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Zweites Kapitel

Der Oldekop'sche Bauernhof war einer der größten und ertragfähigsten Reickendorfs und der Besitzer unter den Bauern der Ortschaft einer der reichsten. Die Gemeinde lag in der Mitte zwischen Neumünster und Plön, an der Bahnlinie Neumünster-Neustadt, und hatte im letzten Jahrzehnt einen solchen Aufschwung genommen, daß die Zahl der Einwohner auf über zweitausend angewachsen war. Die Bauerngüter waren freilich um eines vermindert worden; aber auf dessen Ländereien unmittelbar an der Bahnhofsstation waren umfangreiche industrielle Unternehmen aus dem Boden gewachsen.

Die Holzhandlung von Martin Blank und Sohn, eine an deren Terrain sich anschließende, große Farbenfabrik und eine weiter nach dem Dorf zu gelegene, an Ausdehnung stetig gewinnende Teppich- und Gardinenwirkerei, beschäftigten zusammen an vierhundert Arbeiter, die, soweit sie nicht als Heimische im Dorfe selbst wohnten, in schmucken, wenn auch einfachen Häuschen, an der vom Bahnhof ins Dorf führenden Straße untergebracht waren.

Das eigentliche Dorf lag von der Bahnstation eine Viertelstunde entfernt, und die großen Bauernhöfe verteilten sich bis auf vier, die zum Orte selbst gehörten, rund um das Dorf herum, die entferntesten fast eine Stunde weit abgelegen; so der Puckhof, die Höfe von Olenkoppel und der Nettelseehof; in knapp halbstündiger Entfernung der Braune Hirsch, der Neue Jäger und der Grüne Sod, letzterer das Besitztum Hans Oldekops.

Woher der Oldekop'sche Hof den Namen hatte, war strittig, und die gangbare Erklärung der Dorfchronik, die die Bezeichnung einfach auf einen zu dem Hofe gehörigen Teich zurückführte, der durch ›grünes Wasser‹ angeblich eine Eigenart besitzen sollte, verdiente kaum ernstliche Beachtung. Wahrscheinlicher klang eine zweite Auffassung, die auf die Zeit der Gründung des Hofes zurückging. Das fruchtbare Ackerterrain war ehemals Waldland gewesen, und dicht neben einem noch heute vorhandenen, von dem ersten Oldekop angelegten Brunnen hatte das primitive Wohnhaus des Bauern gestanden, der sich durch Ausroden des Waldes nach und nach eine größere Ackerfläche geschaffen hatte. Der erste im Waldgrün gegrabene Brunnen, ›de Sod in'n Gräunen‹, oder kurz: ›de gräune Sod‹ – die Bezeichnung mochte auf den Hof übertragen worden sein und die ursprünglichen Zustände überdauert haben.

Im ›Grünen‹ lag der alte Brunnen im Sommer auch heute noch, wenn er auch nicht mehr benützt, sondern nur pietätvoll erhalten wurde – mitten in dem großen Garten des Hofes, von Kirsch-, Pflaumen-, Aepfel- und Birnbäumen rings umgeben. Seine Feldsteinwände hatten der Zeit zäh widerstanden und das Wasser blinkte dunkelfarben aus der Tiefe herauf; nur das ehemalige Brunnenhaus mit Winde und Kette war verschwunden und hatte einem zweckwidrigen und unschönen Geländer Platz gemacht.

Hatte aber der alte Brunnen an malerischer Wirkung verloren, so zog dafür der Hof, dem er den poetischen Namen vererbt hatte, mit seinen Baulichkeiten und dem gepflegten Garten das Auge des Kenners um so mehr an.

Die Bauart des Wohnhauses wich von der üblichen wenig ab, höchstens daß an Stelle der Fachwerkmauern massive Steinwände, sogenannte Brandmauern, getreten waren. Im Uebrigen war der Typus der gleiche und nur die Wirkung eine hervorstechende, weil kein Schaden, keine Abnützung, keine Unsauberkeit den Eindruck störte. Schräg strebte das Strohdach hinauf, malerisch thronte auf dem First hinter den Pferdeköpfen des Giebels ein Storchnest, blau kräuselte aus dem weißgefugten Schornstein der Rauch in die Luft. Die Holzwand des Giebels war so sauber grün gestrichen, wie die Thüren und Fenster des stattlichen Hauses, und die kleinen, bleigefaßten Scheiben der Gesindekammern blinkten so anheimelnd, wie die großen, gewölbten der Herrenstuben.

