Ludwig Tieck
Die verkehrte Welt
Ludwig Tieck

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Fünfte Szene

Saal mit einem Theater.

Grünhelm. Der Fremde.

Der Fremde: Aber glaubst du, daß es gelingen wird?

Grünhelm: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Machen Sie sich nur keine unnötige Bedenklichkeiten.

Fremder: Wird er dadurch gerührt werden?

Grünhelm: Er muß.

Fremder: Meine Hoffnung beruht immer noch auf einem sehr unsichern Grunde.

Grünhelm: Der Grund ist sicher genug, wenn Sie nur sichrer wären.

Fremder: Ich verlasse mich ganz auf dich.

Thalia kömmt.

Thalia: Nun, meine Freunde, seid ihr zur Komödie ganz eingerichtet?

Grünhelm: Ich bin immer dazu fertig; aber der erste Liebhaber da hat noch Zweifel.

Thalia: Das ist unrecht, Sie werden sehn, daß alles sehr schön ablaufen wird.

Fremder: Ich zittre.

Thalia: Das macht die Entwickelung um so interessanter.

Grünhelm: Die Zuschauer kommen schon. Sie gehen.

Trompeten. Skaramuz von seinem Hofe begleitet.

Skaramuz: Wir wollen uns setzen, jeder nach seinem Stande. Ich werde wohl auf diese Art der Vornehmste hier sein.

Sie setzen sich, der Vorhang des Theaters wird aufgezogen, welches einen Garten vorstellt.

Grünhelm als Prologus.

Prologus:
Woher soll Poesie die kühnsten Bilder greifen,
Durch welches ferne Land der dunkeln Träume streifen,
Um allenthalben Blum' und Weihrauch abzupflücken,
Und deinen Namen so nach Würden auszuschmücken?
Die Wahrheit selbst wird stumm, Erfindung zittert blaß,
Der Danaiden Chor füllt eher noch ihr Faß,
Ja Tantalus wird wohl den Apfel noch erschnappen,
Und Sisyphus den Stein in seinem Fall ertappen,
Eh es dem Menschengeist nach seinem Wunsch gelingt,
Daß er dein ganzes Lob aus voller Kehle singt.
Wohl mag sich Pegasus im höchsten Äther baden,
Doch wenn er will dein Lob auf seinen Rücken laden,
Ja Herkules dazu, das glaubt mir auf mein Wort,
Sie werden beide lahm, sie bringen es nicht fort:
Und doch ist dieser Mann der Stärkst im Land gewesen,
Und hatte Kraft genug den Atlas abzulösen;
Auch wenn die Musen neun sich alle fügen sollten,
Daß sie dein Lob im Chor poetisch singen wollten:
So bist du Musengott, die Musen dienen dir,
Und Dichtkunst hat durch dich erst ihre wahre Zier.
Darum versuchen wir, im stummberedten Schweigen,
Wie wir dir huldigen, am besten noch zu zeigen.
Drum, wer nur schweigen kann, erhebe heut dich laut,
Bis nach Monduntergang die Morgendämmrung graut.
Sieh denn auf unser Herz und nicht auf unser Maul,
So mehr jens tätig ist, so mehr erscheint dies faul.

Verbeugung, geht ab.

Skaramuz: Das war gut. Man hat mich lange nicht so zweckmäßig gelobt. – Wer hat das gemacht?

Der Hofpoet kömmt.

Hofpoet: Ihro Majestät, ich habe nur im Namen aller Ihrer getreuen Untertanen gesprochen.

Skaramuz: Denken so alle meine Untertanen von mir?

Hofpoet: Wer es anders meint, ist ein Hochverräter.

Skaramuz: Das ist recht. Da habt Ihr Geld, fahrt so fort. Gebt acht auf alles Große, was ich tue, besonders wenn ich mit jedem Tage immer vortrefflicher werde. Ich sage Euch, laßt mich nicht aus den Augen, denn es ist sehr viel an mir zu beobachten.

Hofpoet: Wenn es Ihro Majestät erlauben, so werde ich es nicht unterlassen. Geht ab.

Ein Vater tritt auf mit einem jungen Menschen.
(Der junge Mensch ist der Fremde.)

Vater: Mein lieber junger Mensch, ich habe dich, wie du weißt, an Kindes Statt angenommen, da deine armen Eltern schon in deiner Jugend starben; ich habe dich erzogen, ich habe dich in allen Künsten und Wissenschaften unterrichten lassen, dafür mußt du hübsch dankbar sein: nun sage mir also, warum bist du seit einiger Zeit immer so traurig.

