Franz Treller
Der Letzte vom »Admiral«
Franz Treller

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Der Letzte vom »Admiral«

Am fünften Tag nach der Ausfahrt trieb der »Roland« vor einem leichten Luftzug mit kaum zwei Knoten Geschwindigkeit. Den Bug nach Westen gerichtet, schaukelte er sanft auf den Wellen des Indischen Ozeans. Im Ausguck saß ein Jungmann, der mit scharfen Augen den Horizont absuchte.

Am Hinterdeck, im Schatten des Sonnensegels, hatte sich, in tiefes Nachdenken versunken, Findling niedergelassen.

Unaufhörlich beschäftigten ihn alle Vorgänge der letzten Zeit, namentlich insoweit sie sich auf Konsul Isenhoit bezogen. Sollte sich das Rätsel seines Lebens endlich lösen? Sollte er das heiß ersehnte Glück genießen, eine Mutter in seine Arme zu schließen? Freudig hoffte er, aber zuweilen stiegen nagende Zweifel in ihm auf. Wo war er gefunden worden? Wenn der Kapitän, der ihn nach Hamburg brachte, auch Mitteilungen über die Auffindung gemacht hatte, weder das Waisenhaus noch das Seeamt bewahrten Aufzeichnungen darüber. Und die Aussagen des Evers, beruhten sie auf Wahrheit? Bald mußte er Gewißheit darüber erlangen, denn nach der Mittagsberechnung mußten sie heute noch die Insel, von der jener ausgesagt hatte, anlaufen, wenn sie nicht allein in seiner Phantasie existiert hatte. Von Zeit zu Zeit horchte er nach dem Fock, ob der Matrose nicht das Deck anrief. Er erhob sich und sah nach vorn. Da saß am Mast der Berliner und stickte, so gut es ging, an seinem durch den Waldmarsch arg mitgenommenen indischen Anzug.

Neben ihm stand Henrik und beobachtete die flinken Finger des Schneiders; auch er schaute oft nach vorn, denn er wußte, was Findling bewegte und was dieser von der gesuchten Insel hoffte.

»Ick trage ihm doch noch bei Pinkerts uff 'n Maskenball«, sagte Fritz, auf den Anzug anspielend, welchen er ausbesserte, »ick kriege ihm wieder in Ordnung, und dann soll die janze Reezenjasse vor Neid platzen. An wenn ick meinen Orden jut versilbere, dann koof' ick die jute Olle un Line seidene Kledaschen un Hüte mit wat druff, un denn jeht et aber nach 'n Jrunewald! Aber fein, sage ick dir, Hamburger!«

Henrik freute sich der bescheidenen Zukunftsträume des Schneiders, die so viel des Glückes bargen.

Unweit von beiden standen Martin und Karl Steffen, der letztere, wie alle übrigen, in einfacher Matrosentracht. Er war viel gesprächiger geworden in dieser Zeit, besonders wenn er sich mit Martin, seinem alten Schiffskameraden, unterhielt, und sah viel jugendlicher aus als zu der Zeit, da er an Bord kam. Im allgemeinen aber hielt er sich entfernt von allen, saß oft stundenlang oben und blickte sinnend über das unendliche Meer. Sein Auge sowohl wie seine Züge trugen die Zeichen des wiedererwachten Geisteslebens, und es war zu hoffen, daß er die dunkle Periode seines Lebens ganz überwinden werde – daß sie dann, einem wüsten Traum gleich, hinter ihm liegen und er wieder der werden würde, der er einstmals war.

»Sieh, Karl«, sagte Martin, »in diesem Meer tat ich meine erste Fahrt auf dem ›Nautilus‹, und hier, südwärts von Ostindien, erlebte ich mein erstes Abenteuer.«

»Wie war das?« fragte Steffen.

»Wir steuerten von Bombay auf das Kap zu, es war ein Wetter wie heute; ich hatte oben zu tun, als ich plötzlich ein treibendes Boot erblickte. Ich rief das Deck an, und der Kapitän ließ die Jolle aussetzen, um zu erfahren, welchem Schiff das Boot angehören möchte. Ich gehörte zur Jolle. Wie wir an das fremde Fahrzeug herankamen, hatten wir einen schrecklichen Anblick. In dem Boot lag eine tote Malaiin, die ein kleines Kind, ein weißes, nettes Ding, das uns aus blauen Augen anstarrte, neben sich hatte. In meinem ganzen Leben habe ich keinen so rührenden Anblick mehr gehabt. Das Wurm war munter, aber die gelbe Frau war mausetot. Wir sahen nach dem Schiffsstempel, fanden aber keinen, nahmen das Kind und brachten es dem höchlichst erstaunten Kapitän, der, wie wir, tief gerührt war.«

Ein Geräusch machte sie umschauen – und sie sahen beide in des Kapitäns sehr bleiches Angesicht. Als er sich bemerkt fühlte, wandte er sich weg und ging langsam wieder nach vorn.

Martin war hiervon in höchstem Grade betroffen.

»Was wurde aus dem Kind?« fragte Steffen.

»Oh«, antwortete der Alte leise, »wir brachten es glücklich durch und nahmen es mit nach Hamburg.«

»Und dann?«

»Wie ich später erfahren, ist es ins Waisenhaus gekommen, und«, setzte er noch leiser hinzu, »weißt du, daß ich manchmal den Gedanken habe, der Kapitän sei eben jenes Kind gewesen, welches wir damals fanden? Er ist nämlich aus dem Waisenhaus zur See gegangen und hat, wie ich weiß, keine Angehörigen; er ist ein Findelkind; ich habe mich bisher nur gescheut, ihn nach weiterm zu befragen.«

»Es geschehen immer noch Wunder«, sagte Steffen und blickte sinnend in die Ferne.

