Ludwig Tieck
Die verkehrte Welt
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfte Szene

Am Parnaß.

Bäcker und Brauer.

Bäcker: Nun können wir doch erst sagen, Meister Brauer, daß wir im Lande einen reellen Parnaß haben.

Brauer: Und das Getränk, was ich da fabriziere, mein lieber Bäcker, wahrlich, das ist ein andres Gesöff, als die alte Hippokrene.

Bäcker: Ich mag gern bei Euch trinken, das ist gewiß, aber das Zeugs steigt einem sogleich so in den Kopf, daß man nicht weiß, wo einem der Kopf steht.

Brauer: Darum bekümmere ich mich in meinem Leben nicht, wenn ich nur für meine Person weiß, wo das Maul sitzt.

Bäcker: Aber liegen nicht die Gebäude niedlich da unten am Berge?

Brauer: O die Aussicht hat etwas Vortreffliches.

Bäcker: Und unser gnädigster Apoll –

Brauer: Seinesgleichen muß gar nicht gefunden werden. – Da kommen meine Gäste.

Verschiedene Gäste treten auf.

Erster Gast: Gevatter, ich bin ganz begeistert, das ist Euch ein Trunk wie höllisches Feuer.

Zweiter Gast: Nachdem's fällt, nachdem's fällt – la, la – ja, wie's fällt.

Erster Gast: Er wird selbst fallen, und dann kommt's darauf an, nachdem er fällt, ob er sich nicht ein Loch in den Kopf fällt.

Dritter Gast: Tragt den Besoffenen – so – soffenen nach Hause.

Vierter Gast: Kommt; ich für meine Perschon, seht Ihr, als wenn ich sagen wollte Ich, als zum Exempel Ich, so wie ich Euch da vor mir sehe und vor mir stehe, ich kann keine besoffene Perschon, wenigstens für meine Perschon, ausstehn. So viel davon, aber kein Wort weiter; denn, wie man zu sagen pflegt, es sind doch nur unnütze Reden, und da sogar der große Nebukadnezar hat auf allen vieren gehen müssen, nun – warum wollen wir uns denn schämen? So pfleg ich nur immer zu sagen.

Erster Gast: Ganz recht, und du pflegst auch immer ein Flegel zu sein.

Vierter Gast: Was? hab ich deswegen mit dir Gleichheit und Brüderschaft und Menschenwert getrunken, daß du mich so öffentlich verschimpfieren tust? Vor all den ehrbaren Herren? Heraus, wenn du Herz hast!

Erster Gast: Herz? – Aber wo ist dein Verstand? der ist im Bierkruge hängengeblieben.

Vierter Gast: So hängt er doch noch irgendwo; aber wenn man dich auch an den Galgen hinge, so würde dein Verstand doch nirgends hängen, denn solchen Schimpf wird sich, was nur einen Funken Verstand hat, doch wohl nimmermehr selber antun, daß es in deinem Dummkopf eine Herberge suchte.

Brauer: Lieben Leute, vertragt euch doch friedlich; da ihr alle von einem Biere getrunken habt, solltet ihr billig alle auch einerlei Gesinnung hegen.

Vierter Gast: Nimmermehr will ich mir einen solchen Schimpf antun lassen, vollends wenn ich aus der Tabagie komme.

Dritter Gast: Lieber möcht ich ohne weitere Umstände ein Esel sein.

Zweiter Gast: Oben an und nirgend hinaus, so ist es mit dem Brauer, und drum sucht er auch immer den Hopfen zu sparen.

Erster Gast: Nach meiner unmaßgeblichen Meinung sollten wir gleich wacker auf ihn zuschlagen.

Vierter Gast: Schon deswegen, weil er ein Brauer ist.

Zweiter Gast: Wie lange quält er nicht die arme Gerste, bis sie sich von ihm zu Bier machen läßt.

Dritter Gast: Das hatt ich vergessen! Gut, daß Ihr mich zur rechten Zeit erinnert. Er soll nicht leben bleiben.

Erster Gast: Es wäre übel getan, wenn wir irgendeinen Brauer leben ließen. –

Sie fallen über ihn her.

Brauer: Schützt die Braugerechtigkeit! – Hülfe von wegen der Obrigkeit!

Skaramuz reitet auf seinem Esel herein.

Skaramuz: Was gibt's hier, Leute? – Ins Teufels und in der Obrigkeit Namen, haltet Friede! – he! Wache!

Die Wache kömmt.

Skaramuz: Bringt die Leute auseinander. – Was hat's denn gegeben?

Bäcker: Mein König, ich bin ein ruhiger Zuschauer gewesen, und kann also am besten davon urteilen. Der Brauer ist ganz unschuldig, aber in der poetischen Begeisterung suchten die Gäste Händel.

Skaramuz: Er muß das Bier nicht so stark brauen, sonst geraten mir meine Untertanen doch noch auf die Dithyrambe, und das soll nicht sein. – Geht nach Hause, lieben Leute, und beruhigt euch; aus dergleichen Händeln kann doch nichts herauskommen.

Vierter Gast: Warum nicht? Ich frage immer gern, warum?

Skaramuz: Daß ich ihn nicht mit seinen anstößigen Reden der Hauptwache anvertraue, da soll ihm die Begeisterung bald verrauchen. Die Gäste gehn ab. Die Musen sollen auftreten. Er besteigt den Parnaß und setzt sich.

Brauer: Ich will nur nach Hause gehn.

Bäcker: Ich ebenfalls, denn ich muß meinen Ofen heizen.

Sie gehn in den Parnaß hinein. Die Musen kommen.

