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Siebentes Kapitel

Samuel Titmarsh erreicht die höchste Staffel seines Ruhmes

 

Besäße ich das Talent eines George Robins, so würde ich die Rookery ausführlich beschreiben können; so aber muß ich mich damit begnügen, zu sagen, daß es ein sehr schöner Landbesitz ist mit hübschen sich nach den Flußufern hinabziehenden Rasenplätzen, hübschen Gärten und Treibhäusern, schönen Ställen, Wirtschaftsgebäuden und Gemüsegärten, kurz mit alledem, was zu einem rus in urbe erster Klasse gehört, wie es der große Auktionator nannte, als er es einige Jahre später unter den Hammer brachte.

Ich kam an einem Sonnabend eine halbe Stunde vor dem Mittagessen an; ein Diener ohne Livree, mit feierlich ernstem Gesicht, führte mich nach meinem Zimmer, ein zweiter in schokoladefarbenem Frack mit Goldtressen und Broughs Namenszug auf den Knöpfen, brachte mir in silberner Kanne und auf silbernem Tablett heißes Wasser zum Rasieren; um sechs Uhr fand ein großes Diner statt, bei dem ich die Ehre hatte, in dem neuen Frack von Stiltz und in meinen neuen seidenen Strümpfen und Schuhen zu erscheinen.

Brough nahm mich, als ich eintrat, bei der Hand und stellte mich seiner Gemahlin, einer starken, blondhaarigen Dame, die in hellblauen Atlas gekleidet war, und dann seiner Tochter vor, einem großen, mageren schwarzäugigen Mädchen mit buschigen Augenbrauen, das sehr übellaunig aussah und etwa achtzehn Jahr alt sein mochte.

»Belinde, meine Liebe,« sagte ihr Papa, »dieser junge Herr ist einer meiner Kommis, der auch auf unserem Balle war.«

»So, wirklich!« sagte Belinde, den Kopf zurückwerfend.

»Aber kein gewöhnlicher Kommis, Fräulein Belinda, wir werden uns also keine aristokratischen Airs ihm gegenüber geben, bitte. Er ist ein Neffe der Gräfin Drum, und ich hoffe, er soll bald eine recht hervorragende Stellung bei unserer Firma und in der City von London einnehmen.«

Bei dem Namen der Gräfin (ich hatte übrigens

den Irrtum betreffs unserer Verwandtschaft schon ein dutzendmal berichtigt) machte Fräulein Belinda eine tiefe Verbeugung, sah mich scharf an und sagte, sie wolle sich bemühen, die Rookery den Freunden ihres Papas angenehm zu machen. »Wir haben heute nicht viel monde,« fuhr Fräulein Brough fort, »und sind nur en petit comité, aber ich hoffe, daß Sie, ehe Sie uns wieder verlassen, noch einige société sehen werden, die Ihnen den séjour bei uns angenehm machen wird.«

Ich merkte sogleich an ihrer Art, französische Ausdrücke zu gebrauchen, daß sie zu unserer vornehmen Damenwelt gehöre.

»Nicht wahr, ein hübsches Mädchen?« sagte Brough, der augenscheinlich sehr sehr stolz auf sie war, leise zu mir. »Nicht wahr, ein hübsches Mädchen – Sie Schwerenöter Sie? Ist Ihnen in Sommersetshire je solche Bildung vorgekommen?«

»Nein, Herr Brough, gewiß nicht!« antwortete ich etwas doppelzüngig, denn ich dachte die ganze Zeit an eine gewisse Jemandin, die tausendmal hübscher, einfacher und damenhafter war.

»Und womit hat mein Liebling sich den ganzen Tag über beschäftigt?« fragte ihr Papa.

»O pah, je pinçais ein wenig die Harfe und Kapitän Fizgig akkompagnierte mich auf der Flöte. Nicht wahr, Kapitän Fizgig?«

»Ja, Brough,« erwiderte der ehrenwerte Francis Fizgig, »Ihre schöne Tochter hat die Harfe pinciert, das Piano touchiert, die Gitarre egratigniert und ein Lied oder zwei ecorchiert, und wir hatten das Vergnügen, einer Promenade sur l'eau – eines Spazierganges auf dem Wasser.«

»Wie, Kapitän!« rief Frau Brough aus, »einen Spaziergang auf dem Wasser?«

»Still, Mama, du verstehst kein Französisch!« sagte Fräulein Belinda wegwerfend.