Findling, welcher genügend von Martins Äußerungen vernommen hatte, um das lebhafteste Interesse dafür zu gewinnen, ging wieder nach hinten und verschwand in seiner Kajüte. Nach einiger Zeit wurde Martin zu ihm berufen.

Zu des letztern größtem Erstaunen sagte der Kapitän mit tiefem Ernst: »Ich habe etwas von deiner Unterredung mit Steffen gehört, Martin, und möchte dir einige Fragen vorlegen, die du mir, bei deinem Seelenheil, wahr beantworten wirst.«

»Das soll so sein, Kapitän.«

»Wo fandet ihr das Kind mit der toten Malaiin?«

»Ganz genau, Kapitän, weiß ich das nicht.«

»Aber es war in diesen Gewässern?«

»Sicher, Herr, auf der Route von Bombay nach dem Kap.«

»Wann war das?«

»Das ist jetzt genau fünfundzwanzig Jahre her; es war meine erste Reise.«

»Wie sah das Kind aus? War es ein Knabe?«

»Es war ein netter, flachsköpsiger Junge.«

»Was wurde aus dem Kind?«

»Nun, später habe ich gehört, daß der Kapitän, der selbst ein halbes Dutzend Kinder hatte, den Jungen ins Waisenhaus gegeben hat. Angehörige waren nicht ausfindig zu machen.«

»Besinnst du dich noch, wann ihr damals nach Hamburg zurückkehrtet?«

»Genau, Kapitän, denn es war an meinem fünfzehnten Geburtstag; wir hatten ungewöhnlich gute Fahrt gehabt.«

»Und auf welchen Tag fällt dein Geburtsfest?«

»Auf den vierten September.«

»An welchem Tag fandet ihr das Kind?«

»Es war im Juni, Herr, den Tag weiß ich nicht.«

Am 4. September konnte man in Hamburg noch keine Kunde von dem Untergang der »Elisabeth« haben, erwog Findling bei sich; der Konsul und sein Kind konnten noch nicht vermißt werden, als der im Indischen Ozean aufgefundene Knabe in Kamburg anlangte. Das erklärte, warum alle Nachforschungen vergebens waren. Das Zugrundegehen der »Elisabeth« verschleierte alles noch mehr.

Martin hatte eine Frage auf der Lippe, wagte aber doch nicht, sie zu äußern.

»Und«, wandte sich der Kapitän wieder an ihn, »was du mir eben gesagt hast, kannst du beschwören, wenn es nötig sein sollte?«

»Sicher, das kann ich.«

»Es ist gut, ich danke dir.«

»Bestimmt ist Findling der kleine Junge von damals, gewesen!« sagte sich Martin, als er hinausging.

»Ho, Deck!« schallte es vom Fock.

»Was da?«

»Land nach vorn.«

»Wo da?«

»Zwei Strich über Steuerbord.«

Man benachrichtigte Findling; dieser stieg selbst mit dem Glas nach oben und hielt in angegebener Richtung Ausschau. Er sah wirklich Land.

Die Richtung des Schiffes wurde geändert, und der »Roland« lief bei etwas aufgefrischtem Wind auf das angesprochene Land zu.

Nach einer Stunde konnte man die Insel – nur von einer solchen konnte in dieser Breite die Rede sein – schon von Deck aus erkennen.

Am Nachmittag lag eine seltsam gestaltete Felseninsel vor den Schiffern, die von ausgedehnten Riffen und Kanälen umgeben war.

Findling, aufs freudigste bewegt, daß die Angabe des Evers über die Lage des Eilands sich bewahrheitet hatte, holte die von jenem entworfene Karte hervor, auf welcher auch die Landmarken, selbst die das Riff durchziehenden Kanäle angegeben waren. Nach dieser Skizze führte ein breiter, tiefer Wasserstreifen von Südost nach West direkt zu einer geräumigen Bucht, in welche hinein der »Gallego« einst von der Strömung getrieben worden war.

Bald sah Findling den ganz richtig angegebenen Kanal vor sich.

Die Insel, welche nur spärliche Vegetation aufwies, erhob sich an einigen Stellen hoch empor in grotesken, nackten Felsformationen, deren zwei hervorragende Spitzen einst dem Zeichner als Landmarken gedient hatten. Evers erwies sich also durch seine topographische Aufnahme als erfahrener Schiffer.

Der »Roland« trieb langsam den Kanal entlang; gelegentliches Loten ergab beträchtliche Wassertiefe.

Findling suchte mit dem Glas die Küste ab, konnte aber ein lebendes Wesen nicht entdecken.

Endlich trat der »Roland« in die geräumige Bucht, die von braunen, zerrissenen Felsen, zu deren Füßen sich ein flacher Strand hinzog, eingefaßt war. Die Leinwand wurde geborgen und ein Buganker fallen gelassen. Der Ankergrund war gut, der »Roland« lag in sicherm Hafen. Zu der Leute Verwunderung ließ Findling die Waffenkammer öffnen und Gewehre und Patronen verteilen.

»Wir sind in einem Teil der Welt, den häufig malaiische Räuber unsicher machen«, erklärte er der Mannschaft, »wir wollen uns nicht überraschen lassen.« Dann stellte er Wachen aus.