Skaramuz: Seid ihr alle vollzählig? Es muß immer genaue Anfrage geschehen, daß mir keine Muse unversehens entwischt, denn die Wissenschaften müssen in ihrer Blüte beileibe nicht gestört werden. – Jetzt singt mir ein Lied.

Die Musen singen: Unser allergnädigster Monarch ist heut in eigener Person auf seinem Esel zurückgekommen, und hat sich sogleich auf die Spitze des Parnasses verfügt, allwo er geruhte, das königliche Szepter in seine Hände zu nehmen, und damit sein beglücktes Land zu regieren. Ihm haben die Untertanen die neue Brauerei zu verdanken, er hat uns einen löblichen Bäcker eingesetzt, und der Staat verspricht sich außerdem noch von seiner Weisheit die allervollkommensten Einrichtungen. Die Unsterblichkeit ist ihm so gewiß, als die Liebe seiner Untertanen, als die Bewunderung einer staunenden Nachwelt. Künste und Wissenschaften stehn unter seinem unmittelbaren Schutze; er lebe lange und beglücke sein Land noch hundert Jahre mit seiner preiswürdigen Regierung. – Hiebei unentgeltlich eine Beilage.

Der Fremde tritt auf.

Fremder – Ich bin aus weiten Landen gekommen, um so glücklich zu sein, Ew. Majestät von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen.

Skaramuz: Ja, es ist immer schon der Mühe wert, und wenn ich's nicht durch einen glücklichen Zufall selber wäre, würde ich mich auch genötigt sehen, Reisen nach mir anzustellen.

Fremder: Sie machen eine Epoche in der Weltgeschichte.

Skaramuz: O ja, das ist noch meine geringste Kunst. – Von mir schreibt sich eigentlich die Blüte der Wissenschaften her, denn ich bin der erste, der den Parnaß urbar gemacht hat.

Fremder: In der Tat?

Skaramuz: Und welche Vorurteile ich dabei habe bekämpfen müssen! – Ich habe auch die Brauerei da unten angelegt. Oh, mein Freund, Sie haben gewiß in der ganzen Fremde dergleichen nicht gesehn. Was sind Sie Ihres Handwerks nach?

Fremder: Ein Arzt.

Skaramuz: Also doch nützlich? Ich mag die nützlichen Leute ungemein gern; denn warum? sie sind nützlich, und das Nützlichsein selbst ist ungemein nützlich, folglich zwingt mich meine Vernunft zu dieser gegründeten Hochachtung.

Fremder: Aber was seh ich.

Skaramuz: Ja, ja, eine Bäckerei ist auch am Parnaß angebracht.

Fremder: Darf ich meinen Augen trauen?

Skaramuz: Es hat sich schon mancher darüber gewundert.

Fremder: Seh ich nicht meine geliebte Karoline?

Melpomene hervorstürzend: O Friedrich, bist du wieder da? Wo hast du Trauter so lange gesteckt?

Fremder: O welche unvermutete Zusammenkunft!

Melpomene: Du findest mich als Muse, aber mein Herz ist dir noch immer getreu.

Fremder: O so sei meine Gattin. Mein Onkel ist gestorben, die reiche Erbschaft ist mir zugefallen, ich habe genug für uns beide, ja weit mehr, als wir brauchen, wenn mir nur deine Liebe gewiß ist.

Melpomene: Und du kannst zweifeln? – Ich will gleich mit dir gehn.

Skaramuz aufstehend: Halt! halt! was will mir das werden? Nein, meine Freunde, das geht so geschwinde nicht, die Musenkompagnie darf nicht inkomplett werden. Wo sollten wir denn hernach die tragischen Szenen in unserm Stücke herkriegen, wenn sich Melpomene aus dem Stücke heraus verheiraten wollte? Das geht nimmermehr!

Melpomene: Grausames Schicksal!

Fremder: Tyrannischer Gott!

Skaramuz: Hat sich da was tyrannisch und grausam zu sein. Ich gebe euch meine Gründe an, denn ich sage: es soll nicht sein! und darum kann's nicht sein. Und außerdem bin ich selbst so halb und halb in die Melpomene verliebt, und denke sie vielleicht mit der Zeit zu heiraten. Also, Ihr fremder Kerl, steht nur von Euren unsinnigen Bewerbungen ab, denn sonst möcht es Euch gar zu leicht den Hals kosten. Geht ab.

Fremder: So soll ich dich lassen?

Melpomene: So muß ich scheiden?

Die Musen gehn, außer Thalia, ab.

Grünhelm: Verlieren Sie den Mut nicht, mein fremder Herr Verliebter, das muß sich noch einrichten lassen, wenn uns der Verstand auf dem rechten Fleck sitzt.

Fremder: Aber wie?

Thalia: Kommen Sie nur, wir wollen das ordentlich beratschlagen. Ich biete Ihnen meine Hülfe und Klugheit an.

Grünhelm: Brav, Lisette! es wird uns ganz gewiß gelingen.

Gehn.

Pierrot: Hätt ich doch den Skaramuz in meinem Leben für keinen solchen Tyrannen gehalten.

Scävola: Lieber Freund, seht, das macht alles die französische Revolution, die steckt an, die verführt die Leute.

Pierrot: Aber warum tun denn Fürsten und Herren nicht in Zeiten dazu?

Scävola: Nach und nach wird es wohl mehr in den Gang kommen. Keiner will den Anfang machen, damit sie ihn nicht für grob ausschreien.

Pierrot: Ja wohl! so hat doch jedes Ding seinen Haken!

Der Andre: Was ein Haken werden will, krümmt sich bald. Da liegt's!


 << zurück weiter >>