Franz Treller
Der Letzte vom »Admiral«
Franz Treller

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Point de Galle

Henrik war über die Begegnung zwischen Steffen und Martin hocherfreut, bildete die Jugendfreundschaft zwischen beiden doch eine neue starke Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart herüber.

Findling ließ zur Feier des freudigen Ereignisses der Wiederkehr der beiden jungen Leute der Mannschaft einen Extragrog reichen. Bald fügte sich alles wieder in die gewohnte Ordnung. Henrik tat Dienst in der Steuerbordwache, Steffen wurde der Mittelwache zugeteilt, und der durch seine abenteuerlichen Erlebnisse höchlich aufgeblasene Schneider flickte wieder die Jacken und Hemden der Mannschaft, wenn auch nicht gerade mit Behagen. Mit günstigem Wind liefen sie nordwärts auf Point de Galle zu.

Steffen, der freundlich, aber schweigsam einherging und seine Arbeit tat, stand bald durch seine Geschicklichkeit und ungewohnte Muskelkraft bei der Mannschaft in hoher Achtung. Martin behandelte ihn, durch Findling und Henrik angeleitet, mit großer Klugheit. Er sprach, wie es die Gelegenheit bot, von ihrer gemeinsamen Vergangenheit, ohne nach seinen Schicksalen zu fragen, und behandelte ihn im Dienst, den Steffen freilich fast instinktiv in allen seinen Einzelheiten noch inne hatte, als ob jener nie das Deck eines Schiffes verlassen hätte. Martin entsann sich sehr gut, daß Steffen unter Kapitän Horsa mit dem »Admiral« ausgefahren und mit diesem verschollen war. Einen gewaltigen Eindruck machte es auf ihn, als er erfuhr, wo die Mannschaft des »Admiral« geendet hatte, und daß Steffen als einziger Überlebender der Wächter des Grabes gewesen war, in dem sein Kapitän und seine Schiffskameraden schliefen.

»Hier, Henrik«, sagte er wieder in seinem eigentümlichen Gemengsel von Hoch und Platt, »is en verruchtes Verbrechen begangen worden! Aber der liebe Gott hat Sie nicht umsonst an das Grab Ihres Vaters föhrt und Karl finden laaten. Der Tag der Vergeltung für das vergossene Blut wird kommen, gläuwen Se mi man!«

Er erzählte auch von Steffen, daß er sich schon früh durch Geschicklichkeit und außerordentliche Körperkraft sowie durch kindliche Gutmütigkeit ausgezeichnet habe; daß es sehr schwer gewesen sei, ihn zum Zorn zu reizen; war das aber geschehen, dann hätte man allen Grund gehabt, ihn zu fürchten.

Bemerkenswert war es, daß Steffen jetzt oft auf ein Gespräch über gemeinsame Jugenderlebnisse mit freudiger Erinnerung einging, dagegen über den Untergang des »Admiral« und sein Leben auf der Insel tiefes Schweigen bewahrte.

Für Henrik zeigte er eine Hingebung, die wahrhaft rührend war. Hatte jener oben etwas zu tun, und Steffen war gerade frei, so zeigte dieser sich sofort bereit zu helfen oder ihm die Arbeit abzunehmen, so daß Henrik sich oft genug dagegen wehren mußte.

Für einen Seemann wie Findling war der als Waldmensch aufgefundene Matrose ein Gegenstand hohen Interesses. Er beobachtete ihn, soweit es seine Stellung zuließ, fortwährend und gewahrte mit Freuden, wie ruhig und sicher er im Dienst war. So hatte er ihn nach der Reihe der Mannschaftsordnung auch an das Steuer treten lassen, freilich nicht ganz ohne Besorgnis; aber Steffen entwickelte auf diesem besonders verantwortlichen Posten in so hohem Grad die gewissenhafteste Aufmerksamkeit und seemännische Geschicklichkeit, daß bei Findling jede Befürchtung schwand. Es war ganz augenscheinlich, daß der stille Mensch sich in der altgewohnten Umgebung langsam aber sicher selbst wieder fand. Der geheimnisvolle Untergang des »Admiral« an einer unbewohnten Insel erregte auch in Findling den lebendigen Wunsch, die nähern Umstände kennenzulernen, die zu diesem Unglück führten, doch mußte man die Aufklärung, mit Rücksicht auf Steffen, späterer Zeit überlassen.

Nach einer ruhigen Fahrt lief der »Roland« in den geräumigen Hafen von Point de Galle ein. Schiffe aller europäischen Nationen ankerten vor diesem bedeutenden Handelsplatz und zwischen ihnen chinesische Dschunken, Fahrzeuge aus indischen Gewässern und die eigenartigen Schiffe der Araber, welche – beiläufig bemerkt – noch immer ein sogenanntes lateinisches, das ist dreieckiges Segel führen. Ein buntes Gemisch von Singalesen, Chinesen, Indern, Malaien, Arabern, Negern, in allen möglichen Farbenabstufungen, vom leichten Gelb bis zum dunkelsten Schwarz, belebte Hafen und Quais, und ein Sprachengewirr herrschte, welches an den Turmbau zu Babel erinnerte.

Kaum hatte der Hafenoffizier dem Schiff seinen Platz in der Reihe der andern angewiesen, kaum war der »Roland« festgelegt worden, als auch schon der Agent des Hauses Oswald & Co. an Bord erschien. Findling stellte sich ihm als den derzeitigen Befehlshaber des Schiffes vor und gab einen kurzen Bericht über das Ende Kapitän Jansens.