Wenn auch die Matrosen sich verwundert fragten, was der »Roland« an dieser wüsten, räuberischen Anfällen ausgesetzten Insel zu suchen habe, war ihr Vertrauen zu dem Führer doch groß genug, um sie, die Büchse in der Hand, mit gelassener Ruhe der kommenden Dinge harren zu lassen.

Henrik hatte Findling erklärt: wenn, woran er nicht zweifle, die Insel auch von denen aufgesucht werde, welche zufällig oder durch List in den Besitz des Geheimnisses gekommen waren, so würden jedenfalls Malaien unter Führung des schuftigen Amea dabei beteiligt sein; dadurch sei jede Vorsichtsmaßregel geboten.

Bei der Erwähnung des Malaien stieg in Henrik der tiefe, grimmige Zorn auf, der ihn immer befiel, wenn er des Todfeindes gedachte.

Sehr ernst fuhr Findling fort: »Carsten ist ein trefflicher Seemann, wenn er nüchtern ist. Falls er mit deinem Vetter nach hier ausgelaufen ist, woran ich nach allem Vorgefallenen keinen Zweifel hege, so müßte er bei dem weiten Vorsprung, den er hatte, trotz der Überlegenheit des ›Roland‹ im Segeln, entweder jetzt noch hier sein, oder«, setzte er tief traurig hinzu, »er ist nach vollbrachtem Werk bereits wieder in See gegangen. Wir werden sehen. Der Abend kommt, und für heute ist es zu spät, nach dem Versteck zu suchen!«

Findling ließ die ganze Nacht Bewaffnete Wache an Deck halten und erschien selbst mehrmals bei ihnen, um sich zu überzeugen, daß sie auf dem Posten waren.

Einer Feuerkugel gleich stieg endlich der Sonnenball aus der Flut empor und übergoß die Felsgebilde der Insel, die Masten des »Roland«, die leicht rollenden Wogen des Meeres und die in regelmäßigen Zeiträumen sich brechenden Brandungswellen des sich weithin erstreckenden Riffes mit rötlichem Licht.

Findling ließ Henrik, der unruhig geschlafen hatte, zu sich in die Kajüte entbieten. Er zeigte ihm die unbehilflich entworfenen Zeichnungen mit den hinzugefügten Notizen, welche die Lage des Schatzes angeben sollten.

Die Strandlinie war ziemlich richtig eingetragen. Zwischen zwei Felsen sollte von dort der Weg aufwärts führen zu einem Plateau, welches in einem engen Tal endete.

Von da aus war durch Linien, unter Angabe der Entfernungen, der weitere Weg bezeichnet und eine kurze Beschreibung des Verstecks beigefügt.

»Der Landungsplatz liegt erkennbar uns gegenüber«, meinte Findling, und fuhr mit leicht bebender Stimme fort: »Komm, laß uns unser Heil als Schatzgräber versuchen.«

Er gab Befehl, die Jolle, ein neues, treffliches Boot, auf das Wasser zu bringen und zu bemannen.

Als dies geschehen war, empfahl er Marholm und Martin die größte Wachsamkeit, rief Steffen an und begab sich mit ihm und Henrik in die Jolle, in welcher zwei junge Matrosen die Riemen handhabten. Alle waren nach Findlings Anordnung bewaffnet; Karl nur mit der Keule, welche er als Waldmensch geführt hatte. Auch waren im Boot Hacke, Schippe und Brecheisen.

In wenigen Minuten waren sie am Land, unzweifelhaft an der von Evers bezeichneten Stelle. Hier zog sich zwischen Felsen eine enge Schlucht hinauf, welche, obgleich sie jetzt trocken war, offenbar zuzeiten ein Wasserrinnsal bildete.

Sie gingen an Land, die beiden Matrosen mußten die Werkzeuge tragen, und stiegen in der Schlucht hinauf. Voran eilte mit der Sicherheit und Geschicklichkeit des geübten Bergsteigers Karl, der den auf dem beschwerlichen Weg langsamer Folgenden bald aus dem Gesicht verschwunden war.

Nach mühevollem Anstieg erreichten sie das auf der Karte angegebene Plateau und blickten in das durch einengende Felsen beschattete, mit Büschen durchsetzte Tal.

Hier zog Findling die Karte hervor, um mit ihrer Hilfe den weitern Weg zu suchen.

Ein steiniger Pfad führte sie zunächst in das Tal selbst. Nach etwa hundert Schritten zeigte sich zu ihrer Linken eine Felsspalte, in welche das Licht von oben hell hineinfiel. In dieser kletterten sie aufwärts, bis sie an ihrem Ende auf einem kleinen, fast runden Platz anlangten, der, mit gewichtigen Felsblöcken übersät, an einer Seite den dunkeln Eingang einer Höhle deutlich zeigte.

Die Zeichnung Evers' stimmte ganz genau, in dieser Höhle mußte der Schatz ruhen!

Sie traten ein; ein hochgewölbter Raum, in welchem Dämmerlicht verbreitet war, umfing sie.

Vorspringende Felswände schienen das Ganze in einzelne Abteilungen abzugrenzen. Der Karte nach mußte der Schatz in der Felskammer zur Linken unter einem Stein ruhen. Die beiden Matrosen hatten ihn gut verborgen.

Vorsichtig schritten sie hinein. Findling wollte eben Licht anzünden, als von draußen rauhe Stimmen streitender Männer zu ihren Ohren drangen.

In jäher Überraschung lauschten sie bewegungslos.