An einer der mächtigen Scheunen war das Einfahrtsthor repariert worden und harrte noch des neuen Anstrichs; sonst herrschte die bestechende Ordnung auch in und an den Nebengebäuden bis in die kleinsten Einzelheiten.

Der Garten trennte mit schmalem Streifen die Langseite des Wohnhauses von der Landstraße und legte sich breit vor die fensterreiche Stirnseite. Den Abschluß des Gartens nach der Landstraße bildete ein Stacket, das von einer kurzgestutzten Dornenhecke und über diese emporragenden Syringen- und Schneeballbüschen im Sommer fast verdeckt wurde. Den Eingang durch die Hecke hatte Hans Oldekop vor Jahren verbreitern und durch eine in ländlichen Verhältnissen ungewöhnliche, schmiedeeiserne Pforte geschmackvoll ausschmücken lassen.

Detlev Oldekop hatte, trotz der Frau Wichbern vorgespiegelten und berechneten ›verschiedenen Reisen‹, die Heimat seit einem halben Dutzend Jahren nicht gesehen, da der Bruder nach einem heftigem Streit ihm die Einstellung seiner verwandtschaftlichen Besuche eindringlich genug nahe gelegt hatte. Der Verkehr der Brüder hatte sich seitdem auf einen für beide Teile wenig angenehmen Briefwechsel beschränkt, der von seiten des städtischen Bruders meistens nichts als die immer wiederkehrenden Bitten um Geld, von seiten des Bauern kurze Zusagen oder Ablehnungen enthielt.

Als Detlev Oldekop mit dem Mittagzuge in Reickendorf anlangte, mußte er, da ein Wagen zu seiner Abholung nicht gesandt war, den Weg zu Fuß antreten.

Er vermerkte die Unaufmerksamkeit des Bruders mißfällig und wurde in seinen sanguinischen Hoffnungen zu beengenden Zweifeln herabgestimmt. Wenigstens den Schein hätte der Bruder doch wahren und das Donnerwetter bis zum diskreten Alleinsein in seinen vier Wänden aufsparen können, reflektierte er ärgerlich.

Die Veränderungen am Bahnhof waren ihm zum Teil noch von seinen letzten Besuchen her erinnerlich, neu für ihn zu Anfang des Dorfes ein mächtiges, in roten Backsteinen aufgeführtes Schulgebäude und ein aus der Mitte des Ortes schlank aufragender Kirchturm. Also selbst zu einer eigenen Kirche hatte es das aufstrebende Heimatsdorf inzwischen gebracht! Wer konnte wissen, wie es in abermals einem Jahrzehnt in dem ehemals weltentlegenen Dorfe aussehen mochte.

Detlev Oldekop begab sich nicht direkt nach dem Grünen Sod, sondern kehrte in einem am Ausgang des Dorfes gelegenen, unansehnlichen Wirtshaus ein, in dessen leerer Gaststube er von dem bis dahin das Provinzialblatt lesenden Wirt lebhaft begrüßt wurde.

»Detlev, den Donner – du?« entfuhr es dem überraschten Wirt.

»Leibhaftig,« entgegnete der Ankömmling mit etwas erzwungenem Lachen. »Na, David, wie geht's, wie steht's?« erkundigte er sich oberflächlich.

»Was mich betrifft,« antwortete David Riecken, eine vierschrötige Erscheinung mit unruhig funkelnden Augen, »so lala. Der Pferdeschwindel geht an, die Wirtschaft blüht, wie du siehst. Ich bin mein bester Gast.«

Er war seinem Hauptberuf nach Roßkamm und trieb die Wirtschaft nebenher, die übrigens abends und Sonntags von der Arbeiterbevölkerung des Dorfes und den Knechten der Bauernhöfe ziemlich besucht war und entgegen der Versicherung ihres Besitzers einen erklecklichen Reinertrag abwarf.

»Und auf dem Sod?« fragte Oldekop.