Der Agent, ein Herr Spieß, der die ausgedehnten Handelsverbindungen des Hauses auf Ceylon zu überwachen und den Verkehr mit den einheimischen Handelshäusern zu vermitteln hatte, war ein noch junger Mann, von magerer, kleiner Gestalt und einem Gesicht, welches lebhaft an Reineke Fuchs erinnerte. Die zurückliegende Stirn, die vorstehende schmale und lange Nase, das spitze Kinn, die kleinen, funkelnden, dunkeln Augen riefen bei jedem Beobachter diesen Vergleich hervor. Klugheit und Verschmitztheit lagen in diesem Gesicht, dessen gelbliche Farbe nicht auf gute Gesundheit schließen ließ, während die ziemlich stark gerötete Nase auf den häufigen Genuß geistiger Getränke hinzudeuten schien. Er war in einen sehr eleganten hellen Anzug gekleidet und hatte verbindliche Manieren. Herr Spieß kam mit einer gewissen Hast an und seine erste Frage war, ob ein Superkargo oder sonst ein Bediensteter der Firma vom Kontor an Bord sei. Als diese Frage verneint wurde, nahm er sofort eine ruhigere Haltung an. Die Geschäfte zwischen ihm und Findling waren rasch erledigt. Die Konnossemente gaben genau an, was gelandet werden sollte, und des Herrn Spieß Sache war es, den »Roland« nach Auftrag des Hauses zu beladen. Er forderte Findling noch auf, während dessen Aufenthaltes in Point de Galle sein Gast zu sein, was dieser aber höflich ablehnte.

Am andern Tag begab sich Findling zum Konsul, um amtlichen Bericht über die Vorgänge an Bord und den Tod des Kapitäns abzustatten. Nachdem ein Protokoll aufgenommen war, führte der Konsul, Herr Peters, Findling in sein Privatgemach. »Oswalds haben mir da eine absonderliche Aufgabe zugewiesen, die Ermittlung der Abreise meines Vorgängers Isenhoit betreffend«, sagte der Konsul, nachdem sie sich niedergelassen hatten. »Sie sind von dem, was zu erforschen wäre, unterrichtet?«

Findling teilte mit, was ihm aus den Papieren des Kapitäns über die Sache bekannt geworden war.

»Ich habe die Akten des Konsulats und die amtlichen Hafenregister zu Rate gezogen, bisher aber nur feststellen können, daß Isenhoit im Juni des Jahres 1854, begleitet von seinem kleinen Sohn, dessen Wärterin und einem Diener, mit der Bark ›Elisabeth‹ von hier abgesegelt ist; diese Bark ist im Atlantischen Ozean verschollen. Kurz vorher war ein spanisches Schiff, der Schnellsegler ›Gallego‹, nach Cadix in See gegangen. So weit stimmt also die Aussage des Evers. Ob der ›Gallego‹ zu jener Zeit ebenfalls zugrunde gegangen, habe ich noch nicht ermittelt, doch erwarte ich darüber Nachricht von den spanischen Behörden, an die ich mich brieflich gewandt habe. Außeramtliche Nachforschungen haben zu keinem greifbaren Resultat geführt. Von den jetzt hier lebenden Deutschen war keiner zu jener Zeit in Point de Galle anwesend, Europäer halten an diesem ungesunden Platz nicht lange aus. Ich habe einige der ehemaligen Diener Isenhoits ermittelt, Eingeborene; aber die wissen weiter nichts, als daß ihr einstiger Herr mit einem großen Schiff davonfuhr. Nur ein hier lebender Malaie, der eine Schenke für Seeleute hält und mit den Matrosen allerlei mehr oder minder ehrenwerte Geschäfte macht, der auch Isenhoit gelegentlich als Makler gedient haben will, entsann sich, daß der Konsul mit einem andern Schiff abgesegelt sei, als dem ursprünglich bestimmten, und zwar weil er Nachrichten aus Deutschland bekommen hatte, die seine baldige Anwesenheit dort wünschenswert machten. Er hätte deswegen das früher in See gehende und schnellere Schiff benutzt. Ob es ein Spanier gewesen sei, wußte der Mann nicht mehr; indessen ist die Aussage dieses Malaien so verworren, daß man keinen besondern Wert darauf legen kann. Über die Hamburger Matrosen Evers und Werner geben die Konsulatsakten nichts an. Freilich will das, da ein Teil des Archivs durch Feuer zerstört worden ist, nicht viel sagen. Für die Behauptung des Evers spricht also nur die Aussage Ali Tungas, des Malaien, den Sie ja selbst vernehmen können; er haust unten am Hafen und spricht ganz gut Englisch.«

Aus all dem glaubte Findling entnehmen zu können, daß die Aussagen des Evers doch wohl auf Wahrheit beruhen mußten, so verwunderlich es auch war, daß sich weder hier noch in Deutschland Aufzeichnungen oder Briefe vorfanden, aus denen hervorging, ob und wann der Konsul ein anderes Schiff, als das ursprünglich bestimmte, zur Heimreise benutzt habe. Wenigstens aber dienten diese spärlichen Nachrichten dazu, seine Fahrt nach dem Schatz weniger aussichtslos zu machen. Den Malaien wollte er aufsuchen. Konsul Peters, dem Findling sehr gefallen hatte, bat ihn, sein Haus als sein eigenes zu betrachten, er sei jederzeit willkommen.

Als Findling an Bord zurückkam, fand er Henrik an Deck eifrig einem eben einlaufenden englischen Dampfer nachschauend, der in der Nähe des »Roland« vorbeigestrichen war.

»Nun, was hat denn der Steamer Bemerkenswertes?« fragte Findling.

»Wenn es jemals einen Doppelgänger gegeben hat so dürfte er dort an Bord sein. An jenem Hinterdeck stand ein Mann, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit meinem Vetter Onno hatte.«

»Der Engländer kommt über Singapore von China, Junge, und von der Seite dürfte dein Verwandter schwerlich anlangen.« Findling schlug dann vor, später an Land zu gehen, um Wäsche und Kleider für ihn einzukaufen, was Henrik sehr angenehm war.