»Ich habe es satt«, klang eine heisere Stimme zu ihnen, »in diesem Steinhaufen herumzuklettern; das Ganze ist Schwindel oder Wahnsinn. Jetzt steigen wir schon seit zwei Tagen in diesen höllischen Felsen auf und nieder, kriechen in Löcher und Höhlen und suchen vergebens nach dem Dorado. Gebt einen Schluck Rum her oder ich gehe keinen Schritt mehr.«

»Ich habe es Ihnen gleich gesagt, Carsten«, erwiderte, wie Henrik mit Schrecken erkannte, Onno, »daß wir an der falschen Stelle gelandet sind, von der unrichtigen Seite in die Felsen gestiegen sind.«

»Dann ist die Karte, ist Ihr Plan ja ganz falsch«, brummte der Seemann unwirsch.

»Sie sind so gut, als sie in der Eile, mit welcher ich sie kopieren mußte, sein konnten. Lassen Sie uns diese Höhle doch einmal genauer untersuchen.«

Beide gewahrten nicht, daß, während sie auf den Eingang zugingen, sich der Kopf des Malaien Amea vorsichtig über einem höher liegenden Felsen erhob, wie seine funkelnden Augen gleich denen eines Raubtieres in das Tal niederstarrten.

Findling und seine Begleiter standen schweigend im Dunkel hinter der Felsenwand.

»Hier muß es sein!« sagte Onno Steenberg frohlockend. »In einer dieser Seitenhöhlen müssen Gold und Diamanten liegen!« Dem Klang der Stimme nach ging er, während er so sprach, auf die Stelle zu, wo die Leute vom »Roland« standen.

Einer plötzlichen Eingebung folgend, trat Henrik hinter der Felswand rasch hervor und stand im Dämmerlicht vor Onno.

Ein gellender Schrei, der namenloses Entsetzen ausdrückte, hallte in dem Raum wieder – Onno Steenberg stürzte wie von Furien gepeitscht zur Höhle hinaus.

Fluchend, aber durch seines Begleiters Benehmen erschreckt, eilte ihm Carsten nach; der hatte Henrik im Halbdunkel mit seinen durch häufigen Rumgenuß getrübten Augen gar nicht gewahrt.

Findling begriff die Ursache von Onnos Flucht wohl. Er ging zum Eingang der Höhle, um den Davoneilenden, deren mutmaßliche Begleitung er mehr fürchtete als sie selbst, nachzueilen. Sie waren bereits zwischen den Felsen verschwunden; Carstens scheltende Stimme war noch hörbar. Eben wollte Findling sich an Henrik, der von der Begegnung mit Onno sehr bewegt war, wenden, als ein markerschütternder Schrei von oben herunter ertönte.

Auf dem Fels, der die Höhle deckte, stand Karl Steffen und stierte mit einem Ausdruck furchtbaren Hasses nach der Seite hin, wo vorher des Malaien Kopf aufgetaucht war. Ein breiter Abgrund trennte ihn von der Felspartie, wo jener geweilt hatte.

»Der Mörder, Horsa!« schrie er gellend und verschwand.

Leidenschaftliche Erregung erfaßte den Jüngling bei diesen Worten, er wußte, wen der Mann vom »Admiral« meinte.

Betroffen standen die andern bei diesen sich drängenden, überraschenden Begegnungen.

Schon kletterte mit außerordentlicher Behendigkeit Karl Steffen, der sich an Fußbekleidung noch nicht hatte gewöhnen können, am Felsen herab. Gleich darauf stand er zornig funkelnden Auges neben Henrik und Findling.

»Was gibt's, Mann?«

»Dort Schiff – Prau!« stieß er hervor, und deutete nach Norden, der »Roland« ankerte südlich der Insel. »Dort«, er deutete nach Süd, »Boot, Malaie – John Devil. Kapitän«, sagte er zu Findling, »du ihm nach von oben«, er wies auf die Felsen, »ich, Henrik hinab – Jolle nehmen – folgen.«

Damit stürzte er davon, den Weg hinunter, den sie heraufgekommen waren. Henrik eilte ihm nach, Findling rief ihm zu, aber er achtete des Rufes nicht und verschwand hinter den Felsen.

So rasch er konnte, stieg Findling die Schlucht hinan, durch welche Onno und Carsten sich entfernt hatten. Oben gewann er einen Aussichtspunkt nach Süden hin. Weit unten lag ein Boot, in welchem zwei Eingeborene saßen; nur durch einen Felsvorsprung war das Fahrzeug vom »Roland« getrennt, aber dieser lag, die Aussicht für das Auge hemmend, zwischen Bank und Boot. Findling sah den Malaien die Felsen hinabklettern und vor ihm Onno und Carsten auftauchen. Vom »Roland« erblickte er die Mastspitzen, Henrik und Steffen waren nicht sichtbar. So rasch er vermochte, eilte er zurück.

»Hinab, Leute«, rief er den Matrosen zu, »oder es gibt ein Unglück!« und in beschleunigter Eile suchte er den Weg zum Strand, den Spuren Henriks folgend.

Mit Sprüngen eines Raubtieres setzte Karl Steffen, in dem all die wilden Instinkte erwacht waren, welche sich während seines Insellebens ausgebildet hatten, hinab zur Tiefe. Mit Erstaunen sahen die auf dem »Roland« ihn kommen, in die Jolle springen und sie in großer Hast segelfertig machen; Mast und Segel waren wie immer darin. In kürzester Zeit war er damit fertig, angstvoll blickte er nach oben – da kam Henrik, gleichfalls wie ein Toller laufend. Auch er sprang ins Boot – es war Wind genug – und sie segelten davon.

»Hamburger«, rief Fritz, der an Deck stand, »wat jiebt et? Wohin?« Aber Henrik hörte ihn nicht mehr.