»Setz' dich 'mal hin, Detlev. Ich wollte dir's schon schreiben. Aber es ist verteufelt wenig Gutes. Magst du einen Cognac?«

»Danke. Leg los. Ich habe nicht viel Zeit.«

»Du willst den Löwen in seiner Höhle aufsuchen?«

»Sind wir Manns genug, David!« renommierte Oldekop.

»Na, na, man nicht zu siegesgewiß, alter Freund! Ich glaube, es wird dir einen Dämpfer aufsetzen, wenn du mich erzählen läßt.«

»So fang endlich an!« drängte Oldekop mit offener Ungeduld.

»Man immer sachte voran,« antwortete der Roßkamm gelassen und setzte mit leichter Ironie hinzu: »Als ich vor'm Vierteljahr die paar hundert Reichsmark von dir haben wollte, hattest du's auch nicht so eilig. Rückt denn die alte Wichbern noch immer nichts heraus?«

»Nicht einen Heller bis jetzt,« versicherte Oldekop achselzuckend. »Erst die Dirn, dann das Moos. Dabei bleibt sie. Soll ich für sie auslegen? Das wirst du mir selbst nicht zumuten.«

»Na nee. Aber ich fürchte – fürchte, Detlev, mit der Dirn wird das überhaupt nichts. Die sitzt fest auf dem Sod, und was ich dir schon schreiben wollte und jetzt mündlich sagen kann: ihre Verlobung mit dem Inspektor Bernd zu Löhnau soll zu Weihnacht stattfinden und der Bauer, dein Bruder, ihr Haus und Hof und Geld testamentarisch vermachen wollen – –«

»Woher weißt du das?« fuhr Oldekop auf.

»Man hat so seine Quellen,« wich der andere aus, »welche, kann dir gleichgültig sein.«

»Warum hast du mir das nicht geschrieben? Kannst du dir denn nicht an den Fingern abzählen, daß ich das wissen muß, je früher um so besser?« tadelte Oldekop erregt.

David Riecken bewahrte seinen Gleichmut.

»Hab' ich was davon?« fragte er etwas spöttisch.

Oldekop entnahm seiner Brieftasche einen Hundertmarkschein und machte eine Reihe weiterer seinem Gegenüber bemerkbar.

»Es geht dir wohl sehr gut?« forschte Riecken interessiert.

»Ich habe ein blühendes Geschäft,« log Oldekop, »und kann mich durchbringen. Und es ist nicht deswegen, wenn ich mir die Erbschaft nicht wegschnappen lassen will. Nur von so 'ner hergelaufenen Dirn will ich mich nicht um das bringen lassen, was von Gottes und Rechts wegen mir zukommt.«

»Hergelaufen ist die Anna Wichbern nun wohl nicht gerade,« warf der andere überlegend ein. »Ihr Vater und dein Bruder waren doch Freunde durch all die langen Jahre, die der Wichbern hier schulmeisterte, und ihr Vormund ist der Bauer doch auch und darum verpflichtet, sich um sie und ihre Zukunft zu kümmern.«

»Auf meine Kosten? Das wollte ich sehen!« eiferte Oldekop. »Aber weiter. Löhnau – was ist's mit dem? Ich hatte dir doch geschrieben, du solltest eine Falle für den suchen, ihn mit irgend einer Mamsell Leichtfuß bekannt machen und von der Schulmeistersdirn abziehen!«

»Hat sich was!« brummte der Roßkamm. »Meinst du, du brauchst bloß anzuordnen, und es geht, wie's auf dem Papier steht?«

»Hast du versucht?«

»Um dir gefällig zu sein – jawohl.«

»Und?« –

»Nichts!«

»Ich hoffe, der blaue Lappen, den ich dir – eine erste Anzahlung – gegeben habe, wird dich etwas anstacheln.«

»Natürlich, wenn's so steht! Wenn man sich nicht bloß seine Zeit stiehlt, sondern auch 'mal einen« – er schnippte mit Daumen und Zeigefinger – »Erfolg sieht. Also dieser Musjö von Löhnau! Ein bettelarmes Subjekt. Aber das ist auch leider alles, was gegen ihn spricht. Ein Bruder von ihm – das sagte mir ein Kollege vom Gaulschacher – soll das Majorat geerbt haben, aber auch auf keinen grünen Zweig kommen. Schulden, nichts als Schulden. Bernd ist ein guter Inspektor, und der Depenauer Herr soll 'was auf ihn halten. Gehalt: fünfundsiebzig Mark den Monat. Grad ausreichend für die Zigarren, die er verqualmt. Natürlich freie Kost und Wohnung ...«

»Schulden?« warf Oldekop hin.

