäck in das neue Quartier, dem Konkurrenzhotel »Enderabi«, das von den Deutschen ironisch »Hotel Esplanade« getauft wurde (Abb. 41). Wir blieben dort bis Juli wohnen. Mit Blaich hatte ich ein kleines Zimmer, viel zu eng für all unsere vielen Sachen. Matt fiel das Licht durch die kleinen roten, blauen und orangefarbenen Fensterscheiben; arbeiten konnte man bei der Beleuchtung kaum. Am schönsten war unser Empfangszimmer, unser »Salon«! der war groß, hatte viele Fenster, war tapeziert und hatte einen großen Kronleuchter.

Als ich im Juni von Peshawar zurückkam, waren noch weitere Herren unserer Gesellschaft eingetroffen. Wir waren nun sieben Personen und hatten noch weitere Zimmer im Hotel gemietet.

Das Sommerwetter war herrlich. Tag für Tag blauer Himmel und Sonnenschein. Wenn ich jetzt meine meteorologischen Aufzeichnungen durchsehe, finde ich, daß wir von Anfang Juni bis Anfang Oktober 105 Sonnentage hatten, an denen auch nicht eine Wolke am Himmel sich zeigte.

Wir hatten vom Dach unseres Hotels einen herrlichen Blick auf die Berge. Vor uns erhob sich der von der Bala Hissar und alten Befestigungen gekrönte Scher Derwaseberg. An einem schönen Sommertage habe ich ihn einmal bestiegen. Früh schon brach ich mit unserem neuengagierten Diener, dem Wasir, auf und bestieg den Bergrücken von der Südseite aus. Prächtig muß einmal das Bild gewesen sein, als die Befestigungen noch nicht geschleift waren, und Emir Abdur Rahman hier seine Residenz aufgeschlagen hatte. Jetzt liegt alles in Trümmern, und der Schutt der Ruinen vermengt sich mit den verwitterten Gneis- und Schieferbrocken, die den Berg überziehen.

Auf einem großen Felsblock ließ ich mich nieder und ließ den Blick über das Land schweifen. Wie auf einer ausgebreiteten Landkarte sah ich das blaue Band des Flusses und die Stadt tief unter mir. Es war zuerst nicht ganz leicht, sich in dem Meer von Häusern und platten Dächern zurecht zu finden. Bald aber erkannte ich die Post, das Hotel Enderabi und das Gebäude des Auswärtigen Amtes, sowie die Ark; nun ging ich ganz systematisch vor, folgte den einzelnen Straßen und Häuserblöcken und langsam löste sich das verwirrende Bild. Es war neun Uhr, und schon war die Kraft der Sonne sehr groß. Ich zeichnete ein Panorama von den umliegenden Bergen, die in allen Farben schimmerten. Imposant war das Bild der Paghmankette, die mit ihren weißen Kuppen sich scharf vom hellblauen Himmel abhob. Lange blieb ich noch oben und konnte mich nur schwer von meinem schönen Aussichtspunkte trennen. Gegenüber von unserem Berge, von ihm durch das tief eingeschnittene Tal des Kabulflusses getrennt, erhob sich der Kuh-i-Asmai. Auf diesem war ich einmal an einem trüben Wintertage gewesen. Tief eingeschneit lagen damals die Berge und das Tal, und graue Nebel hingen über der Ebene. Der Kuh-i-Asmai ist niedriger als der Scher Derwaseberg; trotzdem hat man aber auch von ihm einen schönen Ausblick.

Gegen elf Uhr wurde die Hitze unerträglich, und nachdem ich noch einige Gesteinsproben gesammelt hatte, begaben wir uns wieder nach Hause.