»Das ist ein trauriger Nachteil, Madame,« sagte Fizgig ernst, »und ich empfehle Ihnen und Brough, da Sie doch jetzt zur vornehmen Gesellschaft gehören, ernstlich, einige Stunden zu nehmen oder wenigstens einige Dutzend Redensarten auswendig zu lernen und diese hie und da in Ihr Gespräch einfließen zu lassen. Ich setze voraus, Herr … äh …, daß Sie immer Französisch sprechen in Ihrem Kontor – oder wie Sie das nennen –« Dabei klemmte Herr Fizgig sein Glas ins Auge und sah mich an.

»Wir sprechen Englisch, mein Herr, weil wir es besser verstehen als Französisch«, sagte ich.

»Jedermann hat auch nicht die Gelegenheit wie Sie gehabt, Fräulein Brough,« fuhr der Herr fort. »Jedermann hat nicht voyagé comme nous autres, nicht wahr? Mais que voulez-vous, mein lieber Herr, Sie müssen sich Ihren verwünschten Hauptbüchern, und wie das Zeug alles heißt, widmen; wie heißt Hauptbuch auf französisch, Fräulein Belinda?«

»Wie können Sie mich nach so etwas fragen! Je n'en sais rien, wirklich nicht.«

»Das solltest du aber lernen, Belinda,« sagte ihr Vater. »Die Tochter eines englischen Kaufmanns hat nicht nötig, sich der Mittel zu schämen, durch die ihr Vater sein Brot erwirbt. Ich schäme mich ihrer gar nicht – ich bin auch nicht hochmütig deswegen. Wer John Brough kennt, weiß, daß er vor zehn Jahren ein armer Kommis war, wie mein Freund Titmarsh jetzt, und noch keine halbe Million besaß. Gibt es etwa einen Redner im Parlament, der größere Aufmerksamkeit findet, wie John Brough? Ist ein Herzog im Lande, der bessere Diners geben kann als John Brough, oder der seine Tochter besser auszustatten vermag als John Brough? Jawohl, mein Herr, die bescheidene Persönlichkeit, die hier mit Ihnen spricht, ist imstande, manchen deutschen Herzog auszukaufen! Aber ich bin nicht stolz– nein, nein, ich bin nicht stolz. Da sehen Sie meine Tochter – sehen Sie sie an – wenn ich sterbe, so wird sie Herrin meines ganzen Vermögens, aber bin ich wohl stolz darauf? Nein! Wer ihre Liebe gewinnt, soll sie haben, so sage ich. Mögen Sie es sein, Herr Fizgig, der Sohn eines englischen Peers, oder Bill Tidd, mag's ein Herzog sein oder ein Schuhputzer, ich habe nichts dagegen, was? – ich habe gar nichts dagegen!«

»O – o – oh! seufzte der junge Mann, der eben Bill Tidd genannt worden war, ein sehr blasser junger Mann, der an Stelle des Halstuches ein schwarzes Band um den Hals hatte und den Hemdkragen umgeschlagen trug wie Lord Byron. Er lehnte am Kaminsims und blickte Fräulein Brough aus großen grünen Augen unverwandt an.

»O John, – mein lieber John!« rief Frau Brough aus, ergriff ihres Gatten Hand und küßte sie, »du bist ein Engel, ein wahrer Engel!«

»Isabella, sage mir keine Schmeicheleien, ich bin nur ein Mensch, – ein schlichter, einfacher Bürger Londons, der keinen anderen Stolz kennt, als den auf dich und meine Tochter hier – meine beiden Bells, wie ich sie nenne! So leben wir, Titmarsh, mein Junge, unser Haus ist ein glückliches, bescheidenes und christliches Haus, das ist alles. Isabella, laß, bitte, meine Hand los!«

»Mama, Sie müssen das nicht vor den Leuten tun, das ist widerwärtig!« rief Fräulein Brough aus; und Mama ließ gehorsam die Hand fallen, und ein tiefer schwerer Seufzer entrang sich dabei ihrem breiten Busen. Die einfache Frau gefiel mir, und Brough flößte mir um ihretwillen noch um so größere Achtung ein. Der Mann, der von seiner Frau so geliebt wurde, konnte kein schlechter Mensch sein.