Kaum war die Jolle um den nächsten Felsvorsprung verschwunden, da erschien Findling. Vom Ufer aus rief er den »Roland« an: »Das Langboot heraus! Hurtig!« Die bestürzten Matrosen arbeiteten mit Aufbietung aller ihrer Kräfte, um das schwere Boot auf das Wasser zu bringen. In zehn Minuten war es flott und trieb dem Land zu. Auf der Fahrt wurden der Mast gesetzt und die Segel entfaltet.

Findling stieg ein, hinter ihm die beiden Matrosen, welche mit ihm in den Felsen gewesen waren.

Er setzte sich an das Steuer – außer ihm waren noch sechs Leute im Boot – und segelte der Jolle nach.

Marholm rief er zu, als sie am »Roland« vorbeikamen: »Wachsam, malaiische Räuber sind in der Nähe!« Das Langboot trieb flott vorüber.

»Ach Jotte doch, wat wird det jeben? Da is ja det Ende von weg«, jammerte Fritz und lief unruhig an Deck hin und her.

Als Karl und Findling den Felsvorsprung umsegelt hatten, sahen sie, kaum zweihundert Faden entfernt, das Boot des Malaien, welches eilig durch die Wellen jagte, vor sich.

Am Steuer saß Amea, in seiner Nähe zwei stämmige Burschen; weiter vorn, teilweise durch das braune Segel gedeckt, befanden sich Onno und Carsten.

Zornig kämpfte sich Henriks Herz zusammen, als er den Mörder seines Vaters erblickte; sein Grimm übertönte in diesem Augenblick selbst den Schmerz über Onnos Anwesenheit in jenem Boot.

Die Jolle zog gut durch das Wasser, der Bug schäumte, aber sie kamen den Verfolgten nicht näher.

»Der Wind steht Nord«, sagte Steffen mit grimmiger Freude, »er kann nicht zurück, wir haben ihn.«

Ein gewaltiger Kampf tobte in Henriks Seele: der heiße Wunsch, den Mörder seines Vaters zu strafen, mit dem schweren aber bessern Entschluß, die Vergeltung dem Himmel zu überlassen.

Der Malaie war ein geschickter Bootführer und man mußte annehmen, daß er das Fahrwasser genau kannte; aber auch Karl Steffen zeigte sich jetzt als ein Mann, der ein Boot mit vollendeter Geschicklichkeit zu handhaben verstand.

Noch immer jagten sie geradeaus nach Westen zu.

Jetzt hatte das Boot der Prau die Insel nicht mehr in Luv, und bekam den Wind voll von Nord. Es neigte sich stark zur Seite.

Amea legte nach Süden um, er mußte einen Kanal vor sich haben, und kam vor den Wind.

Einen Augenblick machte man in dem verfolgten Boot Miene, beizulegen und die zwei Verfolger zu erwarten.

»Mach dich fertig!« sagte Steffen. Henrik führte auf Findlings Befehl einen Revolver bei sich. »Sie müssen keine Schußwaffen haben, sonst wären sie nicht vor uns davongelaufen.«

Jetzt kam auch die Jolle in den Wind und legte nach Süden um.

Bald zeigte sich's, daß sie nun, vor dem Wind ablaufend, bei weitem bessere Fahrt machten als das Boot der Verfolgten.

»Es ist zu schwer beladen«, sagte Henrik, »bald sind wir an ihnen – Karl, schone den jungen Europäer, er ist mein Vetter. Wir haben es nur mit dem Mörder zu tun.«

»Der Schurke wird schon bald Ballast auswerfen, gib acht«, sagte finster Steffen.

Das durch das Gewicht von fünf Menschen belastete Boot nahm, vor einer frischen Brise segelnd, Wasser auf.

Die Jolle kam näher und näher – blieb der Malaie vor dem Wind, so mußte sie ihn binnen einer halben Stunde erreichen.

Da bog er schon nach Westen um und lief am Wind. Bei der Wendung stürzte Carsten, der sich erhoben hatte, über Bord und verschwand in den Wellen. Die Gefährten Ameas hatten ihn über Bord gestoßen.

»Rette ihn!« stöhnte Henrik.

»Nichts mehr zu retten«, sagte lakonisch Steffen.

Jetzt kam der Malaie wieder rascher nach vorn, dennoch machte die Jolle sichtbar bessere Fahrt.

Henrik sah mit Schaudern, wie auch Onno plötzlich im Boot emporschnellte. Der Stoß eines Malaien traf ihn hinterrücks, und er flog wie Carsten über Bord.

»Am Gottes willen«, schrie Henrik, »rette ihn, rette meinen Vetter – rette ihn!«

»Später«, sagte Steffen mit demselben finster« Ernst; »erst zum Mörder deines Vaters, meiner Schiffskameraden. Laß die Hand von der Schote«, schrie er, als Henrik den Klüver fliegen lassen wollte, »oder ich steuere in die Brandung und wir gehen beide zugrunde! Ich bin der Letzte vom ›Admiral‹ und Gott hat mich zum Rächer meiner Kameraden bestellt.«

Totenbleich suchte Henriks Auge nach Onno, ohne ihn zu erspähen.

Da sie fortwährend nach vorn aussahen, gewahrten sie nicht das Langboot, welches ihnen schäumend nachjagte.

»Ha!« schrie Karl mit Donnerstimme, »er ist in der Falle, er kann nicht weiter.«

Der Malaie hatte in eine Sackgasse eingelenkt.