Arbeitsreiche Wochen folgten. Auf dem Zollamte lagen Hunderte von großen Kisten, die alle der Verzollung harrten. Geduld muß man im Orient bekanntlich überall haben, noch mehr als Geduld aber beim Verzollen. Meistenteils gingen wir nach dem Essen nach dem Zollamt, das ziemlich versteckt mitten in der Stadt lag. Ein großes Tor, ein Innenhof voller Ballen, Kisten, Menschen, Kamelen, Eseln, Pferden, Autos und Ochsen, ein Geschrei und Geschimpf, ein Gedränge, daß man sich kaum zu retten wußte! Ständig schwirrte der Ruf: »Chaberdar, chaberdar! Vorsicht, Vorsicht!« durch die stauberfüllte Luft (Abb. 60).

siehe Bildunterschrift

60. Zollhof Kabul

Oft stauten sich die Karawanen am Ausgang; dann ging es furchtbar her. Dann gab es Schläge und Schreie, ein Drängen und Stoßen, ein Kämpfen der Tiere untereinander. Mancher Huftritt wurde ausgeteilt, und oft hörte man das klägliche Heulen eines Hundes, der sich in das Zollamt verirrt und mit Steinwürfen und Fußtritten wieder hinausbefördert wurde.

Für unsere Ladung war im Hofe ein eigener Raum reserviert worden. Wenn verzollt wurde, war stets der Mudir, der Direktor des Zollamtes zugegen. Er war ein sehr freundlicher Herr und besaß eine fabelhafte Ruhe, wie es sich für einen Zolldirektor gehört. Die Verzollung ging derart vor sich, daß der Wert der Waren von eigens dazu angestellten Schätzern geschätzt und von diesem Werte dann der Zoll, je nach Art der Ware, 20 bis 200 Prozent genommen wurde.

Nun hatten wir in unserer Ladung natürlich sehr viele Sachen, die den Afghanen noch ganz unbekannt waren. Die wurden manchmal unnatürlich hoch eingeschätzt, und es mußte schwer gehandelt werden, bis die Afghanen endlich den Wert annahmen, den wir für richtig hielten. Viel Spaß hatten wir eines Nachmittags, als wir eine Kiste mit Spielwaren verzollten. Jedes einzelne Stück wurde angestaunt, und der Direktor selbst spielte den ganzen Nachmittag mit einem Affen, der die Trommel schlug! Riesengroß war die Freude und das Staunen, als wir ein kleines Automobil, das mit Federwerk versehen war, aufzogen und auf dem Boden laufen ließen. Großen Eindruck machte auch das Aluminiumgeschirr, das bisher in Kabul noch unbekannt gewesen war. Hatten wir die Kisten verzollt, so engagierten wir uns eine Anzahl Lastträger. Jeder schnürte sich eine der schweren Kisten auf den Rücken, und dann ging es im Gänsemarsch unserem Lagerraum zu.

Manchmal war das Arbeiten im Zollamt kein Vergnügen. Wenn man auch nach Möglichkeit versuchte, uns das Arbeiten in jeder Weise zu erleichtern, so konnte man doch nicht verhindern, daß auch andere Händler und Kaufleute ihre Waren in der Nähe der unsrigen aufstapelten. Besonders unangenehm war es, wenn dort 50 bis 100 mit Hammelfett gefüllte Ledersäcke lagen. In der großen Hitze – stieg doch das Thermometer häufig mittags im Schatten auf 35 bis 4o Grad – war das Fett natürlich ranzig geworden, drang durch die Nähte der Säcke, lief an ihnen herunter, daß sie glänzten, als ob sie poliert seien und verbreitete dazu einen ekelerregenden Geruch.

Sehr interessant gestaltete sich die Verzollung von Bier und Spirituosen. Auch dies war für die Afghanen natürlich etwas ganz Neues, da diese Getränke für die Mohammedaner verboten sind. Jeder von uns erhielt einen Schein, auf dem vermerkt war, wieviel Bier, Whisky usw. er im Jahre verbrauchen durfte. Kam dann eine Sendung an, so wurde die Anzahl Flaschen, die der betreffende haben wollte, von seinem Kontingent abgeschrieben. Auch waren wir verpflichtet, genau Buch darüber zu führen, an wen wir die Spirituosen verkauft hatten. Daß wir an Afghanen kein Bier verkaufen durften, versteht sich von selbst.