Das Diner wurde bald angekündigt, und ich hatte die Ehre, Fräulein Brough zu Tisch zu führen, die, wie ich zu bemerken glaubte, etwas verstimmt war, weil Kapitän Fizgig Frau Brough den Arm geboten hatte. Er saß Frau Brough zur Rechten, und das Fräulein ließ sich rauschend auf den Stuhl neben ihm nieder und überließ es Herrn Tidd und mir, unsere Plätze auf der entgegengesetzten Seite des Tisches zu nehmen.

Bei Tafel gab es zuerst Suppe, dann Steinbutt und hinterher natürlich gekochten Truthahn. Wie kommt es, daß man bei allen großen Diners diesen ewigen gekochten Truthahn gibt? Die Suppe war echte Schildkrötensuppe; es war das erstemal, daß ich solche aß, und ich bemerkte, wie Frau Brough, die darauf bestand, sie auszuteilen, ihrem Manne alles grüne Fett gab und mehrere Stücke von der Brust des Truthahns verstohlen beiseite brachte, bis die Reihe, seinen Teller zu füllen, an ihn kam.

»Ich bin ein einfacher Mann,« sagte Brough, »und esse ein einfaches Mahl. Ich hasse euren Mischmasch, obwohl ich für solche, die anders denken als ich, einen französischen Koch halte. Ich bin kein Egoist, sehen Sie; ich habe keine Vorurteile, und mein Fräulein Tochter dort bekommt ihre Bechamelsaucen und sonstigen Krimskrams ganz nach ihrem Geschmack. Kapitän, versuchen Sie einmal diesen Bordeaux.«

Wir hatten zum Diner außerdem viel Champagner, alten Madeira und große silberne Krüge voll alten Porter für diejenigen, die ihn trinken mochten. Brough suchte offenbar etwas darin, Bier zu trinken, und als die Damen sich zurückzogen, sagte er: »Meine Herren, Tiggins wird Ihnen so viel Wein bringen, wie Sie wünschen, beschränkt wird hier niemand;« damit setzte er sich in seinen Lehnstuhl und schlief ein.

»Das macht er immer so,« flüsterte Herr Tidd mir zu.

»Geben Sie von dem Gelbgesiegelten, Tiggins,« sagte der Kapitän, »der andere Claret, den wir gestern hatten, ist zu schwer und bekam mir verteufelt schlecht!« Ich muß sagen, daß der Gelbgesiegelte mir bedeutend besser mundete, als Tante Hoggartys Rosoglio.

Wer Herr Tidd war und was er ersehnte, sollte ich bald erfahren.

»Ist sie nicht ein herrliches Geschöpf?« sagte er zu mir.

»Wer, mein Herr?« entgegnete ich.

»Fräulein Belinda, wer sonst?« rief Tidd aus. »Hat je ein Sterblicher in solche Augen geschaut oder solche sylphidenhafte Gestalt gesehen?«

»Sie könnte ein bißchen mehr Fleisch und etwas weniger Augenbrauen haben, Herr Tidd,« sagte der Kapitän. So buschige Brauen geben einem Mädchengesicht leicht etwas Boshaftes. Qu'en dites-vous Herr Titmarsh?, wie Fräulein Brough sagen würde.«

»Ich sage nichts, als daß dieser Claret vortrefflich ist, Herr Kapitän,« antwortete ich.

»Wahrhaftig, Sie sind mir ein Bursche von der richtigen Sorte!« meinte der Kapitän. » Volto sciolto, wie? Sie haben Respekt vor unserm schlafenden Wirt dort drüben.«

»Das hab' ich, Herr Kapitän, und zwar achte ich ihn als den allerersten Mann in der Londoner City und als unsern geschäftsführenden Direktor.«

»Das tue ich auch,« sagte Tidd; »und heute über vierzehn Tage, wenn ich volljährig werde, werde ich ihm auch einen Beweis meines Vertrauens geben.«

»Wie so?« fragte ich.

