Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel

Frau Wichbern las auf einer ihr übergebenen Visitenkarte den Namen.

»Martin Blank.«

Sie fuhr auf.

»Ich lasse bedauern!« herrschte sie das Mädchen an.

Die Dienerin trat nach einigen Minuten verschüchtert wieder ein.

»Gnädige Frau möchten lesen –,« sagte sie stockend und präsentierte die Karte von neuem.

Frau Wichbern faßte darnach.

Auf der Rückseite wenige Zeilen: »Ich habe Sie in meinem Heim empfangen und angehört und halte die gleiche Höflichkeit für Ihre Pflicht, wenn ich Ihnen auch unwillkommen bin, wie Sie es mir waren!«

»Ich lasse bitten,« stieß sie hervor.

Martin Blank trat ruhig ein.

»Sie sind sich Ihres Rechtes bewußt und wissen es zu erzwingen!« grollte die alte Dame.

»Gnädige Frau, wir stehen uns zum zweitenmale gegenüber. Diesmal bin ich der Werbende. Ich habe Ihnen abzubitten.«

Sie wehrte ab.

»Ich wüßte nicht.«

»Ich würde stolz sein, dürfte ich Ihnen die Hand drücken. Wie Sie handelt eine Natur, die ich unterschätzt habe.«

»Sehr freundlich –!«

»Ich muß nach dem Empfange wohl leider annehmen, daß ich Ihrer Nichte die Versöhnung noch immer nicht bringen darf. Ich beklage das. Um Ihret- und um des Mädchens willen. Sie will Ihnen danken. Nicht für Ihre Großmut. Für das große, verzeihende Herz, das Sie ihr gezeigt haben. Und sie will von Ihnen erbitten: Ihre Liebe und die Erlaubnis, Sie wieder lieben zu dürfen.«

»Um das Gleiche habe ich gebettelt – es ist mir abgeschlagen worden! Wenn Sie es vergessen haben, rufe ich es in Ihr Gedächtnis.«

»Ich habe es nicht vergessen. Ich kann es nicht einmal bedauern, denn es hat zum Frieden gedient. Es hat Sie den Wert des Mädchens erkennen gelehrt.«

»So? Sind Sie dessen so sicher? Kann ich mit meinem Geschenke nicht die Absicht gehabt haben, dem Trotzkopf lediglich den Glanz und die Uebermacht des Reichtums zu zeigen?«

»Mit so herzenswarmem Glückwunsch?« fragte er.

Sie schüttelte den grauen Kopf.

»Habe ich nicht den richtigen, habe ich gar einen sentimentalen Ausdruck für meine Empfindungen gefunden: ich bedaure, mich vergriffen zu haben. Und damit Sie nicht nach Motiven für meine Handlung suchen, die nicht vorhanden waren, will ich Ihnen sagen, was mich leitete. Ich bin eine harte, alte, rachsüchtige Person. Ich war durch das Mädchen beleidigt worden und wollte mich rächen. Nichts anderes. Ich wollte feurige Kohlen auf ihr Haupt sammeln und sie am eigenen Leibe empfinden lassen, was es heißt, ein Herz – mag es durch das Alter verknöchert oder durch den Bettlerstolz verhärtet sein – umsonst zu umwerben. Ich sehe, daß ich das erreicht habe, und ich freue mich dessen. – Reisen Sie heim, Herr Martin Blank, und beruhigen Sie meine Verwandte. Sagen Sie ihr, daß ich ihren Dank nicht brauche, daß ich darauf nicht reflektiert, daß ich nichts beabsichtigt habe, als eine Spielerei.«

»Sie verleumden sich selbst, meine gnädige Frau.«

Sie schien den Einwurf nicht zu beachten.

»Meine Nichte ist mir nicht einmal verbunden,« fuhr sie erbittert fort. »Die kleine Verlobungsgabe – verzeihen Sie, die Komödie konnte ich mir gestatten.«

»Ihre Nichte denkt hochherziger von Ihnen ...«

»Ich will keine Hochherzigkeit!« rief sie heftig und richtete sich in ihrem Sessel auf. »Ich kenne die für mich nicht und traue sie andern nicht zu. Oder, Herr Martin Blank, ist die Spekulation der Wichbern in dem Mädchen rege geworden?«

»Das soll heißen?« fragte er ernst.

