Franz Treller
Der Letzte vom »Admiral«
Franz Treller

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Der Sohn des Radscha

Zwei Tage vergingen. Der Fremde ließ sich nicht sehen, obgleich Früchte und Wild, welche die Jünglinge vor der Höhle fanden, von seiner andauernden Fürsorge zeugten.

Als Henrik am Morgen des dritten Tages von dem Berg, auf welchem er wiederum vergeblich nach dem Schiff ausgeschaut hatte, zur Küste zurückkehrte, sah er mit Erstaunen eine Schar Inder am Strand, und in der Bucht ein zweimastiges, nach Schonerart getakeltes Fahrzeug vor Anker liegen, welches sichtlich eine starke Bemannung an Bord führte.

Voll Verwunderung fiel sein Auge auf einen jungen Mann von gebietender Haltung, welcher nicht weniger erstaunt über Henriks Anwesenheit zu sein schien.

Die indische Tracht, das seidene Hemd von einer bunt gestickten Weste umgeben, das bauschige Unterkleid von blauer Farbe, die bis über die Knie reichenden ledernen Gamaschen hoben die schlanke Gestalt des Mannes vorteilhaft hervor. Das Haupt war von einem dunkelseidenen Tuch turbanartig umwunden und unter diesem zeigte sich ein schöngeformtes jugendliches Antlitz von jener hellen Bronzefarbe, wie sie den vornehmen Indern eigen ist. In der Hand trug er eine reichverzierte Büchse; seine dunkeln Augen ruhten fragend auf Henrik.

Fünf oder sechs ähnlich gekleidete und bewaffnete Männer standen hinter ihm, wie er verwundert auf den Europäer blickend. In weiterer Entfernung hielten mehrere Diener große Hunde an Leitriemen.

Furchtlos trat Henrik näher und grüßte.

»Wie kommst du hierher, Fremder?« fragte der junge Indier in gutem Englisch.

»Der Sturm hat mich und meinen Gefährten an diese Insel geschleudert, Herr.«

»Ist hier ein Schiff gescheitert?«

Henrik gab ausführlich an, wie er vom »Roland« getrennt wurde.

»Bist du ein Holländer?«

»Nein, ein Deutscher.«

»Oh«, im Gesicht des Indiers erschien ein freundlicher Zug, »ein Deutscher, das freut mich. Du sehnst dich von hier fort?«

»Ja, Herr, sehr. Auf mein Schiff warte ich wohl vergeblich.«

Henrik sah und fühlte, daß er einen hochstehenden Mann vor sich habe, und bewahrte deshalb eine höfliche, ehrerbietige Haltung. Dies entging dem Indier nicht, denn Leute von guter Erziehung und vornehmer Denkungsart erkennen sich sofort, welchem Volk sie auch angehören mögen, und er gewahrte seinerseits ebenfalls, daß in dem jungen Seemann ein Mann von gesellschaftlicher Bildung vor ihm stand.

»Wissen Sie, wo Sie sich befinden?«

»Ich nehme an, südwärts der Sundainseln.«

»Ganz recht. Im Norden liegt meine Heimat, die Insel Lombok, wie die Europäer sie nennen; wollen Sie und Ihr Gefährte meine Begleiter auf der Rückfahrt werden, sollen Sie mir willkommen sein.«

»Mit dem größten Dank nehme ich das an, Sir.«

»Sie werden gewiß in einem unserer Häfen ein Schiff finden, welches Sie zu einem der großen Handelsplätze bringt, von wo aus es Ihnen dann leicht werden dürfte, die Heimreise anzutreten.«

Henrik verneigte sich.

Fritz, der seit seiner Krankheit sehr viel schlief, trat in diesem Augenblick aus der Höhle und sah mit maßlosem Erstaunen auf die Inder.

»Wat is 'n det? Jotte doch, det is ja wie in die Maskerade.«

Auf einen fragenden Blick des jungen Eingeborenen erklärte Henrik, daß Fritz sein Begleiter sei.

Während dieser kurzen Unterredung hatten die Diener des Indiers an einem schattigen Platz Decken und Polster ausgebreitet und Vorbereitungen zu einem Frühstück getroffen. Durch höfliche Gebärde lud er Henrik und den Berliner ein, daran teilzunehmen.

»Du, Hamburger, wat sin denn det vor welche, det is ja wie int Märchen von Tausenduneene Nacht.«

»Sei still jetzt und setze dich bescheiden hierher. Dies ist ein vornehmer Inder, der uns von hier mit fortnehmen wird.«

»Det is sehr scheene von den messingfarbenen Herrn mit det Musselintuch um den Kopp!«

Der junge Fremde ließ sich nieder, auf seinen Wink folgten noch vier der Begleiter seinem Beispiel, und ein halbes Dutzend weißgekleideter Diener wartete auf.

In kleinen Porzellantassen reichten sie Tee und Kaffee herum. Fritz strahlte vor Vergnügen, als der Duft sich verbreitete und sagte, als er seine Tasse empfangen hatte: »Hamburger, et is richtiger Mokka ohne Zichorie.«

Der junge Indier lächelte, als er das gewahrte.

Auch Henrik war nicht wenig erfreut, nach der Diät der letzten Wochen eine Tasse vorzüglichen Tees vor sich zu haben. Während er sie langsam trank, äußerte er: »Welch ein glücklicher Zufall hat Sie an diese unbewohnte Insel geführt, Herr?«

»Oh«, sagte dieser, »kein Zufall; ich pflege dies Eiland seit einigen Jahren öfters zu besuchen, um zu jagen. Das Wild wird bei mir zu Hause immer seltener, die reißenden Tiere sind auf Lombok längst ausgerottet.«

»Darf ich fragen, ob Sie ein Angehöriger des Hinduvolkes sind?«

»Nein«, entgegnete der Gefragte lächelnd, »ich bin ein Balinese, aber wir bekennen uns zur Lehre Brahmas. Ich bin Anak Madé, der Sohn von Ratu Asem, des Radscha von Bali und Lombok.«

Einiges Erstaunen zeigte sich in Henriks Antlitz, als er erfuhr, daß ein indischer Fürstensohn ihn als Gast bewirte. Im Augenblick vermochte er nichts Gescheiteres zu sagen als: »Sie sprechen ein vortreffliches Englisch, mein Prinz.«

»Oh«, entgegnete Anak Madé, »es ist nicht verwunderlich; ich habe mehrere Jahre das Hastingskolleg in Kalkutta besucht und auch Ihren berühmten Landsmann, Professor Haug, den größten Kenner der indischen Sprachen und Literatur, dort gehört.«

Henrik erstaunte immer mehr, in dem Sohn des Fürsten einer wenig bekannten Insel einen Mann von solcher Bildung vor sich zu haben.

»Das Lob des deutschen Gelehrten aus Ihrem Mund macht mich auf meinen Landsmann stolz. Ich muß leider eingestehen, daß ich von Ihrer Heimat nur geringe Kenntnis besitze.«

Ein Schatten flog über des Prinzen Gesicht, als er erwiderte: »Ich wollte, sie wäre noch weniger bekannt. Die Herren Holländer bemühen sich eifrig, unsere innern Verhältnisse kennenzulernen, doch Ratu Asem ist nicht der Mann, ihr Wissen besonders zu vermehren. Meine Heimat Lombok oder Selapanang, wie wir sie nennen, ist dicht bevölkert, leider nicht allein von Balinesen; wir haben auch mit den mohammedanischen Sassakern zu rechnen, abgesehen von einigem malaiischem Raubgesindel. Doch wird es Ihnen von der Macht des Fürsten einen Begriff geben, wenn ich sein Heer auf achtzigtausend Mann beziffere. In meinen Begleitern sehen Sie Offiziere dieser Armee.«

Der Stolz des Fürsten klang unwillkürlich aus seinen Worten, als er dies sagte. Er sprach so vornehm, ruhig, daß Henrik durchaus keinen Zweifel in seine Mitteilung setzte, obgleich sie ihn, den mit den Verhältnissen Inselindiens nicht Vertrauten, sehr überraschte.