»Nun, Sie müssen wissen, daß ich am 14. Juli zu einem – hem – zu einem ziemlich bedeutenden Vermögen komme, das mein Vater in – in seinem Geschäfte erworben hat.«

»Sagen Sie's nur gerade heraus, daß Ihr Vater Schneider war, Tidd.«

»Ja, er war Schneider, – aber was tut das? Ich habe meine Bildung auf der Universität erhalten und fühle mich ebensogut als Gentleman, wie – ja

vielleicht mehr, als manches Mitglied der Geburtsaristokratie.«

»Tidd, urteilen Sie nicht allzustreng!« sagte der Kapitän und leerte dabei sein zehntes Glas.

»Nun, Herr Titmarsh, wenn ich also volljährig bin und in den Besitz meines beträchtlichen Vermögens komme, so werde ich, da Herr Brough mir gesagt hat, er könne mir für meine 20000 Pfund jährlich 1200 Pfund Zinsen geben – so werde ich, wie ich ihm versprochen habe, mein Kapital bei ihm anlegen.«

»In der West Diddlesex, Herr Tidd?« sagte ich, – »bei unserer Gesellschaft?«

»Nein, bei einer anderen Gesellschaft, die Herr Brough ebenfalls leitet und die genau ebensogut ist. Herr Brough ist ein alter Freund meiner Familie und hat mich immer recht gern gehabt, und er sagt, ich mit meinen Talenten könne noch ins Parlament kommen, und dann – und dann, wenn ich mein väterliches Erbteil angelegt habe, darf ich mich auch wohl nach einem eigenen Hausstand umsehen!«

»O Sie hinterlistiger Schlaukopf!« sagte der Kapitän. »Als ich Sie in der Schule durchzuprügeln pflegte, hätte ich nicht geglaubt, daß ich einen Staatsmann in Windeln unter den Händen hätte.«

»Redet ruhig zu, Kinder!« sagte Brough, aus seinem Schläfchen erwachend, »ich schlummere doch nur mit halbem Auge und hörte alles. Ja, Sie sollen auch ins Parlament kommen, Tidd, mein Junge, oder mein Name ist nicht Brough. Sie sollen sechs Prozent für Ihr Geld haben, oder nie mehr an mein Wort glauben! Aber meine Tochter, sehen Sie mal, die müssen Sie selber fragen, nicht mich. Wer ihr Jawort bekommt, hat sie, gleichviel, ob Sie es sind oder der Kapitän oder Titmarsh. Alles, was ich von meinem Schwiegersohn verlange, ist, daß er ein ehrenhafter, ein edeldenkender Mann ist, wie Sie alle drei!« Tidd machte dabei ein sehr pfiffiges Gesicht, und als unser Wirt aufs neue einschlummerte, fuhr er mit dem Finger bedeutungsvoll über die Augen und schüttelte, den Kapitän ansehend, mit dem Kopfe.

»Pah!« sagte der Kapitän. »Ich sage, was ich denke, und Sie können es Fräulein Brough ruhig wiedersagen, wenn Sie wollen;« und damit endete bald das Gespräch, und wir wurden zum Kaffee gerufen, nachher sang der Kapitän ein paar Lieder mit Fräulein Brough, und Tidd schmachtete sie wortlos an, ich besah Kupferstiche, und Frau Brough strickte Strümpfe für die Armen. Der Kapitän verspottete Fräulein Brough, ihr geziertes Wesen und Sprechen ganz offen, aber trotz seiner brutalen, wegwerfenden Art schien es doch, als halte sie viel von ihm und lasse sich seinen Spott in Demut gefallen.

Um zwölf Uhr machte Kapitän Fizgig sich auf den Weg nach seiner Kaserne in Knightsbridge, und Tidd und ich gingen auf unsere Zimmer. Am nächsten Tage, einem Sonntag, weckte uns um acht eine große Glocke, und um neun versammelten wir uns alle im Frühstückszimmer, wo Herr Brough Gebete und ein Kapitel aus der Bibel las und darauf noch eine Ermahnung an uns und alle Hausmitglieder richtete, mit Ausnahme des französischen Kochs, Monsieur Nongtonpair, den ich von meinem Platze aus in seiner weißen Mütze, eine Zigarre rauchend, draußen im Garten spazieren gehen sah.