»So, jetzt Bord an Bord«, jubelte er, »nun kommt die Stunde der Vergeltung. Mach dich fertig zu feuern, Horsa, aber nicht auf den Mörder, der ist mein.«

Das verfolgte Boot hatte in der Unmöglichkeit, weiter zu segeln, das Segel flattern lassen und schaukelte steuerlos auf den Wellen des breiten Kanals. Die Malaien hatten sich erhoben und standen, die Messer in den Händen, bereit, um ihr Leben zu kämpfen.

Wie ein Renner kam die Jolle heran. Zehn Schritt vor den Malaien warf Karl das Boot herum und ließ die Segel flattern; zugleich erhob er sich.

»Rache für den ›Admiral‹, John Devil!«

Da verließ mit dem Sprung eines zur Verzweiflung getriebenen Raubtieres der Malaie sein Boot, flog über das Wasser und erreichte Steffen.

Von dem gewaltigen Abstoß schlug das Boot der Prau um, und die beiden braunen Gefährten Ameas zappelten im Wasser, sich am Kiel des Fahrzeugs anklammernd.

Aber der Waldmensch war der Mann, auch einem solchen tigerhaften Angriff zu begegnen. Seine unnahbaren Hände empfingen den Gegner, in dessen Faust das Messer blinkte. Beide stürzten in die Flut. Fast hätte die Jolle das Schicksal des andern Bootes geteilt, doch nahm sie nur etwas Wasser auf und blieb flott. Angstvoll schaute Henrik auf das Wasser, in dem die beiden Todfeinde verschwunden waren. Sekunden – lange Sekunden vergingen – endlich tauchte neben der Jolle das triefende Haupt Karl Steffens auf. Gleich darauf erschien der Kopf des Malaien, sein Gesicht war starr und glanzlos die Augen, er war tot.

Karl kletterte in die Jolle.

»Dein Vater ist gerächt!« sagte er und zeigte auf den Leichnam, in dessen Herz ein Messer bis zum Heft begraben war.

Henrik schlug beide Hände vors Gesicht, um dem schrecklichen Anblick zu entgehen. Er war tief erschüttert. Als er, endlich ruhiger geworden, wieder um sich blickte, war nichts mehr zu gewahren, der Leichnam des Mörders war gesunken.

Mit Staunen sahen sie jetzt das Langboot mit Findling nahen, der aus der Ferne die wilde Jagd und deren Ende mit angesehen hatte.

»Gott sei Dank, Junge, daß du gerettet bist. Deinen würdigen Vetter habe ich aus dem Wasser gezogen, wie einst dich –«

»Gott sei gepriesen!« rief Henrik bei dieser Nachricht »Mein ganzes Leben wäre ein unglückliches gewesen, wenn er vor meinen Augen ertrunken wäre, aber ich konnte ihm nicht beistehen.«

»Die furchtbare Tragödie auf jener einsamen Insel, die deines Vaters Grab birgt«, sagte Findling mit feierlichem Ernst, »hat ihren Abschluß gefunden; Gottes Hand hat den Mörder getroffen.«

Mit wildem Stolz lauschte Steffen diesen Worten; die heiße, grimmige Sehnsucht seiner Seele war befriedigt.

Das Langboot legte neben die Jolle, und Henrik ging hinüber zu dem bewußtlos im Stern liegenden Onno, dessen Gesicht und Hände entsetzlich aussahen.

Auf Befehl Findlings fischte Steffen die beiden Malaien auf, die glücklich waren, dem fast unvermeidlichen Tod entronnen zu sein.

Henrik hielt Onno ergriffen im Arm.

»Die Brandungswellen und die Felskanten haben ihm bös mitgespielt, und nur mit dem Langboot konnte ich es wagen, ihn an Bord zu holen.«

Onno schlug die Augen auf und blickte wie ein Träumender lange in Henriks Gesicht.

»Henrik! Bist du's? Ist es möglich? Du lebst? Du bist nicht durch meine Schuld ertrunken?«

»Gott hat damals mich gerettet, wie heute dich!«

Leise seufzte der Kranke vor sich hin und sagte dabei: »Welches Glück, daß er lebt, jetzt wird der Wurm aufhören, mir am Herzen zu nagen.« Laut setzte er hinzu, Henrik antwortend: »Ich bin zwar gerettet, aber nicht für lange, ich werde diesen Tag nicht überleben.«

»Das verhüte der Himmel!«

In Onnos Gesicht, in seinem sonst so stechenden Auge spiegelte sich eine ungewohnte Weichheit wider, als er in Henriks teilnahmsvolles Antlitz sah.

»Du bist rein und gut – ich wollte, ich wäre wie du.« Nach einiger Zeit sagte er wieder und schauderte: »Welch furchtbare Stunde – welche Todesangst – vergib mir, Henrik – ich kann sonst nicht sterben –«

»Tu wirst nicht sterben, Onno, und ich habe dir nichts zu vergeben. Fasse Mut, du wirst genesen.«

Onno sank wieder in Ohnmacht.

In Eile wurde jetzt die Rückfahrt angetreten, erschüttert von den Vorgängen saßen alle da.

An Bord angekommen, zeigte es sich bei näherer Untersuchung, daß Onno zwar schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt war; Arm und Rippen waren gebrochen.

Fritze Fischer war seelenfroh, als sein Hamburger glücklich wieder da war. »Na, da is aber det Ende von weg«, sagte er mehrmals, als er alle Vorgänge kennenlernte.