Das Schiff und die Leitung des Löschens und Ladens wurde Marholm überlassen. Ein Dutzend Malaien war für die Arbeit angeworben worden.

Für den Abend hatte Findling beschlossen, das Lokal des Malaien Ali Tunga aufzusuchen, und Henrik aufgefordert, ihn zu begleiten.

»Du bekommst in einer solchen Spelunke, hier, wo sich Asien und Europa ein Stelldichein geben, ein gutes Stück Welt zu sehen.«

Natürlich sagte Henrik vergnügt zu.

»Kennst du übrigens«, fuhr er, während sie an Deck im Schatten des Sonnensegels hin und her schritten, fort, »den Namen Isenhoit?«

Höchlichst erstaunt blickte Henrik bei dieser Frage zu ihm auf.

»Oh, gewiß.«

»Hast du von einem Konsul Isenhoit etwas gehört, der vor Jahren hier amtlich tätig war?«

»Auch das. Aber verzeihen Sie, Herr Findling, wie kommen Sie zu dieser Frage?«

»Davon nachher. Was weißt du von diesem Isenhoit?«

»Er ist vor Jahren – wie lange es her ist, weiß ich augenblicklich nicht – auf der Rückfahrt nach Europa untergegangen. Seine Witwe ist die teure Freundin meiner Mutter, und sie weint noch heute um den Gemahl und ihr Kind, die beide das Meer verschlang.«

»Sind die Isenhoits reich?«

»Sie waren einst begütert und gehören zu den ältesten Geschlechtern Hamburgs; auch der Konsul, der, wie ich glaube, der Letzte der Familie im Mannesstamm war, dürfte mindestens wohlhabend gewesen sein. Doch ist sein Vermögen mit ihm zugrunde gegangen.«

»Also seine Witwe lebt noch?« fragte Findling gedankenvoll.

»So hoffe ich.«

»Und ist sie arm?«

»Ich fürchte, sehr arm.«

»Hm. Weißt du, wo der Konsul zugrunde ging?«

»Im Atlantischen Ozean mit der Vark ›Elisabeth‹.«

»Das hast du von Frau Isenhoit?«

»Aus ihrem Munde.«

»Wo war denn die Frau, während ihr Mann auf See sich befand? Wenn du des Konsuls Gattin kennst und sie sogar mit deiner Mutter befreundet ist, bist du ja wohl über diese Verhältnisse unterrichtet.«

»Frau Isenhoit war nach Deutschland geeilt, weil ihre Mutter schwer erkrankte, und hatte Mann und Kind, einen Säugling, hier zurückgelassen. Erst nach geraumer Zeit folgte ihr der Konsul, der, nachdem er seine Geschäfte abgewickelt hatte, sich wieder im Vaterland niederlassen wollte. Vater und Kind versanken im Meer und mit ihnen auch das Vermögen, welches der Konsul, der ein Kenner war, vorteilhaft in Edelsteinen angelegt hatte.«

Die Gattin war also, so mußte sich Findling sagen, jedenfalls der Überzeugung, daß Isenhoit auf der »Elisabeth« gesegelt sei. Nach Deutschland war also keine Kunde gelangt, nach welcher der Konsul das Schiff gewechselt habe. Über den Grund, welcher ihn veranlaßte, nach Isenhoit zu fragen, ließ er sich Henrik gegenüber nicht aus, so sehr dieser auch begierig war, zu erfahren, wie Findling dazu gekommen sei, so ganz unerwartet den ihm wohlvertrauten Namen zu erwähnen. Findling ließ überhaupt das Thema fallen.

Die Mannschaft hatte Erlaubnis erhalten, an Land zu gehen, bis auf zwei Matrosen, welche der Wachtdienst auf dem Schiff erforderte. Karl Steffen, dem das rege Getriebe am Hafen wenig angenehm zu sein schien, hatte keine Lust bezeigt, das Schiff zu verlassen, und Martin, der sich aus den Freuden, welche die Wirtshäuser am Strand boten, wenig machte, war bei seinem Freund geblieben. Aufgefallen war allen der starke, mit Zorn gemischte Widerwille, den Steffen äußerte, als die malaiischen Arbeiter an Bord kamen. Es schien, als ob er jeden Augenblick auf sie losstürzen wollte und nur mit Mühe diesen ungestümen Drang bändige. Der »adelige« Schneider mit dem Lombokschen Orden, den Findling nicht mitnehmen wollte, war von einigen der jüngern Matrosen ins Schlepptau genommen und an Land geführt worden.

Findling ging mit Henrik gleichfalls ans Land, um ihm die Stadt und ihre Umgebung, die er selber schon kannte, zu zeigen. Die Vegetation Ceylons ist ebenso großartig wie artenreich und anmutig. Sie übertrifft hierin alles, was die Tropen in dieser Hinsicht aufzuweisen haben. Henrik war erstaunt über die hier zahlreich vorhandenen herrlichen Exemplare von Palmen, Tamarinden, von der überreichen Fülle pflanzlichen Lebens, wie sie die Umgebung der weit ausgedehnten Stadt bot. Bananen, Frucht- und Blütenbäume füllten anmutige Gärten oder überschatteten zierliche, luftige Landhäuser, welche den Europäern als Heim dienten.

Der Spaziergang im Schatten dieser Bäume, in der von köstlichen Düften geschwängerten Luft, war so anregend und unterhaltend gewesen, daß die Nacht hereinbrach, ehe Findling und Henrik an die Heimkehr dachten. Die Nacht kommt plötzlich in jenen Breiten und hüllt alles in tiefen Schatten, wenn der Mond nicht am Himmel steht.

