Ludwig Tieck
Die verkehrte Welt
Ludwig Tieck

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Dritte Szene

Feld, in der Ferne ein Palast.

Admet. Alceste.

Admet:
So sind wir denn gezwungen fortzuwandern,
Die süße Heimat zu verlassen, alles
Was mein war, ist mir grausam nun entrissen;
Durch fremdes Elend zieht sich unsre Bahn,
Und daß du, teure Gattin, mit mir leidest
Ist meiner schweren Leiden größte Hälfte.

Alceste:
Dem Manne muß die treue Gattin folgen,
Nicht bloß zur Lust ward ich dir zugesellt,
Denn mir gehört wie dir dein Leid und Glück.

Admet:
Wie hold das Abendrot den Turm beglänzt,
Daß alle Zinnen purpurrot erfunkeln,
Und sieh, ein prächtger Regenbogen kränzt
Den Palast, und er leuchtet hell im Dunkeln.
Die Bienen sumsen nun der Heimat zu,
Die Nachtigall läßt ihre Lieder klingen,
Nur wir, wir Armen, finden keine Ruh;
Das Glück entfloh auf blitzesschnellen Schwingen,
Das falsche, tückische, erboste Glück,
Und ließ als Beute uns dem Feind zurück.

Apollo kömmt.

Apoll: Gehst du noch so spät spazieren, mein König?

Admet: Hat sich was spazierenzugehn. Du verstehst dich sehr schlecht auf die Menschenkenntnis, mein Freund. Sieht man wohl so aus, wenn man spazierengeht?

Apoll: Was beginnt ihr also?

Admet: Vertrieben sind wir, arme Flüchtlinge sind wir, unser Hab und Gut hat man uns genommen, nichts als diesen Wanderstab hat man uns gelassen, elende Emigranten sind wir.

Apoll: Aber wie ist denn das so schnell gekommen?

Admet: Du fragst noch? Seit ich dich ruchlosen Schäfer aufgenommen habe, ist mir nichts als Unglück begegnet. Wer weiß, was für Bosheiten hinter dir stecken. Der mächtige Apollo hat mich vertrieben, er will der einzige König sein, und ich habe nachgeben müssen.

Alceste: Du Schändlicher, kamst als ein Landstreicher zu uns, und wir vertrauten dir unsre Herden an, ist das nun dein Dank?

Apoll: Aber welche Schuld kann man mir denn geben?

Alceste: Einer muß doch schuld sein, und da dünkt es mir am wahrscheinlichsten, daß alles an dir liegt, denn sonst wüßt ich mich auf gar niemand zu besinnen.

Apoll: Ich schwöre euch –

Admet: Schwöre nur nicht, du Meineidiger! Falscher, Undankbarer! Heimtückischer, Boshafter, Ungeheurer! Du, für den alle schändlichen Namen erfunden sind! Du, den man gar nicht nennen könnte, wenn man ihn nicht mit einem Schimpfnamen nennen wollte!

Apoll: Wie könnt ihr aber so sehr auf mich schmähen?

Admet: Können? – Du siehst ja doch, daß wir es können. Du Hochmütiger! hat sich das Glück nicht vorher von mir müssen ausschelten lassen, ohne nur mit einer einzigen Silbe zu antworten, und du willst es nicht leiden? Bist du denn mehr als das Glück? O mein Freund, dergleichen hoffärtige Gedanken laß dir ja vergehen, denn ich muß dir sagen: das Glück ist etwas erstaunlich Hohes, es beherrscht die ganze Welt, es ist eine Art von Gottheit, die sogar die Götter regiert. Und blind ist das gute Ding noch obenein. Mit einem Worte, es ist gewissermaßen ein abstrakter Begriff, der im Grunde gar nichts in sich führt; ein Wesen, das an das Schicksal hinan will, beide sind wenigstens Grenznachbarn: und, wenn das Schicksal manchmal das gute Glück hat, sich vernünftig zu betragen, oder wenn das Glück manchmal das Schicksal trifft, die Guten zu belohnen, wie man sich auszudrücken pflegt, seht Ihr, so gehn sie in solchen Fällen Hand in Hand. Ihr müßt sie aber beileibe nicht mit dem Zufall verwechseln, denn der ist vollends gar nichts, ja man ist selbst uneinig darüber, ob er nur existiert. – Seht, das sind meine religiösen Grundsätze, und ich denke, sie halten Stich.

Apoll: Eure Leidenschaft spricht noch aus Euch, und deshalb seid Ihr unbillig gegen mich.

Admet: Nein, mein Freund, die Philosophie spricht aus mir, und das müßt Ihr Euch nur gar nicht einfallen lassen, mich tadeln zu wollen, denn das kann ich nicht gut vertragen.

Apoll: Lebt wohl; wir sprechen uns wohl ein andermal wieder, denn jetzt seid Ihr nicht aufgelegt. Geht ab.

Admet: Nicht aufgelegt? Was kann er damit meinen? Ich fürchte, das da ist ein böser Bube, ein Satiriker, der immer Personalitäten mit einmengt. – Nicht aufgelegt? Ei, ich bin noch in meinem Leben nicht aufgelegt gewesen. – Sage mir, teuerste Gattin, warum habe ich ihm nicht gleich den Kopf entzweigeschlagen?

Alceste:
Er war so klug, sehr eilig zu entweichen,
Drum konnte deine Hand ihn nicht erreichen,
Doch tröste dich, mein Gatte, nimm die Schmerzen
Nicht ohne Not zu heftig dir zu Herzen,
Nach Winter kömmt der Lenz, und glücklich wenden
Die Mächte, was sie jetzt als Jammer senden.

Admet:
Ja, beste Gattin, ich will mich bequemen,
Und, was ich sonst nicht tu, Vernunft annehmen.
Wir wollen unser Elend standhaft dulden,
Es sei uns Trost, daß wir es nicht verschulden.
Du bist jetzt, Teure, Hoffnung mir und Labe,
Drum ließ mir ja das Glück die schönste Gabe;
Wir steigen willig von des Thrones Stufen,
Zur Bürgertugend werden wir gerufen,
Und schmerzlos seh ich auf den Glanz zurück,
Er wandelt sich in ein Familienstück;
Wir dürfen auf den Beifall sichrer zählen,
Als wenn wir uns mit Kron und Szepter quälen.

Sie gehn ab.

Scävola: O große Menschheit!

Pierrot: Ich bitt euch, Leute – es sind da Sachen in dem Stück – ich sage euch nur so viel – sie sind ganz ungemein.

Der Andre: Was man doch jetzt immer zur großen Denkungsart angeführt wird! – Ja, das klingt anders, als ehemals.

Wachtel, ein Zuschauer: Es muß morgen wieder sein, und dann bringe ich alle meine Kinder her.

Scävola: Wenn nur die Fürsten solche Stücke mit Bürgertugend beherzigen wollten!

Pierrot: Sie wären kapabel und dankten alle ab.

Wachtel: Warum sollten sie abdanken? Sie brauchen ja bloß zum Staat zu sagen: Nun geh hin und sei eine Republik! und damit wär's ja fertig.

Scävola: Hexerei ist es nicht, das ist wahr.

Der Andre: Solche Republik kann im Grunde noch jeder stiften.


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