»Sie können noch fragen? Erwartet das Mädchen da, wo so viel war, ein Mehr?«

In den männlichen Zügen Blanks spielte die Entrüstung. Er betrachtete sein Gegenüber finster.

»Meine Gnädige, ich bitte um Verzeihung, daß wir Sie doch verkehrt einschätzten. Sie haben alles Mühen Ihrer Verwandten, zu Ihnen zu dringen, hart abgewiesen. Sie sind ihr in Kiel ausgewichen und haben dem Mädchen ein Meer von Thränen erpreßt. Heute gehen Sie noch weiter. Sie setzen in den Charakter Ihrer Verwandten einen entehrenden Verdacht. Damit sind Sie über die Grenze des Erlaubten hinausgegangen ...«

Er zog sein Taschentuch.

»Gnädige Frau, ich habe die Ehre, den Kaufvertrag und die Schenkungsurkunde in Ihre Hand zurückzulegen.«

Sie lachte hart und spöttisch.

Er legte die Papiere auf einen Tisch.

»Ihre Nichte und deren Verlobter verzichten auf ein Geschenk, das seinen Gehalt in seinem Geldwert trägt. Sie hätten es überhaupt nicht angenommen, wenn sie rechtzeitig das Motiv erkannt hätten, das Sie leitete: das Motiv der Rachsucht. Seit dem Weihnachtsfest, das durch Ihre unerwartete Gabe eine seltene, freudige Weihe erhielt, ist das Glück aus einem goldreinen Mädchenherzen verscheucht durch den bangen Zweifel, – Ihnen – Ihnen! – kränkendes Unrecht zugefügt zu haben. Der Zweifel ist geschwunden, man hat Sie nicht gekränkt – Sie haben beleidigt! Das wird die junge Braut stählen und die Enttäuschung überwinden helfen. – Ich habe Ihnen noch anzuzeigen, daß Herr Inspektor Bernd von Löhnau seinen Posten auf dem Gute infolge der besonderen Umstände ohne Kündigung in drei Tagen verlassen wird. Er wird Ihnen seinen Entschluß schriftlich bestätigen und Ihnen eine mit der Gutswirtschaft vertraute Persönlichkeit namhaft machen, die Sie bis zu anderweitiger Besetzung des Inspektorats mit der Verwaltung des Besitzes beauftragen können. Ich habe die Ehre – –«

Sie sprang zornig auf.

»Jawohl, gehen Sie – gehen Sie! Sie spielen noch besser als ich. Aber – und ich verlange Antwort ohne Heuchelei! – wenn es meiner Nichte Ernst war um die Aussöhnung mit mir, wenn sie nicht mein Hab und Gut, wenn sie mich selbst wollte: warum schickt sie Sie ins Treffen, warum kommt sie nicht in eigener Person –?«

»Weil sie nicht wie eine lästige Bettlerin abgewiesen werden wollte!«

»Und nicht den Versuch war es ihr wert?« fragte sie heftig.

Blank schritt auf die Thür zu und öffnete sie.

»Fragen Sie sie selbst!«

Die alte Dame stutzte zurück.

Das Mädchen mochte einen Teil der laut geführten Unterhaltung mit angehört haben. Sie stand im Reisekleide und lehnte sich gegen die Flurwand. Das jugendschöne Antlitz war blaß und von Thränen überströmt.

Frau Wichbern starrte auf sie wie auf eine Erscheinung. In ihren hageren Zügen zuckte es.

Sie schritt langsam auf das Mädchen zu, schloß sie zögernd in die Arme und küßte sie.

»Bist du da?« klang es seltsam weich.

Sie zog plötzlich die Schluchzende entschlossen mit sich, blieb vor Blank stehen und streckte ihm die Hand hin.

»Ich – danke Ihnen!«

Blank erwiderte den Händedruck freudig bewegt.

»Ich wußte es ja!« sagte er schlicht.

»Wann – soll die Hochzeit sein?« fragte Frau Wichbern die unter Thränen jubelnde Braut.

»Am 20. Mai, Tante –«

»Meinem Geburtstage? Wolltest du das?«

Das Mädchen nickte freudig.

»Wir hatten es uns so schön gedacht.«

»Herr Blank, darf ich Sie ersuchen, an Bernd von Löhnau zu depeschieren?« fragte die versöhnte Frau. »Bitte, schreiben Sie: ›Die Hochzeit ist am 20. Mai –‹«

»– ›im Hause Blank,‹« flocht der Schreibende ein.