Jeden Morgen, auch an Wochentagen, pünktlich um acht, hielt Herr Brough dieselbe Zeremonie und ein Gebet mit seiner Familie ab, aber trotzdem war dieser Mann ein Heuchler, wie ich später erfuhr. Ich will mich damit nicht über die Familienandachten lustig machen oder ihn einen Heuchler nennen, weil er solche hielt; es gibt schlechte und gute Leute, die solche Zeremonien überhaupt nicht mitmachen, aber ich bin überzeugt, daß gute Menschen dadurch nur besser werden, und fühle mich auch nicht berufen, die Frage in bezug auf die schlechten zu entscheiden, ich habe deshalb auch von Herrn Broughs Gebaren in religiösen Dingen nicht gesprochen; es mag genügen, wenn ich sage, daß er die Religion bei jeder Gelegenheit im Munde führte und daß er jeden Sonntag, wenn er keine Gesellschaft bei sich sah, dreimal zur Kirche ging. Wenn wir allein waren, sprach er zwar nicht von religiösen Dingen, aber er benützte doch jede Gelegenheit, um manche frommen Betrachtungen anzustellen, was ich besonders eines Tages erfuhr, wo wir eine Quäker- und Dissidentengesellschaft zu Tisch hatten und wo sein Gespräch ebenso salbungsvoll war, wie das, eines der anwesenden Geistlichen. Tidd war an jenem Tage nicht anwesend – denn nichts konnte ihn bestimmen, seine Bandkravatte à la Byron oder den umgeschlagenen Hemdkragen abzulegen, und so hatte ihn Brough, um ihn aus dem Wege zu schaffen, mit der einsitzigen Chaise in das Astleytheater geschickt. »Und, hören Sie, mein Junge,« sagte er zu mir, »Sie lassen Ihre Diamantennadel oben; unsere Freunde, die wir heute zu Gaste haben, lieben solchen Tand nicht; wenn ich auch selbst kein Feind so harmlosen Schmuckes bin, so möchte ich doch die Gefühle derer nicht verletzen, die strengere Ansichten haben. Sie werden sehen, daß auch meine Frau und meine Tochter in dieser Hinsicht meinen Wünschen nachkommen.« Und das taten sie wirklich, – denn beide erschienen bei Tisch in schwarzen, hochgeschlossenen Kleidern, während sonst Fräulein Belinda das Kleid gewöhnlich bis über die Schultern ausgeschnitten trug.

Der Kapitän kam mehreremal zum Besuch herübergeritten, und Fräulein Brough schien immer entzückt zu sein, ihn zu sehen. Eines Tages traf ich ihn, als ich allein am Flusse entlang schlenderte, und wir hatten ein langes Gespräch zusammen.

»Herr Titmarsh,« sagte er, »nach dem wenigen, was ich von Ihnen gesehen habe, scheinen Sie ein rechtschaffener, geradedenkender junger Mann zu sein, und ich möchte Sie um einige Auskunft bitten, die Sie mir geben können, sagen Sie mir zuallererst, wenn Sie es wollen – und auf mein Ehrenwort, es bleibt streng unter uns – wie steht es mit dieser, Ihrer Versicherungsgesellschaft? Sie sind in der City und sehen, wie die Dinge laufen. Ist Ihr Unternehmen wohl ein reelles?«