Unbekannt mit den Wegen, welche nach Point de Galle führten, sahen sie sich nach einem Hause um, bei dessen Bewohnern sie sich Auskunft holen konnten. Unfern erblickten sie die bereits erleuchtete Veranda eines Landhauses, gingen darauf zu und traten in den das Haus umgebenden Garten. Näherkommend, gewahrten sie auf den Stufen der Treppe, welche zu der Veranda führte, ein altes Singalesenpaar; Mann und Weib saßen da traulich beieinander. Als der hochgewachsene blonde Findling, dessen stattlicher Gestalt der helle, elegante Sommeranzug etwas Vornehmes verlieh, aus dem Schatten der Büsche in das Lampenlicht trat, starrten ihn die Eingeborenen, augenscheinlich Diener des Hauses, gleich einer Geistererscheinung an.

Es lag ein solcher Ausdruck von Schrecken in den dunkeln Gesichtern, in den weit aufgerissenen Augen, daß Findling stehen blieb, um die Leute nicht etwa zu verscheuchen.

»Der Konsul!« sagte der Mann mit bebenden Lippen in englischer Sprache, und »der Konsul!« wiederholte zitternd die Frau. Deutlich vernahmen es Findling und Henrik. Dann erhoben sich die beiden Alten und liefen wie von Entsetzen geschüttelt in das Haus hinein.

Unsere Seeleute wunderten sich über dieses sonderbare Benehmen der Singalesen, welches sie dem Eindruck zuschrieben, den ihr unerwartetes Erscheinen hervorgerufen hatte; eben wollten sie sich wieder entfernen, als eine junge Dame aus dem Innern des Hauses auf die Veranda trat und forschend in den Garten sah. Findling trat sofort vor, nahm den Hut ab und sagte: »Wir müssen um Entschuldigung bitten, Miß, daß wir hier als Eindringlinge erschienen sind. Wir haben auf einem Spaziergang den Weg verloren und wollten nur bitten, uns die Richtung anzugeben, in welcher wir die Stadt zu suchen haben.«

Auch Henrik war näher zu der Veranda getreten.

Die Dame, welche anfänglich etwas wie Schreck nicht zu verbergen vermochte, war durch die Anrede Findlings, sein männlich schönes Äußere und durch sein offenes, ehrliches Antlitz augenscheinlich beruhigt. »Sie haben unsern alten Sadil und seine Frau nicht wenig in Furcht gesetzt«, entgegnete sie mit einem freundlichen Lächeln, »doch bitte, kommen Sie herauf.«

Findling und Henrik betraten die Veranda, deren offene Tür in elegant eingerichtete und wohlbeleuchtete Gemächer führte. Ersterer stellte sich, seinen Namen nennend, als Kapitän des im Hafen liegenden »Roland« vor und Henrik als seinen Steuermann, zugleich seine Entschuldigung wiederholend und seine Bitte erneuernd.

Höflich entgegnete die junge Dame: »Sie befinden sich in der Behausung Mr. Johnsons, meines Vaters, Sir, und ich will Ihnen gern einen Diener mitgeben, der Sie bis zur großen Straße führt. Sie haben dann die Stadt vor sich. Mein Vater ist leider nicht zu Hause und kann Sie nicht bewillkommnen.«

»Sie sind überaus gütig, Miß, und wir Ihnen sehr verpflichtet.«

»Was mag die beiden Alten nur so sehr erschreckt haben?« fragte Miß Johnson. »Sie waren ganz außer sich und riefen: ›Ein Geist – der Konsul sei ihnen erschienen.‹ Ich kann mir das nicht anders erklären, als daß Ihr Äußeres zufällig eine Erinnerung an vergangene Zeiten bei den alten Leuten hervorruft.«

»Das Benehmen Ihrer Diener war in der Tat höchst merkwürdig, doch so, wie Sie sagen, erklärt es sich vielleicht; freilich fehlt mir jede Ahnung, wem ich das Glück oder Unglück habe, ähnlich zu sehen.«

»Wir«, entgegnete Miß Johnson, »bewohnen dieses Haus erst seit wenigen Jahren, aber Sadil und seine Frau dienen hier seit langen Zeiten seinen wechselnden Besitzern oder Mietern.«

Hinter einer Glastür erschienen die ängstlichen Gesichter des braunen Paares, und die großen Augen hafteten mit schreckenvollem Staunen an Findling.

»Kommt nur heraus, ihr Hasenherzen«, sagte die Dame, »und überzeugt euch, daß kein Grund vorhanden war, davonzulaufen. Diese Herren wollen nur nach dem Weg fragen.«

Zögernd, immer die Blicke auf Findling gerichtet, kamen sie hervor, halb scheu, halb neugierig. Der Mann beugte das mit dem weißen Turban bedeckte Haupt ehrerbietig vor dem Kapitän und sagte in durchaus verständlichem Englisch: »Oh, verzeih Fremder – verzeih, ich und Hami dachten, als wir dich erblickten, der Konsul sei aus seinem Grabe gestiegen und käme zurück zu uns. Oh, wir liebten ihn sehr, er war sehr gut.«

»Von welchem Konsul sprichst du, Sadil?« fragte Miß Johnson.