Bei jedem einzelnen Gegenstand, den wir verzollten und der den Afghanen unbekannt war, mußten wir ihnen erklären, wozu er diente. Zollfrei war gar nichts – mit Ausnahme von gebrauchter Wäsche. Bücher, selbst Bilder von unseren Angehörigen mußten verzollt werden! Sicher ist der Zoll eine der Haupteinnahmequellen des Landes.

War die Tagesarbeit getan, dann machten wir meistenteils noch einen Spaziergang, besuchten Bekannte und waren um acht Uhr zum Essen daheim. Auf dem Dache war es immer recht frisch. Dann saßen wir beim Scheine der Stallaternen, plauderten oder lasen. Später löschten wir auch wohl die Lampen aus und blieben beim Glanz der Sterne und des Mondes noch lange auf unserem Dach. Auch die Diener gingen meist spät schlafen. Lange noch sah man den roten Lichtschein aus der Küche in den Hof fallen. Meist saßen sie um das Feuer, plauderten, rauchten Wasserpfeife, oder Gulam – unser indischer Koch – las ihnen etwas vor, denn er war sehr gelehrt und war weit in Asien herumgekommen.

In der heißen Jahreszeit schliefen die Diener immer im Hof. Nachts sank die Temperatur auf 25 bis 28 Grad Celsius, tagsüber erreichte sie im Schatten 38 bis 40 Grad Celsius. Um elf Uhr jeden Abend wurde ein Kanonenschuß abgegeben. Nach dieser Zeit durfte keiner mehr ohne Laterne ausgehen. Wurde man ohne Laterne von einem roten Polizisten erwischt, so mußte man die Nacht auf der Wache zubringen und am anderen Morgen Rechenschaft ablegen, was man so spät noch auf der Straße getrieben hatte.

Wir schliefen bei offenen Fenstern und Türen. Oft wachte man nachts auf; dann hatte sich eine Katze oder ein anderer nächtlicher Ruhestörer ins Zimmer geschlichen. Manchmal fand man morgens die Küchenreste auf den Teppich verstreut, meistens schön abgenagte, weiße Knochen! Daß die Tiere sich als Nachtlokal immer gerade mein Zimmer aussuchten und meinen Teppich immer als Speisetisch nahmen, fand ich ungehörig! Wenn sie sich dabei leise und anständig benommen hätten, hätte ich auch noch ein Auge zugedrückt! Aber sie legten es doch manchmal darauf an, die Nachtruhe zu stören. Von meinem Feldbett aus warf ich dann wohl einen Stiefel, oder was sonst gerade zur Hand war, ins Zimmer. Dann war es einige Minuten still. Schließlich gab man dann doch den Kampf als aussichtslos auf, legte sich auf die andere Seite und schlief wieder ein.

Im Hofe war auch das Hühnervolk untergebracht, unser lebender Proviant, der jede Woche frisch ergänzt wurde. Stets kaufte Gulam auch einige Hähne und ausgerechnet solche, die eine sehr laute Stimme hatten. Der eine war Tenor, der stets nachts übte; schon um drei Uhr begann er zu krähen, laut und vernehmlich! Dann antwortete von ferne ein anderer Hahn und sofort begann er wieder unermüdlich Minute auf Minute. An Schlaf war dann nicht mehr zu denken.

Eines Nachts, als er gerade wieder seine Stimme erschallen ließ und schon um zwei Uhr begann, riß Wagner denn doch die Geduld. Ich sah, wie er in seinem Zimmer Licht anzündete und mit einem kräftigen Fluch – tschirakäsch, pedersäk – so etwa wie Hundesohn – in den dunklen Hof stürzte. Darauf hörte ich einen festen Gegenstand gegen die Wand aufschlagen; es war entweder sein Stiefel oder ein Stein! Gulam wurde geweckt, und nun begann die nächtliche Hahnenjagd. Die Aufregung war allgemein. Sämtliche Diener nahmen an der Jagd teil. Endlich war der Übeltäter erwischt und wurde in die Küche gesperrt, wo er am folgenden Tage sein Leben beschließen mußte. Wir aber krochen wieder auf unsere Feldbetten, bis uns um fünf Uhr das jämmerliche Geschrei des Esels weckte, der im Nachbarhofe unter einem großen Baume angebunden war …


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