»Herr Kapitän,« antwortete ich, »aufrichtig und auf mein Ehrenwort, ja, ich glaube, es ist ein solches. Es besteht freilich erst seit vier Jahren, aber Herr Brough hatte, als es gegründet wurde, bereits einen großen Namen und ausgebreitete Beziehungen. Jeder Kommis in unserem Kontor hat allerdings seine Stelle gewissermaßen bezahlt, indem er oder seine Verwandten Aktien nahmen. Ich bekam die meinige, indem meine Mutter, die sonst ganz unbemittelt ist, eine kleine ihr unerwartet zufallende Summe bei der Gesellschaft auf Leibrenten anlegte und dadurch zugleich für mich selbst sorgte. Die Sache wurde vorher in der Familie und mit unseren Anwälten Hodge und Smithers besprochen, die in unserer Gegend allgemein bekannt und geachtet sind, und man kam von allen Seiten überein, meine Mutter könne nichts Besseres tun, als ihr Geld für uns alle in dieser Weise anzulegen. Brough selbst ist eine halbe Million wert, und sein Name ist schon allein eine Bürgschaft. Und noch mehr: ich riet neulich einer Tante von mir, die eine bedeutende Geldsumme bar liegen hat und die mich um meine Meinung anging, wie sie das Geld am sichersten anlegen solle, Aktien unserer Gesellschaft zu kaufen. Kann ich Ihnen einen besseren Beweis davon geben, für wie sicher ich das Unternehmen halte?«

»Suchte Brough Sie irgendwie zu bestimmen?«

»Ja, gewiß, er forderte mich dazu auf, aber er teilte mir, wie überhaupt uns allen, ganz offen und ehrlich seine Beweggründe mit. Er sagte: ›Meine Herren, es ist mein Streben und Ziel, unsere Geschäftsverbindungen soviel wie möglich auszudehnen. Ich möchte alle übrigen Londoner Gesellschaften überflügeln. Unsere Bedingungen sind schon günstiger, als die jeder anderen; wir können sie noch günstiger stellen und werden dann ein ungeheueres Geschäft machen. Aber wir müssen auch selbst tüchtig arbeiten. Jeder einzelne Aktionär und Beamte der Gesellschaft muß sich bemühen, uns neue Kunden zuzuführen – gleichviel mit welcher Kleinigkeit sie auch eintreten mögen – das ist die Hauptsache.‹ Und demgemäß macht unser Direktor all seine Freunde, ja selbst seine Dienerschaft zu Aktionären, sogar sein Portier ist Aktionär, und so bemüht Brough sich, jeden, der ihm in den Weg kommt, zu gewinnen. Ich z. B. bin mit Ueberspringung mehrerer meiner Kollegen zu einer weit besseren Stellung aufgerückt, als meine frühere war. Ich bin hierher geladen worden und werde fürstlich bewirtet; und warum? Weil meine Tante 3000 Pfund besitzt, und weil Herr Brough wünschte, daß sie diese bei uns anlegt.«

»Das sieht doch sehr eigentümlich aus, Herr Titmarsh.«

»Durchaus nicht, Herr Kapitän; er geht ganz offen zu Werke. Sobald die Sache auf die eine oder andere Weise geordnet ist, glaube ich sicher, daß Herr Brough nicht mehr die allergeringste Notiz von mir nehmen wird. Aber jetzt braucht er mich. Die Stelle wurde zufällig gerade in dem Augenblicke frei, wo er mich nötig hatte, und als er hoffte, durch mich meine Familie zu gewinnen. Er sagte mir das beim Hinausfahren. ›Sie sind ja ein Mann von Verstand, Titmarsh,‹ sagte er, ›Sie wissen, daß ich Ihnen die Stelle nicht deshalb gebe, weil Sie ein ehrlicher Mensch sind und eine gute Hand schreiben. Wenn ich Ihnen im Augenblick eine geringere Lockspeise zu bieten gehabt hätte, so würde ich diese benutzt haben, aber es blieb mir keine Wahl, und so bekamen Sie, was ich gerade zu geben hatte.‹«

»Das ist offen genug, aber was kann Brough bestimmen, sich so eifrig um eine so unbedeutende Geldsumme wie 3000 Pfund zu bemühen?«

»Und wenn es zehn Pfund gewesen wären, – er würde ganz ebenso eifrig gewesen sein. Sie kennen die Londoner City und die Leidenschaft nicht, mit der die Größen des Geldmarktes der Vergrößerung ihrer Verbindungen nachjagen. Herr Brough würde, wo es sich um Geschäfte handelt, einem Schornsteinfeger schmeicheln und schön tun. Sehen Sie da den guten Tidd mit seinen 20 000 Pfund. Unser Direktor hat ihn genau auf dieselbe Weise eingefangen. Er muß alles Kapital haben, das er nur irgend zu erreichen vermag.«

»Ja, und nun setzen wir mal den Fall, er ginge mit dem Kapital durch?«

»Herr Brough von der Firma Brough und Hoff, Herr Kapitän? Ebensogut könnten Sie annehmen, daß die Bank von England durchginge! Aber hier sind wir beim Portierhäuschen. Wir wollen Gates, eines von Broughs Opferlämmern fragen;« und damit traten wir bei dem alten Gates ein.

