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Viertes Kapitel

Der glückliche Besitzer des Diamanten speist in Pentonville

 

Am folgenden Montag ging ich erst eine halbe Stunde nach der Eröffnungszeit ins Kontor. Um die Wahrheit zu gestehen, hatte ich gar nichts dagegen, daß Hoskins früher hinkam als ich und den Kollegen erzählte, was geschehen war, – denn wir haben alle unser Teilchen Eitelkeit, und es freute mich, wenn meine Kameraden ein bißchen was von mir hielten. Als ich eintrat, bemerkte ich sogleich an der Art und Weise, wie meine Kollegen mich ansahen, daß Hoskins seine Schuldigkeit getan hatte, besonders an Abednego, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als mir eine Prise aus seiner goldenen Schnupftabaksdose anzubieten. Auch Roundhand schüttelte mir warm die Hand, als er zu mir trat, um mein Geschäftsbuch anzusehen; er sagte, ich schriebe eine vorzügliche Handschrift (was ich, ohne mir schmeicheln zu wollen, auch selber glaube) und lud mich ein, am nächsten Sonntag in Middleton Square bei ihm zu Mittag zu speisen. »Sie werden da freilich nicht die Bewirtung finden, wie bei Ihren Freunden im Westend,« sagte er mit besonderer Betonung, »aber Amelia und ich sind immer erfreut, wenn wir einen Freund an unserm bescheidnen Tische sehen, 's gibt hellen Sherry, alten Portwein, sonst alles einfach, aber reichlich. Wollen Sie?«

Ich sagte zu und versprach auch Hoskins mitzubringen.

Er entgegnete, das wäre sehr liebenswürdig von mir, und er würde sich sehr freuen, Hoskins bei sich zu sehen. Zur verabredeten Zeit stellten wir uns dann auch ein, aber, obgleich Gus elfter und ich zwölfter Kommis war, bemerkte ich doch, daß man mich bei Tische stets zuerst und mit dem Besten bediente. Ich hatte doppelt soviel Fleischklößchen als Hoskins in meiner Mockturtlesuppe und bekam fast alle Austern aus der Sauce. Einmal wollte Roundhand Gus vor mir bedienen, als seine Frau, die am oberen Ende des Tisches saß und in einem roten Kreppkleide und Kopfputz sehr aufgeblasen und hochmütig aussah, ihm ein so drohendes »Antony!« zurief, daß der arme Roundhand die Schlüssel hinsetzte und rot wurde, wie ein gesottner Krebs.

Natürlich sprach Frau Roundhand mit mir von Westend! Sie besaß, wie ja gar nicht anders zu erwarten war, einen genealogischen Almanach und wußte über alle Angelegenheiten der Drums in einer Weise Bescheid, daß es mich in Erstaunen setzte. Sie fragte mich, wieviel jährliches Einkommen wohl Lord Drum habe, ob ich glaube, daß er zwanzig-, dreißig-, vierzig- oder hundertfünfzigtausend Pfund jährlicher Revenuen besitze, ob ich eine Einladung nach Drum Castle habe, und was für Kleider die jungen Damen trugen, und ob sie diese abscheulichen Schinkenärmel hätten, die damals gerade Mode geworden waren, und dabei blickte Frau R. auf ihre eigenen dicken, blaumarmorierten Arme, auf die sie sehr stolz war.

»Ich hoffe, Sam, mein Junge!« rief Roundhand, der die Portweinflasche sehr fleißig hatte herumkreisen lassen, mitten in unser Gespräch hinein, »ich hoffe, Sie haben an die Hauptsache gedacht und ein paar West-Diddlesexaktien angebracht, – was?«

»Roundhand, sind die Karaffen da unten gefüllt?« rief die Dame ärgerlich, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

»Nein, Milly, ich habe sie geleert,« entgegnete Roundhand.