Junger Mensch: Man hat sich nicht immer in seiner Gewalt, Verehrungswürdiger.

Skaramuz: Wer ist der junge Mensch? Er kommt mir so bekannt vor.

Schatzmeister: Er ist der fremde Doktor, der kürzlich nur angekommen ist.

Skaramuz: Und der spielt nun schon in der Stadt Komödie? – Das geht geschwinde, ihm wird es an einer guten Praxis niemals fehlen.

Vater: Sei heute wenigstens fröhlich; sieh, meine Tochter und meine übrigen Verwandten sind es so sehr. Heute ist mein Geburtstag, da möcht ich gern lauter fröhliche Gesichter sehn.

Skaramuz: Des Menschen Geburtstag ist heute auch? Das trifft sich wunderbar.

Schatzmeister: Vermutlich nur eine rührende und witzige Anspielung, mein König, denn was da vorgestellt wird, ist nichts Wirkliches, es ist nur ein Schauspiel.

Skaramuz: Es ist wahr, das hatt ich ganz vergessen.

Scävola: Leute, bedenkt einmal, wie wunderbar! Wir sind hier die Zuschauer, und dorten sitzen die Leute nun auch als Zuschauer.

Pierrot: Es steckt immer so ein Stück im andern.

Junger Mensch: Ja, ich will an diesem schönen Tage fröhlich sein; Sie sollen kein trauriges Gesicht zu sehn bekommen.

Vater: Meine Tochter hat mir gesagt, daß ihr mir ein kleines Stück aufführen wollt; hast du denn auch eine Rolle darin?

Junger Mensch seufzend: O ja.

Vater: Worüber seufzest du wieder? Du hast mir soeben angelobt, daß du fröhlich sein wolltest. Was fehlt dir? Entdecke dich mir, ich will dir helfen, wenn ich kann.

Junger Mensch: Ach, mein Vater!

Vater: Sprich.

Junger Mensch: Ich kann nicht.

Vater: Du solltest Vertrauen zu mir haben. Jetzt muß ich dich verlassen, meine Gäste werden gleich kommen. Geht ab.

Pierrot: Für welches Schauspiel soll man sich nun interessieren? Für das vorige, oder für das, das jetzt aufgeführt wird?

Scävola: Eine verflucht spitzfindige Frage. Am besten ist es, man interessiert sich nur so in den Tag hinein, oder für keins von beiden.

Junger Mensch: Nein, ich kann ihm meine Liebe nicht entdecken. Er würde mir niemals seine Tochter bewilligen, und eine abschlägige Antwort könnte ich nicht überleben. O Emilie! Und doch muß es sich heut noch entscheiden!

Melpomene tritt als Emilie auf.

Emilie: Find ich dich wieder in Tränen?

Junger Mensch: Und wie anders, teuerste Emilie? Soeben habe ich deinen Vater gesprochen.

Emilie: Nun?

Junger Mensch: Er war wie immer, sehr gütig gegen mich, das Bekenntnis meiner Liebe schwebte schon auf meinen Lippen, aber die Besonnenheit hindert mich noch, unvorsichtig zu sein.

Emilie: Ich denke, daß wir ihn durch unser kleines Stück überraschen und rühren wollen, und uns so den Weg zu unserm Geständnisse bahnen.

Junger Mensch: O liebe Emilie, das quält mich eben. Ist unser Projekt, ja ich mag es wohl so nennen, unser Hinterhalt, nicht eine Entweihung dieses Tages? Wir wollen ihm durch ein Schauspiel Freude machen, und wir benutzen dieses Schauspiel, uns und unsre Situation darzustellen. Gerade an dem heutigen Tage sollten wir am wenigsten für uns zu handeln suchen, und ich brauche grade diesen Tag als ein Mittel, um mich glücklich zu machen.

Emilie: Du hast eine eigene Gabe, die Sachen zu ernsthaft, und eben darum unrecht zu nehmen. Unsre Verbindung wird auch ihn beglücken, auch hat er uns noch keine Veranlassung gegeben, zu glauben, daß er unsre Liebe mißbilligen würde, wenn er sie kennte.

Junger Mensch: Wie beneid ich dich um diesen männlichen Mut.

Emilie: Wenn er männlich ist, so schäme dich, daß du ihn nicht hast.