»Nun, Herr Gates,« sagte ich, um die Sache recht klug einzuleiten, »Sie sind also auch unter die Aktionäre der West-Diddlesexgesellschaft gegangen?«

»Ja, gewiß,« sagte freundlich grinsend der alte Gates. Er war ein in den Ruhestand versetzter Diener, der noch in seinem hohen Alter eine starke Familie hatte.

»Wieviel Gehalt haben Sie denn, Herr Gates, daß Sie so viel Geld zurücklegen und bei unserer Gesellschaft Aktien kaufen können?«

Gates sagte uns, wie hoch sich sein Gehalt beliefe, und als wir ihn fragten, ob ihm dasselbe regelmäßig ausgezahlt würde, beteuerte er, sein Herr sei der gütigste Herr auf der ganzen Welt, er habe zweien von seinen Töchtern Plätze in guten Häusern, zweien von seinen Söhnen Stellen in Freischulen verschafft, einen dritten Sohn in die Lehre gebracht, und so zählte Gates noch hundert seiner Familie erwiesene Wohltaten auf. Lady Brough gab den Kindern die halbe Kleidung, der Herr versorgte sie zur Winterszeit mit Decken und Röcken und gab ihnen jahraus jahrein ihre Suppe und ihr Fleisch. Seit die Welt erschaffen war, hatte es sicherlich niemals eine so edelmütige Familie gegeben.

»Nun, mein Herr,« sagte ich zum Kapitän, »sind Sie damit zufrieden? Herr Brough gibt diesen Leuten fünfzigmal mehr, als was er von ihnen empfängt, und dennoch bestimmt er Gates, Aktien bei unserer Gesellschaft zu nehmen.«

»Herr Titmarsh,« entgegnete der Kapitän, »Sie sind ein ehrlicher Kerl, und ich gestehe, daß Ihre Beweisgründe sich hören lassen. Nun sagen Sie mir nur noch, wissen Sie etwas von Fräulein Brough und ihrem Vermögen?«

»Brough wird ihr sein ganzes Hab und Gut hinterlassen, – wenigstens sagt er so.« Aber der Kapitän mochte einen etwas sonderbaren Zug in meinem Gesicht entdeckt haben, denn er lachte und meinte:

»Es scheint mir, mein lieber Junge, Sie meinen, daß sie auch dafür noch zu teuer erkauft ist, nun, und ich weiß nicht, ob Sie so ganz unrecht haben.«

»Aber warum, wenn ich so frei sein darf, Kapitän Fizgig, sind Sie ihr denn immer auf den Fersen?«

»Herr Titmarsh,« antwortete der Kapitän, »ich habe 20000 Pfund Schulden.«

Unmittelbar nach diesem Gespräch ging er ins Haus zurück und brachte seine Werbung um sie an.