»Nein.«

»Auch von früher nicht?«

»Die Leute wollen sogar behaupten, daß er noch etwas gespart hat. Pah! Woher nehmen bei dem Trinkgeld von Gehalt und dem Aufspielen als Großmogul –«

»Spielt er?« fragte Oldekop begierig.

»Bewahre! Oder doch, gewiß: Dreikart oder Skat mit deinem Bruder und dem Pastor, oder dem Puckbauer, oder anderen – um den zehntel Pfennig – haha – da kann er mitschleppen –«

»Redlich?« – fragte Oldekop gedämpft, trotzdem die Stube leer war. »Ich mein': ohne Schmuhmachen?«

»Gelegenheit hätte er schon, weil alles durch seine Hände geht; aber es ist nichts. Ich hab' 'mal selber auf den Busch geklopft. Bei einem Schacher. Dreijähriger Fuchshengst. Schönes Tier. Und richtig taxiert. Dreihundert Thaler. Ich legte zweihundertfünfzig auf den Tisch, für den Gaul, und schob ihm zwanzig hin. Er sah mich an ... Ich dreißig – –. Und das Resultat? Jawohl! Ich hab' mich packen müssen. Aber ohne den Fuchs, obgleich ich die dreihundert voll bot. Der Kerl war schier aus der Haut und ließ mich nicht mehr zu Wort kommen. Und wenn ich jetzt von da kaufen will, muß ich einen andern schicken. Trägt nach wie so'n tückischer Köter ...«

»Nette Nachrichten, alles was wahr ist!« bestätigte Oldekop mit unverhohlenem Aerger. »Läßt sich's nicht versuchen, ihm auf andere Weise beizukommen?«

»Ich laß die Finger davon. Ich hab' mich 'mal verbrannt –«

»Natürlich!« spottete der Städter, »wer wird sich ins eigene Fleisch schneiden. Bedenk' aber, daß die Harvestehuder Alte einen schönen Batzen herausrücken würde, wenn's gelänge, die Dirn in ihre Krallen zu spielen!«

David wiegte den Kopf.

»Zukunftsmusik!« sagte er kurz, »nach der ist nicht zu tanzen!«

Oldekop brach ab.

»Ich komm' noch einmal vor. Jetzt geht's nach dem Sod. – Hat sich verändert, unser Reickendorf – Schule – Kirche sogar – allen Respekt. Adjüs bis nachher, David. Und daß du reinen Schnabel hälst ...«

»Auf Wiedersehen, Detlev. Daß ich den Schnabel halte, darauf kannst du dich verlassen. Komm' vor nachher und erzähl' mir, was du erreicht hast ...«

Detlev Oldekop schritt, während der Roßkamm den empfangenen Hundertmarkschein schmunzelnd in eine altmodische Schreibschatulle schloß, dem elterlichen Hofe zu. Der Fahrweg war an beiden Seiten von mannshohen, buschbewachsenen Erdwällen, Knicks, eingesäumt und zog sich langhin geradeaus, bis er kurz vor dem Grünen Sod nach links hin abbog. Als Oldekop die Biegung erreichte, sah er den Bauernhof im mittäglichen Herbstsonnenschein freundlich vor sich liegen. Die Wärme vom Tage vorher war einer empfindlichen Frische gewichen; aber das leuchtende Sonnengold, das auf den Feldern lag, im kahlen Buschwerk spielte und von den Fenstern des Bauernhauses sprühte, wirkte trotzdem wohlthuend und belebend.

Die Hausthür schlug mit tiefem Klange an, als Detlev eintrat – dem alten, vertrauten Klange, den er aus der Jugend kannte. Auch die Fliesen auf dem geräumigen Flur, die eichenen, geschnitzten Schränke und die mattblinkenden, kupferbeschlagenen Truhen waren noch die alten. Und die alte, traut umschmeichelnde Luft schien in dem Halbdunkel zu wehen, das ihn zurückversetzte in halbverschwommene, längst vergangene Zeiten, in die Jahre der Kindheit und der Sorglosigkeit. Es umfing ihn eigen und versöhnend, und ein warmes Quellen aus dem Innern ließ ihm den Anlaß seines Kommens und den drohenden Sturm durch kurze Momente selbstvergessender Weihe versinken, bis das Oeffnen einer Stubenthür und das vermehrte Licht ihn in die trostlose Nüchternheit der gegenwärtigen Situation zurückriefen.