»Von solcher Machtstellung eines indischen Inselreiches hatte ich freilich keine Ahnung, mein Prinz.«

»Sie werden mich begleiten und Mataram, die Residenz meines Vaters, sehen. Wie lange weilen Sie übrigens schon hier?«

»Etwa drei Wochen.«

»Was, so lange? Ist Ihnen unser Waldmensch begegnet?«

Hoch horchte Henrik auf. »Wenn Sie den verwilderten Menschen meinen, der hier dem Tier gleich haust, ja. Auch Sie kennen ihn also?«

»Oh, seit mehreren Jahren; er ist mir sehr gewogen.«

Begierig fragte Henrik: »Wie lange mag er hier weilen, und wie kommt er hierher?«

»Das Wenige, was ich weiß, ist, daß hier vor zehn oder zwölf Jahren eine Schiffsmannschaft von Malaien ermordet worden ist, und daß der Mann vermutlich dieser Mannschaft angehört hat.«

Da Anak Madé bemerkte, daß Henrik bei diesen Worten sehr erregt wurde, fragte er: »Hat dieses Ereignis oder dieser Mensch ein besonderes Interesse für Sie?«

Der bewegte Jüngling erzählte dem Sohn des Radscha jetzt, wer er sei, sprach von seinem Vater und der wunderbaren Fügung, welche ihn durch den Waldmenschen zu dessen Grab geleitet hatte.

Ernst und teilnahmsvoll lauschte der Balinese seinen Worten.

»Das ist in der Tat eine Fügung der Gottheit. So wäre also der Unglückliche ein Gefährte Ihres beklagenswerten Vaters gewesen?«

»Es kann nicht anders sein.«

»Hat er mit Ihnen darüber gesprochen?«

»Er scheint die Fähigkeit zu sprechen eingebüßt zu haben, er stammelte nur einige Laute, aber er nannte deutlich meines Vaters Namen.«

»Es ist richtig, er spricht nicht. Ich kenne ihn seit vier Jahren, und er hat mich bei meinem ersten Besuch hier dadurch verpflichtet, daß er eine äußerst gefährliche Schlange aus meinem Weg räumte. Wir haben später versucht, ihn mit uns zu führen, um ihn den Seinigen wiederzugeben, aber der Versuch mißlang; er entfloh in die Wälder, ehe wir ihn an Bord bringen konnten. Geschenke an Kleidern und Waffen wies er zurück; er scheint sich als Waldmensch wohler zu fühlen als in der Zivilisation.«

Fritz, für den diese Unterhaltung unverständlich war, hatte sich mit lobenswertem Eifer der Vertilgung verschiedener Tassen des vorzüglichen Kaffees wie besonders der umhergebotenen Süßigkeiten und des Reisbrotes hingegeben, auch einige lecker bereitete kalte Fleischspeisen nicht verschmäht.

Als jetzt der Dialog zwischen Anak Madé und Henrik ein Ende nahm, sagte er: »Du, Hamburger, det war aber jottvoll; die wilden Menschen hier aus 'n Bilderbuch verstehn wat Jutes zu pappen, da laß ick sogar Kotelett mit Makkaroni vor stehn.«

»Das sind keine wilden Menschen, Fritz. Der junge Herr, der uns als seine Gäste bewirtet, hat studiert und ist außerdem ein Prinz.«

Fritz machte große Augen.

»Een Prinz, een richtiger zitronenfarbener Prinz? Na, det jeht aber über jeden Robinson.«

»Vergiß deshalb nicht, ihn mit der gebührenden Achtung zu behandeln.«

»Natürlich nich, vor Prinzen habe ick immer den jrößten Respekt, besonders wenn se wat druff jehn lassen. Ne, Hamburger, der jelbe Mann sieht janz reputierlich aus, un ick werde ihn jehörig ästimieren; hoffentlich kommt et ihm uff ne Handvoll Diamanten nich an. In Tausenduneene Nacht kriegen arme, jute Jungen immer so'n Präsent von de Märchenprinzen.«

Henrik lachte, und als Anak Madé ihn fragte, was der blasse Mensch Drolliges gesagt habe, verdolmetschte er es ihm, so gut es anging, und der Sohn des Radscha lachte auch und nickte Fritz freundlich zu.

Das Frühstück, bei dem Reis in verschiedenen Zubereitungen, kalter Braten und Süßigkeiten die Hauptbestandteile bildeten, wurde durch den Prinzen beendet, indem er sich erhob. Alle andern folgten seinem Beispiel.

»Wollen Sie mich auf die Jagd begleiten?« fragte er Henrik.

Dieser lehnte es ab, da er zur Jagd in diesen Wäldern nicht ausgerüstet sei und seinen noch leidenden Gefährten nicht allein lassen wolle.

»Ich kehre«, sagte der Inder, »am Abend noch oder am nächsten Morgen zur Heimat zurück, Sie und Ihr Begleiter sind mir als Gäste willkommen.«

Er grüßte, indem er mit der flachen Hand die Stirne berührte und ging mit seinem Jagdgefolge davon, während noch eine starke Mannschaft auf dem Schiff zurückblieb. Das Fahrzeug führte, wie Henrik jetzt erst bemerkte, sechs Kanonen.

Er war über diese Begegnung unendlich glücklich, denn so gab sich die Möglichkeit, ihn und Fritz aus unfreiwilliger Gefangenschaft in den großen Strom des Lebens zurückzuführen. Auf die Ankunft des »Roland« rechnete er nicht mehr. Da an Findlings aufrichtiger Teilnahme an ihrem Geschick nicht zu zweifeln war, lag der betrübende Gedanke nahe, daß dem Schiff ein Unglück zugestoßen sei.

Der vornehme Inder hatte ihm sehr gefallen und er vertraute sich ihm rückhaltlos an. Sinnend zu ihrer Behausung zurückkehrend, fand er am Eingang der Höhle ein Notizbuch liegen, welches freilich arg beschädigt war. Überrascht und begierig nahm er es empor und schlug es auf. Die ihm wohlbekannte Handschrift seines Vaters leuchtete ihm entgegen.

Er fühlte, wie das Blut ihm zu Herzen drang und ließ das Buch sinken. Rasch aber überwand er die Aufregung und begann zu lesen. Er war allein, denn Fritz hatte nach dem reichlichen Frühstück das Lager aufgesucht. Das kleine Buch war fast zerstört, Wind und Wetter hatten ihm sehr zugesetzt. In Rührung, ja in leidenschaftlicher Erregung durchblätterte er es und überflog den Inhalt der zerrissenen Seiten.

Da waren Notizen, Handelsgeschäfte betreffend, und solche, die für das spätere Eintragen ins Logbuch berechnet waren, aber alle verstümmelt. Tränen traten ihm in die Augen, als er las: »Gestern nach Hause geschrieben – Muscheln für Henrik.« Dann kamen andere Eintragungen: »Schlimmes Wetter. Stenge fort. Werde durch Lombokstraße gehn.« Und endlich: »Wenn ein Mensch dies findet – der Malaie – Singapor an Bord – Falle gelockt – todwund – keine Rettung – Gott sei mir gnädig – – – liebe Stinning – Henrik –«

Er schluchzte wie ein Kind, als er hier sah, wie der Vater noch im letzten Augenblick an die Mutter, an ihn gedacht hatte. Wie hatte er seinen Untergang gefunden? Wer war der Malaie, der offenbar schon in der Inschrift an der Höhlenwand des Waldmenschen erwähnt war? O wenn der letztere doch reden könnte!

Er warf sich auf sein Lager und weinte sich aus. Als endlich sein Herz ruhiger schlug, die Erschütterung seines ganzen Wesens sich weniger fühlbar machte, erhob er sich und ging hinaus. In der Bucht schaukelte das schmucke Fahrzeug des Balinesen, das mit großer Sorgfalt getakelt war. Er begab sich in der Jolle an Bord, wo er in dem Befehlshaber einen Engländer fand, der, ehemals Steuermann auf einem Indienfahrer, jetzt in Diensten des Radscha von Lombok stand. Er trug ebenfalls indische Tracht und empfing Henrik freundlich. Nachdem er sich nach den Umständen erkundigt, die diesen hierhergeführt hatten, gab er Henrik den Trost, daß er von Lombok aus leicht Gelegenheit finden würde, die Heimreise anzutreten.

Während sie noch plauderten, erscholl ein gellender Schrei vom Wald her. Aller Augen wandten sich dorthin und erblickten den Waldmenschen, der mit unbegreiflicher Schnelligkeit, in gewaltigen Sprüngen auf das Ufer zueilte. Dort lag ein Boot des Schoners, er sprang hinein, ergriff einen Riemen und trieb es mit aller Kraft auf das Schiff zu. Im nächsten Augenblick stand er, mit rollenden Augen und zornigem Gesicht, schweratmend an Deck.

Einige von der Mannschaft hatten ihn früher schon gesehen, die meisten indessen nicht, ebensowenig der Kapitän. Der staunte die sonderbare Erscheinung verwundert an.