Sie widersprach nicht.

»Haben Sie? ›Die Braut bleibt bis dahin bei mir.‹ Ja, mein Kind?«

»Wie gern!«

»›Frau Anna Wichbern.‹«

Sie lud Blank vergebens ein, für einige Tage in der Villa zu Gast zu bleiben. Der alte Herr wollte die Verwandten sich selbst überlassen und lehnte freundlich ab. Er schützte einen Geschäftsgang vor, auf dem er zugleich das Telegramm aufgeben wollte, und versprach nur, die Gastfreundschaft für den Abend mit Dank zu acceptieren.

Dann ging er in gehobener Stimmung. – –

Als er am nächsten Morgen nach Reickendorf zurückkehrte, teilte er das Coupé mit zwei Herren, von denen einer ihm bekannt schien, ohne daß er ihn gleich zu placieren wußte. Blank hatte als der zuletzt in den Wagen Gestiegene höflich gegrüßt und es etwas auffällig gefunden, daß der eine der Herren besonders zuvorkommend dankte. Nach längerer Beobachtung glaubte er die Aufmerksamkeit in persönlicher Bekanntschaft begründet.

Die Herren unterhielten sich anscheinend über einen Kriminalfall, und der unbekannte Bekannte schien das Wort zu führen ... Plötzlich fiel es Blank ein: Der Kriminalkommissar Grotthus!

Er zog eine Zeitung aus der Tasche und suchte zu lesen.

Grotthus dämpfte seine Stimme zum Flüstern.

»Vorsichtig! Reickendorfer!«

Etwas lauter fügte er hinzu:

»Ich fahre bis Bokhorst und gehe von da nach Kölling. Eine Stunde. Von Neumünster zwei. Also Bokhorst bequemer. – Sie können von R. aus den Weg nicht verfehlen. Links über dem Bahndamm nach dem Dorfe. Wo sich im Ort der Weg gabelt, biegen Sie wieder links ab. Am Ausgang des Dorfes liegt die ›Weintraube‹; das letzte Haus. Das Weitere wissen Sie, auch wo ich warte. – Darf ich Ihnen Feuer offerieren, Herr Keßler? Sie scheinen kalt zu rauchen.«

»Danke.«

Als sie in Neumünster den Zug wechseln mußten, grüßte Grotthus den dritten Mitreisenden verbindlich.

»Guten Tag, Herr Blank.«

Der Angeredete dankte freundlich.

Auf der Station Bokhorst sah Blank den Kommissar bei der Weiterfahrt des Zuges auf dem Perron stehen, und in Reickendorf bemerkte er den Begleiter des Beamten. Es fiel ihm auf; aber er hielt seine Gedanken für sich.

Der Waffenfabrikant ging den ihm vorgezeichneten Weg. Er trug Jägeranzug und darüber einen silbergrauen Hohenzollernmantel mit breitem Skunkskragen.

Der Kommissar hatte ihn zufällig in dem Anzug gesehen und ihn gebeten, diesen für die Reise beizubehalten.

Der Besitzer der ›Weintraube‹ war, wie gewöhnlich um die Vormittagszeit, allein im Gastzimmer, als der Fremde einkehrte und einen Grog verlangte.

»Wollen Sie mir eine Gefälligkeit erweisen?« fragte Keßler, als das dampfende Getränk vor ihm stand.

»Wenn's in meiner Macht liegt, ganz gern,« versicherte David Riecken.

»Ich suche Auskunft über die Reickendorfer Jagdverhältnisse: können Sie mir die geben?«

»Ja. Die Jagd ist nicht schlecht. Der frühere Pächter hat den Wildstand sehr geschont. Rotwild – rund herum liegen Rittergüter, und es wechselt viel herüber, hin und wieder sogar ein Stück Edelwild; Hasen in Menge, sogar ein reichlicherer Abschuß zu wünschen; auf den Mooren und Feldteichen Wildenten, mitunter auch Gänse; Rebhühner – im vorigen Herbst mindestens vierzig Völker! Schnepfen, Bekassinen, wenn Sie davon Liebhaber sind, genügend.«

»Ich habe erfahren, daß der frühere Pächter tot ist und sein Nachfolger nicht jagt. Sollte der jetzige Pächter nicht geneigt sein, die Jagd anderweitig zu vergeben?«

»Ich glaube schon. Es käme auf eine Anfrage an.«

»Kennen Sie den Pächter?«

»Sehr gut sogar. Alter Freund von mir. Soll ich Sie begleiten?«

»Ich würde nicht gewagt haben, Ihnen das zuzumuten. Aber wenn Sie die Güte haben wollten – ich würde gern eine Gelegenheit suchen, mich erkenntlich zu zeigen.«

»Nicht nötig, Herr. Oder meinen Sie nicht, daß ich hier unbesorgt abkommen kann? Trinken Sie in Ruhe Ihren Grog, nachher gehen wir.«

»Danke sehr.«

Sie brachen bald auf.