Am Nachmittag noch stieg Findling wieder mit Karl und einigen Leuten in die Felsen und suchte die Höhle auf, während Henrik bei Onno blieb, der in heftigem Fieber lag. An der von Evers bezeichneten Stelle fand man nach Wegräumen eines Steines und Lockerung der Erde drei Mahagonikästchen, von denen zwei sehr schwer waren, das dritte leichter. Sie wurden nicht ohne Mühe hinabgeschafft und in des Kapitäns Kajüte gebracht.

Mit Beklemmung öffnete Findling die Kästchen. Er fand in dem einen Goldbarren mit genauer Gewichtsbezeichnung auf einem Papier, welches mit Isenhoit unterfertigt war. Das zweite enthielt Goldstücke und Banknoten, das dritte, kleine Kästchen eine funkelnde Juwelensammlung von großem Wert und ein Päckchen zusammengebundener Schriftstücke, welche Findling alsbald zu lesen begann.

Da waren zärtliche Briefe einer Gattin und Mutter aus Hamburg, eines edlen Frauenherzens, das sich nach Mann und Kind sehnte, die sie aus Liebe zur eigenen, dem Tod geweihten Mutter für einige Zeit verlassen hatte. Sie beschwor den Gatten, so rasch als es der Zustand des Kleinen erlaubte, nach Hamburg nachzueilen.

Da stieß er auf eine Stelle – totenbleich wurde er dabei – »es ist ein ganz abscheuliches Verbrechen von dem Chinesen, das Kind zeitlebens mit seinen widerlichen Schrift- und Zauberzeichen zu verunstalten, und er sollte gestraft werden«, so lauteten die Worte.

O Schicksal! Er selber trug ja auf dem linken Oberarm diese unvertilgbaren chinesischen Tätowierungen. Er hatte sie früher schon einmal einem gebildeten Chinesen gezeigt, und der hatte ihm gesagt, diese Zeichen seien ihm nur aus Wohlwollen eingeätzt, sie sollten nach dem Glauben seiner Landsleute vor Unheil schützen.

Sollte es möglich sein? War er der Sohn des Konsuls? Hatte er noch eine Mutter unter den Lebenden? Sah er dem Vater so ähnlich, wie das Benehmen der Singalesen ihn glauben ließ, so würde auch die Mutter ihn erkennen. Er rief Henrik, damit er teil an seinem Glück nehme, und nicht genug konnte er ihm von Frau Konsul Isenhoit erzählen.

Am andern Tag ging der »Roland« unter Segel, nachdem man die beiden Malaien an Land geschickt hatte, um ihr Fahrzeug aufzusuchen.

Nach rascher Fahrt erreichte er am vierten Tag Point de Galle. Der herbeigerufene Arzt erklärte Onnos Zustand für nicht gefährlich; er wurde zu weiterer Pflege ins Krankenhaus gebracht.

Eine Überraschung bereitete Findling das geheimnisvolle Verschwinden des Herrn Spieß, der die Geschäfte des Hauses in grenzenloser Unordnung zurückgelassen hatte.

Eine andere, angenehmere Überraschung hatte Konsul Peters für ihn.

»Jetzt haben wir einen klassischen Zeugen für Isenhoits Abreise«, sagte er ihm. »Mr. Brakenbird, der seit Jahren in den Bergen hier wohnt, war mit Isenhoit sehr befreundet und hat ihn auch an Bord des ›Gallego‹ begleitet, ihn und seinen kleinen Jungen. Kommen Sie heute abend mit zu Johnson hinaus, bei denen ist er zu Gast.«

Am Abend fuhren sie hin. Als Brakenbird Findlings ansichtig wurde, rief er höchst überrascht: »Mein Gott, was ist denn das – Sie sind ja Isenhoit wie aus dem Gesicht geschnitten.« Er erzählte dann, wie er, damals auf Reisen befindlich, erst sehr spät erfahren habe, daß der Konsul auf dem Meer mit dem Kind sein Ende gefunden hatte. Er ließ von Findling kein Auge, nur sagte er manchmal: »Sonderbar! Merkwürdig!«

Die beiden Singalesen drängten sich ins Zimmer, unterwürfig grüßend.

Sadil wandte sich an den Kapitän und sagte: »Alte Hami meint, du kleiner Sohn von Konsul, du kleiner Henry, du ihm zu sehr ähnlich.«

»Und wenn du, Herr, kleiner Henry«, sagte sie, »du auf den linken Arm chinesisch Zauberzeichen tragen, das böser Chinese heimlich machen – Konsul sehr böse.«

Da streifte Findling den Ärmel zurück und zeigte den überraschten Männern das blaue eingeätzte Zeichen.

Die alten Diener jubelten und schlugen die Hände zusammen: »Das kleine Henry, das Sohn von Konsul, ihn an Gesicht kennen, ihn an Zeichen kennen.«

»Es grenzt ans Unglaubliche!« sagte Mr. Brakenbird, als Findling von seinem Lebenslauf und schließlich von den Briefen seiner Mutter erzählte. »Wenn je ein Sohn seinem Vater ähnlich war, so sind Sie es. Und Mrs. Isenhoit lebt noch? Welches Glück, welches Glück!«

Trotzdem unter den Anwesenden über Findlings Abstammung kein Zweifel herrschte, ließ der Konsul doch später alle notwendig erscheinenden gerichtlichen Schritte unternehmen, um seine Identität zu beweisen.

Findling war unendlich glücklich, und Henrik freute sich der wunderbaren Fügung aufrichtig, nicht minder Martin, der als Zeuge herangezogen worden war.