Der Wilde kam rasch auf ihn und Henrik zu. Einige unartikulierte Laute drangen aus seinem Mund hervor. Der Kapitän und Henrik fühlten, daß der Mann leidenschaftlich erregt war, daß er etwas mitteilen wollte und es nicht vermochte.

»Wer ist das?«

Henrik erklärte es dem Kapitän mit einigen Worten.

Die Aufregung des Wilden wurde größer, er deutete auf die Segel, den Anker, die Kanonen, dann nach Osten, und Henrik glaubte die Worte zu verstehen: »Gefahr – Malaien – totschlagen.«

Verwundert sah der Engländer Henrik an.

»Es bedroht den Prinzen jedenfalls eine Gefahr, und zwar von Malaien, er fordert uns auf, ihm mit dem Schiff Hilfe zu bringen.«

Der Kapitän erschrak.

Jetzt schien es, als ob aus weiter Ferne her Gewehrfeuer tönte.

»Ist der Mann gesunden Geisteszustandes?« fragte Blake zweifelnd.

»Jedenfalls nicht unfähig, eine Gefahr, welche den Prinzen bedroht, einzusehen und zu melden.«

Mr. Blake wurde sehr unruhig, denn das ferne Flintenfeuer, welches nicht nach Jagdschüssen klang, die Erwähnung von Malaien, der Piraten des Sundaarchipels, machten ihn um seinen jungen Gebieter besorgt.

Er rief den ältesten der Balinesen an und beriet mit diesem. Die Erregung des nackten Menschen nahm zu; es war jetzt jedem klar, daß er aufforderte nach Osten zu segeln, auch die Mannschaft wurde nachgerade sehr erregt.

»Aber angenommen, es bedrohe Anak Madé eine Gefahr, wenn er nun hierher kommt und das Schiff nicht findet?« äußerte Blake zu Henrik.

»Lassen Sie meine Jolle mit einigen Leuten hier, Sir; sie genügt, um ihn im Fall der Not in See zu bringen.«

»Wäre es nicht richtiger, ich schickte Leute zu Land ab?«

»Viele Stunden würden sie sich, ohne genaue Kenntnis der Bodengestaltung, durch den dichten Wald mühen müssen.«

»Sie, der Sie diesen Wilden besser kennen als ich, würden also der geheimnisvollen Aufforderung folgen?«

»Ja«, sagte Henrik, »unbedingt.«

Wieder glaubte man fernes Gewehrfeuer zu hören. Dies gab den Ausschlag. Der Waldbewohner hatte schon die Speichen der Ankerwinde gefaßt und drehte sie mit der Kraft von sechs Männern. Jetzt gab der Kapitän rasche Befehle zum Ankerlichten und Segelstellen.

Während der Anker unter den Anstrengungen einiger Balinesen heraufkam, flog der Fremde, einem Affen gleich, ins Takelwerk hinauf und band das Focksegel los.

Der Kapitän ordnete mit Ruhe an, daß vier bewaffnete Leute mit der Jolle zurückbleiben sollten, um zu des Prinzen Verfügung zu stehen, wenn er zur Küste käme. Sofort gingen diese an Land.

Jetzt entschlossen, nach Osten zu steuern, gab er Befehl, alle Leinwand fallen zu lassen. Dies geschah. Die Balinesen waren geschickt, und der Wilde arbeitete gleich einem Riesen auf den Rahen; bald lief das Schiff unter allen Segeln. Dann ließ der Schiffsführer Gewehre und Säbel an die Mannschaft verteilen und zur großen Befriedigung des Waldmenschen die Kanonen, sechs leichte Bronzegeschütze, schußfertig machen.

Das Schiff lief mit einer Geschwindigkeit von etwa sieben Knoten an der Insel hin.

»Was kann dem Sohn des Radscha begegnet sein, Herr?« wagte Henrik den Kapitän zu fragen.

Besorgt erwiderte dieser: »Die politischen Verhältnisse auf Lombok sind ziemlich verwickelt. Die Balinesen sind der herrschende Stamm dort, aber die zahlreiche Urbevölkerung der Insel, die Sassaker, hassen ihre Unterdrücker und besonders das herrschende Fürstengeschlecht. Ich fürchte, es ist ein Anschlag auf Anak Madé im Werk, der von eben dieser Seite ausgeht. Nur eine solche Befürchtung konnte mich bewegen, meinen Ankerplatz zu verlassen. Der Verrückte mag mit seiner Aufforderung recht haben; die Wälder sind schwer passierbar, und die Feinde des Prinzen folgten uns natürlich zu Schiff. Gott gebe, daß dem so ist und wir noch zur rechten Zeit kommen!«

Henrik begriff nach dieser Auseinandersetzung erst, welcher Art die Gefahr war, die den Prinzen bedrohte.

Lautlos stand alles an Bord. Wiederum vernahm man Büchsenfeuer.

Das Schiff war ein trefflicher Segler. Der Inselbewohner, welcher, eine Weile von den Balinesen sowohl seiner abenteuerlichen Erscheinung halber, als wegen seiner seemännischen Geschicklichkeit und außerordentlichen Kraft angestaunt, am Vorderdeck gestanden und ausgelugt hatte, kam jetzt nach hinten und deutete auf eine scharf vorspringende Meerzunge nach vorn hin. Verständlich, wenn auch leise und mühsam, sagte er: »Dort!« und deutete zugleich auf die obern Segel, mit dieser Gebärde auffordernd, sie einzuholen.

»Was meint er?« wandte sich der Engländer an Henrik.

»Ich vermute, die Gefahr birgt sich hinter jener Landzunge, und er möchte Segel geborgen sehen, um die Fahrgeschwindigkeit zu mäßigen. Auch sind wir bald am Ende der Insel, Herr.«

Der Kapitän, der des Balinesischen, wie es schien, genügend Herr war, ließ die übrigens recht geschickten braunen Matrosen aufentern und alle obere Leinwand einnehmen.

Mit verminderter Fahrt steuerten sie längs des Vorsprungs eine Weile dahin und sahen, daß vor ihnen, in Kanonenschußweite, ein einmastiges Fahrzeug von jener Form ankerte, deren sich die Malaien in diesen Gewässern bedienen. Als der Schoner sichtbar wurde, zeigte sich an dessen Bord ein lebendiges Treiben.

Der Engländer ließ die Flagge des Radscha hissen und befahl, die drei Steuerbordgeschütze zu bemannen.

Von der Prau her tönte ein Kanonenschuß, doch schien es nur ein Signalschuß zu sein. Das Glas zeigte, daß das Fahrzeug nur ein altes Geschütz an Deck führte.

Sie kamen näher, das Leben an Deck des fremden Fahrzeuges mehrte sich, eilig stieß auch von dort ein Boot nach dem Land ab.

Der Kapitän befahl seinen Kanonieren, gemeinsam auf den Mast zu zielen und ließ Feuer geben. Die Geschütze waren gut gerichtet gewesen, denn gleich darauf neigte sich der Mast und kam, unter wildem Geschrei der Bemannung der Prau, nach vorn nieder.

»So«, sagte Mr. Blake, das war des Engländers Name, »der wird uns nicht mehr entwischen! Es ist eine malaiische Prau«, fuhr er fort, »aber was nun?«

Sie waren jetzt in Büchsenschußweite von dem Fahrzeug entfernt, und einige Flinten wurden von dort aus auf sie abgefeuert, verfehlten jedoch ihr Ziel.

Die Balinesen erwiderten das Feuer sofort, und es mußte nicht ohne Wirkung geblieben sein, denn Schmerzensgeheul antwortete den Schüssen.

»Was nun?« fragte Blake den Wilden. Dieser mußte die Worte verstanden haben oder aus dem Ton auf ihren Inhalt schließen, er deutete auf das Land: »Dort – helfen!«

Die Worte waren deutsch. Ehe sie Henrik noch übersetzen konnte, sprang der Waldmensch über Bord und schwamm, seine Keule mit sich führend, wie ein Delphin durchs Wasser.

Aus dem Wald, der hier die Hügel krönte, krachten Büchsenschüsse.

Entschlossen befahl der Kapitän dem größern Teil der Mannschaft, in den zwei Booten, welche der Schoner im Schlepptau hatte, an Land zu gehen, während der Steuermann mit den Zurückbleibenden unter leichtem Tuch kreuzen sollte.