Der Advokatenbauer war zu Hause.

»Die Jagd?« fragte er und musterte den Fremden anfänglich mißtrauisch. »Man kann ja darüber sprechen. Wollten Sie sie für sich pachten?«

»Ja.«

Keßler sagte es einsilbig. Er kannte den Kunden auf den ersten Blick wieder, und damit war sein Interesse erschöpft.

»Für sich allein?« forschte Oldekop.

»Ja. Wie groß ist die Pachtung?«

»Dreitausend und einige hundert Morgen.«

»Der Preis?«

Oldekop überlegte, und David Riecken war gespannt, welche Summe der Advokat fordern würde.

Oldekop pries den Wildstand.

»Ich selbst bin leider kein Jäger, sonst würde ich diese Jagd nicht aus der Hand geben. Der Preis – hm. Sagen wir rund dreitausend Mark.«

Der Roßkamm wußte, daß der Bauer noch nicht eintausend Mark zahlte, und fand die Forderung unerhört.

Keßler erhob sich.

»Meine Verhältnisse erlauben mir nicht, so weit über den Wert hinaus zu zahlen,« sagte er anzüglich. »Ich habe die Ehre.«

Oldekop erkannte natürlich, daß er allzu hoch gegriffen hatte.

»Welche Summe gedachten Sie anzulegen?« fragte er noch rasch.

»Nach dieser Forderung vermag ich nicht zu bieten.«

Der Kaufmann reichte David Riecken die Hand und verabschiedete sich so kurz, daß der Roßkamm gegen seinen Wunsch bei dem Bauern zurückblieb.

»Ach so, der wollte wohl noch was zu haben!« höhnte Oldekop.

»Na, Detlev, happig war deine Forderung,« meinte Riecken trocken.

»Ich kenne diese Sonntagsjäger! Kopf voll Raupen und in der Tasche sechs Dreier. Laß ihn laufen, David.«

Keßler traf den Kommissar in der Nähe Köllings.

»Na?« fragte Grotthus gespannt.

»Ja, er ist es,« bestätigte der Kaufmann.

»Sie kennen ihn so verläßlich wieder, daß Sie die Rekognition beeiden können?«

»Unbedenklich.«

»Dann ist das Schicksal des Mannes erfüllt. Sie würden in den nächsten Tagen ohnehin eine Ladung vor den Untersuchungsrichter erhalten oder mindestens kommissarisch vernommen werden: wäre es nicht das einfachste, wenn Sie mich gleich nach Kiel begleiteten? Ich würde den Richter bitten, Sie sofort zu empfangen.«

Der Kaufmann erklärte sich auch damit einverstanden. Er wurde noch nachmittags von Dr. Mackens vernommen und kehrte mit demselben Zuge nach Altona zurück, den der mit einem erneuten Haftbefehl ausgerüstete Kommissar bis Neumünster ebenfalls benutzte.

Grotthus ließ die Rücksicht gegen den Advokatenbauern fallen. Der Ortsgendarm war telegraphisch an den Bahnhof beordert worden und mußte ihn begleiten.

Die abermalige Verhaftung erregte Sensation. Der Bauer selbst bewahrte nur mühsam seine Fassung. Der Schlag traf ihn, wie ein Blitz aus wolkenlosem Himmel.

Auf dem Bahnhof sammelte sich rasch eine vielköpfige, neugierige Menge, und der Zufall wollte es, daß kurz vor Abgang des Zuges auch Christian Tiedjohann hinzukam. Er sah, wie der Bauer in ein Coupé abgeführt wurde; aber der früher ausgemalte Triumph wollte nicht über seine Lippen kommen. Er senkte die Hände in die Hosentaschen und verharrte stumm.


 << zurück weiter >>