»Ich bitte mich nicht Milly zu nennen, Herr, und haben Sie die Güte, zu meinem Mädchen Lancy hinunterzugehen und zu sagen (hier traf mich ein Seitenblick), sie solle den Tee im Studierzimmer bereiten. Wir haben heute einen Gast, der nicht an die Sitten von Pentonville gewöhnt ist (ein zweiter Blick), sich aber hoffentlich nicht an den Manieren seiner Freunde stoßen wird.« Hier tat Frau Roundhand einen Atemzug aus ihrem sehr unfangreichen Busen und warf mir einen dritten, so strengen Blick zu, daß ich wahrscheinlich ein sehr dummes Gesicht machte. An Gus richtete sie den ganzen Abend über kein einziges Wort, aber er tröstete sich darüber mit einer sehr großen Menge Butterzwiebäcken und blieb den größten Teil der Zeit (es war ein furchtbar heißer Sommer) pfeifend und mit Roundhand plaudernd auf der Veranda sitzen. Ich hätte gewünscht, mich zu ihnen setzen zu können, – denn es war mir bei der großen, dicken Frau Roundhand, die sich dicht zu mir aufs Sofa setzte, sehr schwül im Zimmer.

»Erinnern Sie sich noch, welch vergnügten Abend wir vorigen Sommer hier hatten?« hörte ich Hoskins sagen, indem er sich über das Balkongeländer lehnte und die Mädchen beäugelte, die aus der Kirche kamen; »Sie und ich, wir hatten unsre Röcke ausgezogen, Frau Roundhand war in Margate, wir tranken Massen von kaltem Wasser mit Rum und hatten eine ganze Kiste Manilas vor uns?«

»Still!« sagte Roundhand ganz ängstlich, »Milly könnte es hören.«

Aber Milly hörte es nicht, denn sie war eben dabei, mir eine unendlich lange Geschichte zu erzählen, wie sie auf einem Ball, den die City den verbündeten Fürsten gegeben, mit dem Grafen von Schloppenzollern gewalzt habe, welch langen weißen Bart der Graf gehabt, und wie seltsam es ihr gewesen sei, sich, vom Arme eines großen Mannes umschlungen, im Saale herumzudrehen. »Herr Roundhand hat das seit unserer Heirat nicht mehr gestattet – aber im Jahre 14, wissen Sie, glaubte man den Souveränen solche Aufmerksamkeit schuldig zu sein. Neunundzwanzig junge Mädchen, aus den besten Familien der Londoner City, ich kann es Ihnen versichern, Herr Titmarsh – auch des Lord Mayors eigene Töchter waren darunter, die Mädchen des Aldermans Dobbin, Sir Charles Hoppers drei Töchter, von den Hoppers, die das große Haus in der Baker Street haben, und Ihre gehorsame Dienerin, die damals etwas schlanker als heute war – neunundzwanzig von uns hatten zu diesem Zwecke einen Tanzmeister und lernten in Mansion House, in einem Saale über der ägyptischen Halle, Walzer tanzen. Er war ein schöner Mann, dieser Graf Schloppenzollern!«

»Ich bin überzeugt, Madame,« sagte ich, »daß er eine schöne Partnerin hatte,« und wurde dabei bis über die Ohren rot.

»Ach gehen Sie, Sie böser Mensch!« sagte Frau Roundhand, indem sie mir einen derben Klaps gab; »Ihr Männer vom Westend seid alle gleich – lauter Heuchler. Der Graf war gerade wie Sie. Jaja! Vor der Heirat eitel Honigseim und schöne Worte, aber wenn ihr uns einmal erobert habt, nichts als Kälte und Gleichgültigkeit. Sehen Sie da den Roundhand, das große Wickelkind, wie er einen Schmetterling mit seinem gelbseidenen Taschentuche niederschlagen will! Kann ein solcher Mann mich verstehen? Kann er die Leere meines Herzens füllen?« (Damit kein Irrtum aufkommen könnte, was sie meinte, legte sie ihre Hand auf die betreffende Stelle) »Ach, nein! Werden Sie Ihre Frau einmal ebenso vernachlässigen, wenn Sie verheiratet sind, Herr Titmarsh?«

Als sie das sagte, läuteten gerade die Glocken, und der Gottesdienst war zu Ende, und ich dachte an meine liebe, liebe Mary Smith auf dem Lande, die jetzt in ihrem bescheidenen grauen Kleide nach Hause zu ihrer Großmutter ging. Die Glocken läuteten ihr dabei, die Lust war voll süßen Heuduftes, der Fluß schimmerte im Abendsonnenschein, alles war Purpur, Gold, Silber. Meine liebe Mary war hundertzwanzig Meilen entfernt, in Sommersetshire, und ging mit Dr. Snorters Familie, der sie sich anzuschließen pflegte, aus der Kirche heim, und ich hörte hier dem faden Geschwätz dieses dicken, koketten, gemeinen Weibes zu.