Er selbst ergriff eine Büchse und stieg ins Boot; Henrik, der schon früher eine Waffe zur Hand genommen hatte, folgte ihm. In zwei Minuten waren sie an Land.

»Es ist sicher«, äußerte Mr. Blake, »daß sie Anak Madé überfallen haben, diese malaiischen Schurken, und wir müssen um so vorsichtiger vorgehen, als wir die Stärke des Feindes nicht kennen.« In diesem Sinn instruierte er seine Leute. »Wäre nur das Subjekt hier, welches uns hergerufen hat.«

Die ganze Bemannung der Prau, es mochten dreißig bis vierzig Menschen sein, sprang jetzt über Bord und schwamm dem Land zu. Der Balinese aber, welcher nun den Schoner kommandierte und ebenfalls das ganze Bewußtsein der Gefahr hatte, welche Madé, den einstigen Beherrscher und Liebling seines Volkes bedrohte, ließ rücksichtslos die mit Traubenschüssen geladenen Kanonen auf den einen Kaufen abfeuern, der eben ans Land stieg. Der Schuß war von furchtbarer Wirkung. Mehr als die Hälfte der halbnackten Malaien sank tot oder verwundet zu Boden, die andern verschwanden im Wald.

»Gut gemacht, Ayung«, sagte der Engländer, »das erspart uns Arbeit.«

Aus den Büschen tauchte der Waldmensch auf und winkte. Auf den Befehl Blakes gingen die Balinesen, welche sämtlich gute Büchsen trugen, in einer Schützenlinie vor, während der Wilde die Richtung angab und Bahn durch das Unterholz brach.

Unter furchtbaren Anstrengungen wandten sie sich durch den Urwald, Henrik an der Seite des Kapitäns.

Jetzt hörten sie ganz nahe Büchsenfeuer und wildes Geschrei.

Der Wald wurde lichter, und gleich darauf sahen sie eine mit Felsgestein durchsetzte Grasfläche vor sich, auf welcher einige dreißig braune, halbnackte Gesellen lagen und eine Höhle beschossen, aus welcher das Feuer von Zeit zu Zeit erwidert wurde.

Kaum waren die Balinesen am Waldsaum erschienen, als die Malaien unter wildem, ohrenbetäubendem Geschrei aufsprangen und auf den Eingang der Höhle losstürmten.

Da feuerten die Balinesen, und niederstürzende Gestalten zeigten, wie gut sie getroffen hatten. Mit einem gellenden Schrei sprang der verwilderte Mann aus den Büschen auf und schwang seine Keule. Die Malaien hatten schon entsetzt innegehalten, als die Schüsse der Balinesen krachten, und liefen nun doppelt bestürzt in eiliger Flucht davon, doch nicht, ohne daß zuvor zwei von der Keule des Wilden niedergestreckt waren.

Der Kapitän und Henrik voran, stürmten jetzt die Balinesen ins Freie, auf die Höhle zu. In dieser erschienen einige der Begleiter des Prinzen, dann er selbst.

Freudig schritt Anak Madé auf seine Leute zu, als ein wie tot am Boden liegender Malaie aufsprang und das krumme Messer auf ihn zückte. Der Prinz wich dem Stoß aus, doch wäre es um ihn geschehen gewesen, wenn nicht in gleichem Augenblick Henrik den Malaien von hinten um den Leib gepackt und zurückgerissen hätte. Einer Schlange gleich wandte der Mann sich um, und der Jüngling blickte in das dunkle von verzehrendem Haß erfüllte Auge des Gegners, dessen Messer er vor sich blitzen sah. Aber Henrik, stark und behende wie ein junger Bär der germanischen Wälder, hatte blitzschnell zugreifend mit der Linken des Gegners rechtes Handgelenk gefaßt und führte mit der Rechten zugleich einen so kräftigen Kolbenstoß auf des Malaien Brust, daß sie dumpf dröhnte. Die tigerartige Gewandtheit des Schurken war deutscher Kraft nicht gewachsen, trotz seines Zerrens und seiner wilden Sprünge hielt die eiserne Faust Henriks die messerbewehrte Hand fest. Die Keule des herzuspringenden Wilden machte dem Kampf ein rasches Ende, niederfahrend zerschmetterte sie des Feindes Haupt. Einer Mauer gleich scharten sich jetzt die Balinesen um den Prinzen, ihn mit ihren Leibern zu decken.

Da Mr. Blake fürchtete, es könne aus den Büschen geschossen werden, ersuchte er den Prinzen, den Schutz des Waldes aufzusuchen. Anak Madé nickte zustimmend und ging.

Henrik erfuhr jetzt, daß in der Tat ein Anschlag auf das Leben, zum mindesten auf die Freiheit des einstigen Beherrschers von Lombok ausgeführt worden war. Anak Madé und die Seinen waren überfallen, zwei seiner Diener erschossen worden. Er und seine Jagdgenossen erwiderten zwar das Feuer, doch würden sie im verschlungenen Waldesdickicht wohl die Opfer der Feinde geworden sein, wenn nicht der Waldmensch erschienen wäre und sie zu der Höhle geführt hätte, aus welcher sie eben befreit worden waren. In der Höhle hatte man sie belagert, doch war durch die energische Verteidigung das Schlimmste abgewehrt. Erst das Feuer des Schoners, welches die Feinde stutzen machte, sagte ihnen, daß Hilfe herannahe.

»Wie danke ich dir, mein guter Waldmensch«, sagte Anak Madé, dem Blake Bericht von dem, was in der Bucht und an Land vorgegangen war, abgestattet hatte, und schüttelte die braune Hand des Wilden herzlich, »dir verdanke ich mein Leben.«

Der Waldmensch nickte lächelnd und sagte mehrmals: »Gut, gut.«

Dann dankte der Prinz auch Henrik: »Ich werde deine rechtzeitige Hilfe nicht vergessen, deutscher Jüngling, du hast am Sohn des Radscha von Lombok einen Freund fürs ganze Leben gewonnen.«

Auch an Mr. Blake und seine Leute richtete er freundliche Worte.

Da von dem Feind nichts mehr zu bemerken war – die noch Lebenden schienen sich im Wald zerstreut zu haben – begaben sich alle hinab zur Küste.

Rührend war es, wie die Balinesen unaufhörlich mit ihren Leibern den jungen Prinzen zu decken suchten, damit ihn nicht eine Kugel aus tückischem Hinterhalt erreiche. Der Wilde, welcher Gesicht und Gehör eines Waldtieres zu haben schien, umkreiste gleich einem Wächterhund den Zug.

Bald hatten sie das Meer erreicht und befanden sich gleich darauf an Deck des Schoners. Die Prau wurde ins Schlepptau genommen, und mit einer frischen Brise segelten sie zurück. In kurzer Zeit hatten sie die Bucht erreicht.

An Land gehend, sahen sie die zurückgelassenen Balinesen mit den Waffen in der Hand vor der Höhle stehen, welche die jungen Leute bewohnten und vernahmen aus dem Innern die in Todesangst zitternde, dabei befehlend-kreischende Stimme des Schneiders.

»Sowie du dir muckst, jebe ick Feuer und mache dir een Loch in dein Fell, det du daran denken sollst. Stehst du stille! Von dir lasse ick mich nich an die Wimpern klimpern. Ick bin mit een Dutzend Menschenfresser fertig jeworden, verstehst du, dir lasse ick ooch noch anloofen. Ruhig!«

Während der Schoner auf seiner Fahrt begriffen war, hatten die zurückgebliebenen Leute des Prinzen ängstlich der weitern Entwicklung der Dinge geharrt. Kurz vor der Rückkunft des Schiffes war am Wald ein halbnackter Bursche aufgetaucht, der, als er die Balinesen und ihre erhobenen Büchsen plötzlich gewahrte, im ersten Schrecken in die Höhle geschlüpft war, welche Henrik und dem Schneider als Unterschlupf diente.

Fritz Fischer hatte nach dem herrlichen Frühstück, welchem er so große Ehre erwiesen, ein langes Schläfchen gehalten. Er war eben aufgewacht und befand sich in der behaglichen Stimmung eines Menschen, welcher gut gespeist und gut verdaut hat, als zu seiner jähen Überraschung ein brauner Bursche, der ihn im ersten Augenblick nicht gewahrte, in die halbdunkle Höhle schlüpfte.

Der Mann hatte ein blinkendes Messer in der Hand und stand gebückt und lauernd am Eingang.

Fritz wurde bei diesem Anblick von Todesangst befallen. Instinktiv aber griff er zu Henriks Flinte, welche zum Glück neben ihm stand und spannte zitternd die Hähne.