Die hohe, trotz vorgerückten Alters ungebeugte Gestalt des Bauern füllte den Thürrahmen.

»Du! Ein seltener Besuch!« tönte seine sonore Stimme.

Kein Gruß, kein Willkommen ...

Detlev Oldekop würgte an einem Schlucken.

»Komm herein,« forderte der Bauer auf. »Was wir abzumachen haben, ist ja wohl schnell erledigt,« fügte er hart hinzu.

»Bruder, ich wollte – ich hätte nicht zu kommen brauchen!« stotterte der Besucher in ungemachter Erregung.

»Setz' dich.«

Der Bauer schob ihm einen Stuhl hin und blieb breit stehen. In dem hageren, glattrasierten, charaktervollen Gesicht wetterleuchtete es, und das stark ergraute Haar stand mit den durch kampflustige Energie verjüngten Zügen und der sehnigen, straff aufgereckten Gestalt in seltsam fesselndem Widerspruch.

»Ich habe Anna fortgeschickt,« begann Hans Oldekop, und jedes Wort traf schneidend. »Sie braucht nicht zu wissen, was zwischen Bruder und Bruder vorgeht. Gott sei's geklagt, daß ich mich des eigenen, nächsten Verwandten schämen muß! – Wieviel verlangst du?«

Detlev Oldekop kam die schroffe Frage gleich zu Anfang unerwartet. Er knüpfte an ihre rücksichtslose Bestimmtheit die Hoffnung, daß der Bruder zu einem letzten Opfer bereit und willens sein möchte, entschlossen die Situation abzukürzen. »Nicht zu wenig,« schoß es ihm durch den Sinn, und aus der dumpfen Empfindung des Augenblicks erwuchs die Forderung.

»Sechstausend –« preßte er hervor.

»Unverschämter!« brauste der Bauer empört auf. »Und du bringst es über dich – du wagst es, mit dieser Forderung zu kommen? Nach allem, was du als Erbteil erhalten, nach allem, was du erpreßt hast durch zwei lange Jahrzehnte? Ich will dir antworten, kurz und bündig: schade um das Reisegeld, das du zum Fenster hinausgeworfen hast! Das Wort, das ich dir gegeben habe, als ich dir das letzte Opfer brachte – vor einem Jahre, wenn du es vergessen haben solltest, – das Wort halte ich! ›Wir sind fertig miteinander!‹ schrieb ich dir, ›darnach richte dich.‹ Wir sind geschiedene Leute, wiederhole ich dir Aug in Auge, und wenn du damit nicht gerechnet hast, wie ich dir geraten, so trage die Folgen ... Ich will noch einen Schritt weiter gehen, ich will dir die Augen ganz öffnen, daß du in mir nicht einen Halt siehst, der dir verloren ist – – bis über mein Grab hinaus. Ich habe mein Leben zugebracht in harter Arbeit, und was ich mit meiner Kraft und meinem Schweiß geschaffen habe, das soll übgehen in Hände, die tüchtig sind und würdig, nicht in die deinen! – die wahren werden, was ich aufgebaut habe, und mir danken – nicht nachlachen in das Grab, wie du!« –

Detlev Oldekop sprang mit einem Ruck von seinem Sitze auf, und die kugeligen Augen in seinem verzerrten Gesicht schienen den Sprecher durchbohren zu wollen. Niedergeschlagen die eben noch rosige Hoffnung, und was ihm als drohendes Gespenst für spätere Zeiten und für den wohl nicht zu erwartenden schlimmsten Fall vorgeschwebt hatte, plötzlich verdichtet zu brutaler Wirklichkeit!