»Oh, vom Konsul, Herrin, von unserm Konsul. Er war bei uns hier im Hause, als wir jung waren, Hami und ich, und wir waren seine Diener.«

»So hat dieser Herr Ähnlichkeit mit ihm? Wie hieß denn dein Konsul mit Namen?«

»Er hieß nur Konsul, und dieser Herr sah aus wie er – ganz so; darum erschraken wir sehr, Herrin, als er plötzlich aus den Büschen trat. Und die liebe Mistreß und klein Baby, kleine Henry ihn sehr lieb gehabt. Lange her, Hami war ganz jung damals, aber nicht vergessen.«

»Sie sehen, Herr, wie sich Ihr Doppelgänger in die Herzen von Sadil und Hami eingeschrieben hat. Wenn mich Ihre Aussprache nicht täuscht, sind Sie ein Deutscher; haben vielleicht Verwandte von Ihnen hier gewohnt?«

»Nein, Miß«, entgegnete Findling, der auf ihm selbst unerklärliche Weise von dem, was er hier hörte und sah, sehr erregt wurde, »ich habe wohl kaum Verwandte auf dieser Insel gehabt, wenigstens«, setzte er nicht ohne schmerzliche Empfindung hinzu, »weiß ich nichts davon.«

»Sie müssen indessen dem Konsul, von dem diese beiden sprechen, ganz außerordentlich ähnlich sehen. Was ist denn aus deinem Konsul geworden, Sadil?«

»Oh, Miß Mary – er gehen auf See mit kleinem Baby – da ganz ertrunken. Wir sehr geweint, als wir das hörten, Hami und ich – ihn sehr liebgehabt. Anfangs wir denken, der Geist von Konsul kommen uns besuchen, jetzt denken, du Sohn von Konsul, Sir. Du nicht Sohn von Konsul?«

Die Erregung in des Kapitäns Seele steigerte sich. Allmächtiger Gott, dachte er, der auf dem Meer gefundene, elternlose Findling, wenn hier eine Spur entdeckt wäre, die auf meine Abkunft hindeutete?

Auch Henrik, dem der ältere Freund in einer weichen Stimmung mitgeteilt, in wie rauher Weise ihn das Schicksal behandelt hatte, war von dem ganzen Vorgang bewegt und fühlte mit Findling.

Mit unsicherer Stimme sagte dieser dann: »Dies alles ist so außerordentlich, erregt meine Teilnahme in so hohem Grad, daß ich um die Erlaubnis bitte, meinen Besuch wiederholen zu dürfen, um zu erfahren, von wem Ihre Diener sprechen, mit wem ich eine so auffallende Ähnlichkeit habe.«

»Meine Eltern werden sich freuen, Sie hier zu sehen«, erwiderte Miß Johnson mit liebenswürdiger Höflichkeit.

Findling bat um einen Wegweiser, und nachdem er sich die Lage des Hauses hatte bezeichnen lassen, verabschiedete er sich. Er und Henrik wurden von dem alten Singalesen mit einer Laterne zu der beleuchteten großen Straße geführt, auf der sie bald Point de Galle vor sich sahen.

Als Sadil heimkehrte, sagte seine Frau zu ihm: »Ich denke, Sadil, dies Gentleman kleiner Henry, Gott ihn retten aus der See, er ganz wie Konsul.«

»Es ganz gut möglich sein, Gott sehr mächtig und tut viel Wunder.«

Dann schlug er sich vor den Kopf, als ob ihm plötzlich etwas einfiele.

»Der Chinese, weißt du, der Chinese machen kleine Henry blaues Zeichen auf Arm, sagte, wäre Glückszeichen. Konsul noch so sehr böse, weißt du, Chinesen gleich fortjagen. Wenn dieser Mann kleine Henry – er muß haben Zeichen auf Arm – ihm oft gesehn, er ganz blau.«

»Ihn fragen, Sadil, er nicht übelnehmen; kleine Baby doch sehr liebgehabt.«

Findling und Henrik schritten schweigend in tiefen Gedanken die Straße entlang. Dem Kapitän klopfte das Herz heftig. Mit wem hatte er Ähnlichkeit, und eine solche Ähnlichkeit, daß sie noch nach so langen Jahren auf diese beiden Leute wirkte? Welcher Konsul war mit seinem Kinde im Meer ertrunken?

Sein Inneres war in wildem Aufruhr, und so heiß er wünschte, hier Aufklärung über das Geheimnis seines Lebens zu erlangen – er wagte es nicht zu hoffen – zu groß wäre das Glück gewesen. Und doch hatte er in den Wechselfällen des Seelebens früh die Einsicht erlangt, daß das Leben oft viel wunderbarere Erscheinungen bietet, als der phantasiereichste Romanschriftsteller sie erfinden kann. Aber er wagte nicht zu hoffen, um keine Enttäuschung zu erleben.

Henrik, dem der Vorgang im Hause Mr. Johnsons eine jener geheimnisvollen Fügungen deuchte, wie sie oft genug des Menschen Schicksal bestimmen – hatte doch dieselbe unbegreifliche Macht ihn zum Grabe seines Vaters geführt – wälzte allerlei bunte Gedanken und Vermutungen durch das Hirn, doch wollte er ihnen nicht Worte leihen, nicht das Schweigen unterbrechen.

Als sie die erleuchteten Straßen der Stadt betraten und sich dem Hafen zuwandten, sagte der Kapitän: »Laß uns jetzt den Malaien aufsuchen, Henrik, ich möchte ihn doch noch sprechen.«

Von einem Hafenarbeiter ließen sie sich zu dem Wirtshaus Ali Tungas führen.

Ein niedriges Gebäude, von Veranden umgeben und von Palmen überschattet, an welches sich ein mit Papierlaternen erleuchteter Garten anschloß, wurde ihnen als das gesuchte Haus gezeigt.

Die luftigen Vorhallen waren gefüllt mit zechenden Matrosen aller europäischen Nationen, ebenso der Garten. Chinesen und Singalesen liefen aufwartend zwischen den Gruppen umher, und es herrschte ein wüster Lärm.

Da sich Findling nicht zwischen die Matrosen setzen wollte, sah er sich nach einem Diener um, der ihm einen besondern Platz anweisen könne.

Während er so, hell beleuchtet von den Laternen und den in Pfannen brennenden Lichtern, um sich blickte, tauchte plötzlich ein kleiner, breitschulteriger, nach Malaienart gekleideter Bursche vor ihm auf, der ihn aus dunkeln Augen mit tigerhafter Wut anblickte.