Auf dieses Geräusch hin wandte sich der Eindringling nach ihm hin und sah mit tiefem Schrecken die Mündungen der Doppelläufe auf sich gerichtet.

»Hilfe!« schrie Fritze, »hier is eener.«

Der Mann machte eine demütig flehende Bewegung, aber der Schneider, welcher sie wohl in seiner Angst für eine drohende halten mochte, riß die Flinte empor und rief in bebendem Ton: »Rühre dich nicht, oder et jeht los.«

Dieses und die Stimmen der Balinesen draußen schüchterten den Flüchtling, der zitternd und lauschend dastand, noch mehr ein. Wer die größere Angst hatte, der Eingeborene oder der Berliner, war nicht zu entscheiden. Seinen Todesschrecken zu betäuben, schrie Fritz unaufhörlich.

Solcherart war die Situation, als Henrik das Land betrat und die Stimme seines Freundes hörte.

Er und der Wilde liefen allen andern voran nach der Höhle. »Ist ein Malaie drin, so fangt ihn lebendig!« rief Anak Madé den Seinigen zu und wiederholte es für Henrik englisch.

Henrik mit der Büchse, der Waldmensch mit der Keule in der Hand, drangen furchtlos in die Höhle ein, sahen den tapfern Schneider auf seinem Lager sitzen, wie er die Flinte in unsichern Händen handhabte, und den Malaien bebend vor ihm stehen.

Schon hob sich die furchtbare Keule, als Henrik rief: »Lebendig, Freund!«

Da ließ der Malaie auch schon den Kris fallen und warf sich als Zeichen der Ergebung zur Erde nieder, mit der Stirn den Boden berührend.

Als der Schneider das sah, wich plötzlich seine Todesangst, und wenn auch mit vor Aufregung noch bebender Stimme, so doch mit stolzem Selbstbewußtsein sagte er auf den demütigen Mann deutend: »So, Hamburger, den hätten wir. Der soll nur mit keenen Berliner nich anfangen; der kennt mir noch nich!«

Die nachdringenden Leute des Prinzen bemächtigten sich des Gefangenen, banden ihm die Hände auf den Rücken und führten ihn hinaus.

Henrik erfreut, daß er seinen Gefährten ganz unverletzt sah, fragte: »Nun, mein guter Fritze, der Bursche hat dich wohl sehr erschreckt?«

»So eener?« entgegnete der Schneider, dem jetzt der Kamm nicht wenig geschwollen war, verächtlich. »Nee, da müssen andere Leute kommen, von die Sorte nehm ick et mit een halbes Dutzend uff.«

Henrik lachte: »Ja, mein tapferer Junge, ich kenne dich ja seit der Affäre mit den Menschenfressern. Du mußt dem Mann gehörig zugesetzt haben.«

»Det schwöre ick dir, ick hätte den Spitzbuben durch und durch jeschossen, wenn er sich jemuckst hätte. Der Schlingel war aber janz dusemang, wie er mir sah. Der muß ne scheene Angst ausjestanden haben!«

»Das glaube ich auch, du hast was Gefährliches an dir.«

»Ick sage dir, Hamburger, wenn wir aus de Reezenjasse anfangen, dann jeht et nich jut.«

»Dein Mut und deine Kaltblütigkeit sind um so bewundernswerter, als meine Flinte nicht geladen war.«

Äußerst verblüfft sah Fritze bald auf die Waffe, bald auf Henrik.

»Nich jeladen? Denn is et jut, det der Mann det nich jewußt hat, der hätte mir scheene abmurksen können mit sein krummes Messer«, sagte Fritz kleinlaut.

»Das ist ja eben das Großartige, daß du ihn durch deine Entschlossenheit auch mit der leeren Flinte in Schach gehalten hast.«

»Ick jloobe ooch, Hamburger, et war een kleenes Bravourstück, meenste nich?«

»Ich sage es ja.«

»Det war een böser Bruder, un et jehörte wat zu, ihm zu imponieren, aber ick habe et fertig jebracht. Jetzt brauche ick mir nich mal mehr vor eenen von die Leutnants zu schenieren. Erst 'n halbes Dutzend Menschenfresser un dann diesen entsetzlichen Räuber un Mörder! Det macht mir doch so leicht keener nich nach.«

»Du bist der geborene Held.«

»Det haben wir Berliner so an uns!« sagte Fritze von oben herab. »Wenn ick det zu Hause jemacht hätte, un hätte so 'n äußerst gefährliches Subjekt janz alleene jefangen jenommen, hätte ick 'n Orden jekriegt un wenn't man vierte Jlasse jewesen wäre.«

»Vielleicht zeichnet dich der Fürst von Lombok für deine Tapferkeit auch aus.«

»Meenste, Hamburger, et könnte so wat vor mir abfallen?« fragte Fritze begierig.

»Man kann nicht wissen.«

»Na, aber denn, denn kann mir aber det janze Pantinenviertel den Stoob wegblasen«, sagte der Jüngling aus der Reezengasse mit unnahbarem Stolz. »Verdient hab ick eene Auszeichnung, det is so sicher, wie die 101 Kanonenschüsse bei 'n neuen Prinzen.«

Henrik ergötzte sich höchlich an dem Selbstbewußtsein des Berliners.

Sie begaben sich hinaus. Draußen hatte man den Gefangenen vor Anak Madé geführt. Es war noch ein junger Bursche, der große Angst zu haben schien. Nach seiner Aussage galt der Überfall in der Tat der Gefangennahme des Prinzen, von dessen Jagdausflug die Führer der Expedition unterrichtet gewesen sein mußten. Die Prau hatte im ganzen sechzig Mann beherbergt, der Mehrzahl nach Malaien, doch waren auch einige Sassaker darunter. Der weitaus größere Teil war unter dem Feuer der Balinesen gefallen; in die Wälder konnten nur wenig Verwundete entkommen sein, und diesen war mit der Wegnahme der Prau das letzte Rettungsmittel geraubt. Der Prinz hörte schweigend die Aussagen des Gefangenen an und befahl, ihn an Bord zu bringen. Er wandte sich dann mit freundlicher Gebärde an Fritz. »Und Sie, mein kleiner Deutscher, haben uns den Burschen festgehalten?«

»Wat sagt er?«

Henrik übersetzte ihm die englisch gesprochenen Worte.

»Allemal!« sagte Fritz, »un et war keen leichtes Stück Arbeet, Euer Königliche Durchlaucht, Exzellenz, det darf ick wohl sagen, denn det war een fürchterlicher Mordbruder mit det Messer. Aber ick hab' et ihm jejeben, der weeß jetzt, wat 'n richtiger Berliner bedeutet.«

Nach passender Übersetzung durch Henrik entgegnete Anak Madé höflich: »Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren Beistand, mein junger Freund, und ich werde es nicht vergessen.«

»Wat sagt er?«

»Der Prinz dankt dir.«

»Oh, et hat nischt zu sagen, Hoheit, Exzellenz. Vor Ihnen fange ick noch een janzes Dutzend solcher Brüder, wenn Ihnen det Spaß macht.«

Anak Madé reichte ihm die Hand und wandte sich zu seinen Offizieren.

»Hat er nischt von so 'n Ding vor't Knopfloch gesagt oder angedeutet, Hamburger?«

»Bis jetzt noch nicht, aber die Orden verleiht ja sein Vater, der regierende Fürst.«

»Na, ick bin bejierig«, meinte Fritz.

Nach kurzer Beratung mit seinen ältern Begleitern befahl der Prinz, daß alles sich auf den Schoner zurückziehen sollte. Henrik und Fritz wurden dahin eingeladen.

Als sie ins Boot stiegen, gesellte sich der Waldmensch zu ihnen, indem er sich neben Henrik setzte.

»Willst du bei uns bleiben, mein Freund?«

Der Mann nickte ernsthaft, streichelte Henriks Schulter und sagte leise: »Horsa – gehen.«

Dies rührte Henrik sehr.

Erfreulich war es, daß der Inselbewohner endlich seine Lippen geöffnet hatte. War es auch wenig, was er gesprochen und waren die Laute auch unbehilflich herausgekommen, wie bei jemand, der seiner Sprachwerkzeuge nicht Herr ist, so ließ es doch die Hoffnung aufkommen, daß mit der Zeit, wie die seit Jahren ungebrauchten Stimmorgane, auch der so lange untätige Geist erstarken werde. Daß noch Gefühl für seine Zusammengehörigkeit mit Leuten weißer Abstammung, daß noch Erinnerungsvermögen vorhanden war, hatte sich klar gezeigt. Mit stummem Entzücken hatte er auch, das wurde Henrik jetzt klar, den deutschen Lauten gelauscht, als sie zuerst wieder nach langen Jahren vor seinem Ohr erklangen und wie eine süße Melodie aus ferner Jugendzeit zu ihm zu sprechen schienen.

