Ludwig Tieck
Die verkehrte Welt
Ludwig Tieck

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Zweite Szene

Zimmer.

Rabe. Seine Gattin. Wilhelm, ein Knabe.

Gattin, die mit einem kleinen Mädchen spielt: Sieh, mein trauter Mann, Adelaide lernt schon spielen.

Rabe: O welche väterliche Gesinnungen, welche liebevolle Empfindungen bei mir erregt werden, wenn ich so die Fortschritte meiner verehrungswürdigen Kinder gewahr werde.

Gattin: Mit Recht nennst du sie verehrungswürdig, denn ich verehre sie auch, ja ich bete sie an.

Wilhelm: Lieber Vater, wozu ist aber das Buchstabieren nütze?

Rabe: Höre doch, liebe Gattin, die philosophische Frage des allerliebsten Kindes! – Komm her, Junge, dafür muß ich dich tüchtig küssen. – O Kind, du wirst gewiß ein großes Genie werden. Zweifelst du schon jetzt an dem Nutzen des Buchstabierens, was wirst du erst in deinem dreißigsten Jahre tun?

Gattin: Er ist gar zu klug für sein Alter. Wenn es ihn nur nicht angreift.

Rabe: Geh, mein Kind, mach dir jetzt ein Spiel zurecht, du hast nun heut schon zu viel gearbeitet. Hörst du? Du mußt dich nicht zu sehr anstrengen, sonst wirst du krank.

Gattin: Du bleibst dann auch nicht so hübsch, wie du bist, du wirst dann ganz häßlich.

Rabe: Ich muß den Jungen doch wohl in die neumodische Schule schicken, so hart es mir auch ankommen wird, ihn nur einen Augenblick von mir zu lassen. Ich war neulich bei der Prüfung der Kinder zugegen, o teuerste Elisa, als sie so wunderbar mauzten und prauzten (denn sie buchstabieren dort nicht) halb niesend, halb hustend und gurgelnd, ich war in Entzücken verloren. Wie bedauerte ich, daß ich nicht von neuem auf diesem edleren Wege konnte lesen lernen!

Wilhelm: Spiele mit mir, Vater! da sind die Karten, nun baue mir ein Haus.

Rabe: Ich habe zu tun, mein Sohn.

Wilhelm: Du sollst aber.

Rabe: Nimm vernünftige Gründe an, mein Kind, ich habe wirklich keine Zeit. Das Geschäft ist dringend.

Wilhelm: Ich will es aber.

Rabe: Mein Sohn, wenn ich nicht beschäftigt wäre und ich wollte dann nicht mit dir spielen, so könntest du mir gegründete Vorwürfe machen, aber so –

Gattin: So spiele doch nur mit ihm, du siehst ja, daß er weint.

Rabe: Nun so komm, Wilhelm, weine nicht. Die Arbeit hat im Grunde auch noch Zeit und kann warten. Aber sei auch hübsch artig nun, du siehst ja, daß ich dir deinen Willen tue.

Gattin: Ich lasse ja auch die Wirtschaft liegen, um meine Adelaide auszubilden.

Rabe: Hast du schon die neuste Schrift für Mütter gelesen, Elisa?

Gattin: Nein, mein Kind.

Rabe: Das mußt du ja nicht versäumen; das Buch enthält ganz unvergleichliche Beobachtungen; zum Beispiel, daß eine Magd die Kinder nie nehmen dürfe, oder nur mit ihnen sprechen.

Gattin: Ich dulde es niemals; immer hab ich geschaudert, wenn unsre Katharine, sonst eine gute Person, das himmlische Kind nur anblickte. Ja, schon die Blicke können meinen Engel entweihen.

Wilhelm: Wenn du was bauen willst, Vater, so mußt du auch die Gedanken dabei haben und nicht andre Sachen reden.

Gattin: Ein allerliebster Junge. – Sieh, Adelaide, so wirft man in die Höhe. Das heißt werfen, mein Kind.

Rabe: Wie sich doch seit der Regierung des jetzigen Apollo die Sitten verfeinert haben! Wie schlecht wurden wir erzogen, Elisa!

Gattin: Ja wohl, so rauh und barbarisch; wir mußten vor unsern Eltern Respekt haben! – Aber sage, was war es doch für ein schrecklicher Mensch, der unserm zarten Wilhelm gestern einen Hanswurst zum Spielen brachte?

Rabe: Fürchterlich! Was sollte das idealisch gestimmte Wesen doch mit dieser gotischen Fratze? Aber ich habe es dem Gevatter Brusebart eingetränkt, und er wird mit dergleichen nicht wieder kommen. Ich bestellte ihm gleich darauf beim Drechsler einen kleinen belvederischen Apoll, damit der Liebliche hohe Gestalten, Götterphysiognomien zu seinen Gespielen habe, und sich so der Sinn für die hohe Kunst in ihm so leichter erschließe.

Gattin: Der Eindruck, den die barbarische Figur auf mich gemacht hat, war so stark, daß ich die ganze Nacht von diesem fürchterlichen Hanswurst geträumt habe. Am Ende warst du selbst der Gräßliche, mein Selmar, und ich erwachte mit Entsetzen.

Rabe: Könnte man die guten Kinder nur ganz vom übrigen Menschengeschlecht absondern, so würde ihre Heiligkeit um so weniger gestört. Denk – am vorigen Sonntag hör ich unsern Wilhelm in der Rosenlaube, indem er für sich: "Ach du mein lieber Augustin!" singt.

Gattin: Schaudervoll, o schaudervoll, höchst schaudervoll!

Rabe: Da er Trieb zur Kunst hat, so habe ich den herrlichen Chorgesang aus dem Sophokles über das Schicksal zu der Melodie: "Blühe liebes Veilchen", bearbeitet, und das soll er einstudieren; kann er den lieben Augustin aber gar nicht vergessen, so akkommodiere ich ein Matthisonsches Mondscheingedicht zu dieser Weise, damit ihm die Gemeinheit des Liedes nur verschwinde.

Gattin: Die Kinderschriften haben doch eine vorteilhafte Revolution zuwege gebracht.

Rabe: O was werden unsre Kinder auch für göttliche Menschen werden!

Gattin: Man wird sie ohne Zweifel in Kupfer stechen.

Rabe: Wir werden uns vor Freude, die wir an ihnen erleben, gar nicht zu lassen wissen. – Lange regiere unser Apoll!

Gattin: Komm mit ihnen in den Garten, daß sie die Natur empfinden, und sich von der Holdseligkeit der Rosen anlachen lassen.

Sie gehn ab.


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