Thalia als Lisette.

Thalia: Die Fremden sind schon angekommen; Ihr Herr Vater komplimentiert sich mit ihnen sehr weitläuftig.

Emilie: Wer sind sie denn?

Thalia: Erstlich ist da, die dicke Frau, die Sie aus der Taufe gehoben hat, eine Frau, die alles verachtet, was nicht so dick und reich ist, als sie selbst; dann der Graf Sternheim, der bei jedem dritten Worte innehält, um sich auf den Zusammenhang zu besinnen und desto gewisser aus dem Zusammenhange zu kommen, dieser hat alle seine Bedienten und sogar seinen Narren mitgebracht; dann der Baron Fuchsheim, der mehr hustet als spricht, und mehr spricht als denkt. Die übrigen kenne ich nicht, sie scheinen aber von keiner sonderlichen Bedeutung zu sein.

Emilie: So wollen wir nur gehen, um unser Theater einzurichten. – Komm, mein Freund. Beide gehn ab.

Der Vater, Graf Sternheim, Baron Fuchsheim, die dicke Frau, andre Gäste, Bediente, Grünhelm als Narr, treten ein.

Vater: Sein Sie mir nochmals von ganzem Herzen willkommen, und nehmen Sie mit diesem herzlichen Willkommen vorlieb, denn er ist das Beste, was ich Ihnen geben kann.

Fuchsheim: Gehorsamster – bitte – wissen schon – bitte

Dicke Frau: Uns ist Ihre Galanterie schon aus alten Zeiten bekannt, und Sie haben darin gewiß noch mehr Fortschritte gemacht.

Sternheim: Gut Obst scheinen s'hier besitzen zu tun – schönen Blumenkohl – allerliebste Aprikosen – aber einen Narren hab ich doch selber mitgebracht, den trifft man hier nicht an.

Narr: Ich habe Sie mitgenommen, Herr Graf, und das will ich beschwören.

Sternheim: Ist es nicht ein guter Eselskopf? – Er sagt mir immer prächtige Grobheiten.

Narr: Und der Graf sagt mir herrliche Wahrheiten, denn er sagt mir nichts, und es ist eine Wahrheit, daß er nichts ist und daß er nichts zu sagen weiß.

Sternheim: Konfuse, ein ungeordneter Verstand – aber gute Anlagen.

Fuchsheim, lachend: Gute Anlagen zu einem Narren – ja, ja dafür sind seine Anlagen gut genug.

Narr: Wissen Sie denn, was ein vollkommener Narr zu bedeuten hat?

Sternheim: Dazu halt ich dich ja, Narr, damit ich das beständig wissen möge.

Narr: Der Geschmack ist verschieden, ich halte mir lieber einen Grafen.

Sternheim: Er darf mir alles bieten, weil er nämlich nur ein Narr ist.

Fuchsheim: Ich muß mir auch einen anschaffen. Wo hat man die beste Sorte?

Sternheim: Sie geraten nicht in jedem Jahre gleich gut, manchmal ist ein ordentlicher Mißwachs – ich habe sie auf meinen Gütern als ein Landesprodukt ziehn wollen – aber sie sind nicht eingeschlagen – das Klima muß nicht taugen.

Fuchsheim: Wenn man so manchmal seiner Vernunft überdrüssig wird, so muß ein solcher Narr ein wahrer Leckerbissen sein.

Sternheim: Diesen da hab ich geerbt, und ich weiß sein Vaterland nicht.

Fuchsheim: Hat er keinen Taufschein?

Sternheim: Narren werden gar nicht getauft.

Fuchsheim: Zu welcher Kirche bekennen sie sich denn aber?

Sternheim: Sie sind damit zufrieden, daß sie in der Irre wandeln.

Fuchsheim: Sie sollten ihn bekehren lassen.

Sternheim: Ei, beileibe nicht, da würde ja ein ordinärer vernünftiger Mensch aus ihm.

Fuchsheim: Sie verkaufen ihn wohl nicht?

Sternheim: Nimmermehr, ich will ihn mit ins Grab nehmen.

Narr: Ei, ganz gehorsamster Diener! das ist eine verfluchte Redensart, um seine Liebe auszudrücken.

Vater: Meine Herren, und meine gnädige Frau, ist es Ihnen nicht gefällig, in mein Haus zu treten?

Sie gehn ab.

Lisette und der Narr bleiben.


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