Daß er bei seinem fast märchenhaften Dasein, nach vielen Jahren des Schweigens nur mit Anstrengung Sprachlaute bildete, konnte nicht überraschen. Daß die geistigen Fähigkeiten gelitten hatten, war nur zu erklärlich, und doch hatte er gerade bei der Gefahr, welche den Prinzen bedrohte, Intelligenz und Geistesgegenwart verraten. Ebenso waren alle seemännischen Instinkte aufgewacht, als er wieder ein Schiff betreten hatte. Ob dieser Mensch, der das Leben eines wilden Tieres führte, dem zivilisierten Leben wieder zu gewinnen war, schien ja zweifelhaft, aber nicht unmöglich, wie es Henrik dünkte.

An Bord gekommen, begab sich der Prinz sofort in seine Kajüte, die Sorge für Henrik und Fritz dem Kapitän überlassend.

Der Wilde, der, wie alle wußten, das Werkzeug zur Rettung Anak Madés gewesen war, hatte sich, in Gang und Haltung wieder ganz zum Matrosen geworden, nach vorn begeben und schaute, sich ans Bollwerk lehnend, still zu der Insel hinüber. Weniger sein von Sonne und Wind gebräunter Körper erregte unter den selber halbnackten balinesischen Matrosen Aufsehen, als die furchtbare Haar- und Barttracht. Henrik beschloß, einen Versuch zu machen, ihn davon zu befreien. Er weihte den Kapitän in diese Absicht ein und teilte ihm mit, welches besondere Interesse er für den Menschen habe, und daß er sein Bestes tun wolle, ihn seinem gegenwärtigen Zustand zu entreißen. Mr. Blake, der dankbar genug dafür war, daß jener ihm die Möglichkeit gewährt hatte, seinen jungen Herrn aus so großer Gefahr zu befreien, ging bereitwillig darauf ein. Da der Prinz nach Art der indischen Großen eine zahlreiche Leibdienerschaft mitführte, veranlaßte der Kapitän, daß aus deren Schar diejenigen gerufen wurden, welche als Barbiere und Friseure tätig waren. Als sie mit Schere und Messer kamen, versuchte Henrik, seinem Schützling klar zu machen, was er von ihm wünsche. Dieser lehnte indessen die Hilfeleistung der Diener ab. Da ließ Henrik einen Spiegel herbeischaffen und hielt ihm diesen vor. Der Mann starrte hinein – ein Ausdruck des Entsetzens überflog seine Züge, dann sank er auf die Knie, schlug die Hände vor das Gesicht und große Tränen rannen zwischen den Fingern hindurch.

Nicht ohne bewegt zu sein, sahen das die umstehenden mit an. Endlich stand er auf, setzte sich auf einen nahen Schiffsstuhl und winkte den Leuten, ihr Werk zu beginnen. Die geschickten Balinesen machten sich ans Werk, kürzten seinen Haarwuchs, salbten ihm den Bart, schnitten ihm die Nägel an Händen und Füßen, und als ein ganz anderer stand er bald darauf da. Wieder hielt ihm Henrik den Spiegel vor, lange sah er hinein und nickte seinem Bild zu.

»Gut, gut«, sagte er dann und drückte Henrik die Hand.

Mr. Blake, der an diesem Vorgang großes Interesse nahm, hatte eines der dünnen, tunikaartigen Gewänder holen lassen, wie es die Indier geringern Schlages tragen, und der Mann ließ es sich überstreifen, behielt es auch an, obgleich er sich sehr unbehaglich darin zu fühlen schien.

»So«, sagte Henrik, »jetzt sind wir äußerlich ins Leben zurückgekehrt, mein Freund, hoffentlich schließt sich auch die Seele wieder deinem Volk, deinem Vaterland an.«

»Vaterland?« wiederholte jener leise, »ja – deutsches Vaterland.« Er erhob sich und ging zum Bugspriet und sah still in die Weite. Rücksichtsvoll ließ man ihn ungestört.

»Der olle wilde Robinson is 'n janz reputierlicher Menschenbruder, jetzt wo er frisiert is«, meinte Fritze, »paßt mal uff, der wird noch janz zahm.«

Henrik und Fritz wurden in eine kleine Kajüte geführt, wo Badediener ihrer harrten, die sie zu ihrem großen Behagen nach indischer Art badeten und salbten. Danach bot man ihnen indische Kleidung an, die sie um so dankbarer annahmen, als die ihrige durch den dreiwöchentlichen Aufenthalt im Wald und in der Höhle nicht gewonnen hatte.

»Jetzt siehst du ooch aus wie 'n Prinz aus det Bilderbuch, Hamburger«, sagte Fritze bewundernd, dem die schlanke Gestalt und das edel geformte Gesicht Henriks in der malerischen Tracht ungemein gefielen. »Un ick? Wat meenste denn zu mir mit die Maskerade?«

»Du hast etwas echt Orientalisches an dir; man könnte dich für einen geborenen Maharadscha halten.«

»Ja, weeste, det is uns Berlinern anjeboren, wir sind nu mal ne feine Sorte.«

Fritz ging würdevoll an Deck auf und ab und kam sich nicht wenig wichtig vor.

Nach einiger Zeit erschien Mr. Blake, der sich der äußern Verwandlung der jungen Leute freute, um sie in die Hinterkajüte zu führen, wohin Anak Madé sie einladen ließ.

Wie erstaunten beide, als sie hier im Schein hellbrennender, mit Milchglas umhüllter Lampen, welche einen angenehmen Duft verbreiteten, eine Pracht entfaltet sahen, die fast märchenhaft zu nennen war. Wände und Decke zeigten nicht nur die kostbarsten Hölzer des Ostens in feinster Politur, nein, auch wundervolle von Künstlerhand gefertigte Schnitzereien in Elfenbein, Perlmutter und Metall waren darin eingelassen, Ornamente, Früchte, Blumen und Tierstücke darstellend, in seltener Farbenpracht. Der Fuß versank in einem weichen Teppich, der schwellende Diwan, die Polster waren mit den teuersten indischen Geweben überzogen. Auf dem niedrigen, ebenfalls schön verzierten Tisch standen Gefäße von Silber und Gold, aus den besten Werkstätten Indiens hervorgegangen. Das Staunen der Jünglinge, die Ähnliches nie gesehen und von der Industrie Indiens und der Geschicklichkeit seiner Kunsthandwerker keine Ahnung hatten, war durchaus gerechtfertigt. Anak Madé hatte sich umgekleidet und empfing sie in einem hellen seidenen Gewand, welches vortrefflich zu seiner Hautfarbe paßte und ihm zugleich Anmut und Würde verlieh.

Er freute sich der Überraschung seiner Gäste und begrüßte sie freundlich.

Fritz machte unaufhörlich ehrfurchtsvolle Bücklinge; diese orientalische Pracht verblüffte den Sohn der Reezengasse vollständig.

»Det is noch scheener, als bei Kommissionsrats in ersten Stock in 't Vorderhaus«, äußerte er später, um seiner Bewunderung kräftigen Ausdruck zu geben.

»Seid mir willkommen, meine jungen deutschen Freunde, die mir Wischnu, der Erhalter, zur rechten Zeit gesendet hat!« Mit diesen Worten lud Anak Madé sie durch eine höfliche Gebärde ein, auf den Polstern in seiner Nähe Platz zu nehmen.

Fritz drehte sich einigemal um seine eigene Achse, ehe es ihm gelang, sich niederzulassen.