Ich mußte, ich mochte wollen oder nicht, nach der Hälfte eines gewissen Sixpencestücks greifen, von dem ich schon gesprochen habe, und als ich mechanisch meine Hand auf die Brust legte, verletzte ich mir an der Spitze meiner neuen Diamantnadel den Finger. Herr Polonius hatte sie mir tags vorher zugeschickt, und ich trug sie bei Roundhands Mittagessen zum ersten Male.

»Das ist ein wundervoller Diamant,« sagte Frau Roundhand, »ich habe ihn schon die ganze Zeit über angesehen. Wie reich müssen Sie sein, um so kostbare Dinge zu tragen, und warum bleiben Sie, der Sie so vornehme Bekannte in Westend haben, in einem gewöhnlichen Citykontor?«

Das Weib hatte mich durch ihr Geschwätz nachgerade so ärgerlich gemacht, daß ich vom Sofa aufsprang, mich, ohne ein Wort zu erwidern, nach dem Balkon begab, – oh, und mir beim Hinaustreten an dem Türpfosten beinahe den Kopf einstieß. »Gus,« sagte ich, »ich fühle mich nicht recht wohl, möchtest du mich vielleicht nach Hause bringen?« Und Gus wünschte auch nichts anderes, denn er hatte eben das letzte aus der Kirche kommende Mädchen beäugelt, und die Nacht fing schon an hereinzubrechen.

»Wie, schon fort?« sagte Frau Roundhand, »es gibt gleich noch einen Hummer – freilich nichts Besonderes, Sie werden an Besseres gewöhnt sein, aber –«. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich beinahe gesagt hätte: »Der Teufel hole Ihre Hummer!« als Roundhand zu ihr ging und ihr zuflüsterte, ich wäre unwohl.

»Jaja«, sagte Gus und sah dabei sehr pfiffig aus. »Bedenken Sie, Frau Roundhand, daß er am Donnerstag in Westend bei dem höchsten Adel zu Mittag gegessen hat. Und nicht wahr, man speist nicht ungestraft in Westend, Herr Roundhand? Wer Kegel spielt. Sie wissen schon –« »Dem fliegen manchmal die Kugeln an den Kopf,« sagte Herr Roundhand munter. »In meinem Hause wird Sonntags nicht gespielt,« sagte Frau Roundhand und sah dabei sehr stolz und ärgerlich aus. »Hier soll keine Karte angerührt werden. Leben wir in einem protestantischen Lande? Sind wir in einem christlichen Lande?«

»Meine Liebe, du hast uns mißverstanden. Wir sprechen nicht vom Kartenspiel.«

»Es soll am Sabbat hier im Hause überhaupt keinerlei Spiel gespielt werden,« entgegnete Frau Roundhand, und damit rauschte sie aus dem Zimmer, ohne uns auch nur gute Nacht zu sagen.

»Bleiben Sie noch,« sagte ihr Gatte, der sehr erschrocken aussah, – »bitte bleiben Sie. Sie wird nicht wiederkommen, solange Sie hier sind, und ich möchte, daß Sie noch eine Weile bleiben.«

Aber wir hatten keine Lust, und als wir Salisbury Square erreicht hatten, hielt ich Gus einen Vortrag über Zeitverschwendung an Sonntagen, und ehe wir zu Bett gingen, las ich noch eine von Blairs Predigten. Und als ich mich im Bett auf die andere Seite legte, mußte ich unwillkürlich darüber nachdenken, wieviel Glück mir die Diamantnadel schon gebracht hatte, und dies Glück war, wie man aus dem nächsten Kapitel ersehen wird, noch nicht zu Ende.


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