Gleichzeitig sah ihn aber auch Findling. Die Brauen finster zusammenziehend und die Faust ballend, rief er: »So lewst du ook noch, min Jong?«

»Oh, Steuermann«, sagte der Malaie englisch in heiserm Ton, »bist du da – nun, hier wirst du Amea nicht schlagen.«

Er schien im Gürtel mit der Hand nach dem Messer zu suchen, und es lag etwas in der Haltung des Menschen, das an eine sich zum Sprung bereitende Katze erinnerte.

Mit kühler Ruhe, aber den Malaien und jede seiner Bewegungen fest im Aug behaltend, hatte Findling den mitgeführten Revolver schußfertig gemacht: »Wenn du nicht eine Kugel vor den Kopf haben willst, meuterischer Schuft, dann bleibe mir aus dem Weg.«

Henrik trat an Findlings Seite, und einige nicht weit sitzende Matrosen erhoben neugierig die Köpfe, um nach den Männern hinzusehen. Dies mochte den häßlichen braunen Burschen veranlassen, den Rückzug anzutreten. Mit einem Blick von unvergleichlicher Tücke zischte er: »Hüte dich!« und verschwand gleich darauf im Dunkel. Ruhig rief Findling, ohne des Burschen weiter zu achten, einen der bediensteten Singalesen an und fragte ihn, ob er für ihn und seinen Begleiter einen Platz habe, an dem sie ungestört weilen könnten.

Der Singalese führte sie in das Haus hinein zu einer kleinen hochgelegenen Veranda, welche nach dem Garten hinaus lag, auf der sie sich allein befanden.

Während der braune Bursche die bestellte Limonade holte, machten sie sich's bequem. »Dieser Malaie«, begann Findling, »einer der verruchtesten Burschen, welche je auf See gefahren sind, hat die Lektion, welche ich ihm erteilte, in gutem Gedächtnis bewahrt. Auf unsern und den holländischen Indienfahrern lassen sich oft genug, wenn es den Kapitänen an Leuten fehlt, Malaien anwerben, die ganz gute Seeleute sind. Dieser Kerl, der sich eben Amea nannte, sonst aber verschiedene Namen führt, ich kenne ihn nur als John Devil, ist seit Jahren zwischen Hamburg und Indien gefahren, trotz der Konflikte, die er mit Kapitänen und Behörden gehabt hat. Doch sind diese braunen Gesellen für unser Auge schwer wieder zu erkennen. Der Schurke ist, wie ich jetzt weiß, zu jedem Verbrechen fähig, und vielleicht auch bereits eines jeden schuldig. In Hamburg sucht man diesen John Devil, alias Asang Tha, alias Henry William, alias Amea wegen Mordes. Ich hatte den Mann an Bord, als ich auf dem ›Blücher‹ nach Singapore segelte. Außer ihm waren noch zwei seiner Farbe vor dem Mast. Diese waren willig, aber der Schurke machte sie meuterisch, nebenbei stahl er auch wie ein Rabe. Dafür ließ ich ihn züchtigen und war von dem Augenblick an meines Lebens nicht mehr sicher. Eines Tages stürzte er in der ganzen tigerhaften Wut dieser Leute mit seinem Kris auf mich ein, ein Faustschlag streckte ihn nieder und belehrte ihn, wie gefährlich es sei, mit einem deutschen Seemann anzubinden. Der Kapitän ließ ihn nicht, wie ich beantragte, fesseln und einsperren, sondern er tat weiter Dienst, ging sogar ans Steuer. Und wäre ich nicht rechtzeitig in einer verhängnisvollen Minute an Deck, so hätte uns die rachsüchtige, tückische Bestie in der Malakkastraße auf ein Riff laufen lassen, an dem wir wie Glas zersplittert wären. Als ich ihm da zu Leibe wollte – ganz heil wäre er meinen Fäusten nicht entronnen – sprang er über Bord. Ich glaubte, er sei längst eine Beute der Haifische geworden. Nun«, setzte er gleichmütig hinzu, »kommt er mir wieder gefahrdrohend in den Weg, werde ich wohl dafür sorgen müssen, daß er unschädlich wird.«

»Aber sollte man nicht die Behörde benachrichtigen?« meinte besorgt Henrik.

»Pah«, entgegnete Findling, »Behörde – solchem Subjekt gegenüber ist sie machtlos, wenn es nicht auf frischer Tat gefaßt wird. Unter diesen Inselmalaien, die sich in den Hafenstädten und auf den europäischen Schiffen herumtreiben, ist viel Mordgesindel, aber sie sind bald hier, bald da, haben ihre Schlupfwinkel, verschwinden spurlos unter ihren Stammesangehörigen und sind daher nur selten zu fassen.«

Der Singalese kam zurück und brachte die Limonade.

»Sage deinem Herrn, Ali Tunga, daß ihn hier ein deutscher Schiffskapitän zu sprechen wünscht. Ich lasse ihn bitten, sich herzubemühen.«

Der Diener verneigte sich und ging.

Gleich darauf erschien ein grauhaariger brauner Herr, halb indisch, halb europäisch gekleidet, und verneigte sich mit orientalischer Höflichkeit. Sein feistes Gesicht trug den Ausdruck von Klugheit, ja Verschlagenheit.

»Du hast befohlen, Herr?« fragte er, während seine Augen forschend auf seinen Gästen ruhten.

»Ich wünschte einige Fragen an dich zu richten, Ali Tunga, und ließ dich deshalb durch einen deiner Diener herbitten.«

»Der Herr frage«, entgegnete Ali; er sprach, wie Findling, englisch, und seine listigen Augen drückten Mißtrauen aus. Das kam vielleicht daher, daß er oftmals mit Schiffskapitänen ihrer Leute wegen in Berührung kam, was nicht selten für ihn von recht unangenehmen Folgen war.