»Des Ewigen unerforschlicher Ratschluß hat uns hier zusammengeführt, euch, die blonden Söhne des fernen Nordens, und mich, das Kind einer heißern Sonne; zu aller Heil will mich bedünken.«

»Wir sind nächst Gott Ihnen Dank schuldig, Prinz, wenn wir aus unserm Inselgefängnis befreit wurden.«

»Nichts von Dank, Sir, ich bin Ihnen für mein ganzes Leben verpflichtet«, entgegnete er ernst. »Sie werden sich mit Erstaunen gefragt haben, wie es kam, daß ich der Gegenstand eines so heimtückischen Angriffs wurde. Ich müßte Ihnen ein gutes Teil der verwickelten Geschichte dieser Inseln erzählen, wenn ich es vollständig erklären sollte. In erster Linie war es wohl der Zorn der bei uns ansässigen räuberischen Maleien, die wiederholt die schwere Hand meines Vaters gefühlt haben und«, setzte er mit einem finstern Gesichtsausdruck hinzu, »vielleicht sind auch noch andere Kräfte hierbei wirksam gewesen, gefährlichere – doch, das wird sich finden. Wunderbar wie unser Zusammentreffen, ist meine, ist unsere Rettung. Wäre ich in die Hände dieser Räuber gefallen, würden sie zur Nacht das Schiff durch ihren Angriff überrascht haben, und dann wäre wohl niemand am Leben geblieben. Der seltsame Waldmensch«, fuhr er nachdenklich fort, »mußte das Werkzeug sein, mich vor dem Tod, zum mindesten vor der Gefangenschaft zu bewahren. Wie vergelte ich es dem Armen?«

Henrik erzählte ihm jetzt, welches Experiment er mit ihm vorgenommen habe.

Mit freudvoller Teilnahme erfuhr der Indier, daß der Geist des Waldbewohners sich zu regen beginne.

»Unsere heiligen Schriften lehren uns«, sagte er dann, »daß alles auf Erden von dem Willen der Gottheit abhängt, daß nichts ohne sie geschieht, und in den Begebenheiten, die Sie hierher zu dem einsamen Grab Ihres Vaters geführt haben, die jenen Unglücklichen, seinen einstigen Gefährten, mir zur Hilfe sandten, zeigt sich das Walten des Ewigen in seiner ganzen Macht. So wird auch bei unserm Freund, wie ich hoffe, das Licht der Vernunft wiederum einkehren, die schwere Tat, welche an den Ihrigen verübt worden ist, gesühnt werden, wenn Gott nicht bereits gestraft hat. Er weiß den Schuldigen zu treffen.«

»Ich hoffe, ich glaube so«, entgegnete Henrik ernst.

Diener ließen jetzt die vornehmen Balinesen, welche den Prinzen als Jagdgefährten begleiteten, ein. Auch sie hatten sich umgekleidet und nahten sich Anak Madé ehrfurchtsvoll. Auf seine Einladung ließen sie sich nieder. Ein reiches Mahl wurde jetzt aufgetragen, dessen Hauptbestandteile wiederum Reis, gebratenes Geflügel, eingemachte Früchte und süßes Gebäck bildeten. Die Diener reichten die Schüsseln und Schalen aus Porzellan und edeln Metallen herum. Messer und Gabeln wurden durch kleine Löffel von Elfenbein und aus demselben Material gefertigte Stäbchen ersetzt. Henrik gewahrte, wie anstandsvoll und mit welchem Geschick sich die Balinesen dieser Hilfsmittel bedienten, und ahmte nicht ohne Erfolg diese kunstvolle Art zu speisen nach. Das Berliner Kind aber, schon durch die nie gesehene Pracht der Ausstattung der Kajüte eingeschüchtert, saß ratlos an dem niedrigen Tisch und vor den Speisen, die seinen nach der Krankheit sehr gesunden Appetit gewaltig reizten; Löffelchen und Stäbchen waren für ihn nicht die geeigneten Mittel, würdevoll zu essen. Mit den Händen zuzugreifen, wozu er nicht geringe Lust verspürte, scheute er sich den feinen Indiern gegenüber doch.

»Du, Hamburger«, sagte er endlich leise, »ick kriege 't nich fertig, mit die Dinger so aus de Vogelperspektive wat zu knabbern; wat mach ick nu?«

»Nimm dir ein Beispiel an den indischen Herren, ich ahme ihre Art zu speisen ja auch nach.«

»Ja, du, du bist 'n studierter Junge.«

Der Prinz hatte augenscheinlich des Berliners Verlegenheit bemerkt, und Ähnliches mochte ihm in Gesellschaft von Europäern schon begegnet sein; er rief einem der Diener einige Worte zu, der gleich darauf Fritz und Henrik silberne Messer und Gabeln vorlegte. Der Speisesaal des Indiers war auch auf den Empfang abendländischer Gäste eingerichtet.

»Det is aber fein«, meinte Fritz, »die jelbe Hoheit Exzellenz hat Pli. Nu kann 't aber losjehn.«

Und mit frischem Mut begann er, den Speisen zuzusprechen.

Anak Madé wechselte hie und da einige Worte mit seinen Offizieren oder richtete eine Frage in englischer Sprache an Henrik.

»Die Deutschen«, äußerte er im Lauf des Mahles, »sind, wie ich unterrichtet bin, ein großes und gelehrtes Volk, haben auch viel Handelsschiffe auf der See; wie kommt es, daß wir nie ein deutsches Kriegsschiff in diesen Gewässern zu sehen bekommen?«

»Unsere Uneinigkeit, die Zerrissenheit in viele Stämme, die miteinander haderten, hat das deutsche Volk verhindert, gewaltig zur See aufzutreten, mein Prinz. Alle unsere Kraft mußten wir auf die Landmacht verwenden.«

»Die Holländer sind mächtiger als ihr Deutschen, nicht wahr?«

Henrik lachte. »Mächtiger? Nein. Die Holländer sind ein tüchtiges, mannhaftes Volk, aber wenn Deutschland, das ganze einige Deutschland in Waffen steht, wird kaum eine andere Macht dagegen aufkommen können.«

Eifrig übertrug der Prinz dies seinen Gefährten, und diese schienen Henriks Äußerung mit großem Vergnügen zu vernehmen.

»Die Holländer haben das Glück gehabt, während wir uns in Bruderkämpfen aufzehrten, kraftvoll auf dem Meer auftreten zu können, zu einer Zeit, wo wir nicht ein Orlogschiff besaßen. Doch wird der Tag kommen, an dem die deutsche Kriegsflagge auf allen Meeren weht und den fernsten Völkern die Macht und Herrlichkeit des einigen Deutschlands kündet.«

Henrik hatte mit einem Feuer gesprochen, welches den Indiern Bewunderung abnötigte, besonders als der Prinz die Worte übertragen hatte.

»Wat haste die Leute jesagt?« fragte Fritz kauend.

»Ich habe ihnen vom großen Vaterland, vom heiligen Deutschland gesprochen.«

»Is recht, Hamburger! Det janze Deutschland soll et sein! Nu sag die Leute ooch noch wat von ollen Fritzen unter die Linden, damit sie uns recht ästimieren.«

»Ich habe von euch Deutschen viel gehört in Kalkutta«, wandte sich der junge Fürst an Henrik, »und, wie ich schon sagte, euern großen Gelehrten, den Professor Haug, der selbst den Brahmanen die heiligen Schriften auslegt, weil er Sanskrit und Prakrit besser beherrscht als sie, persönlich kennengelernt. Die Holländer sind bei uns nicht beliebt. Die Herren von Java wollen auch auf Bali und Lombok einen Einfluß ausüben, der uns nicht zusagt. Glauben Sie nicht, Sir«, fuhr er lebhafter fort, »daß ich die Güter, welche die hohe Zivilisation, deren die Europäer sich erfreuen, im Gefolge hat, unterschätze, ich habe sie in Kalkutta bewundern gelernt, aber wir wollen sie uns nicht mit Kanonen und Bajonetten aufzwingen lassen, vielmehr unsere Eigenart wahren.«

So wurde noch manches gesprochen, was für Henrik, der dieser Inselwelt und ihren Völkergebilden fremd gegenüberstand, von hohem Interesse war.

Fritz Fischer, der wenig beachtet wurde, widmete dem Mahl und seinen einzelnen Bestandteilen eine eingehende Aufmerksamkeit und verriet entschieden die Absicht, für kommende Zeiten der Not Vorrat einzulegen.

Endlich hob Anak Madé, nachdem er noch mitgeteilt hatte, daß er morgen nach Ampanan zu segeln gedenke, die Tafel auf und verabschiedete höflich seine Gäste. Fritze ließ sich hierbei wieder eine stattliche Anzahl merkwürdiger Verbeugungen zuschulden kommen.

»Det mußt du aber doch sagen, Hamburger, det ick mir standesjemäß uffjeführt habe bei unsern Prinzen, en Leutnant von die Jarde kann et ooch nich besser«, sagte er draußen.