Ich fand dies Verfahren ziemlich grausam und rücksichtslos von seiten des edlen Herrn, denn er war durch Herrn Tidd, mit dem er die Schule besucht hatte, in die Familie eingeführt worden und hatte Tidd gänzlich aus dem Herzen der reichen Erbin verdrängt. Brough hatte (wie der Kapitän mir später erzählte), als er hörte, daß seine Tochter Herrn Fizgig ihr Jawort gegeben, anfänglich getobt und geradezu geflucht und hatte später, als er ihn traf, den Kapitän auf Ehrenwort verpflichtet, die Verlobung noch einige Monate geheimzuhalten. Und Kapitän Fizgig machte nur mich und seine Kameraden zu Vertrauten, aber auch dies geschah erst, als Tidd seine 20 000 Pfund an unseren »Alten« gezahlt hatte, was er sofort nach erfolgter Volljährigkeit tat. An demselben Tage hielt er auch um die junge Dame an, und ich brauche wohl nicht zu erwähnen, daß er abgewiesen wurde. Gleichzeitig sprach die Verlobung des Kapitäns sich herum, und all seine vornehmen Verwandten, der Herzog von Doncaster, Earl Cinqbars, Earl Crabs usw. kamen und statteten der Familie Brough Besuche ab; der ehrenwerte Henry Ringwood wurde Aktionär unserer Gesellschaft, und Earl Crabs versprach es zu werden. Für unsere Aktien wurden Prämien bezahlt, unser Direktor, seine Gemahlin und Tochter wurden bei Hofe vorgestellt, und die große West-Diddlesexgesellschaft stand jetzt ganz offenbar als die allererste Versicherungsgesellschaft des Königreiches da.

Kurze Zeit nach meinem Besuche in Fulham schrieb meine liebe Tante mir, daß sie ihre Anwälte, die Herren Hodge und Smithers, um Rat gefragt, und daß diese ihr sehr zugeredet hätten, das Geld in der von mir empfohlenen Weise anzulegen. Sie hatte dies auch getan, und zwar auf meinen Namen; sie sagte mir viel Schmeichelhaftes über meine Redlichkeit und mein Talent, worüber Herr Brough ihr die schmeichelhaftesten Berichte gegeben hatte. Gleichzeitig teilte meine Tante mir mit, daß im Falle ihres Todes die Aktien mir gehören sollten. Das gab mir natürlich ein großes Ansehen bei der Gesellschaft. Unserer nächsten Jahresversammlung wohnte ich in meiner Eigenschaft als Aktionär bei und hatte die große Freude, von Herrn Brough in einer wundervollen Rede zu hören, daß die Gesellschaft eine Dividende von sechs Prozent zahle, die uns allen bar ausgehändigt wurde.

»Sie glücklicher, junger Halunke, Sie!« sagte Brough zu mir; »wissen Sie denn auch, warum ich Ihnen die Stelle gegeben habe?«

»Ohne Zweifel wegen des Geldes meiner Tante, Herr Brough,« entgegnete ich.

»Wo denken Sie hin! Meinen Sie, daß mir an diesen lumpigen dreitausend Pfund etwas liegen könne? Man sagte mir, Sie wären der Neffe von Lady Drum, und Lady Drum ist die Großmutter von Lady Jane Preston, und Herr Preston ist ein Mann, der unendlich viel nützen kann. Ich erfuhr, daß sie Ihnen Wildbret und wer weiß noch was geschickt hatten, und als ich sah, daß Ihnen Lady Jane bei meiner Gesellschaft die Hand schüttelte und so freundlich mit Ihnen sprach, hielt ich Abednegos Märchen für ein heiliges Evangelium. Das war der Grund, weshalb Sie die Stelle bekamen, verstehen Sie, und nicht wegen Ihrer erbärmlichen dreitausend Pfund. Und nun treffe ich vierzehn Tage nach Ihrem Besuche bei uns in Fulham Preston im Parlament und rühme mich damit, einen Kusin von ihm bei mir placiert zu haben; ›Der Teufel soll den unverschämten Schlingel holen!‹ sagte er; ›er und mein Kusin! Sie glauben doch nicht an das Geschwätz der alten Drum? Das ist eine fixe Idee von ihr; sie kann keinen Menschen kennen lernen, ohne eine Verwandtschaft herauszufinden, und natürlich auch mit diesem Hundsfott von Titmarsh!‹ ›Nun,‹ entgegnete ich lachend, ›dieser Hundsfott hat dadurch eine gute Stelle bekommen, und das läßt sich nun auch nicht mehr ändern.‹ Sie sehen also,« fuhr unser Direktor fort, »daß Sie die Stelle nicht dem Gelde Ihrer Tante verdankten, sondern –«

»Sondern dem Diamanten meiner Tante!«

»Sie Glückspilz!« sagte Brough und puffte mich im Weggehen in die Seite. Und ich hielt mich auch in der Tat für einen glücklichen Menschen.


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