»Du hast kein Recht,« keuchte er, »das Erbteil unsrer Väter der Familie zu entreißen! Den Oldekops hat der Hof gehört von dem Gründer an, und den Oldekops hat er zu bleiben, so lange es noch einen Träger dieses Namens und einen Angehörigen dieses Geschlechtes giebt!«

»Meinst du?« fiel der Bauer mit kalter Abweisung ein. »Ja, wenn du ein Oldekop wärst! Ich wäre der Letzte, dich in deinem Rechte zu kränken. Ich habe es gleich dir schmerzlich empfunden – wenn auch aus anderen Gründen als du – daß der Name, der den Sod zu Ehren gebracht hat, aussterben, daß ein anderer an seine Stelle treten soll. Aber was mir den Ausschlag gegeben hat: die Einfachheit und grade Ehrenhaftigkeit, die Tüchtigkeit der Oldekops in Arbeit und Gesinnung, die soll auf dem Hof bleiben, wenn ich einmal die Augen zumachen muß. Und ich werde Sorge tragen, daß dieser Wille in Erfüllung geht, daß nicht Lüge und Vergeudung, fauler Stillstand und der unausbleibliche Rückgang mit dir ihren Einzug halten.«

»Herr, ich danke dir, daß ich nicht bin wie andere! Sprich es doch aus! Dein Pharisäerstolz wäre lächerlich, wenn er dich nicht zum schmutzigsten Unrecht verleitete ... Die elende Erbschleicherin, die so stolz und ehrbar thut, ist schamlos genug, an mir und den Meinen zur Diebin zu werden!«

»Zeigst du dein wahres Gesicht?« fragte der Bauer, der um so ruhiger wurde, je mehr der andere sich erhitzte. »Ja, stolz und ehrlich, das ist sie, unsere Anna Wichbern! – die da unermüdlich freudig schafft von der Frühe bis zum Abend und nichts will, als den Lohn von ihrer Hände Arbeit. Erbschleicherin – o nein, Detlev Oldekop, sie hat keine Ahnung von dem, was ich seit Jahr und Tag reiflich erwogen habe. Sie vertraut der Zukunft, die ihr der schaffen soll, den sie liebt ...«

»Der selbst ein Habenichts ist!«

»Aber anders als du – ein Charakter, ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle, grad, offen und zielbewußt –«

»– Und klug. Der die Dirn vom Sod nimmt und den Sod meint –«

»Spar' dein Lästern. Und – versäume den Zug nicht. Den Anschluß bei mir hast du verfehlt. – Vielleicht kannst du dir die Reisespesen von Frau Wichbern ersetzen lassen; du sollst ja ihr Vertreter sein und die Aussöhnung mit der Nichte selbstlos übernommen haben. Spare deine Zeit in Zukunft und Frau Wichberns Geld. Beides wird auf eine für dich und sie verlorene Sache verschwendet. Wenn du die Erkenntnis davon mitnimmst, ist deine Reise nicht ganz umsonst gewesen. Unterlaß auch das Briefschreiben an Anna und das Herumstänkern durch den Gauner von Roßkamm, der mir meinen Hof nicht wieder betreten soll, ohne einen Denkzettel zu erhalten, den er sich hinter die Eselsohren schreibt! – Du meintest, ich durchschaute dich nicht? Du könntest dein Lügennetz noch weiter weben? So viel Grütze wie du, habe ich auch noch in meinem Kopf, wenn ich auch kein, mit allen Hunden gehetzter Winkeladvokat bin. Weiß Gott, was ich als deine Ruhmestitel habe erfahren müssen! Aber ich wollte mich noch einmal über dich vergewissern, ehe ich – –«

»Du hast eine Auskunft über mich eingeholt?«

»Genau das ... Ich habe sie auch im Kopf behalten. ›Zerrüttete Vermögensverhältnisse – Ueberlastung mit Schulden – fruchtlose Pfändungsversuche – Scheinübertragung der Wohnung und Möbel auf den Sohn,‹ der ja wohl als Lehrling ein fabelhaftes Einkommen besitzt; ›unzureichende Beschäftigung – zweifelhafter Ruf‹ – und so weiter.«

Der Bauer unterbrach sich mit einer Gebärde des Abscheus.

»Geh!« herrschte er dann den Bruder an. »Der Ekel überkommt mich. Ich mag nichts sehen und hören von dir.«

»Wir sprechen uns wieder!« schrie der Abgewiesene, seiner selbst nicht mächtig, stürzte hinaus und schlug die Thüren hinter sich zu, daß es in den weiten Räumen krachend wiederhallte.

Hans Oldekop riß die Fenster auf und sog begierig die frische Luft ein.


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