Henrik hatte nun hierüber zwar einige Zweifel, versuchte aber nicht, die gute Meinung, die Fritz von sich selbst hatte, zu zerstören. Er sah sich noch nach dem Wilden um, da er ihn aber auf Deck nicht fand und annahm, daß er irgendwo einen Unterschlupf gesucht habe, begab er sich zu der ihm und Fritz angewiesenen Kabine und ging zur Ruhe.

Im Traum sah er seinen Vater, der liebevoll auf ihn herniederblickte.

Das Klirren der Ankerkette auf Deck weckte ihn. Er erhob sich, kleidete sich an und ging hinauf. Eben stieg die Sonne empor und übergoß des Gewölk des Firmaments mit Flammenglut. Rasch verbreitete sich die Helle des Tages, denn diese Breiten kennen keine Dämmerung. Von neuem suchte er nach dem wilden Freund. Da mußte er zu seinem Leidwesen von Mr. Blake erfahren, daß der Mann aller Wahrscheinlichkeit nach schon gestern abend heimlich das Schiff verlassen habe und an Land geschwommen sei.

Er schaute nach der Insel hinüber, mit einem Gefühl ernster Trauer, denn dort ruhte, was an seinem Vater sterblich war, und jetzt sollte er für immer von dieser ihm heiligen Stätte scheiden.

Da erschien Anak Madé an Deck. Alles war zum Ankerlichten fertig und man erwartete nur seine Befehle. Der Sohn des Radscha winkte Henrik zu sich und sagte in der ihm eigenen, höflich freundlichen Weise: »Es drängt Sie gewiß, mein Freund, Abschied von dem Grab Ihres Vaters zu nehmen, wir wollen es zusammen besuchen, ehe wir nach Lombok segeln.«

Henrik war von so viel Zartgefühl innig gerührt und dankte schweigend.

Die den Malaien abgenommene Prau war mit einer Notstenge versehen und mit einigen Matrosen besetzt worden, die sie nach Lombok führen sollten.

Mr. Blake erhielt seine Befehle, und der Schoner, welcher den indischen Namen »Arang« führte, aber auf einer englischen Schiffswerft erbaut war, entfaltete Segel und lief um die Insel bis zu der Bucht, an der einst der Wilde Henrik und Fritz landen ließ; dort legte er bei. Da die in den Wäldern befindlichen Feinde zu fürchten waren, wurden dreißig mit Büchsen bewaffnete Leute an Land geschickt, um den Weg zu säubern, dann erst begab sich Anak Madé mit seinen Gästen, auch Fritz war an Deck erschienen, an Land.

Mit leichter Mühe fanden sie das Felstal und die stille Grabstätte. Von ihrem treuen Wächter war nichts zu gewahren.

Während sich der Inder zartfühlend zurückhielt, kniete Henrik an dem Grab nieder und betete innig, so Abschied nehmend von den teuern Resten, welche hier die fremde Erde barg.

Als er zu Anak Madé zurückkehrte, sagte dieser: »Solange ich lebe, Freund, soll diese Stätte gepflegt werden und für heilig gelten.«

Henrik dankte von ganzem Herzen. Als er, ehe sie zwischen die Felsen traten, noch einmal zurückblickte, sah er zu seiner höchsten Überraschung den Wilden an dem Kreuz knien und, wie es schien, inbrünstig beten.

Er wartete, und als jener sich erhob, rief er ihn an. Augenblicklich kam er zu ihm.

»Willst du nicht mit mir zur Heimat kommen?« fragte ihn Henrik.

Der nickte und sagte langsam: »Kapitän – ihm Abschied sagen – gehen mit Sohn.«

»Nun, das ist gut – so komm.«

Der Mann hatte sein indisches Gewand abgelegt, holte es aber jetzt aus seiner Höhle und zog es über.

Als alles an Bord war, nahm der »Arang« seinen Kurs nach Ampanan mit gutem Wind und bald verschwand die kleine einsame Insel unter dem Horizont. Bis zum letzten Augenblick sahen der Wilde und Henrik zu ihr hinüber.

Mehrmals im Lauf des Tages begab sich Henrik zu seines Vaters einstigem Gefährten, der still und traurig am Vorderdeck weilte. Sein Erscheinen, seine Anrede überzog das Gesicht des Mannes stets mit freudigem Schimmer. Henrik sprach viel zu ihm, damit sein Ohr sich wieder an die Laute der deutschen Sprache gewöhne und fragte ihn auch nach diesem und jenem. Er erhielt auch kurze Antworten, die davon Zeugnis gaben, daß die Frage verstanden worden sei. Er redete von Deutschland, von Hamburg, und aufmerksam lauschte der ehemalige Matrose. Bei einer dieser Unterredungen richtete er die Frage an ihn: »Wie heißest du eigentlich?«

Jener sah ihn an und versank dann in Nachdenken.

»Du hast doch sicher noch Angehörige, die dich als tot beweinen und sich nun freuen werden, wenn du wieder unter ihnen erscheinst?«

Ernsthaft nickte er.

»Und wie nannten sie dich?«

Langsam, nachdem er wieder eifrig nachgesonnen, entgegnete er: »Er weiß es nicht.«

Das war eine niederschlagende Antwort, besonders da er von sich in der dritten Person sprach. Und doch gab Henrik den Versuch, ihm Erinnerungen zu wecken, nicht auf. Als ihm das Unglück, welches einst seinen Vater getroffen, zu vollem Bewußtsein gekommen war, hatte er sich, es waren einige Jahre seitdem vergangen, zum Waterschout seiner Vaterstadt begeben und sich das Verzeichnis der Mannschaft vorlegen lassen, mit welcher der »Admiral« von Hamburg in See gegangen war. Bereitwillig hatte der Beamte seinen Wunsch erfüllt. Henrik hatte sich die Liste mit allen auf die Personen bezüglichen Bemerkungen abgeschrieben und kannte jeden einzelnen Namen der Schiffsgenossen seines Vaters. Der vor ihm sitzende Mann, trotzdem ein hartes Dasein ihn gealtert haben mochte, konnte die Vierzig noch nicht überschritten, vielleicht noch nicht erreicht haben. Er rief sich zwei Namen jüngerer Leute aus der Mannschaft ins Gedächtnis zurück und fragte, einen derselben anwendend, auf gut Glück: »Bist du nicht Karl Steffen aus Finkenwerder?«

Wie von einem elektrischen Schlag berührt, sprang der Angeredete auf und starrte Henrik fast mit Entsetzen an, so daß dieser erschrak.

»Karl Steffen aus Finkenwerder?« wiederholte er, »Karl Steffen – ja, Karl Steffen – Karl Steffen –« dann wandte er sich ab und schaute aufs Meer hinaus. Henrik entfernte sich und überließ ihn sich selbst.

Als er am Nachmittag wieder zu ihm trat, sagte jener leise: »Ich bin Karl Steffen, jetzt weiß ich's.«

Henrik war hoch erfreut darüber. »Siehst du? Ich kenne die Namen aller Gefährten meines Vaters, und du mußtest Karl Steffen oder Christian Böting sein.«

»Karl Steffen«, wiederholte er.

»Gut, Karl, du wirst aus dem wilden Traum, den du so lange geträumt hast, erwachen und wieder werden wie du warst. Was für ein tüchtiger Seemann du bist, haben wir ja erfahren; ich habe noch keinen in der Höhe so arbeiten sehen, wie dich.«

Karl Steffen lächelte und blickte zur Fockrahe empor, dann nickte er.

Henrik, so sehr es ihn drängte, Kunde von dem Ende seines Vaters zu erlangen, sagte sich, daß diesem so lange schlummernden Geist gegenüber nichts überstürzt werden dürfe und bezwang sich.

Fritz Fischer aber teilte er in freudiger Erregung mit, daß der Name des armen Robinson entdeckt sei.

»Det freut mir ooch«, meinte der Schneider, »et is doch nischt, wenn eener keenen Namen nich hat. Paß mal uff, Hamburger, det wilde Menschenkind wird noch een janz jebildeter Mensch, wenn wir weiter mit ihm umjehen. Der Mann, weeste, is durch die Einsiedlerei herabjekommen un muß nu wieder Politur annehmen. Ich werde en bißcken an ihm rumschleifen, weeßte, wir Berliner haben so det Feine an uns. Jotte doch, Hamburger, wenn ick mir en paar Jahr uff die olle Insel hätte alleene rumtreiben müssen, ick wär ooch meschugge jeworden, un ick bin doch aus die Stadt von die Intelljenz. Mit det wilde Karlchen wird sich det noch machen.«


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