»Du bist vor Jahren mit dem Konsul Isenhoit bekannt gewesen, nicht wahr?«

Das Mißtrauen verschwand bei dieser Frage aus den Zügen des Malaien. »So ist es, Herr«, antwortete er, und seine Augen ruhten auf Findlings Zügen, als suche er dort Aufklärung über die unerwartete Frage, oder als mute ihn im Wesen Findlings etwas Bekanntes an. »Bist du sein Verwandter?« frug er erstaunt.

Dem Kapitän drang das Blut zum Herzen bei dieser Frage, aber er bezwang seine Erregung und entgegnete: »Wie kommst du zu dieser Frage?«

»Weil du sagen ließest, du seiest ein Deutscher.« Immer noch ruhten seine Blicke forschend auf Findlings Gesicht. »Auch siehst du dem Konsul Isenhoit ähnlich.«

Findling trank hastig ein Glas Limonade und fuhr dann in einem Ton, der seine innere Bewegung verriet, fort: »Unser jetziger Konsul hat schon einige Fragen wegen Isenhoits an dich gerichtet, und ich habe ein besonderes Interesse daran, von dir genaue Kunde über einige Umstände zu erhalten, die für uns sehr wichtig sind. Tu weißt, Konsul Isenhoit ist im Meer ertrunken, als er nach Deutschland reisen wollte.«

»So hat Gott es gewollt.«

»Entsinnst du dich nun, Ali Tunga, mit welchem Schiff er abgereist ist?«

Der Malaie kratzte sich den grauen Kopf. »Ja, Kapitän, siehst du, früher wußte ich es ganz genau, aber es ist lange her, viele Jahre, und seitdem mich der Konsul gefragt hat und immer wieder gefragt hat, schiebt es sich mir ganz wirr im Kopf hin und her.«

»Aber du weißt doch, daß er mit einem andern Schiff abgereist ist, als mit dem er anfänglich reisen wollte?«

»Ja, Herr – es ist sicher – ein Schiff trug sein Gepäck – ja, das ist gewiß, das ließ ich selbst an Bord bringen, und mit dem andern Schiff reisten er und das Kind.«

»Und er segelte früher ab, als das Schiff mit dem Gepäck?«

»Ja, Sir, das kann wohl sein – er war in großer Eile – dessen entsinne ich mich noch. Er war ein sehr guter Mann und bezahlte mich immer reichlich; es tat mir leid, daß er fort ging.«

»Die Sache ist die, aufzuklären, ob er mit der deutschen Bark ›Elisabeth‹ in See ging oder schon vorher mit einem spanischen Schiff?«

»Wer kann das wissen? Ich verstehe eure fremden Namen nicht, auch ist alles so lange her; nur seiner Person entsinne ich mich noch, weil Haar und Bart golden waren. Als der Konsul mich nach ihm fragte, fiel es mir wieder ein; er war sehr gut gegen Ali Tunga. Ein Schiff trug sein Gepäck, ein anderes ihn selbst, aber ob das Gepäck vorher abging oder folgte, das, Herr, kann ich nicht sagen.«

Der Mann wußte entschieden nicht mehr, als er berichtete, auch war es zu erklärlich, daß er nach fünfundzwanzig Jahren sich nicht auf Einzelheiten entsann, die ihn gar nicht interessiert hatten. Findling gab es auf, weiter zu forschen und richtete nur noch die Frage an ihn: »Weißt du, wo der Konsul Isenhoit damals gewohnt hat?«

Der Alte sann nach und sagte dann: »Er hatte sein Office hier am Hafen, wo, weiß ich nicht mehr.«

»Aber der Garten, in welchem er wohnte?«

»Das weiß ich nicht; alle Konsuln wohnen vor der Stadt, wo, weiß ich nicht.«

Findling entließ ihn mit einigen dankenden Worten. Er äußerte Henrik gegenüber nichts, was auf die eben geführte Unterredung Bezug hatte, und schien sehr nachdenklich zu werden. Endlich sagte er: »Die Wolke will sich nicht zerstreuen.« Er bezahlte darauf und schickte sich an, das Haus zu verlassen. Henrik erinnerte ihn an die Begegnung mit Amea.

»Ja«, sagte Findling, »dieses Raubtier könnte mir auflauern, und ein Messerstoß ist hier leicht beigebracht. Wir wollen uns schützen, so gut es geht.«

Er nahm seinen Revolver hervor und entfernte die Sicherung. Glücklicherweise trafen sie draußen einige Matrosen, welche an Bord zurückkehrten, und erreichten in deren Gesellschaft den Hafen, ohne von irgend jemand belästigt zu werden. Gleich darauf betraten sie das Deck des »Roland«.

Findling sagte Henrik kurz gute Nacht und suchte seine Kajüte auf. In bewegter, freudiger Stimmung ging auch Henrik zur Koje.

Im Laufe des Nachmittags des gleichen Tages ereignete sich eine besondere Szene im Kontor des Agenten der Firma Oswald. Herr Spieß lag bequem im Schaukelstuhl und rauchte behaglich seine Manila, als es anklopfte und auf seinen Hereinruf Onno Steenberg in tadelloser, sommerlicher Toilette eintrat.

»Ich sehe Herrn Wilhelm Spieß vor mir?« fragte er verbindlich.

»Allerdings«, entgegnete jener nachlässig, »wer erweist mir die Ehre?«

»Ich bin der Bevollmächtigte des Hauses Oswald & Cie., mein Name ist Steenberg.«

Mit einem unverkennbaren Ausdruck des Schreckens sprang Spieß empor. »Oh – sehr angenehm – ja, sehr angenehm«, sagte er. »Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen; Zigarre, ein Glas Limonade oder Tee gefällig? Oh, sehr angenehm.«

Onno hielt die dunkeln, stechenden Augen fest auf den kleinen, sehr erregten Herrn gerichtet und antwortete nicht, was diesen noch mehr in Verwirrung brachte.