Der Kapitän vernachlässigte indessen seine Pflichten gegenüber den Reedern nicht. Bereitwillig half ihm der Konsul die Geschäfte abwickeln, auch Onno, der sich hierbei als vorzüglicher Geschäftsmann zeigte, gab wertvolle Ratschläge.

Einige Tage später traf ein direkt von Hamburg kommender neuer Bevollmächtigter des Hauses Oswald ein, der Onno seiner Verpflichtungen enthob; die Herren waren nämlich mißtrauisch geworden, als sie nachträglich von seinen Schulden erfuhren. Der neue Ankömmling nahm sofort die Leitung der Geschäfte in die Hand.

Kurze Zeit darauf hatte Onno, den Henrik bei seinen häufigen Besuchen, ganz gegen seine sonstige Art, still und ergeben gefunden hatte, das Krankenhaus verlassen, ohne zu sagen, wohin er sich gewendet habe. Henrik fand einige an ihn gerichtete Zeilen vor. In diesen sagte Onno, nur mit Scham könne er auf sein vergangenes Leben zurückblicken – aber durch eine Stunde namenlosen Entsetzens geläutert, fühle er noch die Kraft in sich, ein neues, würdigeres Dasein zu beginnen. In tiefgefühlten Worten sagte er Henrik Lebewohl, seinem fernern Leben alles Glück wünschend.

»Deiner Liebe und Treue bin ich nicht würdig«, schloß er, »aber bete für mich.«

Henrik war von diesen Zeilen sehr ergriffen und hoffte von ganzer Seele, daß es Onno gelingen möge, eine neue Existenz zu gründen. Findling versprach ihm, über Onnos vergeblichen Versuch, sich das Vermögen des Konsuls anzueignen, zu schweigen.

Durch des neuen Bevollmächtigten energische Tätigkeit konnte der »Roland« bald in See gehen. Nach einer raschen Reise, die freilich jetzt durch den Kanal von Suez zurückgelegt wurde, langte der »Roland« vor der Elbe an.

Henrik begrüßte jedes Haus am Ufer, als sie den Strom hinaufsegelten, nur Karl Steffen stand still und stumm, als ob er Wunder sähe. Sie langten in Hamburg an. Groß war die Freude, als die Mutter, als Onkel Asmus Henrik ans Herz schlossen.

Aber da war noch eine andere Mutter, eine alte, würdige Dame. Briefe waren dem »Roland« vorangeeilt, und man hatte sie vorbereitet auf den wiedergefundenen Sohn, der kommen sollte.

Und vor der Tür in dem bescheidenen Häuschen, in welchem Frau Konsul Isenhoit wohnte, stand der reckenhafte Seemann. Er mußte erst minutenlang warten, bis das ungestüme Pochen seines Herzens sich etwas gelegt hatte. Endlich klopfte er an.

»Herein!« rief eine weiche Stimme. Er öffnete, und vor ihm stand eine hochgewachsene Dame mit schneeweißem Haar; er schaute in ein edles, verhärmtes Gesicht.

Findling erschrak, als er die Veränderung wahrnahm, welche sein Anblick in diesen Zügen hervorrief. Als ob er eine Erscheinung aus einer andern Welt sei, schaute sie ihn an, in fast schreckenvollem Staunen. Sie streckte die magern Hände nach ihm und flüsterte: »Eduard, mein Eduard!«

»Nein, nein, nicht der Vater, dein Sohn Heinrich steht vor dir, liebe, liebe Mutter!« Er schlang den Arm um ihre Schulter und weinte wie ein Kind.

»Mein Heinrich – meines Eduards Ebenbild!« Es waren glückliche Menschen, die hier nach schwerer Prüfung Herz an Herz lagen.

Fritzens Kummer, von seinem »Hamburger« scheiden zu müssen, war groß. Einigermaßen wurde sein Leid dadurch gemildert, daß ihm der Senator zu einem vorteilhaften Verkauf seines Lombokschen Ringordens verhalf; Fritz erhielt siebenhundertfünfzig Taler dafür, was ihm ein Vermögen dünkte.

Als er aber nach Berlin abreiste und Henrik ihn zum Bahnhof brachte, sagte er mit Tränen in den Augen: »Hamburger, wenn du mir nur een bisken ästimierst, denn kommst du nach Berlin, Reezenjasse 17, ins zweete Hinterhaus, vier Treppen, da werden wir uns unbändig über freuen un die jute Olle wird dir eenen Mokka vorsetzen – da is det Ende von weg.« Er brachte in der Tat reiches Glück nach der Reezengasse und daneben umfangreiche Mitteilungen von seinen heroischen Taten. Henrik hatte recht geahnt, die Zahl von Fritzens Opfern war auf dem Weg nach Berlin außerordentlich gewachsen.

Findling und Henrik nahmen sich ihres Waldmenschen, Karl Steffens, soweit es nur irgend möglich war, an, doch war ein tägliches Beisammensein wie früher an Bord ausgeschlossen. Karl, der nur noch einige entfernte Verwandte besaß, fühlte sich in Hamburg unglücklich. So erschien er eines Tages bei Heinrich Isenhoit, ebenso bei Henrik, und erklärte ihnen seine Absicht, nach Indien zurückzukehren und wenn möglich bei dem Radscha von Lombok Dienste zu nehmen. Er sehnte sich nach der Tropenwelt zurück, in der er so lange gelebt hatte, das europäische Klima bekam ihm nicht. Sie beschenkten ihn reich, gaben ihm Empfehlungen mit und förderten seine Reise. Noch lange lebte der Letzte vom »Admiral« in Diensten Anak Madés als Steuermann und genoß unter der Obhut des Fürsten ein zufriedenes Alter.


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