»Wirklich sehr angenehm«, wiederholte Spieß mechanisch, »bitte, Platz zu nehmen.«

Onno setzte sich mit einem fatalen Lächeln um seine Lippen.

»Vielleicht Tee?«

Er lehnte ab.

»Sind in letzter Zeit Schiffe des Hauses hier gewesen?«

»Gestern ist der ›Roland‹ eingelaufen.«

»Oh, schon?« Die Augenbrauen Steenbergs zogen sich zusammen. »Der muß gute Fahrt gehabt haben.«

»Wie man's nimmt«, und Spieß berichtete eilfertig, was er von Findling über die Vorgänge in der Südsee vernommen hatte.

»So? Findling führt das Schiff? Hm! Ein blonder Hüne, nicht? Oh, das ändert vieles. Sie kennen seine Instruktionen?«

»Soweit mir bekannt, nimmt der ›Roland‹ hier Kaffee und Zimt ein, läuft auf der Rückfahrt Massaua an und kehrt über Suez nach Hause zurück.«

»So?« Onno erhob sich und ging einigemal im Zimmer auf und ab, während ihn Spieß angstvoll betrachtete. Der junge Mann richtete dann den Blick wieder auf das kleine Männchen vor ihm und sagte: »Ich komme von Hongkong und Singapore, wo ich unsere Agenturen inspizierte und allerlei merkwürdige Erfahrungen machte. Ich habe triftige Gründe, zu wünschen, daß meine Anwesenheit hier zunächst nicht bekannt werde – Sie werden später erfahren warum – nicht dem Konsul, nicht dem derzeitigen Führer des ›Roland‹, überhaupt niemandem. Verstanden?«

»Wie Sie befehlen, Herr Steenberg.«

»Es ist dies für das Gelingen eines besondern Geschäftes, mit welchem ich von der Firma beauftragt worden bin, dringend notwendig«, sagte er nachdrucksvoll.

»Sie dürfen sich auf mein Schweigen verlassen.«

»Ich hoffe das; es würde für Ihre Stellung nicht vorteilhaft sein, wenn meine Anwesenheit vor Abwicklung des Geschäftes bekannt werden sollte.« Er hielt inne und fuhr dann, Spieß scharf anblickend, fort: »Sie haben in der letzten Zeit starke Beträge auf das Haus gezogen?«

»Ich kann von den Pflanzern nur gegen bar kaufen, und muß ihnen große Vorschüsse zahlen; dabei liefern diese gewissenlosen Leute sehr schlecht!«

»Sie haben jedenfalls übervolle Lager?«

»Das ist es eben«, entgegnete Spieß merklich zitternd, »die Fristen sind nicht eingehalten – ich erwarte täglich – die Lagerräume sind augenblicklich –«

»So?« entgegnete Onno lakonisch und der fatale Zug erschien wieder um seinen Mund. »Nun, wir werden ja sehen.«

Dann fuhr er in wesentlich anderm Ton fort: »Ich bedarf zur Ausführung des mir erteilten Auftrags eines kleinen schnellsegelnden Schiffes, welches See halten kann. Können Sie mir das mit der nötigen Mannschaft, natürlich immer, ohne daß mein Name dabei genannt wird, auf kurze Zeit mieten?«

»Wenn Ihnen eine malaiische Prau und Malaien als Matrosen genügen, dürfte das nicht schwer sein. Vielleicht findet sich auch ein geschulter Führer unter den unbeschäftigten Seeleuten.«

»Über den verfüge ich, und eine Prau mit malaiischen Matrosen ist mir recht. Wollen Sie mir jetzt das Hauptbuch und das Kassabuch vorlegen, dann können wir gleich die Kaffenbestände revidieren.«

Herr Spieß wurde totenbleich.

»Hat das nicht Zeit bis morgen?« stammelte er.

»Doch nicht, Herr Spieß, lassen Sie uns sofort an die Arbeit gehen.«

»Da müßte ich wohl erst Ihre Vollmacht sehen«, brachte der Agent mit Mühe hervor.

»Gewiß, mein Herr«, entgegnete Onno, »hier ist sie«, und er entnahm seiner Brieftasche ein zusammengefaltetes Papier, das er Spieß überreichte.

Der warf nur einen flüchtigen Blick darauf und sagte dann zitternd: »Am Gottes Barmherzigkeit willen, lassen Sie mir Zeit bis morgen und Sie werden alles in Ordnung finden.«

Mit einem wahrhaft satanischen Blick maß ihn Onno von oben bis unten. Dieser Blick, den der Agent wohl verstand, sagte: Dich habe ich in den Klauen; daß Onno in Gedanken hinzusetzte: Du sollst mir als willenloses Werkzeug zur Erreichung meines Zieles helfen, wußte er nicht.

Spieß sank matt in seinen Stuhl, vollständig niedergedrückt von Schuldbewußtsein. Onno ging, ohne des andern zu achten, hin und her: Also der ›Roland‹ ist schon da? sagte er sich in Gedanken. Das ist ein Strich durch die Rechnung. Dieser Findling ist ein verwegener Bursche und kennt jetzt natürlich die dem Kapitän mitgegebenen Instruktionen. Es käme also darauf an, zuerst hinzugelangen, und dazu muß dieser spitzbübische Dummkopf helfen. Den ›Roland‹ hier aufzuhalten wird um so leichter sein, als Freund Spieß kaum etwas auf Lager hat. Nun, wir werden sehen – ich will zuerst dort sein – und dann bin ich nicht mehr Sklave – dann bin ich Herr. Dann lache ich dich aus, glorreicher Onkel. Es ist doch gut, wenn man ein seines Ohr auf dem Kontor von Oswald & Cie. hat. Man erfährt interessante Sachen.

Nach einer längern erregten Unterredung mit dem Agenten verließ Onno das Kontor mit triumphierendem Lächeln.


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